Lore-Roman 132 - Ina Ritter - E-Book

Lore-Roman 132 E-Book

Ina Ritter

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Beschreibung

Allzu stark ausgeprägtes Standesbewusstsein des alten Grafen Magnus von Hollenstedt führt ihn und seine Familie an den Abgrund. Er will nicht, dass sein Sohn Birger eine Bettlerin als zukünftige Herrin ins Haus bringt. Denn Birger von Hollenstedt hat sich in das wunderschöne, schwarzhaarige, eben erblühte Mädchen Astrid verliebt. Astrid lebt als Findelkind bei seinem Pächter Uhlig und wird von diesem ausgenutzt, wie die niedrigste Magd. Birger will Astrid heiraten, doch sein Vater vereitelt dieses auf hinterhältige Art. Der verzweifelte Mann heiratet ohne Überlegung die Frau, die sein Vater ihm zuführt, Franziska von Pechstein.
Doch diese Ehe wird für Hollenstedt zum Verhängnis. Die standesgemäße Familie der von Pechsteins bringt auf betrügerische Art das gesamte Vermögen der Hollenstedts durch, und so steht das Gut schließlich zur Versteigerung. Und durch eine schicksalhafte Wendung wird ausgerechnet Astrid die neue Herrin von Hollenstedt ...


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Seitenzahl: 156

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Die Herrin von Hollenstedt

Vorschau

Impressum

Die Herrin von Hollenstedt

Sie konnte den Geliebten nicht vergessen

Von Ina Ritter

Allzu stark ausgeprägtes Standesbewusstsein des alten Grafen Magnus von Hollenstedt führt ihn und seine Familie an den Abgrund. Er will nicht, dass sein Sohn Birger eine Bettlerin als zukünftige Herrin ins Haus bringt. Denn Birger von Hollenstedt hat sich in das wunderschöne, schwarzhaarige, eben erblühte Mädchen Astrid verliebt. Astrid lebt als Findelkind bei seinem Pächter Uhlig und wird von diesem ausgenutzt, wie die niedrigste Magd. Birger will Astrid heiraten, doch sein Vater vereitelt dieses auf hinterhältige Art. Der verzweifelte Mann heiratet ohne Überlegung die Frau, die sein Vater ihm zuführt, Franziska von Pechstein.

Doch diese Ehe wird für Hollenstedt zum Verhängnis. Die standesgemäße Familie der von Pechsteins bringt auf betrügerische Art das gesamte Vermögen der Hollens‍tedts durch, und so steht das Gut schließlich zur Versteigerung. Und durch eine schicksalhafte Wendung wird ausgerechnet Astrid die neue Herrin von Hollenstedt ...

Weitab vom nächsten Dorf, mitten im Moor und nur wenigen Ortskundigen zugänglich, lag eine kleine Hütte, die jahrelang unbewohnt geblieben war. Und nun stieg plötzlich feiner, dünner Rauch aus dem Schornstein dieser Kate.

Niemand im nächsten Ort, außer der Frau des Lehrers Hofer, ahnte etwas davon, dass an diesem Tage zwei vom Schicksal schwer heimgesuchte Frauen von Südamerika bis hierher geflüchtet waren, um sich zu verbergen. Selbst ihrem eigenen Mann verriet Maria Hofer nichts.

Vom Rande des Hochmoores her konnte man den dünnen Rauch nicht bemerken.

In der erbärmlichen Kate aber versuchten die beiden Flüchtigen, Mutter und Tochter, sich häuslich einzurichten.

»Wenn das Feuer im Kamin erst brennt, wird es hier gemütlich sein«, tröstete Astrid Wiegandt ihre Mutter, die fröstelnd den Mantel enger um sich zog und müde von der langen Flucht auf einem wurmstichigen Stuhl saß.

Frau Liane Thompson seufzte tief auf und sagte dann: »Ich fürchte, dass Sam uns auch bis hierher verfolgt. Du weißt ja, wie rachsüchtig und blindwütig dein Stiefvater ist.«

»Ja, das weiß ich«, gab Astrid leise zur Antwort. »Hätte man mir nur nie gesagt, dass ich deine Tochter bin. Hätte man mich nur das Findelkind bleiben lassen ...«

»Bitte, Kind! So darfst du nicht sprechen!« Liane Thompson stand auf und legte ihrer Tochter beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ich bin doch so froh, dass ich dich wiederhabe, nachdem ich zwanzig Jahre geglaubt habe, du wärest tot.«

»Er hat mich wohl immer gehasst, dein Mann Sam, Mutter. Aber dass er mich dann in einem kleinen Boot auf dem Meer aussetzte ...«

»Pst, Kind!« Liane Thompson hielt sich die Hände vor die Ohren. »Ich kann es nicht mehr hören! Eine ganze Welt ist für mich zusammengebrochen, als ich es hörte.« Ihre schmalen Hände ballten sich zu hilflosen Fäusten. »Oh, wie ich ihn deswegen hasse!«

»Hass ist nicht gut, besonders nicht für eine Ehe. Es war bestimmt gut, Mutter, dass du mit mir hierher geflohen bist.«

Liane lachte gequält auf. »Ja, es war gut. Aber ich bin nicht vor ihm sicher, denn er liebt mich mit einer krankhaften Eifersucht. Deshalb wird er das auch damals mit dir — getan haben.«

»Zwanzig Jahre«, murmelte Astrid vor sich hin und starrte mit gedankenverlorenen Augen ins Feuer, das nun lustig aufflackerte und eine wohlige Wärme verbreitete.

Liane Thompson ergriff die Hand ihrer Tochter, streichelte sie beruhigend.

»Komm, Kind, erzähl mir nun einmal in Ruhe, wie du denn gelebt hast in all den Jahren. Ich habe dich doch erst ein paar Tage wieder — und wir hatten keine Zeit, uns darüber zu unterhalten.«

»Ach, Mutter!« Astrid seufzte tief auf. »Es ist so viel passiert in der langen Zeit ...«

»Bitte, Kind ...«

Und Astrid begann, mit leiser Stimme zu erzählen.

»An die ersten Jahre kann ich mich nicht mehr so genau erinnern, Mutter. Aber man hat mich auf dem Gut des Pächters Uhlig hier im Dorf aufgezogen. Zusammen mit seiner leiblichen Tochter Edith.«

»Waren sie gut zu dir, diese Uhligs?«

»Gut?« Astrid verzog schmerzlich das Gesicht. »Edith wurde wie eine Prinzessin gehalten — und ich schlimmer als die niedrigste Magd ausgenutzt. Bis dann später Birger von Hollenstedt kam. Ihm gefiel ich, er wollte mich heiraten ...«

Bei diesen Worten glitt ein weicher, verträumter Ausdruck über Astrids Gesicht.

»Du hast ihn geliebt, Kind?«

»Ich liebe ihn immer noch, Mutter. Aber Birgers und Maria Hofers Vater, der alte Magnus von Hollenstedt, der wollte kein Findelkind als Herrin von Hollenstedt. Auf hinterhältige Weise hat er unsere Hochzeit vereitelt.«

»Dieser gemeine Kerl!«, knirschte die Mutter.

»Er lebt noch, Mutter, vielleicht bekommen wir ihn jetzt auch einmal zu Gesicht.«

»Ich werde ihm vor die Füße spucken!«

»Ach lass doch, Mutter. Es ist doch schon so lange her. Und ich habe dann ja auch in der Verzweiflung den alten Professor Wiegandt geheiratet, nur um finanziell sichergestellt zu sein.«

»Was hat dein Birger dazu gesagt?«

»Er wusste nichts von dem Intrigenspiel seines Vaters. Er fühlte sich von mir verraten, und hat dann die Frau geheiratet, die sein Vater ihm zuführte: Franziska von Pechstein. Er hat sie nie geliebt.«

»Und — wie kam es dann, dass du mich gefunden hast? Ich kann es immer noch nicht ganz begreifen.«

»Edith war es, die das Medaillon von mir fand, wo meine richtige Anschrift draufstand. Nun war ich kein Findelkind mehr. Sie übergab es Birger, und er, er wollte mir helfen, obwohl er mich verachtete. Er übergab es meinem Mann, und ich fuhr sofort zu dir. Mein Mann starb einen Tag, nachdem ich abgefahren war.«

»Mein Gott, Kind, was hast du alles mitgemacht! Und dann hast du mich noch nicht einmal angetroffen, sondern nur Sam ...«, sie stöhnte leise auf, »... und der hat dich gleich vor Angst, dass seine Tat nach so vielen Jahren entdeckt werden könnte, als Betrügerin ins Gefängnis werfen lassen ...«

»Ach, Mutter«, Astrid stand auf, streichelte der Mutter beruhigend über das Haar, »ich habe seltsamerweise drüben im Gefängnis keine Angst gehabt. Ich wusste, dass ich Verbindung mit dir — oder«, sie errötete leicht, »mit Birger würde aufnehmen können. Und so war es dann auch. Birger kam sofort und befreite mich durch seine Aussage aus der Zelle. Sam Thompson — dein Mann war so wütend, dass er einen seiner Agenten auf Birger schießen ließ. Er kann heute noch nicht wieder gehen, sein Bein schmerzt ihn noch zu sehr.«

»Der arme Mann.« Liane ballte die Fäuste. »Sam hat mit seinen Millionen immer alles erreicht, was er haben wollte. Oh, wie ich ihn hasse!« Plötzlich wechselte der hassvolle Ausdruck in ihrem Gesicht. Es entspannte sich, wurde liebevoll, als sie Astrid ansah. »Aber dann habe ich von allem erfahren, Kind«, sagte sie zärtlich, »und ich habe dich sofort wiedererkannt — und da mussten dich die Richter endgültig laufen lassen.«

»Aber wie viel hast du dafür geopfert, Mutter! Nun jagt Sam Thompson auch dich — dein eigener Mann ...«

»Es ist nicht so schlimm. Ich habe nichts an ihm verloren, Astrid. Wenn ich nur dich nicht verliere. Wenn ich bei dir bleiben kann, bis ich eines Tages sterbe.«

»Bitte, Mutter! Nicht vom Sterben sprechen. Ich bin doch so froh, dass ich nun endlich bei dir sein kann. Und ich will dich noch viele Jahre bei mir haben.«

Manchmal denke ich, Astrid, dass ich eine so liebe Tochter wie dich gar nicht verdient habe ...«

Astrid hörte die letzten Worte nicht mehr. Ihre Gedanken waren bei dem Mann, den sie niemals hatte vergessen können: Bei Birger von Hollenstedt. Mit verträumten Augen starrte sie in das Feuer, das langsam in sich zusammensank.

***

Astrid war gerade für einen Moment aus dem Raum gegangen, als sich die Tür der Kate öffnete und Maria Hofer eintrat.

»Sie hatten mich noch nicht wieder erwartet, nicht wahr?«, fragte sie.

Aber Frau Liane sah, dass ihre Munterkeit gespielt war und ihr Lächeln unecht.

Sie bringt schlechte Nachrichten, wusste sie sofort.

»Ist Astrid nebenan?«, fragte Maria und ging in den angrenzenden Raum. Frau Liane folgte ihr, denn sie gehörte nicht zu den Menschen, die vor einer Gefahr den Kopf in den Sand stecken.

»Frau Hofer wollte uns nur sagen, dass wir auf keinen Fall ins Dorf gehen dürfen«, erklärte Astrid der Mutter, die besorgt von Maria auf ihre Tochter schaute.

»Und deshalb machen Sie extra den weiten Weg hierher?«

Maria Hofer verschlang die Finger und wandte den Kopf verlegen zur Seite.

»Was ist geschehen?«, fragte die alte Dame. »Verschweigen Sie mir nichts, Frau Hofer, ich muss die Wahrheit wissen. Haben Sie jemanden von Sams Leuten im Dorf gesehen?«

Birgers Schwester errötete. Sie konnte einfach nicht lügen und nickte zögernd.

»Aber wir brauchen uns deshalb keine Sorgen zu machen, Muttchen. Niemand weiß von diesem Haus, und der Weg ist schwer zu finden«, versuchte Astrid, sie zu beruhigen.

»Sam arbeitet schnell«, murmelte Frau Liane bedrückt. »Wäre es nicht besser, wir gingen zur Polizei ...«

»Du weißt, dass das ausgeschlossen ist, Muttchen. Wir werden hier einige Zeit bleiben und dann irgendwo im Ausland leben, wo uns niemand findet. Mach dir keine Sorgen.«

Frau Liane kannte ihren Mann besser als die junge Frau, aber sie verzichtete darauf, ihre Bedenken laut zu äußern. Als sie in den Wohnraum zurückkam, schien ihr, als sei er plötzlich anders geworden; es fehlte der Hauch der Gemütlichkeit, den Astrids Geschicklichkeit in ihm verbreitet hatte.

Sie setzte sich wieder in die Nähe des Herdes, aber selbst das Feuer vermochte nicht, ihre innere Kälte zu vertreiben.

Astrid erkundigte sich nach Einzelheiten, und was sie von Maria hörte, war alles andere als erfreulich. Maria hatte Edith Uhlig in Begleitung eines Fremden gesehen, dessen Äußeres den Südamerikaner verriet.

»Aber sie ahnt ja schließlich nicht, dass ihr beide hier seid«, meinte sie beruhigend. »Wir müssen nur vorsichtig sein; am besten ist es, wenn ich euch nur nachts neue Vorräte bringe. Es ist ein Jammer, dass Birger verletzt ist, er würde mit den Spitzeln schon fertig werden.«

»Ich bin froh, dass er Hollenstedt nicht verlassen kann«, widersprach Astrid schnell. »Meinetwegen hat er schon einmal sein Leben riskiert, ich könnte den Gedanken einfach nicht ertragen, dass er zum zweiten Mal in Gefahr geräte.«

Maria legte ihr die Hand auf den Arm und nickte nur, denn sie begriff Astrid. Ein Mädchen, das einen Mann so liebte wie sie, dachte immer nur an den Geliebten und nicht an sich selbst.

»Er wird heute Abend ankommen, vermute ich«, äußerte Maria. Birger befand sich in einem Krankenwagen auf der Fahrt nach Hollenstedt.

Astrid nickte nur. Sie litt unter dem Bewusstsein, ganz in der Nähe des geliebten Mannes zu leben, ohne doch die Möglichkeit zu haben, mit ihm zu sprechen. Birger war verletzt — und außerdem verheiratet, und Astrid war keine Frau, die sich in die Ehe eines anderen Menschen hineindrängte.

Er hatte sich sein Schicksal selbst gestaltet und musste nun versuchen, es auch zu meistern, genau wie sie selbst es bezwingen musste.

Die Mutter sah an ihrem Gesicht, woran sie dachte und zog die junge Frau einen Moment in die Arme. Sie wusste, dass es für Astrids Schmerz keine Trostworte gab, denn nichts ist wohl schlimmer, als einen Mann hoffnungslos zu lieben, wenn man weiß, dass diese Liebe in gleicher Stärke erwidert wird.

»Die Betten sind bezogen. Wenn du willst, Muttchen, kannst du dich schon hinlegen.« Astrid selbst gönnte sich heute noch keine Ruhe. Sie begann, die Wohnstube gründlich sauber zu machen und die vollkommen verschmutzten, fast blinden Scheiben zu putzen.

Erst nach Mitternacht blies sie das Licht in der Petroleumlampe aus. Am ruhigen Atem der Mutter hörte sie, dass die alte Dame schlief. Sie selbst fand keine Ruhe, denn ihre Gedanken kreisten um Birger.

Heute in den Abendstunden hatte er die Heimat erreicht, das Gut Hollenstedt, das er nach dem Tode des Vaters erben würde.

Ich habe ihm die Heimat erhalten, machte sie sich klar, aber wie so oft in den letzten Wochen gelang es ihr nicht, aus diesem Bewusstsein Trost zu schöpfen.

Seitdem sie wusste, dass Birgers Liebe sehr viel größer war, als sie es jemals geglaubt hätte, kamen ihr Zweifel an der Richtigkeit ihres damaligen Entschlusses, ihn heimlich zu verlassen.

Zu spät, dachte sie, und sie presste den Kopf in die Kissen, um das wehe Schluchzen zu ersticken, das in ihrer Kehle emporstieg.

»Versuche zu schlafen.«

Astrid zuckte erschreckt hoch.

»Ich bin noch wach, Kind«, sagte die Mutter leise in die Finsternis hinein. »Du bist ein starker Mensch, Astrid, du musst dich mit deinem Schicksal abfinden. Versuche, Birger zu vergessen, denn die Erinnerung an ihn ist ein Ballast, der es dir schwermachen wird, eine schöne Zukunft aufzubauen.«

»Ja, Mutter«, flüsterte Astrid, aber sie wusste, genau wie die alte Dame es ahnte, dass es ihr unmöglich sein würde, Birger von Hollenstedt aus ihrer Erinnerung zu bannen.

***

Birger ließ sich Zeit, als der Krankenwagen auf dem Hof hielt und die beiden Träger ihn fragend anschauten. Sie wussten nicht, was sie ohne einen Befehl des Mannes tun sollten, und Franziska, die am Fenster gestanden hatte, enthob sie der Entscheidung.

Sie nickte ihrem Manne, der nach wochenlanger Abwesenheit überraschend zurückkam, kurz und abweisend zu, ohne ihm die Hand zu geben, und wies dann die Krankenträger mit einer Kopfbewegung an, ihn ins Haus zu schaffen.

Für ihren Mann hatte sie kein Lächeln übrig, und Birger begriff, dass sie ihm noch immer zürnte. Schließlich hatte er ihr einmal versprochen, Astrid niemals wiederzusehen — und dieses Versprechen nicht halten können, weil nur er allein imstande war, das Mädchen vor dem großen Elend in den Gefängnissen zu bewahren.

Es schmerzte ihn, dass die eigene Frau so engstirnig und kleinherzig war, seine Gründe nicht zu begreifen.

»Mein Junge!« Frau Irena drückte seine beiden Hände mit festem Druck und strahlte ihn an. »Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht, Birger. Was ist mit deinem Bein? Was hat der Arzt gesagt? Du siehst schlecht aus.«

Sie überschüttete ihn mit einem Schwall von Fragen, ohne ihm Zeit zu lassen, sie nacheinander zu beantworten.

Aus jedem Wort, jedem Blick sprach ihre Liebe, die in Franziskas Herz anscheinend erstorben war. Seine junge Frau stand neben der Bahre, die die Träger in der großen Halle abgesetzt hatten, und sie schaute gleichgültig über ihn hinweg gegen die Wand.

Der Mann zwang sich zum Lächeln, obwohl es ihm sehr schwerfiel. Er erzählte der Mutter kurz die Abenteuer in Argentinien, und Frau Irena begriff ihn vollständig.

»Und wo ist sie jetzt?«, fragte sie mitleidig. »Das arme Mädchen hat ja furchtbar viel durchmachen müssen.«

Franziska schob ihren Kopf neugierig vor, und Birgers Blick streifte kurz prüfend ihr Gesicht, bevor er zögernd seine Lüge aussprach: »Ich weiß es nicht.«

»Du weißt es wohl«, herrschte Franziska ihn grob an. »Mir kannst du keinen Sand mehr in die Augen streuen. Ich weiß Bescheid. Ich möchte wetten, dass diese Person irgendwo in Deutschland ist und nur darauf wartet, dass du wieder gesund wirst, um ...«

»Aber Franziska!«, fiel Birgers Mutter ihr entsetzt ins Wort. Sie war hellauf empört, denn sie wusste genau, dass ihr Sohn niemals imstande sein würde, seiner Frau die Treue zu brechen.

»Schweig du nur!«, gab die junge Frau böse zurück. »Ich weiß jetzt, was ich von deinem sauberen Sohn zu halten habe. Ich verfluche das Kind, das ich von ihm unter dem Herzen trage!«

Frau Irena war entsetzt, während Birger gequält die Augen schloss. Nie hatte er deutlicher als heute bemerkt, was für ein völliges Fiasko seine aus Vernunft geschlossene Ehe geworden war. Sie ist ein vernünftiger Mensch, ich werde mit ihr ein ruhiges und ausgefülltes Leben führen können, hatte er gedacht, als er Franziska seinerzeit bat, seine Frau zu werden.

Aber man kann keine Vernunftehe mit einem Menschen schließen, der einen liebt und mehr erwartet als nur Achtung und Fürsorge.

Franziska wollte sich nicht damit abfinden, dass Birgers Herz vergeben war, und seine Fahrt nach Argentinien hatte ihr klargemacht, welche Rolle sie in seinem Leben spielte. Sie stand an zweiter Stelle!

Und ihr Bruder Ferdinand, ein dummer, aber eingebildeter Mann, der nichts gelernt hatte, als Geld auszugeben, bestärkte sie nur noch in ihrer Ansicht.

Er war viel mit Edith Uhlig zusammen und ließ sich von der hübschen Tochter des Pächters aufhetzen. In Wirklichkeit war es Astrids ehemalige Pflegeschwester, die an den unsichtbaren Fäden zog, nach denen die Menschen auf Hollenstedt sich bewegten.

»Es ist besser, wenn du dich etwas mehr zusammennimmst!«, stieß Birger tonlos hervor.

»Ich denke nicht daran«, schrie die junge Frau hysterisch. »Ich werde dir beweisen, dass du mit mir nicht machen kannst, was du willst!«

»Er braucht Ruhe, Franziska«, mischte sich Frau Irena empört ein. »Bringen Sie die Trage die Treppe hinauf, ich zeige Ihnen den Weg«, wandte sie sich an die beiden Krankenträger, die grinsend der Familienszene gelauscht hatten.

Franziska blieb allein in der Halle zurück, die Hände zu Fäusten geballt und einen bösen Zug in ihrem hübschen Gesicht. Man sah ihr an, dass sie ein Kind erwartete, aber so sehr sie sich einmal auf das werdende Leben gefreut hatte, das in ihr wuchs, jetzt hasste sie das Ungeborene, weil Birger sie ihrer Meinung nach so tief enttäuscht hatte. Sie kannte ihn nicht gut genug, um zu wissen, dass nichts, aber auch gar nichts zwischen ihm und Astrid vorgefallen war, was das Licht des Tages zu scheuen hatte.

Wo mag diese Person sich aufhalten?, fragte sie sich — und erhielt wenig später einen Hinweis, der ihren Hass zur Weißglut entfachte.

Ferdinand von Pechstein, ihr sauberer Bruder, kam aus dem Dorf zurück. Er hatte sich bei Edith Uhlig aufgehalten und wusste von ihr, die noch immer mit Sam Thompson in Verbindung stand, dass Astrid und ihre Mutter mit dem Zug im Dorf angekommen waren.

»Sie halten sich hier irgendwo versteckt, liebes Schwesterherz«, behauptete er befriedigt, denn wie alle kleinen Naturen machte es ihm Freude, schwächere Menschen zu ärgern und zu reizen.

»Du lügst!«, schrie Franziska ihn an.

»So?«, fragte Ferdinand blasiert. »Dann frag ihn doch selbst, deinen guten Birger. Er wird nicht die Frechheit haben, dich ins Gesicht hinein anzulügen. Es würde mich übrigens wirklich interessieren, wo sich diese Person versteckt hält. Bei Pfarrer Gödeke ist sie nicht. Deine liebe Schwägerin Maria hat sie im Auto abgeholt und ist mit ihnen fortgefahren. Sie schweigt natürlich.«

»Ich kann es einfach nicht glauben«, stöhnte Franziska, aber ihr Bruder hatte die Genugtuung, zu sehen, dass sie Minuten später in Richtung auf das Dorf zu verschwand.

Der hab ich es aber richtig gegeben, dachte er zufrieden und rieb sich die knochigen Finger. Er fand das Leben wunderbar, seitdem es ihm gelungen war, auf dem Gute Fuß zu fassen. Er hatte das elterliche Vermögen durchgebracht und stand völlig mittellos da, als er als ungebetener Gast auf Hollenstedt erschien.

Franziska stand mit flammenden Augen vor Maria Hofer, hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, ihre Schwägerin zu begrüßen, sondern schrie ihr sofort die brennende Frage ins Gesicht: »Wo hast du Astrid versteckt?«

Maria zuckte zusammen. »Weshalb glaubst du, dass Astrid hier im Dorf sei? Ich weiß nichts von ihr!«