Lore-Roman 96 - Helga Winter - E-Book

Lore-Roman 96 E-Book

Helga Winter

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Beschreibung

Gunda von Wöhrmann wünscht sich ein normales Leben, sie möchte keine feine junge Dame mehr sein. Alle meinen es gut mit ihr, jeder Wunsch wird ihr erfüllt, bevor sie ihn noch äußern kann. Sie hat alles, was ein Mensch sich nur wünschen kann - nur keine Freiheit. Die Eltern begreifen nicht, dass sie in einem goldenen Käfig lebt. Sie ahnen nicht, dass Gunda manchmal drauf und dran ist, einfach fortzulaufen, irgendwohin, wo man sie nicht kennt, wo sie nicht die reiche verwöhnte Tochter von Johannes von Wöhrmann ist, sondern nur ein junges Mädchen.
Als Gunda zufällig mitanhört, dass sie schon bald verheiratet werden soll, bittet sie ihren Vater unter einem Vorwand um einen Scheck. Noch in der Nacht packt sie ihren Koffer, hinterlässt einen Abschiedsbrief und schleicht sich aus dem Haus. Am Bahnhof angekommen, nimmt sie den erstbesten Zug. Als sie am folgenden Tag den Scheck bei der Bank einlösen will, ist er gesperrt. Man hat ihre Flucht bemerkt und will sie so zur Rückkehr zwingen. Ist Gundas Abenteuer beendet, bevor es überhaupt richtig begonnen hat?


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Seitenzahl: 154

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Inhalt

Cover

Impressum

Gundas Flucht aus dem Elternhaus

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: MANDY GODBEHEAR / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0839-5

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Gundas Flucht aus dem Elternhaus

Roman um ein Mädchenschicksal

Von Helga Winter

Gunda von Wöhrmann wünscht sich ein normales Leben, sie möchte keine feine junge Dame mehr sein. Alle meinen es gut mit ihr, jeder Wunsch wird ihr erfüllt, bevor sie ihn noch äußern kann. Sie hat alles, was ein Mensch sich nur wünschen kann – nur keine Freiheit. Die Eltern begreifen nicht, dass sie in einem goldenen Käfig lebt. Sie ahnen nicht, dass Gunda manchmal drauf und dran ist, einfach fortzulaufen, irgendwohin, wo man sie nicht kennt, wo sie nicht die reiche verwöhnte Tochter von Johannes von Wöhrmann ist, sondern nur ein junges Mädchen.

Als Gunda zufällig mitanhört, dass sie schon bald verheiratet werden soll, bittet sie ihren Vater unter einem Vorwand um einen Scheck. Noch in der Nacht packt sie ihren Koffer, hinterlässt einen Abschiedsbrief und schleicht sich aus dem Haus. Am Bahnhof angekommen, nimmt sie den erstbesten Zug. Als sie am folgenden Tag den Scheck bei der Bank einlösen will, ist er gesperrt. Man hat ihre Flucht bemerkt und will sie so zur Rückkehr zwingen. Ist Gundas Abenteuer beendet, bevor es überhaupt richtig begonnen hat?

»Binden Sie bitte den Schal um.« Streng schaute Aline auf das junge entzückende Mädchen in der Diele. »Sie wissen doch, dass Sie sich vor Erkältungen hüten müssen.«

»Aber es ist so warm«, protestierte Gunda von Wöhrmann. »Kein anderes Mädchen läuft jetzt mit einem Schal herum.«

»Sie sind auch nicht wie die anderen«, belehrte Aline sie. »Wenn ich daran denke, was für ein zartes Mädelchen Sie immer waren ...« Ihr Gesicht wurde weich, als sie sich erinnerte. »Kein Mensch hat gedacht, dass Sie am Leben bleiben würden.«

»Ich weiß, dass ihr alle furchtbar viel für mich getan habt, aber ...«

»Und deshalb werden Sie den Schal umbinden. Und schließen Sie den obersten Knopf ihres Kostüms.« Aline seufzte. »Wenn wir nicht alle so auf Sie aufpassen würden ... Sie sind viel zu leichtsinnig, Fräulein Gunda.«

»Also gut, ich binde den Schal um«, resignierte das Mädchen.

»Ihre Frau Mutter wird gleich herunterkommen. Wie froh können Sie sein, dass sie sich immer Zeit nimmt, mit Ihnen zusammen einzukaufen. Die meisten Mütter sind viel zu gleichgültig dazu. Und man sieht es ihren Töchtern an. Wie die manchmal herumlaufen!« Die gute Aline schüttelte bekümmert den Kopf. »Wenn Sie mich fragen, viele sehen einfach schamlos aus, richtig schamlos.«

»Ich möchte gern einmal allein einkaufen«, sagte Gunda leise.

Aline bekam schmale Lippen.

»Nein, das wäre gar nicht gut. Sie wissen nicht, was Ihnen steht.«

»Diese Blue Jeans sind seit Jahren modern ... Sie sollen sehr praktisch sein ...«

»Ein anständiges Mädchen trägt solche Hosen nicht!« Alines Doppelkinn begann vor Empörung zu zittern. »Zu meiner Zeit hätte man Mädchen, die so herumlaufen, nicht angeschaut.«

»Aber viele tragen doch solche Hosen.«

»Weil sie einfach nicht wissen, was sich gehört. Für Sie kommt so etwas nicht infrage, Fräulein Gunda. Schließlich sind Sie eine junge Dame und nicht eine ... na ja, Sie wissen schon.«

Jetzt war es Gunda, die seufzte, und ihr Seufzer war nicht gespielt.

»Manchmal habe ich gar keine Lust, eine junge Dame zu sein. Wie gern wäre ich zur Schule gegangen ...«

»Sie wissen, dass es unmöglich war, Fräulein Gunda, Sie waren viel zu zart. Und Sie haben den besten Privatunterricht erhalten, den man nur bekommen kann. Ihre Eltern haben wirklich keine Kosten gescheut, um Ihnen eine ausgezeichnete Erziehung zu geben.«

»Ich habe keine Freundin ...«

»Andere auch nicht. Das sind alles nur flüchtige Bekannte. Glauben Sie mir, Sie haben nichts versäumt. Und wenn Sie erst verheiratet sind und Kinder haben ...« Sie lächelte in Gedanken an die Kinder. »Ich sollte ja eigentlich noch nicht darüber sprechen ... aber trotzdem müssen Sie wissen, dass sich da etwas tut. Ich habe zufällig gehört, wie Ihre Eltern darüber sprachen.«

»Worüber?«, fragte Gunda alarmiert.

»Über Ihre Ehe. Bestimmt haben sie Ihnen einen guten Mann ausgesucht.«

»Man will mich verheiraten?«, fragte Gunda atemlos. »Das kann nicht wahr sein ...«

»Nun sehen Sie nicht gleich so entsetzt aus, ein Mann ist schließlich kein Ungeheuer, jedenfalls braucht er es nicht zu sein«, schränkte sie ein. »Und auf das Urteil Ihrer Eltern können Sie sich verlassen. Bestimmt hat Ihr Herr Vater den jungen Mann auf Herz und Nieren geprüft. Heutzutage wird viel zu viel von Liebe geredet.« Alines Ton verriet, wie wenig sie davon hielt. »Im Leben kommt es auf Wchtigeres an. Ein Mann muss beständig sein, Charakter haben, gut verdienen ... Die Liebe kommt dann ganz von selbst.«

»Sie haben mir noch nichts davon gesagt ...« Gunda starrte vor sich hin. »Ich glaube, Sie irren sich auch, Aline. Ich meine ... ich bin doch noch so jung ...«

»Sie sind im gerade im besten Alter zum Heiraten. Darüber würde ich mir an Ihrer Stelle gar keine Gedanken machen, Fräulein Gunda. Überlassen Sie das alles nur Ihren Eltern, die wissen schon, was gut für Sie ist.«

»Ihr behandelt mich noch immer wie ein Wickelkind«, klagte die junge Dame. »Wann werdet ihr endlich einsehen, dass ich meinen Kinderschuhen entwachsen bin? Nie darf ich tun, was ich will, alles wird mir vorgeschrieben ...« Sie war nahe daran, in Tränen auszubrechen.

Völlig verständnislos schaute das Faktotum des Hauses sie an.

»Sie versündigen sich, Fräulein Gunda«, äußerte sie dann im Brustton der Überzeugung. »Sie sollten dankbar sein für alles, was man für Sie tut. Vielleicht liegt es am Wetter, dass Sie so nervös sind. Ich glaube, es gibt heute noch ein Gewitter. Irgendetwas liegt in der Luft.«

»Ich führe ein völlig nutzloses Leben«, sagte Gunda. »Für euch bin ich nichts weiter als eine Sache. Ein hübscher Gegenstand, den ihr pflegt und hütet, aber kein Mensch. Das ist manchmal nicht zu ertragen.«

»Ich höre einfach nicht zu, wenn Sie so sprechen«, behauptete Aline würdig. »So etwas möchte ich nicht mehr hören.«

Trostlos starrte Gunda von Wöhrmann vor sich hin. Alle meinen es gut mit ihr, jeder Wunsch wurde ihr erfüllt, bevor sie ihn noch äußern konnte. Sie hatte alles, was ein Mensch sich nur wünschen konnte – nur keine Freiheit.

Und die andern begriffen nicht, dass sie in einem goldenen Käfig lebte. Sie verstanden einfach nicht, dass sie manchmal aufbegehrte und drauf und dran war, einfach fortzulaufen, irgendwohin, wo man sie nicht kannte, wo sie nicht die reiche verwöhnte Tochter von Johannes von Wöhrmann war, sondern nur ein junges Mädchen.

»Ihre Frau Mutter.« Aline lächelte Dagmar von Wöhrmann entgegen, die die Treppe herunterkam, eine Dame vom Scheitel bis zur Sohle. »Gunda ist fertig«, meldete sie.

»Vielen Dank.« Frau Dagmar bedachte den guten Geist des Hauses mit einem freundlichen Lächeln, bevor sie ihre Tochter prüfend musterte. Was sie sah, stellte sie offenbar zufrieden.

»Ich möchte auch meinen Führerschein machen.« Gunda starrte verbissen durch die Windschutzscheibe nach vorn. Ihre Mutter saß am Steuer und tat so, als hätte sie die Bemerkung überhört. »Darf ich mich anmelden?«

»Nein«, erwiderte Frau Dagmar freundlich, aber ihr Ton ließ dennoch keinen Zweifel offen, dass es für sie über diesen Punkt keine Diskussionen gab.

»Andere in meinem Alter haben längst einen Führerschein.«

»Du könntest kein Auto steuern, liebes Kind. Autofahren ist kein Vergnügen, sondern eine ausgesprochene Belastung der Nerven. Und wozu brauchst du einen Führerschein? Schließlich habe ich einen, dein Vater, und wenn wir keine Zeit haben, kannst du dir jederzeit ein Taxi nehmen. Du brauchst noch keinen Führerschein.«

»Ihr wisst immer genau, was ich brauche und was ich nicht brauche.«

»Jawohl, das wissen wir«, bestätigte ihre Mutter ungerührt. »Bist du heute Morgen mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden?«, fragte sie mit freundlicher Nachsicht. Als sie kurz zur Seite schaute, sah sie ein verbissenes junges Gesicht.

»Ich habe manchmal einfach keine Lust mehr, so weiterzuleben«, gestand Gunda. »Nichts darf ich tun, für alles bin ich zu schwach oder zu unbegabt.«

»Du musst auf deine Gesundheit Rücksicht nehmen, vergiss das nicht. Du bist eine Frühgeburt gewesen.«

»Das ist schon lange her. Inzwischen bin ich erwachsen. Und was andere können, kann ich auch.«

»Nein. Für dein Alter bist du sehr zart. Du musst sehr darauf achten, dich nicht zu überanstrengen.«

»Das brauche ich nicht, das tut ihr schon. Einer steht doch immer hinter mir und sagt mir, was ich tun muss. Und wenn es sich nur darum dreht, dass ich bei diesem Wetter einen Schal umbinden muss.«

»Du neigst zu Erkältungskrankheiten. Aline hatte vollkommen recht, darauf zu bestehen. Wie oft warst du als Kind krank. So manche Nacht habe ich neben deinem Bett gesessen, wenn du Fieber hattest.«

»Ja, ich war viel krank«, bestätigte Gunda. »Wäre ich ein Kind armer Eltern, vielleicht lebte ich dann nicht mehr«, meinte sie.

»Bestimmt nicht. Jahre hindurch ist der Arzt bei uns aus- und eingegangen. Du warst ein teures Kind«, meinte sie lächelnd. Sie fuhr den Wagen geschickt in eine enge Parklücke. »So, hoffentlich finden wir etwas Passendes für dich.«

Gunda nickte ergeben. Ihre Kleider waren hübsch, das stand außer Zweifel, aber nicht ein einziges davon hatte sie sich selbst aussuchen dürfen. »Das darfst du nehmen«, pflegte ihre Mutter für gewöhnlich zu sagen, wenn sie in einem Geschäft ihre Wünsche äußerte, oder »das Gelbe macht dich viel zu blass.«

Und es spielte keine Rolle, wenn das abgelehnte Kleid Gunda besonders gut gefiel. Ihre Mutter wusste besser, was gut für sie war. Und deshalb hatte Gunda manchmal gar keine Freude an all den vielen hübschen Sachen, die in ihren Kleiderschränken hingen.

Auch heute wieder war es so wie immer. Die Verkäuferin zeigte ihnen Kleider, Frau Dagmar bestimmte, was Gunda anprobieren sollte.

»Das nehmen wir«, beschloss sie nach drei Anproben.

Gunda betrachtete sich im Spiegel. Das Kleid war hübsch, sicherlich, aber weil ihre Mutter es für sie bestimmt hatte, gefiel es ihr nicht mehr. Warum nur durfte sie nicht selbst entscheiden?

»Ich möchte Blue Jeans haben.« Diesen ungeheuerlichen Wunsch wagte Gunda nur zu flüstern, obwohl die Verkäuferin ein paar Meter weiter von ihnen entfernt damit beschäftigt war, das Kleid einzupacken.

Frau Dagmars Brauen gingen in die Höhe, und dann lächelte sie in einer Art und Weise, die Gunda immer wieder aufbrachte. So lächeln Erwachsene über das, was dumme Kinder sagen, ein wenig amüsiert, ein wenig nachsichtig.

Sie hält es nicht einmal für nötig, mir zu antworten, registrierte Gunda.

»Was habt ihr gegen Blue Jeans? Alle tragen Blue Jeans.«

»Du nicht.«

Und damit war das Thema endgültig erledigt. Frau Dagmar trug zwar Hosen, aber die waren sehr elegant und selbstverständlich maßgeschneidert. Sie ließ sich nie gehen, auch zu Hause nicht.

»Wollen wir noch eine Tasse Kaffee trinken?«, fragte ihre Mutter versöhnlich. »Oder möchtest du vielleicht eine Portion Eis?«

»Ist Eis nicht schädlich für mich?« Gunda erinnerte sich noch zu genau, wie oft man ihr Eis abgeschlagen hatte.

»Bei diesem Wetter heute nicht. Du darfst dir Eis mit Früchten bestellen, wenn du willst.«

»Fütterst du mich auch?«

»Gunda!« Ihre Mutter war entsetzt. »Ich erwarte, dass du dich entschuldigst.«

»Entschuldige«, murmelte die junge Dame gehorsam.

»Du bist heute wirklich mit dem falschen Fuß aufgestanden«, stellte ihre Mutter schulterzuckend fest. »Komm mit.«

Das Kleid würde man ihnen nach Hause schicken. Sie hatte keine Lust, das Paket bis zum Wagen zu tragen.

***

»Selbstverständlich isst du das Fleisch ganz auf«, bestimmte Johannes von Wöhrmann beim Abendessen. »Du kannst nicht essen wie ein Spatz.«

»Ich habe keinen Hunger mehr, Vati.«

»Das macht nichts. Du musst dich zwingen, den Teller leer zu essen. Schau mich an.«

»Du bist ein Mann und arbeitest, ich dagegen ...«

»Du hast es Gott sei Dank nicht nötig zu arbeiten«, fiel ihr der Mann ins Wort. Er tupfte sich mit der Serviette sorgfältig die Lippen ab, bevor er das Glas mit dem Wein zum Munde führte. »Es genügt, wenn ich das Geld verdiene. Oder findest du, dass ich zu geizig bin? Soll ich dein Taschengeld erhöhen? Was wünscht meine Kleine sich denn so sehnlich?«

»Nichts. Ich habe alles, was ich brauche. Ich bekomme das Fleisch wirklich nicht mehr herunter, Vati.«

»Du sollst viel Fleisch essen, hat der Arzt gesagt. Dein Körper braucht es. Andere Mädchen würden glücklich sein, könnten sie sich an Fleisch sattessen. Du hast keine Ahnung, wie teuer es heutzutage geworden ist.«

»Ihr lasst mich nicht einmal einkaufen«, bestätigte Gunda.

»Weil sie dich bestimmt übers Ohr hauen würden«, meinte ihr Vater schmunzelnd. »Bei Aline würde es keiner wagen. Jedenfalls nicht zweimal.«

»Was kann ich eigentlich?«, fragte Gunda.

Sie schob sich ein Stück Fleisch in den Mund, auch wenn sie wirklich satt war. Es war einfacher, zu gehorchen, als sich ständig ihren Eltern zu widersetzen. Am Ende mache ich ja doch immer, was sie wollen, dachte sie resignierend.

»Ich verstehe deine Frage nicht«, meinte Johannes von Wöhrmann. »Du hast dein Abitur gemacht, ein ausgezeichnetes Abitur sogar. Genügt das nicht?«

»Ich hatte auch hervorragende Lehrer. Es war keine Kunst, das Abitur zu bestehen. Andere Kinder haben es schwerer, denen hilft niemand. Wenn ich etwas nicht verstanden hatte, wurde es mir so lange erklärt, bis es saß.«

»Gunda hat heute ihren schlechten Tag«, meinte die Mutter erläuternd.

Sie tut so, als wäre ich ein kleines Kind, das man nicht ernst zu nehmen braucht. Und sie nehmen mich ja auch nicht ernst.

»Ich möchte gern arbeiten. In deinem Büro.«

Ihr Vater lachte. »Was unsere Kleine sich so manchmal in den Kopf setzt«, wandte er sich an seine Frau. »Ihr wolltet heute Morgen einkaufen fahren. Habt ihr etwas Hübsches gefunden?«

»Ich möchte mir meinen Lebensunterhalt selbst verdienen, verstehst du das nicht?« Mit ungewohnter Beharrlichkeit blieb Gunda beim Thema. »Du sagst doch immer, wie nötig du zuverlässige Mitarbeiter brauchst. Ich würde schon zuverlässig sein.«

»Daran zweifle ich nicht. Gott sei Dank hast du es nicht nötig, zu arbeiten.«

»Sie weiß nicht, wie gut sie es hat«, meinte Gundas Mutter. »Das Kompott ist Aline wieder hervorragend gelungen. Ich darf nicht vergessen, sie nachher zu loben.«

»Was würden wir ohne unsere gute Aline anfangen«, meinte Johannes von Wöhrmann schmunzelnd.

Einen Moment wirkte seine Frau verlegen, aber dann lächelte auch sie. Die Bemerkung ihres Mannes war keine Anspielung auf ihre fehlenden Kochkünste gewesen, das wusste sie. Sie hatte nie kochen gelernt und nie nötig gehabt, es zu lernen. Aline duldete in ihrem Reich keine Konkurrenz, und Frau Dagmar war nur zu gern bereit gewesen, sich von ihr verwöhnen zu lassen.

Später saßen sie im Wohnzimmer zusammen, eine kleine, glückliche Familie, so musste es jedenfalls jedem erscheinen, der sie beobachtete. Gunda stickte an einem Kissen, ziemlich lustlos, aber dafür unermüdlich. Ihre Mutter blätterte in einer Illustrierten, während ihr Vater nur so dasaß und seinen Gedanken nachhing.

Erst sein Räuspern machte Gunda auf ihn aufmerksam. Sie hob flüchtig den Kopf und schaute ihn fragend an. Meistens war das die Einleitung zu einer Mitteilung, die er zu machen hatte.

Der Mann lächelte prompt, als er ihren Blick auffing.

»Ich habe gerade über dich nachgedacht«, versicherte er ihr dann, und er bekräftigte seine Behauptung noch durch ein Kopfnicken. »Man macht sich ja auch Gedanken um die Zukunft ... Was wird aus euch, wenn mir einmal etwas zustößt.«

»Wovon sprichst du da?«, fragte Frau Dagmar unmutig. »Du bist in den besten Jahren und kerngesund.«

»Eine Krankheit kommt schnell, und der Tod lauert überall. Ja, was wird aus euch, wenn ich einmal plötzlich abberufen werden sollte.« Er griff nach einer Zigarre und schnitt die Spitze ab. »Ich habe im Betrieb einen sehr tüchtigen jungen Mann. Ungemein tüchtig. Und solch ein Mann will natürlich weiterkommen. Ich würde ihn nicht gern verlieren, ganz und gar nicht. Und da dachte ich ...«

»Ich soll ihn heiraten?«, fragte Gunda mit einer Stimme, die vor Erregung ganz flach klang. »Ich will aber nicht, Vater. Wenigstens meinen Mann möchte ich mir selbst aussuchen dürfen.«

»Ich will dich selbstverständlich zu nichts zwingen, Kleines.« Endlich war es Johannes von Wöhrmann gelungen, die Zigarre in Brand zu setzen. »Ich wüsste nur nicht, was du an Sandhoff auszusetzen haben könntest. Er sieht gut aus, finde ich jedenfalls«, schränkte er ein. »Aber den Mädchen im Betrieb scheint er auch zu gefallen. Ich habe ihn Sonntag zum Mittagessen gebeten.«

Es war Gunda, als ersticke sie. Einen Moment rang sie nach Luft, bis sie wieder freier atmen konnte.

Ihrem Vater war diese Reaktion entgangen. Er schaute auf das glimmende Ende seiner Zigarre, offensichtlich erleichtert, sein Anliegen losgeworden zu sein.

»Ich dachte, ihr könnt dann zusammen nachmittags Tischtennis spielen. Er spielt ganz gut, hat er mir gesagt.«

Es war einmal Gundas heißer Wunsch gewesen, Tennis spielen zu dürfen. Man hatte es ihr nicht erlaubt. Es sei zu anstrengend, und Tischtennis mache genauso viel Spaß.

»Als mein Schwiegersohn wird er noch mehr arbeiten als bisher, obwohl ich sagen muss, er setzt sich wirklich ungewöhnlich für die Firma ein.«

»Ich möchte ins Bett. Gute Nacht.« Gunda packte ihre Stickerei zusammen und erhob sich.

»Lass sie«, hielt Frau Dagmar ihren Mann zurück, als der protestieren wollte. Sie lächelte fein. »Heute kann man wirklich nicht mit Gunda reden. Jeder von uns hat mal solch einen Tag, an dem man grundlos unzufrieden ist.«

»Sie wird bestimmt nichts gegen Sandhoff haben.«

»Hast du mit ihm schon über deine Pläne gesprochen?«

Johannes von Wöhrmann lächelte listig.

»Nicht direkt. Man kann es ja nicht direkt sagen, verstehst du? Aber durch die Blume habe ich ihm zu verstehen gegeben, dass ein Mann wie er mir als Schwiegersohn willkommen wäre. Sandhoff ist nicht dumm.«

»Ich bin gespannt auf ihn.«

In ihrem Zimmer riss Gunda die Fensterflügel weit auf. Ihr war, als müsse sie sonst ersticken. Dabei bewohnte sie ein sehr großes, geradezu luxuriös eingerichtetes Zimmer. Sie beugte sich aus dem Fenster. Wäre ich doch ein Vogel und könnte jetzt fortfliegen, dachte sie, über die Baumwipfel hinweg in die Freiheit. Ihr Blick folgte einer Schwalbe, die anscheinend schwerelos durch die Luft glitt.

***

»Wollen Sie ein langes weißes Hochzeitskleid haben oder ein kürzeres?«, fragte Aline am nächsten Tag nach dem Frühstück.

Der Herr des Hauses war in sein Büro gefahren, Frau Dagmar befand sich in ihrem Schlafzimmer, mit der Morgentoilette beschäftigt.