Maddrax 350 - Jo Zybell - E-Book

Maddrax 350 E-Book

Jo Zybell

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Beschreibung

Es ist vorbei: Samugaars Plan wurde vereitelt, er selbst von den Archivaren verhaftet, das Tor ist verschlossen, Matt Drax und Aruula sind in ihre Welt zurückgekehrt.

Es ist vorbei? Nein, noch lange nicht! Denn mit der BagBox sind etliche hochgefährliche Artefakte in die Vergangenheit gelangt - aber der Behälter ist spurlos verschwunden. Matt macht sich auf die Suche. Und muss erkennen, dass Samugaars böses Erbe bald schreckliche Früchte tragen könnte...

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Seitenzahl: 154

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Serie

Covermaler/in

Autoren:

Jo Zybell

Michael Schönenbröcher

Am 8. Februar 2012 trifft der Komet „Christopher-Floyd“ die Erde. Die Erdachse verschiebt sich und ein Leichentuch aus Staub legt sich für Jahrhunderte um den Planeten. Nach der Eiszeit bevölkern Mutationen die Länder und die Menschheit ist – bis auf die Bunkerbewohner – auf rätselhafte Weise degeneriert. In dieses Szenario verschlägt es den Piloten Matthew Drax, dessen Staffel beim Einschlag durch ein Zeitphänomen ins Jahr 2516 gerät. Nach dem Absturz wird er von Barbaren gerettet, die ihn „Maddrax“ nennen. Zusammen mit der telepathisch begabten Kriegerin Aruula findet er heraus, dass Außerirdische mit dem Kometen – dem Wandler – zur Erde gelangt sind und schuld an der veränderten Flora und Fauna sind.

Nach langen Kämpfen mit den gestaltwandlerischen Daa’muren und Matts Abstecher zum Mars, auf dem die Nachfahren der ersten Marsmission 2011 eine eigene Zivilisation errichtet haben, entpuppt sich der Wandler als lebendes Wesen, das jetzt erwacht, sein Dienervolk in die Schranken weist und weiterzieht. Es flieht vor einem kosmischen Jäger, dem Streiter, der bereits die Spur zur Erde aufgenommen hat! Bei seiner Ankunft versuchen Matt und seine Gefährten, ein Stück eines lebenden Steinflözes in den Streiter zu versetzen, der ihn versteinern soll. Dies gelingt nach einigen „Komplikationen“, zu denen auch eine Reise durch verschiedene Parallelwelten zählt. Der lebende Stein wurde von sogenannten Archivaren entwickelt, die in einer Welt zwischen den Paralleluniversen leben und in einem „zeitlosen Raum“ technische Artefakte aller Epochen sammeln.

Von dort kommt die nächste große Bedrohung: ein Archivar namens Samugaar, der in Matts Welt und Zeit strandet und die Erde erobern will. Durch ein Schlangengiftserum macht er Aruula hörig, die sich gegen ihre ehemaligen Gefährten stellt. Matt, der sich schon zuvor von ihr getrennt hatte, nachdem sie durch einen Unfall den Tod seiner Tochter verschuldete, trifft sie beim Endkampf gegen Samugaar wieder. Die Archivare entgiften Aruula, bevor sie und Matt beim Schlag gegen Samugaar durch ein Zeittor in ihre Welt zurückgeschleudert werden. Mit ihnen gelangt eine BagBox herüber, ein lichtschluckender Koffer, in den Samugaar bereits etliche Artefakte gepackt hat, mit denen er die Weltherrschaft an sich reißen wollte.

Doch diese Artefakte sind nicht die einzige „Baustelle“ für Matthew Drax. Da wäre zum Beispiel General Arthur Crow, dessen Geist in einem gestohlenen Androidenkörper mit einer Armee aus Japanern Washington einnehmen will, wo er einst Präsident des Weltrats war. Oder die Marsianer, die durch den Streiter stark in Mitleidenschaft gezogen wurden und deren Raumschiff AKINA führerlos im Erdorbit kreist. Oder die auf der Erde verbliebenen Daa’muren Gro’sil’aana und Gal’hal’ira … und die komplette Insel Puerto Rico, die von Aruula mit mörderischen Nanobots infiziert wurde …

Der Kult

von Jo Zybell und

Michael Schönenbröcher

Aruula kämpfte sich hoch und blickte über den Rand der obersten Pyramidenstufe. Dort, vor dem kleinen Tempelbau, hing etwas in der Luft, das ihre Sinne narren wollte – ein nachtschwarzer Koffer, der sich eine Handbreit über dem Steinboden langsam, aber immer schneller werdend drehte!

Sie blickte kurz zu Maddrax, der auf sie zukam. „Warum fällt das Ding nicht?“, fragte sie. „Das Tor und der Sog sind weg – warum fällt das Ding nicht runter?“

Eine Veränderung ließ sie verstummen. Plötzlich schrumpfte der rotierende Koffer und wurde … schwärzer?

„Runter!“, schrie Maddrax und duckte sich.

Im nächsten Moment ging die Welt in einem Lichtblitz unter, der durch den Stein und ihre geschlossenen Lider drang …

www.maddrax.de/mobile/Maddrax350.mp3

New Orleans, 10. Juli 2528

Schwer atmend blieb er stehen. Mondlicht fiel auf eine Mauerlücke hinter einem Teppich aus Efeu. Er riss das immergrüne Gestrüpp zur Seite, zwängte sich durch die Lücke ins Innere des Gebäudes und schürfte sich dabei Stirn, Hüfte und Knie auf.

Warum habe ich das getan?

War er es, der das dachte? Und warum hatte er es gedacht? Für einen Moment war er abgelenkt, stolperte über Gerümpel. Staub wirbelte auf. Er unterdrückte den Hustenreiz, tastete sich an einer Zwischenwand entlang bis zum nächsten Fenster. Das spärliche Licht der Mondnacht sickerte durch die Fensteröffnung in den Raum hinein. Er verharrte und lauschte.

Draußen riefen Stimmen, stießen Fußspitzen gegen Geröll, knallten Sandalensohlen auf Holzplanken. Der Lärm näherte sich aus zwei Richtungen. Männerstimmen riefen einander zu, wo sie ihn zuletzt gesehen zu haben glaubten.

Weiter. Schnell.

Er tastete sich zum Durchgang in den nächsten Raum, setzte behutsam Fuß vor Fuß, um ja keine Geräusche zu verursachen. Dann eine türlose Öffnung in einen Hof. Er schob Efeuranken zur Seite, blinzelte nach draußen. Mondlicht lag auf Schutthalden, Büschen, einem Wakudagerippe, kleinen Bäumen, einem verrosteten Eisenschränkchen.

Hinaus. Leise, Schritt für Schritt zur Mauer. Hatte er sie erst überwunden, würde er gerettet sein.

Aber wozu noch? Wie konnte ich das nur tun?

Still! Gib Ruhe! Er unterdrückte die seltsam fremden Gedanken in seinem Kopf und schlich zunächst bis zum Gerippe des Wakudastiers. Gestrüpp wucherte in dessen fahlem Brustkorb. Er duckte sich, lauschte noch einmal. Nein – niemand rührte sich hinter der Mauer im Nachbaranwesen.

Er huschte zum von Unkraut umwucherten Rostschrank, ging auch dahinter in Deckung, spähte zum Hoftor. Schritte näherten sich. Priesterknechte? Er duckte sich tief in die Brennnesseln.

Jemand spähte in den Hof, Fackeln wurden herein gestreckt, Stimmen tuschelten. Natürlich waren das seine Jäger, die Priesterknechte. Wer sonst würde um diese Nachtzeit in den verlassenen Hof einer Ruine leuchten? Der Fackelschein wich, die Schritte und Stimmen entfernten sich.

Er sprang die Schutthalde hinauf, achtete nicht auf die Disteln, die seine Waden zerstachen, wechselte von der Halde auf die Mauer, lauschte noch einmal. Nichts. Fast geräuschlos kletterte er in einen Kartoffelacker hinunter.

Geduckt verharrte er. Mondlicht lag auf Efeuranken und Fassaden. Keine Lichter hinter Fensteröffnungen, weder Stimmen noch Schritte in der gut erhaltenen Ruine und auf der Straße hinter dem Bogen des Hoftores.

Gerettet!

Er atmete auf. Leise pirschte er zur efeuverhangenen Hausmauer und an ihr entlang zum Hoftor.

Sein Name war Wichard Tymbel. Doch der tat längst nichts mehr zur Sache: Dieser Name würde bald vergehen, sein Träger der Vergessenheit anheimfallen wie so viele andere hier in Nuu’oleens auch.

Er spähte aus dem Hof. Niemand auf der Straße. Hatte Papa Anastaa seine Jäger schon zurückgepfiffen? Er wagte es nicht zu hoffen und hoffte es dennoch.

Er konnte so aufmerksam lauschen, wie er wollte: keine Schritte, keine Stimmen. Also hinaus auf die Straße. Dicht an Rankengewächsen und hundertfach geflickten Fassaden vorbei machte er sich auf den Weg nach Süden. Unten am Hafen lag unter Hunderten anderen auch sein kleines Fischerboot zwischen den Anlegestellen an der alten Kaimauer. Saß er erst einmal auf der Ruderbank, würden sie ihn ganz gewiss nicht mehr kriegen.

Eine Wolke schob sich vor den Mond. Es wurde noch dunkler, als es sowieso schon war. Zum Glück gehörte die Straße zu den wenigen Routen durch die Ruinen Nuu’oleens, die häufig und regelmäßig benutzt wurden: Hier lag kaum Geröll herum, kein Buschwerk zwang zum Ausweichen, und selbst die Schutthalden an den Straßenrändern waren hier seltener.

Also weiter! Es war warm, kein Wind ging. Er kam schnell voran.

Mit nachlassender Anspannung rückten ihm die klebrigen Finger seiner Rechten wieder ins Bewusstsein. Er hob seine dunkle Hand. Blut klebte im hellen Handteller, am Daumen, an den Fingerspitzen. Der kleine Finger war ganz bedeckt von noch nicht vollständig getrocknetem Blut.

Wichard Tymbel schluckte schwer. Die Frau stand ihm wieder vor Augen – wie sie um sich geschlagen hatte, wie sie geschrien und versucht hatte, das Blut in ihrer Kehle zurückzuhalten. Sein Mund wurde trocken, sein Herz schlug schneller.

Warum nur habe ich das getan? Ich liebte sie doch!

Die Stimme in seinem Kopf wurde klarer, und nun glaubte er sie zu erkennen – als seine eigene. Wichard Tymbel zog die Schultern hoch, murmelte den Namen seiner Geliebten. Der Toten.

Die Wolke am Nachthimmel gab den Mond frei. An der Einmündung einer Gasse spiegelte er sich in einer Pfütze. Wichard Tymbel ging davor in die Hocke, tauchte die Rechte ins Wasser. Der Vollmond, dem seit einiger Zeit ein Stück seines oberen Randes fehlte, verschwamm. Mit der Linken rieb der Schwarze sich das Blut von den Fingern.

Er wusch, er rieb, er schabte mit dem Daumennagel über die blutigen Finger. Wieder sah er das Gesicht der Frau vor seinem geistigen Auge – wie sie geschrien hatte …

Etwas veränderte sich. Zunächst kam es ihm lediglich so vor, als würde er den unablässig verschwimmenden Mond und das dunkle Oval seines Gesichts auf einmal deutlicher in der Pfütze erkennen können. Doch dann begriff er, dass es ein klein wenig heller geworden war.

Er hob den Kopf. Fackeln! Eine ganze Reihe. Wie eine Kette aus Feuer versperrten sie von einer Straßenseite zur anderen den Weg zum Hafen. Er sprang auf, fuhr herum, wollte nach Norden fliehen.

Fackeln auch dort, quer über die Straße. Das Herz wollte ihm stehen bleiben. Er duckte sich, blinzelte in den Fackelschein. Papa Anastaas Knechte! Er erkannte sie an den dritten Augen auf ihren Stirnen.

Was nun? Wohin jetzt?

Campeche, Mexiko, 10. Juli 2528

Dem Lichtblitz folgten ein fürchterlicher Knall – und eine Druckwelle, der Matthew Drax und Aruula nur entgingen, weil sie sich in der Deckung der hohen Pyramidenstufe aufhielten.

Dann wurde es still. Totenstill. Matt riskierte einen Blick über den Rand der vom Sog verzerrten Stufenpyramide. Der lichtschluckende Koffer war verschwunden, so wie das Tor. Hatte es ihn auseinandergerissen – oder hatte er sich aufgelöst? Für Sekunden hatte er die irrwitzige Befürchtung gehabt, ein Schwarzes Loch könne sich dort bilden, wo er rotiert war.

„Maddrax.“ Aruula legte eine Hand auf seine Schulter. Eine vermeintlich vertraute Geste, die Erinnerungen weckte. Aber in Wahrheit wohl nur aus Furcht und Verwirrung geboren. „Hast du das auch gesehen?“ Sie zeigte zur Mitte der Pyramidenspitze.

„Den Koffer?“ Er nickte.

„Was, meinst du, war da drin?“

Das hatte sich Matthew auch schon gefragt. Angesichts der Tatsache, dass Samugaar ihn mit sich geschleppt hatte, blieb eigentlich nur eine Antwort: die Artefakte, die der verbrecherische Archivar aus dem zeitlosen Raum hatte mitnehmen wollen. Auch wenn es wegen des geringen Koffervolumens nicht sehr wahrscheinlich klang.

Er teilte seinen Verdacht mit Aruula.

„Dann müssten hier Artefakte herumliegen, nachdem der Koffer explodiert ist“, meinte sie. „Oder wenigstens Trümmer davon.“

Irgendwie zweifelte Matt daran, trotzdem stimmte er zu, die Plattform abzusuchen. Zwischen all den metallenen Bruchstücken der zerstörten Waffenphalanx und nur unter dem Licht des Vollmonds und der Sterne wurde es eine mühselige Suche.

Während er in den Trümmern stocherte und nach etwas suchte, das irgendwie fremdartig aussah, dachte er an die Geschehnisse der letzten Minuten zurück – und an Xij.

Seine Gefährtin war im zeitlosen Raum zurückgeblieben, als der Sog ihn und Aruula herüber in ihre Zeit und Welt gezerrt hatte. Matt hatte noch einen letzten Blick von ihr erhascht, bevor er in den Wirbel der Zeiten eingetaucht und auf die Spitze der Pyramide gespien worden war. Es hatte ein Ausdruck darin gelegen, den er wohl nie vergessen würde.

Xij Hamlet – und auch Tom Ericson, der ihnen dabei geholfen hatte, Samugaars Plan zu vereiteln – würden nie mehr in diese Welt gelangen können. Nicht nur, weil das Zeitportal endgültig verschlossen und versiegelt war. Sondern weil die Archivare es nicht zulassen würden. Die Wächter über die Parallelwelten und Sammler von technischen Errungenschaften aus allen Epochen der Menschheit waren gerade erst einer zweiten Zeitkatastrophe entronnen, die alle Universen ausgelöscht hätte. Sie würden kein weiteres Tor mehr öffnen.

„Hier!“, rief Aruula plötzlich. „Ich hab was gefunden!“

Matt schreckte aus seinen Gedanken und stakste über das Trümmerfeld zur anderen Seite der Plattform hinüber.

Aruula hob ein technisches Gebilde in die Höhe. Matt erkannte es wieder: die „Fernbedienung“, die er im Tor hatte verschwinden sehen, kurz bevor er selbst davon verschlungen worden war. Außer dem Koffer offenbar der einzige Gegenstand, der nicht bei der Passage zerstört worden war.

„Das hier sieht unbeschädigt aus. Was mag das sein?“, fragte Aruula und drehte das Gerät in ihren Händen.

„Gib’s mal her.“ Matt nahm es von ihr entgegen und hoffte für einen Moment, das Gerät würde sich ihm offenbaren; so wie die anderen Artefakte, die er bis jetzt berührt hatte und die ihre „Bedienungsanleitung“ dank einer Informationsschicht telepathisch auf den Benutzer übertrugen.

Doch hier geschah nichts. Was den Verdacht nahe legte, dass es sich eben um kein Artefakt handelte. Hatte es darum die Passage überstanden? Möglich, dass auch der Koffer kein Artefakt gewesen war. Und dass beide Geräte zusammengehört hatten.

Matt betrachtete das Stück fremdartiger Technik mit seinen Knöpfen, Drehreglern und dem kreisrunden Display eingehend. Es sah tatsächlich wie eine Fernbedienung aus – oder wie diese Handscanner aus dem Film „Aliens“.

„Ich glaube, Samugaar hatte das Ding bei sich, als wir ihn überrascht haben“, fuhr er fort. „Aber zu was mag es gut sein?“

Matts erste Eingebung gewann an Wahrscheinlichkeit, als er den Einschalter fand und das Display grünlich aufleuchtete. Das Ding sah wirklich aus wie ein Scanner – inklusive eines blinkenden Punktes auf der oberen Hälfte der Scheibe. Doch was zeigte er an?

Papa Anastaas Jäger versperrten ihm die Hauptroute nach Süden und Norden. Wichard Tymbel zitterte. Was jetzt?

Die im Norden waren schon näher heran als die Fackelträger im Süden. Im Feuerschein erkannte er einzelne Gesichter. Dunkle, hellhäutige, junge und alte Gesichter – aber ausschließlich solche von Männern. Die meisten trugen das Zeichen des Kultes auf der Stirn: ein großes weißes Auge.

Das waren Papa Anastaas Knechte und Jäger. Und bei ihnen auch die Brüder der Frau!

Er wandte sich nach Süden. Gut dreißig Meter trennten ihn von den Jägern und Fackelträgern in dieser Richtung.

Wichard Tymbel sprang über die Pfütze und rannte in die Gasse hinein. Dunkelheit herrschte hier, das Mondlicht fand kaum einen Weg zwischen die zerklüfteten und von Rankengewächsen überwucherten Hauswände. Er sprang über Kohlstrünke, Fischgräten, ausgeweidete Katzen und Abfallhaufen, stolperte über einen betrunkenen Bettler, kam wieder hoch, rannte weiter.

Hinter ihm erklangen hastige Schritte. Stimmen riefen. Jemand warf einen Stein. Er rannte um sein Leben. Sein Atem flog keuchend, es stach ihn in die Lungen, und in den Schürfwunden brannte ihm der Schweiß.

Männer mit Fackeln und Stöcken sprangen plötzlich keine zwei Dutzend Schritte vor ihm aus den Hauseingängen, stilisierte weiße Augen auf den Stirnen. Er blickte hinter sich, wo der Lichterschwarm aus Fackeln heran wogte.

Wichard Tymbel sah sich gehetzt um. Eine letzte Fluchtmöglichkeit! Er sprang in die Einmündung einer sehr schmalen Gasse, spurtete wieder nach Süden. Die Stimmen hinter ihm schrien und fluchten. Die feuchtschwüle Luft trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Steine prasselten rechts und links von ihm ins Gestrüpp und gegen die Fassaden. Einer traf ihn schmerzhaft an der Schulter, ein zweiter am Rücken.

Dann das Ende der Gasse – ein Platz öffnete sich vor ihm. Ein paar Schritte lief er weiter, sah nach allen Seiten, um sich zu orientieren. Menschen, überall Menschen. Männer und Frauen, schwarze und weiße. Viele trugen Fackeln, und sie umzingelten den ganzen Platz. In dessen Mitte ragte der Ol’man’riva in die Vollmondnacht.

Er blieb stehen, atmete schwer. Über die Schulter sah er zurück. Fackel- und Stockträger drängten aus der Gasse. Einige ließen ihre Steine fallen.

Er gab auf. Es war vorbei.

Der Ring rund um den Platz zog sich zusammen; sie kreisten ihn ein. Einige schoben den Ol’man’riva auf ihn zu. Sein hölzernes Radwerk lärmte über das Geröllpflaster. Ein Stockschlag traf Wichard Tymbel von hinten. Er setzte sich in Bewegung, um dem nächsten auszuweichen.

Doch es gab kein Ausweichen mehr. Sie bespuckten ihn, stachen mit den Stöcken nach ihm, schlugen ihn. Sie trieben ihn der Meute entgegen, die von der anderen Seite des Platzes her näher rückte. Und dem Ol’man’riva. Als ihn kaum noch zehn Schritte von dem gefiederten Standbild trennten, ließen sie von Wichard Tymbel ab.

Er hob den Blick. Zehn Meter über ihm beschien der Mond den weiß gefiederten Schädel des Ol’man’rivas. Über dem roten Greifenschnabel des Geisterbildes lauerten gelbe Augen. Sie spähten auf ihn herab.

Schnell senkte er den Blick. Ein dichtes schwarzes Federkleid bedeckte den langen Hals des Bildnisses bis zum Brustteil, ging nach und nach in Schuppen über – erst in graue, dann in silbrige – und schließlich verbreiterte sich die Brust zu einem tonnenartigen Bauch. Der war über und über mit Blut bespritzt und ruhte zwischen den beiden hölzernen, ein Meter breiten Radwalzen auf der Basisplattform des Standbildes.

In der Mitte von Ol’man’rivas blutigem Bauch, in einer Höhe von ungefähr eineinhalb Metern, steckten zwei Fackeln in rostigen Schäften. Dazwischen war eine muldenartige Vertiefung und in ihr der Thron des Priesters.

Papa Anastaa hatte sich weit hineingedrückt in seine Thronmulde und Wichard Tymbel sah nicht viel mehr von ihm als seine großen schwarzen Füße, sein rostrotes Kleid und die Silhouette des Hutes über dem bemalten Gesicht.

„Gnade“, murmelte Wichard Tymbel. „Bitte …“ Er sank in die Knie.

Es war, als würde die Menge den Atem anhalten. Auch Wichard Tymbel wagte nicht zu atmen. Seine Unterlippe bebte.

Der Nachtwind blies eine südliche Böe über den Platz. Sie roch nach Salz und Schlick. Gefieder rauschte und Holz knarrte, als sie am Ol’man’riva rüttelte. Der Priester beugte sich nach vorn, Wichard Tymbel konnte nun das weiße Auge über seiner Hutkrempe erkennen. Ein stetiges Frösteln ging ihm durch die Glieder, so belauert fühlte er sich.

Wieder herrschte Stille, drei oder vier Atemzüge lang. Dann sagte Papa Anastaa in seiner Thronmulde: „Bringt mir Wichard Tymbels Blut!“

Ein Raunen ging durch die Menge. Manche lachten gehässig. Gestalten mit aufgemalten weißen Augen auf der Stirn und langen Messern in den Fäusten lösten sich aus der vordersten Reihe. Einer trug eine rostige Schüssel. Wichard Tymbel hatte das Gefühl, vom Herz aus in alle Glieder und alle Höhlen seines Körpers hinein zu gefrieren.

Plötzlich, wie aus dem Nichts, zuckte ein Blitz durch die Nacht, gleißend und grell, auf halbem Weg zwischen dem Ol’man’riva und Wichard Tymbel.

Er schloss geblendet die Augen. Wie von einer unsichtbaren Faust getroffen, schmetterte es ihn nach hinten auf das Geröllpflaster.

Wie aus einer Kehle schrien die gut zweihundert Menschen um ihn herum auf. Er hörte es rauschen und scharren, vernahm das Knarren der Radwalzen des Standbildes. Und als er in Panik die Augen aufriss, sah er, dass niemand auf dem Platz mehr auf den Beinen stand. Alle hatte die unsichtbare Kraft umgerissen, und der Ol’man’riva rollte schwankend zurück.

Vor dem Standbild jedoch, nur wenige Meter von Wichard Tymbel entfernt, schwebte eine Handbreit über dem Pflaster ein grünlich-golden leuchtendes Ding, dessen Form kaum mit den Augen zu erfassen war. Tymbel blinzelte ein paar Mal, weil er es nicht glauben konnte, doch es blieb dabei: Das leuchtende Ding hing weiter frei in der Luft über dem Pflaster.