Schlachthaus - Sandra Busch - E-Book

Schlachthaus E-Book

Sandra Busch

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Beschreibung

Vampyre schlürfen in Hamburg Blut und feiern makabere Orgien. Als es aus ihren Reihen einen Toten gibt, der mit skelettierter Hand im Schanzenpark gefunden wird, werden Bo und Robin ausgerechnet von dem Truppenführer Patrick Reinhold angeheuert, um den Täter zu ermitteln. Unter den Verdächtigen befindet sich Daan van Basten, der charismatische Anführer der Vampyre. Und Robin muss nicht nur einen Mörder ermitteln, sondern auch seine wahre Liebe.

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Sandra Busch

Schlachthaus

Inhalt:

Vampyre schlürfen in Hamburg Blut und feiern makabere Orgien. Als es aus ihren Reihen einen Toten gibt, der mit skelettierter Hand im Schanzenpark gefunden wird, werden Bo und Robin ausgerechnet von dem Truppenführer Patrick Reinhold angeheuert, um den Täter zu ermitteln.

Unter den Verdächtigen befindet sich Daan van Basten, der charismatische Anführer der Vampyre.  Und Robin muss nicht nur einen Mörder ermitteln, sondern auch seine wahre Liebe.

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2015

http://www.deadsoft.de

© the auhor

Cover:

Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com/

Bildrechte

© Inna Felker – fotolia.com

© kristina rütte – fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-944737-87-4

ISBN 978-3-944737-88-1 (epub)

Prolog

Donnerstag, 02. Dezember

02:11 Uhr

Mit Kohle zeichnet er einen Kreis auf die weißen Fliesen. Um diesen Kreis zieht er einen zweiten und achtet dabei akribisch darauf, dass der schwere zerlegbare Käfig mit dem darin gefangenen Opfer genau zwischen diesen beiden Kreisen steht. Damit befindet sich die speziell angefertigte Metallkonstruktion direkt an der Außenlinie des ersten Kreises, was er beabsichtigt, denn nicht der Käfig soll das Zentrum seiner Beschwörung darstellen.

Das Opfer ist von dem Hieb, den er ihm im Schanzenpark gegen den Kopf verpasst hat, noch ziemlich benommen. Es scheint aber langsam das Bewusstsein zurückzuerlangen. Das stört ihn nicht, denn es wird ihn nicht daran hindern, die Zeremonie zu beenden.

In den inneren Kreis skizziert er ein Kreuz, an dessen Enden er jeweils ein Auge anfügt. Die Pupillen malt er mit der Kohle aus, bis er den Eindruck gewinnt, von seinem künstlerischen Werk angestarrt zu werden. Schließlich kramt er aus seinem unauffälligen Rucksack eine Puppe aus Leinen und legt sie behutsam in die Mitte des Kreuzes. Danach stellt er zwischen den beiden Kreisen vier Kerzen auf, die er anzündet. Der Käfig und die Kerzen bilden nun zusammen einen weiteren Kreis. Nun kann er das grelle Licht der Neonröhren ausschalten. Zufrieden schaut er sich um. Ja, genau diese düstere Kerzenlicht-Atmosphäre braucht er.

Innerhalb des Käfigs stöhnt sein Opfer und richtet sich halb auf. Weit aufgerissene Augen wandern unruhig und orientierungslos umher.

„Wo bin ich?“

Mit dieser Frage hat er gerechnet. Er wird allerdings nicht antworten. Eine Diskussion würde ihm die Konzentration für das folgende Ritual rauben. Schnell prüft er, ob die Hand seines Opfers noch durch die schmale Aussparung aus dem Käfig ragt. Eine Eisenfessel soll eigentlich verhindern, dass sein Opfer die Gliedmaße zurück in den Käfig ziehen kann. Er ist sich zwar sicher, dass er sie ordentlich geschlossen hat, trotzdem kontrolliert er seine Arbeit ständig. Fehler konnten katastrophal enden.

„Was soll das?“ Sein Opfer starrt erst ihn, dann die Kerzen an. Es ruckt an der eisernen Schelle und versucht, sein Gelenk daraus zu befreien.

„Lass mich sofort hier raus! He! Hast du mich nicht gehört? Ich will raus!“

Er ignoriert das Geschrei und sucht nun aus seinem Rucksack Mehl und schwarzen Pfeffer hervor, beides bringt er in ein bestimmtes Mischungsverhältnis und schüttet es auf seine linke Handfläche.

„Was soll der Schwachsinn? Lass mich raus!“

Jetzt schließt er die Lider und öffnet seinen Geist für den notwendigen Zauber, so wie es ihm einst sein Großvater beigebracht hatte, der ein großer Bokor gewesen war. Tief holt er Atem und …

„Hey! Ich will raus!“ Heftiges Gerüttel am Käfig folgt.

… bläst die Mehl-Pfeffer-Mischung in die Luft. Während seine kleine Gabe für den Mittler zwischen Bokor und Loas langsam zu Boden rieselt, singsangt er:

„Ago Elleggua!

Ikaika braucht Papa Legbas Hilfe!

Ago Elleggua!

Ikaika ist dein Untertan!

Ago Elleggua!

Öffne mir das Tor!“

Fühlt er da einen kühlen Hauch? Die Kerzen flackern jedenfalls. Ein breites Lächeln erscheint in seinem Gesicht.

„Was tust du da? Bist du total bekloppt?“, schreit es ihm entgegen. Noch ist sein Opfer überwiegend wütend. Erfahrungsgemäß wird die Wut jedoch bald in reine Panik umschlagen. Das Gerüttel am Käfig wird heftiger. Er ist nicht bekloppt. Vielmehr spürt er inzwischen deutlich, dass Papa Legba das Tor zur Anderwelt geöffnet und eine Verbindung zu den Loas hergestellt hat. Denn Papa Legba ist der Hüter der Wegkreuzungen. Ohne seine Vermittlung könnte kein Bokor Hilfe bei den Geistern, den Loa, finden. Zufrieden mit seinem bisherigen Erfolg starrt er sein Opfer an und glaubt dunkle Schweißflecke auf dessen weißem Rüschenhemd zu erkennen. Na klar, es hat Angst. Es muss ebenfalls die Anderwelt und die lauernden Loas bemerken.

„Du Scheißkerl! Was hast du mit mir vor?“ Der junge Mann zerrt, zieht und bemüht sich, die Hand möglichst klein zu machen, damit er sie durch die Schelle bekommt. Doch er schabt sich bloß die Haut auf.

Ikaika lächelt schmal. Es wird Zeit den Samedi le mo auszusprechen, den tödlichen Fluch, und Baron Samedi, den Herrn der Friedhöfe und der Toten, anzurufen. Mit einer fünften Kerze, von der er Wachs herabtröpfelt, befestigt er einige blonde Haarsträhnen am Kopf der Puppe, die mitten im Zentrum seines Zaubers liegt. Die Haare hat er in den letzten Wochen mühselig und unauffällig gesammelt.

„O kwa, o Jibile!

Ich nenne dich Daan.

Mesye la kwa avanse pou i we yo!

Ou pa we m inosan!”

Aus dem Rucksack holt er jetzt ein Messer hervor und schneidet sich damit in den Daumen. Unter den ungläubigen Blicken seines momentan sehr stillen Opfers beschmiert er die Puppe mit seinem Blut. Als Nächstes streut er aus einer Blechdose Asche über die komplette Leinenpuppe, wobei er in seinem Zauber fortfährt:

„Bowon zamedi, si koko te gen, dan li

Tap manje mayi griye!“

„Du bist ja völlig durchgeknallt“, flüstert sein Opfer, als er mit viel Gefühl eine lange Nadel in die Brust der Puppe bohrt.

„O kwa, o Jibile! …“ Ungerührt wiederholt er den Zauberspruch. Das Tor der Anderwelt ist noch offen. Er kann den eisigen Hauch der mächtigen Loas spüren. Und aufs Neue singt er seinen Zauber, wiegt sich im Rhythmus seiner eigenen, etwas rauen Stimme. Schließlich erhebt er sich und tritt rückwärts aus dem flackernden Kerzenlicht, bis er an einer gefliesten Wand steht.

„Wo bist du? Komm zurück!“, brüllt sein Opfer voller Angst und versucht abermals, sich von der Handschelle und aus dem Käfig zu befreien. Zu spät! Baron Samedi kommt. Er kann ein Fiepen hören. Und ein leises Klackern. Angestrengt spitzt er die Ohren und hält den Atem an, um sich ja kein Geräusch entgehen zu lassen.

„Was habe ich dir getan? WAS?“

Das hohe Fiepen wird lauter. Nein, es ist eher ein Pfeifen, wie von einer … Ratte!

Sein Opfer zuckt zurück, als der Nager plötzlich vor dem Käfig auftaucht. Ikaika lässt sich auf die Knie sinken. Sein Herz klopft vor freudiger Aufregung wie wild. Baron Samedi muss in Gestalt dieses Tieres aus dem Abfluss gekrochen sein, der sich ganz in der Nähe des Käfigs befindet.

Barthaare vibrieren aufgeregt, als die Ratte in seine Richtung wittert und sich dann seinem sichtlich angeekelten Opfer zuwendet. Flink huscht sie näher, klettert an dem Käfig empor, um von oben auf seine Gabe niederzustarren. Mit der freien Hand schlägt das Opfer gegen den Maschendraht.

„Hau ab!“, zischt es.

Die Ratte springt zu Boden und faucht böse.

„Ekliges Vieh!“

Auf einmal kriecht noch eine Ratte aus dem Abfluss, eine zweite, dritte folgt.

„O kwa, o Jibile …“, summt Ikaika zufrieden und wie hypnotisiert von dem, was sich direkt vor ihm abspielt.

„Verdammt!“, kreischt das Opfer für Baron Samedi erschrocken, denn unversehens quillt ein ganzer Strom haariger, pelziger Leiber aus dem schwarzen Loch im Boden und fließt einer Flutwelle gleich auf ihn zu. Im Nu sitzen sie dicht an dicht auf dem Käfig, hängen an den Maschen und schlagen ihre scharfen Zähne in den zum Glück stabilen Draht. Der junge Mann schreit auf, als die ersten Tiere in seine gefesselte Hand beißen. Mit der freien Faust hämmert er immer wieder und wieder gegen den Draht, um die Ratten abzuschrecken. Aber die scheinen zu wissen, dass er ihnen nichts anhaben kann. Innerhalb weniger Sekunden verschwinden seine zuckenden Finger unter den warmen Leibern, und während sein Körper in dem schützenden Käfig vor Schmerz zuckt und sich windet, brüllt er gegen die Qual und das pure Entsetzen an, lebendig gefressen zu werden.

Sonntag, 05. Dezember

07:41 Uhr

„Schweinemörder!“

Köpfe rucken in die Höhe und Gesichter verziehen sich zu einem Grinsen. Die Leute bleiben erwartungsvoll stehen.

„Du elender Schweinemörder!“, röhrt es lautstark über den Platz.

„Wollt ihr etwa dessen matschiges Fallobst kaufen? Der dreht euch doch krumme Bananen an, diese linke Bazille!“, brüllt es mit ein paar Dezibel mehr zurück. Bo und ich wechseln einen belustigten Blick. Heinz und Friedhelm geben sich auf ihren Wagen alles. Als die ersten krummen Bananen zu fliegen beginnen und uns aus der anderen Richtung Wiener Würstchen bedrohen, drängen wir uns durch die gierigen Touristen, die auf ein Gratisobjekt lauern. Im nächsten Moment klatscht ein Aal gegen Bos Brust.

„Wer will schon deinen stinkenden Aal? Wo bleibt der Hering?“, ruft Bo empört, schmeißt den Aal zurück und trifft den Fischbudenbesitzer beinahe am Scheitel.

„Mein Fisch stinkt nicht!“, schreit Gunter mit puterrotem Kopf und ähnelt damit dermaßen dem Verleihnix aus den Asterix-Comics, als hätte er ihm Modell gestanden. Er ist genauso blond und genauso dick wie einer der berühmten Gallier.

„Und wie der stinkt!“ Wenn Bo so weiter macht, ist er am Nachmittag heiser. Aber er und Gunter gönnen sich öfter einen lautstarken Schlagabtausch dieser Art. Die Touris sind jedes Mal völlig hingerissen.

„Du kriegst den Aal gleich links und rechts um die Ohren, Liebelein.“ Gunter wirft mir eine Packung Hering zu und ich ihm eine Kusshand.

„Nimm dir ein Beispiel an deinem Freund, Liebelein. Der weiß sich zu benehmen.“ Der Aal findet mit einer doppelten Schraube seinen Weg in Bos Arme zurück. Die Touris lachen, sind amüsiert. Bo drückt dem neben ihm stehenden Mann den Aal in die Hand.

„Mahlzeit.“ Gleich darauf zerrt er mich weiter. „Was brauchen wir noch, Dot?“

Ich prüfe den Inhalt des Einkaufskorbes. Neben dem Gratis-Hering und der Gratis-Tüte Obst von Heinz, haben wir bereits ein Gratis-Brot von Irma darin liegen.

„Wir müssen noch zu Geflügel-Otto. Die Eier fehlen uns. Ich hoffe bloß, dass die nicht auch geflogen kommen.“ Fröstelnd ziehe ich die Schultern hoch und blicke auf, als mich ein Finger sanft an der Wange berührt, gleich unter einer verkrusteten Schnittwunde. Ich schaue in Bos weintraubengrüne Augen, in denen für eine Sekunde die pure Wut aufblitzt. Wut, die dem Verursacher dieser Verletzung gilt.

„Es ist alles in Ordnung, Tweety“, versichere ich ihm hastig. „Es heilt doch.“

Bos Lächeln wirkt etwas gezwungen. Er ist eben mein Beschützer, mein Held und mein Lebensretter. Ohne ihn wäre ich das Opfer eines Psychopathen geworden.

Mein Mann zieht mich an sich, um mich inmitten einer weiteren Busladung Touristen zu küssen. Hamburgs Fischmarkt ist auch in der Vorweihnachtszeit sehr beliebt.

„Lust auf ein Matjesbrötchen?“, fragt mich Bo nach dem Kuss, der mir wacklige Knie verursacht hat.

„Ich will gar nicht wissen, wie du vom Küssen auf Matjes kommst“, knurre ich. Das Brötchen lehne ich trotzdem nicht ab.

Wenig später lehnen wir kauend an der Hafenmauer und lauschen der Live-Musik, die aus der Fischauktionshalle dringt. Ich kaufe hier mit Vorliebe ein. Die Ware ist frisch, die Händler kennen mich und stecken mir vieles umsonst zu. Zum einen weil ich regelmäßig den Fischmarkt besuche, zum anderen habe ich vor einiger Zeit der Bäcker-Irma eine gestohlene Brosche wiederbeschaffen können. Ein Erbstück ihrer Oma und die Irma hängt wie verrückt an dem Ding. Seitdem habe ich bei den Marktschreiern einen dicken Stein im Brett.

„Dot, du frierst. Wir gehen jetzt nach Hause und du wärmst dich gepflegt auf. Gib mir den Korb.“

Ja, bin ich denn ein Kleinkind?

Mir klappern tatsächlich die Zähne, das Matjesbrötchen kaut sich damit von alleine. Aber den Korb gebe ich ohne Protest ab. Mein linker Arm ist schon ganz lahm und der andere schmerzt ab und an noch. Die Schusswunde, die ich dort erhalten habe, braucht zum Abheilen etwas länger als die vielen Schnittverletzungen.

Aus der Auktionshalle ertönt nun fetzige Rockmusik. Eigentlich wäre ich gerne noch geblieben, um eine Runde mit Bo zu tanzen. Dabei wäre mir sicherlich warm geworden. Sein Blick hält mich allerdings davon ab und brav trotte ich neben ihm her in Richtung Heimat. Gelegentlich ist beschützt und behütet zu werden extrem anstrengend.

10:37 Uhr

Wie eine Diva liege ich auf dem Sofa. Kissen stützen meinen Rücken, eine Kuscheldecke bedeckt meine Beine und in den Händen halte ich einen dampfenden Pott Tee. Ein wenig entmündigt fühle ich mich schon und ich bin nicht sicher, ob ich protestieren soll, dass mich Bo derzeit wie einen alten Mann behandelt, oder ob ich es einfach genießen darf. Mich wohlig räkelnd rutsche ich etwas tiefer in den Kissenberg.

Aus dem Treppenhaus dringt fieses Kreischen und ein nicht weniger fieses Fluchen. Bo befindet sich auf seiner wöchentlichen Katerjagd. Ein Grinsen schleicht sich in mein Gesicht. Sicherlich muss ich meinen Tweety gleich wieder ein bisschen trösten. Und vielleicht sollte ich vorsorglich den Erste-Hilfe-Kasten bereithalten, weil diese Jagd nie ohne Schmarren ausgeht. Nach einem letzten vorsichtigen Schluck aus dem heißen Pott wühle ich mich zusammen mit meinen guten Absichten aus der Decke. Das Kreischen wird lauter und schriller.

Herrje!

Was stellt dieser Mann mit Oma Jansens Sniggle an? Neugierig reiße ich die Wohnungstür auf und trete ins Treppenhaus. Bo befindet sich auf der Treppe zum Dachboden. Er liegt halb auf den Stufen und versucht mit seinen dicken Lederhandschuhen den sich windenden Kater auf eine Art und Weise zu packen, dass Sniggle nicht erneut entkommen kann.

„Flohsack! Teppichratte!“, höre ich ihn dabei aufgebracht keuchen. In dieser Sekunde klingelt es an der Haustür. Da ich ohnehin schon hier bin, gehe ich öffnen.

„Autsch!“, schreit es hinter mir, doch ich achte gar nicht darauf. Stattdessen starre ich überrascht den breitschultrigen Besucher vor mir an. Patrick Reinhold reicht mir mit einem lässigen „Hallo“ die Hand und schaut verwundert an mir vorbei in das Treppenhaus. Ich trete einen Schritt beiseite, um ihm freie Sicht auf Bo zu gewähren, wegen dem er sicherlich gekommen ist. Ein längst fälliger Besuch zwischen ehemaligen Bundeswehrkameraden. Mein Mann erstarrt mitten in der Bewegung, als er Patrick entdeckt. Immer noch leicht geduckt, mit zerzauster blonder Lockenmähne steht er da und hält dabei den Kater am Nackenfell weit von sich, um den spitzen Krallen fern zu bleiben. Sniggle hängt plötzlich wie ein haariger Sack regungslos in seinem Griff und funkelt mit gefletschten Zähnen Patrick Reinhold an.

„Du hast Besuch, Bo“, sage ich, um die Stille zu unterbrechen. Langsam und unsicher, wie ich ihn noch nie erlebt habe, richtet sich Bo auf. Sniggle scheint er dabei zu vergessen, weil er die ausgestreckte Hand senkt, die den Kater hält. Diese Chance nutzt der Teppichtiger und schlägt zu. Erbarmungslos!

„AU!“

Fauchend und spuckend gräbt Sniggle alle vier Pranken in Bos Fleisch, kurz oberhalb seines Gürtels. Hastig komme ich meinem Tweety zu Hilfe und nehme ihm Sniggle ab, der sich mit gesträubtem Fell und einem hasserfüllten Zischen in Bos Richtung an mich schmiegt.

„Diese Schlacht geht wohl an die Katze“, sagt Patrick beeindruckt. „Komme ich ungelegen?“

„Ach was. Das ist bloß Bos Frühsport“, sage ich und läute bei Oma Jansen.

„Was … was machst du hier?“ Endlich findet Bo seine Sprache wieder. Er presst eine Hand gegen seine Leibesmitte. Patrick antwortet nicht gleich, da Oma Jansen die Tür öffnet.

„Da ist ja mein Liebling“, begrüßt sie Sniggle, gibt mir einen dankenden Kuss auf die Wange und verschwindet mitsamt dem Kater in ihre Wohnung. Empört sieht mich Bo an. Nicht zum ersten Mal heimse ich den Lohn seiner Jagd ein.

„Möchtest du Patrick nicht hereinbitten?“, frage ich und zupfe gleich darauf Bos Shirt aus dessen Hose. „Und sicherlich muss ich dich verarzten.“

Patrick und Bo mustern sich über meinen Kopf hinweg. Seit Bos Abschied von der Bundeswehr hatten sie keinen Kontakt mehr. Und inzwischen weiß Patrick dank meiner großen Klappe, dass Bo schwul ist und bei seinem ebenso schwulen Lebensgefährten wohnt. Nämlich bei mir.

„Natürlich … Tut mir leid, Pat. Komm doch rein.“ Mein Mann erinnert sich an seine Manieren und winkt seinen einstigen Truppenführer in unsere Wohnung.

10:59 Uhr

Wenig später sitzen wir mit frisch gebrühtem Kaffee im Wohnzimmer und Bo zieht sein Shirt aus, weil ich ihm die sniggleverursachten Kratzer auf dem Bauch desinfizieren will. In diesem Moment bieten wir Patrick schwules Leben live und in Farbe. Ich verkneife mir ein Grinsen, denn in Bos Gesicht kann ich genau diese Überlegung ablesen. Er rupft mir den Tupfer mit dem Antiseptikum aus der Hand und rubbelt sich damit männlich-kraftvoll über die feinen Schrammen. Viel zu schnell schlüpft er wieder in sein Shirt. Patrick wirft mir einen amüsierten Blick zu, den ich mit einem Achselzucken beantworte.

„Also? Warum bist du hier?“, fragt Bo.

„Ich finde es auch schön dich gesund und munter anzutreffen, Amundsen. Und danke, ja, es geht mir gut. Dir hoffentlich auch. Von der Truppe soll ich ebenfalls grüßen. Die sind ganz schön angefressen, dass sich jemand seit knapp drei Jahren überhaupt nicht meldet und so tut, als hätte er uns vergessen.“

Ich komme in den Genuss, Bo rot anlaufen zu sehen. Er murmelt etwas von Leben neu sortieren müssen, eine Menge zu tun haben und Erinnerungen vermeiden.

Mit unbewegtem Gesicht hört sich Patrick dieses Gestammel an, ehe er schonungslos behauptet: „Dir ist es bloß peinlich, dass inzwischen jeder von deiner Homosexualität weiß.“

Bos Funkeln in meine Richtung drückt aus, dass er mich als Plaudertasche verdammt.

„Dein Partner ist doch niedlich.“ Grinsend legt mir Patrick den Arm um die Schulter.

Äh … niedlich?

Und was wird das jetzt?

Plötzlich wird mir bewusst, dass sich Bo aggressiv anspannt und Patrick ihn offenbar absichtlich provoziert, um meinen Mann aus der Reserve zu locken. Also spiele ich das Spiel mit und lehne mich mit meiner besten schmachtenden Miene an Patricks breite Schulter.

„Wird man durch diese viele Schwimmerei so kräftig?“, frage ich säuselnd. Ein vorsichtiges Linsen in Bos Richtung zeigt mir, dass er gleich auf hundertachtzig ist. Er wird diesen Patrick hoffentlich nicht anspringen? Der gefährliche Moment geht zum Glück vorbei. Bo sackt in sich zusammen, seufzt und wischt sich eine seiner unbezwingbaren Locken aus der Stirn.

„Okay“, seufzt er. „Ich bin ein Idiot. Zufrieden? Robin, wenn du schmusen willst, dann gefälligst mit mir. Und hör auf, Patrick anzuhimmeln.“

Ich löse mich aus dem starken Soldatenarm und erhebe mich männlich und wenig niedlich vom Sofa. „Ihr habt sicher einiges zu erzählen. Ich lasse euch lieber mal allein.“

Ehe ich auch nur einen Fuß bewegen kann, schließen sich Patricks Finger um mein Handgelenk. Kraft steckt dahinter und mir wird bewusst, dass dies kein Mann ist, mit dem ich mich anlegen möchte.

„Warten Sie, Robin. Ich bin nicht vorbeigekommen, um mit Bo alte Kamellen durchzukauen, sondern weil ich Hilfe brauche.“

„Ach!“ Sofort lasse ich mich zurück auf das Sofa fallen.

„Was ist denn los?“, fragt Bo und beugt sich gespannt in seinem Sessel vor.

„Ich habe einen Neffen hier in Hamburg, der auf dem Rückweg von einer Party der besonderen Art überfallen worden ist. Er war nicht allein, sondern ein Freund hat ihn begleitet. Und der ist später tot aufgefunden worden. Ich möchte, dass ihr euch dieser Sache annehmt und die Verantwortlichen ausfindig macht.“

„Eine Party der besonderen Art?“, fragt Bo mit einem Stirnrunzeln.

„Genau. Es geht um eine Art Blutparty. Jan weigert sich, Genaueres darüber zu sagen. Anscheinend geilen sich diese Jungs an fließendem Blut auf.“

Ich werfe Bo einen raschen Blick zu. Das klingt spannend, aber nach unserem letzten großen Fall, wird sich mein Mann sicherlich nicht auf ein solches Abenteuer einlassen. Schließlich ist da genügend Blut geflossen. Und wirklich, Bos Augenbrauen ziehen sich bereits zusammen.

„Können Sie uns mehr erzählen?“, frage ich hastig.

„Es scheint sich um eine fest eingeschworene Clique zu handeln, die sich wie die Grufties kleiden …“

„Gothics?“

Patrick schüttelt den Kopf. „Nein, von denen grenzen sie sich ab, auch wenn sie ähnlich herumlaufen. Sie nennen sich selbst Lebende Vampyre. Und durch das Y in Vampyr unterscheiden sie sich ganz bewusst von den Hollywood-Vampiren. Tatsache ist, dass sie auf ihren Treffen Blut trinken.“

Bo versucht etwas zu sagen, ich komme ihm zuvor:

„Sind es Bloodplayer?“

Sowohl Patrick als auch Bo sehen mich fragend an.

„Das sind so Freaks, die angesichts von Blut einen Ständer bekommen“, erkläre ich. „Sind in der BDSM-Szene zu finden. Man nennt das auch Hämatophilie. Blutfetischisten eben.“

„Kannst du mir vielleicht verraten, woher du das weißt, Robin Berger?“ Bos Stirnrunzeln hat sich dramatisch vertieft.

„Oh! Nun ja, ich war da vor Jahren mit einem Typen zusammen …“

Patrick grinst und Bo schaut mich beinahe verzweifelt an. „Manchmal glaube ich wirklich, deine Waffel beginnt zu krümeln. Wie gerätst du bloß an solche Gestalten?“

„Das habe ich mich ebenfalls gefragt, als ich einen kotzenden Kampfschwimmer vor dem Ertrinken im Klo gerettet habe.“

Patrick lacht. Dafür klappt Bo beleidigt den Mund zu.

„Ich denke, BDSM scheidet aus. Jan hat mit dieser Szene nichts zu tun“, erzählt Patrick weiter. „Er sagte mir, dass er ein Donor wäre und darauf sei er stolz. Mehr habe ich aus ihm nicht herausbekommen. Er hat einfach dichtgemacht.“

„Wie ist der Freund Ihres Neffen eigentlich umgekommen?“, erkundige ich mich. Der letzte Rest Humor verschwindet schlagartig aus Patricks Gesicht.

„Ein Gassigeher hat Tobias gefunden. Seine Hand war skelettiert. Die Todesursache lautete auf Schock und Verbluten.“

Habe ich das gerade richtig gehört? Ich schlucke heftig und schiele zu meinem Tweety hinüber. Der würdigt mich ganz bewusst keiner Aufmerksamkeit.

„Das ist eindeutig ein Fall für die Polizei, Patrick“, sagt Bo ruhig.

„Ich hatte gehofft, ihr könntet euch in die Szene einbringen, diese Vampyre treffen …“

„Sie glauben, dass diese Vampyre dahinterstecken?“

„Ich bin mir nicht sicher. Aber ich habe Angst, dass Jan etwas passieren könnte. Jemandem die Hand zu skelettieren spricht nicht gerade für einen gesunden Verstand. Genauso wenig wie Vampyr zu spielen. Leider weigert sich Jan, seinen merkwürdigen Freunden den Rücken zu kehren.“

Bos Blick richtet sich auf mich. Und ich ahne es: Adieu Ermittlung. Noch ein Fall, der für Leib und Leben ein Risiko darstellt, wird für Bo nicht einmal Diskussionsthema sein.

„Geh zur Polizei“, wiederholt Bo leise. „Wir können das nicht übernehmen.“

Ein Versuch kann nicht schaden. „Tweety …“

„Robin!“

Dieser barsche Tonfall scheint sogar Patrick zu überraschen. Schnell klappe ich meinen Mund zu. Ich will keinen peinlichen Streit vor seinem alten Freund anfangen. Patrick erhebt sich. Die Enttäuschung ist ihm anzusehen.

„Vielleicht schlaft ihr eine Nacht darüber. Ich fahre jetzt in ein Hotel und melde mich morgen früh bei euch, okay?“

„Du brauchst in kein Hotel. Wir haben ein Gästezimmer. Selbstverständlich bleibst du hier, auch wenn wir deinen Fall nicht übernehmen.“

Patrick dreht sich fragend zu mir um. „Ist Ihnen das überhaupt Recht?“

„Kein Problem. Ich suche sofort ein paar Handtücher heraus. Und ein schlichtes Robin und du ist vollkommen ausreichend.“

Patrick lächelt. „Danke“, sagt er.

11:34 Uhr

Statt mich auf den Weg ins Gästezimmer zu machen, bleibe ich im Flur neben der Wohnzimmertür stehen. Ein bisschen lauschen kann bestimmt nicht schaden.

„Ich hatte fest mit deiner Hilfe gerechnet“, höre ich Patrick sagen. „Einer für alle und alle für einen. Weißt du das noch?“

„Es tut mir leid, Pat, aber hast du dir Robin genauer betrachtet?“

Ich stöhne innerlich. Bo ist so durchschaubar. Allerdings hasse ich es, als Grund für irgendetwas vorgeschoben zu werden.

„Er sieht aus, als hätte ihn jemand durch die Mangel gedreht. Sein Arm ist auch verletzt, nicht wahr? Er bewegt ihn ziemlich steif.“

Ich mustere mich im Flurspiegel. Ist meine Optik wirklich noch derartig angeschlagen? Die Blutergüsse in meinem Gesicht sind schon fast vollständig verblasst und die dicke Beule auf der Stirn ist verschwunden. Auffällig ist die Schnittwunde unter meinem Auge und ein paar weitere Blessuren, die zum Glück gut verheilen.

„In unserem letzten Auftrag ging es um eine Entführung. Robin ist dabei beinahe umgekommen, Pat. Dieser Psychopath hat ihn gefoltert und wollte ihn schon abstechen. Das ist gerade erst zwei Wochen her.“

An die Wand gelehnt schließe ich die Lider. Das waren nicht meine rühmlichsten Stunden gewesen und ohne Bo …

Ich schlucke krampfhaft und spähe durch den Türspalt ins Wohnzimmer. Die Miene meines Tweetys ist verbissen.

„Was ist geschehen?“, fragt Patrick.

„Ich habe das Schwein erschossen.“ Bo blickt auf seine Hände herab. Hände, die für mich eine Heckler und Koch P8 Combat abgefeuert und ein Menschenleben ausgelöscht haben. Peng! – und an mir klebte das ganze kranke Hirn. Der Gedanke reicht aus, um mir eine Gänsehaut zu bescheren.

„Guter Junge.“ Patricks Stimme ist leise. Kameradschaftlich legt er einen Arm um Bos Schulter.

„Robin ist das Beste, was mir jemals passieren konnte, Pat. Ich will ihn nicht verlieren. Das könnte ich nicht ertragen.“

Robin, beeil dich, dass du Land gewinnst. Dieses Gespräch ist nicht für deine Ohren, auch wenn es deinem Ego schmeichelt.

Ich schleiche mich davon, organisiere Handtücher für Patrick, die ich ins Bad hänge, und beziehe das Bett im Gästezimmer mit frischer Wäsche. Dabei überlege ich fieberhaft, wie ich Bo davon überzeugen kann, diesen Fall doch zu übernehmen. Vampyre sind eigentlich nicht gerade etwas, was uns jeden Tag angeboten wird. Ein teilweise skelettiertes Opfer ebenfalls nicht. Und ganz sicher ist es interessanter, als fremdgehenden Ehemännern hinterherzuspionieren. Dann fällt mir ein, dass ich ein Mittagessen planen sollte. Wenn Patrick annähernd so kocht wie Bo, werde ich verhungern. Außerdem sollte man seine Gäste lieber nicht in die Küche beordern, oder? Mir kommen die Heringe vom Fischmarkt in den Sinn. Dazu eine grüne Soße und Rotweinschalotten? Mein Magen knurrt zustimmend. Ich suche die Küche auf und beginne demonstrativ mit den Pfannen und Töpfen zu klappern. Erfolg ist mir damit nicht beschieden. Niemand taucht an der Tür auf, um wenigstens zu fragen, ob ich Hilfe brauche. Vielleicht sollte ich mir eine Trompete besorgen, damit ich zum Appell blasen kann. Gibt es bei der Bundeswehr keinen Küchendienst? Die können bestimmt nicht alle zum Italiener …

22:16 Uhr

Bo ist warm und riecht schwach nach Bodylotion. Ich rutsche näher und schiebe meine Hand zwischen seine Beine. Meine Finger gleiten über die sich dort befindenden feinen Narben, ehe sie sich um das begehrte Ziel schließen.

„Nicht heute, Dot.“

Nachdrücklich wird meine Hand beiseitegeschoben.

„Hä? Hast du Kopfschmerzen?“ Spottend stütze ich mich auf einen Ellenbogen und mustere Bo im Licht der Nachttischlampe.

„Nein, habe ich nicht. Allerdings schläft Patrick im Gästezimmer.“

„Richtig, im Gästezimmer und nicht hier neben uns. Und falls du dich nicht erinnerst, das Gästezimmer befindet sich am anderen Ende des Flurs.“

„Du wirst immer so laut.“

„Das hat dich bis heute nicht gestört. Himmel! Tweety, ich bin spitz wie Lumpi. Fühl mal.“

„Dot, heute nicht.“

Das ist derartig albern, dass ich es gar nicht fassen kann.

„Ich darf keinen Sex haben, weil wir einen Gast beherbergen?“

„Genau.“

„Tweety, du bist ja total verklemmt …“

Ein warnender Blick aus weintraubengrünen Augen trifft mich.

„Okay, dann mach ich es mir eben selbst.“ Ich zucke mit den Achseln, lege mich zurück und lasse meine Hand unter die Bettdecke wandern. Sofort sitzt Bo kerzengerade neben mir.

„Das wirst du nicht!“, zischt er.

„Warum nicht?“

Muss ich Bo neuerdings um Erlaubnis fragen, wenn ich mir einen runterholen will?

„Werde ich davon blind?“, erkundige ich mich im zuckersüßen Ton.

„Nein, aber immer noch laut. Außerdem habe ich keine Lust, mit einem Steifen einzuschlafen, weil mich dein Gestöhne scharf macht.“

Ich lächel ihn lieb an. „Spiel einfach mit.“

„Dot!“

Nun schlägt es dreizehn!

Er will nicht mit mir schlafen und wichsen darf ich auch nicht. Ich krieche aus dem Bett.

„Wohin willst du?“, fragt Bo misstrauisch.

„Ins Bad.“

„Duschen?“

„Nein, mir einen von der Palme wedeln. In aller Ruhe und ohne dein Genörgel.“

Bo versucht mich zu packen. Ich bin schneller und springe mit einem Satz in den Flur. Dort lande ich genau in Patricks Armen. Meine Erektion bohrt sich peinlicherweise in seinen Oberschenkel, der lediglich von einer gestreiften Schlafanzughose geschützt wird.

„Hoppla“, sagt Patrick überrascht und hält mich solange fest, bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden habe. Sein Blick huscht zur Schlafzimmertür, wo ein nackter Bo steht und uns wie ein hypnotisiertes Kaninchen ansieht. Zehn Euro für seine Gedanken! Ach was, fünfzig!

„Störe ich?“, fragt Patrick amüsiert.

„Mich nicht“, antworte ich. „Und falls du nicht gerade ins Bad möchtest, dann hole ich mir dort jetzt einen runter. Meine Prinzessin fühlt sich nämlich durch mein Gestöhne etwas gestört. Entschuldigt mich bitte.“

So würdevoll wie möglich marschiere ich ins Bad und schließe hinter mir die Tür.

„Donnerwetter, Bo! Ich hätte nicht gedacht, dass du mal jemanden findest, der sich traut, dir die Stirn zu bieten“, höre ich Patrick noch sagen, ehe ich Spaß mit mir habe.

Lauten Spaß!

Montag, 06. Dezember

08:13 Uhr

Es ist Nikolaus. Unsere Detektei hat heute geschlossen und Louisa, unser Bürosonnenscheinchen, befindet sich mit ihrem Kriminalhauptkommissar in einem verlängerten Wochenende. Die Stimmung am Frühstückstisch ist angespannt. Patrick hofft natürlich, dass wir seinen Auftrag annehmen. Ich würde am liebsten sofort mit den Ermittlungen anfangen. Bo dagegen hängt mit dem Gesicht beinahe in seinem Müsli, um nicht auf die Vampyre oder die Skeletthand angesprochen zu werden. Deshalb herrscht eine ungewöhnliche Stille am Tisch. Nach einer Weile reicht es mir.

„Hast du ein Foto von deinem Neffen?“

Patrick unterbricht sein Kauen und nickt. Aus seiner Hosentasche zieht er ein Bild hervor. Aha, er hat sich also auf ein weiteres Gespräch eingestellt. Natürlich hat er auf eine Fortsetzung unserer gestrigen Unterhaltung gehofft. Wachsame grüne Iriden sind auf mich gerichtet. Ein Löffel, von dem Milch tropft, hängt eingefroren in der Luft. Ungerührt sehe ich mir das Foto an. Patricks Neffe Jan ist ein schlaksiger Bursche. Sein Haar ist weiß gefärbt, seine bleiche Haut sticht von der schwarzen, rüschenverzierten Kleidung ab. Dafür sind seine Augen derartig schwarz geschminkt, dass sie in dem hellen Gesicht wie Löcher wirken.

„Nicht gerade jemand, der auf Sonnenbankbräune steht, hm?“

Patrick lächelt verkniffen.

„Wie alt ist er?“, frage ich.

„Neunzehn. Er hat eine Ausbildung zum Industriemechaniker angefangen. Das Foto erweckt vielleicht einen falschen Eindruck von ihm. Eigentlich ist er sehr zugänglich, nett, fröhlich und selbstbewusst. Er macht bloß dicht, sobald man die Vampyre erwähnt. Bislang haben seine Eltern und ich diese Leute für eine harmlose Gruppe gehalten, die lediglich in einer Art harmlosen Rollenspiels aufgehen. Doch nun wurde Jan niedergeschlagen und sein Freund Tobias tot im Schanzenpark gefunden.“

„Dieser Tobias wurde im Park abgelegt oder dort auch getötet?“

„Abgelegt, wie die Polizei erklärte. Sie haben Jan stundenlang verhört. Mir oder seinen Eltern wollte er dagegen überhaupt nichts erzählen. Als ich ihn auf die Vampyre angesprochen habe, hat er seinen Mund nicht mehr aufbekommen. Auch über die Partys hat er kein einziges Wort verloren.“

„Dot …“

„Ich übernehme deinen Fall, Patrick. Falls du weißt, in welchen Clubs sich Jan herumtreibt, dann schreib mir das mal auf.“

„Was heißt das, du übernimmst den Fall?“ Bos Löffel klatscht milchspritzend in seine Müslischale zurück. Es ist mir ein Rätsel, wie man Zeug essen kann, das wie Hühnerfutter aussieht.

„Du kannst mir gerne helfen, wenn du magst.“

Bin ich nicht selbstlos? Eine Sekunde später werde ich am Kragen gepackt und von meinem Stuhl gezerrt.

„Entschuldige uns kurz, Pat.“ Bo schleift mich wie einen nassen Sack in den Flur.

„Robin, wir waren uns einig …“

„Du warst dir einig. Ich hatte nichts zu sagen. Aber ich treffe meine Entscheidungen selbst.“

Bo funkelt mich wütend an.

„Soll ich den Rest meines Lebens Fremdvöglern nachschleichen?“

„Nein. Wenn es nach mir ginge, würdest du zukünftig an deinem Rechner sitzen bleiben“, erklärt Bo in einem ziemlich machohaften Ton. „Sicher eingeschlossen in diesen vier Wänden.“

„Ich könnte einen Stromschlag bekommen.“ Der Sarkasmus kommt nicht gut, das merke ich an seinem Gesichtsausdruck. Spontan lege ich ihm die Hände um den Hals und ziehe ihn näher. Mein unerwarteter Kuss bringt ihn zum Schwanken und dass ich meinen Unterleib an seinen presse, lässt ihn auch nicht kalt. Hach, wie mich das freut, dass ich ihn so aus dem Konzept bringen kann.

„Dot.“ Bo stöhnt unterdrückt auf. Meine Finger schlüpfen in seine Jeans, was mir großen Spaß bereitet, da Bo wie üblich keine Unterwäsche trägt.

„Wir helfen Patrick oder ich bringe dich vor ihm in jedem möglichen Moment in eine richtig peinliche Situation.“

Mein Tweety sieht mich fassungslos an.

„Peinlicher als gestern Abend.“ Mutig setze ich einen drauf:

„Ich könnte mich nackt auf dem Küchentisch räkeln und zwar zusammen mit einer Salatgurke.“

„Das wagst du nicht.“

„Riskiere es“, schnurre ich.

„Das ist Erpressung“, zischt Bo.

„Und sie wirkt.“ Ich grinse. „Nicht wahr? Sag was, Bo.“

„Lass uns zurück in die Küche.“

„Und dann?“

„Werde ich dringend diese Gurke essen müssen, du mieser kleiner Schweinebuckel.“

14:26 Uhr

Den Vormittag über habe ich vor dem Rechner gesessen und Infos über Vampyre und ihre Donore eingeholt. Leider lässt sich nicht gerade viel zu diesem Thema finden. Die Szene trifft sich offenbar in sogenannten Feeding Circles, um mit Hilfe von Einwegspritzen und Rasierklingen Blut auszutauschen. Wirklich schlauer fühle ich mich mit dieser Info nicht.

Nach dem Mittagessen, das wir in Daniel Wischers Fischbraterei