Lost and Sound - Tobias Rapp - E-Book

Lost and Sound E-Book

Tobias Rapp

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Beschreibung

Techno ist tot, zumindest offiziell. In Wirklichkeit waren elektronische Musik und die nächtliche Subkultur des Ausgehens – jenseits von sozialen Utopien und Love Parade – nie kreativer und interessanter als heute. Und nie so an einem Ort konzentriert: Jedes Wochenende bevölkern junge Leute aus ganz Europa ein paar Kilometer am Berliner Spreeufer; sie kommen mit Billigfliegern und bleiben nicht selten, bis die letzte After Hour nach Tagen fast wieder ins nächste Wochenende mündet ... Tobias Rapp, selbst DJ und ein intimer Kenner der Szene, porträtiert die faszinierendste, exzessivste und insgeheim einflußreichste Hauptstadtkultur und ihre Protagonisten: Tänzer und DJs, Musikproduzenten und Stadtplaner.

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Seitenzahl: 310

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Techno ist tot, zumindest offiziell. In Wirklichkeit waren elektronische Musik und die nächtliche Subkultur des Ausgehens - jenseits von sozialen Utopien und Love Parade - nie kreativer und interessanter als heute. Und nie so an einem Ort konzentriert: Jedes Wochenende bevölkern junge Leute aus ganz Europa ein paar Kilometer am Berliner Spreeufer; sie kommen mit Billigfliegern und bleiben nicht selten, bis die letzte Afterhour nach Tagen fast wieder ins nächste Wochenende mündet ... Tobias Rapp, ein intimer Kenner der Szene, porträtiert die exzessivste und insgeheim einflussreichste Hauptstadtkultur und ihre Protagonisten: Tänzer und DJs, Musikproduzenten und Stadtplaner.

Tobias Rapp, geboren 1971, war bis Anfang 2009 Musikredakteur der taz. Jetzt arbeitet er als Popredakteur des Spiegel. Er lebt in Berlin und Hamburg.

Tobias Rapp

Lost and Sound

Berlin, Technound der Easyjetset

Suhrkamp

Umschlagfoto: © Scott Houston / Corbis

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2009

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN 978-3-518-73395-0

www.suhrkamp.de

Für Harald Fricke

Inhalt

Vorwort

Die Woche beginnt: der Mittwoch

Wie eine Clubmeile entsteht

So viele Sprachen hier ... der Donnerstag

Der Easyjetset und die neue europäische Clubgeografie

Das Berliner Nachtleben ruht auf vier Säulen: der Freitag

Der Ricardo

Das Berghain, die Mitte der Welt (von Alexis Waltz)

Schlange stehen. Ins Berghain gehen. Nie wieder nach Hause wollen. Der Samstag

Das sanfte Glück des posteuphorischen High: der Sonntag

72 Hour Party People. Die Bar 25

Wir treffen uns in der Restrealität

Berlin abroad

Feiern, bis die Haare leuchten: der Montag

Ravemutter, Ravetochter (von Anton Waldt)

Die große Techno-Klötzchenschieberei

Wir verkaufen Geschmack

Zurück auf Start: der Mittwoch (Reprise)

Zwanzig Platten: eine kleine Geschichte des Berliner Sounds der nuller Jahre

Dank

Quellenachweise

Bildnachweise

Vorwort: Berlin, Techno

Ein neues Berlin entsteht, und keiner kriegt es mit. Fast keiner natürlich, irgendjemand muss es ja bauen.

Doch angesichts der Größe des Phänomens und des Rufes wie Donnerhall, der sich überall auf der Welt verbreitet hat, war es doch einigermaßen verwunderlich, wie oft ich bei der Arbeit an diesem Buch von Leuten, die nicht direkt mit elektronischer Musik zu tun haben, erstaunt angeblickt wurde, wenn ich umriss, worum es gehen soll: Techno? Wirklich? Das gibt es noch?

Zur Erinnerung: Berlin war die Stadt, die diese Musik mit prägte. Ob es Westbam war, der schon Mitte der Achtziger anfing, Vorformen von dem aufzulegen, was bald Techno werden sollte. Ob es, nach dem Fall der Mauer, all die illegalen Läden waren oder der legendäre Tresor, in dem Tanith Platten spielte und die Detroiter Techno-Erfinder ihre europäische Anlaufstelle hatten. Die Sache wurde rasch größer, das E-Werk hatte schon einen populistischeren Sound, die Love Parade verwandelte sich innerhalb weniger Jahre vom Insiderscherz zur Millionenveranstaltung und wurde live im Fernsehen übertragen. Währenddessen machten sich Feuilletonisten und Kulturwissenschaftler euphorische Gedanken um neue Geschlechtermodelle und die Ablösung des Rockstars durch den DJ. Als der Schriftsteller Rainald Goetz die Love Parade bejubelte, sorgte das noch für Streit, als Gotthilf Fischer dort auftrat, hatten die Zeitdiagnostiker das Interesse schon lange verloren. Techno, so konnte es einem vorkommen, hatte sich von einer Subkultur in eine Selbstparodie verwandelt. Und im avancierten Pop erlebte der rüpelhafte und charismatische Rockstar sein Comeback. Die Gitarren wurden wieder ausgepackt. Techno war eine Jugendkultur der Neunziger, historisiert und offiziell tot.

Was diese groben Linien der Geschichtsschreibung verbergen: House, Techno, Electro, Minimal - wie auch immer man es nennen möchte - gibt es immer noch, und in Berlin ist diese Musik und die dazugehörige Szene größer, vielfältiger und interessanter als je zuvor. Noch nie hatten die Clubs der Stadt eine solche Anziehungskraft wie das Berghain, das Watergate, das Weekend, die Bar 25 und andere gerade jetzt. Tausende sind es, die Wochenende für Wochenende aus ganz Europa und von weiter her zum Feiern kommen. In ihrer Selbstwahrnehmung tut sich die Stadt allerdings schwer mit dem Phänomen. Und manchmal, wenn man etwa in einer Schlange vor einem Club steht und das babylonische Sprachgewirr der Umstehenden in den Ohren hat, denkt man ohnehin, dass diese Goldene Zeit nicht das Ergebnis lokaler, sondern internationaler Dynamiken ist, die zwar in Berlin kulminieren, aber wesentlich befeuert werden von Menschen, die aus dem Rest der Welt, vor allem den USA, aber auch aus Nord- und Südeuropa hierhergekommen sind. Sei es für ein paar Monate, sei es für länger. Oder eben nur für ein Wochenende. Nirgendwo außerhalb des Diplomatischen Corps dürfte Berlin so international sein wie in der Techno- und Clubszene. Im Grunde ist das natürlich Arbeitsmigration und nicht anders als das, was die Finanzindustrie für New York oder London ist, Hollywood für Los Angeles und Mode für Paris oder Mailand.

So gesehen fällt es dann auch gar nicht so sehr ins Gewicht, dass die Berliner Radiosender diese größte und wichtigste musikalische Kultur, die Berlin in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren hervorgebracht hat, fast völlig ignorieren und ihr nur ein paar kleine Nischensendungen zugestehen. Es gibt ja genügend Sender im Internet. Im Herbst 2008 kam Berlin Calling von Hannes Stöhr in die Kinos - nach fast zwanzig Jahren der erste ernstzunehmende Spielfilm über Berlin und Techno.

Diese Wahrnehmungslücke steht in scharfem Kontrast zu den Illusionen, die viele Zugezogene haben. Wie oft ist schon behauptet worden, die Atmosphäre im Berlin der nuller Jahre erinnere an die frühen Achtziger in Manhattan! Das ist zwar nicht völlig aus der Luft gegriffen - damals wie heute war es der künstlerische Nährboden einer wirtschaftlich und finanziell maladen Stadt, dessen Anziehungskraft in die Welt hinausstrahlte und jede Menge Kunstschaffender anlockte, denen der Sinn nicht primär nach Weltkarriere stand, sondern danach, in geschützter Umgebung zu experimentieren und sich auszuleben. Damit enden die Parallelen aber auch schon, denn das Entscheidende im damaligen New York war der Kontakt afroamerikanischer Jugendlicher aus der Bronx und Harlem mit weißen Downtown-Künstlern. HipHop setzte von dort aus zum großen Sprung an und wurde zur weltweit erfolgreichsten Popkultur des vergangenen Vierteljahrhunderts. Und auch der größte Popstar dieser Zeit ging aus der Downtown-Szene hervor: Madonna.

In Berlin ist eine neue Madonna nicht in Sicht, der einzige weltweite Star, den die Berliner Szene hervorgebracht hat, ist die Kanadierin Peaches, und die ist ursprünglich ein Phänomen der Neunziger, von Berlin-Mitte 1.0, wenn man so will, einer Zeit, als andere Konstellationen wirkten als heute.

Nein, dieses Berlin der nuller Jahre unterscheidet sich in vielen Punkten vom New York der Achtziger. Und der größte Unterschied besteht vermutlich darin, dass die Stars dieser Stadt keine Einzelpersonen sind, sondern kollektive Subjekte: die Berliner Clubs und ihr Publikum. Weltberühmt sind sie, einzigartig, Projektionsoberflächen, voller Bedeutung. Von weither reist man an, man steht Schlange, um sie zu sehen, um sie zu feiern und damit sich selbst.

Was ja auch wieder seine Tradition hat: Berlin ist seit den Sechzigern eine Stadt, in der vor allem das soziale Experiment funktioniert. Das wird oft übersehen, abgestritten oder als eine Schwäche gedeutet, die es auszugleichen gelte, um auch in Berlin die Normalität anderer Städte einzuführen. Was auch immer man sich darunter vorzustellen hat. Dabei ist die relative Anonymität und Gesichtslosigkeit der Berliner Technoszene - denn tatsächlich sind ja selbst die Lästereien darüber, dass diesem oder jenem der Ruhm zu Kopf gestiegen sei, im Grunde ein Beleg dafür, dass die Bodenständigkeit sich behauptet - eine große Errungenschaft, die man gar nicht genug betonen kann. In Zeiten, wo ein Großteil der Geschichten, die eine Kultur von sich erzählt, von prominenten Personen handelt, wo ein heiß drehender Celebrity-Kult die gesamte Gesellschaft beherrscht, ist es gut zu wissen, dass zumindest ein kulturelles Segment übrig geblieben ist, in dem man das Promi-Sein für das hält, was es ist: Zeitverschwendung.

Keine Stars also. Und auch keine Werbepartner. Jeder, der in den Neunzigern ausgegangen ist, wird sich erinnern, wie omnipräsent Zigarettenfirmen und Mobiltelefonanbieter damals in den Clubs waren. Auch das ist vorbei. Bis auf den Getränkekonzern Red Bull haben sich die sichtbaren Sponsoren aus der Technoszene zurückgezogen.

Mit ein wenig Willen zur Idealisierung könnte man sagen: Die House- und Technoszene von Berlin hat die guten Seiten einer Independent-Kultur - ökonomische Unabhängigkeit, künstlerische Integrität, Kompromisslosigkeit - bewahrt und die schlechten, also verkürzte Kapitalismuskritik, Idealisierung der Selbstausbeutung und Unprofessionalität einfach weggelassen. Unabhängig sein, ohne Indie zu sein. Der popkulturelle Idealzustand und das genaue Gegenteil jener Rock- und Popmusik, die heute Indie genannt wird und sich zwar meist so anhört, aber nur selten unabhängig ist.

Tatsächlich ist eine andere Parallele zu den amerikanischen Städten der Achtzigerjahre im Fall der Berliner Technoszene durchaus sinnvoll. Nach dem großen Plattenindustrie-Crash von 1979 zog sich Disco dort in den Underground der Clubs zurück, und bildete neue Formen aus. Der Rhythmus wurde maschinisiert, neue Stile und Sounds wurden integriert - eine Entwicklung, die ein paar Jahre später zu House führte, einer Musik, die deutlich in der Tradition von Disco steht und doch etwas ganz Neues war. So ähnlich ist das mit Techno und Berlin in den nuller Jahren. In den Neunzigern gab es Rave mit allem was dazugehört: großer Aufregung, tollen Platten, Weltherrschaftsfantasien, Chartsplatzierungen - bis das Ganze nach großen Erfolgen und Exzessen zum Ende des Jahrzehnts zusammenkrachte. Um die Jahrtausendwende zog sich die Musik in den Underground zurück, um sich zu erneuern.

Was danach kam, davon handelt dieses Buch. Es wird um besondere Berliner Konstellationen gehen, die vieles ermöglichen, was woanders undenkbar wäre, um Brachflächen, Leerstand und immer noch billige Mieten, um liberale Behörden, unermüdliche Aktivisten und Institutionen, die einfach immer weitermachen, um Stadtpolitik und die Liberalisierung des europäischen Flugmarkts, die all dies innerhalb kurzer Zeit zu ungeahnter Größe anwachsen lässt. Es wird um Musiktechnologie und die prekäre Ökonomie eines Plattenlabels gehen. Und darum, wie die Protagonisten - DJs, Produzenten, Clubbetreiber, Tänzer - ihre Szene erleben, ob in einer euphorischen Samstagnacht oder während einer Afterhour am Montagabend.

Lost and Sound erzählt dabei auch eine zweite, eher persönliche Geschichte. Ich bin im Sommer 1990 nach Berlin gezogen und seitdem immer viel ausgegangen. Es gab Pausen. Ein paar Jahre lang interessierte mich das Nachtleben nur ganz am Rande. Trotzdem könnte ich einen großen Teil meines Lebens entlang der Läden erzählen, in denen ich meine Nächte verbracht habe. Viele Freundschaften sind mit diesen Nächten verbunden, einige haben es auch ans Tageslicht geschafft.

So wird es vielen Leuten gehen, die seit den frühen Neunzigern in Berlin ausgegangen sind. Jeder und jede hat den Ort, der für ihn oder sie am stärksten mit Wirklichkeit aufgeladen ist. Der Ort, der zählt, an dem die wirklich wichtigen Dinge verhandelt werden, wo man sich als Teil der Welt fühlt, weil von hier aus ein ideeller Kontakt zu anderen, ähnlich gesinnten Räumen besteht und den Menschen, die sie bevölkern. Der Ort, zu dem man die anderen Orte in Beziehung setzt, an denen man sich bewegt. Früher mag das mal die WG-Küche gewesen sein. Oder die Straße. Für mich und viele andere, die ich in den vergangenen zwanzig Jahren in Berlin getroffen habe, war das der Club. Der Ort, an dem Geschichte gemacht wird, an dem man das Gefühl hat, sein eigenes kleines Treiben sei Teil eines großen Jetzt.

Dieses Gefühl ist natürlich, bei nüchternem Tageslicht betrachtet, höchst zweifelhaft und im Großen und Ganzen Quatsch. Was aber nichts an der Wirkmächtigkeit ändert, mit der es Nacht für Nacht immer wieder Tausende von Menschen dazu bringt, rauszugehen und zu feiern. Und es hat übrigens auch weit weniger mit Politik zu tun, als man in den Neunzigern in manch euphorischem Augenblick glaubte.

Auch darum soll es gehen: die Bedingungen der Möglichkeit des Tanzflächenglücks zu beschreiben. Dieses Glück ist flüchtig und nicht planbar. Man weiß zwar, welche DJs man mag und welche Musik einem passt. Aber ob ein Abend diesen bestimmten Moment vorgesehen hat, lässt sich niemals voraussagen. Es passiert oder es passiert eben nicht. Dafür bleibt man dann bis lange in den nächsten Tag hinein.

An der Bezeichnung »Techno« im Untertitel dieses Buches werden sich vielleicht einige Leserinnen und Leser stören. Warum nicht House? Sie haben recht - für mich persönlich genauso wie für die meisten DJs und Produzenten, die ich im Laufe meiner Recherchen gesprochen habe, ist das der Genrebegriff für elektronische Tanzmusik. House Music. Dafür könnte man alle möglichen musikhistorischen Gründe anführen, was aber den Begriff »House« so attraktiv macht, dürften vor allem zwei Dinge sein: Zum einen bezieht er sich auf den Ort, das Warehouse, wo diese Musik zuerst gespielt wurde. Das macht House zu einem offeneren Konzept als »Techno«, ein Begriff, der sich abstrakter und intellektueller auf eine bestimmte Auseinandersetzung mit Technologie bezieht. Zum anderen hat House das historische Subjekt der »House Nation« hervorgebracht: die Leute, die zu dieser Musik tanzen. Auch das ist bis heute ein sehr attraktives Konzept.

Leider ist die Wahrnehmung in Deutschland genau andersherum. Hier ist Techno der Oberbegriff und House das Genre. Das eine ist die Musik mit dem geraden Bummbummbummbumm. Und das andere die Musik mit dem geraden Bummbummbummbumm, über das eine Diva »Release Me!« singt.

Seit einigen Jahren hat es sich bei vielen eingebürgert, diese Musik Electro zu nennen, ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei Electro musikhistorisch um ein relativ eigenständiges Genre handelt, das seine Wurzeln in der Breakdance-Musik der späten Siebziger und frühen Achtziger hat und seitdem eigentlich nie wieder verschwunden ist. Electro lebt von retrofuturistischen Klängen, hört sich also so an, wie man sich in den Achtzigern die Zukunft vorstellte, voll einfacher Computerspielsounds und frühem Drummachinegebolze. Außerdem wird Electro meist von einem gebrochenen Vierviertelrhythmus getragen.

Und Minimal, oder gar mnml? Viele Kritiker mögen den Begriff, weil er eine Abkehr von den muskulösen Rave-Sounds der Neunziger suggeriert und am ehesten den Bruch betont, der die Musik der nuller Jahre von der der Neunziger unterscheidet. Dummerweise sind die Kritiker aber auch die einzigen. Sonst benutzt den Begriff fast niemand.

Ob Techno, House, Electro oder Minimal - wer hofft, in diesem Buch vor allem etwas über Musik zu lesen, wird ohnehin enttäuscht werden. Technokultur ist, wie jede funktionierende Popkultur, äußerst schnelllebig: Eine Platte ist einige Wochenenden lang groß, seltener eine Saison lang, und dazu muss es schon richtig gut laufen. Dann verschwindet sie, macht Platz für neue Platten, taucht vielleicht nach ein paar Jahren wieder auf, weil irgendein Element sich wieder als kompatibel mit dem neuesten Klang erweist und DJs sie wieder hervorholen können, um eine Tanzfläche zu überraschen. Aber diese Diskussionen haben ihre Öffentlichkeit in den verschiedenen Magazinen, in Internetforen und nicht zuletzt im Plattenladen und im Club selbst. Ein Buch ist dafür zu langsam.

Dieses Buch hat auch keinen Vollständigkeitsanspruch. Die ganze Szene rund um die Friedrichstraße habe ich beispielsweise weggelassen, das Cookies, das Picknick, das Violet und die Scala kommen nicht vor. Auch das Tape wird man vergeblich suchen. Dahinter steckt kein böser Wille - diese Clubs liegen nur nicht in der Ausgehmeile, die im Zentrum dieses Buchs steht. Vieles, was hier beschrieben wird, gilt für sie natürlich trotzdem. Auch die neuen Wege, die Clubs aus der Gegend herauszuführen, zurück in die Stadt hinein, kommen zu kurz. Das Ritter Butzke wird keine Rolle spielen, die Wilde Renate auch nicht.

Dasselbe gilt für die Künstler. Es gibt Hunderte aktiver DJs in Berlin. Wer in diesem Buch vorkommt, ist nicht wichtiger als andere, die nicht vorkommen. Sieht man mal von herausragenden Figuren wie Ricardo Villalobos ab, der eine zentrale Rolle spielt, egal wie man diese Szene betrachtet, ist vieles schlicht dem Zufall und der persönlichen Präferenz geschuldet. Lost and Sound ist kein Lexikon.

Und auch kein Geschichtsbuch. Auch wenn ich bei der Recherche festgestellt habe, dass der Wunsch nach einer Historisierung weit verbreitet ist - mir kommt die Gegenwart im Augenblick noch so reich vor, dass ich gar nicht wüsste, was man mit einem Geschichtsbuch anfangen sollte. Es passiert einfach noch zu viel. Diese Musik und diese spezielle Kultur des Feierns, die mit dem Berlin der nuller Jahre identifiziert wird, macht noch immer so überzeugend ihren Anspruch auf Zeitgenossenschaft geltend, dass man sich die Beschäftigung mit der Geschichte guten Gewissens für die Tage aufheben kann, an denen weniger los ist. Das popkulturelle Gestern läuft einem nicht weg. Ganz anders als das Heute.

»Vergesst nicht, nach Hause zu gehen«, ermahnte der britische DJ und Produzent Ewan Pearson - einer der vielen Engländer und Amerikaner, die es in den vergangenen Jahren nach Berlin verschlagen hat - in dem Dokumentarfilm Feiern von Maja Classen die Berliner Feiergemeinde. Ein Glück, das endlos verlängert wird, ist trügerisch. Einige Monate später ruderte Pearson in einer Kolumne für das Magazin Groove zurück: In Anbetracht der Einmaligkeit vieler Berliner Clubs und der Gefahr, dass sie womöglich bald schließen müssen, sei es erste Raverpflicht, für den Erhalt zu kämpfen, sich an der Schönheit dieser Orte zu freuen und auszugehen.

Dem habe ich wenig hinzuzufügen. Dieses Buch ist das eine. Das Feiern das andere. Lost in Sound, lost and sound.

Die Woche beginnt: der Mittwoch

Es ist kurz nach Mitternacht, und falls die Stadt schon schlafen sollte, macht sie das woanders. Auf der Stahltrasse, die zur Oberbaumbrücke führt, rumpelt die letzte U-Bahn in Richtung Friedrichshain. Wir sind am Schlesischen Tor in Berlin-Kreuzberg. Lange ist es noch nicht her, da sagten sich hier Fuchs und Hase gute Nacht; der Wrangelkiez, eingequetscht zwischen Görlitzer Park, Spree, Landwehrkanal und dem Verkehrsstrom der Skalitzer Straße, war eine der vergessenen Ecken des Bezirks. Auch noch Ende der Neunziger, als das Clubleben in Mitte spielte und Techno over war. Kleinere Gruppen von Menschen schieben sich durch die Falckensteinstraße in Richtung Spreeufer. Zwei Engländer fragen nach dem Weg, sie kommen etwas ratlos aus einer Hofeinfahrt. Das Watergate? Die Tür da vorne, die Treppe hoch. Es ist Mittwoch, das Wochenende ist noch zwei Arbeitstage weg, das Kribbeln ist schon da.

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