Made for Loving - Sandra Busch - E-Book

Made for Loving E-Book

Sandra Busch

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Beschreibung

Ursprünglich war Lars nur auf das schnelle Geld aus. Dass er sich in Phil verliebt, war nicht geplant. Dabei scheint Phil eine gespaltene Persönlichkeit zu besitzen, denn sein Verhalten ist alles andere als normal. Hängt dies mit Phils Angst zusammen, seine bibelbesessene Mutter könnte herausfinden, dass er ein erfolgreicher Schriftsteller ist ... oder schwul? Auf einmal meldet Phils Mutter ihren Besuch an. Wird Phil zu seiner Homosexualität und somit auch zu Lars stehen?

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Sandra Busch

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2014

http://www.deadsoft.de

© the author

Umschlag: Irene Repp

http://daylinart.webnode.com/

Covermotive:

© vladishern – fotolia.com

© Coka – fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-944737-30-0

ISBN 978-3-944737-31-7 (epub)

Danksagung

Diese Geschichte kam dank meiner Lieben und ihrer Engelsgeduld zustande …

… Uwe, der mir Nahrung eintrichtert, während ich am Rechner klebe und der immer wieder erwähnt, wie gerne er einen Maserati hätte

… Alex, die mich ständig mit einem Spachtel vom Boden der harten Realität kratzt und mich mit verbaler Schoki aufmuntert weiter zu machen

… meine Familie, die mich immer noch erträgt und mich daran erinnert, dass der Mensch auch schlafen muss. Danke, dass ihr stets für mich da seid

… meinem Drachen, dem ich vereinzelte Passagen vortrage und der mich nie kritisiert (zumindest hat er noch kein Skript gefressen)

… und natürlich Simon, mit dem das Zusammenarbeiten ungemein Spaß macht.

1. Kapitel

Woody Allen:

Sex ist schmutzig, wenn man es richtig macht.

„'Cause this is thriller ...”

Phils Handy klingelte unerwartet und vor Schreck geriet er ins Straucheln.

„Thriller night. And no one's gonna save you …”

Hastig wühlte er in der Tasche seiner Jacke, bis er sich daran erinnerte, dass er das Handy in seinen Rucksack gestopft hatte.

„From the beast about to strike. You know it's thriller …”

„Gleich, Mutter, gleich”, murmelte er hektisch, während er den Rucksack nach dem Telefon durchsuchte. Er hasste Michael Jackson und er hasste diesen Song, den er speziell für seine Erzeugerin als Klingelton gewählt hatte. Aber er hätte jedes Lied verabscheut, das er seiner Mutter zugeordnet hätte. Schlagartig war sein Mund ganz trocken.

„Thriller night. You’re fighting …“ Endlich hatte Phil das Handy gefunden und nahm mit zitternden Fingern das Gespräch an.

„Guten Tag, Mutter“, sagte er tonlos.

„Warum brauchst du so lange, um ans Telefon zu gehen? Willst du, dass ich mir Sorgen mache?“ Ihre Stimme klang wie immer ein bisschen schrill und ein bisschen hysterisch. Sechshundert Kilometer Entfernung lagen zwischen ihnen. Trotzdem gelangt es ihr weiterhin, ihn zu beeinflussen und ihm ein schlechtes Gewissen zu verpassen. Du liebe Güte! Er war doch ein erwachsener Mann. Warum ließ er sich das gefallen? Weil man nur eine Mutter in seinem Leben bekam?

„Ich kam nicht gleich an mein Handy heran. Mutter, was möchtest du von mir? Ich muss arbeiten.“

„Um diese Zeit?“ Ihr Ton klang skeptisch. Phil blickte rasch auf die Uhr.

„Es ist doch erst 16:00 Uhr. Da sitzen viele Leute noch im Büro.“ Er wollte nicht telefonieren – schon gar nicht mit seiner Mutter – sondern sein für heute geplantes Vorhaben endlich angehen, ehe ihn der Mut verließ. Ein zweites Mal würde er sich bestimmt nicht überwinden können. Mit der freien Hand griff Phil in die Hosentasche, in der sich ein zerknitterter Zettel befand. Versatile Productions stand darauf. Die Firma hatte er beim Recherchieren im Internet gefunden. Außerdem musste er noch dringend zum Geldautomaten.

„Du arbeitest zu viel. Wie sollen wir uns da einmal in Ruhe unterhalten können?“

Phil atmete tief durch, bevor er antwortete: „Steht im fünften Buch Mose nicht geschrieben: Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden? Ich arbeite soviel, damit du stolz auf mich sein kannst, Mutter.“ Wäre sein Name Pinocchio gewesen, würde seine Nase mindestens einen Kilometer lang sein. Aber seine Mutter schien besänftigt.

„Dann sprechen wir ein anderes Mal miteinander, wenn du mehr Zeit für deine Mutter hast. Wärest du nicht weggezogen, dann könntest du dich mehr um mich kümmern, wie es deine Pflicht ist, und müsstest mich nicht jedes Mal am Telefon vertrösten.“ Sie verfiel doch wieder ins Jammern. „Ich höre ohnehin viel zu wenig von dir. Wenn du wenigstens eine Familie hättest, die sich nach der Arbeit um dich kümmert, dann wäre ich arme, besorgte Mutter schon zufrieden.“

Zufrieden bist du erst, wenn du mich wieder vollkommen unter deiner Fuchtel hast, dachte Phil. Eher würde er sich erschießen, als seine mühsam errungene Freiheit aufzugeben und zu ihr zurückzukehren.

„Ich habe so viel zu tun, da bleibt keine Zeit, um mich nach einer Frau umzusehen.“ Diese Lügen hasste er noch mehr als den King of Pop.

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei“, zitierte seine Mutter aus einem weiteren Buch Mose. „Ich wüsste da ein nettes Mädchen.“

„Mutter, es tut mir leid … Ich muss wirklich arbeiten.“

„Ich sollte euch unbedingt miteinander bekannt machen.“

„Mutter …“

„Hör auf in diesem quengeligen Tonfall mit mir zu reden. Wenn dir deine Arbeit wichtiger ist als deine Mutter, telefonieren wir eben ein anderes Mal weiter.“

„In Ordnung. Sei nicht böse, Mutter, ich habe halt viel zu tun. Also bis bald. Auf Wiederhören.“ Erleichtert seufzte Phil und verstaute das Handy wieder im Rucksack. Einen Moment lang stand er einfach bloß da, bis sein Zittern nachließ. Eigentlich sollte er es gewohnt sein, dass er beinahe krankhaft reagierte, wenn er mit seiner Mutter sprach.

Nachdem er sich ein bisschen gefangen hatte, eilte Phil rasch weiter und zog an einem Geldautomaten dreihundert Euro. Anschließend holte er den Zettel aus seiner Tasche, um nochmals einen Blick auf die Anschrift der Firma zu werfen. Versatile Productions befand sich lediglich zwei Seitenstraßen weiter. Er holte tief Luft und marschierte fest entschlossen voran. Seine Mutter würde glatt in Ohnmacht fallen, wenn Sie wüsste, was für einen Sündenpfuhl er zu betreten gedachte.

Aber sie ist nicht hier, jubilierte er gedanklich. Und sie wird es nie erfahren.

***

Mit Schwung stieß er wenig später die Tür zu Versatile Productions auf und betrat einen Raum, der wie der Empfangsbereich einer Arztpraxis anmutete. Kein Hauch von Hollywood empfing ihn. Die Atmosphäre erinnerte ihn eher an Wanne-Eickel in den Siebziger Jahren: eine orangefarbene Rezeption, dunkelbraune Aktenschränke und eine großgemusterte Tapete.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Phil entdeckte einen pickeligen Mann mit einer Igelfrisur, der eine gurgelnde Kaffeemaschine überwachte.

„Oh! Ja …äh … Hallo. Mein Name ist Ahnert und ich suche jemanden, der mir etwas über … über Pornografie und Homosexuelle erzählen kann.“

Sein Gegenüber blickte ihn mit großen Augen von oben bis unten an. Solche Blicke war Phil gewohnt und er ignorierte sie.

„Natürlich würde ich für diese Auskünfte bezahlen“, sagte er, um die Aufmerksamkeit wieder auf sein Anliegen zu lenken.

„Sind Sie Journalist?“

„So etwas Ähnliches.“

„Ich wüsste da tatsächlich jemanden. Aber der steckt gerade mitten in der Arbeit.“ Der Pickelige lachte. Phil hätte gerne mitgelacht. Er verstand bloß den Witz nicht.

„Okay, dann kommen Sie mal mit, Herr Ahnert.“

Der Pickelige brachte ihn über eine Treppe in die erste Etage und trat, ohne zu zögern, auf eine Tür zu, an der ein Schild mit der Aufschrift Set 1 hing. Leise öffnete er und steckte erst den Kopf durch die Tür, ehe er Phil heranwinkte. Warnend legte er einen Finger auf die Lippen. Phil nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und wurde daraufhin in einen großen Raum geschoben. Im nächsten Moment hatte er seinen Begleiter vergessen. Mit verlegener Faszination starrte er zu dem hässlichen Bett hinüber, das Mittelpunkt zweier Kameras war. Ein spanisch aussehender Mann, der auf der Bettdecke mit dem schwarz-weißen Zebramuster kniete, hatte den Kopf in den verschwitzten Nacken geworfen. Ein Stöhnen drang zwischen den halb geöffneten, vollen Lippen hervor. Die Augen mit dem dichten Wimpernkranz hielt er genussvoll geschlossen. Seine schmalen Hüften waren im Griff zweier Hände gefangen, denn hinter ihm stand die Ursache seiner Lust und stieß kraftvoll in ihn hinein. Ein dritter Mann lag lang ausgestreckt auf dem Bett, beobachtete ihr Tun und bearbeitete mit einem wollüstigen Grinsen in seinem Gesicht seine gewaltige Erektion. Die schweißglänzenden Muskeln der drei Männer reflektierten das Licht der zahlreichen Scheinwerfer, die um das hässliche Bett platziert waren. Fassungslos drehte sich Phil zu dem Pickeligen um. Er hatte etwas über Pornografie wissen wollen, das war richtig. Aber er war nicht darauf gefasst gewesen, dass er gleich einen Porno erleben würde.

„Tiefer!“ Der Spanier bettelte mit kehliger Stimme und Phil wandte sich wie magisch angezogen wieder dem Schauspiel zu. „Por el amor de Dios, tiefer.“

Sein Partner ließ sich nicht lange bitten und kam der Aufforderung bereitwillig nach. Phils Wangen fühlten sich ungewöhnlich hitzig an, während er den strammen Hintern des poppenden Darstellers musterte.

„Cut! Cut! Cuuuut!“, brüllte da plötzlich eine Stimme und Phil zuckte erschrocken zusammen, als müsste er sich angesprochen fühlen. Eine hagere Gestalt, die bislang gelangweilt auf einem dieser obligatorischen Regisseurstühle gesessen hatte, sprang wie ein wildgewordener Kastenteufel auf. Seufzend hielt der Kameramann im Dreh inne und streckte seinen Rücken, indem er die Arme weit über den Kopf reckte. Eine Zigarette hing kalt und halb geraucht aus seinem Mundwinkel.

„Christian!“ Der Regisseur fuchtelte wild mit den Händen, als wäre er eine Marionette und jemand würde wie ein Irrer an den Fäden ziehen.

„Was glaubst du eigentlich, was du da tust? Wichst du oder reißt du Masochist dir den Schwanz ab? Das hier soll erotisch sein. Ich kann dir das gerne mal buchstabieren. E-r-o-t-i-s-c-h! Die Leute, die sich diesen Streifen ansehen werden, sollen Lust bekommen, sich vor der Flimmerkiste ebenfalls einen runterzuholen. Wenn sie dich sehen, schalten sie auf die Lindenstraße und Mutter Beimer um.“

Christian sah mit einem betrübten Gesicht auf sein stattliches Glied herunter. Phil, der immer noch neben dem Pickeligen stand, folgte seinem Blick und fühlte die Hitze in seinem Gesicht zunehmen.

„Sollen wir das alles etwa noch einmal drehen?“, fragte der Spanier auf dem Bett mit einer Stimme, die jetzt ziemlich stinkig klang. „Zum vierten Mal?“

„Schluss für heute“, entschied der Regisseur angesichts drohender Meuterei spontan. „Ich hätte längst am zweiten Set sein sollen. Bei den Profis. Bei den Leuten, die wissen, wie man sich richtig einen runterholt und bei denen man nicht jede Szene dreimal drehen muss. Wir machen am Montag weiter. Dann kann Christian das Wochenende über ein bisschen zu Hause üben.“

„Ha ha“, brummte der bloß trocken, rollte sich von dem Bett und schnappte sich einen Bademantel, den er sich beleidigt über die Schulter warf. Mit wippendem Glied spazierte er auf eine weitere Tür zu, hinter der Phil die Umkleide vermutete. In seinem Frust hätte der Fremde ihn beinahe umgerannt. Gerade noch rechtzeitig trat Phil einen Schritt beiseite.

„Na großartig“, murrte der Spanier. „Gerade wenn ich scharf wie ein Rettich bin, hören wir auf. Und Montag das Ganze von vorn? Oh dios mío, wie mein Arsch brennt. Bist du sicher, dass du das Aquaglide benutzt hast, Süßer?“, wandte er sich an den dritten Schauspieler.

„Das fragst du mich jedes Mal, Dario, und wie jedes Mal antworte ich dir: Ich hab es wohl mit dem Gesichtspeeling verwechselt. Du bist es schließlich, der jedes Mal tiefer, tiefer! stöhnt und nicht genug bekommt.“

„Na, heute sind wir ebenfalls ein bisschen gereizt, was?“, fragte Dario spitz und folgte Christian mit einem frechen Hüftschwung in die Umkleide. Der andere nahm das zickige Gehabe mit einem Achselzucken hin. Gelassen zog er sich seinen Bademantel über und schaute auf, als Phils Begleiter seinen Namen rief.

***

„Lars?“

Lars drehte sich zu dem Rufer um und entdeckte einen der Set-Runner zusammen mit einem Besucher in der Nähe der Kamera. Beinahe wäre ihm der Mund offen stehen geblieben. Ach, du liebes Lieschen! Was war denn das für ein furchtbares Outfit? Spießig mit Hemd, Pullunder und Anzughosen sowie einer unentbehrlichen Krawatte gekleidet – die wenigstens einfarbig und ungemustert – blickte ihm der Besucher scheu entgegen.

„Lars, hast du kurz Zeit?“ Der Set-Runner schleppte den Spießer zu ihm herüber. Was er wohl sagen würde, wenn Lars einfach mit „Nö“ antwortete? Grinsend schloss er den Bademantel mit dem Gürtel und sah die beiden dann neugierig an.

„Lars, das hier ist Herr Ahnert. Er hätte dir einen kleinen Job anzubieten.“ Der Set-Runner gab Lars einen Klaps auf die Schulter.

„Du hast da eben ganz gut ausgesehen“, erklärte er augenzwinkernd und ließ ihn einfach mit dem Spießer an dem sich leerenden Set stehen. Lars verschränkte die Arme vor dem Bademantel und musterte den verlegenden Mann vor sich, der nervös überall hinblickte, nur nicht ihm ins Gesicht.

„Du hast einen Job für mich?“ Lars versuchte das Gespräch in Gang zu bringen.

„Äh ja. Dieser Typ eben …“

„Der ist Set-Runner hier. Quasi ein Mädchen für alles“, erklärte Lars. Der Spießer nickte.

„Er sagte mir jedenfalls, dass Sie einem Nebenverdienst nicht abgeneigt wären“, fuhr er fort und sah Lars endlich an. Hübsche Augen hatte er, wie Lars feststellen konnte. Augen von der Farbe stürmischen, grünblauen Meeres. Dichte, lange Wimpern und ein paar frivole Sommersprossen auf der Nase, die sein Gesicht ein bisschen frech aussehen ließen. Bloß das Outfit war grauenhaft. Hoffentlich war der Kerl nicht einer von der Sorte, der mit Anfang dreißig bei Mutti wohnte. Und hoffentlich wartete Mutti nicht noch vor der Tür.

„Was für ein Job soll das sein?“, erkundigte sich Lars. Er brauchte tatsächlich Geld, das ließ sich nicht leugnen. Sonst wäre er gar nicht hier. Pornodarsteller gehörte eigentlich nicht zu seinen Traumberufen.

„Ich bin Schriftsteller“, informierte ihn der Spießer hastig. „Und ich will ein neues Buch schreiben. Die Hauptdarsteller sind Homosexuelle. Nur … also …“

Lars zog fragend eine Augenbraue in die Höhe.

„Ich kenne mich nicht so gut in der Szene aus und bräuchte jemanden, der mir in dieser Hinsicht Hilfestellung gibt“, kam der Spießer endlich zur Sache.

„Sie sind doch homosexuell, oder?“, fügte er hinzu, weil Lars nicht antwortete, und wurde rot. Demonstrativ drehte sich Lars zu dem grauenhaften Zebrabett zwischen den ganzen Scheinwerfern um. Dann sah er wieder den Spießer an.

„Ich glaube schon“, sagte er mit einer gehörigen Portion Sarkasmus.

„Natürlich. Tut mir leid“, stammelte der Spießer.

„Es tut dir leid, dass ich schwul bin?“ Lars konnte es sich nicht verkneifen, den Typ ein wenig aufzuziehen.

„Nein, nein, ich meine … ach …“ Verlegen fuhr sich der Schriftsteller durch sein dunkelblondes Haar.

„Wie heißt du eigentlich?“, fragte Lars.

„Äh … Ahnert“, wurde ihm geantwortet.

„Äh-Ahnert, hat deine Mutti dir auch einen Vornamen mit in die Wiege gegeben?“ Lars grinste. Die Röte auf Ahnerts Wangen vertiefte sich zusehends.

„Philemon“, flüsterte er kaum hörbar.

Lars stockte der Atem. Nur mühsam unterdrückte er ein Lachen. Pullunder-Philemon! Zum Teufel! Davon konnte es unmöglich eine Steigerung geben.

„Meine Mutter ist sehr bibeltreu. Ich mag den Namen gar nicht leiden“, beeilte sich der Spießer hinzuzufügen. „Die meisten sagen Phil zu mir.“

„Nur deine Mutti nicht“, stellte Lars fest und Phil schüttelte den Kopf.

„Was springt dabei für mich heraus?“ Lars hakte die Daumen unter dem Bademantelgürtel und schaute Phil fragend an.

„Mehr als fünfzig die Stunde geht nicht“, bot ihm der Spießer an.

„Und was muss ich dafür tun? Anschauungsunterricht? Soll ich dich vögeln, oder was?“

Vehement schüttelte Phil den Kopf.

„Fragen beantworten. Mehr nicht“, erklärte er.

Mehr nicht? Nur Fragen? Für fünfzig Euro die Stunde?

„Und wie lange?“, erkundigte sich Lars.

„Bis mir die Fragen ausgehen. Ich habe allerdings so einige.“ Jetzt schaute ihm Phil direkt in die Augen. Eine Spur Trotz lag in seinem Gesicht. Trotz, den Lars im Moment nicht einordnen konnte.

„Okay“, hörte er sich sagen. „Wann fangen wir an?“

„Gleich?“

***

Frisch geduscht und statt mit einem Bademantel mit Jeans und einem schwarzen T-Shirt bekleidet saß Lars eine halbe Stunde später Pullunder-Philemon im Café Infernal gegenüber. Phil trank irgendeinen Kräutertee und hatte für Lars einen Milchkaffee bestellt, den die Kellnerin vor wenigen Augenblicken gebracht hatte. Mit Schaum und Schokopulver auf dem Schaum und einem Keks auf der Untertasse. Lecker. Trotzdem bekam Lars bei Phils Anblick keinen Schluck herunter.

„Würdest du mir einen Gefallen tun, Philemon? Nimm diese Krawatte ab.“

Der Pullunder allein sah bereits schlimm aus. Zusammen mit der Krawatte schlug das Outfit dem Fass den Boden aus. Zu seiner größten Überraschung zuppelte Phil tatsächlich ohne einen Kommentar an dem perfekt gebundenen Knoten herum, zog die Krawatte ab und knüllte sie neben sich auf der Bank zusammen.

„Besser“, murmelte Lars und nahm endlich einen großen Schluck von dem Milchkaffee. Dabei merkte er, wie ihn Phil verstohlen musterte. Lars wusste, dass er ein Durchschnittsgesicht hatte. Seine Nase war vielleicht ein wenig zu groß. Dafür hatte er einen sportlichen Körper, den er nicht zu verstecken brauchte. Sein dunkelbraunes Haar war nach dem Duschen etwas feucht und ringelte sich daher etwas. Allerdings war das alles kein Grund, um derartig von Phil begutachtet zu werden.

„Warum ein Buch über Schwule?“, fragte er, da sein Gegenüber den Mund überhaupt nicht aufbekam.

Phil zuckte überrascht zusammen und stellte sein Glas hastig ab. Aus einem Rucksack zog er ein Notizbuch und einen Bleistift hervor, ehe er eine Gegenfrage stellte: „Warum immer nur Bücher über Heterosexuelle? Es gibt genügend andere Personenkreise, die nicht dauernd lesen wollen, wie irgendwelche Kerle an Frauenbrüsten herumdrücken.“ Da war er wieder, dieser festsitzende Trotz, der Lars bereits aufgefallen war. Ihm kam ein Verdacht.

„Du bist auch schwul“, behauptete er.

„Wie sind Sie an diese Filmrolle gekommen?“, fragte Phil, die Bemerkung einfach überhörend. Aber das konnte Lars genauso.

„Wenn du auch schwul bist, wieso musst du dir jemanden suchen, der dir etwas über Schwule erzählt?“ Er war nicht gewillt locker zu lassen.

Phil starrte angestrengt in sein Glas, als könnte er dort eine Antwort finden. Quasi das berühmte Aus-dem-Teesatz-lesen. Lars kam eine weitere Idee.

„Du hattest noch kein Coming-out?“ Er lehnte sich zurück. Das erklärte so einiges. Von wegen ein Buch schreiben. Pullunder-Philemon wollte etwas über seine eigene Rasse wissen. Lars grinste.

„Hattest du schon mal Sex mit einem Mann?“, bohrte er boshaft weiter.

Phil schaute auf. Sein Gesicht hatte einen energischen Ausdruck angenommen und in seinen Augen lag ein angriffslustiges Blitzen. Interessant. Hatte Lars etwa einen wunden Punkt getroffen?

„Ich bin Schriftsteller und möchte ein Buch über Homosexuelle schreiben“, sagte Phil erneut, wobei er sich deutlich zusammennahm.

„Ach komm, Philemon. Du hast in deinem ganzen Leben kein einziges Buch geschrieben.“

„Und ob ich das habe.“ Nun funkelte aufkeimende Wut in den stürmischen Augen von Pullunder-Philemon. Das machte ihn eigentlich ganz anziehend.

„Etwas, das ich kenne?“ Lars grinste weiterhin. Dieses Mal hielt Phil seinem Blick tapfer stand.

„Ich schreibe unter dem Pseudonym Peter Bergmann.“

Jetzt verschlug es Lars die Sprache. Peter Bergmann kannte jeder. Wirklich jeder. Schließlich stand der Autor ewig in den Bestseller-Listen. Und Lars hatte jeden verdammten Krimi von Bergmann in seinem Regal stehen.

„Du machst Witze“, brachte er endlich ungläubig hervor. Statt einer Antwort suchte Phil einen Brief aus seinem Rucksack und schob ihn wortlos über den Tisch. Zögernd entfaltete Lars das Schreiben. Es war ein Brief von einem Verlag, gerichtet an Philemon Ahnert. Und tatsächlich wurde in diesem Schreiben der Name von Peter Bergmann als Pseudonym aufgeführt.

„Okay“, sagte Lars plötzlich heiser und reichte Phil das Schreiben zurück. „Was will der berühmte Schriftsteller Bergmann also wissen?“

„Erzählen Sie mir etwas über Ihr Coming-out.“

Aha, also doch.

„Philemon, ich heiße Lars. Und ich reagiere immer ein wenig allergisch, wenn mich jemand siezt. Klar?“

Phil nickte.

„Ich hatte niemals so ein Coming-out, wo man sich vor der versammelten Familie hinstellt und freundlich erklärt: Schön, dass ihr alle zum Kaffee gekommen seid und ich bin übrigens gay. Ich lief bereits im zarten Knabenalter den Jungs anstatt den Mädels hinterher. Meine Orientierung war daher von Anfang an klar. Außerdem wäre es meiner Mutter ohnehin egal gewesen“, fügte er ungewollt mit bitterer Stimme hinzu.

„Wieso?“ Sogleich horchte Phil auf.

„Sie hat sich nicht die Bohne für mich interessiert. Allerdings dürfte das für deine Recherchen unerheblich sein. Warum hast du dich bislang nicht dazu bekannt schwul zu sein? Schadet es deinem Image als Autor?“

„Ich …“ Phil seufzte, winkte der Kellnerin und deutete auf ihren Tisch. Sie nickte. Gleich darauf hatten sie frische Getränke vor sich stehen.

„Meine Mutter schläft auf der Bibel, isst mit der Bibel und geht mit der Bibel aufs Klo. Die käme damit überhaupt nicht klar und würde mich von einem Psychiater zum nächsten schleppen, um mich von dieser bösartigen Krankheit zu heilen“, erklärte Phil zu Lars größter Überraschung. Er klang deutlich gefrustet.

„Wenn ich meiner Mutter beichten würde, dass ich auf Männer stehe, dann läge sie sofort vor dem Kirchenaltar auf den Knien, um für meine arme, verkorkste Seele zu beten. Anschließend würde sie eine Messe für mich lesen lassen und sich an den mitleidigen Blicken der Gemeinde hochziehen. Das zöge wiederum endlose Gespräche mit dem Pater nach sich und ich würde erneut in der Gebetsmühle stecken, aus der ich damals geflohen bin.“

„Ziehst du dich wegen deiner Mutti so an?“

Angesichts Phils säuerlichen Blicks lachte Lars entschuldigend auf.

„Sorry, aber die Klamotten sind wirklich der pure Horror. Sollten wir ein weiteres Treffen vereinbaren, dann bitte vernünftig angezogen, ja?“

„Sie schickt mir jedes Jahr zum Geburtstag so einen Pullunder“, seufzte Phil.

„Mutti wohnt gar nicht in der Nähe?“

„Ich bin sechshundert Kilometer weit fortgezogen, weil ich diesen Bibelwahnsinn nicht mehr ausgehalten habe. Dafür lässt sie mich immer noch beinahe jeden Tag büßen“, gestand Phil. Er umklammerte sein Getränk derartig, dass Lars bereits um das Glas zu fürchten begann.

„Bibellesungen in der Kirche, Bibelstunden zu Hause, Bibelbilder an den Wänden.“ Phil schüttelte sich und pustete in seinen Tee, um ihn abzukühlen. Er hatte nicht nur schöne Augen, auch seine Lippen waren perfekt geformt, wie Lars dabei feststellte. Perfekt für … Rasch verdrängte er den absurden Gedanken.

„Und dein Vater?“, fragte er mittlerweile wirklich interessiert weiter.

„Der ist früh an einem Herzinfarkt gestorben.“

„Tut mir leid. Hatte wohl zu viel Stress, dein alter Herr, hm?“

Phil sah ihn mit einem beinahe komischen Gesichtsausdruck an. „Wenn du angeln als Stress bezeichnest, dann ja.“

Einen Moment sahen sie einander stumm an, ehe sie gleichzeitig losprusteten. Schweigend tranken sie danach Tee und Milchkaffee und fühlten sich durch das gemeinsame Lachen irgendwie so, als wären sie einander ein Stückchen nähergekommen. Schließlich nahm Lars seine Frage wieder auf:

„Also, hattest du nun schon mal Sex?“ Er war neugierig auf Peter Bergmann alias Philemon Ahnert geworden. Der nickte kurz.

„Top oder Bottom?“

„Bitte was?“

„Aktiv oder passiv?“, wurde Lars deutlicher.

„Kann man passiven Sex haben?“ Verständnislos sah ihn Phil an. Innerlich stöhnte Lars. Das war ja fast nicht zum aushalten. Dieser Kerl schrieb Wahnsinnsbücher und hatte dabei offensichtlich sein eigenes Leben verpasst. Geschah so etwas, wenn man den ganzen Tag vor seinem Rechner saß und das erfundene Leben von erfundenen Personen lebte?

„Deine Erfahrungen in Sachen Sex beschränken sich also auf die gute, alte Handarbeit.“

Phil wurde rot. Irgendwie niedlich, fand Lars.

„Okay, also bist du bereits beim Schwanzlutschen angekommen. Einen festen Freund hast du nicht?“

Dieses Mal schüttelte Phil den Kopf.

„Und wie lernst du jemanden kennen?“, erkundigte sich Lars. „Gehst du in den Supermarkt und bestellst dir dreimal Schwanzblasen an der Theke für einsame Würstchen?“

Phil nuschelte etwas von Anzeigen und Diskretion in sein Glas und Lars glaubte das Wort Hotelzimmer zu hören. Pullunder-Philemon tat ihm immer mehr leid.

„Und du hast heute deinen ersten Schwulenporno gesehen. Noch dazu live und in Farbe.“ Lars wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. „Scheiße, Philemon, du brauchst dringend jemanden, der sich um dich kümmert.“

„Mir wäre wohler, wenn du mich Phil nennen könntest.“

„Nicht, solange du einen Pullunder trägst.“

Die beiden Männer musterten einander über den Tisch. Der eine sichtlich geknickt, der andere geradezu fassungslos.

„Ich gehe morgen in den Tuntenfisch. Wenn du willst, nehme ich dich mit.“ Das war Lars ohne nachzudenken einfach so herausgerutscht. Und warum eigentlich nicht? Vielleicht benötigte Phil doch Anschauungsunterricht.

„Tuntenfisch?“ Phil klang wenig begeistert.

„Die Kneipe heißt eigentlich Oktopus, aber auf dem Schild ist ein rosa Krake drauf“, erklärte Lars.

„Eine Kneipe für Homosexuelle“, vermutete Phil.

„Sprich mir nach, Philemon: Schwule.“

„Schwule“, wiederholte Phil so folgsam, als ob er in der dritten Klasse hocken würde. Lars seufzte.

„Na also. Und siehe da, bei diesem Wort fällt dir gar nicht die Zunge ab. Und? Wie sieht es aus?“

Phil sah im Moment zumindest ziemlich unsicher aus.

„Deine Mutti merkt bestimmt nichts.“ Lars’ Lächeln nahm den Worten die Spitze.

Phil überwand sich. „Also gut.“

„Auf jeden Fall wirst du vorher neu eingekleidet. Ehrlich, so bist du nur der Brüller für alle. Also bring deine Brieftasche mit.“

Gehorsam nickte Phil. Er kramte zwei Fünfzig-Euro-Scheine aus der Tasche und legte sie auf den Tisch.

„Danke“, sagte er und blickte Lars ein wenig schüchtern an. Der schob das Geld über den Tisch zurück.

„Heute keine Bezahlung. Die Fragen habe ich gestellt und das war nicht der Deal.“

„Ich habe dir deine Zeit gestohlen“, sagte Phil. Sie tauschten einen Blick.

„Die Hälfte“, entschied Phil und kehrte damit den Energischen heraus. „Und ich übernehme die Rechnung.“

„Okay.“ Lars steckte einen Fünfziger ein. Er konnte es sich wirklich nicht leisten auf leicht verdientes Geld zu verzichten. Allerdings wollte er niemanden ausnehmen und diesen armen Wicht schon gar nicht.

Sie vereinbarten einen Treffpunkt und eine Uhrzeit, bevor sie sich voneinander verabschiedeten. Schließlich schaute Lars dem Schriftsteller hinterher, der mit seinem Rucksack über der linken Schulter die Straße entlanglief.

Peter Bergmann, dachte er. Du schreibst so taffe Bücher und dein Kommissar ist ein derartiger Leckerbissen, dass man sich so jemanden für die Realität wünscht. Und du schaffst es nicht einmal, dich zu outen.

Kopfschüttelnd schnappte sich Lars sein Fahrrad, das an einem Baum lehnte, und fuhr nach Hause.

****

„Philemon, weshalb gewinne ich den Eindruck, dass du mich jedes Mal am Telefon abwimmeln willst?“

Weil es genauso ist, dachte sich Phil.

„Das täuscht, Mutter. Ich freue mich über deinen Anruf. Ehrlich.“ Vor seinem inneren Auge tauchte der Teufel auf, der ihn mit einem spitzen Dreizack quälte, weil er seine Mutter anschwindelte. Aber er konnte nicht anders. Allein ihre schrille Stimme verursachte ihm Magenschmerzen.

„Wann kommst du mich denn besuchen?“

Besuchen? Wieso besuchen? Er war froh, dass er viele, viele Kilometer zwischen sich und seine Mutter gebracht hatte.

„Du weißt doch, dass ich arbeiten muss, Mutter.“

„In einem Ort in der Nähe hättest du auch arbeiten können, Philemon. Jetzt ist niemand da, der mir mit den Einkäufen und bei kleineren Reparaturen hilft. Ich bin ganz alleine ...“

„Dein Bibelkreis wird dich doch sicherlich unterstützen“, sagte Phil und verdrehte dabei die Augen. Dass seine Mutter immer einen auf theatralisch machen musste!

„Ich hätte mich gefreut, wenn du bei mir wohnen geblieben wärst.“

„Mutter, ich bin ein erwachsener Mann. Einmal musste ich ja ausziehen.“

„Du hättest hier ebenfalls eine nette Wohnung finden können. Allein schon, um mich regelmäßig zu besuchen. Und an dem Bibelkreis hättest du auch weiter teilnehmen können …“

Freiwillig? Eher würde er in seiner Freizeit Kröten züchten.

„Und du hättest hier ein nettes Mädchen kennenlernen können. Würdest du nicht so weit weg wohnen, könntest du heute bereits verlobt sein.“

Hurra!

„Mutter, ich muss jetzt Schluss machen. Ich …“

„Ist schon recht, Philemon. Treib dich ruhig in der Gegend herum, anstatt dich mit deiner Mutter zu unterhalten. Was könntest du auch schon einer alten Frau zu erzählen haben?“

„Wir telefonieren beinahe jeden Tag miteinander“, erklärte Phil in einem Anflug von tapferem Protest.

„Ach? Sag ruhig, wenn dich deine Mutter nervt.“ So eine spitze Bemerkung musste ja kommen.

„Du nervst mich nicht.“

Du machst mich lediglich irre.

„Dann überleg dir mal, wann du mich besuchen kommst.“

Philemon unterdrückte ein Stöhnen. „Wenn ich Urlaub habe, Mutter. Und jetzt muss ich wirklich los.“

„Jaja, ich habe ja verstanden, Philemon.“

„Auf Wiederhören, Mutter.“ Schnell legte Phil auf und wischte sich über die Stirn. Diese Gespräche strengten ihn an. Ach was, nicht die Telefonate, sondern seine Mutter war anstrengend. Wie gerne würde er ihr einmal seine Meinung geigen. Doch jedes Mal wenn er dazu ansetzte, konnte er dann doch nicht über den eigenen Schatten springen. Als hätte er in diesen Momenten eine Zungenlähmung oder so etwas Ähnliches. Sein ganzes Leben lang war er ihren Vorwürfen und ihrem Gejammere ausgesetzt gewesen und hatte gelernt, dass es besser war einzulenken, anstatt zu protestieren. Widerworte hätten den absoluten Supergau zur Folge gehabt. Seiner Mutter gegenüber stets nachzugeben, war deutlich einfacher. Phil stutzte. Wieso schlich sich ihm gerade das Wort Gehirnwäsche in den Sinn? Er schüttelte die Gedanken an seine Mutter ab, schnappte sich den Wohnungsschlüssel und hätte beinahe noch seine Brieftasche vergessen. Er wollte nicht zu spät zu seinem Treffen mit Lars kommen.

***

Phil wartete bereits, als Lars pünktlich am vereinbarten Treffpunkt erschien, und schaute sich die etwas schrill gehaltene Schaufensterdekoration an. Er trug seine Anzughose und ein schlichtes Hemd. Auf Krawatte und Pullunder hatte er dieses Mal verzichtet. Er wirkte immer noch spießig, obwohl das auch an seinem strengen Seitenscheitel liegen konnte.

„Hi“, grüßte Lars und Phil, der gedankenverloren in die Auslage versunken gewesen war, fuhr erschrocken herum.

„Hi“, antwortete er und strich sich mit einem zaghaften Lächeln eine dunkelblonde Haarsträhne zurück, die ihm bei der hastigen Bewegung ins Gesicht gefallen war.

„Hinein ins Vergnügen.“ Tatendurstig deutete Lars auf die Eingangstür. Mit skeptischem Blick ging Phil vor. Dank eines hölzernen Windspiels öffnete sich die Ladentür mit einem melodischen Klingeln und Lars konnte Phil erleichtert aufatmen hören, als der sich einen raschen Überblick über den Laden verschaffte.

„Keine Sorge, es gibt hier durchaus tragbare Kleidung zu kaufen“, sagte er grinsend und rief in den Laden hinein:

„Muck, Kundschaft!“

Gleich darauf erschien sein Freund. Lars genoss Phils überraschte Miene, als der Muck musterte. Offenbar hatte er keinen dicken, einen Meter sechzig großen, arabisch angehauchten Mann erwartet, sondern eher eine schrille Person, die zu der Schaufensterdeko gepasst hätte.

„Lars, mein Schätzchen, schön dich zu sehen. Und was für ein Goldstück hast du mir da mitgebracht?“ Mucks dunkle Augen richteten sich munter auf Phil. Der streckte ihm höflich die Hand entgegen.

„Ich bin Phil“, stellte er sich vor.

„Phil. Wie schön. Mich kannst du Muck nennen. Wie der Muck aus DerKleine Muck“, sprudelte der hervor. Seine Fröhlichkeit wirkte ansteckend.

„Ja, die Geschichte kenne ich.“ Phil lächelte.

„Was führt euch her? Die Aussicht auf einen Prosecco und ein Schwätzchen oder etwas anderes?“, erkundigte sich Muck und lehnte sich mit fragender Miene gegen seinen Verkaufstresen.

„Wir wollen heute Abend in den Tuntenfisch“, sagte Lars.

„Und?“

Lars deutete demonstrativ auf Phil. „Sieh ihn dir an, mein Lieber.“

Mucks Augen richteten sich auf Phil und betrachteten ihn nachdenklich mit geschürzten Lippen.

„Verstehe“, sagte er. „Da seid ihr beim Kleinen Muck ganz richtig. Lars, setz dich in die Küche und überlass das Goldstück hier mir. Wo der Kühlschrank steht, weißt du ja. Lass nur die Finger vom Käse. Den brauche ich nämlich für meinen Schatz heute Abend.“

Lars zwinkerte Phil aufmunternd zu und ging in die kleine Teeküche, wo er sich an dem Kaffee bediente, der dort frisch aufgebrüht auf einen Nutznießer wartete. Auf dem Tisch lag eine Zeitung, die er sich schnappte, ehe er sich auf einen Stuhl fallen ließ. Doch irgendwie konnte er sich weder auf die Nachrichten noch auf den Sportteil konzentrieren. Eigentlich konnte er sich seit gestern auf gar nichts mehr richtig konzentrieren, da er dauernd an Phils grünblaue Augen denken musste. Und an die winzigen Sommersprossen auf dessen Nase. Er hätte viel lieber zugesehen, wie Muck diesen Schriftsteller umstylte, aber er wusste nur zu genau, dass sich der Tunesier nicht in die Karten blicken ließ. Er würde lediglich einen üblen Rauswurf riskieren, wenn er in Richtung der Umkleidekabinen schielen würde. Also blieb Lars brav sitzen, trank Kaffee und zerknüllte nach und nach die Zeitung.

Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis Muck ihn endlich rief. Lars sprang regelrecht von seinem Stuhl und eilte in den Laden zurück. Ein weiterer Kunde wühlte in einer großen Einkaufstüte herum. Von Pullunder-Philemon war nichts zu sehen.

„Und? Wo ist er?“, fragte Lars.

Muck grinste und deutete auf den Kunden mit der Einkaufstüte. Es war tatsächlich Phil, der sich bei der Frage irritiert aufrichtete. Lars blieb regelrecht der Mund offen stehen. Muck hatte den Spießer in eine straff sitzende, dunkelgraue Jeans gesteckt, die ihm tief auf den Hüften saß. Ein türkises T-Shirt mit einem dezenten Silberdruck auf der Brust lenkte die Blicke auf eine atemberaubende Figur, die bislang von den weiten Hemden verdeckt worden war. Statt der schwarzen Slipper befanden sich bequeme Sneakers an Phils Füßen. Muck schien auch zwei Fingerspitzen Haarwachs benutzt zu haben, um Phils dunkelblondes Haar auf zerzaust zu stylen. Jetzt leuchteten Phils faszinierende Augen direkt in seinem Gesicht.

„Schätzchen, sag was.“ Der Kleine Muck grinste. Lars drehte sich um, drückte ihn spontan an sich und pflanzte einen Kuss auf die Künstlerstirn.

„Du bist ein Zauberer“, lobte er. „Ein wahrer, einzigartiger Zauberer.“

„Dann ist das okay so?“, fragte Phil unsicher.

Die beiden Männer sahen ihn verstört an. Endlich grinste Lars.

„Also, ich drücke es mal so aus: In den Klamotten musst du dir keinen Callboy aus der Zeitung suchen.“

Hingerissen beobachteten Muck und Lars einträchtig, wie sich Phils Wangen verfärbten.

„An seinem Selbstbewusstsein musst du dringend arbeiten, Schätzchen“, stellte Muck sachlich fest.

„Das wird wirklich harte Arbeit werden“, stimmte ihm Lars zu, der die Augen gar nicht von diesem neuen Phil lassen konnte. Der winzige Streifen nackte Haut zwischen T-Shirt und Hosenbund hatte es ihm besonders angetan. Wie sich dieser Streifen wohl anfühlen mochte? So seidig, wie er aussah?

„Wir sollten nun los“, sagte Lars schnell, um Gedanken zu entgehen, die eindeutig eine sündige Richtung einschlugen. Phil nickte, schlüpfte rasch in eine taillenkurze Lederjacke und schnappte sich die riesige Tüte. Mit einem Blinzeln verriet Muck: „Er hat auf Vorrat gekauft.“

Pullunder Adieu? Dem Allmächtigen sei Lob und Ehr! Auf Wiedersehen, Pullunder-Philemon und willkommen, Phil.

„Vielen Dank, Muck.“ Phil verabschiedete sich mit einem festen Händedruck von dem Kleinen.

„Komm ruhig mal auf ein Pläuschchen vorbei, Goldstück. Ich würde mich freuen.“ Muck grinste vergnügt, als Lars seinen Begleiter hastig aus dem Laden schob und ihm dabei einen scharfen Blick zuwarf. Klingelnd schloss sich die Ladentür hinter den beiden.

„Mein Auto steht dort unter dem Baum.“ Phil deutete auf einen dunkelblauen Audi. Doch Lars musste erst einmal seinen inneren Aufruhr beruhigen.

„Donnerwetter, Phil! Wo hattest du gestern diesen Body versteckt?“ Er lief einmal begutachtend um Phil herum, um ihn von allen Seiten zu betrachten. Der stand mit der Tüte in der Hand mitten auf dem Gehweg und sah inzwischen leicht fuchsig aus.

„Verarschst du mich eigentlich oder was sollen diese Sprüche die ganze Zeit über?“, fragte Phil mit leiser Stimme und in einer Tonlage, die ziemlich gefährlich klang.

„Entschuldige bitte, Phil, aber du siehst einfach nur Boah aus. Ich musste gerade die Verwandlung eines hässlichen Entleins in einen schönen Schwan miterleben und bin etwas geschockt“, erklärte Lars in dem Versuch glaubhaft zu klingen.

Zweifelnd sah ihn Phil an, bevor er ohne ein weiteres Wort zum Audi marschierte. Die Tüte warf er in den Kofferraum und sah sich anschließend nach Lars um, der weiterhin vor dem Laden stand.

„Kommst du?“, fragte Phil.

„Der Oktopus ist hier gleich um die Ecke. Lass den Wagen dort stehen, so musst du wenigstens keinen Parkplatz suchen.“

Phil schloss den Audi ab und lief gleich darauf mit Lars an seiner Seite die Straße entlang.

„Hör mal, wenn du keine Lust hast, canceln wir das Ganze“, sagte Lars plötzlich, denn Phil sah nicht besonders glücklich aus. Der schreckte aus seinen Gedanken auf und blieb stehen.

„Ich komme mir so blöd vor“, murmelte er hilflos.

„Wieso denn? Du siehst klasse aus.“

Phil winkte ab. „Nicht wegen der Klamotten. Sondern … Verdammt noch mal!“

Lars horchte auf. Phil konnte ja richtig fluchen und klang dabei sogar ein bisschen wie sein taffer Kommissar aus den Krimis.

„Ich bin im Begriff zum ersten Mal in eine Schwulenkneipe zu gehen und fühle mich ein wenig nervös“, gestand Phil schließlich.

„Das sind Leute wie du und ich.“

„Die sehen mir gleich den Deppen an.“

„Was denn für einen Deppen? Sag mal, hast du denn überhaupt kein Selbstwertgefühl?“ Lars packte ihn rigoros am Arm und zog ihn weiter.

„Es ist eine Kneipe, Phil. Da wird niemand auf den Tischen gevögelt und es spielt auch keiner Ringelpietz mit Anfassen. Wir trinken etwas, du stellst mir deine Fragen und ab und an wird mal Hallo