LYING GAME - Wo ist nur mein Schatz geblieben? - Sara Shepard - E-Book
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LYING GAME - Wo ist nur mein Schatz geblieben? E-Book

Sara Shepard

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Beschreibung

Sie sucht den Mörder ihres Zwillings ...

»Sutton ist tot. Sag es niemandem. Spiel weiter mit … Oder du bist als Nächste dran.«

Emma Paxton spielt ein Spiel auf Leben und Tod: Um den Mord an ihrer Zwillingsschwester Sutton aufzuklären, gibt sie sich als Sutton aus. Nur der Mörder und Emmas Freund Ethan kennen ihr Geheimnis. Nachdem Thayer, der attraktive Ex von Sutton, nicht mehr als Täter in Frage kommt, erhärtet sich der Verdacht gegen Suttons Schwester Laurel. Denn die ist nicht nur grün vor Eifersucht, weil Thayer Sutton-alias-Emma immer noch liebt, sie ist auch die einzige, die kein Alibi in der Mordnacht besitzt …

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Seitenzahl: 327

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DIE AUTORIN

Foto: © Daniel Snyder

Sara Shepard hat an der New York University studiert und am Brooklyn College ihren Magisterabschluss im Fach Kreatives Schreiben gemacht. Sie wuchs in einem Vorort von Philadelphia auf, wo sie auch heute lebt. Ihre Jugend dort hat die »Pretty Little Liars«-Serie inspiriert, die in 22 Länder verkauft wurde und die, ebenso wie ihre neue Reihe »Lying Game«, zum New-York-Times-Bestseller wurde. »Pretty Little Liars« und »Lying Game« hat auch als TV-Serie in sieben Staffeln einen beispiellosen Erfolg verzeichnet.

Von Sara Shepard sind bei cbj erschienen:

Pretty Little Liars – Unschuldig (Band 1)

Pretty Little Liars – Makellos (Band 2)

Pretty Little Liars – Vollkommen (Band 3)

Pretty Little Liars – Unvergleichlich (Band 4)

Pretty Little Liars – Teuflisch (Band 5)

Pretty Little Liars – Mörderisch (Band 6)

Pretty Little Liars – Herzlos (Band 7)

Pretty Little Liars – Vogelfrei (Band 8)

Pretty Little Liars – Unerbittlich (Band 9)

Pretty Little Liars - Skrupellos (Band 10)

Lying Game – Und raus bist du (Band 1)

Lying Game – Weg bist du noch lange nicht (Band 2)

Lying Game – Mein Herz ist rein (Band 3)

Sara Shepard

Wo ist nur mein Schatz geblieben?

Aus dem Amerikanischen

von Violeta Topalova

cbj ist der Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Erstmals als cbt Taschenbuch April 2014

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

© 2012 by Alloy Entertainment and Sara Shepard

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Hide and Seek. A Lying Game novel« bei Harper Teen, an imprint of Harper Collins Publishers, New York.

Published by arrangement with Rights People, London

© 2014 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Übersetzung: Violeta Topalova

Lektorat: Ulrike Hauswaldt

Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München

Umschlagfoto: © Gustavo Marx/Mergeleft Reps, INC.

he · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-10739-0V005

www.cbj-verlag.de

Für Lanie

Glaube denen, die die Wahrheit suchen,

aber zweifle an denen, die sie gefunden haben.

Voltaire

Prolog

Ich hatte mir das Leben nach dem Tod immer wie endlose Ferien in einem Luxusresort auf St. Barts vorgestellt – wo mir französische Kellner bis ans Ende aller Tage fruchtige Cocktails servierten, während am azurblauen karibischen Himmel die Sonne ins Meer sank und eine kühle Brise meine auf immer gebräunte Haut kitzelte. Meine Belohnung für ein erfülltes, fantastisches, langes Leben.

as von getäuscht.

Stattdessen starb ich nur Tage vor meinem achtzehnten Geburtstag und dem Beginn meines großartigen letzten Schuljahres. Und statt an einem weißen Sandstrand einen Mojito zu schlürfen, war ich in Las Vegas aufgewacht und fortan an eine Zwillingsschwester gekettet, von deren Existenz ich bisher nichts gewusst hatte. Ich beobachtete, wie Emma Paxton gezwungen wurde, in mein Leben einzutauchen und meine Rolle zu übernehmen. Ich schaute zu, wie sie an meinem Platz am Esstisch mit meiner Familie zu Abend aß und mit meinen Freundinnen kicherte, als kenne sie sie schon ewig. Ich beobachtete, wie sie in meinem Tagebuch las, in meinem Bett schlief und versuchte herauszufinden, wer mich umgebracht hatte.

Und es sah so aus, als säße ich bis auf Weiteres hier fest.

Wo Emma hinging, ging auch ich hin, und alles, was sie wusste, wusste auch ich – aber leider wusste ich sonst nicht viel. Mein Leben bis zu meinem Tod war ein einziges Fragezeichen für mich. Nach und nach erinnerte ich mich an ein paar Dinge – zum Beispiel, dass ich nicht gerade das netteste Mädchen der Hollier High gewesen war und nicht zu schätzen gewusst hatte, wie gut ich es hatte. Und dass ich mir eine Menge Feinde damit gemacht hatte, Leuten, die das nicht verdienten, ziemlich üble Streiche zu spielen. Aber alles andere war wie ausgelöscht, leider auch, wie ich gestorben war und wer mich getötet hatte.

Aber eins wusste ich: Mein Mörder beobachtete Emma auf Schritt und Tritt und würde dafür sorgen, dass sie weiter mitspielte. Ich war nur einen Atemzug entfernt, als sie die Nachricht las, in der sie erfuhr, dass ich tot war und sie das nächste Opfer werden würde, wenn sie nicht in meine Rolle schlüpfte. Mir wurde mit Emma schwarz vor Augen, als sie bei einer Pyjamaparty im Haus meiner besten Freundin Charlotte beinahe erwürgt wurde. Und ich saß in der ersten Reihe, als auf der Bühne der Schulaula ein Scheinwerfer auf sie herabstürzte. All das hatten Warnungen sein sollen. Mein Mörder war uns so nahe gewesen, aber weder sie noch ich hatten gesehen, wer es war.

Meine Zwillingsschwester musste meinen Mörder finden, und ich konnte nur untätig zusehen, da ich keine Möglichkeit hatte, mit ihr zu kommunizieren. Emma hatte die Unschuld meiner besten Freundinnen Charlotte, Madeline und Gabby und Lili Fiorello bewiesen – sie alle hatten Alibis für den Abend, an dem ich gestorben war. Aber das Alibi meiner kleinen Schwester Laurel hatte sich als nicht ganz so wasserdicht herausgestellt. Jetzt beobachtete ich, wie meine Familie sich im örtlichen Country Club auf Sonnenliegen fläzte und in die brutale Tucsoner Sonne blinzelte. Emma hatte die Liege neben Laurel gewählt und die Nase in einer Zeitschrift vergraben, aber ich konnte sehen, dass sie meine Schwester genauso aufmerksam beobachtete wie ich.

Laurel studierte die in Leder gebundene Speisekarte durch ihre dunkle Gucci-Sonnenbrille und rieb sich dann so entspannt Sonnenöl in die Haut, als sei alles in bester Ordnung. Wut brandete in mir auf. Ich würde nie wieder die Sonne auf meiner Haut spüren und möglicherweise war sie dafür verantwortlich. Zumindest hatte sie ein Motiv. Wir waren beide heimlich in denselben Typen verliebt – und ich hatte Thayer schließlich bekommen.

Meine Mutter holte ihr Smartphone aus ihrer Kate-Spade-Strandtasche. »Unglaublich. Es kommen nur Bestätigungen für Samstag zurück, Ted«, murmelte sie, den Blick aufs Display geheftet. »Sieht so aus, als würde dein Fünfundfünfzigster eine Riesenfete werden.«

»Hmm«, machte mein Dad abwesend. Es war nicht zu erkennen, ob er sie überhaupt gehört hatte. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, einem großen, muskulösen Jungen, der beim Pool stand und sich gerade durch das dunkle Haar fuhr, wütende Blicke zuzuwerfen.

Wenn man vom Teufel spricht. Thayer Vega höchstpersönlich.

Mein Herz begann zu hämmern, als Emma einen Blick in Thayers Richtung warf. Laurels Blicke folgten ihren. Egal, wie cool meine kleine Schwester auch tat, sie konnte die Hoffnung nicht verbergen, die in ihrer Miene aufflackerte. Nie im Leben, dachte ich wütend. Ich mochte zwar tot sein, aber Thayer gehörte mir – und nur mir. Wir hatten eine heimliche Affäre gehabt, als ich noch am Leben gewesen war. Erst seit ein paar Tagen konnte ich mich wieder detailliert daran erinnern. Eine Zeit lang hatte es so ausgesehen, als habe Thayer mich getötet – wir waren an dem Abend, an dem ich gestorben war, verabredet gewesen. Aber glücklicherweise hatte Emma seine Unschuld bewiesen. An jenem Abend hatte ihn eine unbekannte Person mit meinem Volvo angefahren. Eine Person, die es wahrscheinlich auf mich abgesehen hatte. Laurel hatte Thayer ins Krankenhaus gebracht, wo er die ganze Nacht geblieben war. Ich war ungeheuer erleichtert darüber gewesen, dass nicht er mich auf dem Gewissen hatte … bis mir klar wurde, dass es vielleicht das Mädchen war, das jetzt neben Emma saß. Laurel hatte Thayer zwar ins Krankenhaus gebracht, aber das hieß nicht, dass sie ebenfalls die ganze Nacht dort geblieben war. Sie hätte genauso gut zurückkommen können, um mir ordentlich die Meinung zu geigen – oder mich ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen.

Wir alle beobachteten, wie Thayer die Metallleiter zum Sprungturm hinaufstieg. Er ging leicht hinkend zum Rand des Sprungbretts und hüpfte ein paarmal auf und ab. Seine Bauchmuskeln spannten sich an, als er Schwung holte. Dann riss er die gebräunten Arme hoch über den Kopf und glitt mit einem perfekten Kopfsprung in das glatte Wasser unter ihm.

Er tauchte durch das ganze Schwimmbecken, wobei kleine Luftblasen seinen Weg markierten. Ich spürte beinahe die Schmetterlinge in meinem nicht länger existierenden Bauch aufsteigen, als ich ihn unter Wasser schwimmen sah. Irgendetwas an Thayer Vega gab mir immer noch das Gefühl, so voller Leben zu sein wie früher, und es dauerte einen Moment lang, bis mir wieder bewusst wurde, dass ich das nicht mehr war.

Laurel presste wütend die Lippen zusammen, als Thayer auftauchte und Emma angrinste. Und mir wurde noch etwas anderes bewusst. Wenn Emma nicht aufpasste, würde sie genauso enden wie ich.

1

Erdlinge bitte nicht füttern

Emma Paxton beugte sich zu dem saturnmäßig umrahmten Spiegel im Tucsoner Planetarium vor und frischte ihren Lipgloss mit Kirschgeschmack auf. Die gesamte, schwach beleuchtete Damentoilette war in Richtung Astronomie gebürstet. Die Kabinen waren mit fluoreszierenden Aufklebern verziert und die Mülleimer hatten die Form von Raketen. Auf einer Tafel über den Waschbecken stand »Willkommen, Erdlinge«. Zwei Comic-Aliens standen über dem W und hatten die Hände zum Gruß erhoben.

Emma holte tief Luft und starrte sich im Spiegel an. »Das ist dein erstes offizielles Date mit Ethan«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. Sie dehnte Ethans Namen und genoss es, ihn auszusprechen. Emma konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob sie schon jemals so verknallt in einen Jungen gewesen war. Sie hatte zwar Verabredungen gehabt, war aber so oft von Pflegefamilie zu Pflegefamilie weitergereicht worden, dass sie nie die Zeit gehabt hatte, sich ernsthaft in jemanden zu verlieben. Aber jetzt war ihr Leben ganz anders. Sie hatte ein neues Zuhause, eine neue Familie und einen neuen, attraktiven Schwarm. Ethan Landry.

Nicht zu vergessen, eine neue Identität, hätte ich am liebsten hinzugefügt, während ich hinter ihr schwebte und sie im Spiegel beobachtete. Wie üblich war von mir nichts zu sehen. So war es, seit ich in Emmas Leben getreten war, als sie noch in Las Vegas wohnte. Praktisch betrachtet war Emma nicht mehr Emma. Sie war ich, Sutton Mercer. Außer meinem Killer wusste nur noch Ethan von ihrer wahren Identität. Der Emma dabei half, herauszufinden, was mit mir passiert war.

Emmas Handy piepte. Eine SMS von Ethan.

Bin da. Habe Karten.

Bin gleich draußen, tippte Emma zurück.

Sie trocknete sich die Hände ab, drückte die Schwingtür auf und spielte mit der freien Hand mit Suttons Medaillon. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie Ethan sah, der auf der anderen Seite des Foyers an einer mit Teppich bespannten, gewölbten Wand lehnte.

Es gefiel ihr, wie breit seine Schultern in seiner grauen Jacke wirkten und wie ihm das Haar in die hellblauen Augen fiel. Seine marineblauen Chucks waren ungebunden, sein jagdgrünes T-Shirt brachte seine muskulöse Brust zur Geltung, und seine Jeans passten wie angegossen. Emma schlängelte sich an den Leuten vorbei, die vor der Kasse anstanden, und klopfte ihm auf die Schulter.

Er drehte sich um. »Oh, hi.«

»Hi«, sagte Emma. Sie war plötzlich befangen. Ihre letzte Begegnung mit Ethan war merkwürdig zu Ende gegangen. Thayer Vega war bei ihr zu Hause aufgetaucht und Emma hatte Ethan nicht als ihren festen Freund vorgestellt. Es war ihr irgendwie grausam vorgekommen, dem Jungen, der Sutton so verzweifelt geliebt hatte, so eindeutig zu zeigen, dass sie nichts für ihn empfand. Emma hatte Ethan später angerufen und ihm ihr Verhalten erklärt. Er hatte Verständnis für sie gehabt. Oder nur gute Miene zum bösen Spiel gemacht?

Aber bevor sie etwas sagen konnte, zog Ethan sie an sich, und ihre Lippen trafen sich zu einem Kuss. Emma seufzte.

Glückspilz, dachte ich. Was hätte ich dafür gegeben, noch einmal einen Jungen küssen zu dürfen, obwohl ich mir dafür eher Thayer ausgesucht hätte. Ich freute mich für Emma, aber gleichzeitig hoffte ich auch, dass all diese Liebeshormone sie nicht von ihrer eigentlichen Aufgabe ablenken würden. Herauszufinden, was zum Henker mit mir passiert war.

»Mir gefällt es hier«, sagte Emma nach dem Kuss und verschränkte ihre Finger mit seinen. »Danke, dass du mich hierhergebracht hast.«

»Danke, dass du gekommen bist.« Ethan zog zwei Karten aus seiner Gesäßtasche. »Der Ort hier passt doch ganz gut für unser erstes richtiges Date, oder? Er erinnert mich daran, wie wir uns kennengelernt haben«, fügte er ein bisschen verlegen hinzu.

Emma wurde rot. Dieser Augenblick gehörte definitiv zu den besten auf ihrer »Ethan ist einfach ein Schatz«-Liste. An dem Abend, an dem sie in Tucson eingetroffen war und Ethan noch nicht gewusst hatte, wer sie war, hatten sie gemeinsam in den Nachthimmel geschaut. Emma hatte ihm gestanden, dass sie den Sternen Namen gegeben hatte, und statt sich über sie lustig zu machen, war Ethan sehr interessiert daran gewesen.

Jetzt ging er in Richtung Eingang voran.

»Bereit?«, fragte er. Sie gingen durch einen kastanienbraun tapezierten Flur auf ein Paar schwere schwarze Vorhänge zu.

Emma lächelte ihm zu und dann tauchten sie in die Dunkelheit ein. Die Luft war kühl und im Raum war es still. Durch die Glasdecke über ihnen sahen sie die winzigen Sterne, die am Nachthimmel strahlten. Einen Moment lang blieb Emma regungslos stehen und verlor sich in den komplexen Mustern der Konstellationen. Der Himmel war so überwältigend riesig. Wenigstens ein paar Atemzüge lang konnte Emma vergessen, wie kompliziert ihr eigenes kleines Leben geworden war. Es war ihr egal, dass sie eine fremde Identität angenommen und ihr eigenes Leben ausgesetzt hatte. Es war egal, dass ihre Schwester ermordet worden war und die Hauptverdächtige im Moment Suttons kleine Schwester Laurel war. Emma hatte geglaubt, Laurel sei am Abend von Suttons Tod auf einer Pyjamaparty bei Nisha Banerjee gewesen, aber sie hatte sich davongeschlichen, um Thayer ins Krankenhaus zu bringen, nachdem er angefahren worden war.

Doch verglichen mit der majestätischen Größe des Universums, war alles, was auf der Erde passierte, bedeutungslos.

»Wir haben noch ein bisschen Zeit, bis der Komet kommt«, sagte Ethan nach einem Blick auf das erleuchtete Ziffernblatt seiner Taucheruhr. »Sollen wir uns so lange die anderen Räume anschauen?«

Zu den Klängen von New-Age-Musik blieben Ethan und Emma vor einer Schauwand mit dem Titel »Schmutzige Schneebälle des Sonnensystems« stehen, auf der gezeigt wurde, wie sich Kometen bilden. Ethan räusperte sich, stolzierte dann zu der Abbildung eines Kometen und dozierte mit Fistelstimme: »Wie Sie sehen, sind Kometen anfangs nur Eis- und Felsklumpen, die übrig bleiben, wenn sich ein Stern oder ein Planet gebildet hat. Wenn die Felsbrocken der Sonne nahe kommen, schmilzt durch die Sonnenhitze ein Teil des Eises. Was sagen Sie dazu, Fräulein?«

Er zog seinen Hosenbund nach oben und rieb sich die Nase. Emma begriff plötzlich, dass er Mr Beardsley, einen Physiklehrer an der Hollier, imitierte. Sie fing an zu lachen. Mr Beardsley war eine Million Jahre alt und sprach nur mit Fistelstimme. Außerdem nannte er alle Mädchen »Fräulein« und alle Jungs »mein Sohn«.

»Du bist gut«, prustete sie. »Aber es fehlt noch was. Du musst dir öfter die Lippen lecken. Und dir in der Nase bohren.«

»Die Vorstellung, dass der Typ in seiner Nase popelt und dann meine Klausuren anfasst …«

»Ekelhaft«, schauderte Emma.

»Ich fände es schön, wenn unsere Lehrer es schaffen würden, den Weltraum interessant darzustellen«, sagte Ethan und schlenderte zur nächsten Schauwand. Konzentriert runzelte er die Stirn und musterte die Fotos. Seine blauen Augen glitten über den Begleittext und er bewegte beim Lesen ganz leicht die Lippen. »Ihr Unterricht ist so trocken und langweilig, dass es kein Wunder ist, dass sich niemand für Astronomie interessiert.«

»Ich weiß genau, was du meinst«, nickte Emma. »Deshalb liebe ich Star Trek – das nächste Jahrhundert so sehr. Die Serie macht den Weltraum so faszinierend, dass man gar nicht merkt, wenn man nebenbei noch etwas lernt.«

Ethans riss die Augen auf. »Du bist ein Trekkie?«

»Schuldig.« Emma senkte den Kopf. Wie peinlich, dass sie ihm etwas so Uncooles gestanden hatte.

Ich schaute mich schnell um. Gott sei Dank war niemand in der Nähe, der mich kannte und Emmas schändliches Geständnis gehört hatte. Ich wollte auf keinen Fall, dass bald das Gerücht herumging, dass Sutton Mercer ein Fan der nerdigsten Fernsehserie der Welt war.

Ethan grinste nur. »Wow. Du bist wirklich das perfekte Mädchen. Ich habe in der siebten Klasse einen Star-Trek-Fanklub gegründet. Ich dachte, wir könnten Marathon-Partys abhalten, uns als unsere Lieblingsfiguren verkleiden und auf Cons gehen. Es wollte niemand eintreten. Das war ein Schock.«

Emma verdrehte die Augen. »Ich wäre sofort dabei gewesen. Ich musste die Serie immer alleine anschauen. Du glaubst gar nicht, wie viele Pflegegeschwister sich deshalb über mich lustig gemacht haben.«

»Ich habe eine Idee«, sagte Ethan. »Wie wäre es mit einem Trekkie-Marathon demnächst? Ich habe alle Staffeln auf DVD.«

»Abgemacht«, sagte Emma und legte den Kopf an Ethans Schulter.

Er blickte auf sie herab und seine Wangen röteten sich. »Besteht die Chance, dass dieser Trekkie dich zum Herbstball begleiten darf?«

»Das ließe sich einrichten«, sagte Emma vorsichtig. Eine Schlagzeile blitzte in ihrem Kopf auf: »Pflegekind wird zum Herbstball eingeladen: Es gibt noch Wunder!« Sie erfand schon seit ihrer Kindheit ständig Schlagzeilen für ihr Leben und dieser Eintrag gehörte definitiv auf die Titelseite.

Es hingen schon eine Weile Poster für den Herbstball in der Schule. Sie kündigten die Band an, die an dem Abend spielen würde, das große Footballspiel vor dem Ball, die Parade und natürlich die Wahl der Herbstkönigin und ihres Königs. Es war ein Ball wie aus einem Film, und Emma hätte nie geglaubt, dass sie einmal an so etwas teilnehmen würde. Vor ihrem inneren Auge sah sie Ethan in einem dunklen Anzug, der sie in den Armen hielt und mit ihr über die Tanzfläche wirbelte. Sie wusste schon genau, welches von Suttons Kleidern sie an dem Abend tragen würde. Ein kurzes türkisfarbenes, das wunderbar zu ihrer hellen Haut und den kastanienbraunen Haaren passte. Sie würde sich wie eine Prinzessin fühlen.

Ich hätte sie am liebsten geschüttelt. Wusste sie denn nicht, dass sich Sutton Mercer für jeden Ball ein neues Kleid kaufte?

Ein kleines Mädchen huschte an Emma vorbei und presste die Hände an die Vitrine vor ihnen. Emma schüttelte ihren Tagtraum ab und konzentrierte sich auf die Ausstellung. Ihr Blick fiel auf das Foto eines schwarzen Lochs, umgeben vom dunkelblauen Weltraum mit glitzernden Sternen. Ein schwarzes Loch ist ein Bereich im Weltraum, aus dem nichts entkommen kann. Nicht einmal Licht, stand neben dem Bild. Emma erschauderte. Sie musste plötzlich an Sutton denken. War sie jetzt dort? Sah so das Leben nach dem Tod aus?

Äh, nicht ganz, dachte ich.

»Alles okay?«, fragte Ethan besorgt. »Du bist auf einmal so blass.«

»Äh, ich brauche frische Luft«, murmelte Emma, der plötzlich schwindelig war.

Ethan nickte und führte sie zum Ausgang, der in einen von einer Hecke eingefassten runden Hof führte. Sechs mit Naturstein gepflasterte Wege waren wie die Speichen eines Rades auf ein Zentrum gerichtet, in dem ein uraltes schwarzes Teleskop stand. Hinter der Hecke befand sich eine schmale Straße und direkt gegenüber ein gemütlich wirkendes Restaurant namens Pedro’s. In den Fenstern standen bunte, mexikanische Tontöpfe und von der Decke hingen Paprikagirlanden.

Emma holte tief Luft. Schuldgefühle brandeten in ihr auf.

»Du denkst an Sutton, stimmt’s?«, fragte Ethan, als habe er ihre Gedanken gelesen.

Emma schaute zu ihm auf. »Vielleicht sollte ich keine Jungs küssen und mich auf Herbstbälle freuen. Schließlich ist meine Schwester tot.«

Ethans Finger schlossen sich um ihre. »Glaubst du nicht, sie würde wollen, dass du glücklich bist?«

Emma schloss die Augen. Hoffentlich hätte Sutton das gewollt. Aber an ihre Schwester zu denken, erinnerte Emma daran, dass sie selbst sich ebenfalls in einem schwarzen Loch befand: Suttons Leben. Wenn sie versuchte, die Identität ihrer Schwester abzuschütteln, würde es sie vielleicht das Leben kosten. Selbst wenn Suttons Mörder gefasst wäre, würde Emma immer noch als Betrügerin dastehen – und was wäre dann? Sie hatte davon geträumt, dass die Familie Mercer sie aufnehmen und Suttons Freundinnen sie mit offenen Armen willkommen heißen würden. Aber wahrscheinlich musste sie eher damit rechnen, dass alle wütend auf sie waren, weil sie sie an der Nase herumgeführt hatte.

»Ich will mit dir zusammen sein«, sagte sie nach einer langen Pause zu Ethan. »Nicht als Sutton. Als Emma. Aber ich habe Angst, dass das nicht möglich sein wird.«

»Natürlich ist das möglich.« Ethan umschloss ihr Gesicht mit den Händen. »All das wird eines Tages vorbei sein. Und was auch passiert, ich werde für dich da sein.«

In Emma stieg eine so überwältigende Dankbarkeit auf, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen. Sie rückte näher zu Ethan und spürte, wie ihre Hüften sich aneinanderpressten. Ihr wurde wieder schwindelig, als sie in seine meerblauen Augen sah und den holzigen Duft seines Aftershaves roch. Ethan beugte sich vor, bis seine Lippen nur noch einen Zentimeter von ihren entfernt waren. Emma wollte ihn gerade küssen, da hörte sie ein Lachen, das sie kannte.

Sie riss den Kopf herum. »Ist das …?« Zwei Personen bekamen gerade einen Tisch auf Pedro’s Außenterrasse zugewiesen. Eine hatte blondes Haar und trug ein grünes Kleid und einen rosa Pulli, der Emma bekannt vorkam. Die andere trug weite Jeans und hinkte. »Laurel und Thayer«, flüsterte Ethan grimmig. Dann zog er eine Grimasse. »Damit haben sich meine Pläne fürs Abendessen wohl erledigt.«

Laurel schüttelte ihr goldenes Haar und hakte sich bei Thayer unter. Die Geste war nachlässig, und einen Augenblick dachte Emma, Laurel habe sie nicht gesehen. Aber dann blickte Laurel über die Straße und schaute Emma direkt an. Der Hauch eines Lächelns erschien auf ihrem Gesicht. Sie wusste nicht nur, dass Emma sie sehen konnte. Sie hatte sich auch nur für ihre große Schwester bei Thayer untergehakt.

Miststück, dachte ich. Laurel war meine Affäre mit Thayer schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Wahrscheinlich hatte sie schon ewig auf diesen Moment gewartet.

Auch Thayer drehte sich um und winkte, als er sie sah. Emma lächelte zurück, aber Ethan drückte nur ihre Hand fester.

Emma schaute ihn an. »Hör mal, ich weiß, dass du ihn nicht magst«, sagte sie leise. »Aber er ist ungefährlich. Er kann Sutton auf keinen Fall umgebracht haben. Er war die ganze Nacht im Krankenhaus, weißt du noch?«

Ethan sah aus, als habe er noch etwas zu dem Thema zu sagen, aber stattdessen seufzte er nur. »Ja«, sagte er widerstrebend. »Du hast wohl recht. Aber was heißt das jetzt genau? Gibt es jemanden, den du gerade verdächtigst?«

Emmas Blick wanderte zu Laurel, die sie über ihre Speisekarte hinweg anstarrte. »Weißt du noch, dass ich dir erzählt habe, Laurel sei am Abend, als Sutton verschwunden ist, bei Nisha gewesen?«

»Ja, bei der Pyjamaparty der Tennismannschaft«, nickte Ethan.

»Das war sie aber nicht. Zumindest nicht die ganze Zeit.«

Ethan zog die Augenbrauen hoch. »Bist du sicher?«

Emma trommelte mit den Fingern auf die gusseiserne Armlehne der Bank, auf die sie sich gesetzt hatten. »Laurel hat Thayer an dem Abend abgeholt, an dem er angefahren wurde. Sie hat ihn ins Krankenhaus gebracht und sie kann unmöglich an zwei Orten gleichzeitig gewesen sein. Und wenn sie in der Sache gelogen hat …«

Ethan beugte sich vor. Seine Augen leuchteten auf.

»Glaubst du, sie hat Thayer im Krankenhaus abgesetzt und ist dann zum Canyon zurückgefahren, um Sutton zu töten?«

»Ich hoffe nicht. Aber ich kann sie nicht ausschließen, solange ich nicht weiß, wo sie wirklich war. Ich muss herausfinden, ob sie zu Nisha zurückgegangen ist oder die ganze Nacht unterwegs war.« Emma zupfte am Saum von Suttons schwarzem Minirock. »Ich habe seit meiner Ankunft wirklich viel Zeit mit Laurel verbracht, aber ich verstehe sie immer noch nicht. Mal ist sie total lieb, und dann verhält sie sich plötzlich, als würde sie mich am liebsten umbringen.«

»Du hast mir selbst gesagt, dass Laurel und Sutton ein … angespanntes Verhältnis hatten.«

Emma nickte. »Ich weiß. Mrs Mercer hat letzte Woche mit mir darüber gesprochen. Sie sagte, Laurel sei schon immer neidisch auf mich gewesen – ich meine, auf Sutton.« Emma schüttelte den Kopf. Je länger sie ihre Schwester verkörperte, desto mehr verwischten sich die Grenzen zwischen ihr und Sutton.

Ethan schaute zu Pedro’s, wo Laurel und Thayer sich ein Körbchen Tortilla-Chips teilten. »Möglich. Aber von außen sah es so aus, als sei Sutton auch auf Laurel neidisch gewesen. Schließlich ist sie die leibliche Tochter der Mercers. Es kam mir immer vor, als fühle sich Sutton ein bisschen … verloren, weil sie adoptiert ist. Ich habe einmal gesehen, wie sie in der Bibliothek ein Buch über Stammbäume gelesen hat. Ihr Gesichtsausdruck …« Ethan zögerte. »Na ja, ich habe Sutton Mercer noch nie so traurig gesehen.«

Auf einmal fühlte ich mich schrecklich verwundbar. Ich konnte mich nicht an diese Szene erinnern, aber seit ich in Las Vegas in Emmas Wohnung zu mir gekommen war, spürte ich einen tiefen, vertrauten Schmerz, der nichts damit zu tun hatte, dass ich tot war. Ich hatte immer gewusst, dass ich adoptiert war, und meine Eltern hatten mir immer wieder versichert, ich sei etwas ganz Besonderes, weil sie sich für mich als Tochter entschieden hatten. Aber die Vorstellung, dass meine leibliche Mom mich nicht gewollt hatte, ließ mich ankerlos dahintreiben und gab mir das Gefühl, dass in meinem Leben etwas fehlte.

Aber wie hatte Ethan, den ich kaum gekannt hatte, so in mich hineinblicken können? War ich etwa so leicht zu durchschauen?

»Laurel hat eben etwas, das Sutton nie gekannt hat – eine leibliche Familie«, sagte Emma leise. Sie wusste genau, wie ihre Zwillingsschwester sich gefühlt haben musste. Als sie fünf Jahre alt gewesen war, hatte Becky, ihre und Suttons leibliche Mutter, sie im Haus einer Freundin gelassen … und war nie zurückgekommen.

Emma seufzte tief. »Laurel wirkt immer so wütend. Sie konnte sich beherrschen, aber nur bis zu dem Moment, als Thayer in Suttons Zimmer auftauchte und Mr Mercer ihn der Polizei auslieferte. Jetzt, da er wieder da ist, wird sie alles tun, um ihn von dem Mädchen fernzuhalten, das er für Sutton hält. Schließlich weiß Laurel, dass er sie liebt.«

»Wie geht der alte Spruch? Leute töten aus drei Gründen – Geld, Liebe oder Rache«, bemerkte Ethan. Er rieb sich die Hände, da eine kalte Brise durch den Hof wehte. »Vielleicht wollte sie ihre Konkurrentin aus dem Weg räumen.«

»Tja, damit hat sie offensichtlich Erfolg gehabt. Die beiden scheinen ein Date zu haben.« Emma schaute wieder über die Straße. Thayer hatte Laurel eine Hand auf die Schulter gelegt und sie schob ihm einen Chip mit Guacamole in den Mund. Dann warf sie erneut einen selbstzufriedenen Blick in Emmas Richtung. Emma fragte sich, was aus Caleb geworden war, Laurels letztem Freund. Wahrscheinlich erinnerte Laurel sich nicht einmal mehr an seinen Namen.

Ich folgte Emmas Blick zu meiner kleinen Schwester. Während Thayer bestellte – seine Haltung war entspannt und natürlich –, starrte Laurel ihn bewundernd an und zupfte an dem hellrosa Pulli herum, der ihren zierlichen Oberkörper umhüllte. Ich kniff die Augen zusammen. Diesen Pulli kannte ich. Er gehörte mir, genau wie Thayer.

Vielleicht hatten meine Mom und Ethan recht, und Laurel wollte wirklich alles, was mir gehörte. Und womöglich hatte sie mich dafür sogar umgebracht.

2

Großmutter, warum hast du so große Augen?

Am folgenden Abend bog Emma in die Straße der Mercers ein und stöhnte bei jedem Tritt aufs Gaspedal auf. »Dieser Schmerz«, grummelte sie. Sie hatte gerade das schlimmste Tennistraining aller Zeiten hinter sich – vor dem eigentlichen Training hatten sie noch fünf Kilometer joggen müssen –, und sie konnte kaum die Beine bewegen. Warum war Sutton bloß kein fernsehsüchtiger Faulpelz gewesen?

Laurel saß auf dem Beifahrersitz, scrollte durch ihr iPhone und ignorierte Emmas Kommentar, obwohl sie ebenfalls Qualen leiden musste.

»Hattest du ein nettes Date mit Thayer gestern Abend?«, fragte Emma schließlich spitz.

Laurel schaute auf und lächelte sie zuckersüß an. »Ehrlich gesagt, ja. Es war wirklich romantisch, und ich glaube, wir gehen auch zusammen zum Herbstball.«

»Und was ist mit Caleb?«

Laurel blinzelte, aus der Fassung gebracht. »Caleb und ich waren nie richtig zusammen«, sagte sie einen Augenblick später.

Emma schniefte. Beim Abschlussball sah das aber anders aus, hätte sie am liebsten gesagt.

»Und was geht dich das überhaupt an?«, blaffte Laurel und schaute wieder auf ihr Handy. »Du hast doch jetzt Ethan.«

Sie sprach seinen Namen so angeekelt aus, dass Emma zusammenzuckte. Suttons Freundinnen schienen Ethan eigentlich ganz gut akzeptiert zu haben. Und Laurel auch. Sie war diejenige gewesen, die ihr geraten hatte, ihren Freundinnen von ihrer Romanze zu erzählen.

War das alles nur Show gewesen? Oder hatte da Laurel, die Mörderin, gesprochen, die Emma damit sagen wollte, dass sie genau wusste, dass ihre falsche Schwester nie etwas für Thayer empfunden hatte?

»Es ist mir auch egal«, sagte Emma knapp. »Ich wollte nur Konversation machen.«

Aber mir war es nicht egal. War Thayer etwa in meine Schwester verliebt? Könnte er mir so etwas antun? Andererseits dachte er ja auch, ich hätte ihn wegen Ethan verlassen. Ach, wenn er nur die Wahrheit wüsste.

Emma bog in die Einfahrt der Mercers ein. Die Sonne ging hinter dem zweistöckigen Haus mit Stuckverzierung unter, bei dessen Anblick Emma der Mund aufgeklappt war, als sie es zum ersten Mal gesehen hatte. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie wirklich hier wohnte. Die orangefarbenen Strahlen ließen Mr Mercers SUV glänzen. Neben ihm stand ein schimmernder schwarzer Cadillac, den Emma noch nie gesehen hatte. Er hatte ein kalifornisches Nummernschild mit der Aufschrift »Foxy70«.

»Wessen Auto ist das?«, fragte Emma und stellte den Motor ab.

Laurel sah sie merkwürdig an. »Äh, Omas?«, antwortete sie genervt.

Emma wurde rot. »Ah, klar. Das wusste ich natürlich. Sie war nur schon so lange nicht mehr hier.« Inzwischen war sie daran gewöhnt, Ich-bin-nicht-Sutton-Schnitzer schnell auszubügeln. Aber besonders elegant konnte sie es immer noch nicht. Außerdem war Oma Mercer noch jemand, den Emma davon überzeugen musste, dass sie wirklich Sutton war.

Laurel stieg bereits aus dem Wagen. »Cool«, sagte sie und warf ihr Haar zurück. »Dad grillt.«

Emma zog die Handbremse an. Sie hatte völlig vergessen, dass Mr Mercers Mom zur fünfundfünfzigsten Geburtstagsparty ihres Sohnes anreisen würde, die Mrs Mercer schon seit Wochen wie eine Verrückte plante. Bislang hatte sie das Catering und eine Band organisiert, die Gästeliste ausgearbeitet, die Sitzplatzverteilung ausgetüftelt und sich um unzählige weitere Details gekümmert. Oma war auch hier, um ihr zu helfen.

Emma atmete tief durch, stieg aus und nahm ihre Tennistasche aus dem Kofferraum. Sie folgte Laurel den Steinpfad entlang, der zum Hintergarten der Mercers führte. Das laute, rauchige Lachen einer Frau stieg in den Abendhimmel, und als Emma um die Ecke bog, sah sie Mr Mercer am Grill stehen, ein Tablett mit Gemüsespießen in der Hand. Neben ihm stand eine gut erhaltene alte Dame mit einem Martiniglas. Sie war genau so, wie Emma sich eine Mercer-Großmutter vorgestellt hatte. Vornehm und elegant.

Auf dem Gesicht der Frau erschien ein kühles Lächeln, als sie die Mädchen sah: »Meine Schätzchen.«

»Hallo, Oma!«, rief Laurel ihr zu.

Die alte Dame kam auf sie zu und schaffte es, dabei nicht einen einzigen Tropfen Alkohol zu verschütten. Sie musterte Laurel von Kopf bis Fuß. »So schön wie immer.« Dann wendete sie sich Emma zu und schloss sie in die Arme. Ihre Perlenkette drückte auf Emmas Schlüsselbein. Überrascht registrierte sie, wie robust sich die zierliche Frau anfühlte.

Emma erwiderte die Umarmung und sog den Duft des Gardenienparfüms ein, das Suttons Großmutter trug. Die alte Dame löste die Umarmung, hielt Emma auf Armesabstand und musterte sie ausgiebig. »Meine Güte«, sagte sie dann kopfschüttelnd. »Ich bin offensichtlich zu lange nicht hier gewesen. Du siehst so … anders aus.«

Emma versuchte, sich nicht zu winden. »Anders« war nicht gerade das Wort, das sie sich gewünscht hatte.

Suttons Oma kniff die Augen zusammen. »Liegt es an deinem Haar?« Sie legte sich einen knochigen, perfekt manikürten Finger an die Lippen. »Wieso hängt dir denn der Pony in die Augen? Siehst du überhaupt noch was?«

»So trägt man heute eben Pony«, sagte Emma und strich sich die Haare zur Seite. Sie hatte die Fransen wachsen lassen, weil auch Suttons Pony so lang gewesen war, aber insgeheim stimmte sie Suttons Großmutter zu.

Die rümpfte die Nase, anscheinend nicht zufrieden. »Wir beide müssen uns mal unterhalten«, sagte sie scharf. »Ich habe gehört, du machst deinen Eltern immer noch Ärger?«

»Ärger?«, quiekte Emma.

Mrs Mercer senior kniff die Lippen zusammen. »Ladendiebstahl in einer Boutique? Und das ist noch gar nicht lange her.«

Emmas Mund wurde trocken. Sie hatte tatsächlich eine Handtasche geklaut, aber nur, um sich Zugang zu Suttons Polizeiakte zu verschaffen. Quinlan, der zuständige Polizeibeamte, hatte eine riesige Aktenmappe, in der eine Menge der Streiche aufgeführt waren, die Sutton mit dem Lügenspielclub veranstaltet hatte.

Während meine Oma Emma streng anschaute, stieg eine Erinnerung in mir auf: Ich saß in meinem Zimmer und wollte gerade Tennis-Fotos auf Facebook hochladen, als ich aus dem Wohnzimmer Stimmen hörte. Mit der Kamera in der Hand, schlich ich mich zur Treppe und lauschte. Es hörte sich an, als stritten mein Dad und meine Oma. Aber worüber? Leider fiel mir in diesem Moment meine brandneue Kamera aus der Hand und landete polternd auf der obersten Stufe. »Sutton?«, sagte mein Dad. Er kam mit Oma zur Treppe, bevor ich abhauen konnte. Die beiden hatten mich genauso angestarrt, wie Oma Emma gerade im Visier hatte.

»Wir haben das hinter uns gelassen«, sagte Mr Mercer und wendete die Steaks auf dem Grill. Er trug eine schwarze Kochschürze, auf der eine Klapperschlange abgebildet war. Sein ergrauendes Haar war aus der Stirn gekämmt. »Seitdem benimmt sich Sutton wirklich vorbildlich. Sie hat die Bestnote in ihrem Französischtest bekommen und auch in Englisch und Geschichte gute Noten nach Hause gebracht.«

»Ihr lasst ihr zu viel durchgehen«, blaffte Oma Mercer. »Habt ihr sie überhaupt bestraft?«

Mr Mercer schien ein bisschen in sich zusammenzusinken. »Na ja, schon. Sie hat Hausarrest bekommen.«

Oma Mercer schnaubte. »Und wie lange ging der? Einen Tag?«

Mr Mercer hatte den Arrest tatsächlich früher aufgehoben als angedroht.

Alle schwiegen verlegen und ein paar endlose Augenblicke lang hörte man nur das Brutzeln des Grills und den Gesang der Vögel. Emma schaute Oma Mercer an, die wiederum ihren Sohn anstarrte. Es war merkwürdig, mitanzusehen, wie jemand Mr Mercer herumkommandierte.

Schließlich räusperte sich Mr Mercer. »Okay, Mädels. Hühnchen oder Steak?«

»Hühnchen, bitte«, sagte Emma dankbar. Das Thema war ihr alles andere als angenehm gewesen. Sie setzte sich neben Laurel auf einen der grünen Gartenstühle, die den gläsernen Tisch umstanden.

Die Verandatür ging auf und Drake, die riesige Dänische Dogge der Mercers, stürmte heraus. Wie üblich ging er sofort zu Emma – es war, als spüre er, dass sie Angst vor Hunden hatte. Es schien fast, als wolle er sie dazu bringen, ihn zu mögen. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und ließ ihn daran lecken. Sie war einmal von einem Chow-Chow gebissen worden und seither nie mehr mit Hunden warm geworden, aber allmählich gewöhnte sie sich an das riesige Tier.

Als Nächstes kam Mrs Mercer aus dem Haus, ein blau kariertes Tischtuch in der einen und ihren ununterbrochen klingelnden BlackBerry in der anderen Hand. Ihre Miene war angespannt, aber als sie ihre Töchter am Tisch sitzen sah, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sogar wenn Mrs Mercer gestresst war, wurde ihre Stimmung sofort besser, wenn sie Emma und Laurel sah. Das war eine neue Erfahrung für Emma. Die Elternfiguren in ihrem Leben hatten sie immer nur so verkniffen angesehen, als dächten sie dabei an ihren nächsten Scheck mit der Aufwandsentschädigung.

»Hallo, Mädels. Wie war das Training?« Mrs Mercer breitete das karierte Tuch auf der Glasplatte aus.

»Mörderisch.« Laurel schnappte sich ein Stück Karotte von dem Gemüseteller beim Grill und biss krachend hinein.

Emma verzog bei Laurels Wortwahl das Gesicht, zwang sich aber, müde zu lächeln. »Wir mussten tierisch lange joggen«, erklärte sie.

»Zusätzlich zum Tennistraining?« Mrs Mercer drückte tröstend Emmas Schulter. »Ihr müsst völlig erschöpft sein.«

Emma nickte. »Heute Abend muss ich auf jeden Fall heiß duschen.«

»Ich auch«, sagte Laurel gereizt. »Also verbrauch nicht wieder das ganze heiße Wasser.«

Emma wollte gerade den Mund öffnen und Laurel versichern, dass sie bestimmt keine halbe Stunde unter der Dusche bleiben würde, aber dann wurde ihr klar, dass Sutton das wahrscheinlich häufig tat. Sie hatte eine weitere Liste begonnen, die »Unterschiede zwischen mir und Sutton« hieß. Es half ihr dabei, sich daran zu erinnern, wer sie eigentlich war. Bei ihrer Ankunft in Tucson hatte sie nur eine kleine Reisetasche dabeigehabt, die ihr kurz darauf geklaut worden war. Ihre restlichen Besitztümer – ihre Gitarre, ihre Ersparnisse und Socktopus, ihr Lieblingsstofftier – befanden sich in einem Schließfach auf dem Busbahnhof von Las Vegas. Inzwischen kam es ihr so vor, als habe sie ihre Identität in diesem Schließfach zurückgelassen. Der einzige Mensch aus ihrem alten Leben, mit dem sie noch in Kontakt stand, war ihre beste Freundin Alex Stokes, mit der sie seit ihrer Ankunft in Tucson kaum geredet hatte. Alex glaubte, dass Emma glücklich mit Sutton bei den Mercers lebte. Die Wahrheit konnte Emma ihr nicht sagen und all die Lügen ließen die Distanz zwischen ihnen mittlerweile unüberwindlich erscheinen.

Mr Mercer erschien am Tisch und stellte fünf Grillteller ab. »Hühnchen für meine Mädels, Steak für mich und Mutter – medium – und gut durch für meine schöne Frau.« Er schob Mrs Mercer eine Haarsträhne aus dem Gesicht und küsste sie auf die Wange.

Emma lächelte. Es war schön zu sehen, dass zwei Menschen, die schon seit Jahrzehnten verheiratet waren, sich immer noch so gut verstanden. Sie hatte nur selten Pflegefamilien erlebt, in denen beide Elternteile zusammenlebten, geschweige denn sich liebten.

Jetzt, da ich tot war, fiel es mir auch auf – meine Eltern liebten sich wirklich. Sie beendeten die Sätze des anderen. Sie gingen liebevoll und freundlich miteinander um. Das hatte ich nie zu schätzen gewusst, solange ich noch gelebt hatte.

Oma Mercer richtete ihre stahlblauen Augen auf Mr Mercer. »Du siehst dünn aus, mein Schatz. Isst du auch genug?«

Mr Mercer schmunzelte. »Ehrlich? Mein Waschbrettbauch ist doch längst Vergangenheit.«

»Er isst mehr als genug, glaub mir«, sagte Mrs Mercer. »Du solltest mal unsere Supermarktrechnungen sehen.« Dann klingelte ihr BlackBerry und sie schaute stirnrunzelnd aufs Display. »Ich glaub’s nicht. Die Party ist am Freitag, und die Floristin sagt mir erst jetzt, dass sie die Kakteen für die Tischdeko nicht auftreiben kann. Es war mir wirklich wichtig, dass alle Blumen und Pflanzen aus Arizona stammen, aber wenn diese Frau ihren Job nicht macht, muss ich doch ein paar Liliensträuße dazustellen.«

Emma lachte gutmütig. »Oh, Mom. Das ist ja eine Tragödie!«

Suttons Großmutter kniff ihre klaren blauen Augen zusammen und sagte streng und warnend: »Tonfall, junge Dame.« Ihre Stimme war rasiermesserscharf.

Emmas Wangen brannten. »Das war nur Spaß«, sagte sie leise.

»Das bezweifle ich«, sagte Oma Mercer und spießte ein Stück Steak auf. Wieder senkte sich verlegenes Schweigen über den Tisch. Mr Mercer tupfte sich den Mund mit seiner Serviette ab und Mrs Mercer spielte mit ihrem Chanel-Armband. Emma fragte sich, welchen Subtext sie wohl gerade nicht mitbekam. Ich durchsuchte meine bruchstückhaften Erinnerungen nach einer Antwort, fand aber keine Erklärung. Jedenfalls hatte Oma mich ganz offensichtlich auf dem Kieker.

Mrs Mercer schaute auf den Tisch und schloss dann die Augen. »Ich habe den Wasserkrug und die Gläser vergessen. Mädels, könntet ihr kurz reingehen und sie holen?«