Pretty Little Liars - Vollkommen - Sara Shepard - E-Book
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Pretty Little Liars - Vollkommen E-Book

Sara Shepard

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Beschreibung

Band drei der fulminanten Bestsellerreihe und die Vorlage für die internationale Kult-TV-Serie »Pretty Little Liars«

Spencer, Aria, Emily und Hanna waren einmal beste Freundinnen. Eine Clique, die wie Pech und Schwefel zusammenhielt, ein einzigartiges Team in Rosedale. Aber das war vorher. Bevor das mit Alison passierte. Denn Alison, Anführerin und Intrigantin extraordinaire, ist eines Tages spurlos verschwunden. Bis Nachrichten vom mysteriösen Absender „A.“ auftauchen und Spencer und ihre Freundinnen heimsuchen…

Nach dem überraschenden Selbstmord von Toby wähnen sich Spencer, Aria, Emily und Hanna endlich in Sicherheit. Doch ob Schulaufsatz, Zickenkrieg oder Dates – immer wieder hat A. die Finger dazwischen.

Ein fesselnder Pagteturner mit Kultstatus - bei den »Pretty Little Liars« ist Suchtgefahr garantiert! Diese Reihe bietet eine unwiderstehliche Mischung für Fans von jeder Menge Glamour und tödlichen Intrigen.

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Seitenzahl: 338

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Sara Shepard

Pretty Little Liars

Vollkommen

Aus dem Amerikanischenvon Violeta Topalova

cbj

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Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Übersetzung: Violeta Topalova

Lektorat: Birgit Gehring

Umschlagbild: Ali Smith/Tina Amantula

he · Herstellung: ReD

ISBN : 978-3-641-03139-8

Für Ali
Schau und du wirst finden. Was nicht gesucht wird,das wird unentdeckt bleiben.
Sophokles

WER SOLCHE FREUNDE HAT …

Hast du schon einmal erlebt, dass sich eine Freundin total verändert hat? Plötzlich nicht mehr der Mensch ist, den du in- und auswendig zu kennen glaubtest, sondern … jemand anderes? Ich rede nicht von deinem Freund aus dem Kindergarten, der in der Pubertät linkisch und picklig wird, oder deiner alten Sommerlagerfreundin, der du nichts mehr zu sagen hast, wenn sie dich in den Weihnachtsferien besucht. Auch nicht von dem Mädchen aus deiner Clique, das plötzlich eigene Wege geht und auf einmal Emo wird oder nur noch Birkenstocks trägt. Nein. Ich rede von deiner Seelenverwandten. Dem Mädchen, über das du alles weißt. Das alles über dich weiß. Eines Tages dreht sie sich um und ist ein vollkommen anderer Mensch geworden.
Na ja, so etwas passiert. Es passierte in Rosewood.
 
»Pass auf, Aria, dir frieren gleich die Gesichtszüge ein.« Spencer Hastings riss die Verpackung von einem orangefarbenen Stieleis und steckte sich das Süßzeug in den Mund. Ihre Worte bezogen sich auf das verkniffene Ich-konzentrier-mich-Gesicht ihrer besten Freundin Aria Montgomery, die versuchte, ihre Sony Handycam scharf zu stellen.
»Du klingst wie meine Mom, Spence.« Emily Fields lachte und zupfte an ihrem T-Shirt, auf dem ein Küken mit Schwimmbrille abgebildet war. Die Freundinnen hatten Emily eigentlich verboten, ihre lahmen Schwimm-T-Shirts zu tragen, und als Emily ins Haus gekommen war, hatte Alison DiLaurentis sofort gefrotzelt: »Wer soll das sein? Tweety?«
»Was? Deine Mom sagt das auch?«, fragte Hanna Marin und warf den grün gefleckten Stiel ihres Eis weg. Hanna aß immer schneller als alle anderen. »Dir frieren gleich die Gesichtszüge ein«, imitierte sie ihre Mutter mit affektierter Stimme.
Ali musterte Hanna und kicherte spöttisch. »Deine Mom hätte dich lieber davor warnen sollen, dass dir gleich der Hintern abfriert.«
Hannas Lächeln erstarb und sie zog an ihrem pink-weiß gestreiften, definitiv zu knappen T-Shirt. Sie hatte es sich von Ali geliehen und es rutschte bei jeder Bewegung nach oben und entblößte weiße Haut und Hannas speckigen Poansatz. Alison tippte mit ihrem Flipflop an Hannas Schienbein. »He, war nur ein Witz.«
Es war ein Freitagabend im Mai gegen Ende der siebten Klasse, und die Busenfreundinnen Alison, Hanna, Spencer, Aria und Emily hatten es sich im luxuriös eingerichteten Wohnzimmer von Spencers Familie mit einer großen Packung Stieleis und einer Riesenflasche Dr. Pepper Cherry Vanilla gemütlich gemacht, auf dem Couchtisch lagen ihre Handys. Vor einem Monat war Ali mit einem brandneuen LG-Klapphandy in die Schule gekommen und die anderen hatten sich noch am gleichen Tag ebenfalls welche gekauft. Alle steckten in pinkfarbenen Lederhüllen. Allein Arias Handytasche war aus pinkfarbener Mohair-Wolle und sie hatte sie selbst gestrickt.
Aria drückte den Zoom-Hebel der Kamera und probierte verschiedene Einstellungen aus. »Außerdem frieren mir die Gesichtszüge nicht ein. Ich konzentriere mich nur auf die Szene. Das wird ein Filmdokument für die Nachwelt – wenn wir in Zukunft einmal alle berühmt sind.«
»Na, ich werde auf jeden Fall groß rauskommen, das ist ja klar.« Alison straffte die Schultern, drehte den Kopf zur Seite und enthüllte ihren Schwanenhals.
»Warum solltest ausgerechnet du groß rauskommen?«, blaffte Spencer vermutlich bissiger, als sie es meinte.
»Weil ich meine eigene TV-Show moderieren und eine schlauere, süßere Version von Paris Hilton abgeben werde.«
Spencer schnaubte verächtlich. Aber Emily schürzte nachdenklich ihre blassen Lippen, und Hanna nickte restlos überzeugt, denn es ging schließlich um Ali. Sie würde Rosewood, Pennsylvania, garantiert bald hinter sich lassen. Rosewood war zwar durchaus glamourös – alle Einwohner sahen aus, als wären sie einer Fotostrecke von Country Living entsprungen -, aber die Freundinnen wussten, dass Ali zu Höherem bestimmt war.
Ali hatte sie vor anderthalb Jahren aus der Bedeutungslosigkeit gerettet und zu ihren besten Freundinnen erkoren. An ihrer Seite waren sie zu den beliebtesten Girls der Rosewood-Day-Privatschule aufgestiegen. Inzwischen hatten sie Macht: Sie entschieden, wer cool war und wer nicht, sie schmissen die besten Partys, bekamen die besten Plätze im Studierzimmer und wurden mit überwältigender Stimmenmehrheit zu Klassen- und Schulsprechern gewählt. Okay, okay, Letzteres galt hauptsächlich für Spencer. Von einigen kleinen Ausrutschern einmal abgesehen – und davon, dass Jenna Cavanaugh durch ihre Schuld erblindet war, was sie so gut es ging verdrängten -, hatte ihr Leben einen Salto von mittelmäßig passabel zu perfekt hingelegt.
»Sollen wir eine Talkshow-Szene filmen?«, schlug Aria vor. Sie betrachtete sich als die offizielle Filmemacherin der Clique, und einer ihrer vielen Lebensträume war es, der nächste (und weibliche) Jean-Luc Godard zu werden, ein experimenteller französischer Regisseur.
»Ali, du spielst die Berühmtheit. Und du, Spencer, interviewst sie.«
»Ich übernehme die Maske«, bot Hanna an, wühlte in ihrem Rucksack und zog ihre gepunktete Make-up-Nylontasche heraus.
»Ich kümmere mich um die Frisuren.« Emily schob sich ihre kurzen rotblonden Haare hinter die Ohren und eilte an Alis Seite. »Du’ast wunderschönes’Aaar, chérie«, flötete sie mit falschem französischem Akzent.
Ali nahm das Eis aus dem Mund. »Heißt chérie nicht Freundin?«
Die anderen lachten, aber Emily wurde blass. »Nein, das wäre petite amie.« Seit einiger Zeit reagierte Emily empfindlich, wenn Ali Witze auf ihre Kosten machte. Früher war das nicht so gewesen.
»Okay«, sagte Aria schließlich und hielt sich die Kamera vor das Gesicht. »Seid ihr bereit?«
Spencer warf sich auf die Couch und setzte sich ein mit Strasssteinen besetztes Diadem auf, das von einer Silvesterparty übrig geblieben war. Sie schleppte das Ding schon den ganzen Abend mit sich herum.
»Das kannst du nicht tragen«, blaffte Ali.
»Wieso nicht?« Spencer rückte das Diadem vorsichtig gerade.
»Wenn jemand die Prinzessin ist, dann ja wohl ich.«
»Wer hat eigentlich bestimmt, dass du immer die Prinzessin sein musst?«, murmelte Spencer halblaut. Die anderen spürten einen Anflug von Nervosität. Spencer und Ali gerieten in letzter Zeit häufig aneinander, aber niemand wusste, warum.
Alis Handy piepte laut. Sie griff danach, klappte es auf und hielt es so, dass die anderen das Display nicht sehen konnten. »Wow.« Mit fliegenden Fingern tippte sie eine SMS.
»Wem schreibst du?« Emilys Stimme war dünn und zerbrechlich wie eine Eierschale.
»Ist geheim. Sorry.« Ali sah nicht von der Tastatur auf.
»Es ist geheim?« Spencer war wütend. »Was soll das denn heißen?«
Ali sah auf. »Sorry, Prinzessin. Alles musst du auch nicht wissen.« Sie klappte das Handy zu und legte es auf das Ledersofa. »Warte noch mit dem Filmen, Aria, ich muss kurz aufs Klo.« Sie rannte zu der Toilette im Flur und warf auf dem Weg ihren Eisstiel in den Müll.
Als die Toilettentür ins Schloss flog, sagte Spencer schnell: »Würdet ihr sie manchmal auch am liebsten ermorden?«
Die anderen wanden sich unbehaglich. Sie lästerten nie über Ali. Dies wäre Blasphemie und ebenso verwerflich, wie im Schulhof die Flagge der Rosewood Day abzufackeln oder zuzugeben, dass Johnny Depp inzwischen nicht mehr niedlich war, sondern alt und ziemlich schrullig.
Natürlich empfanden sie das klammheimlich nicht immer so. Im vergangenen Frühjahr hatten sie Ali seltener gesehen als sonst, denn sie hatte sich mit den Mädchen aus der Hockey-Auswahlmannschaft angefreundet. Wenn sie sich mit ihnen zum Mittagessen traf oder mit ihnen in die King James Mall ging, waren Aria, Emily, Spencer und Hanna nie eingeladen.
Außerdem hatte Ali seit einiger Zeit Geheimnisse vor ihnen. Da gab es geheime SMS, geheime Anrufe und geheimnisvolles Kichern, für das Ali nie den Grund verriet. Manchmal sahen sie, dass Ali online war, aber wenn sie ihr eine Sofortnachricht schickten, reagierte sie nicht. Jede von ihnen hatte Ali ihre Seele offenbart und ihr Dinge erzählt, die sie den anderen drei Freundinnen nicht erzählt hatte, Dinge, die eigentlich niemand wissen sollte. Und jede von ihnen erwartete, dass Ali sie ebenfalls ins Vertrauen zog. Schließlich hatte Ali sie im letzten Jahr, nach der schrecklichen Sache mit Jenna, einen Eid schwören lassen, der sie bis ans Ende aller Tage miteinander verband.
Die Mädchen wollten sich gar nicht vorstellen, wie die achte Klasse werden würde, wenn es so weiterlief wie in letzter Zeit. Aber das bedeutete doch nicht, dass sie Ali hassten.
Aria wickelte sich eine lange dunkle Haarsträhne um den Finger und lachte nervös. »Na ja, vielleicht möchte man sie manchmal abmurksen, weil sie so unverschämt hübsch ist.« Sie drückte auf den Anschaltknopf der Kamera.
»Und weil sie Größe 32 trägt«, fügte Hanna hinzu.
»So habe ich es auch gemeint.« Spencer deutete auf Alis Handy, das zwischen zwei Kissen gerutscht war. »Habt ihr Lust, ihre SMS zu lesen?«
»Ich schon«, flüsterte Hanna.
Emily erhob sich von der Lehne des Sofas, auf der sie gehockt hatte. »Also, ich weiß nicht …« Sie rückte ein Stück von Alis Handy weg, als mache sie sich bereits mitschuldig, wenn sie danebensaß.
Spencer schnappte sich das Handy und schaute neugierig auf das leere Display. »Kommt schon. Wollt ihr denn gar nicht wissen, wer ihr geschrieben hat?«
»Wahrscheinlich war es nur Katy«, flüsterte Emily. Katy gehörte zu Alis Hockey-Freundinnen. »Leg das wieder hin, Spence.«
Aria nahm die Kamera vom Stativ und lief zu Spencer. »Wir machen es.«
Sie versammelten sich um Spencer, die das Telefon aufklappte und eine Taste drückte. »Passwortgeschützt.«
»Kennt jemand das Passwort?«, fragte Aria, die Kamera auf das Display gerichtet.
»Versuch’s mit ihrem Geburtstag«, flüsterte Hanna. Sie nahm Spencer das Handy aus der Hand und gab die Zahlen ein. Doch Fehlanzeige. »Andere Vorschläge?«
Sie hörten Alis Stimme, bevor sie sie sahen. »Was macht ihr da?«
Spencer ließ Alis Handy auf die Couch fallen. Hanna wich so heftig zurück, dass sie sich das Schienbein am Couchtisch anstieß.
Ali stürmte zu ihrem Handy. Mit gerunzelter Stirn fragte sie: »Habt ihr an meinem Telefon herumgefummelt?«
»Natürlich nicht!«, rief Hanna.
»Ja, haben wir«, gestand Emily. Sie setzte sich neben Ali auf das Sofa, erhob sich jedoch sofort wieder. Aria warf ihr einen wütenden Blick zu und versteckte sich hinter ihrer Kamera.
Aber Ali war bereits abgelenkt. Spencers ältere Schwester Melissa, eine Zwölftklässlerin, kam durch die Tür. Eine Take-away-Tüte von Ottos, einem Restaurant in der Nachbarschaft der Hastings, baumelte von ihrem Handgelenk. Ihr superknackiger Freund Ian war bei ihr. Ali richtete sich kerzengerade auf. Spencer fuhr sich durch die aschblonden Haare und rückte ihr Diadem zurecht.
Ian betrat das Wohnzimmer mit einem fröhlichen »Hallo, Mädels.«
»Hi«, trällerte Spencer laut. »Wie geht’s dir, Ian?«
»Alles tutti.« Ian lächelte Spencer zu. »Niedliches Diadem.«
»Danke!«, hauchte Spencer und klimperte mit ihren nachtschwarzen Wimpern.
Ali verdrehte die Augen. »Druck doch gleich Plakate«, höhnte sie halblaut.
Aber es war fast unmöglich, Ian nicht umwerfend zu finden. Er hatte blonde Locken, perfekte weiße Zähne und haselnussbraune Augen, und natürlich ging es den Mädchen nicht mehr aus dem Kopf, wie er beim Fußballspiel neulich in der Halbzeitpause sein Trikot gewechselt hatte und ihnen ganze fünf Sekunden lang den Anblick seiner nackten Brust geboten hatte. Selbstverständlich lag es auf der Hand, dass so viel Attraktivität an jemanden wie Melissa total verschwendet war, denn die war schrecklich prüde und benahm sich die meiste Zeit wie Spencers Mutter.
Ian ließ sich auf die Couch neben Ali fallen.
»Und was geht bei euch so, Mädels?«
»Ach, nicht viel«, sagte Aria und stellte die Kamera scharf. »Wir drehen einen Film.«
»Einen Film?« Ian wirkte amüsiert. »Kann ich mitspielen?«
»Klar«, sagte Spencer schnell. Sie ließ sich an seiner anderen Seite nieder.
Ian grinste in die Kamera. »Dann gebt mir mal Text.«
»Wir drehen eine Talkshow«, erklärte Spencer. Sie sah Ali an, als erwarte sie eine Reaktion, aber diese blieb aus. »Ich bin die Moderatorin. Du und Ali, ihr seid meine Gäste. Du bist bei mir als Erstes dran.«
Ali stieß ein anzügliches Schnauben aus, und Spencers Wangen wurden so leuchtend rosa wie das Ralph-Lauren-T-Shirt, das sie trug. Ian ging nicht auf die Zweideutigkeit ein. »Okay. Dann schieß los.«
Spencer setzte sich sehr aufrecht hin und schlug ihre muskulösen Beine in typischer Moderatorinnen-Pose übereinander. Sie nahm das pinkfarbene Mikro von Hannas Karaokemaschine und hielt es sich vor den Mund. »Willkommen bei der Spencer-Hastings-Show. Meine erste Frage an unseren Gast …«
»Frag ihn nach seinem Lieblingslehrer«, rief Aria.
Ali erwachte zum Leben. Ihre blauen Augen leuchteten auf. »Oh, das solltest du ihn fragen, Aria. Frag Ian, ob er mit seinen Lehrern rummachen will. Auf verlassenen Parkplätzen.«
Aria keuchte auf. Hanna und Emily, die neben der Couch standen, tauschten einen verständnislosen Blick.
»Meine Lehrer sind alle spuckehässlich«, sagte Ian, der überhaupt nichts kapierte, langsam.
»Ian, würdest du mir bitte helfen?« Melissa ließ demonstrativ irgendetwas in der Küche klappern.
»Momentchen«, rief Ian.
»Ian.« Melissa klang verärgert.
»Ich weiß was.« Spencer strich sich das lange blonde Haar hinter die Ohren. Es gefiel ihr, dass Ian ihnen mehr Aufmerksamkeit widmete als Melissa. »Was wünschst du dir zum Schulabschluss?«
»Ian!«, rief Melissa in wütendem Tonfall. Spencer warf ihrer Schwester durch die gläserne Flügeltür zur Küche einen ärgerlichen Blick zu. Das Licht aus dem geöffneten Kühlschrank tauchte Melissas Gesicht in Schatten. »Ich. Brauche. Hilfe.«
»Das ist einfach«, sagte Ian und ignorierte Melissa. »Ich wünsche mir einen Base-Jumping-Kurs.«
»Base-Jumping?«, wiederholte Aria. »Was ist das?«
»Mit einem Fallschirm von Hochhäusern springen und so«, erklärte Ian.
Ian begann, eine Geschichte über seinen Freund Hunter Queenan zu erzählen, der bereits einen solchen Kurs besucht hatte, und die Mädchen lehnten sich gespannt vor. Aria richtete die Kamera auf Ians Kiefer, der aussah wie aus Marmor gemeißelt. Ihr Blick wanderte zu Ali. Sie saß neben Ian und starrte ins Leere. Langweilte sie sich etwa? Sie hatte wahrscheinlich Aufregenderes im Kopf – bei der SMS war es wahrscheinlich um eine Verabredung mit ihren glamourösen älteren Freundinnen gegangen.
Arias Blick wanderte weiter zu Alis Handy, das auf dem Sofa neben ihr lag. Was verbarg sie vor ihnen? Was hatte sie vor?
Würdet ihr sie manchmal auch am liebsten ermorden? Während Ian weitererzählte, ging Aria Spencers Frage durch den Kopf. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie manchmal alle so dachten. Dass Ali einfach … aufhörte zu existieren, wäre vermutlich weniger schlimm, als von ihr fallen gelassen zu werden.
»Hunter meinte, es sei ein irrer Kick, mit dem Fallschirm abzuspringen«, schloss Ian. »Sogar noch besser als Sex.«
»Ian …«, knurrte Melissa warnend.
»Das klingt faszinierend.« Spencer sah an Ian vorbei zu Ali. »Oder?«
»Ja.« Ali wirkte schläfrig, beinahe als sei sie in Trance. »Faszinierend.«
Die letzten Schulwochen vergingen wie im Flug: Abschlussklausuren, Partyvorbereitungen, weitere Treffen der fünf und immer stärkere Spannungen zwischen ihnen. Und dann verschwand Ali, am Abend des letzten Schultags der siebten Klasse. Einfach so. Sie war da … und dann war sie plötzlich fort.
Die Polizei stellte auf der Suche nach Hinweisen ganz Rosewood auf den Kopf. Polizisten verhörten die vier Mädchen einzeln und fragten, ob Ali sich merkwürdig verhalten habe oder irgendetwas Ungewöhnliches passiert sei. Sie alle hatten angestrengt überlegt. Der Abend von Alis Verschwindens war merkwürdig gewesen – Ali hatte sie hypnotisiert und war nach einem dummen Streit mit Spencer über das Zuziehen oder Offenlassen von Rollläden aus der Scheune der Hastings gerannt und … nie zurückgekommen. Aber hatte es noch andere merkwürdige Abende gegeben? Sie dachten an den Abend, an dem sie versucht hatten, Alis SMS zu lesen, verwarfen den Gedanken aber. Nachdem Ian und Melissa gegangen waren, hatte sich Alis Laune rasch wieder gehoben. Sie hatten einen Tanzwettbewerb veranstaltet und mit Hannas Karaokemaschine herumgealbert. Die geheimnisvollen SMS auf Alis Handy waren vergessen.
Dann wollten die Cops wissen, ob jemand aus Alis Bekanntenkreis vielleicht einen Groll gegen sie gehegt habe. Hanna, Aria und Emily dachten bei dieser Frage an genau dieselbe Szene: Würdet ihr sie manchmal auch am liebsten ermorden?, hatte Spencer gezischt. Aber nein. Spencer hatte nur Spaß gemacht, nicht wahr?
»Ali hatte keine Feinde«, sagte Emily und drängte den Gedanken beiseite.
»Auf keinen Fall«, antwortete Aria bei ihrem Einzelverhör und wandte den Blick von dem stämmigen Polizisten ab, der neben ihr auf der Hollywoodschaukel auf ihrer Veranda saß.
»Ich glaube nicht«, sagte Hanna bei ihrem Verhör und spielte mit dem bunten Freundschaftsbändchen, das Ali für alle fünf nach Jennas Unfall geknüpft hatte. »Ali hatte nicht viele enge Freunde. Nur uns. Und wir liebten sie über alles.«

SPENCERS EIFRIGE ARBEIT ZAHLT SICH AUS

Am Montagmorgen um halb sieben hätte Spencer Hastings eigentlich im Bett liegen und schlafen sollen. Stattdessen saß sie im blau-grün gehaltenen Wartezimmer einer Psychotherapeutin und fühlte sich, als sei sie in einem Aquarium eingesperrt. Ihre ältere Schwester Melissa saß in einem smaragdfarbenen Sessel ihr gegenüber. Melissa sah von ihrem Wirtschaftsbuch auf – sie hatte einen Masterstudiengang an der renommierten Wharton-Wirtschaftsschule der University of Pennsylvania belegt – und warf Spencer ein mütterliches Lächeln zu.
»Seit ich regelmäßig zu Dr. Evans gehe, fühle ich mich so viel … aufgeräumter«, schnurrte Melissa, deren Sitzung direkt nach Spencers Stunde beginnen sollte. »Du wirst sie mögen. Sie ist unglaublich!«
Natürlich ist sie das, dachte Spencer verächtlich. Melissa wäre von jedem Menschen begeistert, der sich bereit erklärte, ihr eine volle Stunde lang beim Monologisieren zuzuhören.
»Anfangs wird sie dir vielleicht zu direkt sein, Spence«, warnte Melissa und klappte ihr Buch zu. »Sie wird dir Sachen über dich erzählen, die du lieber nicht hören willst.«
Spencer verlagerte ihr Gewicht. »Ich bin nicht mehr sechs. Mit Kritik kann ich umgehen.«
Melissa zog beinahe unmerklich die Augenbrauen hoch, was wohl bedeuten sollte, dass sie sich da nicht so sicher war. Spencer verschanzte sich hinter ihrer Zeitschrift und fragte sich zum x-ten Mal, was sie eigentlich hier machte. Ihre Mutter Veronica hatte ihr einen Termin bei der Therapeutin – Melissas Therapeutin – besorgt, nachdem man Spencers alte Freundin Alison DiLaurentis tot aufgefunden hatte und ihr Nachbar Toby Cavanaugh in den Freitod gegangen war. Spencer vermutete, die Therapeutin sollte auch klären, warum Spencer mit Melissas Freund Wren rumgemacht hatte. Aber Spencer ging es gut. Wirklich. Und warum sollte es eine gute Idee sein, zur Therapeutin ihrer ärgsten Feindin zu gehen? Man würde sich ja auch nicht dem Schönheitschirurgen eines hässlichen Mädchens anvertrauen. Spencer fürchtete, nach ihrer ersten Therapiestunde mit dem psychischen Gegenstück zu schiefen Brüsten herumlaufen zu müssen.
In diesem Augenblick öffnete sich die Bürotür und eine zierliche, blonde Frau mit Schildpattbrille, schwarzer Tunika und schwarzer Hose erschien.
»Spencer?«, fragte die Frau. »Ich bin Dr. Evans. Komm rein.«
Spencer ging in Dr. Evans Büro, das hell, spärlich eingerichtet und Gott sei Dank ganz anders war als das Wartezimmer. Am Fenster standen eine schwarze Ledercouch und ein grauer Wildledersessel. Auf einem großen Schreibtisch befanden sich das Telefon, ein Stapel Dokumentenmappen, eine Schreibtischlampe aus Chrom und ein Briefbeschwerer in Form eines trinkenden Vogels. Mr Craft, Spencers Erdkundelehrer, hatte das gleiche Vogel-Briefbeschwerer-Dingsbums. Dr. Evans ließ sich in den grauen Sessel sinken und bedeutete Spencer, auf der Couch Platz zu nehmen.
»Also«, sagte Dr. Evans, als sie beide saßen. »Ich habe schon viel von dir gehört.«
Spencer rümpfte die Nase und schaute in Richtung Wartezimmertür. »Lassen Sie mich raten. Von Melissa, stimmt’s?«
»Von deiner Mom.« Dr. Evans schlug ein rotes Notizbuch auf. »Sie sagte, in deinem Leben sei in letzter Zeit einiges drunter und drüber gegangen.«
Spencer starrte auf das Tischchen neben der Couch, auf dem eine Schale mit Pralinen, eine Schachtel Kleenex – oh natürlich – und ein Geschicklichkeitsspiel standen. Die DiLauerentis hatten das gleiche Spiel besessen, und Ali und sie hatten es gemeinsam gelöst, was sie zu Genies machte. »Ich komme schon zurecht, glaube ich«, murmelte sie. »Ich will mich nicht umbringen oder so.«
»Eine enge Freundin ist gestorben. Und ein Nachbarjunge. Das muss ziemlich hart sein.«
Spencer lehnte den Kopf an die Rückenlehne des Sofas und sah nach oben. Die unregelmäßig verputzte Decke sah pickelig aus. Womöglich würde es ihr wirklich guttun, mit jemandem zu reden – mit ihrer Familie konnte sie nicht über Ali oder Toby sprechen oder über die schrecklichen Nachrichten, die sie von dem miesen Erpresser bekommen hatte, der mit A. unterzeichnete. Und ihre alten Freundinnen … tja, die mieden Spencer, seit sie ihnen gestanden hatte, dass Toby von Anfang an im Bilde gewesen war, dass sie seiner Stiefschwester Jenna das Augenlicht geraubt hatten – ein Geheimnis, das Spencer mehr als vier lange Jahre vor ihnen verborgen hatte.
Andererseits, warum reden? Seit Tobys Selbstmord waren drei Wochen vergangen, und der Tag, an dem Bauarbeiter Alis Leiche gefunden hatten, lag bereits einen Monat zurück. Dass Spencer so weit ganz gut damit zurechtkam, lag allerdings hauptsächlich daran, dass A. sich nicht mehr gemeldet hatte. Sie hatte seit Foxy, Rosewoods großem Wohltätigkeitsball, keine Nachricht mehr erhalten. Anfangs machte A.s Schweigen Spencer nervös, denn sie dachte, dies sei nur die Ruhe vor dem Sturm. Aber als mehr und mehr Zeit verstrich, begann sie, sich allmählich zu entspannen. Ihre manikürten Nägel krallten sich nicht mehr unwillkürlich in ihre Handballen. Sie musste nachts nicht mehr die Schreibtischlampe brennen lassen. Sie hatte in Mathe eine Eins plus bekommen und auf ihren Aufsatz über Platons Der Staat eine Eins. Ihre Trennung von Wren – der sie für Melissa abserviert hatte, die wiederum ihn abservierte – tat nicht mehr ganz so weh, und ihre Familie war wieder normal desinteressiert an ihr. Sogar Melissas Gegenwart – sie lebte bei ihrer Familie, während eine kleine Heinzelmännchen-Armee ihr Stadthaus in Philadelphia renovierte – war meistens erträglich.
Vielleicht war der Albtraum ja vorüber.
Spencer bewegte die Zehen in ihren kniehohen sandfarbenen Ziegenlederstiefeln. Selbst wenn sie zu Dr. Evans genug Vertrauen fassen würde, um mit ihr über A. zu reden, was sollte das bringen? Warum über A. reden, wenn A. verschwunden war?
»Es ist nicht leicht, aber Alison war jahrelang spurlos verschwunden. Ich lebe mein Leben weiter«, sagte Spencer schließlich. Vielleicht würde Dr. Evans merken, dass sie kein Redebedürfnis hatte, und ihre Sitzung für beendet erklären.
Dr. Evans schrieb etwas in ihr Notizbuch. Spencer fragte sich, was. »Ich habe auch gehört, dass du mit deiner Schwester Probleme wegen eines Jungen hattest.«
Spencer war empört. Sie konnte sich vorstellen, wie verzerrt die Version des Wren-Debakels gewesen war, die Melissa der Therapeutin aufgetischt hatte. Wahrscheinlich hatte in dieser Schmierenkomödie Spencer Sahne von Wrens nacktem Bauch geleckt und Melissa gezwungen, ihr ohnmächtig vom Fenster aus dabei zuzusehen. »War halb so schlimm«, murmelte sie.
Dr. Evans ließ die Schultern sinken und warf Spencer den gleichen Blick zu, den auch ihre Mutter benutzte. Erzähl mir keine Märchen, bedeutete er. »Er war zuerst der Freund deiner Schwester, stimmt’s? Und du hast ihn ihr ausgespannt?«
Spencer knirschte mit den Zähnen. »Ich weiß, das war nicht in Ordnung, okay? Ich brauche nicht noch eine Gardinenpredigt.«
Dr. Evans starrte sie an. »Ich will dir gar keine Predigt halten. Vielleicht … hm.« Sie legte einen Finger an die Wange. »Du hattest wahrscheinlich deine Gründe.«
Spencer riss die Augen auf. Hatte sie richtig gehört? Hatte Dr. Evans gerade gesagt, dass sie Spencer nicht für die Alleinschuldige hielt? Vielleicht waren hundertsiebzig Dollar die Stunde doch nicht zu viel Geld für eine Psychotherapeutin.
»Verbringst du manchmal Zeit mit deiner Schwester?«, fragte Dr. Evans nach einer Pause.
Spencer griff nach einer Praline aus der Schale. Sie wickelte die Alufolie in einem Stück ab, strich sie mit der Hand glatt und steckte die Praline in den Mund. »Nie. Nur, wenn unsere Eltern dabei sind. Aber dann redet Melissa nicht mit mir. Sie prahlt nur vor unseren Eltern mit ihren tollen Leistungen und den stinklangweiligen Renovierungsarbeiten an ihrem Haus.« Spencer sah Dr. Evans mitten in die Augen. »Sie wissen sicher, dass meine Eltern ihr ein Haus in der Altstadt gekauft haben, bloß weil sie ihren College-Abschluss gemacht hat.«
»Das weiß ich.« Dr. Evans streckte die Arme in die Luft und zwei silberne Armreifen rutschten auf ihre Ellbogen. »Sehr faszinierend, wirklich.«
Dann zwinkerte die Therapeutin.
Spencers Herz wurde plötzlich ganz leicht. Offenbar interessierte sich Dr. Evans auch nicht gerade brennend dafür, warum Sisal der Vorzug vor Jute zu geben war. Yes!
Sie unterhielten sich noch eine Weile, und Spencer begann, das Gespräch richtig zu genießen. Dann zeigte Dr. Evans auf die schmelzende Dalí-Uhr, die über ihrem Schreibtisch hing. Die Stunde war vorbei. Spencer verabschiedete sich, öffnete die Bürotür und rieb sich den Kopf, als habe die Therapeutin ihn aufgemeißelt und in ihrem Gehirn herumgewühlt. Aber es hatte sich tatsächlich weit weniger schrecklich angefühlt, als sie befürchtet hatte.
Sie schloss die Tür und drehte sich um. Zu ihrer Überraschung saß ihre Mutter in dem lindgrünen Ohrensessel neben Melissa und las eine Zeitschrift.
»Mom?«, fragte Spencer stirnrunzelnd. »Was machst du denn hier?«
Veronica Hastings sah aus, als sei sie direkt aus den Stallungen der Familie hergefahren. Sie trug ein weißes T-Shirt, Röhrenjeans und abgewetzte Reitstiefel. In ihren Haaren hing sogar ein bisschen Heu.
Sowohl Mrs Hastings als auch Melissa machten ernste Gesichter. Spencers Magen hob sich. Oh Gott, jemand war gestorben. Jemand – Alis Mörder – hatte wieder getötet. A. war zurück! Oh nein, bitte nicht, dachte sie.
»Ich habe einen Anruf von Mr McAdam erhalten«, sagte Mrs Hastings und stand auf. Mr McAdam war Spencers Wirtschaftskundelehrer. »Er wollte über einige Aufsätze reden, die du vor ein paar Wochen abgegeben hast.« Sie machte einen Schritt auf Spencer zu und ihr Chanel No. 5 kitzelte sie in der Nase. »Spencer, er will einen Aufsatz für die Goldene Orchidee nominieren!«
Spencer wich zurück. »Die Goldene Orchidee?«
Die Goldene Orchidee war der renommierteste Aufsatzwettbewerb des ganzen Landes, das Highschool-Aufsatz-Gegenstück zu den Oscars. Wenn sie gewann, würdenTime und People einen Artikel über sie schreiben. Yale, Stanford und Harvard würden darum betteln, dass sie sich bei ihnen einschrieb. Spencer verfolgte seit Jahren die Karrieren der Orchidee-Gewinner so eifrig wie andere Menschen die Dummheiten von Promis. Die Gewinnerin von 1998 war inzwischen Herausgeberin eines sehr bekannten Modemagazins. Der Gewinner von 1994 war mit achtundzwanzig Kongressabgeordneter geworden.
»Genau.« Ihre Mutter lächelte sie strahlend an.
»Oh mein Gott.« Spencer war schwindelig. Aber nicht vor Aufregung, sondern vor Entsetzen. Die Aufsätze, die sie abgegeben hatte, stammten nicht von ihr – sie waren von Melissa! Spencer war mit ihren Hausaufgaben spät dran gewesen, und A. hatte vorgeschlagen, sie solle sich Melissas alte Arbeiten »ausborgen«. In den vergangenen Wochen war so viel passiert, dass Spencer das völlig vergessen hatte.
Sie stöhnte innerlich. Melissa war Mr McAdams Lieblingsschülerin gewesen. Wie war es möglich, dass er sich nicht an ihre Aufsätze erinnerte? Vor allem wenn sie so gut waren?
Ihre Mutter packte ihren Arm, und Spencer zuckte zusammen, denn Veronicas Hände waren immer eiskalt. »Wir sind so stolz auf dich, Spence!«
Spencer hatte die Kontrolle über ihre Gesichtsmuskeln verloren. Sie musste die Wahrheit sagen, bevor sich die Sache verselbstständigte. »Mom, ich kann nicht …«
Aber Mrs Hastings hörte gar nicht zu. »Ich habe schon mit Jordana vom Philadelphia Sentinel telefoniert. Du erinnerst dich doch noch an sie? Sie hatte früher bei uns Reitunterricht. Egal. Auf jeden Fall ist sie ganz aus dem Häuschen, weil aus unserer Gegend noch nie jemand nominiert wurde. Sie will einen Artikel über dich schreiben!«
Spencer blinzelte. Oh verdammt, alle lasen den Philadelphia Sentinel.
»Ich habe bereits einen Termin für das Interview und das Fotoshooting vereinbart«, plapperte Mrs Hastings weiter, schnappte ihre riesige safranfarbene Tod’s-Tasche und klimperte mit den Autoschlüsseln. »Am Mittwoch vor der Schule. Sie bringen einen Stylisten mit und Uri wird dich bestimmt gerne frisieren.«
Spencer wagte nicht, ihrer Mutter in die Augen zu sehen, also starrte sie auf die Zeitschriften, die im Wartezimmer auslagen. New Yorkers, Economist und ein riesiges Märchenbuch, das auf einer Schachtel mit Legosteinen thronte. Nein, sie konnte ihrer Mom nicht erzählen, dass sie den Aufsatz geklaut hatte. Jetzt nicht. Außerdem würde sie den Wettbewerb sowieso nicht gewinnen. Mehrere Hundert Schüler von den besten Highschools des Landes wurden nominiert. Sie würde wahrscheinlich nicht einmal die erste Auswahlrunde überstehen.
»D-das klingt super«, stotterte sie schließlich.
Ihre Mom tänzelte zur Tür. Spencer blieb noch einen Moment stehen und starrte auf den Wolf, der den Umschlag des Märchenbuches zierte. Als kleines Mädchen hatte sie das gleiche Buch besessen. Der Wolf trug ein Nachthemd und eine Haube und linste lüstern auf ein blondes naives Rotkäppchen. Früher hatte Spencer davon Albträume bekommen.
Melissa räusperte sich. Als Spencer aufsah, blickte sie direkt in die Augen ihrer Schwester.
»Gratuliere, Spence«, sagte Melissa ausdruckslos. »Die Goldene Orchidee. Das ist Wahnsinn.«

ENGLISCHUNTERRICHT – EROTISCH AUFGELADEN

Am Montagmorgen setzte sich Aria Montgomery still an ihr Pult im Englisch-Klassenzimmer. Das Fenster stand offen und die Luft roch nach Regen. In der Lautsprecheranlage knackte es und alle Schüler schauten zu dem kleinen Kasten an der Decke.
»Liebe Mitschüler! Hier spricht Spencer Hastings, eure zweite Schulsprecherin!« Spencers Stimme drang laut und klar durch den Raum. Spencer klang frisch und selbstsicher, als habe sie einen professionellen Ansage-Kurs absolviert. »Ich möchte euch daran erinnern, dass morgen die Rosewood-Day-Hammerhaie gegen die Drury-Academy-Aale schwimmen. Es ist der wichtigste Wettkampf der Saison, also kommt alle, zeigt sportlichen Geist und unterstützt unser Team!« Eine kleine Pause. »Yeah!«
Einige Schüler kicherten. Aria erschauderte. Trotz allem, was passiert war – der Mord an Alison, Tobys Selbstmord, A. -, war Spencer weiterhin Präsidentin aller möglichen Clubs. Aber in Arias Ohren klang ihre Fröhlichkeit … falsch. Sie hatte eine Seite von Spencer gesehen, die sonst kaum jemand kannte. Spencer hatte seit Jahren gewusst, dass Ali Toby erpresst hatte, damit er zu Jennas Unfall schwieg, und Aria konnte es Spencer nicht verzeihen, dass sie ein solch gefährliches Geheimnis vor ihr und den anderen verborgen hatte.
»Aufgepasst, meine Lieben«, sagte Ezra Fitz, Arias Englischlehrer. Er schrieb in seiner kantigen Schrift Der scharlachrote Buchstabe an die Tafel und unterstrich den Titel vier Mal.
»In Nathaniel Hawthornes Meisterwerk betrügt Hester Prynne ihren Ehemann und wird von den Bewohnern ihrer Stadt dazu gezwungen, ein großes rotes E auf der Brust zu tragen, damit niemand vergisst, was sie getan hat.« Mr Fitz drehte sich zur Klasse um und schob seine eckige Brille nach oben. »Welche anderen Erzählungen kennt ihr, in denen es darum geht, dass jemand in Schande fällt und für seine Fehler lächerlich gemacht oder aus der Gemeinschaft ausgestoßen wird?«
Noel Kahn hob die Hand und seine Rolex rutschte an seinem Handgelenk hinab. »MTVs Real-World-Folge, in der alle Hausbewohner dafür stimmen, das Psycho-Mädel rauszuwerfen?«
Alle lachten und Mr Fitz wirkte perplex. »Leute, dies soll der Begabtenkurs sein, wenn mich nicht alles täuscht.« Fitz wandte sich an Aria. »Aria? Wie steht’s mit dir? Hast du eine Idee?«
Aria zögerte. Ihr eigenes Leben wäre das perfekte Beispiel. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ihre Familie in Island harmonisch zusammengelebt, Alison war noch nicht für tot erklärt gewesen und A. hatte nicht existiert. Aber dann hatten sich die Ereignisse überschlagen. Vor fünf Wochen war Aria in das herausgeputzte Rosewood zurückgekehrt, Alis Leiche war unter dem Betonfundament hinter ihrem Haus gefunden worden und A. hatte das größte Geheimnis der Familie Montgomery ans Tageslicht gezerrt: Arias Vater betrog ihre Mutter Ella mit seiner Studentin Meredith. Diese Enthüllung hatte Ella schwer getroffen und Byron war noch am selben Tag ausgezogen. Es machte die Sache nicht besser, dass Ella auch erfuhr, dass ihre Tochter seit über drei Jahren von der Affäre gewusst und ihr nichts gesagt hatte. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter war seither empfindlich abgekühlt.
Natürlich hätte alles noch schlimmer sein können. Wenigstens hatte Aria seit drei Wochen keine SMS mehr von A. erhalten. Ella sprach seit einigen Tagen wieder mit ihr, obwohl Byron inzwischen angeblich mit Meredith zusammenlebte. Und Rosewood war bislang noch nicht von Aliens attackiert worden, auch wenn Aria das nach all den seltsamen Dingen, die in dieser Stadt passiert waren, nicht sonderlich überraschen würde.
»Aria?«, fragte Mr Fitz. »Keine Idee?«
Mason Byers rettete sie. »Adam, Eva und die Schlange?«
»Wunderbar«, sagte Mr Fitz abwesend. Sein Blick ruhte noch einen Augenblick lang auf Aria, dann sah er weg. Arias Haut prickelte und ihr wurde warm. Sie hatte mit Mr Fitz – damals noch Ezra – in der Collegekneipe Snookers geknutscht, bevor sie wussten, dass er ihr neuer Englischlehrer war. Er hatte die Affäre beendet, und wie Aria inzwischen zu Ohren gekommen war, hatte er ohnehin eine Freundin in New York. Aber sie war nicht sauer auf ihn. Zwischen ihr und Sean Ackard, ihrem neuen Freund, lief es sehr gut. Sean war süß und lieb und zudem wahnsinnig gut aussehend.
Abgesehen davon war Ezra der beste Englischlehrer, den Aria je hatte. In den fünf Wochen seit Schulbeginn hatte er bereits vier fantastische Bücher in der Klasse besprochen und eine Bühnen-Parodie, die auf Edward Albees Der Sandkasten basierte, auf die Beine gestellt. Bald würden sie im Desperate Housewives-Stil eine Interpretation von Medea auf die Bühne bringen, der griechischen Tragödie, in der eine Mutter ihre eigenen Kinder ermordet. Ezra wollte ihnen beibringen, unkonventionell zu denken, und Unkonventionalität war Arias Stärke. Inzwischen nannte sie ihr Mitschüler Noel Kahn nicht mehr Finnland, sondern Arschkriecher. Na ja. Es war zur Abwechslung aber mal ganz schön, sich auf die Schule freuen zu dürfen, und manchmal vergaß sie sogar, dass ihr Verhältnis zu Ezra jemals kompliziert gewesen war.
Bis ihr Ezra eins seiner schiefen Lächeln zuwarf. Dann schlug ihr Herz unwillkürlich schneller. Aber nur ein bisschen.
Hanna Marin, die direkt vor Aria saß, hob die Hand. »Was ist mit dem Buch, in dem zwei Mädchen die besten Freundinnen sind, bis die eine plötzlich böse wird und der anderen den Freund ausspannt?«
Ezra kratzte sich am Kopf. »Das habe ich leider nicht gelesen, tut mir leid.«
Aria ballte die Fäuste. Sie wusste genau, was Hanna meinte.
»Zum letzten Mal, Hanna: Ich habe dir Sean nicht ausgespannt! Ihr wart NICHT MEHR ZUSAMMEN!«
Die Schüler brachen in Gelächter aus. Hanna erstarrte. »Huch, da ist aber jemand selbstbezogen«, murmelte sie, ohne sich umzudrehen. »Wer hat denn gesagt, dass ich von dir rede?«
Aber Aria war ja nicht bescheuert. Als sie aus Island zurückgekehrt war, hatte sie mit Erstaunen registriert, dass Hanna sich von Alis pummeliger schusseliger Sklavin in eine dünne, schöne, Designerklamotten tragende Göttin verwandelt hatte. Es sah so aus, als habe Hanna alle ihre Träume verwirklicht: Sie und ihre beste Freundin Mona Vanderwaal – ebenfalls eine zum It-Girl transformierte ehemalige Nulpe – regierten die Schule, und Hanna hatte sich sogar Sean Ackard unter den Nagel gerissen, in den sie seit der sechsten Klasse hoffnungslos verliebt gewesen war. Aria hatte sich erst mit Sean eingelassen, als sie erfuhr, dass Hanna ihn abserviert hatte. Kurz darauf fand sie allerdings heraus, dass es genau andersherum gewesen war.
Aria hatte gehofft, sie und ihre ehemaligen Freundinnen könnten wieder zusammenfinden, besonders nachdem sie alle Nachrichten von A. erhalten hatten. Aber nach den jüngsten Vorfällen sprachen sie wieder einmal nicht miteinander, und alles war wie damals in den Wochen nach Alis Verschwinden. Aria hatte ihnen nicht einmal erzählt, was A. ihrer Familie angetan hatte. Die einzige Exfreundin, mit der Aria wenigstens gelegentlich sprach, war Emily Fields. Aber Kern dieser Gespräche war meist, dass Emily sich ihre Schuldgefühle wegen Tobys Tod von der Seele jammerte, bis Aria ihr schließlich steckte, dass dieses Unglück nicht ihre Schuld war.
»Na gut«, sagte Ezra und gab allen Schülern ein Exemplar von Der scharlachrote Buchstabe. »Lest bis nächste Woche die Kapitel eins bis fünf und gebt am Freitag bitte einen dreiseitigen Aufsatz über die Themen ab, die am Anfang des Buches behandelt werden. Okay?«
Alle stöhnten und begannen zu reden. Aria steckte das Buch in ihre mit Yakfell besetzte Tasche. Hanna beugte sich zur Seite und hob ihre Handtasche vom Boden auf. Aria berührte ihren dünnen, blassen Arm. »Hör mal. Es tut mir leid. Ehrlich.«
Hanna riss ihren Arm weg, presste die Lippen zusammen und stopfte wortlos ihr Buchexemplar in die Tasche. Es verklemmte sich und sie stieß ein frustriertes Grunzen aus.
Klassische Musik flutete aus dem Lautsprecher und signalisierte, dass die Stunde vorbei war. Hanna schoss hoch, als stünde ihr Stuhl in Flammen. Aria stand langsam auf, steckte Block und Stift in die Tasche und ging in Richtung Tür.
»Aria.«
Sie drehte sich um. Ezra lehnte am eichenen Lehrerpult und drückte seine karamellfarbene Ledertasche gegen seine Hüfte. »Alles okay?«, fragte er.
»Sorry wegen gerade«, sagte sie. »Hanna und ich haben ein bisschen Ärger. Es kommt nicht wieder vor.«
»Kein Thema.« Ezra setzte seine Teetasse ab. »Ist sonst alles in Ordnung?«
Aria biss sich auf die Lippe und überlegte kurz, ob sie ihm erzählen sollte, was los war. Doch aus welchem Grund? Es konnte gut sein, dass Ezra genauso mies war wie ihr eigener Vater, denn wenn er wirklich eine Freundin in New York hatte, dann hatte er sie mit Aria betrogen.
»Alles okay«, presste sie heraus.
»Gut. Deine Leistungen im Unterricht sind glänzend.« Er lächelte und zeigte dabei seine süßen schiefen Frontzähne im Unterkiefer.
»Ja, macht auch Spaß«, sagte Aria, wollte sich zum Gehen wenden und stolperte über ihre superhohen Plateauboots. Vornüber kippte sie gegen Ezras Pult. Ezra packte sie um die Taille, richtete sie auf … und lehnte sie an sich. Sein Körper fühlte sich warm an und strahlte Geborgenheit aus, und er roch gut, nach Chilipulver, Zigaretten und alten Büchern.
Aria ging schnell auf Abstand. »Alles okay?«, fragte Ezra.
»Ja.« Sie zupfte übereifrig ihren Blazer zurecht. »Entschuldigung.«
»Schon gut«, wehrte Ezra ab und stopfte die Hände in die Jackentaschen. »Also … bis dann.«
»Ja. Bis dann.«

SCHLECHTE PRESSE GIBT ES NICHT

Während der Freistunde am Montagnachmittag saßen Hanna Marin und ihre beste Freundin Mona Vanderwaal an einem Ecktisch von Steam, der Kaffeebar der Rosewood Day. Sie taten das, was sie am besten konnten: über Leute herziehen, die nicht so fantastisch waren wie sie selbst.
Mona stieß Hanna mit einem in Schokolade gehüllten Biscotto an. Für sie war Essen mehr Requisite als Nahrung. »Jennifer Feldmann hat ordentliche Stampfer, was?«
»Das arme Mädchen«, seufzte Hanna mit falschem Mitgefühl. »Stampfer« war Monas Lieblingsbezeichnung für propere, unförmige Beine, die ohne erkennbare Verjüngung vom Knie hinunter zum Knöchel durch die Welt gehen mussten.
»Und ihre Füße sehen in diesen Hacken aus wie Knackwürste!« Mona kicherte.
Hanna kicherte ebenfalls und beobachtete, wie Jennifer, die Mitglied der Tauchmannschaft war, ein Poster an die Wand hängte, auf dem der morgige Schwimmwettkampf angekündigt wurde. Ihre Knöchel waren wirklich unsäglich dick.
»Tja, das kommt davon, wenn Mädels mit Schweineknöcheln meinen, sich in Louboutins quetschen zu müssen«, seufzte Hanna. Christian Louboutins Schuhe waren ausschließlich für feingliedrige Nymphen wie sie und Mona designt, das wusste doch jeder.
Mona nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und zog ihren Gucci-Terminplaner aus ihrer auberginefarbenen Ledertasche. Hanna nickte anerkennend. Sie hatten heute noch Wichtigeres zu tun, als Mitschüler zu dissen. Sie mussten nicht eine, sondern gleich zwei Partys planen: eine nur für sie beide und eine, an der auch der Rest von Rosewoods Elite teilnehmen würde.
»Eins nach dem anderen.« Mona zückte ihren Stift. »Unser Jahrestag. Was sollen wir heute Abend machen? Shopping? Massagen? Dinner?«
»Alles«, antwortete Hanna. »Wir müssen auf jeden Fall bei Otter einfallen.« Otter war die neue Luxusboutique in der Mall.
»Das ist doch ein Plan«, stimmte Mona zu.
»Wo sollen wir essen?«
»Im Rive Gauche natürlich«, sagte Mona laut, um die Kaffeemühle zu übertönen.
»Du hast recht. Dort kriegen wir auf jeden Fall Wein.«
»Sollen wir ein paar Jungs einladen?« Monas blaue Augen leuchteten. »Eric Kahn ruft mich ständig an. Vielleicht kann er Noel für dich mitbringen?«
Hanna runzelte die Stirn. Obwohl Noel süß, unverschämt reich und Teil des übercoolen Kahn-Clans war, stand sie nicht wirklich auf ihn. »Keine Jungs«, entschied sie. »Aber das mit Eric ist cool.«
»Das wird ein toller Jahrestag.« Mona grinste so breit, dass ihre Wangen Grübchen bekamen. »Es ist schon unser dritter. Kaum zu glauben, was?«