Lore-Roman 64 - Helga Winter - E-Book

Lore-Roman 64 E-Book

Helga Winter

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Verwalterstochter Hella
Ein fesselnder Gutsroman
Von Helga Winter

Wenn ein Gut verkauft wird, ist es meist üblich, dass der neue Besitzer die Angestellten übernimmt. Manfred Baron von Garbrecht hält dies nicht für nötig, er entlässt den alten, zuverlässigen Verwalter Scherpenbach fristlos. Er kennt den Mann gar nicht, den er nach einer über 20-jährigen Dienstzeit auf Gut Hallsund wie einen Hund davonjagt. Scherpenbach geht und mit ihm verlässt seine Tochter Hella die liebe und teure Heimat. Sie kann das Vorgehen des Mannes nicht begreifen, und als sie ihn Wochen später zum ersten Mal trifft, macht sie keinen Hehl aus ihrem Urteil. "Ich verachte Sie", schleudert sie ihm ins Gesicht.
Der junge Baron muss bald erkennen, dass er tatsächlich vorschnell gehandelt hat. Aber die Scherpenbachs haben inzwischen einen neuen Posten auf einem benachbarten Gut gefunden. Sie brauchen ihn nicht mehr - aber Manfred braucht sie ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 148

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Verwalterstochter Hella

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Irina Alexandrovna / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-8689-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Verwalterstochter Hella

Ein fesselnder Gutsroman

Von Helga Winter

Wenn ein Gut verkauft wird, ist es meist üblich, dass der neue Besitzer die Angestellten übernimmt. Manfred Baron von Garbrecht hält dies nicht für nötig, er entlässt den alten, zuverlässigen Verwalter Scherpenbach fristlos. Er kennt den Mann gar nicht, den er nach einer über 20-jährigen Dienstzeit auf Gut Hallsund wie einen Hund davonjagt. Scherpenbach geht und mit ihm verlässt seine Tochter Hella die liebe und teure Heimat. Sie kann das Vorgehen des Mannes nicht begreifen, und als sie ihn Wochen später zum ersten Mal trifft, macht sie keinen Hehl aus ihrem Urteil. „Ich verachte Sie“, schleudert sie ihm ins Gesicht.

Der Baron muss bald erkennen, dass er tatsächlich vorschnell gehandelt hat. Aber die Scherpenbachs haben inzwischen einen neuen Posten auf einem benachbarten Gut gefunden. Sie brauchen ihn nicht mehr – aber Manfred braucht sie …

Hella sprang aus dem Sattel, bevor ihr Sturmwind stand, warf die Zügel mit strahlendem Gesicht einem Knecht zu und lief ins Haus.

„Es war herrlich draußen“, überfiel sie ihren Vater, den Verwalter Herwald Scherpenbach. „Wenn das Wetter anhält, können wir in einer Woche …“

Ihr Vater hob Einhalt gebietend die Hand.

„Da, lies“, brummte er und reichte ihr einen Bogen, den seine Tochter nur zögernd entgegennahm.

„Etwas Unangenehmes?“, fragte sie beklommen.

„Lies den Wisch, dann weißt du Bescheid.“

Der Mann, ein Witwer in den besten Jahren, stand schwerfällig auf. Er trug eine vom Wind und Wetter fahl gewordene Hose und dazu eine alte Jacke. Seine Kluft hinderte allerdings nicht, dass er hervorragend aussah.

Nach wenigen Sekunden ließ das Mädchen den Brief sinken.

„Hallsund ist verkauft …“, murmelte sie. „Das ist doch gar nicht möglich …“

„Lies weiter“, fuhr der Mann sie an. „Das Beste kommt noch.“

„… und muss Sie deshalb entlassen“, las Hella Scherpenbach tonlos vor. „Er entlässt dich, Vater … Aber weshalb nur? Er braucht doch einen Verwalter, wie kann er dich einfach nach zwanzig Jahren Dienst hier hinauswerfen?“

Der Mann ließ sein Feuerzeug aufflammen und sog an der Pfeife.

„Setz dich, Kind.“

Seine Tochter schüttelte nur den Kopf, ohne zu gehorchen.

„Er kündigt dir fristlos, das heißt doch …“

„Jawohl, das heißt, dass wir innerhalb der nächsten vierzehn Tage hier fortmüssen. Man braucht uns nicht mehr, der neue Herr scheint sehr viel mehr von der Bewirtschaftung eines Gutes zu verstehen als ich. Ja, so ist das nun einmal in der Welt. Mach dir keine Sorgen, Hella, wir werden schon irgendwo unterkommen, und für ein Vierteljahr reichen auch noch unsere Ersparnisse.“

Seine Tochter konnte ihn nur stumm anschauen. Sie hing an Gut Hallsund, als gehöre es ihr, denn so lange sie denken konnte, war sie hier gewesen.

Der ehemalige Besitzer, ein Fabrikant, der irgendwo im Ruhrgebiet wohnte, hatte sich niemals um die inneren Angelegenheiten des Betriebes gekümmert und war stets nur im Herbst gekommen, um mit Gästen im Forst zu jagen.

„Wir werden auf einiges verzichten müssen, anfangs jedenfalls, Hella. Aber mach dir keine Sorgen, ich finde bestimmt bald wieder etwas Passendes …“

„Aber wie kommt der Mann nur dazu, dich in dieser Form hinauszuwerfen? Du hast dir doch nichts zuschulden kommen lassen, und er behandelt dich, als hättest du Unterschlagungen begangen!“

Der Vater legte ihr besänftigend seine Rechte auf die Schulter und drückte sie bestimmt auf einen Stuhl nieder.

„Reiß dich zusammen, Hella, schimpfen ändert nichts. Ich verstehe diesen Baron von Garbrecht allerdings auch nicht, das muss ich schon sagen, aber er ist schließlich der Herr, und wir … gehören zum Personal.“

„Ich verstehe nicht, dass du diesen Hinauswurf so einfach hinnimmst!“

Die Augen des Mädchens blitzten, und Vater Herwald dachte, dass sie im Zorn besonders reizend aussah. Und wenn sie sich, wie in diesem Moment, mit der Linken die widerspenstige Welle ihres blonden Haares aus der Stirn schob, dann war es ihm unmöglich, ihr böse zu sein.

„Und auf Sturmwind muss ich dann verzichten …“, stieß Hella hervor, und ihre Augen wurden verdächtig blank. „So ein Schuft!“

„Ich werde einmal mit dem Bürgermeister sprechen“, überging Verwalter Scherpenbach ihren Ausfall gegen den unbekannten Herrn des Gutes. „Am besten ist es, ich rufe gleich an.“

„Ich würde diesem Kerl am liebsten Rattengift in den Kaffee tun“, knirschte Hella.

Sie schluckte, lief dann hinaus, bevor der Vater die Tränen sehen konnte, die ihr trotz aller Selbstbeherrschung in die Augen gestiegen waren.

Sie lief auf den Hof, und Max, der Schäferhund, sprang freudig kläffend an ihr empor. Hella nahm ihn nie mit, wenn sie mit Sturmwind über die Felder ritt, denn der Hengst war nervös, und das tollpatschige junge Tier konnte ihn leicht zum Scheuen bringen.

Er stieß mit seiner feuchten Schnauze fordernd an ihre Hand, aber Hella bemerkte ihn heute nicht einmal, als sie auf die Ställe zulief, die hinter Bäumen verborgen standen.

Das ganze Gut machte einen verwahrlosten und heruntergekommenen Eindruck, und ein Teil des Stalldaches war schadhaft. Es spielte allerdings keine große Rolle, wenn es hindurchregnete, denn die paar Pferde, die man sich auf Hallsund halten konnte, hatten trockenen Platz genug.

„Fräulein Hella“, murmelte der alte Knecht erstaunt, als die Tochter des Verwalters hereinstürzte und ihre Arme um Sturmwinds Hals schlang. Er schüttelte seinen ergrauten Kopf.

Wenn er auch nur ein einfacher Mann war, besaß er doch mehr Taktgefühl als viele, die sich einer tadellosen Erziehung rühmten. Er schob seine Schirmmütze aus der Stirn und schaute zum hellblauen Himmel empor. Er war alt und hatte Zeit, weil er wusste, dass nichts im Leben so eilig ist, wie junge Menschen immer glauben.

Aber Hella trat erst mehr als eine Stunde später wieder ins Freie, und der Knecht staunte über ihr verwandeltes Gesicht. Es war hart geworden, sehr hart und abweisend, und seine teilnehmende Frage blieb ihm in der Kehle stecken, bevor er sie über die Lippen brachte.

„Versorgen Sie Sturmwind gut, wenn ich … nicht mehr hier bin“, bat sie, und nur das leichte Beben ihrer Stimme verriet, dass sie nicht ganz so ruhig war, wie sie sich gab.

Der Knecht nahm seine Mütze ab und kratzte sich sein graues Haar.

„Wieso, wollen Sie verreisen?“, fragte er bedächtig.

Hellas Augen verengten sich, und ihre Mundwinkel senkten sich tief hinab.

„Wir müssen hier fort, Georg, Vater und ich. Hallsund ist verkauft worden, und der neue Herr braucht uns nicht. Er hat uns einen Fußtritt gegeben … Wir hätten keinen Hund so behandelt, wie er mit Vater umspringt!“

„Was sagen Sie da? Unser Herr Verwalter ist entlassen? Das glaube ich nicht!“

„Sie werden ja bleiben, Georg, pflegen Sie die Tiere gut, die können nichts dafür, dass der neue Herr …“ Sie verkrampfte die Hände. „Sie glauben gar nicht, wie ich ihn hasse.“

Mit ein paar schnellen Schritten ging sie an dem verstörten Mann vorbei; sie wusste, dass sie zu viel gesagt hatte, denn es gehörte sich nicht, schlecht über einen unbekannten Mann zu sprechen, auch wenn er ihr Anlass genug dazu gegeben hatte.

Solche Leute wie diesen Baron übersieht man, sie sind Luft für jemanden mit Takt und Ehrgefühl. Das sagte ihr die Erziehung, aber ihr Temperament verlangte, ihm ihre Empörung ins Gesicht zu schreien, ihm klarzumachen, was für ein schäbiges, minderwertiges Subjekt er war.

Und ich werde schon eine Gelegenheit finden, dachte sie, als sie dem Stall den Rücken drehte. Jetzt erst nahm sie Max wahr, der an ihrer Seite dahintrottete und den Kopf tief auf den Boden gesenkt hatte. Sogar seine Ohren hingen traurig herab.

Er warf einen treuherzig fragenden Blick zu ihr empor, und seine Haltung entlockte Hella unwillkürlich ein schwaches Lächeln.

Max sprang an ihr empor, kläffte wie toll und wälzte sich dann übermütig auf dem Rücken.

„Bist ’n feiner Kerl, Max.“ Sie kraulte seine Kehle, und die Pfoten des Hundes glitten über ihre Arme.

„Komm, wir wollen noch ein wenig gehen, ich … ich kann jetzt nicht bei Vater bleiben.“ Sie riss sich zusammen und schritt schnell davon, aber sie sah nichts von der schönen Landschaft, sie sah nur das weiße Viereck eines Briefes, der ihr so jäh die Heimat genommen hatte.

Niemals war ihr in der Vergangenheit der Gedanke gekommen, Hallsund verlassen zu müssen. Das Gut und ihr Vater gehörten doch untrennbar zusammen. Und ihr erspartes Geld reichte ein Vierteljahr! Ein roter Schleier zog vor ihre Augen, als sie an den Mann dachte, dem sie ihr jetziges Elend verdankte. Aber ändern konnte sie nichts. Schon längst liefen ihr Tränen über die Wangen, ohne dass sie es wusste. Sie rannte wie blind einen schmalen Waldweg entlang, und es war geradezu ein Wunder, dass sie nicht gegen einen Baumstamm lief. Max kläffte freudig, jagte den Spuren irgendwelcher Tiere nach, kam aber immer wieder zu ihr zurück. Aber Frauchen hatte heute kaum einen Blick für ihn.

***

Hella schreckte zusammen und wurde bleich, dann aber erkannte sie die Frau und lächelte zaghaft.

„Seit wann bist du unter die Heulsusen gegangen, Hella?“, fuhr die hochgewachsene Frau im Reitanzug sie an. „Ich dachte immer, du wärst eine vernünftige Deern. Hast du Liebeskummer? Hau dem Kerl lieber ein paar hinter die Löffel, das ist besser als heulen!“

Sie selbst sah aus, als wäre sie durchaus imstande, ihr Rezept anzuwenden. Man achtete die Gräfin Friederike von Sollnof und fürchtete sie gleichzeitig. Die Frau nahm kein Blatt vor den Mund. Aber sie hatte freundliche Augen, und wer die sah, vergaß die etwas verbitterten Züge ihres gebräunten Gesichtes.

„Hier, nimm mein Taschentuch und wisch dir die Augen trocken.“

„Danke.“ Hella schnüffelte, während um Gräfin Sollnofs Mund ein belustigtes Lächeln zuckte.

„Na, siehst du, jetzt ist schon wieder alles vorbei. Komm mit, in einer halben Stunde gibt es bei mir Kaffee, kannst mir Gesellschaft leisten.“

Max, der sich übergangen fühlte, kläffte fordernd zu der Frau empor. Die Gräfin schmunzelte.

„Ist schon gut, Max, ich weiß ja, dass du ein feiner Kerl bist.“

Ihre Stimme war weich geworden, als sie mit dem Tier sprach, und Hella staunte sie mit großen Augen an.

In der ganzen Umgebung nannte man die Dame nur „die Gräfin“, obwohl verschiedene Grafengeschlechter hier ansässig waren. Verwechslungen gab es nicht, denn nur Friederike von Sollnof war „die Gräfin“. Sie hatte sich diesen Titel verdient, denn die Bauern ließen sich nicht durch äußeren Schein blenden, sondern verlangten Tüchtigkeit und Umsicht von Menschen, die sie achteten.

Die Gräfin bewirtschaftete ihr Gut allein, nachdem sie jahrelang mit Verwaltern Ärger gehabt hatte. Sie vertrug es nicht, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die weniger von der Landwirtschaft verstanden als sie und alle Augenblicke kamen, um sich bei ihr Rat zu holen.

„Es tut mir leid …“, wollte Hella sich entschuldigen, aber die Gräfin schlug ihr derb auf die Schultern.

„Lass man, Mädchen, jeder hat mal solch einen Moment, wo er heulen möchte. Und solange er es nicht vor anderen tut, mag es noch gehen. Aber nun zeig mir wieder ein freundliches Gesicht, du siehst dann nämlich viel hübscher aus.“

Hella versuchte zu lächeln, aber es blieb beim Versuch.

Die Gräfin gab sich den Anschein, mit Max zu spielen, doch ihre scharfen Augen huschten blitzschnell über Hellas Züge. Sie kannte das Mädchen von klein auf und hielt es für ein prächtiges Geschöpf. Dass sie auch weinen konnte, hatte sie bisher nicht gewusst.

„Wir müssen Hallsund verlassen“, erklärte Hella unvermittelt, als sie schon ein paar Minuten lang schweigend nebeneinander gegangen waren. Die Augen starr geradeaus gerichtet, redete sie sich ihre ganze Erbitterung vom Herzen, und die Gräfin war klug genug, sie mit keiner Zwischenfrage zu unterbrechen.

„Und was wollt ihr jetzt machen?“, fragte sie, ohne das Verhalten des neuen Besitzers zu kommentieren.

Hella wiederholte die Worte ihres Vaters. „Wir wissen es nicht“, bekannte sie.

„Ich will dir einmal etwas sagen, Kind. Wir trinken bei deinem Vater Kaffee. Ich möchte ihm nämlich einen Vorschlag machen.“

Sie machte auf dem Absatz kehrt und überließ es Hella, ihr verblüfft zu folgen. Sie schritt kräftig aus, und das Mädchen wagte nicht, sie um eine Erklärung zu bitten.

Der Respekt vor der Gräfin saß tief verwurzelt auch in ihr. Es gab nur wenige Frauen, die ihr Vater achtete — die Gräfin gehörte zu ihnen.

Max lief ihnen auf dem Gutshof davon und ins Haus voran. Er meldete kläffend ihr Kommen, und als die beiden die Treppe hinaufgingen, trat ihnen Vater Herwald schon in der großen Halle entgegen.

„Ich wollte einmal sehen, wie der Kaffee bei Ihnen schmeckt, Scherpenbach“, lächelte die Gräfin dem Verwalter entgegen. „Meine Roswitha kocht eine fürchterliche Brühe.“

„Ich freue mich über Ihr Kommen, Frau Gräfin.“ Der Verwalter beugte sich höflich über ihre Rechte, aber Friederike von Sollnof duldete nicht, dass er einen Handkuss andeutete.

„Lassen Sie diesen Schnick-Schnack, ich mag das nicht.“

Dafür aber drückte sie seine Rechte kräftig wie ein Mann.

„Schön haben Sie es hier.“ Die Gräfin hatte nur wenige Male Gelegenheit gehabt, das Innere von Hallsund zu bewundern: das Gutshaus stammte aus dem siebzehnten Jahrhundert, und kunstliebende Besitzer hatten es geschmackvoll erhalten. „Wirklich ein Prachtbau. Na ja, man kann auch woanders wohnen.“

„Hella hat …?“

„Mir alles erzählt. Deshalb komme ich nämlich zu Ihnen, Scherpenbach, obwohl ich sonst keineswegs übermäßig gern zu Fuß gehe, jedenfalls nicht in Reitstiefeln. Würde es Sie sehr stören, wenn ich sie ausziehe? Der Rechte drückt, und Sie sind ja ein vernünftiger Mann, denke ich.“

So war sie, die Gräfin, unbefangen und offen. Sie seufzte erleichtert, als der Verwalter ihr half, die langen Lederschäfte herunterzuziehen.

„Das tut gut.“ Sie bewegte die Zehen hin und her.

„Hella, kümmere du dich bitte um den Kaffee“, schickte der Vater sein Kind hinaus.

Er war keineswegs dumm und konnte sich schon vorstellen, dass seine Nachbarin diesen Weg nicht zufällig gemacht hatte.

„Wollen Sie bei mir Verwalter werden?“, fragte die Gräfin und schlenkerte ihre Stiefel in der Rechten hin und her. „Sie sind der Einzige, der mir passen würde. Ich weiß, was ich von Ihnen zu halten habe. Wenn Sie meinen, dass Sie mit mir auskommen können …“ Sie lächelte über sich selbst, denn schließlich kannte sie ihren Ruf, ohne ihn sonderlich ernst zu nehmen. „Wenn Sie wollen, können Sie jederzeit anfangen.“

„Frau Gräfin …“ Der Mann war überwältigt.

„Also einverstanden?“ Die Frau bot ihm die Rechte. „Ich muss sagen, ich bin verdammt froh, endlich wieder einen vernünftigen Mann zu haben, der sich um den ganzen Betrieb kümmert.“

„Sie wissen gar nicht, was ihr Vorschlag für mich bedeutet …“

„Kommen Sie bitte nicht auf die Idee, mir etwa danken zu wollen, Scherpenbach, ich mag so etwas nicht. Wenn Sie mir etwas Gutes antun wollen, dann sorgen Sie für vernünftigen Kaffee. Es ist schließlich noch zu früh, um mit einem Schnaps anzustoßen. Oder … sind Sie anderer Meinung?“

„Auch auf die Gefahr hin, Ihre gute Meinung über mich aufs Spiel zu setzen: ja!“

Scherpenbach holte eine Flasche aus dem Schrank und zwei Gläser.

„Mir scheint, Sie sind ein Kenner, Scherpenbach“, schmunzelte Friederike von Sollnof. „Auf gute Zusammenarbeit.“

Der Mann nickte nur, denn er war zu überwältigt, um die richtigen Worte zu finden.

„Ich freue mich, mal wieder etwas Leben im Haus zu haben“, fuhr die Gräfin fort. „Bis das Verwalterhaus renoviert ist, müssen Sie und Ihre Tochter nämlich bei mir wohnen. Hoffentlich haben Sie keine Angst um Ihren guten Ruf“, spottete sie.

„Frau Gräfin, ich … muss Ihnen sagen, wie dankbar ich Ihnen bin.“ Herwald Scherpenbach erhob sich feierlich, und diesmal gelang es der Gräfin nicht so ganz, ihre Burschikosität zu wahren.

„Papperlapapp.“ Auch sie stand auf und schlug ihrem neuen Verwalter freundlich auf die Schulter. „Ich habe immer geglaubt, Sie seien ein Mann, der nicht viel redet. Täte mir leid, wenn ich mich getäuscht hätte.“

Scherpenbach nickte und goss ihr Glas erneut voll. „Na, dann prost!“

„Sehen Sie, das ist kurz und treffend“, schmunzelte die Frau. „Wir beide werden miteinander auskommen, denke ich. Bin ja auf den neuen Besitzer hier gespannt“, wechselte sie das Thema. „Sie kennen ihn nicht persönlich?“

„Nein, ich habe nur einen Brief erhalten, die Mitteilung, dass er das Gut gekauft hat und … meine fristlose Entlassung.“

„Scheint demnach ein junger, dummer Dachs zu sein, ungehobelt, eingebildet … na ja, er wird sich schon umgucken, wenn er erst einmal auf Hallsund sitzt und versuchen muss, mit allem fertigzuwerden. Hallsund ist eine Aufgabe für einen Mann. Uns ist es egal, was er macht, nicht wahr, Scherpenbach?“

Sie hatte „uns“ gesagt, und dieses auch ihn einschließende Wörtchen machte Herwald Scherpenbach sehr stolz. Er wusste, dass er mit dieser prächtigen Frau gut zusammenarbeiten würde, auch wenn sie dickschädelig war. Er freute sich auf die Zusammenarbeit mit dieser ungewöhnlichen Frau.

***

Schon zwei Tage später zogen sie um, und Hellas Herz krampfte sich schmerzlich zusammen, als die vertraute und geliebte Heimat hinter ihr blieb. Sie saß auf dem Kutschbock des ersten Wagens, schaute aber nicht zurück, sondern starr geradeaus.

Die Gräfin stand vor ihrem schlossartigen Haus, als die Scherpenbachs durch das riesige Tor auf den Platz einbogen.

„Kommt herein!“ Sie begrüßte Hella und Scherpenbach mit festem Händedruck und riss die Tür auf. „Das Abladen können meine Leute übernehmen, die Zimmer kennen Sie ja.“

Der Kaffeetisch war gedeckt, und die Mamsell Roswitha knickste tief, als der neue Verwalter an der Seite der Herrin hereinkam. Sie schaute ihn länger an, als es sich für eine guterzogene Angestellte gehörte, und Frau Friederike verzog belustigt den Mund.

„Mir scheint, Sie haben schon eine Eroberung gemacht, Scherpenbach“, stellte sie fest, als sie unter sich waren. „Brechen Sie mir nur nicht zu viel Herzen. Roswitha kocht gut, wenn sie auch nicht allzu viel von Kaffee versteht.“

Hella war einem Diener gefolgt, um sich zuerst einmal im Schloss umzusehen. Die Gräfin hatte es mit nachsichtigem Lächeln vorgeschlagen, weil sie wusste, was im Herzen junger Menschen vor sich ging. Sie hatte nicht die Geduld, abzuwarten, und ihnen machte es nichts aus, wenn der Kaffee kalt wurde.