Lore-Roman 139 - Yvonne Uhl - E-Book

Lore-Roman 139 E-Book

Yvonne Uhl

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Beschreibung

Seit sechs Jahren sind sie verheiratet, und Graf Holger hat keine Sekunde dieser von höchstem Glück erfüllten Zeit missen mögen. Er liebt seine schöne, junge Frau abgöttisch. Auch Gräfin Astrid liebt ihren Mann von ganzem Herzen, doch sie leidet sehr darunter, dass ihr die Krönung ihres Glücks versagt bleiben soll: ein Kind.
Viele Ärzte hat sie deswegen bereits aufgesucht, aber niemand von ihnen konnte ihr Hoffnung machen. So entschließt sich das junge Paar, einen letzten Versuch zu wagen und einen berühmten Frauenarzt in New York zu konsultieren. Es wird ein Flug in ein dramatisches Schicksal ...


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Inhalt

Cover

Ich werde dich auf Händen tragen

Vorschau

Impressum

Ich werde dich auf Händen tragen

Roman um die Erfüllung einer großen Liebe

Von Yvonne Uhl

Seit sechs Jahren sind sie verheiratet, und Graf Holger hat keine Sekunde dieser von höchstem Glück erfüllten Zeit missen mögen. Er liebt seine schöne, junge Frau abgöttisch. Auch Gräfin Astrid liebt ihren Mann von ganzem Herzen, doch sie leidet sehr darunter, dass ihr die Krönung ihres Glücks versagt bleiben soll: ein Kind.

Viele Ärzte hat sie deswegen bereits aufgesucht, aber niemand von ihnen konnte ihr Hoffnung machen. So entschließt sich das junge Paar, einen letzten Versuch zu wagen und einen berühmten Frauenarzt in New York zu konsultieren. Es wird ein Flug in ein dramatisches Schicksal ...

»Du darfst nie vergessen, dass ich dich unsagbar liebe!« Holger Graf Garbitz hielt Astrid in den Armen und drückte sein Gesicht in ihr duftendes Haar.

»Aber ich bin nur eine halbe Frau, Holger«, stammelte Astrid und warf aufweinend die Arme um seinen Hals. »Ich werde dir nie ein Kind schenken können.«

Behutsam strich der junge Graf über das Haar seiner schönen, jungen Frau.

Niemand wusste wie er, wie sie sich nach einem Kind sehnte. Sie war so eine warmherzige, gütige junge Frau mit einem Herzen voller Zärtlichkeit!

»Astrid, mein Liebes«, murmelte Graf Holger, »vertraue doch der Zukunft. Erst müssen wir das Ergebnis abwarten, wenn du in New York bei dem berühmten Gynäkologen warst, einverstanden? Und wenn er dir bestätigt, was die hiesigen Ärzte sagen, werden wir uns ein verlassenes Waisenkind suchen, das Zärtlichkeit, ein Zuhause und gute Eltern braucht.«

Astrid Gräfin Garbitz schwieg. Das Herz war ihr unendlich schwer. So viele Kapazitäten hatte sie schon konsultiert, kein Arzt hatte ihr Hoffnungen auf ein Kind machen können.

»Astrid, ist es recht so? Schließt du dich meiner Meinung an?«, erkundigte sich Holger Graf Garbitz zärtlich.

»Ja«, hauchte Astrid. »Halte mich fest, Holger! Was bin ich ohne dich? Wie ein Blatt im Wind, wurzellos und verloren. Holger, ich liebe dich so sehr!«

»Ich liebe dich auch«, erwiderte der junge Graf leise. »Das Schicksal hat uns zusammengeführt, und wir wollen dem Herrgott dafür danken, Astrid!«

***

Drei Wochen später saß das gräfliche Ehepaar in einem modernen Großraum-Düsenjet. Holger und Astrid von Garbitz befanden sich nach zweiwöchigem Aufenthalt in Los Angeles, Philadelphia und New York auf der Heimreise nach Deutschland.

Immer wieder sah Holger Graf Garbitz seine schöne Frau an. Wie ernst sie war! Und wie bitter der Zug um ihren Mund war.

Der berühmte Gynäkologe Dr. Ernest Gilmore hatte nach einer gründlichen Untersuchung klipp und klar erklärt, die Austragung eines Kindes sei unmöglich. Auch eine Operation könne nicht helfen.

Ihr Wunsch nach einem eigenen Kind, das die Krönung ihrer Liebe sein sollte, war jetzt endgültig ins Land der Fantasie verwiesen worden.

Astrids heißer Lebenstraum war zu Ende geträumt.

Wenn ich ihr nur helfen könnte!, sann der junge Graf. Gleich morgen werden wir das Jugendamt aufsuchen und uns nach den Bedingungen für eine Adoption erkundigen. Hoffentlich sind die Wartezeiten für eine Adoption nicht zu so lang. Wenn wir ein Jahr oder länger auf ein geeignetes Kind warten müssen, wäre es für Astrid eine Katastrophe.

Wieso klopfte sein Herz so schwer? Aus Mitleid mit der geliebten Frau? Die Sitzungstage in Manhattan waren sehr anstrengend gewesen. Vielleicht sollte ich mich mehr schonen. Ich hatte auch viel zu wenig Schlaf in letzter Zeit. Und Astrids Kummer schnürt mir fast das Herz zusammen. Dass es so keine Möglichkeit gibt, ihr zu helfen. Warum nimmt sie sich die Angelegenheit so zu Herzen?

Die einzige Möglichkeit wäre, bald einen kleinen, winzigen Hausgenossen zu haben, der Astrid von früh bis abends in Atem hält. Denn das hat sich Astrid immer geschworen: Wenn ich erst einmal ein Kind habe, dann werde ich es nicht den Dienstboten überlassen. Ich werde mich ganz allein um das Kleine kümmern.

Wir sollten so schnell wie möglich ein Waisenhaus besuchen, damit Astrid sieht, wie nötig diese armen Wesen ein Elternhaus brauchen. Das wird sie wachrütteln und ...

Holger Graf Garbitz merkte, wie ihm schwindelig wurde. Er wollte die Hand heben, um sie auf Astrids Arm zu legen, doch er schaffte es nicht mehr. Der Kopf sank ihm auf die Brust.

Erst jetzt wurde Astrid aufmerksam.

»Liebster, was hast du nur?«, fragte sie.

Aber ihr Mann gab keine Antwort.

Jäh fuhr die Angst zu Astrids Herzen.

»Holger, Holger«, stammelte sie. Doch der Graf antwortete nicht. »Stewardess!«, schrie Astrid bebend.

Die l.-Klasse-Stewardess eilte heran.

»Ja, gnädige Frau?«, erkundigte sie sich.

»Mein Mann, so sehen Sie doch nur!«, rief Astrid bebend.

Die Stewardess betrachtete den zusammengesunkenen Körper des Grafen, erschrak und griff nach dem Handgelenk, aber sie fühlte keinen Puls.

»Ganz ruhig, Frau Gräfin. Ich hole meine Kollegin«, sagte die Stewardess in dem eingeübten, beruhigenden Tonfall. »Sie hat einige Semester Medizin studiert und ist eine halbe Ärztin.« Eiligen Schrittes entfernte sie sich wieder.

Astrid presste die eiskalte Hand Holgers zwischen ihre Hände.

»Holger, warum antwortest du nicht?«, flüsterte sie wie im Fieber. »Was hast du nur? Ich wusste gar nicht, dass es dir nicht gut geht. Wenn du doch antworten könntest!«

Kein Passagier außer dem Ehepaar befand sich noch im 1.–Klasse-Abteil des Düsenjets. Niemand war da, der der jungen, verstörten Frau beistehen konnte.

Endlich kehrte die Stewardess mit ihrer Kollegin zurück. Da Gräfin Astrid am Fenster saß und nicht hinaus konnte aus der Zweipersonensitzbank, musste sie hilflos zusehen, wie die beiden Bordangestellten den Körper ihres Mannes behutsam aus der Bank hoben und auf den Boden legten.

Die Stewardess mit den medizinischen Kenntnissen hob die Lider an und legte ihre Hand auf die Hauptschlagader des Grafen. Ihr Gesicht nahm einen bestürzten Ausdruck an.

Die junge Gräfin presste die Hand vor den zum Schreien geöffneten Mund.

»Ist er«, stammelte sie, »hat er ...«

Flüsternd unterhielten sich die beiden Stewardessen. Eine richtete sich auf und eilte den Gang hinunter in die Touristik-Klasse.

»So sprechen Sie doch bitte«, stammelte Astrid. »Was ist mit meinem Mann?«

Kurz darauf kehrte die Stewardess mit einem Herrn zurück. Er trug eine randlose Brille und eine Aktentasche.

»Doktor Winzheimer«, stellte er sich vor. Er fügte hinzu, dass er praktischer Arzt wäre und aus Wiener Neustadt stammte.

»Herr Doktor, mein Mann hat auf einmal das Bewusstsein verloren«, stammelte Astrid. »Bitte helfen Sie ihm!«

Der Arzt untersuchte den am Boden liegenden mit geübten Bewegungen. Er flüsterte mit der Stewardess, die Medizin studiert hatte. Dann richtete er sich auf.

»Gnädige Frau«, richtete er bedauernd das Wort an Astrid, »leider ist Ihrem Gatten nicht mehr zu helfen. Der Tod ist eingetreten. Da ist alle ärztliche Kunst vergebens.«

Die Gewissheit, die sie in den letzten Minuten verdrängt hatte, stürmte auf sie ein wie ein Orkan.

»Tot?«, ächzte sie. »Nein, nein, Sie müssen sich irren.« Sie blickte in drei besorgte Augenpaare. »Sie alle sind einem Irrtum erlegen, wirklich. Er kann doch nicht ... er ist doch noch jung. Und er war immer gesund und ... oh, mein Gott!« Ein Blick in das starre, graue Antlitz des Toten ließ Astrid erschauern. »Holger, mein Holger«, wimmerte sie.

Der Arzt hatte eine Injektionsspritze aufgezogen.

»Ihren Arm, Frau Gräfin. Kommen Sie ...«

Astrid Gräfin Garbitz sank in die Polsterbank zurück.

»Warum helfen Sie ihm nicht?«, fragte sie tonlos.

»Ich kann es nicht mehr«, sprach der Doktor ernst. »Aber Ihnen kann ich helfen, liebe gnädige Frau. Überlassen Sie mir bitte Ihren Arm ...«

Verzweifelt ließ Astrid Gräfin Garbitz alles mit sich geschehen. Sie spürte den kleinen Einstich kaum.

Holger, Holger? Du kannst mich doch nicht allein lassen!

***

Der strebsame, intelligente Industrielle Holger Graf Garbitz bewohnte mit seiner Gemahlin das alte, renovierte Familienschloss auf der Anhöhe. Schon seine Urahnen hatten hier gelebt, und manchmal war es Astrid zu groß, zu dunkel und finster, denn das Gebäude besaß keine Rückfront, war fest an den Felsen gebaut und sah mit seinen vielen Fenstern so aus, als hockte ein gewaltiger Riese mit vielen Augen in dem Berg, angriffsbereit und angsteinflößend.

Diese Angst wurde stärker, seit Holger Graf Garbitz, der Schlossherr, beerdigt war und die letzten Trauergäste das Schloss verlassen hatten.

Sie war sich ihrer Einsamkeit quälend bewusst, als sie von Zimmer zu Zimmer eilte und sich vorstellte, sie würde Holger wiederbegegnen. In Träumen aus der Vergangenheit befangen, vergaß sie oft, dass er dort unten im Ort in der Familiengruft des alten Friedhofes bestattet war.

Nachts glaubte sie oft, seine Stimme zu hören, setzte sich im Dunkeln auf und lauschte. Es war später Herbst. Die Stürme fegten um die Schlossfassade, und in dem alten Gebäude gab es vielfältige Geräusche.

Eines Abends besuchte die sechzigjährige Komtess Antonie zu Garbitz ihre angeheiratete Großnichte.

»Gut, dass du da bist, Tante Antonie«, begrüßte Astrid sie bebend. »Kannst du nicht ganz zu mir ziehen? Wir hätten wirklich eine schöne Zeit«, fuhr sie erregt fort, »wir könnten Schach spielen und Dame oder Canasta und ...« Ihre Worte überstürzten sich beinahe.

Die Komtess sah Holgers Witwe forschend an. Dann legte sie ihr die Hand auf den schwarzen Ärmel des Trauerkleides.

»Armes Kind, du bist ja völlig mit den Nerven herunter«, sagte sie.

Das Mitleid in der Stimme der alten Dame war zu viel für Astrid. Sie brach in hilfloses Schluchzen aus.

»Ich kann ohne Holger nicht leben«, hörte die Komtess sie jammern. »Ich habe keine Zukunft mehr, Tante Antonie. Niemand kann mir helfen. Wenn ich allein bin, führe ich lange Gespräche mit Holger. Ich will auch bald sterben. Was soll ich ohne Holger auf der Welt?«

Komtess Antonie erschrak. Es sah schlimm aus um den Gemütszustand der jungen Witwe. Sie war auch sehr blass, hatte abgenommen und wirkte um Jahre gealtert.

»So geht es nicht mehr weiter, liebes Kind«, erklärte sie energisch. »Im Übrigen schickt mich mein Bruder Fritjof, wie du weißt, ist er Familienvorstand. Wegen seiner gelähmten Beine kann er sich nicht selbst zu dir bemühen, Astrid. Aber er hat dir mehrfach geschrieben. Warum hast du ihm nie geantwortet?«

Astrid Gräfin Garbitz hob den Blick, doch Komtess Antonie war überzeugt davon, dass sie mit ihren Gedanken weit, weit fort war.

»Ich lese grundsätzlich keine Post, seitdem Holger tot ist«, flüsterte Astrid. »Auch wenn der Sekretär sie mir hinlegt, schaue ich sie nicht an.«

»Aber Astrid«, entfuhr es der Komtess. Kopfschüttelnd sah sie die Witwe an. »Ich muss mich wiederholen, wenn ich sage, dass es so nicht weitergeht. Also, Onkel Fritjof lässt dich grüßen. Es geht um die Erbfolge. Schau, dieses alte Schloss, das immer im Familienbesitz war, kann dir kein Zuhause mehr sein. Der Familienrat trat kürzlich unter Vorsitz von Onkel Fritjof zusammen. Und da wurde abgestimmt.« Die Komtess räusperte sich. »Kurz und gut, ich kam hierher, um dir das Ergebnis der Abstimmung mitzuteilen.«

Astrid machte eine Miene, als ob sie gar nicht zuhörte.

»Wie du weißt, Astrid«, fuhr Komtess Antonie fort, »hat Holger einen Cousin zweiten Grades, der nun an die erste Stelle der Erbfolge aufrückt. Er wird von nun an aus dem Familienvermögen dieselbe Zuwendung monatlich wie Holger bisher erhalten. Auch das Garbitz-Industrieunternehmen, das unserer Familie so gute Einkünfte bringt, geht nun mit Aktienmehrheit in den Besitz von Vetter Ludwig über, so will es das Familientestament.«

Müde hob Gräfin Astrid den Blick.

»Und was hat das alles zu bedeuten?«, fragte sie teilnahmslos.

Die Komtess beugte sich vor. Sie blickte Astrid fest an.

»Du träumst ja mit offenen Augen«, sagte sie vorwurfsvoll. »Astrid, es geht um deine Zukunft. Deshalb habe ich mich trotz meines Rheumas zu dir begeben. Ja, wenn ihr Kinder gehabt hättet, wenn ihr einen Sohn hättet, wäre er jetzt an erster Stelle der Erbfolge. Aber Holger ist kinderlos gestorben. Du als seine Witwe kannst nur ein Zwölftel der Summe aus dem Familienvermögen beanspruchen, die euch bisher zu zweit zustand.«

»Ich bin anspruchslos«, flüsterte Astrid. »Ich werde auch nie mehr andere Farben als Schwarz tragen und ...«

»Astrid, du verstehst mich nicht. Du musst das alte Schloss verlassen, und zwar zum nächsten Ersten. Vetter Ludwig mit seiner Frau Ethel und seinen drei Kindern wird von nun ab hier wohnen und Schlossherr sein.«

Astrid begriff. Sie fuhr zusammen, als hätte sie einen Schlag empfangen.

»Ihr wollt mich fortschicken? Ihr wollt mich aus dem Schloss jagen?«, stammelte sie mit versagender Stimme. »Warum denn? Weswegen wollt ihr mich denn so bestrafen? Ich habe mir doch nichts zuschulden kommen lassen. Mein einziges Vergehen ist doch nur, dass ich keinen Mann mehr habe!« Die letzten Worte schrie sie beinahe.

»Jetzt wirst du hysterisch«, rügte die alte Dame. »Im Übrigen lässt Vetter Ludwig dir bestellen, du könntest im zweiten Stockwerk ruhig einige Zimmer weiter bewohnen. Er bittet dich allerdings, dich ein wenig um die Kinder zu kümmern, vielleicht mit ihnen Hausaufgaben zu machen und ein wenig erzieherisch auf sie einzuwirken. Wie dir bekannt ist, arbeiten er und seine Frau Ethel ganztägig in den Garbitz-Werken, und es wäre beiden eine Beruhigung, wenn du inzwischen im Schloss nach dem Rechten sehen würdest.«

»Niemals!« Astrid sprang auf. »Ich soll tagtäglich das Glück dieser Familie mit ansehen? Das brächte ich nicht über mich, Tante Antonie.« Sie atmete schwer. »Außerdem will er mich als Kindermädchen beschäftigen! Das ist unglaublich!« Sie weinte auf. »Jetzt, wo Holger nicht mehr am Leben ist«, schluchzte sie, »glauben alle, mich demütigen zu können!«

Die kleine Frau macht mir ernstliche Sorgen, überlegte die Komtess besorgt.

»Ich schlage vor, dass du also, wenn du nicht hier wohnen bleiben willst«, fuhr die Komtess fort, »zum ersten November hier ausziehst, Astrid. Das sind noch über zwei Wochen. Natürlich kann aller persönliche Besitz von dir mitgenommen werden, aber nicht die Möbel, nicht die Teppiche, Kunstgegenstände und Gemälde. Du weißt, dass sie Familienbesitz und fest an das Schloss gebunden sind.«

Astrid schwieg. Ihre Lippen zuckten, als ob sie jeden Augenblick von Neuem in Tränen ausbrechen würde. Noch nie war sie sich so verlassen vorgekommen wie jetzt, in dieser Minute, als man ihr den sicheren Halt unter den Füßen wegzog und sie in die unbekannte Fremde schickte.

»O mein Gott«, stammelte Astrid. Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Ich bin allen Leuten nur lästig. Was soll ich denn nur anfangen? Ich fühle mich so allein und im Stich gelassen!«

Die alte Dame erhob sich.

»Du übertreibst und siehst alles ganz falsch«, wies sie Astrid zurecht. »Gegen die Familienbestimmungen kannst auch du nicht angehen. Die wurden vor drei Jahrhunderten gemacht, Astrid, und gelten noch immer. Aber Onkel Fritjof und ich wollen dir nur helfen. Das Gut deiner Eltern ist ja nach ihrem Tod verkauft worden. Du hast also kein Elternhaus mehr.«

Astrid nickte. »Ich habe keine Geschwister, keine Tanten, keine Cousinen oder Cousins von meiner Familie her«, bestätigte sie bitter. »Ich stehe wirklich ganz allein, Tante Antonie. Aber Holgers Familie tut mir sehr Böses an, wenn sie mich veranlasst, dieses Gebäude zu verlassen, in dem ich mit Holger so glücklich war.«

Die Komtess schwieg. Astrid war unlogisch. Der Schmerz um Holger musste sie so geändert haben.

»Was willst du also tun? Wie hast du dich entschieden?«, drängte Komtess Antonie zu Grabitz die Großnichte.

Astrid hob die Schultern. »Mir ist ja doch alles egal«, flüsterte sie. »Wen kümmert es, was aus mir wird? Wenn nur dem Familientestament Genüge getan wird, nicht wahr?«

»Astrid, es kann uns nicht gleichgültig sein, wie deine Zukunft aussieht! Natürlich wirst du dein Erbteil als Witwe Holgers in voller Höhe erhalten, allerdings weißt du ja, dass das Familientestament da Unterschiede macht. Eine Ehefrau, die ihrem Gatten Kinder geboren hat, wird höher bewertet als eine, die kinderlos geblieben ist.«

Jedes Wort der Komtess war wie ein Keulenhieb für Astrid.

»Behaltet euer Geld. Ich bin nicht arm«, stammelte sie. »Ich habe ungefähr fünfzigtausend auf der Bank. Nicht von Holger, sondern aus dem Erlös des Gutshauses meiner Eltern.«

»Dir steht etwa die gleiche Summe aus dem Erbe Holgers zu«, bemerkte die Komtess. »Du brauchst sie nur bei Vetter Ludwig abzurufen, wenn du sie brauchst. Wirst du zu mir in die Stadtwohnung ziehen, mein liebes Kind?«

Mitleid mit der verstörten, jungen Witwe ergriff die Komtess plötzlich. Wie sonnig und liebenswert war Astrid früher immer gewesen – als Holger noch lebte und als sie beide noch Hoffnung auf ein Kind gehabt hatten. So schnell, dachte Komtess Antonie, kann sich das Blatt wenden und ein großes, verheißungsvolles Glück sich in tiefste Verzweiflung wandeln.

»Ich glaube nicht, Tante Antonie«, erwiderte Astrid unsicher. »Es ist lieb von dir, mir ein Zuhause bieten zu wollen, aber ich mag die Stadt nicht. Ich habe immer auf dem Lande gelebt, und auch hier war ich ja in der freien Natur. Nein, das Stadtleben ist mir fremd und ungewohnt. Es lockt mich nicht.«

»Aber welche Chancen bleiben dir dann? Dein Vermögen wird schnell aufgebraucht sein, Astrid. Schau, wir meinen es doch alle gut mit dir und wollen dir helfen.«

»Holger würde entsetzt sein«, stammelte Astrid, schon wieder den Tränen nahe, »aber mir wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als mir eine Stellung zu suchen.«

Die Komtess war außer sich.

»Eine Stellung? Holgers Witwe? Das ist einfach unfassbar, Astrid. Das kannst du nicht tun. Dazu ist der Name Garbitz viel zu bekannt. Und was hast du denn schon gelernt? Du kannst reiten, du sprichst einige Fremdsprachen ...«

»Ich verstehe etwas von Gutsarbeit«, fuhr Astrid auf. »Vor meiner Heirat habe ich Mama oft geholfen. Ich kenne die Pflichten einer Gutsherrin und kann sie erfüllen, wenn man sie von mir verlangt.«

Die Komtess seufzte. »Dann musst du einen Gutsbesitzer heiraten. Das wäre die einzige Möglichkeit, Gutsherrin werden zu können.«

Astrid wurde totenbleich.

»Tante Antonie, ich werde nie heiraten! Nie wird jemand Holgers Stelle einnehmen. Vielleicht braucht man aber eine Gutsverwalterin? Ich werde mich jedenfalls erkundigen. Und jetzt will ich ein wenig ruhen. Das Gespräch hat mich sehr angestrengt. Ich will mich für eine Stunde niederlegen.«

»Ja, tu das. Nach wie vor wäre ich übrigens der Meinung, du solltest in den kalten Monaten in den Süden reisen und dort überwintern. Du musst ein wenig Abstand zu allem Leid, das dich betroffen hat, gewinnen.«

Die zarte Witwe aber gab keine Antwort Sie schritt hinaus, ohne sich umzublicken.

Antonie Komtess Garbitz sah ihr mit traurigen Augen nach. Sie selbst hatte nie geheiratet, doch sie ahnte, dass eine große Liebe, wie sie Holger und Astrid erfüllt hatte, sehr selten war und einem Menschen sicherlich nur einmal im Leben widerfuhr. Deshalb war die junge Witwe so hoffnungslos. Sie ahnte, dass ihre schönste Zeit vorüber war.

Wenn sie wenigstens ein Kind hätte, dachte die Komtess. Doch das ist ihr ja verwehrt gewesen.

***

Drei Monate waren vergangen, als Astrid an einem frostklirrenden Januartag durch den Stadtpark ging. Sie trug ihre schwarze Sealhosenjacke und lange, anthrazitfarbene Skihosen.

Sie spürte die Kälte nicht, sah auch nicht, wie glatt es auf den Parkwegen war.

Ohne dass die Familie Garbitz es wusste, hatte sie nun doch in der kleinen Kreisstadt ein Appartement gemietet. Eine Gutsverwalterin wurde nicht oft gesucht, und Astrid wollte nicht ihre Ersparnisse zu oft angreifen. Das Erbe von Holger stand ihr zwar noch zu, doch das wollte sie erst bei Vetter Ludwig anfordern, wenn ihr das Wasser bis zum Halse stand.

Drei Tage in der Woche am Nachmittag half Astrid in der Städtischen Bibliothek aus. Doch sie hatte keinen Kontakt mit dem Publikum, ordnete in den Hinterräumen die Bände und ließ sich nicht vorn im Leseraum blicken.