Macht Sprache - Lucy Gasser - E-Book

Macht Sprache E-Book

Lucy Gasser

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Beschreibung

Wie ein sensibler Umgang mit Sprache eine gerechtere Gesellschaft schaffen kann Dass es einen sprachlichen Wandel für eine gerechtere Gesellschaft braucht, darüber sind sich viele mittlerweile einig. Aber wie genau kann dieser aussehen? Und wie kann es uns gelingen, uns so sensibel und diskriminierungsarm wie möglich auszudrücken?  Anna von Rath und Lucy Gasser schaffen in ihrem Manifest Macht Sprache ein Bewusstsein für die vielen Stolpersteine im Sprechen, sowohl im Privaten als auch in öffentlichen Debatten, und hinterfragen die Privilegien von Menschen, die den Sprachwandel als unnötig abtun. Anhand eingängiger Beispiele regen sie zur Neuaushandlung des sprachlichen Miteinanders an – wobei auch Pragmatismus erlaubt ist. Ein Buch, das uns alle betrifft und das den Blick weitet für die Quellen von Unrecht und Diskriminierung. Die Autorinnen bieten konstruktive Reflexionsanstöße und Vorschläge, damit wir weiter miteinander sprechen können – ohne Angst davor, uns falsch auszudrücken und unser Gegenüber vor den Kopf zu stoßen. 

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Macht Sprache

Lucy Gasser ist in Kapstadt, Südafrika aufgewachsen und lebt seit 2014 in Berlin. Sie ist Juniorprofessorin für Englische Literatur- und Kulturwissenschaften an der Universität Osnabrück. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit Postcolonial Studies, Kulturen des Globalen Südens und Übersetzung. Zusammen mit Anna von Rath hat sie 2019 das bilinguale online-Magazin pocolit.com gegründet. 2021 riefen die beiden promovierten Literaturwissenschaftlerinnen die Übersetzungs-App machtsprache.de ins Leben. Für ihre Arbeit wurden sie 2022 mit dem Deep Tech Award und als Kultur- und Kreativpilotinnen ausgezeichnet. 

Anna von Rath lebt in Berlin, wo sie als freie Übersetzerin, Autorin und Diversity Trainerin arbeitet. Bei ihrer vielseitigen Arbeit an der Schnittstelle zwischen Literatur, Forschung und politischer Bildung liegt ihr Fokus auf Postkolonialismus, Intersektionalität und diskriminierungskritischer Sprache. Zusammen mit Lucy Gasser hat sie 2019 das bilinguale online-Magazin pocolit.com gegründet. 2021 riefen die beiden promovierten Literaturwissenschaftlerinnen die Übersetzungs-App machtsprache.de ins Leben. Für ihre Arbeit wurden sie 2022 mit dem Deep Tech Award und als Kultur- und Kreativpilotinnen ausgezeichnet. 

Anna von Rath und Lucy Gasser haben ausgehend von ihrer Erfahrung als Übersetzerinnen, Herausgeberinnen eines bilingualen Online-Magazins und der Entwicklung eines Übersetzungstools für diskriminierungskritische Sprache ein Manifest verfasst: In Macht Sprache laden sie ihre Leser*innen ein, viele Aspekte des Sprechens, sowohl im Privaten als auch in öffentlichen Debatten, kritisch zu hinterfragen und neue Strategien kennenzulernen. Dabei geht es von Themen wie Gendern, sprachlich reproduziertem Rassismus und dem Sprechen mit und über Menschen mit Behinderung zu problematischen Metaphern, Humor oder die Sprache der künstlichen Intelligenz. Lucy Gasser und Anna von Rath regen anhand eingängiger Beispiele zur Neuaushandlung des sprachlichen Miteinanders an. Sie bieten konstruktive Vorschläge, wie wir als Mitglieder dieser Gesellschaft im Gespräch bleiben können – dabei ist auch Pragmatismus erlaubt. Macht Sprache ist ein Buch, das uns alle betrifft.

Lucy Gasser und Anna von Rath

Macht Sprache

Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024Covergestaltung: Marion Blomeyer, Lowlypaper, MünchenAutorinnenfoto: © Michelle RueEin Buch der Ullstein-Reihe Wie wir leben wollen, herausgegeben von Silvie Horch. Alle Rechte vorbehaltenDie automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.E-Book Konvertierung powered by pepyrusISBN978-3-8437-3237-6

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Inhalt

Titelei

Das Buch

Titelseite

Impressum

 

VORWORT

TEIL 1 STEINIGES TERRAIN

1    POSITIONIERUNG

2    PRIVILEGIEN

3    MACHT

Teil 2 AUSGANGSPUNKTE

4    SPRACHLICHE ENTSCHEIDUNGEN SIND POLITISCH

5    DEMUT PRAKTIZIEREN

6    UMGANG MIT VERLETZENDER SPRACHE

Teil 3 MÖGLICHE WEGE

7    KOLLABORATIVE WISSENSPRODUKTION

8    KÜNSTLICHE UND MENSCHLICHE INTELLIGENZ

9    VERÄNDERUNG UND UNVOLLSTÄNDIGKEIT

10    PRAGMATISCHE UND PRAXISORIENTIERTE ENTSCHEIDUNGEN

11    KONTEXTABHÄNGIGKEIT

12    METAPHERN  – GEFAHREN, GRENZEN, SCHÖNHEIT

13    EIN BISSCHEN HUMOR MUSS SEIN

14    MONOLINGUALISM IS DEAD

15    VERSCHIEDENE SCHREIB- UND SPRECHWEISEN

16    GESPRÄCHE FÜHREN / KREATIVE ANSÄTZE

Anhang

DANKSAGUNG

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

VORWORT

Manifest, dasSubstantivDokument, das den unzulänglichen Status quo kritisiert und darauf abzielt, Veränderung in der Welt herbeizu­führen

    

Anmerkung

Inhaltliche Anmerkung:

In diesem Buch geht es um Sprache und Diskriminierung. Wir erklären viele diskriminierende Mechanismen, die hinter einzelnen Begriffen stehen. Dabei werden einige dieser Wörter wiederholt. Wir haben uns bemüht, das Nennen von verletzenden Begriffen so gering wie möglich zu halten. In vielen Fällen haben wir betreffende Ausdrücke entweder abgekürzt oder durchgestrichen, um anzuzeigen, dass sie problematisch sind. Dennoch bitten wir alle Leser*innen, auf sich selbst zu achten.

VORWORT

Wir sitzen mit der Familie am Tisch und essen. Eins der Kinder hat die neueste Ausgabe von Jim Knopf und die Wilde 13 geschenkt bekommen. »Kein N-Wort mehr auf Lummerland«, freut sich ein*e Cousin*e.1 Ich möchte gerade ergänzen, dass stereotype Beschreibungen insgesamt reduziert wurden, als einige Verwandte rufen: »Da hat die Sprachpolizei mal wieder durchgegriffen.« Und: »Das ist doch Zensur!« Plötzlich reden alle durcheinander. Die Stimmung kippt. Ich versuche, die Argumente für sprachliche Anpassungen in Kinderbüchern in meinem Kopf zu sortieren und mich konstruktiv ins Gespräch einzubringen. Doch immer wieder fällt mir irgendwer ins Wort. Und ich falle ihnen ins Wort. Wir werden laut, reden aufeinander ein und aneinander vorbei, bis meine Eltern den Nachtisch holen und das Thema gewechselt wird. Eine gewisse Unzufriedenheit bleibt in der Luft.

Das Meeting beginnt, und ein Mann hält einen ausführlichen Monolog. Wie er spricht, trägt dazu bei, dass er ernst genommen wird. Der Bariton seiner Stimme, seine Worte und sein Akzent werden geschätzt und als richtig empfunden. Was er sagt, ist gar nicht so wichtig. Wie er es sagt, ist ausschlaggebend. Seine Selbstsicherheit lässt die Zuhörenden nicken. Was er sagt, ergibt eigentlich keinen Sinn. Es ist Quatsch. Ich sollte darauf hinweisen. Aber wie? Wenn ich spreche, fallen mir nicht immer sofort die richtigen Worte ein, und deshalb werde ich für inkompetent gehalten. Ich lächle, um meine Kritik abzumildern, was mir als Schwäche ausgelegt wird. Meine Stimme ist ein Sopran, der als schrill gilt. Ich beende meinen Satz mit einem Fragezeichen, um in den Dialog zu gehen, aber meine Intention wird als Unsicherheit gedeutet. Ich weiß, dass ich nicht ernst genommen werde. Am Ende des Meetings kommt der Mann zu demselben Schluss wie ich. Trotzdem denken alle, unser innovativer Plan käme von ihm. Ich werde beauftragt, Dokumente für ihn vorzubereiten, obwohl wir eigentlich gleichrangige Positionen haben.

Wir schreiben dieses Buch zu zweit und haben beide schon mehrfach verschiedene Versionen der zuvor beschriebenen Szenarien erlebt. In sozialen Kontexten, mit der Familie, bei der Arbeit oder mit Freund*innen, haben wir uns schon häufig in Gesprächen wiedergefunden, die in Streit ausarteten, weil die Beteiligten nicht über ein gemeinsames Vokabular für die besprochenen Themen und die dazugehörigen Konzepte verfügten. In solchen Fällen führten die Diskussionen nicht zu einer echten Auseinandersetzung über den Zusammenhang von Sprache und ungerechter Realität. Stattdessen fransten sie meistens irgendwann in diffuse und unvereinbare Richtungen aus und der Eindruck entstand, wir würden über unterschiedliche Dinge reden.

In solchen Situationen kommt es wiederholt dazu, dass uns nicht zugehört wird, wenn wir uns auf eine Art und Weise ausdrücken, die als weiblich verstanden wird. Wer ernst genommen werden möchte, muss offenbar bestimmte Kriterien erfüllen, und einige davon haben mit der Wortwahl und der Sprechweise zu tun. Diese Kriterien gelten als allgemein bekannt, auch wenn sie selten konkret benannt werden. Sie gelten als universell, auch wenn sie spezifisch sind. Manche dieser Kriterien beziehen sich auf Gender. Andere, wie wir aus eigener Erfahrung wissen, auf Klasse oder Nationalität. Wir hatten beide das Privileg einer universitären Ausbildung, aber wir haben die Uni oft als befremdlichen Ort wahrgenommen, weil wir nicht mit den vorausgesetzten Verhaltensweisen inklusive eines bestimmten Vokabulars aufgewachsen sind. Wir saßen in Seminarräumen, in denen Kommiliton*innen Begriffe, Konzepte und Namen von Theoretiker*innen erwähnten, die nichts mit den Texten, die wir für die Lehrveranstaltungen lesen sollten, zu tun hatten. Manchmal, aber nicht immer, kam uns ein Name vage bekannt vor, aber wir hätten kein Zitat oder ausformuliertes Argument anbringen können. Obwohl wir vorbereitet ins Seminar kamen, schienen viele andere, passendere Voraussetzungen zu haben – oder sie waren zumindest in der Lage, so zu tun.

Für eine von uns ist Deutsch eine Zweitsprache, die oft wenig einladend ist. Termine bei Ärzt*innen oder Behörden vermitteln den Eindruck, dass Gesprächspartner*innen auf dich herabschauen, wenn du nicht »korrekt« Deutsch sprichst. Wenn du die bürokratische Sprache nicht verstehst, die dir sagt, was du tun sollst, kann die Annahme entstehen, du seist unfähig, den Instruktionen zu folgen. Manchmal reagieren Leute dann herablassend oder sprechen lauter, damit du sie besser verstehst. Beides ist unangenehm. Beides gibt dir das Gefühl, fehl am Platz zu sein.

In anderen Situationen erlebten wir Sprache als wirksames Werkzeug, mit dem wir diskriminierende Strukturen benennen können. Dafür danken wir den Denker*­innen, die uns mit nützlichem Vokabular und Konzepten ausgestattet haben. Einen Begriff für etwas zu haben kann ermöglichen, ein Erlebnis nicht mehr als Einzelfall, Ausnahme oder unglücklichen Zufall zu verstehen, sondern als Teil von größeren Strukturen. Ein Beispiel dafür wäre »Manspreading«, um zu beschreiben, dass Männer manchmal überproportional viel Raum einnehmen – wenn sie viel Redezeit für sich beanspruchen, so wie in dem zuvor beschriebenen Meeting, oder physisch, wenn sie breitbeinig in einer U-Bahn sitzen und ohne Rücksicht auf die Person neben ihnen mehr als einen Sitzplatz vereinnahmen. Manspreading ist in einer patriarchalen Gesellschaft keine Seltenheit. Bevor das Phänomen benannt wurde, wirkte es auf diejenigen, denen auf diese Weise Raum genommen wurde, vielleicht wie ein schwammiges Gefühl. Vielleicht stellten sie sich selbst und das Gefühl infrage. Jetzt, wo Manspreading einen Namen hat, kann ein Gespräch darüber entstehen, wie unterschiedlich sich Menschen verschiedener Geschlechter im öffentlichen Raum bewegen (können).

Wir haben Sprache im Verlauf unseres Lebens manchmal als ausschließend empfunden. In anderen Fällen hat uns neues Vokabular gestärkt. Daraus folgte der Wunsch nach einer bewussteren Auseinandersetzung mit Sprache und Diskriminierung: Sprache kann diskriminierend sein – und mit Sprache kann diskriminiert werden. Wie unsere Auseinandersetzung mit dieser Thematik aussieht, hat auch viel mit unseren persönlichen Erfahrungen zu tun. Denn unsere Biografien, wie eigen und ­speziell sie auch sein mögen, fügen sich in größere historische Zusammenhänge und Machtgefüge ein.

Wir erleben weiterhin regelmäßig herausfordernde Gespräche im privaten oder beruflichen Umfeld über das Gendern oder über rassistische und klassistische Sprache. In den vergangenen Jahren fügten wir unserem Werkzeugkasten für derartige Diskussionen jedoch zahlreiche Begriffe und Konzepte hinzu. Im Rahmen verschiedener Projekte, auf die wir später noch eingehen, hatten wir die Gelegenheit, unsere Auseinandersetzung zu intensivieren und unsere Überlegungen weiterzuführen. Darauf basiert dieses Buch. Wir möchten hier einige dieser Werkzeuge für eine diskriminierungskritische Sprachpraxis vorstellen.

Die Perspektive, die wir in diesem Buch auf Fragen rund um Diskriminierungskritik teilen, ist durch unsere Positionierungen eingeschränkt. (Was wir mit Positionierung meinen und wie wir mit entsprechenden Markierungen in diesem Buch umgehen, erklären wir ausführlich im 1. Kapitel.) Daraus leiten wir die Verpflichtung ab, über unsere eigenen Positionierungen hinauszudenken, uns auf weitere Perspektiven einzulassen und von ihnen zu lernen. Dabei werden wir unweigerlich Fehler machen. Als weiße2 Frauen nehmen wir die Kritik am weißen Feminismus von feministischen Denkerinnen wie Sara Ahmed, bell hooks und Chandra Talpade Mohanty ernst, dass es Schaden anrichten kann, Diskriminierung nur unter den Aspekten zu betrachten, die uns persönlich betreffen. Deshalb bemühen wir uns, intersektional zu denken und Diskriminierungsformen mit in unsere Überlegungen einzubeziehen, von denen wir selbst nicht direkt betroffen sind. Aber wie sehr wir uns auch anstrengen, werden wir die Kluft, die zwischen angelesenem Wissen und gelebten Erfahrungen existiert, nicht überbrücken können. Unsere Bemühungen stellen einen fortlaufenden Prozess dar, der nie vollständig abgeschlossen sein wird. Das Lernen geht weiter.

Wir hoffen, mit diesem Buch einen Beitrag zu einer produktiven Diskussionskultur über diskriminierungskritische Sprache zu leisten. Die Arbeit, auf diskriminierende Strukturen aufmerksam zu machen, sollte nicht nur den Menschen aufgebürdet werden, die am meisten unter ihnen leiden. Nur weil wir Frauen sind, wollen wir nicht immer die Männer in unserem Umfeld über Sexismus aufklären müssen. Nur weil eine Person mit einem Rollstuhl unterwegs ist, muss nicht sie es sein, die das Verkehrsunternehmen darauf aufmerksam macht, dass die Straßenbahn nicht barrierefrei ist. Diese Arbeit können alle Mitglieder einer Gesellschaft leisten, wenn sie diese gerechter gestalten möchten.

Uns beschäftigen die verschiedenen Dimensionen sprachlicher Diskriminierung schon seit vielen Jahren, und wir haben in den folgenden Kapiteln einige unserer wichtigsten Erkenntnisse und Strategien sowie konkrete Beispiele für einen konstruktiven Umgang mit diesem Problem zusammengestellt. Besonders wichtig für unsere Überlegungen waren zwei Projekte: 2019 gründeten wir poco.lit., ein bilinguales Onlinemagazin für postkoloniale Literatur – also Bücher über die andauernde Wirkung des europäischen Kolonialismus. Unser Interesse für diese Art von Literatur entspringt einer Liebe für das Geschichtenerzählen, aber auch persönlichen oder familiären Verbindungen mit verschiedenen (post)kolonialen Kontexten wie Deutschland, Kanada, Indien oder Südafrika. Unser Interesse konnten wir während unseres Studiums vertiefen, das uns Begrifflichkeiten für Phänomene lieferte, die wir dort, wo wir aufwuchsen oder zeitweise wohnten, wahrgenommen hatten, aber vorher nicht benennen konnten – etwa »Siedlungskolonialismus«, also die Inbesitznahme von verschiedenen Territorien durch europäische Kolonialist*innen mit der Absicht, dort zu bleiben. Wir trafen uns an einer deutschen Uni, doch nur für eine von uns ist Deutsch die Erstsprache, für die andere Englisch. Mit poco.lit. wollten wir einen digitalen Ort schaffen, der beide Sprachen umfasst und Interessierten im deutschen Kontext und darüber hinaus einen vergleichsweise niedrigschwelligen Zugang zu den Ideen und Konzepten des Postkolonialismus ermöglicht, da wir selbst erlebt hatten, wie ausschließend die elitäre Sprache rund um diese Thematik sein kann. Unsere persönlichen Erfahrungen und die Arbeit an poco.lit. erklären, warum wir in diesem Buch häufig neben deutschsprachigen auch englischsprachige Beispiele heranziehen und globale Verbindungen betrachten. Ein bilinguales Onlinemagazin herauszugeben verdeutlichte uns das Ausmaß der Herausforderungen in Bezug auf Sprache und Diskriminierung, das weitaus größer ist, als wir zuvor gedacht hatten. Wir stießen immer wieder an unsere Grenzen.

Infolgedessen starteten wir 2021 zusammen mit zwei weiteren Kollegen das Projekt macht.sprache. (machtsprache.de). Die Web-App bietet einen Raum für den kollaborativen Aufbau von Wissen für eine diskriminierungskritische Übersetzungspraxis zwischen Englisch und Deutsch. Nutzer*innen können diskriminierende Begriffe und weniger diskriminierende Alternativen sammeln, diskutieren und bewerten. Dieses Wissen fließt in ein digitales Tool, das Textausschnitte auf diskriminierende Wörter überprüft. macht.sprache. ist ein Projekt, das dank gelegentlicher Fördermittel existiert und Interessierten frei zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Wissensständen und Fachkenntnissen austauschen können, die darüber hinaus jeweils eigene Erfahrungen mit verschiedenen Arten von Diskriminierung gemacht haben.

Besonders macht.sprache. hat uns dazu angetrieben, noch ausführlicher zu recherchieren und uns aktiv mit Menschen mit unterschiedlichem Fach- und Erfahrungswissen auszutauschen. Manchmal fand der Austausch in informellen Gesprächen statt, aber sofern uns Fördermittel zur Verfügung standen, organisierten wir Veranstaltungen, Diskussionen und Workshops. Zu den ge­ladenen Gäst*innen und dem Publikum gehörten Aktivist*innen, Menschen aus der Kulturbranche, Journalist*innen, Forschende und Mitarbeitende aus Behörden. Die Diskussionsteilnehmenden auf der Bühne bezogen sich unterschiedlich auf Alter, BeHinderung3, Bildungsstand, Gender4, Race5 und Sexualität. Der Wissensstand der Zuschauenden war ein breites Spektrum, aber alle suchten nach neuen Impulsen und Vertiefung. Obwohl es in den Medien häufig so wirkt, als würden Diskussionen über diskriminierungskritische Sprache spalten, durften wir bei diesen Veranstaltungen oft das Gegenteil erleben: den Wunsch, soziale Probleme, die sich in Sprache manifestieren, ernst zu nehmen, Fragen stellen und Unsicherheiten äußern zu können, sich für Veränderungen zu öffnen und sie dann vielleicht sogar gemeinsam voranzutreiben. Aber vor allem konnten wir durch diese Begegnungen eine Menge lernen. Vieles von dem, was wir gelernt haben, ist in machtsprache.de eingeflossen. Vieles davon hat die folgenden Seiten bereichert. Vieles müssen wir noch lernen.

Teilnehmende dieser Veranstaltungen suchten oft nach Ressourcen. macht.sprache. kann in solchen Fällen nützlich sein, und für manche Menschen ist so ein kostenfreies digitales Format das zugänglichste und hilfreichste Medium. Andere bevorzugen ein Buch, das mehr Platz für eine ausführlichere Darstellung der Themen bietet. Es wurden bereits wertvolle Bücher geschrieben, von denen wir viele zitieren. Unsere Arbeit und unser Austausch in den vergangenen Jahren verschafften uns jedoch Zugang zu zahlreichen Erkenntnissen und Strategien, die in ihrer Gesamtheit eine Lücke zu füllen schienen. Also entschieden wir uns, sie aufzuschreiben.

Unser bescheidener Beitrag in diesem Buch besteht in erster Linie darin, das Wissen unserer Recherchen und Gespräche zusammenzutragen und zu kuratieren. Wir haben zwar einen akademischen Hintergrund, dieses Buch entspringt jedoch unseren Erfahrungen aus der Praxis, und wir versuchen, möglichst zugänglich und praxisorientiert zu schreiben (ob uns das gelingt, ist eine andere Frage). Einige Schlüsselbegriffe, die in diesem Vorwort schon angeklungen sind (wie Positionierung, Privileg oder intersektional), erläutern wir in den folgenden Kapiteln. Wir haben das Buch so aufgebaut, dass Begriffe, Ideen und Argumente Schritt für Schritt in einer möglichst logischen Reihenfolge eingeführt werden. Da es sich um ein Buch über Sprache handelt, stellt sich das Problem, dass das, worüber wir sprechen, auch das ist, womit wir es vermitteln. Das bedeutet, dass wir manchmal schon bestimmte Sprachpraktiken anwenden, bevor wir diese ausführlich thematisieren konnten. An solchen Stellen verweisen wir auf die entsprechenden Kapitel, in denen die Erläuterung zu finden ist. Das heißt, dieses Buch muss nicht unbedingt von vorne bis hinten gelesen werden, sondern lädt ein, beim Lesen selbst zu entscheiden, mal vor- oder zurückzuspringen.

Das Buch dürfte für diejenigen am nützlichsten sein, die in Bezug auf Sprache und Diskriminierung viele offene Fragen haben. Wir schreiben für diejenigen, die uns um Ressourcen gebeten haben, und auch für diejenigen, die den polarisierenden Stil, in dem sprachliche Diskriminierung manchmal öffentlich diskutiert wird, befremdlich finden. Wir möchten zu einer produktiveren und differenzierteren Diskussionskultur über den Sprachwandel beitragen, damit sich mehr Menschen eingeladen fühlen, sich an ihr zu beteiligen.

TEIL 1 STEINIGES TERRAIN

1    POSITIONIERUNG

Macht Sprache 01:

Ich überlege, zu welchen Erfahrungen und welchem Wissen ich Zugang habe. Ich überlege, zu welchen Erfahrungen und welchem Wissen mein Gegenüber Zugang hat. Mich zu positionieren bedeutet, anhand dieser Überlegungen verantwortungsvoll zu handeln. Sprechen ist eine Handlung. Positioniert zu sprechen ist verantwortliches Handeln.

Am 21. Mai 1897 stimmte der Senat der Universität Cambridge über den Antrag ab, ob Frauen ein vollwertiger Hochschulabschluss gewährt werden sollte. Damals durften Frauen zwar an einigen Lehrveranstaltungen der Universität teilnehmen, konnten aber keinen Abschluss wie die männlichen Absolventen erwerben. Die Abstimmung löste erhebliche Proteste aus, und Hunderte (männliche) Studenten gingen in Cambridge auf die Straße. Zu ihren Protestaktionen gehörte unter anderem die Zerstörung einer Plastik einer Radfahrerin. Der Antrag wurde mit 661 Stimmen für und 1707 Stimmen gegen die volle Zulassung abgelehnt. Aber was hatte die Möglichkeit zu studieren mit einer Fahrrad fahrenden Frau zu tun?

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts brach in England eine große Begeisterung für das Fahrradfahren aus, die auch viele Frauen erfasste. Frances E. Willard veröffentlichte 1895 das Buch A Wheel Within a Wheel, in dem sie von den Vorteilen des Radfahrens schwärmte. Für sie und Frauen, die ihr ähnlich waren, symbolisierte die Frau auf dem Fahrrad größere Bewegungsfreiheit und damit auch eine Befreiung von bestimmten gesellschaftlichen Erwartungen, die sie als einschränkend empfanden: Sie konnten der Enge der Häuslichkeit und der dortigen Überwachung entfliehen, sie konnten sich sportlich betätigen und sich damit der Zuschreibung von Schwäche und Fragilität widersetzen. Für Willard war das Fahrrad ein neues Machtinstrument, und dabei besonders wertvoll für Frauen.6

Die Begeisterung für das Fahrrad, die Willard und andere Frauen an den Tag legten, rief viel Missbilligung hervor. Es wurden Bedenken geäußert, dass Frauen, die dieses Fortbewegungsmittel nutzten, ein »Fahrradgesicht« bekämen, das sich durch gerötete Wangen und Ringe unter den Augen auszeichnete. Außerdem würde das Radfahren angeblich die weiblichen Fortpflanzungsorgane beschädigen und ihre sexuelle Lust anregen. Ungeachtet dieser pseudowissenschaftlichen medizinischen Bedenken hielt die Begeisterung vieler Frauen für das Radfahren an. Diese Art der Fortbewegung eröffnete ihnen neue soziale Räume und führte zu zahlreichen Veränderungen, unter anderem in der Mode – die Frauenoberhosen, »Bloomers«, entstanden. Das Fahrrad ermöglichte es ihnen, ihr metaphorisches und reales ­Korsett umzugestalten und in mancherlei Hinsicht zu weiten.

Für die protestierenden Studenten der Universität Cambridge symbolisierte die Frau auf dem Fahrrad hingegen, dass Frauen sich nicht mehr ihrem Geschlecht entsprechend verhielten. Indem sie die Skulptur der Radfahrerin zerstörten, drückten sie ihren Protest gegen größere, strukturelle Veränderungen aus – Veränderungen, die Frauen den gleichen Bildungsweg wie ihnen selbst ermöglichen würden, was in Cambridge tatsächlich erst 1948 der Fall wurde. Für die protestierenden Studenten stellte die Frau auf dem Fahrrad eine Bedrohung der bestehenden gesellschaftlichen Geschlechterordnung dar, so wie die Zulassung von Frauen zum ­Studium an der Universität die vorherrschende institutionelle Geschlechterordnung zu bedrohen schien.

Dieses Beispiel hat Grenzen, und wir werden es gleich verkomplizieren, aber es zeigt, wie die Bedeutung der Frau auf dem Fahrrad von verschiedenen Gruppen, den protestierenden Männern und Fahrrad fahrenden Frauen, durch ihre jeweilige Positionierung bestimmt wurde. Die Positionierung beschreibt die Rolle, die eine Person in Bezug auf bestimmte Machtstrukturen einnimmt. Menschen sprechen und handeln aus einer konkreten Position heraus, die sich darauf auswirkt, was sie bewusst wahrnehmen, was sie erleben und welchen Sinn sie dem Erlebten geben. Die Positionierung bestimmt, zu welchem Wissen, welcher Erfahrung und welchem Erfahrungswissen Menschen Zugang haben.