Macht & Millionen - Solveig Gode - E-Book

Macht & Millionen E-Book

Solveig Gode

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Beschreibung

Verrat und Betrug in der Wirtschaftswelt Betrug, Korruption, Spionage, Sex – und manchmal auch Gewalt. So spannend wurde Wirtschaft noch nie erzählt: Die Journalisten Solveig Gode und Kayhan Özgenc berichten über die spektakulärsten Verbrechen und Skandale der Wirtschaftswelt, blicken hinter die Kulissen in den Chefetagen. Exklusive Einblicke in die großen Affären um VW, Aldi & Co. In jedem Kapitel beleuchten sie einen Fall, den sie anhand von eigenen Recherchen und Original-Dokumenten neu aufrollen. Es geht um große Namen, berühmte Unternehmen und sehr viel Geld. Die beiden Journalisten erzählen von schillernden Millionären und tief gefallenen Managern, von gerissenen Betrügern und gierigen Erben; aber auch von Menschen von nebenan, die zu Tätern und Opfern wurden – wahre Wirtschaftskrimis, die genau so passiert sind.  Die packendsten Wirtschaftskrimis – erzählt von dem beliebten Moderatoren-Duo des Nr. 1-Podcasts »Macht & Millionen« Der verschollene Tengelmann-Milliardär – Aldi-Clan: Erbstreit im Discounter-Reich – CumEx-Krimi um Olaf Scholz – Die Wulff-Affäre – VW-Rotlichtaffäre: Sex auf Konzernkosten – Der Siemens-Schmiergeldskandal – Die Schlecker-Pleite – Die Jagd auf Hedgefonds-Manager Florian Homm – Tönnies: Familienstreit ums Fleischimperium – Anna Sorokin, die falsche Millionenerbin – Big Manni, der Milliardenbetrüger – Und ganz neu: Die VW-Abhöraffäre »Auch jemand wie ich, der sich seit Jahren mit Verbrechen beschäftigt, kann mit diesem Buch noch was lernen: Wirtschaft ist manchmal spannender als jeder Krimi.« Philipp Fleiter, Autor des Bestsellers Verbrechen von nebenan

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Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Vorwort

Die VW-Rotlichtaffäre

Hartz und die Edelprostituierte Joselia

Die Nazis und die Macht der VW-Betriebsräte

Drei Männer entscheiden über das Schicksal von VW

Ein Damenprogramm für Gattinnen und Geliebte

Der Beschuldigte Volkert bricht sein Schweigen

Der Vorzimmer packt aus

Frontalangriff auf den Patriarchen Piëch

»Behandlung wie ein Top-Manager«

Geheimtreffen in Magdeburg

Das Lügengebäude bricht zusammen

Der Cum-ex-Skandal

Worum dreht sich der Cum-ex-Skandal?

Milliarden verschwinden heimlich aus der Steuerkasse

Hanno Berger: Der Meister der Gier

Ein Whistleblower schlägt Alarm, und es passiert – nichts

Der Betrug fliegt auf

Eine mächtige Staatsanwältin gegen die Warburg-Banker

Die erstaunlich gegensätzlichen Gutachten von Finanzbeamtin Daniela P.

Die Spur führt tief in die Hamburger SPD und mitten ins hochherrschaftliche Rathaus

Pikante Details drängen ans Licht

Das Gedächtnis von Olaf Scholz ist voller Erinnerungslücken

Die schmutzigen Details kommen nach mehreren Razzien ans Licht

Endlich ein Geständnis vor Gericht – der ehemalige Warburg-Geschäftsführer Detlef M. packt aus

Schluss mit lustig: Das Landgericht Bonn verurteilt den ehemaligen Generalbevollmächtigten der Warbung Bank zu fünf Jahren Haft

Das volle Interview mit Fabio De Masi, Finanzexperte und Ex-Bundestagsabgeordneter der Linken

Verfolgt von Kopfgeldjägern

Der kleine Großneffe des großen Josef Neckermann

Vom Finanzhai zum mutmaßlichen Betrüger

Mit falschen Gerüchten den Kurs nach unten manipulieren

Großaktionär bei Borussia Dortmund

Angeschossen in Caracas

Vom Darling der Märkte zum Ziel von FBI und US-Börsenaufsicht SEC

Flucht auf dem Klapprad in Chile

Der Tipp für die Festnahme in den Uffizien kommt vom FBI

Auf freiem Fuß in Deutschland

Urteil in Kalifornien gegen den mutmaßlichen Komplizen

Vom Häftling zum YouTube-Star

Die Wulff-Affäre

Gerhard Schröder schlägt ihn gleich zweimal

Die deutschen Kennedys im Schloss Bellevue

Finanzspritze vom väterlichen Freund

Sein Sprecher schreibt: »Ich sehe schwarz«

Ein Fall für die Staatsanwaltschaft

Die eigene Partei auf Tauchstation

Konto mit 80 000 Euro in den Miesen

Großer Auftritt vor Gericht

Familienfehde ums Fleisch-Imperium

Von der Dorfmetzgerei zum Milliardenimperium

Der Firmengründer erkrankt schwer

Clemens’ Aufstieg zum Fleischbaron

Robert strebt an die Macht

Roberts Zweifel an seinem Onkel – das restliche Vertrauen ist zerstört

Die dunklen Geheimnisse der Familie Tönnies

Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung

Untreueverdacht in Liechtenstein

Der westfälische Frieden

Der zerbrochene Frieden

Clemens, der Putin-Freund, der den Gazprom-Vertrag für Schalke organisiert

Spekulationen über einen Verkauf des Unternehmens

Finale Lösung: Die Gesellschafter erklären das Zerrüttungsverfahren für beendet

Sie nannten ihn »Big Manni«

Er wittert das Geschäft seines Lebens

Mit dem Hubschrauber zum »feuchten Mittagessen«

Gefährliche Ermittlungen

Der letzte Rettungsversuch

Psychiater diagnostiziert Harry-Potter-Syndrom

Zwei Minister stürzen über den Skandal

Die Hochstaplerin Anna Delvey

Der große Schwindel auf Instagram

Abgehobener Lebensstil

Netzwerke schaffen mit Namedropping

Wenn du pleite bist, lass deine Freunde zahlen

Märchenstunde an der Rezeption

Ein Obstsalat und ein Lachs-Sandwich für 200 Dollar bringen sie zu Fall

Das FBI fahndet nach der Betrügerin

Die echte Anna

Gefälschte Bankdokumente, gutgläubige Banker

Kleider machen Leute – ohne Outfit keine Identität

Der Aldi-Familienstreit

Aldi ist ein Stück deutsche Wirtschaftsgeschichte

Bevor es zum Streit kommt, teilen die Brüder ihr Reich auf

Theo Albrecht wird in seinem Mercedes entführt

Sieben Millionen Mark – die weltweit größte Lösegeldsumme

Fast täglich Briefe an Ehefrau Cilly

24 Stunden Vorsprung für die Entführer

Theo Albrecht macht noch aus seinem Tod ein Geheimnis

Das steht im Testament von Berthold Albrecht

Mitglieder der Familie Albrecht sollen Vorbilder sein

Die Erben haben mit Mitte zwanzig Millionen auf dem Konto

Kampf mit allen Mitteln vor Gericht

Entsetzen über den Tabubruch

Abrechnung mit den Erben im Testament

Eine weitere Eskalation: Bertholds Sohn stellt Strafanzeige gegen seine Schwestern

Verschwindet der Aldi-Äquator nach mehr als 60 Jahren?

Schwarze Kassen bei Siemens

Technik-Gigant mit langer Geschichte

Die Siemens-Mitarbeiter helfen nach – mit Bestechungsgeld

Mit Bargeld im Kofferraum über die Grenze

Eine Finanzspritze für den Diktator

Das zweite Schmiergeld-System

Das Ende des Schweigens

Anklagen gegen die Vorstände, erste Festnahmen

Wie viel wusste Mister Siemens Heinrich von Pierer?

Haftstrafen für korrupte Betriebsräte

Der Fall des Vorzeigemanagers

Aufräumarbeiten bringen Korruption in Milliardenhöhe ans Licht

Das seltsame Selbstverständnis der Siemensianer

Keine Haftstrafen für Topmanager

Von Pierers Reputation ist ramponiert

Der verschollene Tengelmann-Milliardär

Firmeninhaber Karl-Erivan – verschollen in den Gletscherspalten der Alpen

Mord oder Flucht werden nicht ausgeschlossen

Die dritte Generation: dunkle Vergangenheit im Dritten Reich und Wirtschaftswunder

Das Tengelmann-Imperium gerät ins Wanken

Eine Ära endet: Patriarch Erivan Haub zieht sich zurück

Startschuss für die große Supermarktschlacht

Spionage-Thriller im Hause Tengelmann

Der frühere Leibwächter gerät ins Fadenkreuz

Ein verheerendes Urteil gegen den Traditionsunternehmer

Eskalation mit Operation »Sissi«: Karl-Erivan nimmt seinen Bruder ins Visier

Verdeckte Ermittler sind im Münchner Rotlichtmilieu unterwegs

Verbindungen zur Russen-Mafia und dem Putin-Umfeld?

Die Spitzelaktion gegen den Bruder kostet Millionen

Der neue starke Mann bei Tengelmann – Christian Haub

Streit um die Erbschaftssteuer

Der neue Anwalt will den Firmenpatriarchen für tot erklären lassen

Schwägerin Katrin Haub wird als unfähig und machtgierig dargestellt

Einer seiner Lieblingssprüche war: Die besten Spiele finden im Geheimen statt

Verunglückt, untergetaucht oder ermordet?

Der Drogeriekönig dankt ab

Eine wahre Wirtschaftswundergeschichte

Kredite von den Lieferanten, nicht von den Banken

Die Familie hinter dem Imperium

Die Entführung der Kinder

Das Leben nach der Entführung

Schwäbischer Millionär und Geizkragen mit Sparwahn

Das erste Mal vor Gericht

Erste wirtschaftliche Probleme

Der schwächelnde Schlecker übergibt die Macht

Die große Pleite

Schlecker ist nicht mehr zu retten

Eine scheinheilige Familie

Der große Auftritt vor Gericht

Schafft Schlecker ein Comeback?

Ein Spitzel, ein abgefackeltes Haus, eine Leiche

Der Zulieferer stoppt die VW-Produktion

Geheime Taskforces gehen an den Start

Vertrauliche Liste mit Übernahme-Kandidaten

»Der Gerhard Schröder hat sich eingeschaltet«

Wer hat die Meetings heimlich abgehört?

Das Haus des Maulwurfs geht in Flammen auf

Die Feuerwehr findet eine Leiche im ausgebrannten Auto

Plötzlich steht die Staatsanwaltschaft vor der Tür

Eine neue Spur führt nach Russland

Anmerkungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Vorwort

»Pausenschmaus« heißt die Raststätte an der A2 in der Nähe von Magdeburg. Sie zeichnet weder ein besonderer Charme aus, noch sticht sie durch ihr kulinarisches Angebot hervor. Ungewöhnlich ist die Tatsache, dass sie über einen Festsaal verfügt, falls einmal jemand eine Feierlichkeit direkt an der Autobahn ins Auge fassen möchte. Und doch ist die Raststätte mit dem »Pausenschmaus« ein ganz besonderer Ort. Denn dorthin führt die Spur der VW-Dieselaffäre, eines der spektakulärsten Betrugsskandale in der deutschen Wirtschaft.

Für die geheimen Recherchen zu »Dieselgate« verfügte der »Pausenschmaus« über einen unschätzbaren strategischen Vorteil. Auf halber Strecke zwischen der VW-Konzernzentrale in Wolfsburg und der Redaktion in Berlin gelegen, konnten wir in einer unscheinbaren Lokalität streng vertrauliche Gespräche mit Informanten führen. Es waren Vertreter der mittleren Führungsebene, die uns dort über Hintergründe und interne Details der illegalen Machenschaften beim Auto-Giganten ins Bild setzten. Im Laufe der Gespräche lieferten sie auch interne Dokumente, die im »Pausenschmaus« den Besitzer wechselten. So konnten die jahrelangen Abgas-Manipulationen rekonstruiert und die Beteiligung von Vorständen enthüllt werden.

Ohne die Hilfe solcher Informanten würden viele Affären und Missstände niemals an die Öffentlichkeit gelangen. Ohne die Hinweisgeber und Whistleblower kämen die Kämpfe um Macht und Millionen nicht ans Licht. Deswegen sind diese Menschen die heimlichen Helden hinter den Geschichten, deren Identität aber stets verborgen bleiben muss. Sie liefern die Beweise, ohne die Veröffentlichungen von kriminellen Machenschaften in der Wirtschaft unmöglich wären.

Gerade in der Wirtschaft ist es viel schwieriger, an Informationen zu gelangen, als etwa in der Politik. Während dort direkt aus Fraktionssitzungen SMS verschickt werden, befinden sich Unterlagen aus Aufsichtsratstreffen der Unternehmen unter Verschluss. Wer gegen die Geheimhaltungsklauseln verstößt und Unterlagen weitergibt, macht sich strafbar.

Was aber treibt die Informanten an? Warum berichten sie über Interna, leaken Dokumente und riskieren damit alles – ihre Karriere, ihr Ansehen, ihr Vermögen? Die Motive unterscheiden sich. Sie reichen von dem Wunsch nach Gerechtigkeit, dem Wiederherstellen einer Ordnung, der Suche nach der Wahrheit bis hin zu kalter Rache.

Ein gutes Beispiel ist der Dieselskandal: Unsere Gesprächspartner aus dem VW-Reich ärgerten sich über die Strategie der Konzernspitze, die Fehler einigen Mitarbeitern in die Schuhe zu schieben. Nach Bekanntwerden der Abgas-Manipulationen durch US-Behörden im September 2015 sprach der Konzern vom Fehlverhalten »einiger Ingenieure« und schob die Verantwortung des Vorstands um den langjährigen CEO Martin Winterkorn weit von sich. Ein paar Techniker sollen demnach eine der größten Betrügereien erdacht und begangen haben, die zu Milliardenstrafen für den Autobauer führten – alles angeblich ohne Beteiligung oder Mitwissen der Chefetage.

Genau dieses Märchen aus Wolfsburg verletzte deren Ehrgefühl und sorgte dafür, dass wir mit den VW-Informanten ins Gespräch kamen. Stück für Stück packten sie aus. Sie waren bitter enttäuscht von ihren Chefs und wollten die Wahrheit ans Licht bringen. Etliche Vorstände wurden in der Folge der Berichterstattung belastet. Die meisten von ihnen mussten den Konzern verlassen, einige landeten vor Gericht oder zeitweise sogar hinter Gittern. Das Wichtigste ist: Keiner der Informanten wurde enttarnt, die Treffen im »Pausenschmaus« blieben geheim.

Für die Recherchen in Sachen Wirtschaftskriminalität ist es entscheidend, zu wissen, was die Motive der Informanten sind. So können wir Aussagen und Dokumente klarer einordnen. Wichtig ist ebenfalls, die Informanten zu treffen, sie gut kennenzulernen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und sich einen Eindruck von deren Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Dabei stellt sich im Gespräch meist zügig heraus, ob es sich um eine seriöse Quelle handelt – oder um eitle Wichtigtuer, die ihr angebliches Insiderwissen aus zweiter Hand erworben haben und ihre Widersacher lediglich kompromittieren wollen.

Bisweilen kommt es aber vor, dass die Hinweisgeber im Hintergrund agieren und einen Mittelsmann vorschicken. Das war bei dem CSU-Politiker Georg Fahrenschon der Fall. Der frühere bayerische Finanzminister war an die Spitze des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes gewechselt. Zwei Tage vor seiner Wiederwahl als Präsident im November 2017 bekamen wir über einen Dritten einen brisanten Tipp: Gegen Fahrenschon würde ein Strafbefehl wegen Steuerhinterziehung aufgrund zu spät eingereichter Steuererklärungen vorliegen. Der oberste Sparkassenchef als Steuersünder? Die Information stimmte. Seine Wiederwahl wurde erst verschoben, wenige Tage später trat Fahrenschon als Präsident zurück und tauchte danach nie wieder in der Öffentlichkeit auf. Sein Sturz beruhte auf einer bis heute unbekannten Quelle.

Für die Wirtschaftskrimis in diesem Buch haben wir mit vielen Informanten gesprochen und zahlreiche Dokumente ausgewertet. Wie wichtig umfangreiche Unterlagen sind, um der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen, zeigt der erbitterte Familienstreit bei den Albrechts, den Inhabern von Aldi. Dort kämpfen Gründer-Sohn Theo Albrecht und seine Schwägerin Babette samt deren Kindern erbittert um Macht und Milliarden im Discounter-Imperium.

Beide Seiten bringen seit Jahren Anwälte und PR-Berater mit aberwitzigen Stundensätzen in Stellung. In unserem Kapitel zur Aldi-Familienfehde zitieren wir deshalb ausführlich aus Original-Dokumenten wie etwa dem Testament der Patriarchin Cäcilie Albrecht und persönlichen Briefen. So kann sich jede Leserin und jeder Leser selbst ein Bild von dem Familienstreit und den Machtkämpfen in einer der reichsten Familien unseres Landes machen.

Drei Arten von Wirtschaftsaffären behandeln wir in diesem Buch: Da sind zum einen die Familienstreitigkeiten wie bei den Albrechts, aber auch bei der milliardenschweren Familie Haub, den Inhabern von Tengelmann, sowie beim Fleischproduzenten Tönnies. Es wird gestritten bis aufs Blut. Diese Fälle sind hoch emotional. Es geht um Verletzungen aus der Vergangenheit, Demütigungen von Familienmitgliedern untereinander. Aber auch um Familiengeheimnisse sowie den Streit um Traditionen und Werte.

Die Kontrahenten, von Geburt an Erben, kennen das »normale« Leben nicht. Ihr Lebensinhalt ist der Streit um die Milliarden, welche die Generationen vor ihnen erwirtschaftet haben. Wem es mehr um Macht als um Millionen geht, lässt sich in vielen Fällen schwer beurteilen.

Bei der zweiten Kategorie von Wirtschaftskriminalität, bei den Hochstaplern, ist die Gier nach Reichtum und Ruhm am stärksten ausgeprägt. Die Protagonisten lügen und betrügen, um ihren Traum vom gesellschaftlichen Ansehen zu verwirklichen. Haben es die Außenseiter bis ganz nach oben geschafft, sonnen sie sich im erschlichenen Luxus – bis das Lügengebäude in sich zusammenbricht. Das Möchtegern-It-Girl Anna Delvey aus dem beschaulichen Eschweiler baute via Instagram eine Schein-Identität auf und avancierte so zum umschwärmten Society-Magneten der New Yorker Elite. Sie erleichterte diese um mehrere Hunderttausend Dollar, beinahe ohne dass sie es merkten. Erst nach Jahren landete sie wegen ihrer Betrügereien hinter Gittern.

Ein Leben mit Privatjets, Traumvillen und reichlich Champagner genoss Manfred Schmider, genannt »Big Manni«. Das Geld dafür ergaunerte er sich mit Bohrmaschinen, die es gar nicht gab und die nur auf dem Papier existierten. Sein Größenwahn war derart ausgeprägt, dass ihn ein Psychiater bei seinem Betrugsprozess auf Megalomanie untersuchte. Auch er wanderte in den Knast.

Die dritte Dimension von Wirtschaftskriminellen sind in Konzernen anzutreffen, wie etwa bei Volkswagen. Nicht nur bei den jahrelangen Abgas-Manipulationen griffen Angestellte von Europas größtem Autobauer zu illegalen Methoden. Auch bei dem Skandal um geschmierte Betriebsräte verstießen VW-Manager auf unglaubliche Weise gegen Recht und Gesetz. Hochrangige Gewerkschafter wurden durch Lustreisen, Bordellbesuche und Bonuszahlungen gefügig gemacht. Dem langjährigen Arbeiterführer Klaus Volkert finanzierte VW gar eine brasilianische Geliebte auf Konzernkosten.

Bei Siemens wiederum gehörten Schmiergelder in Millionenhöhe lange Zeit zum Geschäftsmodell. Mitarbeiter führten schwarze Kassen, schmuggelten Bargeld in Koffern über die Grenzen, richteten weltweit Geheimkonten ein. Sie wurden zu Wirtschaftsverbrechern, um für Siemens Aufträge rund um den Globus zu ergattern.

Bei den Konzern-Kriminellen geht es deshalb meist nicht um persönliche Bereicherung. Ihr Antrieb ist eher die Angst vor den Vorgesetzten und vor dem Jobverlust. Sie sind Teil einer korrupten Kultur, aus der es nicht so einfach ist auszubrechen. Das soll nichts entschuldigen, sondern nur erklären, warum Angestellte kriminelle Taten begehen, ohne dass sie finanziell direkt davon profitieren.

Das Buch beruht auf Ideen unseres Podcasts »Macht & Millionen« bei Business Insider. Für jedes Kapitel haben wir die Fälle weiter recherchiert, mit Informanten oder Beteiligten gesprochen und sie getroffen. Seit Dezember 2020 berichten wir unseren Hörerinnen und Hörern über die spannenden Wirtschaftskrimis. »Macht & Millionen« entwickelte sich zu unserer großen Freude zu einem der beliebtesten True-Crime-Podcasts mit mehr als vier Millionen Abrufen.

Wirtschaftskriminalität galt in Deutschland und der Welt lange als Kavaliersdelikt, die Straftat von Managern als weit weniger schmutzig als Raub oder Totschlag. Steuerhinterziehung, Bilanzbetrug, schwarze Kassen, Schmiergeldzahlungen, schmutzige Tricks bei Erbstreitigkeiten oder bei der Vergabe von Aufträgen – all dies wurde gesellschaftlich weit weniger geächtet als manche Tat eines Kleinkriminellen.

Oft fehlt den Tätern die Einsicht in ihre Straftat, wie etwa der Fall Boris Becker zeigt. Bis zum Ende hielt er es für ausgeschlossen, dass er ins Gefängnis wandert. Im April wurde die Tennis-Legende von einem Londoner Gericht wegen mehrerer Insolvenzstraftaten zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Die Wirtschaftskriminellen, ob Superstar, Politiker oder Manager aus den Top-Etagen, nehmen für sich in Anspruch, dass Regeln für sie schlichtweg nicht gelten. Sie halten sich für unangreifbar, da es die Strafverfolgungsbehörden häufig schwer haben, ihre Taten zu beweisen.

Selbst wenn die Beweise vorliegen, gehen viele vor Gericht straffrei aus. Das ist fatal. Das große Interesse an den Fällen der Wirtschaftskriminalität insbesondere beim jungen Publikum zeigt, dass sich die gesellschaftliche Meinung geändert hat. Die Zeiten, in denen Bestechung von Auftragnehmern zum Business dazugehörte, in denen viele glaubten, Compliance sei ein neuer Duft von Yves Saint Laurent, gehören zunehmend der Geschichte an.

Die VW-Rotlichtaffäre

Mit Sex auf Konzernkosten macht der Autobauer die mächtigen Betriebsräte gefügig

Ein grandioser Sommerabend an der Hamburger Außenalster. Bei Weißwein und Häppchen tummeln sich Politiker, Journalisten und Manager auf dem Medientreff eines Energiekonzerns. Die Stimmung ist entspannt. Unter den Gästen erkenne ich[1] einen langjährigen Informanten. Aufgeregt winkt er mich herbei, zieht mich an den Rand des Lokals, um ungestört mit mir reden zu können.

Was er in den nächsten Minuten erzählt, klingt abenteuerlich. Es geht um eine spektakuläre Affäre bei VW, einem der größten Konzerne des Landes und einem der größten Autobauer der Welt. Der Mann berichtet davon, dass Betriebsräte von Volkswagen über Jahre systematisch geschmiert worden seien. Die Arbeitnehmervertreter hätten sich auf VW-Kosten gar mit Prostituierten amüsiert. Die Chefetage wisse davon und versuche derzeit, den Korruptionsskandal zu verheimlichen. Viele prominente Namen seien in den Fall verwickelt. Räuberpistole oder Riesenaffäre? Genau dieser Gedanke schießt mir durch den Kopf.

Der Abend an der Alster ist der Beginn einer fulminanten Story. Der Informant, den ich seit Jahren kenne, enttäuscht mich nicht. Er nennt mir erste Hinweise und Namen für die Recherche. Eindringlich warnt er zugleich: »Denken Sie daran, dass Sie sich bei dem Fall mit den wirklich Mächtigen in diesem Land anlegen.«

Die erste Spur führt nach Mladá Boleslav in Tschechien. Dort ist die Zentrale von Skoda, der Tochterfirma des VW-Konzerns. Damals, im Juni 2005, hat der Personalvorstand Helmuth Schuster Skoda gerade verlassen. Die Personalie wird kurz und knapp auf der Internetseite von Skoda vermeldet.

Den Namen Helmuth Schuster kennen zu diesem Zeitpunkt nur Insider. Bei ersten Nachforschungen stellt sich heraus, dass er mit seinem Skoda-Job offenbar nicht ausgelastet war. Nebenbei betreibt er reichlich Geschäfte innerhalb des Konzerns, unter anderem mit einem Mann, der zu den mächtigsten Figuren im VW-Reich zählt. Es ist Klaus Volkert, der Vorsitzende des Betriebsrats und damals wohl einflussreichste Arbeiterführer der Republik.

Ende Juni veröffentliche ich die erste Geschichte zur Affäre.[1] Es geht um Korruption. Schuster steht im Verdacht, Schmiergelder von Zulieferern verlangt zu haben. Noch taucht der Name Volkert öffentlich nicht auf. Doch das ändert sich nur wenige Tage später. Auf einer Betriebsversammlung in Wolfsburg erklärt Volkert nach 15 Jahren an der Spitze der Arbeitnehmervertretung überraschend seinen Rücktritt. Der 62-Jährige begründet den Abschied mit seinem Alter und der strategischen Neuausrichtung des Betriebsrats. Nachfolger wird sein bisheriger Vize Bernd Osterloh. Angeblich sei der Wechsel von langer Hand geplant gewesen. Tausende VW-Mitarbeiter feiern ihren Vorkämpfer, verabschieden ihn mit riesigem Beifall.

Volkerts Karriere endet mit einer Lüge, ausgerechnet vor seinen Beschäftigten, für die er sich angeblich immer so vehement eingesetzt hatte. Denn der Betriebsratschef kommt mit dem abrupten Rückzug einem drohenden Rauswurf zuvor. Nach der Entlassung seines Freundes Schuster zieht sich die Schlinge für Volkert zu. Die Revisionsabteilung von VW, die sich um den Fall kümmert, stößt auf immer mehr Ungereimtheiten und Indizien bei Volkert. Es geht um Firmenanteile in Luxemburg und Tschechien, gemeinsame Geschäfte mit Schuster zulasten des Konzerns. Der VW-Vorstandsvorsitzende Bernd Pischetsrieder erklärt die Nachforschungen im Fall Volkert zur Chefsache, drängt auf eine lückenlose Aufklärung. Volkert weiß, dass noch viel mehr rauskommen wird, und entscheidet sich, die Betriebsversammlung in Wolfsburg für seinen raschen Abgang zu nutzen.

In diesen Tagen geht es Schlag auf Schlag. Als Volkert stürzt, ist eine weitere Schlüsselfigur in der Affäre gerade rausgeworfen worden. Klaus-Joachim Gebauer, langjähriger Manager in der Personalabteilung, erhielt die Kündigung von VW. Auch er war in die zwielichtigen Geschäfte mit seinen Duzfreunden Schuster und Volkert verwickelt. Aber zügig stoßen die internen VW-Ermittler auf ganz andere Machenschaften Gebauers. Er kümmerte sich über Jahre auf ungewöhnliche Weise um die Belange des Betriebsrats, als Chefanimateur der Arbeitnehmervertreter ließ er kaum einen Wunsch offen. Gebauer jettete mit den Gewerkschaftern um die Welt, stieg in diversen Luxushotels ab, zahlte die Restaurantbesuche und feierte ausgelassene Partys in Bordellen auf Kosten von VW.

Gebauer war Mitarbeiter in der Abteilung des zu diesem Zeitpunkt wohl prominentesten VW-Managers: Peter Hartz, Personalvorstand, Arbeitsmarktreformer, Kanzlerberater und SPD-Mitglied. Es ist der Mann, nach dem bis heute das Arbeitslosengeld umgangssprachlich als »Hartz IV« benannt wird. Von »hartzen« ist sogar die Rede, wenn jemand die staatliche Unterstützung bezieht. Damals, im Sommer 2005, war sein Name fast allen Menschen in Deutschland ein Begriff. Nur mit Rotlichtaffären hätte ihn niemand in Verbindung gebracht.

Hartz und die Edelprostituierte Joselia

Eine brasilianische Prostituierte namens Joselia bringt Peter Hartz Anfang Juli spektakulär zu Fall. Sein Mitarbeiter Gebauer kümmerte sich jahrelang nicht nur um die sexuellen Wünsche der Arbeiternehmervertreter wie Volkert. Er besorgte auch Hartz Prostituierte wie jene Joselia. Die Bild-Zeitung spürt die Frau nach einem internen VW-Hinweis in einem Nachtclub in Lissabon auf und zeigt ihr Fotos von Hartz. »Oh, das ist mein Peter!« Mit diesem Ausruf soll Joselia den VW-Vorstand »unter einem Dutzend Fotos anderer Männer sofort« wiedererkannt haben. Sie berichtet von heimlichen Sextreffen mit Hartz in Luxushotels in Paris und São Paulo. »Danach musste ich aber in einem anderen Zimmer auf einer anderen Etage übernachten«, erzählt sie der Zeitung. Peter sei »immer so geheimnisvoll« gewesen. Fragen habe er stets abgeblockt. »Wenn ich mehr über ihn wissen wollte, sagte er nur: Ich bin ein geheimer Mann.«[2] Die Bezahlung lief offenbar über Gebauer. Damit steht nur wenige Tage nach dem Abgang von Betriebsratschef Volkert ein weiterer ungeheuerlicher Verdacht im Raum: Hat VW eine Prostituierte für den Personalvorstand bezahlt? Die Bild-Zeitung konfrontiert den Konzern mit den Recherchen und kündigt die Story für den nächsten Tag an. Peter Hartz ist verzweifelt. Er weiß, sollte die Geschichte auf der Titelseite erscheinen, wäre seine lange und so ruhmreiche Karriere ganz schnell beendet. Und zwar auf eine Weise, die kaum peinlicher sein kann.

In diesen Stunden führt Peter Hartz seinen letzten Kampf. Er telefoniert viel, versucht, seine Kontakte zur Bild und zum Axel-Springer-Verlag zu nutzen. Doch alle Bemühungen schlagen fehl. Am Abend ruft er dann seinen Pressesprecher ins Büro. Eine letzte Idee, das ganze Unheil noch abzuwenden, ist ihm offenbar in den Sinn gekommen. Dem verdutzten Pressesprecher soll er folgenden Vorschlag schildern: VW könne doch sämtliche Ausgaben der Bild für den nächsten Tag aufkaufen. Dann würde niemand die Geschichte lesen können. Die Millionen Exemplare würde der Autobauer einfach vernichten, so als wäre nichts geschehen.

Peter Hartz muss in diesen Momenten einfach nur verzweifelt gewesen sein. Er, der einfallsreiche Manager, der immer eine Idee hatte, wenn es etwa um die Verhinderung von Jobabbau ging, ist gescheitert. Natürlich geht niemand auf die absurde Sache mit dem Kauf der Bild-Auflage ein. Hartz bietet am 8. Juli 2005 seinen Rücktritt als VW-Vorstand an, übernimmt die »politische Verantwortung«. Der Aufsichtsrat akzeptiert das Gesuch umgehend. Hartz räumt sein Büro in der Chefetage. Vorbei ist die Affäre für ihn aber noch lange nicht.

Erst Volkert, dann Hartz: Innerhalb weniger Tage stürzen zwei Männer, die jahrelang die Geschicke von Volkswagen maßgeblich geprägt haben. Noch ist das ganze Ausmaß nicht klar. Aber die Umrisse der brisanten Affäre sind bereits deutlich zu erkennen: Es geht um das System VW, ein Geben und Nehmen zwischen Management und Betriebsräten. Dabei spielt die besondere Machtstellung der Arbeitnehmervertreter eine entscheidende Rolle. Ohne deren Zustimmung läuft übrigens bis heute nichts in Wolfsburg. Der aktuelle Vorstandsvorsitzende Herbert Diess kämpft seit Jahren gegen den immensen Einfluss der Gewerkschafter auf alle wichtigen Entscheidungen im Konzern – bis hin zu der Frage, wer als Chef den Autobauer leiten darf.

Die Nazis und die Macht der VW-Betriebsräte

In keinem anderen Konzern in Deutschland sind Betriebsräte so mächtig wie bei Volkswagen. Genau das war der Nährboden für die Korruptionsaffäre im Sommer 2005. Um die Ursachen dafür verstehen zu können, muss man weit zurückgehen – und zwar in die Nazizeit. Denn Volkswagen ist auch deshalb kein normales Unternehmen, weil es in den 1930er-Jahren mit dem enteigneten Vermögen von Gewerkschaften gegründet und aufgebaut wurde. Adolf Hitler ließ das Werk nahe dem niedersächsischen Fallersleben errichten. Hitler träumte vom »KdF-Wagen« (Kraft durch Freude). Ein Wagen fürs Volk sollte dort vom Band rollen, im Krieg wurden aber vornehmlich Rüstungsgüter produziert.

Nach Kriegsende übernahm die britische Militärregierung die Führung des VW-Werkes. Die »Stadt des KdF-Wagens« wurde in Wolfsburg umbenannt. Fortan wurde der berühmte VW Käfer produziert. Den Briten war es wichtig, dass die Fabrik nicht in falsche Hände geriet. Im Jahr 1949 übergaben sie das Unternehmen in die Treuhandschaft des Landes Niedersachsen. Die Auflage der Briten lautete: Niedersachsen sollte gemeinsam mit dem Bund und den Gewerkschaften großen Einfluss ausüben. Bei der Privatisierung trat dann im Jahr 1960 eigens ein VW-Gesetz in Kraft, das bis heute – leicht verändert – gilt. Diese Regelung räumt dem Land Niedersachsen mit seinem Anteil von 20,2 Prozent eine Sperrminorität ein, also ein Vetorecht in allen wichtigen Entscheidungen.

Aus dieser Historie leiten die Betriebsräte ihren besonderen Machtanspruch ab. Sie fühlen sich als Miteigentümer von Volkswagen und bezeichnen sich selbst als Co-Manager. Besonders groß ist ihr Einfluss über den Aufsichtsrat: In dem zwanzigköpfigen Gremium sitzen zehn Arbeitnehmervertreter plus zwei Vertreter des Großaktionärs Niedersachsen. Das sind derzeit Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU). Damit verfügt dieses Lager im Aufsichtsrat über eine Mehrheit von zwölf Stimmen und könnte jederzeit weitreichende Entscheidungen treffen, zum Beispiel den Vorstandsvorsitzenden abwählen.

Anfang der 1990er-Jahre gerät VW in eine tiefe Krise. Die Absatzzahlen sind schlecht, der Umsatz bricht ein, die Produktion gilt als veraltet. Der Autokonzern, der lange für das deutsche Wirtschaftswunder stand, ist plötzlich ein wankender Riese. Es besteht gar akute Übernahmegefahr. In dieser Phase wechselt Ferdinand Piëch auf den Chefposten in Wolfsburg. Er hat zuvor die Tochterfirma Audi saniert und modernisiert, stammt aus einer der bedeutendsten Autofamilien der Welt. Sein Großvater Ferdinand Porsche baute für Hitler einst die Fabrik in Fallersleben auf, konstruierte geniale Fahrzeuge und legte den Grundstein für die berühmte Sportwagenschmiede Porsche. Heute sind die Familien Porsche und Piëch die mit Abstand größten Aktionäre des VW-Konzerns.

Ferdinand Piëch steckt damals, Anfang der 1990er-Jahre, in der Bredouille. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht müsste er Zehntausende Arbeitsplätze streichen. Doch Entlassungen in solch einer Dimension sind nicht durchzusetzen, vor allem nicht gegen die Betriebsräte und Gerhard Schröder, den damaligen Ministerpräsidenten und späteren Bundeskanzler. Es sind also kreative Lösungen gefragt.

Zur besonderen Form der Mitbestimmung gehört auch das Privileg der Arbeitnehmervertreter, dass sie über den Personalvorstand entscheiden dürfen. Den Posten darf demnach nur ein Mitglied der IG Metall bekleiden, der beherrschenden Gewerkschaft bei VW. Betriebsratschef Klaus Volkert ist auf Peter Hartz aufmerksam geworden, der sich in der saarländischen Stahlindustrie einen Namen gemacht hat. Auch Piëch findet Gefallen an Hartz und holt ihn in die Chefetage. Hartz legt gleich los und erfindet die Vier-Tage-Woche, um Massenentlassungen zu verhindern. Die IG Metall feiert ihn als Job-Retter, und auch Piëch ist zufrieden, weil er niemanden entlassen musste.

Drei Männer entscheiden über das Schicksal von VW

In Wolfsburg entwickelt sich nun ein neues Machtzentrum mit drei Männern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Ferdinand Piëch, Peter Hartz und Klaus Volkert. Da ist der Spross aus der reichen Auto-Dynastie, der wortkarg und mit harter Hand das Unternehmen führt. An seiner Seite Hartz, der Sohn eines Hüttenarbeiters aus dem Saarland, der sich nach oben gearbeitet hat und stets auf korrektes Auftreten achtet. Und dann ist da noch der gelernte Schmied Volkert, der sich als Arbeiterführer versteht und mit seinen Reden die Belegschaft mobilisieren kann. Das Männertrio bespricht und trifft alle wichtigen Entscheidungen für ein Unternehmen mit Hunderttausenden Beschäftigten. Kleiner Kreis, vertrauliche Absprachen, kurze Entscheidungswege: Das System VW startet durch.

Womöglich wären viele schlüpfrige Details und pikante Enthüllungen in dieser Affäre nicht herausgekommen, wenn der Konzern eine Schlüsselfigur besser behandelt hätte. Klaus-Joachim Gebauer war 32 Jahre in Diensten von VW. Er war der Mann, der alles zahlte und im Auftrag von Hartz den Betriebsrat bei Laune hielt. Kurz vor den Rücktritten von Volkert und Hartz wurde Gebauer gefeuert. Er hat viele abenteuerlich klingende Geschichten zu erzählen, als ich mich mit ihm in einem Café in Hannover treffe. Stundenlang sitzen wir zusammen, in den nächsten Wochen und Monaten folgen viele weitere Treffen.

Gebauer ist niemand, der auf den ersten Blick vertrauenswürdig wirkt. Der grauhaarige 61-Jährige wirkt fahrig, raucht Kette, trinkt reichlich Weißwein. Aber je länger er spricht, desto mehr glaube ich ihm. Bei solchen Treffen mit Informanten kommt es häufig aufs Bauchgefühl an. Kann ich dem Gegenüber vertrauen? Was ist seine Motivation, Interna auszuplaudern? Gebauer will seine Geschichte erzählen, die man bei VW nicht hören möchte. Es ist eine Geschichte von Macht, Gier und Sex. Und es stellt sich im Laufe der Recherchen heraus: Die Geschichte von Gebauer stimmt in großen Teilen.

Offiziell ist Gebauer als Leiter der Abteilung Personalprojekte bei VW beschäftigt. Sein tatsächlicher Job: Spaßbeauftragter der Arbeitnehmervertreter. Vor allem um Volkert soll sich Gebauer kümmern. Hartz habe ihn angewiesen, so Gebauer, dem mächtigen Betriebsratsboss »jeden Wunsch zu erfüllen«.[3]

Bei Volkerts Wünschen geht es immer wieder um Sex. Als Gesamtbetriebsratsvorsitzender ist er weltweit an den VW-Standorten unterwegs. Gebauer organisiert rund um die Sitzungen ein Amüsierprogramm, das häufig im Bordell endet. Besonders beliebt ist das Reiseziel Barcelona. Dort liegt die Zentrale der VW-Tochter Seat. Mal jettet Gebauer allein mit Volkert dahin, mal nimmt er ausgewählte Betriebsräte mit. Volkert übt seine Machtposition als Arbeiterführer aus und bestimmt, wer ihn auf den Spaßtrips ins Ausland begleiten darf. In seiner Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft berichtet Gebauer: »Die Devise von Volkert war, man bezieht so viele Personen wie möglich ein.« So wollte Volkert laut Gebauer seine Kollegen erpressbar machen und sich selbst absichern, falls alles auffliegen würde. Manchmal nimmt Volkert auch befreundete VW-Kollegen wie den Werksarzt mit, der die Betriebsräte bei Auslandsreisen mit einem medizinischen Notfallpaket versorgt: eine Tablette Imodium gegen Durchfall, eine Schlaftablette – und eine Viagra-Pille für alle Fälle.

In Barcelona nächtigt die VW-Truppe meist im Fünfsternehotel »Arts« und feiert in exklusiven Nachtclubs. Etliche Trips gehen auch nach Prag, in die Nähe des Hauptquartiers der Tochtermarke Seat. Dort bevorzugen die Betriebsräte das Etablissement »K5 Relax«. Bei insgesamt 25 Besuchen werden 43 049,99 Euro verprasst. Bisweilen steckt Gebauer den Betriebsräten auch Bargeld zu, meist Summen zwischen 1000 und 1500 Euro. Im Mai 2000 reist Gebauer mit Betriebsräten nach Las Vegas. In einem Spielcasino verzocken sie 4562,61 Euro. Wie er das alles bezahlt und abrechnet, klären wir später auf.

Ein Damenprogramm für Gattinnen und Geliebte

Gebauer kümmert sich nicht nur um die Sexreisen der Arbeitnehmervertreter. Auch die Ausgestaltung des Familienprogramms liegt in seinen Händen. Denn der Autokonzern lässt auch die Ehefrauen an den Reisen teilhaben. Einmal im Jahr organisiert Gebauer einen Kurztrip für die Mitglieder des Gesamtbetriebsratsausschusses. Es geht stets in Nobelhotels, die Gewerkschaftergattinnen dürfen gar kostenlos shoppen gehen. Die Ziele lauten zum Beispiel Island, Schottland, London und Paris. Im August 2003 etwa logiert die Truppe im Fünf-Sterne-Haus »Killarney Park Hotel« in Irland. Im VW-Firmenjet fliegen die IG Metaller samt Ehefrauen von Braunschweig zu einem Privatflugplatz nach Irland. Bei einer Reise im August 2000 nach St. Petersburg zahlt Gebauer allein fürs Hotel rund 9500 Euro.

Auch Volkert wird bei diesen Reisen von seiner Ehefrau begleitet. Doch sie weiß nicht, dass ihr Gatte über Jahre ein Doppelleben führt. Im Jahr 1998 lernt er im Club Méditerranée in Brasilien Adriana Barros kennen, verliebt sich in sie. Die beiden führen über Jahre ein Jetset-Leben auf Konzernkosten, organisiert von Chefanimateur Gebauer. Im Sommer 2003 etwa fliegt seine Geliebte von São Paulo nach Deutschland und weiter nach London. Dort besucht sie einen einwöchigen Englisch-Kurs und trifft Volkert. Die beiden jetten dann weiter nach Antalya, steigen im Hotel »Topkapi Palace« an der türkischen Riviera ab. Laut Rechnungen kosten Urlaub und Sprachkurs 4426 Euro, die Flüge 6269,98 Euro.[4]

Ein weiterer Spaßtrip auf VW-Kosten geht im Januar 2004 nach Indien. Auf dem Programm stehen der berühmte Palast Tadsch Mahal in Agra und die Andamanen-Inseln mit ihren traumhaften Stränden. Zum Abschluss verbringen Volkert und seine Geliebte noch ein paar Tage in einem Hotel in Frankfurt. Die Reise kostet insgesamt rund 165 000 Euro. Noch kurz bevor die Schmiergeldaffäre im Juli 2005 publik wird, logieren die beiden im Luxushotel »Lapa Palace« in Lissabon. Zur Tarnung erstellt Gebauer meist ein Programm mit offiziellen VW-Terminen, die teilweise nicht stattfinden. Insgesamt 48 Flüge bezahlt VW für Adriana Barros, damit sie sich weltweit mit Volkert treffen kann. Kosten: 147 579,84 Euro. Die von VW eingeschalteten KPMG-Wirtschaftsprüfer kommen später in einem vertraulichen Gutachten zu dem Ergebnis, dass Volkerts Geliebte Adriana Barros den Konzern insgesamt mehr als eine Million Euro gekostet hat.

Denn Barros schafft es sogar auf die Gehaltsliste von Volkswagen. Gebauer richtet bei der Sparkasse Gifhorn ein Konto für die Geliebte ein. Dorthin werden vom Autobauer pro Quartal 23 008 Euro überwiesen. Gebauer hebt das Geld meist in bar ab, übergibt es Volkert. Offiziell beschäftigt VW die frühere Animateurin als Journalistin für Werbefilme. Sie behauptet, für das Geld auch gearbeitet zu haben. Die konkreten Gegenleistungen sind jedoch ziemlich überschaubar. Als Volkert seinen Rücktritt erklären muss, trennt er sich von Adriana Barros und beichtet die langjährige Liebesaffäre seiner Frau. Adriana Barros sagt später in einem Interview: »In all den Jahren habe ich Klaus als integre Person und wahren Gentleman erlebt. Heute fühle ich mich von ihm betrogen.«[5]

Der Beschuldigte Volkert bricht sein Schweigen

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig leitet ein Ermittlungsverfahren gegen Volkert wegen Verdachts auf Untreue ein. Der langjährige Betriebsratschef ist dann auch der Erste, der bei den Staatsanwälten – jedenfalls zum Teil – einknickt. Im September 2005, etwa zwei Monate nach seinem Abgang, erscheint er zur Vernehmung im Landeskriminalamt (LKA) in Hannover. In den folgenden sechs Stunden beim LKA bricht er sein Schweigen, räumt umfangreiche Begünstigungen ein, zum Beispiel diverse Lustreisen auf VW-Kosten. Die teure Indien-Reise etwa im Jahr 2004 sei vor allem privater Natur gewesen.

Auch zu Adriana Barros äußert Volkert sich ausführlich. Er berichtet vom Kennenlernen in Brasilien und diversen gemeinsamen Trips, die Gebauer bezahlt habe. Der Ex-Arbeiterführer gesteht zudem, dass er seiner Geliebten auf sehr unkonventionelle Weise einen hoch dotierten Job bei Volkswagen verschafft habe. Den Werbedeal mit Barros, der ihr 23 008 Euro pro Quartal einbrachte, habe er mündlich mit Personalvorstand Peter Hartz vereinbart. Es gab weder einen Arbeitsvertrag, noch musste die Brasilianerin Berichte über ihre Tätigkeiten für den Autokonzern vorlegen.

In seiner Vernehmung rechtfertigt Volkert allerdings auch seine teure Sonderbehandlung. Als Betriebsratschef und Aufsichtsrat habe er viel für Volkswagen geleistet und eine hohe Verantwortung getragen. Mit einem Jahresgehalt von rund 360 000 Euro habe er aber deutlich unter den Bezügen für die Vorstände gelegen. Deshalb wollte er zumindest bei den Spesen mit den Topmanagern einigermaßen gleichgestellt sein. Eine entsprechende Vereinbarung habe er deshalb mit seinem Duzfreund Hartz getroffen. Vehement bestreitet Volkert, durch die Begünstigungen vom Unternehmen gekauft worden zu sein: Die Extra-Spesen und Lustreisen hätten keinen Einfluss auf seine Tätigkeit als oberster Arbeitnehmervertreter gehabt.

Mit seiner Aussage bestätigt Volkert etliche Angaben Gebauers und belastet zugleich Hartz. Der langjährige Personalchef gerät nun immer stärker ins Visier der Staatsanwälte. Denn die Fahnder stoßen bei Gebauers Reisekostenabrechnungen auf die VW-Kostenstelle »1860 diverses«. Es ist das persönliche Spesenkonto von Hartz, über das Gebauer die Trips abrechnete. Darunter finden sich auch Rechnungen für Prostituierte. Die Konzernbuchhaltung hatte in mehreren Fällen Bedenken und legte Hartz die strittigen Belege vor, die er dann persönlich abgezeichnet haben soll.

Peter Hartz gibt sich bei seinem ersten Auftritt bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig noch ahnungslos. Er habe von den Rotlicht-Rechnungen, die über sein Spesenkonto abgerechnet wurden, nichts gewusst. Seinen Rücktritt begründet er wie folgt: Er habe lediglich die Verantwortung für das Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter übernommen.[6]

Der Vorzimmer packt aus

Kurz darauf erscheinen zwei VW-Sekretärinnen aus der Personalabteilung bei den Staatsanwälten. Sie schildern eine ganz andere Geschichte. Demnach habe Hartz sehr wohl von den Begünstigungen gewusst. Die Damen aus dem Vorzimmer berichten auch im Detail, wie das geheime Abrechnungssystem in Wolfsburg über Jahre ablief. Demnach beglich Gebauer die Rechnungen zunächst mit einer seiner Kreditkarten. Für besonders brisante Spesen, zum Beispiel Bordellrechnungen, wurden Ersatzbelege ausgestellt. Dort stand unter dem Verwendungszweck: »Im Interesse des Gesamtbetriebsratsausschusses«. Das reichte.[7]

Weiter erzählen die Sekretärinnen, dass sie Gebauers Ausgaben an die Personalabteilung »Topmanagement« weitergaben. Dort seien die Beträge dann über das Hartz-Spesenkonto »1860 diverses« abgerechnet worden. Die Buchhaltung von VW überwies die entsprechenden Summen auf Gebauers Konto bei der Sparkasse Gifhorn mit der Nummer 0196501944. Das sei alles über Jahre reibungslos gelaufen, so die Zeuginnen. Auch die knapp 20 000 Euro, für die Gebauer beim Juwelier Stern in Brasilien Schmuck kaufte, wurden anstandslos überwiesen. Offenbar besorgte Gebauer für Volkert verschiedene Schmuckstücke, die dieser dann der Ehefrau und der Geliebten schenkte. Allein für zwei Jahre rechnete Gebauer Ersatzbelege in Höhe von 720 000 Euro ab.

Die unglaublichen Geschichten aus der VW-Welt gehen weiter. Die zwei VW-Mitarbeiterinnen packen über ein Liebesnest aus, das Hartz und Volkert exklusiv zur Verfügung stand. Es geht um einen verschwiegenen Ort, an dem sich die beiden mit Prostituierten trafen. Zusammen mit Gebauer hätten die VW-Sekretärinnen in Braunschweig nach einer unauffälligen Wohnung gesucht und diese in der Kurt-Schumacher-Straße 18 gefunden. Das Apartment sei renoviert und mit neuen Möbeln schick eingerichtet worden. Hartz und Volkert hätten je einen Schlüssel bekommen. Kurz vor deren geheimen Sextreffen hätten die Sekretärinnen bisweilen eine Flasche Champagner kalt gestellt. Sämtliche Kosten seien wie üblich abgerechnet und vom Konzern bezahlt worden.

Die Staatsanwälte stufen die Aussagen der beiden Frauen als überaus glaubwürdig ein, auch weil sie viele Angaben Gebauers bestätigen. Jetzt ist den Ermittlern endgültig klar, dass Hartz ihnen nicht die Wahrheit gesagt hat und stattdessen ganz tief in die Affäre verstrickt ist. Die Staatsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren wegen Untreueverdachts gegen Hartz ein, sein ehemaliges Büro in Wolfsburg wird durchsucht. Der prominente Topmanager, der dachte, durch seinen Rücktritt die Affäre abgeschüttelt zu haben, steht nun im Fadenkreuz der Fahnder.

Die Staatsanwälte laden Gebauer erneut vor. Stundenlang erzählt er pikante Rotlicht-Geschichten, wie etwa vom Liebesnest in Braunschweig. »Beschaffung und Transport« der Prostituierten für Hartz und Volkert, so steht es im Vernehmungsprotokoll, mussten möglichst geräuschlos abgewickelt werden. Gebauer kannte zwar viele Edelbordelle rund um die Welt, aber keinen Zuhälter vor Ort. Das Problem löst Günter Lenz, Betriebsratschef des VW-Werkes in Hannover und niedersächsischer SPD-Landtagsabgeordneter. Lenz stellt den Kontakt zu einer Rotlicht-Größe aus Hannover her.

Im Restaurant »Clichy« treffen sich der Zuhälter, Gebauer, Lenz und noch ein weiterer VW-Betriebsrat mit dem Szenenamen »Schorse«. Schnell wird sich die Runde einig: »Schorse« chauffiert die Prostituierten zur Braunschweiger Wohnung, schickt sie nach oben, wartet im Auto vor dem Haus und fährt die Frauen dann wieder zurück ins Bordell. Er nimmt zudem von Gebauer den Liebeslohn von 500 Euro pro Stunde in Empfang. Der Zuhälter wählt für die diskreten Sextreffen die Prostituierten »Nina« und »Vivien« aus.

Die beiden Frauen sind die nächsten Zeuginnen der Staatsanwaltschaft. Sie bestätigen viele Angaben, belasten Hartz und Volkert. »Nina« erinnert sich nicht nur an ihren Kunden Hartz, sondern auch an Details in der Wohnung wie einen blauen Teppich. »Vivien« berichtet, dass sie neben den Treffen in Braunschweig mit Volkert auch auf Fehmarn Sex hatte. Sie sei dort eigens hinchauffiert worden, als Volkert auf der Ostseeinsel seinen Surfurlaub verbrachte.[8]

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft weitet ihre Ermittlungen aus, leitet Verfahren gegen weitere Betriebsräte ein, darunter befinden sich der SPD-Landtagsabgeordnete Lenz und der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Uhl. Die Verteidigungsstrategie der Gewerkschafter sieht so aus: Sie gehen auf Tauchstation. Entweder antworten sie auf Anfragen nicht oder weisen über ihre Anwälte die Vorwürfe zurück. Anfangs kommen sie mit dieser Taktik durch.

Frontalangriff auf den Patriarchen Piëch

Vorhang auf für den nächsten großen Auftritt in Braunschweig. Die Staatsanwälte befragen im Dezember zwei Tage lang Helmuth Schuster. Das ist der frühere Skoda-Personalvorstand, dessen dubiose Geschäfte, unter anderem mit Volkert und Gebauer, die ganze VW-Affäre im Sommer ins Rollen brachte. Seine Aussagen lösen in Wolfsburg ein Beben aus. Denn Schuster belastet den mit Abstand mächtigsten Mann im Volkswagen-Reich: Ferdinand Piëch, langjähriger Vorstandschef und damaliger Aufsichtsratsvorsitzender, gefühlskalter Manager und gefürchteter Patriarch, genialer Ingenieur und gewiefter Taktiker.

Laut Schusters Vernehmungsprotokoll waren die Privilegien für Volkert »nicht nur eine persönliche Entscheidung von Herrn Peter Hartz, sondern auch der Wunsch von Herrn Piëch«. Schuster berichtet von einem »sehr besonderen Verhältnis zwischen Herrn Piëch, Herrn Hartz und Herrn Volkert«. Weiter sagt Schuster laut Protokoll: »Nicht ohne Grund hat Herr Hartz die Räume im 13. Stock direkt gegenüber von Herrn Piëch erhalten, damit es immer eine sehr enge Abstimmung gab.«[9] Vor seinem Vorstandsjob bei Skoda leitete Schuster das zentrale Personalwesen in Wolfsburg, war Mitverfasser der berühmten Arbeitsmarktreformen von Hartz und galt als sein Vertrauter.

In seiner Vernehmung schildert Schuster das System VW. Demnach gehörte die Kumpanei zwischen Management und Betriebsräten zur Konzernstrategie. Laut Schuster, der jahrelang die Arbeitnehmervorbesprechungen für die Aufsichtsratssitzungen betreute, war den Betriebsräten ihre besondere Machtstellung ziemlich klar: »Man kann sich das nicht so vorstellen, dass die armen Betriebsräte dort sitzen, die um das Überleben der Belegschaft kämpfen; vielmehr war ihnen sehr bewusst, dass sie im Unternehmen etwas zu sagen hatten.«

Aus diesem Grunde sei der Vorstand sehr bemüht gewesen, »alles zu tun, und zwar nicht nur ein Einzelner wie Peter Hartz, sondern alle«. Die Topmanager hätten zudem gewusst, »dass sie den Betriebsrat von Klaus Volkert für ihre Vertragsverlängerungen brauchten«. Schuster berichtet weiter: Wie kleine Schuljungs haben die VW-Vorstände bei Betriebsratssitzungen vor der Tür gewartet, bis die Arbeitnehmervertreter sie hereingerufen und zu bestimmten Themen befragt haben. Die Begünstigungen für Volkert und seine Leute seien laut Schuster vom Vorstand gezielt eingesetzt worden, um die Arbeitnehmervertreter bei Laune zu halten und auf Kurs zu bringen.

Ohne die Betriebsräte sei schließlich bei Volkswagen nichts gelaufen. Wenn es etwa um Investitionen in ausländische Märkte ging, so Schuster, pochten die Arbeitnehmervertreter stets darauf, dass das nicht auf Kosten der deutschen Standorte passierte. Betriebswirtschaftliche Maßstäbe wie in einem normalen Unternehmen galten da nicht. Wer sich übrigens heutzutage mit dem aktuellen Vorstandschef Herbert Diess zur aktuellen Rolle der Betriebsräte vertraulich unterhält, hört erstaunlich Ähnliches.

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