Pretty Little Liars - Teuflisch - Sara Shepard - E-Book
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Pretty Little Liars - Teuflisch E-Book

Sara Shepard

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Beschreibung

Alis Mörder sitzt hinter Gittern und die Identität von A. ist aufgeklärt: Endlich sind Hanna, Spencer, Aria und Emily sicher! Doch das bedeutet noch lange keinen Frieden in Rosewood: Zickenkrieg, Familiengeheimnisse und verbotene Dates halten die Freundinnen auf Trab. Dann die Katastrophe: A.s Mörder wird freigesprochen. Und sie sind wieder da: Die bedrohlichen SMS. Kein Zweifel – A. ist zurück …

Ein fesselnde Pagteturner mit Kultstatus - bei den "Pretty Little Liars" ist Suchtgefahr garantiert! Diese Reihe bietet eine unwiderstehliche Mischung für Fans von jeder Menge Glamour und tödlichen Intrigen.

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Seitenzahl: 424

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DIE AUTORIN

Sara Shepard hat an der New York University studiert und am Brooklyn College ihren Magisterabschluss im Fach Kreatives Schreiben gemacht. Sie wuchs in einem Vorort von Philadelphia auf, wo sie auch heute lebt. Ihre Zeit dort hat die »Pretty Little Liars«-Serie inspiriert, die in 22 Länder verkauft wurde. Inzwischen wird die Bestsellerserie mit großem Erfolg als TV-Serie bei ABC ausgestrahlt. Die Bücher haben sich in den USA inzwischen über 3 Millionen Mal verkauft.

Sara Shepard

Teuflisch

Pretty Little Liars

Aus dem Amerikanischenvon Violeta Topalova

cbt

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Wicked – A Pretty Little Liars Novel« bei Harper Teen, an imprint of Harper Collins Publishers, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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cbt ist der Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe Neumarkter Str. 28, 81673 München

© 2009 by Alloy Entertainment and Sara Shepard

Published by arrangement with Rights People, London

© 2012 für die deutschsprachige Ausgabe cbt Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Übersetzung: Violeta Topalova

Lektorat: Annett Stütze

Covergestaltung: Schüler

Covermotiv: Shutterstock.com (ViChizh, Irina Bg, Pavlo Baliukh, Ysbrand Cosijn)

he · Herstellung: AnG

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-06722-9 V004

www.penguinrandomhouse.de

Inhalt
Neugierig, neugierig …
Kapitel 1 - Tot und Begraben
Kapitel 2 - Familienbande
Kapitel 3 - Arias Debüt als Kunstkennerin
Kapitel 4 - Klassenletzte
Kapitel 5 - Wachablösung
Kapitel 6 - Emilys wundersame Erweckung
Kapitel 7 - Familienglück im Kreis der Hastings
Kapitel 8 - Ist Internet-Dating nicht wundervoll?
Kapitel 9 - Es ist keine Paranoia, wenn er wirklich hinter dir her ist
Kapitel 10 - Blut ist dicker als Wasser – wenn du wirklich zur Familie gehörst
Kapitel 11 - Wenn du sie nicht besiegen kannst, verbünde dich mit ihr
Kapitel 12 - Alles eine Frage der Perspektive
Kapitel 13 - Merkwürdige Chemie am Chemistry Hill
Kapitel 14 - Viva la Hanna!
Kapitel 15 - Sogar Bibliotheken sind nicht mehr sicher
Kapitel 16 - Schräge Tussi gesucht
Kapitel 17 - Wer beliebt sein will, muss Opfer bringen
Kapitel 18 - Die Ein-Personen-Jury
Kapitel 19 - Glückskekse geben immer miese Zukunftsprognosen
Kapitel 20 - Auf Vaterfiguren ist auch kein Verlass mehr
Kapitel 21 - Spencer hält den Atem an
Kapitel 22 - Schon wieder ein Déjà-vu
Kapitel 23 - Der leiseste Gerichtssaal der Main Line
Kapitel 24 - Et tu, Kate?
Kapitel 25 - Coming-Out im Gästeklo
Kapitel 26 - Jedes Töpfchen hat ein Deckelchen – sogar Spencer
Kapitel 27 - Hanna Marin, die Schönste im Lande
Kapitel 28 - Nicht gesellschaftsfähiger Künstler? Das war gestern!
Kapitel 29 - Die ganze erbärmliche Wahrheit
Kapitel 30 - Schwachheit, dein Name ist Weib!
Kapitel 31 - Jeder ist Verdächtig
Kapitel 32 - Klappe halten … sonst setzt es was
Kapitel 33 - Einer wusste zu viel
Was als nächstes passiert …
Danksagung

Für Colleen, Kristen, Greg, Ryan und Brian

Die Sonne scheint auch den Bösen.

Seneca

Neugierig, neugierig …

Wäre es nicht wunderbar, wenn wir genau wüssten, was andere Menschen denken? Wenn die Köpfe aller Menschen so transparent wären wie Marc-Jacobs-Plastiktaschen, und ihre Gedanken darin so sichtbar wie ein Bund Autoschlüssel oder eine Tube Hard-Candy-Lipgloss? Du wüsstest, was die Casting-Direktorin der Schule wirklich gedacht hat, als sie nach deinem Vorsingen für South Pacific sagte: »Nicht schlecht.« Oder, dass dein niedlicher Partner beim gemischten Doppel deinen Hintern in deinem Lacoste-Tennisrock knackig findet. Und besonders gut wäre, dass du nicht mehr darüber nachgrübeln müsstest, ob deine beste Freundin auf dich sauer ist, weil du sie bei der Silvesterparty für den süßen Zwölftklässler mit den Lachfältchen stehen gelassen hast. Nach einem Blick in ihren Kopf wüsstest du es.

Leider sind die Köpfe der Menschen hermetischer abgeriegelt als das Pentagon. Manchmal geben die Leute Hinweise darauf, was sich darin abspielt – wie zum Beispiel die Grimasse der Casting-Direktorin, als du das hohe B nicht geschafft hast, oder die Tatsache, dass deine beste Freundin alle SMS ignoriert hat, die du ihr am ersten Januar geschrieben hast. Aber meistens werden die wichtigsten Hinweise gar nicht bemerkt. Vor vier Jahren hatte ein gewisser Goldjunge aus Rosewood beispielsweise überdeutlich angedeutet, dass sich in seinem verdorbenen kleinen Kopf etwas Scheußliches abspielte. Aber niemand zuckte mit der Wimper.

Hätte auch nur einer richtig zugehört, wäre ein gewisses schönes junges Mädchen heute womöglich noch am Leben.

 

Die Fahrradständer vor der Rosewood Day waren überfüllt. Dort sammelten sich grellbunte Einundzwanzig-Gang-Räder, ein in streng limitierter Auflage produziertes Trek-Bike, das Noel Kahns Vater direkt von Lance Armstrongs Pressesprecher bekommen hatte, und ein blitzblank polierter, bonbonrosaroter Razor-Motorroller. Ein paar Sekunden nach dem letzten Läuten strömten die Sechstklässler in den Hof, ein kraushaariges Mädchen stolperte linkisch zu dem Ständer, gab dem Roller einen liebevollen Klaps und löste das grellgelbe Kryptonite-Bügelschloss vom Lenker.

Da fiel ihr Blick auf einen Flyer an der Steinmauer. »Mädels«, rief sie ihren drei Freundinnen zu, die am Brunnen standen. »Kommt mal her.«

»Was ist, Mona?« Phi Templeton war damit beschäftigt, die Schnur ihres neuen Jojos in Schmetterlingsform zu entwirren. Mona Vanderwaal deutete auf das Blatt Papier.

»Schaut mal!«

Chassey Bledsoe schob ihre violette Brille auf ihrem Nasenrücken hoch. »Wow!«

Jenna Cavanaugh knabberte an einem babyrosa lackierten Fingernagel. »Das ist ja irre«, sagte sie mit ihrer süßen, hohen Stimme.

Ein Windstoß wirbelte ein paar Blätter von einem sorgfältig zusammengeharkten Haufen auf. Es war Mitte September, ein paar Wochen nach Beginn des Schuljahres, und es war eindeutig Herbst geworden. Jedes Jahr fuhren Touristen von der gesamten Ostküste nach Rosewood in Pennsylvania, um sich die leuchtend roten, gelben, orangefarbenen und purpurnen Herbstbäume anzusehen. Es war, als läge hier irgendetwas in der Luft, was die Blätter besonders prächtig färbte. Auch alles andere in Rosewood wirkte um diese Zeit besonders prächtig. Golden Retriever mit glänzendem Fell, die sich in den gepflegten Hundeparks der Stadt tummelten. Rotwangige Babys, die sich in ihre Burberry-MacLaren-Buggys kuschelten. Und durchtrainierte, strahlende Fußballspieler, die über die Trainingsplätze von Rosewood Day, der nobelsten Privatschule der Stadt, rannten.

Aria Montgomery beobachtete Mona und die anderen von ihrem Lieblingsplatz auf der niedrigen Steinmauer aus, die die Schule umgab. Ihr Moleskin-Tagebuch lag aufgeschlagen auf ihrem Schoß. Aria hatte in der letzten Stunde Kunst, und ihre Lehrerin Mrs Cross erlaubte ihr immer, über das Schulgelände zu streifen und alles zu skizzieren, was sie interessierte. Mrs Cross nannte als Grund, dass Aria eine so herausragende Künstlerin war, aber Aria hatte eher den Verdacht, dass sie ihrer Lehrerin unheimlich war. Schließlich war sie die Einzige, die während der Dia-Vorträge im Kunstunterricht nicht mit ihren Freundinnen tratschte und auch nicht mit Jungs flirtete, während die Klasse Stillleben in Pastellkreide malen sollte. Aria hätte selbst auch gern Freundinnen gehabt, aber Mrs Cross musste sie ja deshalb nicht gleich aus dem Klassenzimmer verbannen.

Scott Chin, der ebenfalls in der sechsten Klasse war, sah den Flyer als nächstes. »Cool.« Er drehte sich zu seiner Freundin Hanna Marin um, die an dem brandneuen Armband aus Sterlingsilber herumfummelte, das ihr Vater ihr gerade als »Es tut mir leid, dass Mom und ich schon wieder streiten«-Geschenk gegeben hatte. »Han, schau!« Er stieß Hanna mit dem Ellbogen an.

»Lass das«, schnappte Hanna und wich zurück. Obwohl sie beinahe sicher war, dass Scott schwul war – er schaute sich Hannas Teen Vogue mit noch mehr Begeisterung an als sie –, konnte sie es nicht ausstehen, wenn er ihren teigigen, wabbeligen Bauch berührte. Sie schaute auf den Flyer und zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Aha.«

Spencer Hastings lief mit Kristen Cullen vorbei, sie redeten über die Feldhockey-Jugendliga. Sie prallten beinahe mit der schrägen Mona Vanderwaal zusammen, deren Roller den Weg blockierte. Dann bemerkte Spencer den Flyer. Ihr Mund klappte auf. »Morgen schon?«

Emily Fields hätte den Flyer beinahe übersehen, aber Gemma Curran, ihre beste Freundin aus dem Schwimmteam, bemerkte ihn.

»Em!«, schrie sie und deutete auf das Blatt.

Emilys Blick huschte über die Schlagzeile. Vor Aufregung lief ihr ein Schauer über den Rücken.

Inzwischen standen fast alle Sechstklässler der Rosewood Day um die Fahrradständer herum und starrten auf das Blatt Papier. Aria glitt von der Mauer und studierte die großen Blockbuchstaben mit zusammengekniffenen Augen.

Morgen beginnt die Jagd nach der Zeitkapsel-Flagge!, stand dort. Macht euch bereit! Dies ist eure Chance, unsterblich zu werden!

Die Zeichenkohle rutschte ihr aus den Fingern. Die Zeitkapsel war seit 1899, dem Jahr, in dem Rosewood Day gegründet worden war, eine Schultradition. Schüler durften erst ab der sechsten Klasse mitmachen, also war die Teilnahme ein so wichtiger Initiationsritus wie der erste Victoria’s-Secret-BH (oder für Jungs der erste Victoria’s-Secret-Katalog). Alle kannten die Spielregeln: Ältere Brüder und Schwestern hatten sie weitergegeben, sie wurden in MySpace-Blogs erklärt und auf die Seiten von Schulbüchern gekritzelt: Jedes Jahr zerschnitt die Schulleitung eine Flagge von Rosewood Day und ließ die Stücke von speziell ausgewählten älteren Schülern irgendwo in Rosewood verstecken. Kryptische Hinweise, die zu den einzelnen Stücken führten, wurden in der Eingangshalle der Schule aufgehängt. Wer ein Stück fand, wurde vor versammelter Schule geehrt und durfte das Stück verzieren, wie er wollte. Die einzelnen Stücke wurden am Ende wieder zusammengenäht und in einer Zeitkapsel hinter dem Fußballplatz vergraben. Es versteht sich von selbst, dass es eine ganz große Sache war, ein Stück dieser Flagge zu finden.

»Machst du mit?«, fragte Gemma Emily und zog den Reißverschluss ihres Parkas bis unters Kinn.

»Wahrscheinlich schon«, kicherte Emily nervös. »Aber glaubst du, wir haben überhaupt eine Chance? Ich habe gehört, dass die Hinweise in der Highschool versteckt werden. Da war ich erst zweimal drin.«

Hanna dachte exakt das Gleiche. Sie war noch kein einziges Mal in der Highschool gewesen. Alles an der Highschool schüchterte sie ein – besonders die schönen Mädchen dort. Wenn Hanna mit ihrer Mom zu Saks in die King James Mall ging, standen am Make-up-Tresen unweigerlich ein paar Cheerleader aus der Rosewood-Day-Highschool. Hanna versteckte sich dann immer hinter einem Kleiderständer und beobachtete sie heimlich. Sie bewunderte, wie sich ihre tief sitzenden Jeans perfekt an ihre Hüften schmiegten, wie ihre Haare ihnen glatt und glänzend über den Rücken fielen und wie zart und rein ihre Pfirsichhaut sogar ohne Make-up wirkte. Jeden Abend vor dem Einschlafen betete Hanna darum, am nächsten Morgen als schöne Cheerleaderin der Rosewood Day aufzuwachen, aber jeden Morgen sah sie dieselbe alte Hanna in ihrem herzförmigen Spiegel. Kackbraunes Haar, picklige Haut und Arme wie Knackwürste.

»Aber immerhin kennst du Melissa«, murmelte Kirsten Cullen in Richtung Spencer. Sie hatte Emilys Worte ebenfalls gehört. »Vielleicht hat sie ja ein Stück Flagge versteckt.«

Spencer schüttelte den Kopf. »Das hätte ich auf jeden Fall mitbekommen.« Zu den Auserwählten zu gehören, die ein Stück der Flagge verstecken durften, war eine ebenso große Ehre, wie ein Stück zu finden. Melissa, Spencers große Schwester, gab ständig mit ihren Leistungen an der Rosewood Day an – besonders wenn die Familie Star Power spielte, ein Spiel, bei dem alle am Abendbrottisch der Reihe nach berichteten, was sie an diesem Tag Außerordentliches vollbracht hatten.

Die schweren Flügeltüren der Schule öffneten sich und die letzten Sechstklässler kamen heraus, darunter auch ein paar Kids, die aussahen, als seien sie den Seiten eines J.-Crew-Kataloges entsprungen. Aria kehrte auf ihren Mauerplatz zurück und tat so, als sei sie mit Skizzieren beschäftigt. Sie wollte jeglichen Augenkontakt mit dieser Gruppe vermeiden – vor ein paar Tagen hatte Naomi Zeigler ihren Blick bemerkt und gegiftet: »Was ist? Bist du verknallt in uns?« Schließlich waren diese Kids die Elite der sechsten Klasse – oder, wie Aria sie nannte, die Typischen Rosewoods.

Ausnahmslos alle Typischen Rosewoods wohnten in umzäunten Herrenhäusern, auf riesigen Anwesen oder in luxuriös renovierten ehemaligen Scheunen mit Pferdeställen und Garagen für zehn Autos. Sie waren alle gleich: Die Jungs spielten Fußball und hatten raspelkurze Haare; die Mädchen lachten alle gleich, trugen farblich aufeinander abgestimmten Lipgloss und hatten Logo-Taschen von Dooney & Burke über der Schulter. Wenn Aria die Augen zusammenkniff konnte sie nicht sagen, wer nun wer war.

Mit Ausnahme von Alison DiLaurentis. Ali war immer absolut unverwechselbar.

Und jetzt ging Alison an der Spitze der Gruppe den gepflasterten Weg entlang. Ihr blondes Haar wehte hinter ihr her, die saphirblauen Augen leuchteten, ihre Knöchel schwebten traumhaft sicher über 7-Zentimeter-Plateausohlen. Naomi Zeigler und Riley Wolfe, ihre engsten Freundinnen, folgten direkt hinter ihr und ließen sie nicht aus den Augen. Seit Ali in der dritten Klasse nach Rosewood gezogen war, behandelten sie alle wie eine Königin.

Ali blieb bei Emily und den anderen Schwimmern stehen. Emily fürchtete, Ali werde sie – wieder einmal – wegen ihres trockenen, vom Chlor zu einem grünlichen Farbton gebleichten Haares aufziehen, aber diesmal galt Alis Aufmerksamkeit etwas anderem. Ein süffisantes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie den Flyer las. Mit einer schnellen Handbewegung riss sie das Blatt ab, wirbelte herum und baute sich vor ihren Freundinnen auf.

»Mein Bruder versteckt ein Stück der Flagge«, sagte sie so laut, dass der ganze Hof es mitbekam. »Er hat mir versprochen, dass er mir sagt, wo es ist.«

Gemurmel erhob sich. Hanna nickte voller Ehrfurcht – sie bewunderte Ali noch mehr als die älteren Cheerleader. Spencer dagegen schäumte vor Wut. Alis Bruder durfte ihr doch nicht verraten, wo er sein Flaggenstück versteckt hatte. Das war Betrug!

Mit grimmiger Konzentration zog Aria ihre Zeichenkohle über das Papier, die Augen auf Alis herzförmiges Gesicht geheftet. Und Emily kitzelte Alis dezentes Vanilleparfum in der Nase – der Duft war so himmlisch als stünde man im Eingang einer Bäckerei.

Die älteren Schüler schritten die majestätische Steintreppe der Schule zum Schulhof hinab und unterbrachen Alis großartige Ankündigung. Große, hochmütige Mädchen und ordentlich gekleidete, attraktive Jungs schlenderten an den Sechstklässlern vorbei und gingen in Richtung Schülerparkplatz zu ihren Autos. Ali beobachtete sie kühl und fächelte sich mit dem Zeitkapsel-Flyer Luft zu. Ein paar mausige Zehntklässlerinnen, über deren Kragen weiße iPod-Kopfhörer baumelten, wirkten sichtlich eingeschüchtert, als sie ihre Zehngangräder aufschlossen. Naomi und Riley schauten sie naserümpfend an.

Dann bemerkte ein großer, blonder Elftklässler Ali und blieb bei ihr stehen.

»Was geht, Al?«

»Nichts.« Ali schürzte die Lippen und richtete sich kerzengerade auf. »Was geht bei dir, Eee?«

Scott Chin stieß Hanna den Ellbogen in die Seite, und Hanna errötete. Mit seinem gebräunten, ebenmäßigen Gesicht, dem lockigen blonden Haar und den wunderschönen, seelenvollen, haselnussbraunen Augen nahm Ian Thomas – Eee – den zweiten Platz auf Hannas Liste superscharfer Typen ein, knapp hinter Sean Ackard, in den sie verknallt war, seit sie in der dritten Klasse im gleichen Kickball-Team gespielt hatten. Es war unklar, woher Ian und Ali sich kannten, aber Gerüchten zufolge luden die älteren Schüler Ali zu ihren exklusiven Partys ein, obwohl sie viel jünger war als sie.

Ian lehnte sich gegen den Fahrradständer. »Hast du gerade gesagt, du wüsstest, wo ein Stück der Zeitkapsel-Flagge versteckt ist?«

Alis Wangen röteten sich. »Wieso? Ist da jemand neidisch?« Sie warf ihm ein freches Lächeln zu.

Ian schüttelte den Kopf. »Ich würde das an deiner Stelle nicht so laut ausposaunen, sonst versucht noch jemand, dein Stück zu klauen. Das gehört schließlich auch zum Spiel.«

Ali lachte, als wäre diese Vorstellung komplett idiotisch, aber zwischen ihren Augen erschien eine Falte. Ian hatte recht – die Flagge eines anderen Schülers zu klauen war vollkommen legal und das stand sogar in dem offiziellen Zeitkapsel-Regelbuch, das Rektor Appleton in einer verschlossenen Schublade seines Schreibtisches aufbewahrte. Letztes Jahr hatte ein Emo aus der Neunten das Stück eines Zwölftklässlers geklaut, das aus dessen Sporttasche baumelte. Vor zwei Jahren hatte sich eine Achtklässlerin aus dem Schulorchester in das Tanzstudio der Schule geschlichen und zwei schönen, dünnen Ballerinas ihre Stücke geklaut. Die Klau-Klausel, wie sie genannt wurde, diente der Chancengleichheit. Wenn man nicht schlau genug war, einen der Hinweise zu entschlüsseln, die zu den Fahnenstücken führten, war man möglicherweise doch gerissen genug, einem anderen Schüler sein Stück zu entwenden.

Spencer betrachtete Alis beunruhigten Gesichtsausdruck, und ein Gedanke nahm in ihrem Kopf Form an. Ich sollte Ali ihr Flaggenstück klauen. Höchstwahrscheinlich würden alle anderen Sechstklässler Ali ihr Stück seelenruhig auf höchst unfaire Weise finden lassen, weil niemand wagte, es ihr wegzunehmen. Spencer hatte genug davon, dass Ali alles auf einem silbernen Tablett serviert bekam.

Derselbe Gedanke formte sich auch in Emilys Kopf. Was wäre, wenn ich Ali die Flagge klauen würde, dachte sie und erschauerte unter einem ihr unbekannten Gefühl. Was würde sie zu Ali sagen, wenn sie von ihr erwischt würde?

Könnte ich es schaffen, Ali die Flagge zu klauen? Hanna kaute auf einem bereits sehr kurzen Fingernagel herum. Würde Ali sie dann in ihren Kreis der Auserwählten aufnehmen?

Es wäre so cool, wenn ich Ali die Flagge klauen könnte, dachte auch Aria, die immer noch eifrig zeichnete. Eine Typische Rosewood vom Thron gestoßen – und das von jemandem wie ihr!

Die arme Ali müsste sich ein anderes Stück suchen und dafür tatsächlich die Hinweise entschlüsseln und ihr Gehirn anstrengen.

»Ich mache mir da keine Sorgen«, brach Ali das Schweigen. »Niemand wird es wagen, mir mein Stück zu klauen. Sobald ich es habe, werde ich es die ganze Zeit am Körper tragen.« Sie zwinkerte Ian verführerisch zu, zupfte an ihrem Rock und fügte hinzu: »Um an mein Stück zu kommen, müsste man mich umbringen.«

Ian beugte sich vor. »Na, wenn es sein muss …«

Ein Muskel unter Alis Auge zuckte, und sie wurde bleich. Naomi Zeiglers Lächeln erstarb. Ians Miene war zu einer schrecklichen Grimasse verzogen, aber dann breitete sich ein unwiderstehliches Ich-hab-doch-nur-Spaß-gemacht-Lächeln auf seinem Gesicht aus.

Jemand hustete, und Ian und Ali schauten in die Richtung. Alis Bruder Jason kam die Treppe herunter und ging direkt auf Ian zu. »Was hast du da gerade gesagt?« Jason blieb weniger als einen Meter vor Ian stehen. Ein Windstoß blies ihm ein paar goldene Haarsträhnen ins Gesicht.

Ian wippte auf seinen schwarzen Vans auf und ab. »Nichts. Wir haben nur rumgealbert.«

Jasons Augen verdunkelten sich. »Bist du dir da sicher?«

»Jason«, zischte Ali empört. Sie stellte sich zwischen die Jungs. »Was ist denn los mit dir?«

Jason starrte wütend Ali an, den Flyer in ihrer Hand und dann Ian. Die anderen Schüler tauschten verwirrte Blicke, da sie sich unsicher waren, ob das eine Blödelei unter Freunden oder etwas Ernsteres war. Ian und Jason waren gleich alt und spielten beide in der Auswahlmannschaft Fußball. Vielleicht war das ein Schwanzvergleich, weil Ian gestern Jason im Spiel gegen die Pritchard Prep ein Tor versaut hatte. Als Ian nicht antwortete, ließ Jason die Arme sinken. »Okay, von mir aus.« Er wirbelte herum, stürmte zu einem alten, schwarzen Wagen, der auf den Busparkplatz gefahren war und stieg auf der Beifahrerseite ein. »Fahr einfach los«, sagte er zum Fahrer und knallte die Autotür zu. Das Auto erwachte stotternd zum Leben, stieß eine Wolke stinkender Abgase aus und fuhr mit quietschenden Reifen los. Achselzuckend schlenderte Ian weiter, ein triumphierendes Grinsen auf dem Gesicht.

Ali fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Einen Augenblick lang verrutschte ihre Miene etwas, als habe sie die Kontrolle verloren. Aber das dauerte nur einen Sekundenbruchteil, dann war wieder alles wie immer. »Whirlpool-Party bei mir daheim?«, zirpte sie ihrem Gefolge zu und hakte sich bei Naomi unter. Ihre Freundinnen folgten ihr in den Wald hinter der Schule, eine Abkürzung zu Alis Haus. Aus Alis gelber Schultasche lugte ein inzwischen vertrautes Stück Papier. Morgen beginnt die Jagd nach der Zeitkapsel-Flagge!, stand darauf. Macht euch bereit!

Ja, macht euch nur bereit.

 

Ein paar kurze Wochen später, als der größte Teil der Flagge bereits in der Zeitkapsel ruhte, bestand Alis innerster Kreis auf einmal aus neuen Mitgliedern. Ganz plötzlich waren die üblichen Verdächtigen ins Exil gewandert, und andere nahmen ihre Plätze ein. Ali hatte vier neue BFFs – Spencer, Hanna, Emily und Aria.

Alis neue Freundinnen fragten sich zwar insgeheim, warum Ali aus der gesamten sechsten Klasse ausgerechnet sie ausgewählt hatte – doch sie wollten ihr Glück nicht herausfordern. Hin und wieder dachten sie an ihr Leben vor Ali zurück – daran, wie unglücklich sie gewesen waren, wie verloren, wie sicher, dass sie an der Rosewood Day niemals etwas bedeuten würden. Sie dachten auch an besondere Momente, etwa an den Tag, an dem das Zeitkapsel-Rennen angekündigt worden war. Ein- oder zweimal erinnerten sie sich daran, was Ian zu Ali gesagt hatte, und wie ungewöhnlich besorgt Ali für einen kurzen Moment gewirkt hatte. Ali ließ sich schließlich nicht so leicht aus der Ruhe bringen.

Aber meist schüttelten sie solche Gedanken gleich wieder ab – es machte mehr Spaß, an die Zukunft zu denken, als der Vergangenheit nachzuhängen. Sie waren jetzt die It-Girls von Rosewood Day, und das brachte viel aufregende Verantwortung mit sich. Sie konnten sich auf eine Menge Spaß freuen.

Kapitel 1Tot und Begraben

Emily Fields lehnte sich in dem kastanienbraunen Ledersofa zurück und zupfte die vom Chlor ausgetrocknete Haut ihres linken Daumens ab. Ihre ehemals besten Freundinnen Aria Montgomery, Spencer Hastings und Hanna Marin hockten neben ihr und tranken Godiva-Kakao aus gestreiften Keramiktassen. Alle saßen im Medienzimmer von Spencers Familie, das mit der neuesten Technik ausgestattet war, unter anderem einem Surroundsystem und einem Bildschirm mit mehr als zwei Metern Bilddiagonale. Auf dem Couchtisch stand ein großer Korb mit warmen Tortillachips, aber bisher hatte sie niemand angerührt. Eine Frau namens Marion Graves hatte auf dem karierten Sofa den Mädchen gegenüber Platz genommen, auf dem Schoß einen flach gefalteten Müllsack. Während die Mädchen zerschlissene Jeans, Kaschmir-Jogginghosen oder – Aria – einen abgewetzten Jeansmini über tomatenroten Leggings trugen, hatte sich Marion in einen teuer aussehenden tiefblauen Wollblazer mit dazu passendem Faltenrock geworfen. Ihr dunkelbraunes Haar glänzte und ihre helle Haut roch nach Lavendel-Feuchtigkeitscreme.

»Okay.« Marion lächelte Emily und die anderen an. »Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, habe ich euch gebeten, ein paar Dinge mitzubringen. Legt sie bitte alle auf den Couchtisch. «

Emily legte ein pinkfarbenes Portemonnaie mit einem geschwungenen E-Monogramm auf den Tisch. Aria griff in ihre Umhängetasche aus Yak-Fell und zog eine zerknitterte, vergilbte Zeichnung heraus. Hanna warf ein gefaltetes Blatt Papier auf den Tisch, das aussah, wie ein Notizzettel. Und Spencer holte ein Schwarzweißfoto und ein ausgefranstes blaues Freundschaftsbändchen hervor.

Emilys Augen füllten sich mit Tränen, denn sie erkannte das Bändchen sofort. Ali hatte in dem Sommer, in dem die Jenna-Sache passiert war, für jede von ihnen eins gebastelt. Die Bändchen sollten ihre freundschaftliche Verbundenheit ausdrücken. Und sie daran erinnern, dass sie niemals irgendjemandem verraten durften, dass sie eigentlich den Unfall verursacht hatten, bei dem Jenna Cavanaugh erblindet war. Damals hatten sie keine Ahnung gehabt, dass die wirkliche Jenna-Sache kein Geheimnis war, das sie vor der Welt hüteten, sondern ein Geheimnis, das Ali vor ihnen hatte. Es hatte sich herausgestellt, dass Jenna Ali gebeten hatte, die Rakete zu zünden und die Schuld ihrem Stiefbruder Toby zuzuschieben. Diese Tatsache gehörte zu den vielen erschütternden Dingen, die sie nach Alis Tod über ihre Freundin herausgefunden hatten.

Emily schluckte tapfer. Die bleierne Kugel, die ihr seit September auf die Brust drückte, machte sich einmal mehr bemerkbar. Es war der zweite Januar. Am nächsten Tag fing die Schule wieder an und Emily betete darum, dass dieses Semester ruhiger verlaufen würde als das vergangene. Kaum hatten sie und ihre alten Freundinnen den steinernen Torbogen von Rosewood Day durchschritten, um die elfte Klasse zu beginnen, erhielten sie alle geheimnisvolle Nachrichten von einer Person, die sich nur A. nannte. Zuerst hatten sie gedacht – und Emily gehofft –, dass es sich bei A. vielleicht um Alison, ihre lang verschollene Freundin handeln könnte, aber dann fanden Bauarbeiter Alis Leiche in einem mit Zement zugeschütteten Loch im Garten ihres ehemaligen Hauses.

Doch die Nachrichten endeten hier nicht, sondern kamen auch weiterhin und enthüllten Schritt für Schritt ihre dunkelsten Geheimnisse. Zwei Schwindel erregende Monate später fanden sie heraus, dass A. Mona Vanderwaal war. In der Mittelstufe war Mona eine vom Fear-Factor besessene Nulpe gewesen, die Emily, Ali und die anderen bei ihren freitäglichen Pyjamapartys bespitzelte. Nach Alis Verschwinden verwandelte sich Mona jedoch in ein Glamourgirl – und wurde Hannas beste Freundin. Letzten Herbst hatte Mona Alis Tagebuch gestohlen, all die Geheimnisse gelesen, die Ali dort notiert hatte, und dann versucht, ihr Leben genau so zu zerstören, wie ihrer Ansicht nach Emily, Ali und die anderen ihres ruiniert hatten. Sie hatten Mona mitleidlos gehänselt, aber viel schlimmer war, dass Funken von dem Feuerwerk, das Jenna das Augenlicht genommen hatte, auch sie verbrannt hatten. In jener Nacht, in der Mona im Floating-Man-Steinbruch in den Tod stürzte – und beinahe Spencer mit sich riss – verhaftete die Polizei auch Ian Thomas, Alis geheimen älteren Freund, wegen des Mordes an Ali. Ians Gerichtsverfahren sollte Ende dieser Woche beginnen. Emily und die anderen mussten gegen ihn aussagen. In den Zeugenstand zu treten würde zwar tausend Mal beängstigender werden als Emilys Solo beim letzten Weihnachtskonzert in der Rosewood Day, aber wenigstens bedeutete es das Ende dieser entsetzlichen Zeit.

Weil all das für vier Teenager viel zu viel zu bewältigen war, hatten ihre Eltern beschlossen, professionelle Hilfe zu holen. Also erschien Marion auf der Bildfläche, die Top-Therapeutin für Trauerarbeit in der Region um Philadelphia. Und an diesem Sonntag trafen Emily und ihre Freundinnen sich nun zum dritten Mal mit ihr. Diese Sitzung sollte den Mädchen dabei helfen, all die schrecklichen Dinge loszulassen, die geschehen waren.

Marion zog ihren Rock über ihren Knien glatt und betrachtete die Objekte, die auf dem Tisch lagen. »All diese Dinge erinnern euch an Alison, stimmt’s?«

Alle nickten. Marion schüttelte den schwarzen Müllsack auf. »Legt alles in den Sack. Ich möchte, dass ihr alle zusammen den Sack in Spencers Garten vergrabt, wenn ich weg bin. Dieses Ritual symbolisiert, dass ihr Alison zur Ruhe bettet. Und mit ihr auch all die schädlichen, negativen Energien, die eure Freundschaft mit ihr umgaben.«

Marion würzte ihre Sätze immer mit New-Age-Phrasen wie schädliche Energien, spirituelles Bedürfnis nach Vollendung und Trauerarbeit konfrontativ angehen. In der letzten Sitzung hatten sie wieder und wieder Alis Tod ist nicht meine Schuld skandieren, und dazu stinkenden grünen Tee trinken müssen, der angeblich ihr Schuldchakra »reinigen« würde. Marion ermutigte sie auch, vor dem Spiegel Sätze wie diese zu sagen: Ali ist tot und kommt nie mehr zurück, oder Jetzt will mir niemand mehr wehtun. Emily wünschte sich sehnlich, die Mantras würden funktionieren. Sie wünschte sich nur eines auf der Welt, und zwar, dass ihr Leben wieder normal verlief.

»Okay, steht auf«, sagte Marion und öffnete den Müllsack. »Packen wir’s an.«

Sie standen alle auf. Emilys Unterlippe zitterte, als sie den pinkfarbenen Geldbeutel ansah, den Ali ihr in der sechsten Klasse geschenkt hatte, als sie Freundinnen wurden. Vielleicht hätte sie doch lieber etwas anderes zu dieser Reinigungs-Session mitbringen sollen, zum Beispiel ein altes Schulfoto von Ali – davon hatte sie Millionen. Marion fixierte Emily und nickte in Richtung Müllsack. Mit einem Schluchzer legte Emily das Portemonnaie hinein. Aria hob die Zeichnung hoch, die sie mitgebracht hatte: eine Skizze von Ali vor der Rosewood Day. »Als ich das gezeichnet habe, waren wir noch nicht mal Freunde.«

Spencer hielt das Jenna-Armband mit so spitzen Fingern in die Höhe, als sei es mit Rotz bedeckt. »Auf Wiedersehen«, flüsterte sie entschlossen. Hanna verdrehte die Augen und warf ihr gefaltetes Blatt Papier in den Sack. Sie machte sich nicht die Mühe, zu erklären, was es war.

Emily sah zu, wie Spencer nach dem Schwarz-Weiß-Foto griff. Es war ein Schnappschuss von Ali neben einem viel jünger aussehenden Noel Kahn. Beide lachten. Irgendetwas an dem Bild kam Emily bekannt vor. Sie packte Spencers Arm, bevor diese das Foto in den Sack werfen konnte.

»Wo hast du das her?«

»Aus der Jahrbuchredaktion geklaut, bevor sie mich rausgeschmissen haben«, gab Spencer etwas verlegen zu. »Erinnerst du dich noch an die Collage von Ali-Bildern, die sie gemacht haben? Das hier gehörte zu den aussortierten Fotos.«

»Wirf das nicht da rein«, sagte Emily und ignorierte Marions strengen Blick. »Es ist ein wirklich gutes Bild von ihr.«

Spencer zog eine Augenbraue hoch, legte das Foto aber stumm auf das Mahagoni-Buffet neben eine große, gusseiserne Statue des Eiffelturms. Emily fiel es noch schwerer als allen anderen, mit Alis Tod klarzukommen. Sie hatte nie wieder eine solche Freundin wie Ali gehabt, vorher nicht und seither auch nicht. Was die Sache noch schwieriger machte, war, dass Ali auch Emilys erste große Liebe gewesen war, das erste Mädchen, das sie je geküsst hatte. Wenn es nach Emily ginge, würde sie Ali nicht begraben. Ihr wäre es viel lieber, wenn sie ihre ganzen Erinnerungsstücke bis in alle Ewigkeit auf ihrem Nachttisch stehen lassen könnte.

»Fertig?« Marion schürzte ihre rotweinfarbenen Lippen. Sie schloss den Müllsack und reichte ihn Spencer. »Versprecht mir, dass ihr den gemeinsam vergrabt. Es wird euch helfen. Wirklich. Und ich glaube, ihr Mädels solltet euch auch am Dienstagnachmittag treffen. Es ist eure erste Schulwoche, und ich möchte, dass ihr in Verbindung bleibt und euch umeinander kümmert. Würdet ihr das für mich tun?«

Alle nickten düster. Sie folgten Marion aus dem Medienzimmer durch den mit Marmor ausgelegten Flur der Hastings ins Foyer. Marion verabschiedete sich, stieg in ihren dunkelblauen Range Rover und schaltete die Scheibenwischer an, um den Schnee von der Windschutzscheibe zu wischen.

Die große Standuhr im Foyer schlug die volle Stunde. Spencer schloss die Tür und drehte sich zu Emily und den anderen um. Das rote Zugband des Müllsacks baumelte von ihrem Handgelenk. »Was meint ihr?«, fragte sie. »Sollen wir das Ding vergraben?«

»Wo?«, fragte Emily leise.

»Wie wäre es bei der Scheune?«, schlug Aria vor und bohrte an einem Loch in ihren roten Leggings herum. »Das würde doch passen. Es ist der letzte Ort, an dem wir sie … gesehen haben.«

Emily nickte. Sie hatte einen riesigen Kloß im Hals. »Was meinst du, Hanna?«

»Mir egal«, murmelte Hanna monoton, als wäre sie am liebsten ganz weit weg.

Alle zogen ihre Mäntel und ihre Stiefel an und stapften durch den verschneiten Garten der Hastings ans Ende des Grundstücks. Sie schwiegen. Obwohl sie sich wieder etwas angenähert hatten, als A. ihnen die grässlichen Nachrichten geschickt hatte, war Emily ihren alten Freundinnen seit Ians Verhaftung kaum mehr begegnet. Sie hatte versucht, sich mit ihnen zum Einkaufen in die King James Mall oder zum Kaffeetrinken ins Steam, der Kaffeebar der Rosewood Day, zu verabreden, aber sie hatten wenig Interesse gezeigt. Emily vermutete, dass sie sich aus dem gleichen Grund mieden, aus dem sie nach Alis Tod auseinandergedriftet waren. Es fühlte sich einfach zu merkwürdig an, wenn sie zusammen waren.

Das ehemalige DiLaurentis-Haus lag rechts von ihnen. Die Bäume und Büsche, die das Grundstück abgrenzten, waren jetzt entlaubt und Alis hintere Veranda war von einer dicken Eisschicht überzogen. Der Ali-Schrein aus Kerzen, Plüschtieren, Blumen und nass gewordenen Fotos befand sich immer noch auf dem Fußweg, aber die Ü-Wagen und Kamerateams, die nach dem Fund der Leiche einen Monat lang dort kampiert hatten, waren Gott sei Dank fort. Jetzt hingen die Presseleute um das Gerichtsgebäude von Rosewood und das Chester-County-Gefängnis herum und hofften auf Neuigkeiten über die bevorstehende Verhandlung von Ian Thomas.

In dem Haus lebte inzwischen Maya St. Germain, Emilys Ex. Das SUV der St. Germains stand in der Auffahrt, was bedeutete, dass die Familie wieder dort wohnte – während des Medienzirkus hatten sie das Haus für eine Weile verlassen. Emily schaute auf den fröhlichen Weihnachtskranz an der Tür und die Müllsäcke voller Geschenkpapier am Straßenrand und verspürte einen Stich.

Als Maya und sie noch zusammen gewesen waren, hatten sie davon gesprochen, was sie sich gegenseitig zu Weihnachten schenken würden. Maya wünschte sich ausgeflippte DJ-Kopfhörer und Emily einen iPod Shuffle. Es war richtig gewesen, mit Maya Schluss zu machen, aber es fühlte sich merkwürdig an, dass die Verbindung zu ihr jetzt komplett abgebrochen war.

Die anderen gingen vor ihr her in Richtung des hinteren Teils des Gartens. Emily joggte los, um sie einzuholen, und landete mit dem Fuß in einer schlammigen Eismatschpfütze. Links lag Spencers Scheune, der Ort ihrer allerletzten Pyjamaparty. Sie stand direkt vor dem dichten Wald, der mehr als eine Meile lang war. Rechts neben der Scheune befand sich im ehemaligen Garten der DiLaurentis das halb fertig gegrabene Loch, in dem Alis Leiche gefunden worden war. Ein Stück gelbes Absperrband war heruntergefallen und halb unter dem Schnee begraben. Die vielen frischen Fußabdrücke stammten wahrscheinlich von neugierigen Gaffern.

Emilys Herz schlug heftig. Sie wagte einen zaghaften Blick auf das Loch. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie sich vorstellte, wie Ian Ali brutal in das Loch gestoßen hatte und sie dann dort zum Sterben zurückließ.

»Verrückt, stimmt’s?«, flüsterte Aria und starrte ebenfalls in das Loch. »Ali war die ganze Zeit hier.«

»Gut, dass du dich erinnert hast, Spence«, sagte Hanna, die in der eisigen Spätnachmittagsluft zitterte. »Sonst würde Ian immer noch frei herumlaufen.«

Aria wurde blass und sah besorgt aus. Emily kaute auf ihrem Fingernagel. An dem Abend, an dem Ian verhaftet worden war, hatten sie den Polizisten gesagt, dass alle Informationen, die sie benötigten, in Alis Tagebuch zu finden seien – ihr allerletzter Eintrag am Abend der Pyjamaparty am Ende der siebten Klasse besagte, dass sie sich mit ihrem heimlichen Freund Ian treffen wollte. Ali hatte Ian ein Ultimatum gestellt: Falls er sich nicht sofort von Spencers Schwester Melissa trennte, würde Ali allen erzählen, dass er ein Verhältnis mit ihr hatte.

Endgültig überzeugt waren die Polizisten dann, als Spencer eine verdrängte Erinnerung an diese Nacht wieder eingefallen war. Nachdem sie und Ali sich vor der Scheune der Hastings gestritten hatten, war Ali zu jemandem gerannt – zu Ian. Danach hatte niemand mehr Ali gesehen, doch alle konnten sich genau vorstellen, was danach geschehen war. Emily würde nie vergessen, wie Ian am Tage der Anklageverlesung in den Gerichtssaal getaumelt war und seine Unschuld beteuert hatte. Nachdem der Richter Ian zu Untersuchungshaft, ohne die Möglichkeit, auf Kaution freizukommen, verurteilt hatte und die Gerichtsdiener ihn den Gang entlangführten, hatte Emily seinen hasserfüllten, bitteren Blick in Richtung der Mädchen aufgefangen. Ihr Mädels habt euch mit dem Falschen angelegt, schien der Blick zu sagen, und zwar laut und deutlich. Offensichtlich gab er ihnen die Schuld an seiner Verhaftung.

Emily wimmerte leise. Spencer sah sie streng an. »Hör auf! Wir sollten nicht über Ian nachgrübeln … über die ganze Sache nicht.« Sie blieb am Rande des Grundstücks stehen und zog sich ihre blauweiß gemusterte Strickmütze mit Ohrenklappen tiefer ins Gesicht. »Ist der Platz hier okay?«

Emily blies auf ihre Finger, um sie zu wärmen, die anderen nickten stumm. Spencer nahm die Schaufel, die sie aus der Garage mitgebracht hatte, und begann, Schnee und halb gefrorene Erdbrocken wegzuschaufeln. Als das Loch tief genug war, ließ sie den Müllsack hineinfallen. Er plumpste schwer auf den Boden. Alle schoben gemeinsam die Erde und den Schnee wieder darüber.

»Und jetzt?« Spencer lehnte sich auf den Spaten. »Sollten wir nicht irgendetwas sagen?«

Sie sahen sich an. »Tschüs, Ali«, sagte Emily schließlich, und ihre Augen füllten sich zum gefühlt tausendsten Mal in diesem Monat mit Tränen.

Aria warf ihr einen Blick zu und lächelte. »Tschüs, Ali«, wiederholte sie. Dann sah sie Hanna an. Die zuckte mit den Achseln, sagte aber ebenfalls: »Tschüs, Ali.«

Als Aria Emilys Hand nahm, fühlte Emily sich … besser. Ihr Magen entkrampfte sich und die Anspannung in ihren Schultern ließ nach. Plötzlich roch es unglaublich gut hier draußen – nach frischen Blumen. Ihr war, als sei Ali – jene liebe, wundervolle Ali aus ihren Erinnerungen – hier und versichere ihnen, dass alles wieder gut werde.

Sie schaute die anderen an. Alle lächelten versonnen, als spürten auch sie etwas. Vielleicht hatte Marion tatsächlich recht gehabt, und an diesem Ritual war wirklich etwas dran. Sie mussten endlich den ganzen schrecklichen Herbst hinter sich lassen. Alis Mörder war gefasst, und der A.-Albtraum war vorbei. Eine ruhigere, glücklichere Zukunft lag vor ihnen.

Die Sonne versank schnell hinter den Bäumen und tauchte den Himmel und die Schneewehen in ein milchiges, lavendelblaues Licht. Die Windmühle der Hastings drehte sich langsam im Wind und vor einer nahen Kiefer kämpften ein paar Eichhörnchen miteinander. Wenn eins der Eichhörnchen jetzt auf den Baum klettert, ist endgültig Ruhe eingekehrt,

Kapitel 2Familienbande

Eine halbe Stunde später stürmte Hanna Marin in das Haus ihrer Familie, knuddelte ihren Dobermannpinscher Dot und warf ihre Tasche aus Leder mit Schlangenprägung auf das Wohnzimmersofa. »Entschuldigt die Verspätung!«, rief sie.

In der Küche roch es nach Tomatensoße und Knoblauchbrot. Hannas Vater, seine Verlobte Isabel und Isabels Tochter Kate saßen bereits am Esszimmertisch. Große Keramikschüsseln mit Pasta und Salat standen in der Mitte auf dem Tisch, und vor Hannas leerem Platz warteten ein Teller mit Bogenkante, eine Serviette und ein hohes Glas mit Perrier. Als Isabel am ersten Weihnachtsfeiertag angekommen war – nur Sekunden, nachdem Hannas Mutter in den Flieger gestiegen war, der sie zu ihrem neuen Job in Singapur bringen würde –, hatte sie sofort beschlossen, dass sie jeden Sonntag im Esszimmer zu Abend essen würden, damit dieses »Familienerlebnis« etwas Besonderes wäre.

Hanna fläzte sich auf den Stuhl und versuchte, alle Blicke zu ignorieren. Ihr Vater warf ihr ein hoffnungsvolles Lächeln zu, und Isabels Miene besagte entweder, dass sie gerade einen Pups unterdrückte oder enttäuscht war, weil Hanna zur Familienzeit zu spät kam. Kate hingegen legte voller Mitleid den Kopf schief. Und Hanna wusste ganz genau, wer als erstes den Mund aufmachen würde.

Kate strich sich das unverschämt glänzende, kastanienbraune Haar glatt und fragte mit unschuldigem Blick: »Warst du wieder bei eurer Trauer-Therapeutin?«

Bingo!

Hanna murmelte ein »Ja« und nahm einen riesigen Schluck Perrier.

»Wie war’s?«, fragte Kate mit ihrer besten Oprah-Stimme. »Hilft es?«

Hanna schniefte verächtlich. Ehrlich gesagt hielt sie die Treffen mit Marion für reine Zeitverschwendung. Ihren ehemals besten Freundinnen war es ja vielleicht möglich, Ali und A. hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen, aber Hanna musste schließlich den Verlust von zwei besten Freundinnen verarbeiten. Und Hanna wurde jeden Tag fast sekündlich an Mona erinnert. Als Dot im gefrorenen Hintergarten herumsprang, und das karierte Burberry-Hundemäntelchen trug, das Mona ihm letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte. Als sie ihren Schrank öffnete und den silbernen Jill-Stuart-Rock sah, den sie sich von Mona ausgeliehen und nie zurückgegeben hatte. Und wenn sie in den Spiegel blickte und versuchte, Marions lahme Mantras zu rezitieren, sah sie die Tropfenohrringe, die sie vergangenes Frühjahr mit Mona bei Banana Republic geklaut hatte. Und sie sah noch etwas anderes: Die verblasste, z-förmige Narbe auf ihrem Kinn, die von jenem Abend stammte, an dem Hanna begriffen hatte, dass Mona A. war, woraufhin Mona sie mit ihrem SUV angefahren hatte.

Hanna hasste es, dass ihre zukünftige Stiefschwester detailliert über alles Bescheid wusste, was im vergangenen Herbst passiert war – und natürlich darüber, dass ihre beste Freundin versucht hatte, sie umzubringen. Aber das wusste nun mal ganz Rosewood: Die Lokalpresse kannte praktisch kein anderes Thema. Und noch merkwürdiger: Das ganze Land war von einer Art A.-Manie heimgesucht worden. Überall meldeten Kids, dass sie SMS von Personen namens A. bekommen hatten, aber es stellte sich jedes Mal heraus, dass es neidische Klassenkameradinnen oder wütende Exfreunde gewesen waren. Sogar Hanna hatte schon ein paar Pseudo-A.-SMS bekommen, aber die waren ganz offensichtlich nur Werbung. Ich kenne alle deine schmutzigen Geheimnisse! Und hey – willst du ein paar Klingeltöne kaufen? Drei für einen Dollar! So was Bescheuertes.

Kate fixierte immer noch Hanna, als warte sie darauf, dass diese zu erzählen begann. Hanna schnappte sich ein Stück Knoblauchbrot und biss hinein, damit sie nichts sagen musste. Seit Kate und Isabel das Haus betreten hatten, schloss sich Hanna entweder im Schlafzimmer ein, streifte durch die King James Mall oder versteckte sich bei ihrem Freund Lucas. Obwohl ihr Verhältnis vor Monas Tod angeknackst gewesen war, hatte Lucas sie nach der Tragödie nach Kräften unterstützt. Jetzt waren die beiden unzertrennlich. Hanna hielt sich am liebsten von zu Hause fern, denn sobald ihr Dad sie sah, gab er ihr und Kate kleine Aufgaben, die sie zusammen erledigen sollten: Hannas Kleider aus Kates Schrank in derem neuem Schlafzimmer ausräumen, den Müll rausbringen, Schnee schippen. Hallo? Wozu gab es denn den Schneeräumdienst? Ach, wenn der Kate doch gleich mit entsorgen würde.

»Freut ihr Mädchen euch auf die Schule morgen?« Isabel wickelte Spaghetti auf ihre Gabel.

Hanna zog eine Schulter hoch und spürte, wie ein vertrauter Schmerz durch ihren rechten Arm jagte. Sie hatte ihn sich gebrochen, als Mona sie mit dem SUV gerammt hatte. Noch eine schöne Erinnerung daran, dass ihre Freundschaft mit Mona nur eine Lüge gewesen war.

»Ich freue mich«, brach Kate das Schweigen. »Ich habe mir den Rosewood-Day-Prospekt heute noch mal angeschaut. Die Schule bietet unglaublich viel an. Pro Jahr werden vier Theaterstücke aufgeführt!«

Mr Marin und Isabel strahlten. Hanna knirschte so heftig mit den Backenzähnen, dass ihr Kiefer taub wurde. Seit Kate in Rosewood angekommen war, redete sie nur noch davon, wie sehr sie sich darauf freute, die Rosewood Day zu besuchen. Na, egal – die Schule war riesig. Hanna hatte nicht die Absicht, Kate dort jemals über den Weg zu laufen.

»Die Anlage ist ja ziemlich weitläufig.« Kate tupfte sich vornehm den Mund mit einer Serviette ab. »Die einzelnen Fächer werden in unterschiedlichen Gebäuden unterrichtet. Es gibt eine Journalismus-Scheune, eine wissenschaftliche Bibliothek und ein Gewächshaus. Ich werde mich hoffnungslos verlaufen.« Sie wickelte eine kastanienbraune Strähne um ihren Zeigefinger. »Ich fände es toll, wenn du mir alles zeigen würdest, Hanna.«

Hanna brach beinahe in Gelächter aus. Kates Stimme war falscher als die Chanel-Brillen, die man für einen Dollar bei eBay kaufen konnte. Sie hatte auch schon im Le Bec-Fin so getan, als sei sie Hannas beste Freundin, und Hanna würde nie vergessen, was dabei herausgekommen war. Als Hanna während der Vorspeisen in die Restauranttoilette geflüchtet war, folgte Kate ihr und spielte die nette, besorgte Freundin. Hanna brach zusammen und sagte Kate, dass A., äh … Mona ihr gerade per SMS eröffnet hatte, dass Sean Ackard, ihr Freund – wie sie damals noch geglaubt hatte – mit einer anderen beim Foxy-Benefizball war. Kate zeigte sich sofort mitfühlend und drängte Hanna, das Dinner zu schwänzen, nach Rosewood zu fahren und Sean in den Hintern zu treten. Sie versprach sogar, sich eine Ausrede einfallen zu lassen. Wozu waren sie schließlich Stiefschwestern?

Tja. Als Hanna nach Philadelphia zurückkehrte, erwartete sie eine böse Überraschung. Kate hatte gepetzt und Mr Marin verraten, dass Hanna eine Packung Percocet in ihrer Handtasche hatte. Hannas Vater war so wütend gewesen, dass er den Ausflug abgebrochen und wochenlang nicht mehr mit Hanna gesprochen hatte.

»Natürlich wird Hanna dir alles zeigen«, schaltete sich Mr Marin jetzt ein.

Hanna ballte die Fäuste unter dem Tisch und versuchte, möglichst bedauernd zu klingen: »Oh, wow, das würde ich natürlich liebend gerne tun, aber ich habe einen furchtbar vollen Stundenplan.«

Ihr Vater zog eine Augenbraue hoch. »Wie wär’s dann vor der Schule oder in der Mittagspause?«

Hanna nagte an ihrer Unterlippe. Danke für die Unterstützung, Dad. Hatte ihr Vater etwa vergessen, dass Kate Hanna nach dem schrecklichen Dinner im Le Bec-Fin verraten hatte? Dem Dinner, das eigentlich nur für Hanna und ihren Dad geplant gewesen war? Aber ihr Vater teilte ihre Ansichten nicht. Für ihn war Kate keine Verräterin, sondern perfekt. Hanna schaute von ihrem Vater zu Kate und Isabel und fühlte sich immer hilfloser. Ein vertrautes Kitzeln stieg in ihrer Kehle hoch. Sie stieß ihren Stuhl zurück, schluckte hörbar und taumelte zum unteren Badezimmer.

Sie beugte sich über das Waschbecken und würgte. Tu es nicht, befahl sie sich. Monatelang hatte sie es geschafft, der Versuchung sich zu übergeben, zu widerstehen, aber irgendwie war Kate eine Art Trigger für sie. Zum ersten Mal hatte sich Hanna den Finger in den Hals gesteckt als sie ihren Vater, Kate und Isabel in Annapolis besucht hatte. Ali war mitgekommen und hatte sich auf Anhieb mit Kate verbündet. Hübsche Mädchen unter sich eben. Hanna hatte sich eine Handvoll Popcorn nach der anderen in den Mund gestopft und sich fett und hässlich gefühlt. Dass ihr Vater sie dann noch »mein kleines Schweinchen« nannte, brachte das Fass zum Überlaufen. Sie war ins Badezimmer gerannt, hatte sich Kates Zahnbürste aus einem Becher beim Waschbecken geschnappt und sich gezwungen, zu kotzen.

Ali war hereingekommen, als Hanna sich zum zweiten Mal übergab. Ali hatte ihr versprochen, ihr Geheimnis nicht zu verraten, aber seit damals hatte Hanna viel über Ali gelernt. Ali wusste die Geheimnisse von einer Menge Leute – und sie spielte Menschen gerne gegeneinander aus. So hatte sie zum Beispiel Hanna und den anderen eingeredet, sie seien an der Jenna-Sache schuld, dabei hatten Jenna und Ali von Anfang an alles zusammen geplant. Es konnte gut sein, dass Ali aus dem Badezimmer direkt zur Veranda marschiert war und Kate alles erzählt hatte. Hanna traute ihr alles zu.

Nach ein paar Minuten verschwand die Übelkeit. Hanna holte tief Luft, richtete sich wieder auf und zog ihren BlackBerry heraus. Sie öffnete das SMS-Menü. Es ist unglaublich, tippte sie. Mein Dad will, dass ich für Psycho-Kate das Willkommens-Komitee in Rosewood spiele. Können wir morgen bei einer Notfall-Maniküre darüber reden?

Sie klickte sich durch ihre Adressliste, als ihr klar wurde, dass sie niemanden hatte, dem sie die SMS schicken konnte. Sie war immer nur mit Mona zur Maniküre gegangen.

»Hanna?«

Hanna wirbelte herum. Ihr Vater hatte die Badezimmertür einen Spaltbreit geöffnet. Seine Stirn war sorgenvoll gerunzelt. »Geht es dir gut?«, fragte er in dem sanften Tonfall, den Hanna schon so lange nicht mehr von ihm gehört hatte. Mr Marin kam ins Bad und legte Hanna die Hand auf die Schulter. Hanna schluckte heftig und senkte den Kopf. Damals, in der siebten Klasse, als ihre Eltern noch zusammengelebt hatten, war sie ihrem Vater sehr nahegestanden. Es hatte ihr das Herz gebrochen, als er Rosewood nach der Scheidung verließ, und als er bei Kate und Isabel einzog, fürchtete Hanna, dass er seine hässliche, pummelige Tochter mit den kackbraunen Haaren einfach nur gegen die hübsche, dünne, perfekte Kate eintauschen wollte. Als Hanna vor ein paar Monaten nach Monas Anschlag mit dem SUV im Krankenhaus lag, hatte ihr Vater ihr versprochen, künftig wieder mehr Anteil an ihrem Leben zu nehmen. Aber seit er wieder hier wohnte, hatte er hauptsächlich Isabel dabei geholfen, das Haus nach ihrem Geschmack neu einzurichten – mit viel Samt und Quasten. Für Hanna hatte er kaum Zeit gehabt.

Aber vielleicht wollte er sich jetzt dafür entschuldigen.

Vielleicht würde er sich dafür entschuldigen, dass er sie im Herbst wie eine Aussätzige behandelt hatte, ohne sich ihre Seite der Geschichte anzuhören … und dafür, dass er sich drei Jahre lang nicht um sie, sondern nur um Kate und Isabel gekümmert hatte.

Mr Marin tätschelte Hanna unbeholfen den Arm. »Hör zu. Der vergangene Herbst war schrecklich für dich. Und ich weiß, dass es sehr schwierig für dich sein wird, am Freitag vor Gericht gegen Ian auszusagen. Es ist mir auch klar, dass Kate und Isabel ziemlich … na ja, abrupt hier eingezogen sind. Aber Hanna, Kate musste ihr ganzes Leben umkrempeln. Sie hat all ihre Freunde in Annapolis zurückgelassen und ist hierher gezogen, und du redest kaum ein Wort mit ihr. Du musst anfangen, sie wie eine Schwester zu behandeln.«

Hannas Lächeln verrutschte. Sie fühlte sich, als habe ihr Vater ihr mit der hellgrünen Seifenschale auf dem Porzellanwaschbecken eins übergezogen. Kate brauchte Hannas Hilfe nicht im Geringsten. Kate war wie Ali: anmutig, schön, stets im Zentrum der Aufmerksamkeit und … ungeheuer manipulativ.

Aber als ihr Vater das Kinn auf die Brust legte und darauf wartete, dass sie ihm zustimmte, realisierte Hanna, dass er bei seinem letzten Satz ein paar Worte weggelassen hatte. Genau genommen fünf Worte, die eindeutig darauf hinwiesen, wie von nun an alles laufen würde.

Kapitel 3Arias Debüt als Kunstkennerin

»Igitt.« Aria Montgomery rümpfte die Nase, als ihr Bruder Mike ein Stück Brot in einen Keramiktopf voller geschmolzenem Schweizer Käse tauchte. Er zog das Brot durch die ganze Schüssel, fischte es heraus und fing mit der Zunge genüsslich einen langen Käsefaden auf, der von der Gabel hing. »Musst du eigentlich immer alles sexuell aufladen?«

Mike grinste ihr zu und knutschte weiter mit seinem Brot herum. Aria schauderte.

Sie konnte nicht glauben, dass diese höchst seltsamen Weihnachtsferien morgen bereits zu Ende sein sollten. Ihre Mutter Ella hatte beschlossen, ihnen zur Feier des Tages ein echtes Käsefondue zu kredenzen, und zwar mit dem Fondue-Set, das sie im Keller unter einem Karton gläserner Christbaumkugeln und Mikes Darda-Bahn gefunden hatte. Aria war sich beinahe sicher, dass Ella und Arias Vater Byron das Set vor Urzeiten zu ihrer Hochzeit bekommen hatten, aber sie wagte nicht, danach zu fragen. Sie versuchte, ihren Vater möglichst überhaupt nicht zu erwähnen und hatte folglich auch nicht über den merkwürdigen Heiligabend gesprochen, den sie und Mike mit Byron und seiner Freundin Meredith im Bear-Claw-Skiresort verbracht hatten. Meredith saß die ganze Zeit in der Lodge, machte Yoga-Dehnübungen, strich sich über den kleinen, aber unverwechselbaren Schwangerschaftsbauch und bettelte Aria an, ihr zu zeigen, wie man Babysöckchen strickte. Arias Eltern hatten sich erst wenige Monate zuvor offiziell getrennt, zumindest teilweise auch deshalb, weil Mona-als-A. Ella einen Brief geschickt und ihr darin eröffnet hatte, dass Byron sie mit Meredith betrog. Aria war ziemlich sicher, dass ihre Mutter Byron noch nachtrauerte.

Mike beäugte Ellas Heineken-Flasche. »Krieg ich wenigstens einen winzigen Schluck?«

»Nein«, antwortete Ella. »Zum dritten Mal.«

Mike runzelte die Stirn. »Ich habe schon mal Bier getrunken.«

»Nicht in diesem Haus.« Ella sah ihn streng an.

»Warum willst du unbedingt Bier?«, fragte Aria neugierig. »Ist der kleine Mike nervös wegen seines Dates?«

»Es ist kein Date.« Mike zog sich seine Burton-Snowboard-Mütze tiefer in die Stirn. »Sie ist nur ein Kumpel.«

Aria lächelte wissend. Erstaunlicherweise hatte sich ein Mädchen in Mike verknallt. Sie hieß Savannah und ging in die zehnte Klasse der staatlichen Schule. Sie hatten sich in einer Facebook-Gruppe über – Überraschung! – Lacrosse kennengelernt. Offenbar war Savannah von dem Spiel genauso besessen wie Mike.

»Mikey hat ein Date in der Mall«, trällerte Aria. »Wirst du dein zweites Abendessen auf der Fressmeile einnehmen? Bei Mr Wongs Großer Hühnchen-Mauer?«

»Halt die Klappe«, schnappte Mike. »Wir essen Nachtisch im Rive Gauche. Aber hey, es ist kein Date. Sie geht auf die Staatliche. « Er sagte Staatliche in einem Ton, den andere Leute für Klärgrube voller Blutegel reservierten. »Ich date nur Mädels mit Kohle.«

Aria kniff die Augen zusammen. »Du bist ekelhaft.«

»Vorsicht, Shakespeare-Liebhaberin«, grinste Mike.

Aria wurde blass. Shakespeare war Mikes Spitzname für Ezra Fitz, Arias Quasi-Exfreund – und