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Die vertauschten Töchter
Zwanzig Jahre lebten sie in verschiedenen Welten
Von Ina Ritter
Es sind zwei Mädchen, die getrennt voneinander aufwachsen. Die eine heißt Inge, die andere Gudrun. Sie sind beide süße Dingelchen, aber die eine ist elegant und stockunmusikalisch, die andere ein kleiner Wildfang und ein wahres künstlerisches Talent. Zur Welt gekommen sind sie beide im gleichen Krankenhaus, am gleichen Tage, doch sie leben in zwei verschiedenen Welten. Während die damenhafte Inge als Tochter eines verarmten Starpianisten aufwächst, genießt Gudrun als Komtess ein Leben in Reichtum und Luxus und passt als kleiner Wildfang doch nicht so ganz hinein in die feine Gesellschaft. Das hat einen Grund: Während eines Bombenangriffes hat man die Babys im Luftschutzkeller des Spitals nebeneinandergelegt - und in heillosem Chaos vertauscht! Niemand ahnt etwas, bis das Schicksal nun zwanzig Jahre später die beiden Mädchen zusammenführt ...
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Die vertauschten Töchter
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Olena Andreychuk / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar
ISBN 9-783-7325-8377-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die vertauschten Töchter
Zwanzig Jahre lebten sie in verschiedenen Welten
Von Ina Ritter
Es sind zwei Mädchen, die getrennt voneinander aufwachsen. Die eine heißt Inge, die andere Gudrun. Sie sind beide süße Dingelchen, aber die eine ist elegant und stockunmusikalisch, die andere ein kleiner Wildfang und ein wahres künstlerisches Talent. Zur Welt gekommen sind sie beide im gleichen Krankenhaus, am gleichen Tage, doch sie leben in zwei verschiedenen Welten. Während die damenhafte Inge als Tochter eines verarmten Starpianisten aufwächst, genießt Gudrun als Komtess ein Leben in Reichtum und Luxus und passt als kleiner Wildfang doch nicht so ganz hinein in die feine Gesellschaft. Das hat einen Grund: Während eines Bombenangriffes hat man die zwei Babys im Luftschutzkeller des Spitals nebeneinandergelegt – und in heillosem Chaos vertauscht! Niemand ahnt etwas, bis das Schicksal nun zwanzig Jahre später die beiden Mädchen zusammenführt …
„Unsere Komtess hat den Teufel im Leib. Schau nur, wie die wieder heranbraust.“ Der alte Karl schüttelte den Kopf. „Die bricht sich noch einmal das Genick.“
„Quatsch!“, gab sein Gehilfe Heinrich unwirsch zurück. „Du hast selbst nie auf einem Gaul gesessen. Komtess Gudrun ist eins mit ihrem ‚Feuerzauber‘. Die reitet wie eine … wie eine Amigone.“
„Amazone“, verbesserte der Stallknecht. „Red lieber, wie dir der Schnabel gewachsen ist, du Döskopp.“
Bevor die beiden Männer der Komtess zu Hilfe eilen konnten, war sie schon leichtfüßig auf den Boden gesprungen. Ihr dunkelblondes Haargelock war vom Wind zerzaust, die Wangen glühten von der wilden Jagd, und ihre Augen funkelten unternehmungslustig.
Die grazile Komtess Godrinen war ein echtes Naturkind, eine charmante kleine Wildkatze. Vater Martin war ungeheuer stolz auf seine Einzige, Gräfin Elma dagegen, hätte sich ihr Herzblatt eigentlich etwas damenhafter und gesitteter gewünscht.
„Sie hätten wenigstens einen Sattel nehmen sollen, Komtess“, mahnte der alte Knecht gutmütig, während er dem Pferd eine Decke überwarf.
„Wozu?“, fragte Gudrun lachend. „Wir beide lieben nun mal keinen unnötigen Ballast, nicht, mein Guter?“ Sie tätschelte dem Tier zärtlich den Hals und bot ihm ein paar Zuckerstücke auf der Hand.
Heinrich betrachtete die Füße der jungen Dame. Sie waren heute mal wieder sagenhaft schmutzig. Die Nietenhosen schienen auch schon bessere Zeiten gesehen zu haben, und die hochgekrempelte Hemdbluse zierten zwei aparte Risse.
„Starr nicht so blöd, Heinrich“, meinte sie burschikos. „Ich wasch mir heute auch noch brav die Füße, reib lieber ‚Feuerzauber‘ ab und überlege, wie ich ungesehen ins Haus komme.“
Heinrichs wässrig blaue Augen strahlten. Er zog die sommersprossige Nase kraus und wackelte mehrmals mit den etwas abstehenden Ohren – ein Zeichen angestrengten Nachdenkens.
„Ich hab’s!“, schrie er plötzlich begeistert. „Die Leiter, Komtess. Wenn man die so an die Fenster stellen tät. Ich meine, wo die doch offen sind. Ich laufe schon.“
„Du bist ein Pfundskerl, Heinrich“, lobte die Komtess und versetzte ihm einen derben Klaps auf den Rücken. „Wenn ich dich nicht hätte!“
Der Stallbursche wurde rot bis über beide Ohren. Er betete die Komtess Godrinen förmlich an.
„Das wilde Fohlen von Sonnenhagen“, wie Gudrun überall genannt wurde, hatte die Herzen der Gutsangestellten im Sturm erobert.
„Für Sie tu ich doch alles, Komtess“, stotterte Heinrich verlegen.
„Nun langt’s aber!“, schimpfte Karl Schmidtke. „Vergiss nicht, wen du vor dir hast, du Trottel. Hau ab und hol die Leiter, aber dalli!“
***
Mit katzenhafter Behändigkeit schwang sich Gudrun aufs Fensterbrett und stieß dann einen spitzen Schrei aus.
Wie eine Rachegöttin stand Gräfin Elma vor ihrem Wildfang. Die hochgewachsene, schlanke Gestalt im silberdurchwirkten Cocktailkleid sah atemberaubend vornehm aus. Indigniert zog Gräfin Elma die feingeschwungenen Brauen in die Höhe.
„Wo kommst du her, Kind?“, fragte sie in vorwurfsvollem Tonfall.
Gudrun machte eine Kopfbewegung zum Fenster hin. „Von draußen, Mama.“
„Allerdings, das konnte ich ja eben feststellen. Auf Sonnenhagen hat man anscheinend die Türen vergessen. Ich habe mit Papa in der Halle auf dich gewartet und …“
„… und eben deshalb zog ich die Leiter vor. Ich wollte euch meinen unmöglichen Anblick ersparen und mir erst die Füße waschen.“
„Und sonst?“
„Was sonst? Ach so, Schuhe hätte ich natürlich dir zu Ehren auch angezogen, aber ich finde, geliebte Goldmama, mehr Aufwand bedarf es wohl nicht, um eine Tasse Tee zu trinken.“ Gudrun sprang auf den Boden und drückte ihrer Mutter dann schnell einen Kuss auf die Wange.
Gräfin Elma seufzte. „Wann wirst du endlich eine Dame, Kind?“
„Muss das unbedingt sein, Mama? Ich weiß gar nicht, wie man so etwas anstellt. Ich bin gesund und freue mich meines Lebens. Ist das nicht genug?“
„Nicht für Menschen unseres Standes“, erwiderte die Gräfin leise. „Du weißt nicht mehr, wie wir früher gelebt haben auf Godrinen, unserem alten Stammgut. Von der Schlossterrasse aus sah man auf den schimmernden See, ringsum lagen dunkle Wälder …“ Mit verträumten Augen blickte sie zum Fenster hinaus.
„Mami, man soll nicht Verlorenem nachtrauern“, versuchte Gudrun zu trösten. „Schau, hier ist es doch auch herrlich. Ich liebe Sonnenhagen sehr, und nun werde ich dir eine Freude machen und die feine Damen spielen, ja? Hoffentlich geht das nicht ins Auge. Übrigens, was wolltest du eigentlich von mir?“
„Dich herunterholen. Wir haben Besuch.“
„Auch das noch“, stöhnte Gudrun. „Wer ist es denn?“
„Graf Steppat.“
„Ach, der.“ Gudrun warf unwillkürlich einen Blick in den Spiegel und schnitt eine ulkige Grimasse. „Wenn der superfeine Herr mich so gesehen hätte, dann ‚gute Nacht‘!“
„Du bist einfach unmöglich, Kind!“, tadelte die Gräfin. „Ich möchte bloß wissen, wo du das her hast.”
„Wer weiß, vielleicht haben mich Zigeuner im Wald verloren. Oder ich wurde in der Klinik verwechselt oder …“
„Hör auf!“, rief Gräfin Elma entsetzt. „Ich glaube schon bald selbst an diesen Blödsinn.“ Sie mussten beide lachen. „Und nun zieh dich schnell um. Ich würde das blaue Kleid vorschlagen. Wir erwarten dich in der Halle.“
„Zu Befehl, Frau General. Ich werde fliegen.“ Sie stob in Richtung Badetür davon. „Was will dieser Steppat eigentlich von uns?“, rief sie noch über die Schulter zurück.
„Dich.“
Gudrun blieb wie angewurzelt stehen. Sie starrte fassungslos auf ihre Mutter.
„Wie bitte?“
„Er kommt deinetwegen, Kind. Ich dachte, so etwas würde ein junges Mädchen merken.“
„Meinetwegen?“, fragte die Komtess ungläubig.
Aber dann hatte sie sich schnell wieder gefasst. Energisch schüttelte sie den Kopf, dass die blonden Locken nur so flogen.
„Das ist ja Quatsch, Mutschilein. Haha, dass ich nicht lache. So was wie mich guckt der doch gar nicht an. Kann mir auch gestohlen bleiben! Der hat bestimmt irgendwas mit Vater zu besprechen.“
„Was für ein Kind bist du noch.“
Gräfin Elma verließ den Raum. Um ihren Mund lag ein belustigtes Lächeln. Dorbrandt von Steppat war ihr als Schwiegersohn herzlich willkommen. Er sah blendend aus, wirkte sympathisch, zuverlässig und sein Besitz grenzte an Sonnenhagen. Zusammen würden die beiden Güter ganz beachtlich sein. Natürlich noch lange nicht so groß wie Godrinen. Aber man musste ja froh sein, überhaupt wieder eigenen Boden unter den Füßen zu haben. Sie konnten von Glück sagen, dass Martins Vetter ihnen Sonnenhagen hinterlassen hatte.
***
„Bezaubernd“, murmelte Graf Dorbrandt hingerissen, als Gudrun ihm mit einem freundlichen Lächeln die Hand bot.
„Nehmen Sie doch Platz, lieber Steppat“, erklärte Vater Martin gewollt forsch.
„Danke.“ Dorbrandt verbeugte sich leicht und wartete, bis die Damen Platz genommen hatten.
Eine eigenartige gespannte Atmosphäre lag über der kleinen Gruppe. Es wollte einfach kein rechtes Gespräch aufkommen. Auch der herrliche Burgunder, den die charmant lächelnde Hausfrau kredenzen ließ, vermochte die Zungen nicht zu lösen.
Gudrun verwünschte ihre blödsinnige Befangenheit. Das war auch ein zu komisches Gefühl! Jedes Mal, wenn sie den jungen Grafen verstohlen musterte, begegnete sie seinem fragenden Blick, wurde dummerweise rot und schlug die Augen nieder. Nervös hielt sie die Hände im Schoß verkrampft. Dumme Pute, schalt sie sich selbst, aber das nützte auch nichts.
„Würden Sie uns die Freude machen und etwas für uns spielen, gnädiges Fräulein?“, fragte Dorbrandt mit belegter Stimme.
„Gern“, stimmte Gudrun begeistert zu und sprang eine Spur zu eifrig auf. Endlich konnte sie diesen zwingenden Augen entfliehen.
„Gudrun!“ Entsetzt schaute Gräfin Godrinen auf die Füße ihrer Tochter. Es waren zierliche, seidenbestrumpfte Füße, bloß – die Schuhe fehlten. Vergessen standen die kleinen hochhackigen Goldsandalen vor dem Sessel.
Hilflos blickte sich Gudrun um. Am liebsten wäre sie in den Boden versunken. So eine Blamage! Dorbrandt hielt sie sicher für eine Halbwilde.
„Entschuldigen Sie bitte!“, murmelte die Komtess und schlüpfte hastig in die ungewohnten Marterwerkzeuge.
Da konnte Dorbrandt nicht anders, er musste lachen, laut und herzhaft. Diese kleine Komtess war einfach wundervoll.
„Es gibt nichts zu entschuldigen, gnädiges Fräulein“, versicherte er herzlich. „Dieses kleine Versehen macht Sie mir nur noch sympathischer, wenn ich das sagen darf. Ich finde Sie bezaubernd, Komtess.“
Gräfin Elma wechselte einen vielsagenden Blick mit ihrem Mann.
Steppat schien ja ganz schön Feuer gefangen zu haben! Anscheinend mochte er ihren Wildfang gerade so, wie Gudrun nun mal war. Sie schenkte dem Gast ihr bezauberndstes Lächeln.
Und dann erklangen die Töne von Beethovens Mondschein-Sonate. Gudrun gab sich ganz dem Spiel hin. Sie hatte die Augen geschlossen. Die Umwelt existierte nicht mehr für sie.
Am Flügel saß eine völlig veränderte Gudrun, das war nicht mehr das wilde Fohlen von Sonnenhagen, das war eine begnadete Künstlerin. Sie offenbarte wahre Seelengröße und tiefes Einfühlungsvermögen.
Langsam ließ Gudrun die Hände sinken. Sie fühlte sich plötzlich leer und ausgebrannt. Was hatte sie eigentlich gespielt?
Dorbrandt erhob sich und ging auf Zehenspitzen zu ihr hin, so als fürchte er, laute Schritte könnten den Zauber zerstören, der sie alle umfangen hielt.
„Komtess“, flüsterte er. „Ich … ich danke Ihnen.“
Es klang wie eine Liebeserklärung. Ergriffen beugte sich Graf Steppat über ihre rissige, kleine Hand und hauchte einen Kuss darauf. Gudrun empfand ein unbeschreibliches Glücksgefühl in diesem Moment. Sie schämte sich nicht, weil ihre Hände keineswegs wohlmanikürt, sondern ziemlich verarbeitet waren.
„Hat es Ihnen gefallen?“, fragte sie bang und ohne jede Koketterie.
Graf Steppat fand lange keine Antwort. Behutsam streichelte er ihre schlanken Finger, die wieder auf den Tasten lagen. Diese zärtliche Geste und seine Augen sagten mehr als tausend Worte.
„Wo das Mädchen das nur her hat?“, fragte Vater Martin mit polternder Stimme.
Gräfin Elma krauste wegen dieser Ungeschicklichkeit erbost die Stirn. Aber der alte Herr übersah diese Missfallensbezeugung geflissentlich. Er konnte dieses andächtige Schweigen einfach nicht mehr ertragen. Die beiden dort am Flügel schienen ja die Welt um sich vergessen zu haben.
„Kommen Sie, lieber Steppat“, sagte er jovial, „lassen Sie uns einen anständigen Kognak trinken. Mir scheint, Sie haben einen nötig.“
„Aber Martin!“, tadelte die Dame des Hauses und schüttelte indigniert den Kopf.
Dorbrandt hatte sich wieder gefasst.
„Bitte, Gräfin, echauffieren Sie sich nicht“, meinte er mit einem verschmitzten Lächeln. „Ich kann Ihrem Herrn Gemahl nur zustimmen und dankend annehmen. Ein guter Tropfen verschönt das Glück.“
Bei diesen Worten hatte er sich zu Gudrun umgewandt, die langsam näher kam. In ihren Augen lag ein Leuchten.
„Würden Sie noch einmal für mich spielen, Komtess? Später einmal, vielleicht … morgen?“, bat Graf Steppat.
„Weshalb nicht heute Abend?“, schlug Vater Martin gut gelaunt vor.
Gräfin Elma fühlte sich einer Ohnmacht nahe. So deutlich brauchte Vater ja nun auch nicht zu werden. Er bot ihre Gudrun ja geradezu feil.
Dorbrandt griff diesen Vorschlag begeistert auf.
„Darf ich wirklich heute Abend noch einmal vorbeikommen?“, fragte er erwartungsvoll an Gudrun gewandt.
„Ja … bitte … gern“, stammelte sie verlegen.
„Sprich doch lauter, unser lieber Steppat hört dich ja gar nicht!“, polterte Graf Martin. „Er glaubt sonst noch, du spielst nicht gern für ihn. Also, dann bis heute Abend, Herr Nachbar. Und werfen Sie sich bitte nicht extra in Schale. Kommen Sie ganz leger.“
„Ich danke Ihnen, ich … danke Ihnen sehr.“
***
„Ein netter Mensch“, äußerte Godrinen, als der Besucher sich verabschiedet hatte.
„Einziger Sohn und Erbe“, fuhr er dann augenzwinkernd fort. „Tja, unsere beiden Güter zusammen … was meinst du? Eure Kinder werden sich einmal wohlfühlen.“
„Martin, jetzt reicht’s mir aber!“ Frau Elma eilte auf ihren Mann zu, packte ihn am Ärmel und zog ihn zur Tür.
„Was ist denn?“, erkundigte er sich verdutzt. „Habe ich etwas gesagt, was dir missfällt? Es stimmt doch, zusammen würden die Güter …“
„Und damit basta, Martin!“ Gräfin Elma konnte sehr energisch werden. „Du solltest jetzt meines Erachtens besser einmal nach den Pferden sehen, ja?“
Kopfschüttelnd kam der Hausherr diesem Wunsch nach. Was blieb ihm auch anderes übrig? Aber eines stand für ihn fest: Die beiden Güter zusammen würden ein äußerst rentabler Betrieb, und Frauen würde er wohl nie im Leben verstehen lernen.
„Du weißt, was du ihm antworten wirst, wenn er dich einmal fragt, ob …?“, forschte die Gräfin, als sie neben Gudrun am Flügel stand.
„Glaubst du denn, dass er mich ein bisschen liebhat?“, kam es leise zurück.
„Ja. Allerdings … als Gräfin Steppat müsstest du dich nur daran gewöhnen, im Sattel zu reiten und Stiefel anzuziehen. Aber das ließe sich ja wohl machen, denke ich, oder?“
„Du bist die beste Mutti der Welt. Ich liebe dich … ich liebe ihn … ich … ich werde Stiefel anziehen.“ Sie flog der Mutter impulsiv um den Hals.
„Um Gottes willen, Kind, doch nicht jetzt zum Abendkleid!“
***
Auf dem Wege zurück, auch Dorbrandt ritt gern ein edles Pferd, hätte der junge Graf am liebsten laut gesungen, so glücklich fühlte er sich.
Das Mädchen, das sein Herz begehrte, erwiderte seine Gefühle. War das nicht ein Grund, über alle Maßen selig zu sein! Dorbrandt ließ seinem Pferd die Zügel locker.
Sein Vater schien ihn schon erwartet zu haben. Breitbeinig stand er auf der obersten Stufe der schönen Treppe.
Dorbrandt winkte zurück. Es war ungewöhnlich, dass der alte Steppat hier stand, und Dorbrandt fragte sich unwillkürlich, was ihn wohl bewogen haben mochte, seine Arbeit früher als gewöhnlich im Stich zu lassen.
„Na, wie hat es dir bei unseren Nachbarn gefallen?“, erkundigte sich Graf Lothar jovial, konnte aber die Spannung nicht verbergen, mit der er auf Dorbrandts Antwort wartete.
„Sehr gut!“ Der junge Mann strahlte.
Sein Vater nickte befriedigt.
„Und die kleine Gudrun, wie gefällt sie dir?“ Er zwinkerte seinem Sohne listig zu. „Sie bringt einiges mit, wenn sie einmal heiratet“, fuhr er fort, ohne Dorbrandt Zeit für eine Antwort zu geben.
„Sie hat sich selbst, und das dürfte wohl für jeden Mann schon genug sein“. versicherte der junge Graf grollend.
Die Anspielung auf Gudruns Mitgift gefiel ihm nicht sehr.
„Man nicht gleich so heftig, Junge.“ Graf Lothar legte den Arm um Dorbrandts Schultern und schob ihn ins Haus. „Man wird ja wohl einmal sagen dürfen, was man denkt.“
„Entschuldige meine Heftigkeit“, bat Dorbrandt zerknirscht. „Aber ich mag es nicht, wenn irgendjemand an Gudrun Kritik übt.“
„Hm.“ Der alte Herr rieb sich das Kinn. „Sie reitet wohl noch immer ohne Sattel über die Felder, habe ich gehört. Dabei ist sie kein Backfisch mehr. Eigentlich sollte sie eine junge Dame sein, findest du nicht auch?“
„Mir ist sie recht, wie sie ist“, gab sein Sohn fast schroff zurück.
„Natürlich, natürlich, ich wollte ja auch nichts gegen sie gesagt haben, nur … unter uns Männern wollen wir ganz offen reden: Du willst sie heiraten, nicht wahr?“
„Ja. Wenn sie mich will.“
Graf Lothar lachte dröhnend auf, mit der Antwort seines Sohnes voll zufrieden.
„Das Mädchen, das dich nicht will, ist noch nicht geboren worden“, meinte er mit dröhnendem Lachen. Er war stolz auf seinen Sohn und verbarg es nicht.
„Ich glaube auch, dass sie mich will.“
In Dorbrandts Augen lag verträumter Glanz, der gar nicht ganz zu seinem kühnen, energischen Gesicht passen wollte. Ein Träumer war der junge Graf von Steppat bestimmt nicht.
„Dann wird es also bald eine große Verlobung geben. Hoffentlich …“ Graf Lothar brach ab und krauste die Stirn.
„Was wolltest du sagen?“, erkundigte sich der junge Mann arglos.
„Ich hoffe, dass die Komtess einmal lernt, wie man sich als Gräfin von Steppat benimmt. Immerhin tragen wir einen Namen, der uns verpflichtet, Junge. Als deine Frau muss sie sich wohl oder übel daran gewöhnen, Schuhe zu tragen. Man läuft doch nicht barfuß herum.“
„Du magst sie nicht“, beschuldigte Dorbrandt seinen Vater mit flammenden Augen. „Sie ist temperamentvoll, das verstehst du nicht. Du wirst sie lieben lernen, wenn du sie erst näher kennst. Alle auf Sonnenhagen haben sie lieb.“
„Selbstverständlich.“ Der alte Herr war allerdings keineswegs überzeugt, das wilde Fohlen von Sonnenhagen liebzugewinnen. Immerhin, ein Mädchen, das solch einen Besitz mitbrachte, war ihm jederzeit willkommen.
Und ein paar Umgangsformen würde seine Ria ihr schon beibringen. Sie war recht kühl und hielt sehr auf Abstand. Bestimmt würde diese Gudrun einiges von ihr annehmen.
***
„Brächte sie nicht Sonnenhagen mit, ich würde Dorbrandt diese verrückte Heirat ausreden“, vertraute die Gräfin wenig später ihrem Gatten an.
Vater Lothar lachte nur. „Sie bringt aber Sonnenhagen mit, und du weißt, was das heißt.“