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Das geliehene Abendkleid - Ein Mädchen träumt vom großen Glück
Karin Haffner ist Kindermädchen bei den Radtkes und muss kurzfristig als Tischdame für Baron von Eschleben einspringen. Natürlich darf niemand erfahren, dass sie kein Mädchen aus reichen Hause ist. Welch ein Skandal und eine Blamage! Zu diesem Zweck wird sie von der Dame des Hauses eingekleidet - und Karin ist selig. Es ist schon immer ihr Wunsch gewesen, einmal ein solch kostbares Abendkleid zu tragen. Sie fühlt sich tatsächlich wie eine reiche junge Dame.
Nur ihr Tischnachbar Baron von Eschleben ist ihr nicht besonders sympathisch. Der Abend verläuft schleppend, und Karin langweilt sich entsetzlich. Bis ein charmanter junger Mann sie zum Tanz auffordert. Ihr Herz klopft wie wild. Dieser Graf Brockerhoff, wie er sich vorgestellt hat, hält Karin tatsächlich für ein reiches Fräulein ...
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Seitenzahl: 140
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Das geliehene Abendkleid
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Irina Alexandrovna/shutterstock
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7101-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Das geliehene Abendkleid
Ein Mädchen träumt vom großen Glück
Von Ina Ritter
Karin Haffner ist Kindermädchen bei den Radtkes und muss kurzfristig als Tischdame für Baron von Eschleben einspringen. Natürlich darf niemand erfahren, dass sie kein Mädchen aus reichem Hause ist. Welch ein Skandal und eine Blamage! Zu diesem Zweck wird sie von der Dame des Hauses eingekleidet – und Karin ist selig. Es ist schon immer ihr Wunsch gewesen, einmal ein solch kostbares Abendkleid zu tragen. Sie fühlt sich tatsächlich wie eine reiche junge Dame.
Nur ihr Tischnachbar Baron von Eschleben ist ihr nicht besonders sympathisch. Der Abend verläuft schleppend, und Karin langweilt sich entsetzlich. Bis ein charmanter junger Mann sie zum Tanz auffordert. Ihr Herz klopft wie wild. Dieser Graf Brockerhoff, wie er sich vorgestellt hat, hält Karin tatsächlich für ein reiches Fräulein …
„Endlich kommen Sie!“
Frau Thomsen riss die Wohnungstür auf, bevor Steffen von Brockerhoff noch den Schlüssel aus der Tasche ziehen konnte.
„Wo brennt es denn?“, fragte der junge Mann amüsiert. Er streckte seiner Wirtin die Hand entgegen, die einen Blumenstrauß hielt. „Für Sie! Weil Sie immer so nett für mich sorgen.“
„Aber Herr von Brockerhoff.“ Frau Thomsen strahlte über das ganze Gesicht. „Sie sollen doch für mich kein Geld ausgeben. Schenken Sie die Blumen lieber einem hübschen jungen Mädchen.“
„Ich schenke sie lieber Ihnen. Aber Sie wollten eine Neuigkeit loswerden.“
„Ja. Herr Weiland hat angerufen. Ihren Frack habe ich schon ausgebürstet. Sie sollten ihn heute Abend wieder anziehen.“
„Worum geht es denn diesmal?“
Steffen von Brockerhoff hängte seinen Mantel auf einen Bügel. Er verschwendete keinen Blick auf sein Bild im Spiegel, denn eitel war er nicht.
Dafür aber schaute Frau Thomsen ihn mit fast mütterlichem Stolz an. Sie hatte im Laufe der Jahre schon für manchen Untermieter zu sorgen gehabt, aber keiner war so nett gewesen wie Herr von Brockerhoff.
„Es ist wieder ein großer Empfang oder so etwas Ähnliches. Die Adresse habe ich mir aufgeschrieben. Um zwanzig Uhr geht es los.“
„Hoffentlich gibt es ordentlich was zu essen.“ Steffen schmunzelte. „Eigentlich bin ich hundemüde, aber wenn es darum geht, ein paar Mark zu verdienen, fühle ich mich sofort wieder frisch und munter.“
„Und dann kaufen Sie für mich Blumen! Ich habe noch von Mittag etwas übrig behalten. Wollen Sie nicht vorher einen Happen essen? Ein Beefsteak?“
„Und das haben Sie übrig behalten, Frau Thomsen?“ Steffen lachte sie verschmitzt an. „An mir verdienen Sie nicht viel, fürchte ich.“
„Ich komme mit meiner Rente zurecht, und junge Leute müssen ordentlich was in den Magen bekommen. Ich weiß ja, dass das Essen in der Mensa nicht gut ist. Mein Sohn jedenfalls mochte es nie besonders gern.“
„Vielen Dank für Ihr Angebot. Hat Herr Weiland gesagt, wie viel für mich abfällt?“
„Das übliche Honorar. – Werden Sie auch tanzen?“
„Kaum. Dafür werde ich nicht bezahlt. Ich stehe nur herum und passe auf, dass den Damen nicht der Schmuck gestohlen wird. Was die manchmal so an sich tragen … Man könnte ein ganzes Leben davon sorgenfrei bestreiten.“
„Sie werden später einmal reich, das weiß ich.“
„Und wie?“ Steffen von Brockerhoff schüttelte den Kopf. Er machte sich keine Illusionen über seine Zukunft.
„Sie brauchten doch bloß reich zu heiraten. Wenn Sie erst in den richtigen Kreisen verkehren, dann wird es für Sie eine Kleinigkeit sein, eine reiche Erbin zu finden.“
„Die haben auch alle gerade auf mich gewartet! Ich möchte nicht gern von meiner Frau abhängig sein. So, und jetzt ziehe ich mich um.“
Eine halbe Stunde später kam er im Frack ins Wohnzimmer.
Frau Thomsen strahlte ihn an.
„Vielleicht verliebt sich heute Abend ein reiches Mädchen in Sie. Wenn Sie vernünftig sind, Herr von Brockerhoff, dann sagen Sie nicht Nein.“
„Ich werde nicht Nein sagen, wenn ich am kalten Büfett stehe“, erklärte der junge Mann.
„Sie müssen wohl mit einem Taxi hinfahren“, meinte sie. „Ist ja eigentlich immer schade um das Geld.“
„Es bleibt mir nichts anderes übrig, außerdem geht es auf Spesen. Ich kann doch meine Brötchengeber des heutigen Abends nicht blamieren. Für die anderen bin ich ein Gast.“
„Und wer Sie so sieht, der würde auch niemals glauben, dass Sie von einem Detektivbüro geschickt sind. Richtige Detektive sehen anders aus.“
„Jedenfalls im Fernsehen.“
„Aber Sie sind ja auch kein Detektiv. Ich finde es nett von Herrn Weiland, dass er Ihnen ab und zu solch eine Aufgabe vermittelt. Letztens haben Sie doch hundert Mark bekommen.“
„Ja, da hatte ich besonderes Glück.“
Steffen lief die Treppe hinunter und atmete auf der Straße tief durch. Ein Lächeln lag noch auf seinem Gesicht, als er sich an Frau Thomsens gut gemeinte Ratschläge erinnerte. Er war zwar arm, fühlte sich aber dennoch vollkommen wohl in seiner Haut. Er stand unmittelbar vor dem Abschluss seines Studiums, und es war kein Wunder, dass er sich auf die Zukunft freute. Schon als Kind war es sein Wunsch gewesen, Arzt zu werden, und gegen alle Schwierigkeiten hatte er sich durchgesetzt.
Beschwingt ging er zum nächsten Taxistand. Das Honorar für den heutigen Abend würde ihm sehr helfen.
***
„Wo bleibt dieser junge Mann nur?“ Frau Radtke rang die Hände. „Er scheint nicht zuverlässig zu sein. Mein Gott, Karin, rufen Sie noch einmal in dem Detektivbüro an.“
„Er sollte um zwanzig Uhr hier sein, gnädige Frau, jetzt ist es neunzehn Uhr fünfundvierzig.“
Karin Haffner kannte ihre Chefin gut und wusste, dass man nicht alles wörtlich nehmen durfte, was sie in ihrer Aufregung sagte.
„Das Telefon! Hoffentlich sagt er nicht ab. Ich geh schon dran, Karin. Was machen wir nur? Ich hätte keine ruhige Minute, wenn keiner da ist, der auf den Schmuck aufpasst.“
„Er wird schon kommen“, wiederholte Karin geduldig.
„Nein! Was mache ich nur? Dann habe ich keine Dame für den Baron Eschleben. Die ganze Tischordnung wird umgestoßen. Können Sie wirklich nicht kommen, meine Liebe? Entsetzlich! Gute Besserung.“ Frau Radtke legte den Hörer auf. „Fräulein von Schützen hat abgesagt. In allerletzter Minute! Angeblich fühlt sie sich nicht wohl. Was machen wir nur? Woher bekomme ich so schnell eine andere Tischdame für den Baron? Er hat sich so auf eine charmante Dame gefreut. Ich habe ihn neugierig gemacht. Er hatte keine Ahnung, wen ich heute Abend für ihn bestimmt habe. Karin, helfen Sie mir!“
„Es wird auch so gehen. Schließlich haben wir Gäste genug, gnädige Frau.“
„Der Baron wird es mir nie verzeihen. Aber so kurzfristig … Mein Gott, mein armer Kopf!“ Theatralisch griff sich Ilse Radtke an die Stirn. „Ich bekomme noch einen Nervenzusammenbruch. Und dieser Detektivmensch ist auch nicht gekommen!“
„Er wird noch kommen. Herr Weiland hat mir fest zugesagt, einen zuverlässigen Mann zu schicken, gnädige Frau.“
„Ich muss jemanden finden! Aber wen kann ich bitten? Es ist eine Katastrophe!“
Karin Haffner zuckte ungerührt die Schultern.
„Ich ziehe mich jetzt zurück, wenn Sie gestatten. Ich schaue noch einmal nach den Kindern. Sie waren heute etwas unruhig. Die Festvorbereitungen haben sie aus dem gewohnten Gleis geworfen.“
„Sie!“ Frau Radtke wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Karin. „Sie werden Baron Eschlebens Tischdame sein. Ich stelle Sie als gute Bekannte vor. Er hat Sie hier im Hause noch nicht gesehen. Ziehen Sie sich um, Karin! Worauf warten Sie noch? Beeilen Sie sich!“
„Ich verstehe nicht, gnädige Frau.“
„Ich werde Sie als Gast vorstellen. Baron Eschleben wird nicht merken, dass Sie nicht in unsere Kreise gehören. Ziehen Sie sich ein hübsches Kleid an. Schmuck bekommen Sie von mir. Nun beeilen Sie sich schon. Sie machen mich noch verrückt mit Ihrem Herumstehen!“
„Aber ich bin doch hier Kindermädchen, gnädige Frau.“
„Heute Abend sind Sie eben Gast. Fräulein von Haffner, hören Sie? Sie sind von niederem Adel. Und verraten Sie sich nicht.“
„Das kann ich nicht tun. Wenn die Wahrheit herauskommt …“
„Sie wird nicht herauskommen. Wo bleibt dieser Detektiv nur? Wie spät ist es, Karin?“
„Elf Minuten vor acht.“
„Und er ist noch nicht da. Ich habe heute meinen ganzen Schmuck aus dem Safe holen lassen. Wenn ein Dieb davon erfährt …“
„Wie sollte er das erfahren? Und außerdem sind Sie versichert.“
„Aber nicht hoch genug. Nun ziehen Sie sich schon um! Können Sie tanzen?“
„Ja.“
„Baron Eschleben ist ein hervorragender Tänzer. Blamieren Sie mich nicht. Verstehen Sie etwas von Pferden?“
„Nein.“
„Entsetzlich! Baron Eschleben spricht nur über Pferde. Fräulein von Schützen ist eine passionierte Reiterin.“
„Es wird genügen, dass ich zuhöre, gnädige Frau. Ich weiß, dass Pferde vorn beißen und hinten schlagen. Und manchmal wiehern sie auch.“
„Entsetzlich, grauenhaft! Ich wünschte, ich wäre tot oder dieser Abend wäre wenigstens vorbei. Solche Aufregungen. Mein Herz, mein armes Herz!“
Karin wusste, dass Frau Radtke kerngesund war. Sie hatte nur zu viel Zeit und litt unter allen möglichen Krankheiten.
„Welches Kleid soll ich anziehen? Ich habe kein langes“, gestand Karin nun.
„Auch das noch! Ziehen Sie eins von mir an. Suchen Sie sich heraus, was Ihnen gefällt. Wir haben ja die gleiche Figur. Nehmen Sie das Brokatkleid.“
„Das neue Kleid?“, fragte Karin ungläubig.
„Ja. Niemand kennt es. Nun beeilen Sie sich doch. Ich werde noch einmal im Detektivbüro anrufen.“
Karin eilte die Treppe hinauf. Ein Lächeln legte sich auf ihr junges, apartes Gesicht. Es war schon immer ihr Wunsch gewesen, einmal ein solch kostbares Abendkleid zu tragen, wenn es auch nur geliehen war.
Das Kleid passte wunderbar zu ihrem dunklen Haar. Sie lächelte ihrem Bild unwillkürlich im Spiegel zu. Sie bildete sich nichts auf ihre Schönheit ein, aber das schloss nicht aus, dass sie sich daran erfreute. Mit dem Kamm fuhr sie ein paar Mal durch ihr Haar, dann war sie bereit, nach unten zu gehen.
Frau Radtke fing sie auf der Treppe ab.
„Endlich! Ja, so sehen Sie aus wie eine reiche junge Dame. Was für ein Glück, dass Sie sich auch benehmen können.“
„Ist der Herr vom Detektivbüro gekommen?“
„Selbstverständlich. Pünktlich um acht Uhr. Scheint ein ganz passabler Mensch zu sein. Er hat Manieren. Aber nun müssen Sie herunterkommen. Was für ein Glück, dass wir die gleiche Größe haben. Das Kleid steht Ihnen gut.“
„Danke, gnädige Frau.“
„Heute Abend nicht gnädige Frau. Einfach Frau Radtke, Fräulein von Haffner.“
„Wie Sie wünschen, Frau Radtke.“
Karin legte den Kopf stolz in den Nacken, als sie die Treppe hinabging. Nur wenige Gäste waren bisher gekommen, aber der Schmuck der Damen ließ die Anwesenheit eines Bewachers tatsächlich notwendig erscheinen.
Karins Herzen war Neid fremd. Sie lächelte freundlich, als Frau Radtke sie mit den Gästen bekannt machte.
„Graf … Wie war noch Ihr Name?“
„Brockerhoff, gnädige Frau.“ Der junge Mann im Frack verneigte sich lässig. „Ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen, gnädiges Fräulein.“
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“
„Da kommt der Baron. Kommen Sie.“ Frau Radtke nahm Karins Hand und zog sie mit sich. „Lieber Baron, ich habe Ihnen eine Überraschung versprochen. Ist sie mir gelungen? Fräulein von Haffner interessiert sich sehr für Pferde.“
„Was für ein Zufall!“ Baron Eschleben beugte sich tief über Karins Hand. „Die Überraschung ist Ihnen glänzend gelungen, gnädige Frau“, wandte er sich an Frau Radtke. „Die Dame des Hauses hat mir eine charmante Tischdame versprochen. Aber sie hat nicht gesagt, dass ich mit dem schönsten Mädchen der Welt zusammentreffen würde.“
Besonders sympathisch war ihr dieser Pferdenarr nicht. Er wirkte recht verlebt, fand sie, aber für das schöne Abendkleid war sie bereit, sich ihm gegenüber von ihrer besten Seite zu zeigen.
Als sie in den großen Wohnraum traten, fiel Karin auf, dass Graf Brockerhoff sie anschaute. Unwillkürlich lächelte sie ihm zu, denn er war ihr besonders sympathisch.
Aber er lächelte nicht zurück. Karin errötete ein wenig.
Karins Füße zuckten im Takt der Musik, aber Baron Eschleben machte keine Anstalten, sie zu einem Tanz aufzufordern. Er hatte sie in eine Ecke geführt und sprach pausenlos auf sie ein.
Frau Radtkes Behauptung, er könne nur über Pferde reden, traf den Nagel auf den Kopf. Karins Anteil bei der Unterhaltung beschränkte sich auf ein gelegentliches Nicken und ein freundliches Lächeln. Dabei langweilte sie sich entsetzlich.
„Gestatten Sie, dass ich mit Ihnen tanze?“, fragte Graf Brockerhoff Karin gelassen.
„Gern.“ Karin wartete die Antwort des Barons nicht ab. „Sie müssen mir gleich weiter von Ihren Pferden erzählen, lieber Baron.“
Sie strahlte den Grafen an, und Steffen konnte nicht ahnen, dass dieses Strahlen eigentlich nicht ihm galt, sondern nur Ausdruck der Erleichterung war, dem langweiligen Eschleben entronnen zu sein.
„Unterhalten Sie sich gut?“, fragte der Graf freundlich.
„Blendend!“ Karin lachte unterdrückt. „Verstehen Sie etwas von Pferden?“
„Nicht besonders viel.“
„Ich gar nichts. Aber seit zwei Stunden versucht Baron Eschleben, diese Wissenslücke bei mir zu schließen. Ich wundere mich, dass ich nicht schon anfange zu wiehern.“
Steffen musste über ihre Ausdrucksweise lachen.
„Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, nichts über Pferde zu sagen“, gelobte er.
„Ich könnte es auch nicht ertragen, noch ein Wort über diese Tiere zu hören.“
„Haben Sie schon das kalte Büfett probiert?“, fragte Steffen von Brockerhoff. „Es ist sehr zu empfehlen. Die besten Sachen sind allerdings schon weg. Ich habe mich bemüht, sie möglichst schnell verschwinden zu lassen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mit einem ordentlichen Hunger hierherkam.“
„Hunger habe ich auch. Ich bin heute noch gar nicht zum Essen gekommen. Es kam alles so schnell.“
„Dann wird es Zeit, dass Sie sich etwas besorgen, bevor alles ausverkauft ist“, riet Steffen schmunzelnd. „Kommen Sie, gnädiges Fräulein. Was darf ich Ihnen besorgen?“
„Irgendetwas. Vor allem etwas zu trinken, wenn es sich einrichten lässt. Gespräche über Pferde machen Durst.“
„Warum hören Sie sich an, was der Baron von sich gibt?“, fragte Steffen. „Sie brauchen ja nicht wieder zu ihm zurückzugehen, wenn Sie nicht wollen.“
„Ich muss“, gestand Karin.
„Wer kann Sie zwingen? Ich hole Ihnen etwas zu essen und zu trinken, und dann tanzen wir weiter. Mit Ihnen macht mir das Tanzen sogar Spaß. Bei vielen Damen ist es leider nur eine lästige Pflicht.“
„Reiter scheinen nicht zu tanzen“, stellte Karin seufzend fest.
„Seien Sie froh. Vielleicht hätte er Ihnen laufend auf die Füße getreten, – genügt das?“ Bei der Unterhaltung hatte er einen Teller für Karin gefüllt.
„Viel zu viel“, gestand ihm das Mädchen kopfschüttelnd. „Wer soll das alles essen?“
„Was Sie nicht schaffen, stopfe ich noch in mich hinein. Frau Radtke hat nicht am Büfett gespart.“
„Kennen Sie Frau Radtke schon länger?“, fragte Karin neugierig.
„Nein.“ Steffen reichte ihr ein gefülltes Sektglas. Er hatte gedacht, nichts mehr essen zu können, merkte aber, dass es ein Irrtum gewesen war. „Er lauert auf Sie.“ Steffen von Brockerhoff hatte den Baron aus den Augenwinkeln heraus beobachtet. „Wahrscheinlich findet er selten jemanden, der so geduldig zuhört wie Sie.“
„Lassen wir ihn noch warten. Ich tanze lieber.“
„Zusammen werden wir es schon schaffen.“ Steffen hatte seine helle Freude an der unbefangenen Natürlichkeit dieser jungen Dame aus reichem Hause. „Sind Ihre Eltern auch hier?“, wollte er wissen.
Er verstand nicht, weshalb Fräulein von Haffner über seine Frage lachte. Wie konnte er ahnen, dass Karin sich ihre Eltern in dieser feudalen Umgebung vorstellte.
„Nein, ich bin allein hier. Meine Eltern machen sich nichts aus solchen Festen. Sie sind schlichte, einfache Leute.“
„Die Geld haben“, ergänzte Steffen neidlos.
„So viel nun auch wiederum nicht.“ Das Gespräch machte Karin Spaß.
„Natürlich, so ein paar Millionen sind ja auch nicht der Rede wert. Reichtum fängt erst ab fünfzig Millionen Mark an, finde ich.“
„Bei bescheidenen Ansprüchen. Sie haben mehr, nehme ich an.“
„Ich habe mein Geld lange nicht mehr gezählt, ich weiß es nicht genau. Meine Einkünfte reichen zum Leben, gnädiges Fräulein.“
„Genau wie meine. Sie führen gut. Ich habe immer gedacht, ich könnte keinen Tango tanzen.“
„Sie machen mich noch ganz verlegen.“
„Ich glaube nicht, dass jemand Sie in Verlegenheit bringen kann, Graf Brockerhoff. Haben Sie eigentlich auch einen Beruf?“
„Nein.“
Karin hatte es sich gedacht. Junger Mann aus reichem Hause, der seine Zeit mit Sport und Flirten totschlug.
„Wird es Ihnen niemals langweilig?“
„Ich beschäftige mich. Ich studiere übrigens auch noch ein bisschen.“
„Allerhand“, meinte Karin ironisch. „Jura?“
„Medizin.“
Karin lachte. Sie traute ihm ernsthafte Arbeit nicht zu. Wer einen Frack mit so lässiger Sicherheit trägt, der würde sich nicht eignen, ein guter Arzt zu werden. Ein Arzt muss sich schließlich für andere Menschen interessieren, nicht nur für sich selbst.
„Und wie verbringen Sie Ihre Tage?“, wollte Steffen wissen.
„Raten Sie mal.“
Der Graf krauste übertrieben die Stirn. „Sie schlafen morgens lange.“
„Lange ist ein relativer Begriff. Zum Mittagessen bin ich immer aufgestanden.“
„Donnerwetter, so früh? Nun, dann werden Sie einkaufen gehen, Ihren Friseur aufsuchen, sich mit Freundinnen treffen, Tennis spielen.“
„So ungefähr. Ich gehe gern spazieren.“
„Und abends sind Sie mit Freunden zusammen, gehen gern ins Theater …“
„Natürlich nur, wenn es Lustspiele oder Operetten gibt.“
Diesmal schaute Steffen sie forschend an.
