Next Generation - Awaken - Sandra Busch - E-Book

Next Generation - Awaken E-Book

Sandra Busch

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Beschreibung

Nachdem eine tödliche Grippe die Erde drastisch entvölkert hat, schwingt sich Curtis zum gefürchtetsten Mann in Awaken auf. Mit eiserner Hand herrscht der ehemalige Gladiator über eine Gruppe junger Diebe und Stricher. Bis einer von ihnen zu husten beginnt und damit sein Tod beschlossene Sache ist. Und ein anderer gegen den beschlossenen Mord aufbegehrt …

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Sandra Busch

Next Generation-

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2015

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com/

Bildrechte:

© ASjack – fotolia.com

© isoga – fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-945934-45-6

ISBN 978-3-945934-46-3 (epub)

Inhalt:

Nachdem eine tödliche Grippe die Erde drastisch entvölkert hat, schwingt sich Curtis zum gefürchtetsten Mann in Awaken auf. Mit eiserner Hand herrscht der ehemalige Gladiator über eine Gruppe junger Diebe und Stricher. Bis einer von ihnen zu husten beginnt und damit sein Tod beschlossene Sache ist. Und ein anderer gegen den beschlossenen Mord aufbegehrt …

Für Jobst und Josef

Wenn das Glück, die leichte Dirne,

Launisch dir den Rücken kehrt,

Hebe doppelt kühn die Stirne,

Gürte doppelt fest das Schwert.

Rasch verwelkt ein Kranz aus Zweigen,

Die du spielend dir gewannst;

In der Not erst magst du zeigen

Wer du bist und was du kannst.

Emmanuel Geibel

1. Awaken

Irgendwo in meinem Geiste

Eine dunkle Kammer ist

Gut verschlossen und gehütet

Von niemandem vermisst

Es liegt Schnee in dieser Kammer

Tobt mit dem Wintersturm

Kein Licht und auch kein Feuer

Erhellen dort den dunklen Turm

(Irgendwo in meinem Geiste – Saltatio Mortis)

Raues Husten ertönte in dem Raum. Es klang gequält und tief aus dem Brustkorb heraus. Und es störte die anderen beim Schlafen. Trotzdem wagte niemand zu murren. Vielmehr versuchten die Gefährten es zu ignorieren oder lauschten schweigend den kratzigen Lauten.

Er ist krank, dachte Keegan in einem Anflug von Mitleid und zog seine Decke fester um sich, als könnte ihn das vor einer Ansteckung bewahren.

Er sollte zu einem Arzt, führte er den Gedanken fort. Dabei war ihm klar, dass ein Arzt das Allerletzte war, für das Geld ausgegeben wurde. Keegan hörte genau heraus, welcher der sechzehn Jungen, die zusammengepfercht in diesem winzigen Zimmer Schulter an Schulter schlafen mussten, derartig hustete. Es war der Star unter ihnen, der Jüngste … Cian.

Warum er gerade mit ihm solches Mitleid hegte, blieb Keegan ein Rätsel. Bereits als schlitzohriger Knirps war ihm der Kleine aufgefallen. Vielleicht, weil der viel zu sensibel für einen von Curtis’ Jungen war, obwohl Cian von Anfang an sein Möglichstes tat, um sein eigentliches empfindsames Wesen zu verbergen. Stattdessen bemühte er sich hart und abgebrüht zu wirken. Doch Keegan ahnte, dass der Kleine eines Tages an diesem Job zerbrechen würde, noch bevor Curtis ...

Wieder lauschte Keegan dem Husten.

„Cian muss sich zusammenreißen“, wisperte Galen neben ihm. „Wenn er heute Abend nicht anschaffen kann, wird Curtis seinen Ärger an ihm auslassen.“

Das war Keegan ebenfalls klar. Natürlich wusste er genauso gut wie Galen, wie es unter der strengen Fuchtel ihres Zuhälters zuging.

Curtis war mittelgroß, glatzköpfig, ein Mann, der ausschließlich aus Sehnen und Muskeln bestand. In seinen jungen Jahren war er ein gefeierter Gladiator gewesen, bis es ihm als einem der wenigen gelungen war, sich vor knapp fünfzehn Jahren freizukämpfen. Als nunmehr freier Mann hatte er sich einen respektierten Namen in Awaken verschafft und wurde zu einem gefürchteten Mitglied derer, die sich an kein Gesetz und keine Moral hielten. Er scharrte kleine Waisenkinder um sich – hungernde, großäugige Bälger, die niemand haben wollte – und schickte sie stehlen. Die Straßenkinder waren klein, wendig, kannten jeden Winkel ihres Bezirkes und waren damit die idealen Diebe. Leicht zu beeindrucken und vollkommen fixiert auf eine trockene, sichere Unterkunft und einen Kanten Brot, bildeten sie Curtis’ Einheit Eins. Er nahm ausschließlich Jungen, wahrscheinlich weil es es seinen eigenen Triebbefriedigungen entgegenkam. Denn zur Feier ihres siebzehnten Geburtstages stiegen die Diebe in die Einheit Zwei auf. Zumindest die, die dermaßen begabt und flink waren, dass sie nicht erwischt wurden und anschließend als Gladiatoren in den Stadien landeten. Wer seinen Geburtstag nicht kannte, bekam von Curtis nach grober Schätzung einen gesetzt. Damit hielt er sich zumindest an eine moralische Regel, denn mit siebzehn galt man nach den neuen Erlassen offiziell als Erwachsener. Und ihre Volljährigkeit ging mit einem Wechsel vom Langfinger zum Stricher einher. Zumindest diejenigen, die dafür Talent hatten. Die anderen verschwanden … meistens spurlos.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt gehörten sie mit Haut und Haaren Curtis. Ihre Furcht vor ihm fesselte sie wirkungsvoller an seine drahtige Person, als es eiserne Ketten vermocht hätten. Sein Wort war ihr Gesetz und seine Skrupellosigkeit der Schlüssel zu ihrem absoluten Gehorsam. Dank seiner Kampfkunst, seiner arroganten Art und seiner gefährlichen Aura war es Curtis gelungen, ein anständiges Stück der Lustmeile für sich zu beanspruchen, das zum Arbeitsgebiet der Einheit Zwei wurde. Hier regierte er wie ein König, gab das Geld aus, das seine Jüngsten ihm durch das Stehlen verschafften, oder traf sich mit Hehlern, die ihm das Diebesgut abnahmen. Außerdem sorgte er mit eiserner Hand dafür, dass sich seine Stricher möglichst lukrativ verkauften und sich selbst als ein Stück Ware betrachteten.

Inzwischen befand sich Cian seit knapp neun Monaten in der Einheit Zwei und die Kunden rissen sich regelrecht um seinen schlanken, attraktiven Körper und sein verdammt hübsches Gesicht. Den Ekel in seinen veilchenblauen Augen, den er in diesen Monaten nicht ablegen konnte, übergingen sie dabei großzügig. Schon einmal hatte Curtis ihn zusammengeschlagen, weil Cian versucht hatte, sich vor einem extrem unangenehmen Freier zu drücken. Es war ein dummer Zufall gewesen, dass Curtis dies mitbekommen hatte, denn normalerweise tauchte er immer etwas später in der Lustmeile auf – um abzukassieren. Seine wohldosierten Schläge hatten keine Spuren auf Cians Körper hinterlassen, aber der Kleine war derartig fertig gewesen, dass er einen Tag lang sein schmales Deckenlager in ihrem Quartier nicht verlassen konnte. Allein die Angst vor ihrem Zuhälter trieb ihn zurück auf die Straße. Überhaupt schien Cian Lektionen lediglich zu begreifen, wenn sie ihm eingeprügelt wurden. Oder Curtis hatte ein besonderes Faible für ihn. Als Cian noch in Einheit Eins arbeitete, war er öfters mit deutlichen Spuren von Curtis’ Züchtigungen auf seinem Leib herumgelaufen und mit seinem Aufstieg schien er ihren Zuhälter weiterhin zu provozieren, obwohl in den meisten Fällen keiner wusste wie oder warum.

Erneut hustete es aus der hinteren Ecke, wo Cian lag.

Dreh dich um, Keegan, und versuch zu schlafen. Der Kleine ist nicht dein Problem. Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß. Er zog sich die Decke bis über die Ohren und bemühte sich, die Geräusche in dem Raum zu ignorieren und endlich einzuschlummern. Nur wenige Sekunden später gab er auf, stieg vorsichtig über die zusammengerollten Leiber seiner Einheit hinweg, um sich neben Cian niederzuknien. In der feuchtkalten Luft zitterte der Kleine erbärmlich, dennoch hatte er seine raue Decke von sich geschoben, weil er wie verrückt schwitzte. Eine Heizung gab es in ihrer Kammer nicht. Elektrizität war teuer und Curtis nicht bereit, für einen derartigen Luxus zu zahlen.

„Hey“, sagte Keegan leise. In dem schwachen Licht, das von draußen in ihre Kammer sickerte, konnte er Cians mattes, entschuldigendes Lächeln erkennen. Ebenso wie die Furcht in seinem Blick, die sein Gefährte nicht unterdrücken konnte.

„Mir geht es gut. Ich kann arbeiten“, flüsterte Cian mit heiserer Stimme, als hätte er ihn tadeln wollen. Ungeachtet der Bemerkung legte Keegan eine Hand auf Cians Stirn. Sie war glühend heiß. Er runzelte die Stirn, sämtliche inneren Alarmsirenen schrillten.

„Du benötigst einen Arzt, Medikamente …“

Heftig schüttelte Cian den Kopf. „Mir geht es gut. Ich kann arbeiten.“

„Dir geht es beschissen.“

„Mir geht es …“ Hustend krümmte sich Cian zusammen. Keegan setzte sich, lehnte sich seufzend gegen die Wand und zog den Gefährten so an sich, dass Cian halb aufrecht lag und hoffentlich besser Luft bekam. Als Nächstes wickelte er ihn fest in die kratzende Decke ein, die Curtis für sie vom Militär organisiert hatte.

„Nicht, mir ist heiß.“ Schwach wehrte sich Cian, bis er erschöpft aufgab und gegen seine Brust sackte. Keegan ließ resignierend seinen Kopf nach hinten gegen die Wand sinken und starrte an die Zimmerdecke hinauf. Was war in ihn gefahren, dass er sich nun kümmerte, anstatt sich um seinen eigenen Dreck zu scheren?

Hoffentlich hat er nicht die Endzeit-Grippe. Rasch schob Keegan den unliebsamen Gedanken beiseite. Bestand der geringste Verdacht, dass sich Cian die gefährliche Grippe eingefangen hatte, die für das große Sterben verantwortlich war, würde Curtis ihm wie einem jämmerlichen Katzenwelpen das Genick brechen und ihn in dem stinkenden Fluss entsorgen.

„Versuch zu schlafen“, murmelte er in das schweißnasse Haar. Er spürte, wie Cian zaghaft nach seiner Hand tastete, und umfing die suchenden Finger. Auf diese Weise überstand Cian eine weitere Hustenattacke.

„Kee!“, zischte es durch die Kammer. Galen hatte sich halb aufgerichtet und starrte zu ihnen herüber. Mit einer unwirschen Geste wurde er aufgefordert, sich auf seinen Platz zu begeben. Als Ältester in ihrer Einheit hatte Galen das Sagen, trotzdem winkte Keegan verneinend. Er bezweifelte, dass Galen bei Curtis petzen würde, weil er damit den Eindruck erwecken würde, seine Einheit nicht im Griff zu haben. Und das käme bei Curtis überhaupt nicht gut an. Natürlich wunderte sich Galen, weshalb er sich um Cian kümmerte. Es wunderte ihn ja gleichfalls und er konnte sich sein eigenes Verhalten nicht erklären. Unauffällig bleiben, nicht bemerkt zu werden, das war eigentlich seine Überlebensstrategie.

In Curtis Einheiten war sich jeder selbst der Nächste. Das eigene Leben stand ganz oben auf der Prioritätenliste. Für die meisten währte es ohnehin bloß kurz. Er sollte Cian wirklich den Rücken zudrehen und zusehen, dass er eine ausreichende Portion Schlaf bekam. Seine Kunden würden es ihm danken, wenn er nicht mitten in einem Fick einschlief.

Keegan war schon kurz davor, Cian von sich zu schieben, als er das Bild von Curtis vor sich hatte, wie er nach der Ablehnung des Freiers auf den Kleinen einprügelte. Cian hatte nicht einmal die Gelegenheit zum Schreien bekommen, gleich der erste Hieb hatte ihm sämtliche Luft aus den Lungen getrieben. Für einen schrecklichen Moment hatte Keegan geglaubt, dass sein Gefährte ersticken würde. Oder Curtis ihn totschlug. Curtis …

„Kee!“ Galen ließ nicht locker. Seine Tage in der Einheit neigten sich dem Ende. Mittlerweile bediente er nur noch Stammfreier, die übrigen wandten sich lieber dem Frischfleisch zu. Bald wäre es so weit, dass Galen ohne eine Vorankündigung von der Bildfläche verschwinden würde. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass Curtis die ausgedienten Jungen einfach davonjagte oder an eine andere Organisation weitervermittelte, sofern sie über eine Fähigkeit verfügten, die gerade jemand benötigte. Merkwürdigerweise kannte Keegan keinen einzigen dieser Jungen und auch niemand sonst aus ihrer Runde. Realistisch war es daher anzunehmen, dass Galens Tage gezählt waren. Curtis würde sicherlich niemanden laufen lassen, der über seine Diebesgeschäfte und Kontakte Bescheid wusste.

Keegan schnaufte. Es war die Angst, die jeden von ihnen in ein zitterndes Wrack verwandeln konnte, die Furcht vor ihrem Zuhälter. Sie lähmte, ließ sie geduckt erstarren und schwebte wie ein düsteres Damoklesschwert über ihnen, sobald Curtis’ Schatten auf sie fiel.

„Leck mich am Arsch!“, gab er Galen zurück, eine offene Rebellion, die möglicherweise gleich zu einer Schlägerei führen würde.

„Jetzt lass ihn endlich zufrieden, Galen“, meldete sich überraschend eine weitere Stimme. „Vielleicht kehrt mit Kees Hilfe ein bisschen Ruhe ein.“

Heath, erkannte Keegan. Er würde Galens Nachfolger werden, wenn dieser aus der Einheit verschwand. Der Älteste knurrte, legte sich jedoch zu seinem Erstaunen wieder hin.

Na also.

Keegan seufzte erleichtert und schloss müde die Augen. In seinen Armen war Cian in einen unruhigen Schlaf gesunken. Hoffentlich fand der Kleine etwas Erholung, bevor ihn der hartnäckige Husten erneut wach schüttelte.

***

Galen weckte sie alle – wie immer viel zu früh – scheuchte sie aus den Decken und runter in den Waschraum. Keegan streckte seinen steifen Rücken. Der Nachmittag, den sie stets schlafend verbrachten, war für ihn sehr unbequem gewesen. Cian war mehrfach wegen des quälenden Hustens aufgewacht und hatte jedes Mal auch ihn aus seinem Schlummer gerissen. Bestimmt hatte keiner durchschlafen können, dazu war die Kammer einfach zu eng. Niemand machte dem Kleinen deswegen Vorwürfe. Jeder hatte Sorge, dass es irgendwann ihn selbst treffen könnte und er auf die Gnade seiner Gefährten angewiesen war.

Keegan traf ein dankbarer Blick aus veilchenblauen Augen. Cian drückte ihm kurz die Hand, bevor er hinter den anderen her ins Untergeschoss taumelte.

„Wie geht es ihm?“, erkundigte sich Galen an Keegans Seite leise. Entgegen seines vorherigen harschen Verhaltens schwang nun unterschwellige Sorge in seiner Stimme mit. Hatte er ebenfalls die Fieberflecken auf den Wangen des Kleinen bemerkt? Galen war verpflichtet, Curtis über ernste Erkrankungen Bericht zu erstatten. Wenn ihm etwas entging, musste er dafür büßen.

„Er fühlt sich total heiß an“, gab Keegan ehrlich Auskunft. Lügen hätte keinen Sinn. Galen brauchte lediglich Cians Stirn befühlen, um zu wissen, was los war.

„Besser, er lässt sich nicht anmerken, dass er krank ist.“

Was für ein hervorragender Rat. Beinahe hätte Keegan abfällig geschnauft.

„Wie soll er das anstellen?“

Galen zuckte gleichgültig mit den Schultern und beeilte sich, zu der Gruppe aufzuschließen.

Sie lebten in einem Gebäude, das vor der Seuche, die ihre Welt drastisch entvölkert hatte, ein Auffangort für Asylanten gewesen war. Es gab eine Großküche, mehrere kleine Zimmer, die als Schlafkammern, Vorratsräume und Büro dienten, einen Gemeinschaftsraum, in dem es einen Kamin gab, der an eisigen Tagen angefeuert wurde, und im Keller einen saalartigen Raum mit sanitären Anlagen. Mittlerweile blätterte überall die Farbe von den Wänden, der Linoleumboden war stumpf und die Waschbecken hatten Sprünge. Die darüber hängenden Spiegel waren zum Teil blind oder vom Wasserdampf beschlagen. Eine von Curtis beliebte Strafe war es, jemanden hier unten zum Grundreinigen zu verdonnern. Natürlich neben der üblichen Arbeit, die auch Botengänge, Reparaturen und das Säubern der üblichen Räume beinhaltete. Das bedeutete zusätzliche Stunden der Schufterei.

Keegan konnte drei Kinder aus der Einheit Eins entdecken, die mit Wischlappen und Putzmittel an den Duschen herumschrubbten, und verzog mitleidig das Gesicht. Curtis kontrollierte das Ergebnis und er prüfte den winzigsten Winkel auf Sauberkeit. Er selbst hatte einmal vergessen, die Unterseite eines Abflussrohres zu wienern …

Keegan schüttelte sich und schaute sich nach Cian um. Die zahlreichen Waschbecken und Duschen wurden noch von der Einheit Eins bevölkert. Die Kids im Alter von sechs bis sechzehn Jahren wurden je nach Befähigung zum Einbruch, Taschendiebstahl oder Betteln geschickt. Ein kleiner Teil der Jungs machte sich bei Einbruch der Dämmerung auf dem Weg, um in vorher ausgekundschaftete Häuser einzusteigen oder Nachtschwärmer auszunehmen, die ihr Geld bis zu dieser Stunde nicht zu Schnaps gemacht oder verhurt hatten.

Ihre starren Mienen zeigten deutlich, dass sie längst fürs Leben gelernt hatten und diese Lektionen nicht gerade rosig gewesen waren. Sie alle hatten begreifen müssen, dass in ihrer Welt Brutalität und Gewissenlosigkeit zum Ziel führten.

Keegans Blick fiel auf einen schmächtigen Jungen, der seit einem Unfall üble Narben im Gesicht und an den Händen hatte. Jeder Einzelne von ihnen wusste, dass es Billy niemals in die Einheit Zwei schaffen würde. Er war zu hässlich, als dass sich jemals ein Freier für ihn interessieren würde. Sollte er einen Wachstumsschub bekommen, würde Curtis ihn entsorgen, denn dann konnte er nicht mehr durch schmale Fenster in ein Haus einsteigen.

Cian entdeckte er in einer der Duschkabinen. Er stützte sich mit den Händen an den Fliesen ab und hielt den Kopf gesenkt, während heißes Wasser auf ihn niederplätscherte. Keegan starrte auf seinen nackten Rücken, den festen Hinterbacken und die langen Beine. Beine, die sich schon bald über die Schultern eines Freiers legen würden. Falls Cian nicht bereits vorher zusammenklappte. Er bibberte sogar unter der Dusche.

„Kee!“ Galen stieß ihm grob in die Seite. „Hör auf, ihn zu beobachten. Was ist los mit dir? Willst du Ärger mit Curtis, weil du nicht fertig wirst?“

Schweigend wandte sich Keegan ab und suchte sich ein freies Waschbecken. Cian war nicht sein Problem. Cian war irgendwer. In ein paar Jahren, wenn die Kunden Keegan zu verschmähen begannen, würden sich ihre Wege trennen.

***

Curtis schritt die Reihe der Einheit Zwei ab und musterte einen jeden. Bei manchen der Jungen blieb er stehen, zupfte an der Kleidung herum oder prüfte, ob sie saubere Hände hatten. Er legte großen Wert auf Reinlichkeit. Dreckige Fingernägel und schlechter Atem stießen die Kundschaft ab, das bedeutete Einbußen. Heute traf es George. Ein schneller Hieb in den Magen ließ den Blonden pfeifend zusammenbrechen. Keegan zuckte erschrocken. Damit war er nicht allein, wie ihm bewusst wurde.

„Habe ich dir nicht oft genug gesagt, dass du dir die Hände anständig schrubben sollst, Georgy?“, säuselte Curtis mit falscher Freundlichkeit, richtete den stöhnenden Jungen auf und strich ihm die Haarsträhnen aus dem bleichen Gesicht. Für einen Fremden mochte es als eine beinahe fürsorgliche Geste erscheinen. Die Einheit dagegen wusste nur zu genau, was eine unterschwellige Drohung war.

„Ja, Sir.“ George wischte sich hastig Tränen aus dem Gesicht und bemühte sich, nicht allzu laut nach Atem zu ringen. Es brauchte lediglich eine winzige Kopfbewegung von Curtis und er flitzte in leicht gekrümmter Haltung davon, um sein Versäumnis nachzuholen.

Die Reihe war nun an Keegan. Er fixierte den Boden, studierte die Risse und Flecke auf dem grauen Linoleum, wobei er nervös auf seiner Unterlippe kaute, und seufzte erleichtert auf, als Curtis zum Nächsten weiterging.

Cian!

Keegan schielte zur Seite.

„Ich habe dir mehrmals gesagt, dass du dein Hemd offen lassen sollst. Die Kunden wollen deine Vorzüge sehen.“

Im Prinzip hatte Curtis recht. Wenn Cian in lässiger Pose auf seinem Platz in der Lustmeile stand, das schwarze Hemd offen, sodass seine Brust und sein flacher Bauch betont wurden, dazu die schwarzen Haare und als Kontrast die veilchenblauen Augen … Beinahe hätte Keegan selbst einen hingerissenen Laut von sich gegeben. So mancher Freier war angesichts Cians ins Stolpern geraten. Er dagegen durfte sein Hemd geschlossen halten. Niemand sollte gleich auf die fingerlange Narbe an seiner Seite aufmerksam werden, die er sich während seines Dienstes in Einheit Eins zugezogen hatte, als er in eine Schlägerei unter Dieben geraten war. Mit dem Streit hatte er gar nichts zu tun gehabt, er stand ganz unverschuldet mitten in der Schlacht. Plötzlich hatte jemand ein Messer in der Hand und stach zu. Mit Müh und Not hatte es Keegan bis ins Quartier geschafft und er erinnerte sich daran, wie Curtis ihm völlig gefühllos die Verletzung mit winzigen Stichen nähte. Er selbst hatte wie ein Schlosshund geheult, eine Betäubung gab es nicht, und Curtis versuchte die künftige Narbe so unauffällig wie möglich zu halten. Das bezeichnete sein Zuhälter als Investition in die Zukunft.

Neben ihm öffnete Cian ausdruckslos sein Hemd. Seine Finger zitterten dabei, er hatte sichtliche Schwierigkeiten mit den Knöpfen. Natürlich entging das Curtis nicht.

„Was ist los mit dir?“, fragte er barsch.

„Es ist nichts, Sir.“

„Bist du krank?“ Eine Hand legte sich auf Cians Stirn. Im nächsten Moment verfinsterte sich Curtis Miene.

„Es geht mir gut“, flüsterte Cian. Prompt begann er zu husten. Curtis wich einen Schritt zurück.

„Scheiße“, wisperte es kaum hörbar auf Keegans anderer Seite. Heath linste ebenfalls zu Cian hinüber.

„Willst du mich verarschen?“, brüllte Curtis. Erneut schraken alle zusammen.

„Ich kann arbeiten, Sir. Ehrlich, das ist nichts.“ Die nackte Angst stand in Cians Gesicht geschrieben.

„Er ist bloß ein bisschen erkältet“, platzte es aus Keegan heraus. In der nächsten Sekunde hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. Es war zu spät, den Mund zu halten, daher fuhr er tapfer fort: „Wenn er das Hemd wenigstens zulassen könnte, Sir, … es ist kalt und feucht draußen …“

Curtis blassblauer Blick bohrte sich regelrecht in ihn. „Bist du zur Wetterfee mutiert, Keegan?“

Er knetete seine Hände, unfähig, die furchtsamen Bewegungen zu unterdrücken. „Nein, Sir.“

„Habe ich dich um deine Meinung gefragt?“

„Nein, Sir.“

„Hast du vielleicht einen weiteren überaus nützlichen Vorschlag für mich?“

„Sir, wenn Sie Cians Schicht verkürzen, könnte er sich etwas ausruhen und wäre morgen bestimmt wieder fit. Ich würde dafür länger …“

„Reichen dir deine Stunden auf dem Rücken nicht?“

Oh! Oh! Der Ton begann die Gefahrenskala um etliche Einheiten zu übersteigen.

„Doch, Sir“, flüsterte Keegan. „Ich wollte …“

„Hast du was mit ihm?“, wurde er unterbrochen. Ihn überlief es eisig. Das oberste Gebot in ihrer Einheit lautete: Arsch und Schwanz gehören dem Kunden. Sex untereinander war verboten. Das Gebot war leicht einzuhalten. Keegan hatte bislang keinen Kameraden getroffen, der nach seiner Schicht Lust auf eine weitere Nummer unter Gefährten gehabt hätte.

„Nein, Sir.“

„Galen?“ Curtis wandte sich um Bestätigung heischend an den Ältesten. Keegan spürte, wie sich ein dicker Klumpen in seinen Magen bildete. Wenn Galen ihm nun eine reinwürgen wollte, aus welchem Grund auch immer, dann war das jetzt eine gute Gelegenheit. Glücklicherweise deutete Galen bloß ein Kopfschütteln an, bei dem sich sein dunkelblonder, langer Zopf nicht einmal bewegte.

„Kannst du mir verraten, weshalb du dein Maul aufreißt?“ Curtis’ Zeigefinger bohrte sich in Keegans Brust.

„Cian bringt Geld“, brachte Keegan hastig hervor. „Er trägt damit zu einem großen Teil für unseren Unterhalt bei.“

„Und du glaubst, ausgerechnet mich daran erinnern zu müssen, dass er eine Geldquelle ist?“

„Nein, Sir, natürlich nicht“, murmelte Keegan kleinlaut. Verdammt! Hätte er bloß die Klappe gehalten.

„Kein Essen für dich, Keegan.“

„Verstanden, Sir.“ Beinahe hätte er erleichtert aufgeatmet. Da war er ja nochmal gut weggekommen. Lieber fastete er vierundzwanzig Stunden lang, als dass er sich Curtis’ Fäusten aussetzte. Oder Schlimmeres.

Der Zuhälter wurde von ihm abgelenkt, denn George kehrte zurück, hielt ihm seine wund geschrubbten Hände entgegen und durfte sich nach einem gnädigen Nicken erneut in die Reihe eingliedern.

„Cian, du gehst an deinen üblichen Platz, Keegan gleich daneben“, nahm Curtis endlich die Einteilung vor. Beinahe konnte Keegan sein Erstaunen nicht unterdrücken, da der Platz neben Cian einer der besten war.

„George, Ben, Steven und Mick, ihr geht mit Galen zu Harrisons Party. Der Rest sucht sich seine Plätze. Keegan!“

Abermals blieb sein Herz vor Schreck beinahe stehen.

„Ja, Sir?“

„Gib mir auf Cian acht. Wenn er schlapp macht, trittst du ihm in den Arsch.“

„Ja, Sir“, antwortete er schnell.

„Das wird nicht nötig sein“, erklärte Cian und unterdrückte sichtlich ein weiteres Husten. Curtis musterte ihn scharf.

„Verschwindet“, knurrte er endlich und gemeinsam hasteten sie davon.

***

Vereinzelte Böen fegten schneidend durch die Straßen, trotzdem wagte er es nicht, sein Hemd wenigstens bis zur Lustmeile zu schließen. Man konnte nie wissen, ob Curtis ihnen nicht nachspionierte oder man von einem der anderen Jungs, die vor ihnen gingen, verpfiffen wurde. In der Gruppe liefen sie zwischen Häusern entlang, die lediglich teilweise bewohnt waren. Viele Fenster waren mit Pappe oder Brettern zugenagelt, weil die Scheiben zerbrochen waren. Efeu und andere Ranken zogen sich an vielen Gebäuden hinauf. Ehemalige Rasenflächen oder Spielplätze waren Beeten sowie kleinen Kartoffeläckern oder Maisfeldern gewichen. An den Straßenrändern rosteten Autos vor sich hin, deren Innenleben ausgeschlachtet war. Polster und Motorenteile waren gnadenlos herausgerissen worden. Viele Wagen zeigten Brandspuren. In den Hauseingängen standen vereinzelt kleine Gruppen dick vermummter Gestalten vor eisernen Tonnen, aus denen Flammen loderten. Nicht wenige hatten selbstgebrannten Fusel in den Händen. Und wahrscheinlich scharfe Waffen in den Taschen.

Frierend schlang Cian die Arme um sich. Ein feiner Nieselregen hatte eingesetzt und irgendwie hatte er im Verdacht, dass es eine lange Nacht werden würde. Neben ihm stapfte Keegan in eine Pfütze, auf der sich eine hauchdünne Schicht Eis gebildet hatte. Der erste Bodenfrost war da.

„Bist du irre?“, fragte er den verbissen dreinschauenden Gefährten und hob gleich darauf die Hand zum Mund, als er husten musste.

„Was heißt hier irre? Ich versuche dir deinen verdammten Arsch zu retten“, zischte es ungehalten zurück. Keegans Augen funkelten ihn zornig durch seine ins Gesicht hängenden Haarsträhnen an, die etwas dunkler als seine Iris waren.

„Versteh mich nicht falsch, Kee. Ich bin dir echt dankbar. Aber ich will nicht, dass du meinetwegen Ärger mit Curtis bekommst. Du bist einer der wenigen netten …“

„Lass das mal meine Sorge sein, Sugar“, würgte ihn Keegan ungehalten ab, als wäre er ein kleines Kind, dem man noch keine Entscheidung überlassen konnte. Und überhaupt … Sugar! Was sollte diese Bezeichnung? War Keegan etwa auf sein Gesicht neidisch? Für seine Visage konnte er schließlich nichts.

Eine Weile trotteten sie stumm nebeneinander her. Dann hielt es Cian nicht mehr aus und flüsterte: „Er ist ein Schwein.“

Sofort hielt ihm Keegan den Mund zu und sah sich nervös um. Die Gefährten vor ihnen schienen nichts gehört zu haben, jedenfalls drehte sich niemand zu ihnen um.

„Offenbar bist du der Verrückte von uns“, grollte Keegan und ließ ihn los, um ihn unsanft vorwärts zu schubsen. „Verlier den Anschluss nicht, Sugar.“

Er fühlte sich matt und fiebrig. Es fiel ihm bereits schwer, auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen und dauernd flimmerte seine Sicht. Die Angst, ohnmächtig umzukippen, hockte ihm im Nacken. Er war froh, dass ausgerechnet Keegan auf ihn aufpassen sollte, da er ihm das Gefühl vermittelte, dass er nicht jede Verfehlung an Curtis petzen würde. Und vielleicht konnte er diese Nacht überstehen, wenn er wenigstens versuchte, sich ein wenig zu schonen. Verzweifelt schüttelte er den Kopf, denn wie sollte er das tun? Cian verzog das Gesicht. Allein der Gedanke an die möglichen Freier verursachte ihm Bauchschmerzen. Da war einer, den fand er besonders widerlich. Übergewichtig und wie ein Affe mit langen schwarzen Haaren bedeckt. Der wollte immer einen geblasen bekommen, bevor es richtig zur Sache ging. Inzwischen war der Mann zu einem Stammfreier geworden, worauf er wirklich gerne verzichtet hätte. Cian schnaubte. Als ob er eine Wahl hatte.

Die Lustmeile von Awaken war einer der ersten Orte gewesen, der nach Abklingen der Seuche aufgebaut und hergerichtet wurde. Gleich zu Anfang der berüchtigten Straße befanden sich die rosafarbenen Häuser. Hier konnten gelangweilte und abenteuerlustige Damen sich ein leichtes Mädchen suchen, hinter rotem Mauerwerk standen ihnen diensteifrige Männer zur Verfügung. Grüne Fassaden signalisierten dem Mannsvolk willige Weiber.

Cian wankte mit seinen Gefährten an all den Prostituierten vorbei in den hinteren Bereich der Lustmeile und nahm seinen Platz vor einer blauen Fassade ein. Nahezu unauffällig dirigierte Keegan ihn so, dass er dicht am Eingang zum Hotel zu stehen kam, sodass er bei jedem Öffnen der Tür in einem Schwall warmer Luft baden konnte. Inzwischen schlotterte Cian vor Kälte, obwohl er dabei schwitzte. Verstohlen wischte er sich mit dem Handrücken über die Stirn. Zu wissen, dass Keegan ihn beobachtete, erschwerte es ihm, sich wie gewohnt zu präsentieren und sich den Freiern anzubieten. Trotzdem hatte er gleich einen Interessenten, der ihm ungeniert die Hände unter das Hemd schob, sie über seinen Rücken gleiten ließ und sich ungeniert an ihm zu reiben begann.

„Mann, bist du scharf“, raunte der Freier. Cian schenkte ihm ein einladendes Lächeln. Der Typ schien sauber, roch angenehm und war sogar attraktiv. Mit diesem Mann würde es ihm leicht fallen. Aufreizend leckte er sich über die Lippen und nannte seinen Preis. Ein Seufzen folgte, bedauernd wurde er losgelassen.

„Süßer, du liegst über meinem Budget. Bestimmt bist du jeden Penny wert … Ein anderes Mal?“

„Gern“, antwortete Cian enttäuscht und deutete auf Keegan. „Versuch es doch bei meinem Freund. Der ist ein wahrer Flötenkünstler und könnte dich zum Singen bringen.“

Der Kunde nickte und ging tatsächlich zu Keegan hinüber, mit dem er ein Gespräch begann.

Auch Keegan kam bei den Männern an. Mit seinen braunen, etwas wuscheligen Haaren und den helleren Augen wirkte er wie die verschmitzte Version von Schwiegermutters Liebling. Seine Zungenfertigkeit war in der Lustmeile berühmt und wer sich einen Fick mit Curtis’ besonderen Jungs nicht leisten konnte, wandte sich wegen eines Blowjobs an Keegan, obwohl Curtis den Preis dafür längst angezogen hatte.

Jetzt verschwand Keegan mit seinem Kunden in dem alten Hotel, das Horizontal, vor dem sie standen. Mr. Murdock, der es führte, war ein guter Geschäftspartner von Curtis. Er bekam von ihren Einkünften einen gewissen Prozentsatz ab und wöchentlich stand ihm eine kostenlose Nummer nach Wahl zu.

Cian hustete. Murdock war der zweite Mann gewesen, der ihn gevögelt hatte. Den ersten Stich behielt sich stets Curtis vor. Cian weigerte sich allerdings daran zu denken, was ihm während der endlos erscheinenden Stunden in Curtis’ Schlafzimmer widerfahren war.

„Cian!“

Beinahe wäre er im Stehen eingedöst, die überschwängliche Ansprache riss ihn jedoch schnell ins Hier und Jetzt zurück. Sein persönlicher Albtraum, der haarige Gorilla, stand vor ihm.

„Und ich dachte schon, ich müsste warten, bis du frei wirst.“

Er zwang sich zu einem freundlichen Lächeln, immerhin könnte Curtis in der Nähe lauern und sie bespitzeln.

„Bei dem schlechten Wetter bleiben die Kunden lieber zu Hause“, erwiderte er höflich. Klang er heiserer als noch zuvor im Quartier? Sein Freier schien nichts zu bemerken. Er packte Cian und zog ihn regelrecht mit sich, als ob er die Flucht ergreifen wollte. Und genau das hätte er am liebsten getan.

„Ein Zimmer für uns zwei Hübschen, Mr. Murdock“, rief der Gorilla und steuerte geradewegs auf die wurmstichige Rezeption aus dunklem, beinahe schwarzem Holz zu.

„Gerne, Mr. Dumfries.“ Murdock händigte ihnen einen Schlüssel aus. „Zimmer Neun.“

Der Griff um sein Handgelenk war beinahe schmerzhaft. Cian versuchte sich unauffällig loszumachen, was zur Folge hatte, dass der Gorilla ihm einen Arm um die Schultern legte. Beinahe wäre Cian zusammengebrochen. Hustend wankte er neben seinem Kunden die mit fleckigem grünem Teppich ausgelegte Treppe ins Obergeschoss hinauf. Ein misstrauischer Blick traf ihn.

„Du wirst mir hoffentlich nicht krank werden?“

„Nein, Sir. Nur eine kleine Unpässlichkeit.“

Dumfries lachte dröhnend, klopfte ihm freundlich auf den Rücken und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Das war lediglich mit dem Notwendigsten ausgestattet: einem Bett, einem Sessel, einem Schrank für Toys und einem wackeligen Beistelltisch direkt neben dem Bett. Die Möbel waren angeschlagen und zum Teil notdürftig repariert worden. Sie stammten überwiegend aus den verschiedensten verlassenen Häusern, deren Bewohner der Endzeit-Grippe zum Opfer gefallen waren. Dafür roch es nach frischer Farbe. Murdock investierte gerade in sein Hotel und sorgte nach und nach für einen frischen Anstrich der Wände.

„Hinein in die gute Stube und heraus aus den Klamotten, mein Hübscher.“

Cian schritt auf das Bett zu und prüfte schnell, ob der Gleitmittelspender befüllt war und ausreichend Kondome bereit lagen. Dann schaute er über die Schulter und fragte:

„Soll ich mich ausziehen oder wollen Sie das tun?“

Dumfries hockte wie ein groteskes Ding in dem Sessel. Er war bereits nackt und streifte sich soeben Schuhe und Socken von den Füßen. Lange schwarze Haare bedeckten seine Schultern, die Arme, Brust und den Rücken, auf den Beinen wirkten sie wie ein Fell. Der strähnige Vollbart machte den Anblick nicht besser. Cian biss die Zähne zusammen, als er den gierigen Ausdruck in Dumfries’ Gesicht entdeckte.

„Lass mich das machen.“

Der gewaltige Klotz von einem Mann stemmte sich aus dem Sessel und stapfte auf ihn zu. Cian griff nach dem Bettpfosten, um sich festzuhalten. Ihm war schwindlig. Hoffentlich beeilte sich der Kerl, damit er wenigstens liegen konnte. Erneut musste er husten.

„Mein armer Schatz. Ich werde dich gleich von deiner Unpässlichkeit ablenken“, murmelte Dumfries und zog ihm das Hemd über die Schultern. Fleischige Lippen fanden seine Haut und drückten feuchte Küsse darauf. „Du bist ganz warm. Es wird mir eine Freude sein, mich an dich zu kuscheln.“

Cian schwieg. In seinem Hals kratzte es furchtbar und er befürchtete eine weitere Hustenattacke. Dumfries nestelte inzwischen an dem Reißverschluss seiner Jeans. Schnell hatte er Cian davon befreit. Im nächsten Moment lagen dicke Stummelfinger um seinen Schwanz und begannen ihn zu wichsen.

Cian schloss die Augen und versuchte sich jemand anderen vorzustellen. Der Gorilla wäre sehr unzufrieden, wenn er bei dieser Behandlung keinen hochbekam. Seltsamerweise tauchte plötzlich Keegans Bild vor ihm auf. Keegan … mit feucht glänzenden Lippen und einem lausbübischen Lächeln, das sein Gesicht in Schönheit tauchte. Ein leises Stöhnen schlüpfte über seine Lippen.

„Jaaaa, ich weiß, was du magst.“

Die falsche Stimme!

Abrupt war es mit der anregenden Vorstellung vorbei.

„Leg dich hin, Süßer.“

Erleichtert folgte Cian der Aufforderung. Rücklings streckte er sich auf dem Bett aus. Als Dumfries ebenfalls auf das Bett kroch, sank die durchgelegene Matratze dramatisch ein. Ungelenk krabbelte er über Cian.

„Zuerst sollten wir uns gegenseitig verwöhnen“, erklärte Dumfries. Gleich darauf tauchten ein schwerer baumelnder Sack und eine dicke, leicht schief stehende Nudel über Cians Nase auf. Ehe er sich versah, steckte er zwischen den haarigen Schenkeln des Freiers fest. Kräftiger Moschusgeruch stieg ihm in die Nase. Cian spürte aufsteigenden Brechreiz. Es war einfach nicht sein Tag.

***

Endlich tauchte Cian wieder auf. Keegan atmete erleichtert aus. Hustend lehnte sich sein Gefährte an die Wand, während sein Kunde die Straße runter verschwand. Ausgerechnet Cians Lieblingsfreier, dem Armen blieb heute wirklich nichts erspart. Der Kleine wirkte, als wollte er gleich kotzen. Außerdem fummelte er ständig an seinen Zähnen herum. Keegan schüttelte den Kopf.

Das war ja nicht zum Aushalten!

Er spazierte ins Hotel und zur Rezeption. „Mr. Murdock, haben Sie einen Kaffee für uns?“, fragte er.

Den Kaffee gab es gratis. Es war eine widerliche, schwarze Plörre, die aus Eicheln gewonnen wurde und die sie in angeschlagenen Bechern bekamen, aber er war heiß und hielt wach.

„Was ist mit Cian los?“, wurde er gefragt, während Murdock Kaffee einschenkte.

„Bloß eine leichte Erkältung“, schwindelte Keegan.

„Der sah gerade ganz schön erledigt aus.“

„Das wäre ich auch, wenn Dumfries auf mir herumgesprungen wäre.“

Murdock grunzte belustigt und schob ihm den Kaffee über den Tresen zu. Mit den beiden Bechern in der Hand lief Keegan hinaus.

„Einen heißen Schluck, Sugar? Dieses Mal ausnahmsweise aus einem Becher und ohne zu knien?“

Cian hob den Kopf und ein schwaches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

Shit!

Der Kleine hatte Schweißperlen auf der Stirn, fieberte also weiterhin.

„Danke!“ Er umklammerte den Becher mit beiden Händen, hielt sich regelrecht daran fest. „Habe ich noch Haare zwischen den Zähnen?“

Keegan lachte. „Ausgerechnet Dumfries. Du hast mein tiefstes Mitgefühl.“

Cian lachte nicht, sondern spuckte aus. Hätte Curtis das gesehen, hätte der Kleine sofort heulend am Boden gelegen. Ein solches Gossenverhalten, wo Kunden sie beobachten konnten, duldete er nicht.

„Mir ist richtig schlecht geworden“, gestand Cian leise und nahm hastig einen Schluck von dem Kaffee. „Der Kerl stinkt nach Schweiß und alter Pisse. Und so jemandem soll ich an mich ranlassen.“

„Musstest du etwa kotzen?“ Das wäre der absolute Supergau.

„Nein, ich war nur kurz davor. Er wiegt mindestens eine Tonne, müffelt wie eine Pottsau und dann dieser Pelz überall. Sogar seine Finger sind behaart.“ Cian schüttelte sich.

Plötzlich ging Heath an ihnen vorbei, einen Freier im Schlepptau, der ihm wie ein hechelnder Hund hinterherlief und eine sichtbare Beule in der Hose präsentierte.

„Curtis ist zum Kassieren in Anmarsch“, raunte Heath ihnen zu, bevor er im Hotel verschwand.

Hastig stellte Cian seinen Becher an der Hauswand ab und Keegan eilte an seinen Platz zurück. Gleich darauf wurde sein Gefährte von einem weiteren Mann angesprochen, der Cian die Wange tätscheln wollte, sie aber hastig zurückriss.

„Du bist ja ganz heiß“, hörte er den Freier sagen. Was Cian erwiderte, konnte er nicht hören, der Freier zog allerdings ab. Unruhig schaute sich Keegan um. Curtis war bislang nicht zu entdecken. Erleichtert trank er seinen Kaffee und platzierte den Becher neben seinen Füßen.

„Scheißwetter“, brummte er und wich weiter an die Hauswand zurück, denn es begann stärker zu nieseln. Erneut trat ein Kunde an Cian heran. Mit seinen feuchten, glänzenden Haaren verkörperte sein Gefährte Verführung pur, kein Wunder, dass die geilen Kerle auf ihn abfuhren. Keegan verfolgte, wie sie gemeinsam ins Horizontal gingen. Zurück blieb der halb geleerte Kaffeebecher.

„Wie macht er sich?“

Beinahe wäre er senkrecht in die Höhe geschossen.

Curtis!

Musste der sich derartig anschleichen?

„Ziemlich gut, denke ich, Sir.“

„Was hast du inzwischen eingebracht?“

Keegan begann in seiner Tasche zu wühlen und förderte die eingenommenen Pfundnoten hervor.

„Zwei Ficks und zwei Blowjobs“, erklärte er dabei.

Curtis inspizierte kurz die Scheine, bevor er sie einsteckte. „Und Cian?“

„Mr. Dumfries hatte ihn etwa zwei Stunden und er ist gerade wieder ins Hotel. Ob er dazwischen einen Kunden hatte, weiß ich nicht. Ich war ja selbst …“

„Hör auf zu plappern, Keegan.“

„Ja, Sir.“ Folgsam hielt er den Mund, trat lediglich nervös von einem Fuß auf den anderen. Warum ging Curtis nicht weiter? Was wollte er noch? Sein Zuhälter starrte die Lustmeile entlang. Zu erkennen waren nur Schatten in den Hauseingängen. Das miese Wetter war schlecht für das Geschäft.

Curtis’ dunkle Augen richteten sich auf ihn. Hart, kalt …

Keegan fröstelte und das hatte nun nichts mehr mit dem Nieselregen zu tun.

„Komm mit rauf aufs Zimmer.“

Sein Herz rutschte ihm in die Hose. Curtis wollte ihn vögeln? Shit!

„Keegan!“

Er hastete hinter Curtis her, dessen Glatze das Neonlicht in der Hotellobby widerspiegelte. In Richtung der Rezeption nickte Curtis einen Gruß.

„Murdock.“

„Curtis“, kam es genauso kurz zurück. Doch Keegan entging die Überraschung des Hoteliers nicht, als er mit zittrigen Knien seinem Zuhälter die Treppe hinauf folgte.

„Welches Zimmer?“

„Heute habe ich die Fünf, Sir.“

„Schlüssel!“

Keegan händigte ihm den Schlüssel aus.

Ein Teil der Hotelzimmer konnte man schon mit einer Karte öffnen. Der damalige Besitzer hatte angefangen, das Gebäude nach und nach zu renovieren. Das war allerdings mehr als zwanzig Jahre her. Damals, bevor der Virus zugeschlagen hatte …

„Rein mit dir.“

Keegan schlich an Curtis vorbei durch die Tür, die sich wie das Fallgitter einer Burg hinter ihm schloss und jede Flucht im Ansatz erstickte. Keegan hätte beinahe zynisch gelacht. Als ob er seine gummiartigen Beine zu einer Flucht hätte bewegen können. Gerade eben kam er sich wie gelähmt vor. Er ahnte, weswegen er hier war. Curtis wollte ihn für seine große Klappe bestrafen.

Ha!

Und er hatte bereits frohlockt, wie gut er weggekommen war. Der ehemalige Gladiator wollte keinen Druck abbauen, sondern ihm bloß zeigen, wer von ihnen das Alphatier war.

„Träumst du bei deinen Kunden auch vor dich hin? Warum bist du nicht ausgezogen?“

Die scharfe Stimme sorgte dafür, dass er sich in Bewegung setzte. Jeder Widerstand, jedes Betteln würde es schlimmer machen. Rasch zog er sich aus und stellte sich auf einen Wink von Curtis vor den geschwungen Rahmen am Ende des Bettes. Ängstlich verfolgte er von dort, wie Curtis den Schrank mit dem Spielzeug öffnete. Zusammen mit Murdock hatte Curtis die Zimmer mit allerhand Toys ausgestattet, um möglichst jedem Kundenwunsch nachkommen zu können. Ein eisernes Gesetz dabei war, dass die Jungen nicht zu Schaden kommen durften oder dauerhafte Narben davontrugen. In dieser Hinsicht passte Curtis wie ein Wachhund auf seine Einheit auf. Sein Ruf, allzu wilde Freier in solch einem Fall privat zu besuchen, hielt die Perversen ab. Für sie gab es andere, armseligere Stricher, die für Drogen oder eine Handvoll Kleingeld keine Grenzen kannten. Sie boten sich jenseits der Lustmeile in den Slums von Awaken an, wo sie in Wellblechhütten, Schutthügeln oder in Bauten aus Pappe und Plastik hausten.

Curtis wählte eine Gerte aus dem Schrank und kehrte mit ihr zum Bett zurück. Keegans Blick wurde wie hypnotisiert von der kleinen harten Peitsche angezogen. In seinem Magen breitete sich ein dumpfes Gefühl aus und mittlerweile schwitzte er ebenso wie Cian.

Shit!

Er hatte Schiss. Und wie …

„Bück dich, Keegan! Du darfst dich am Bett festhalten.“

Er wird dich nicht totschlagen, das hätte er woanders getan. Beiß die Zähne zusammen und bring es hinter dich.

Keegan umklammerte das Bettgestell und spreizte leicht die Beine, um einen besseren Stand zu erhalten. Langsam beugte er sich vor und streckte damit Curtis sein Hinterteil entgegen. In Erwartung des Kommenden biss er die Zähne zusammen, keineswegs wollte er schreien.

Der erste Hieb traf ihn quer über die Backen. Zunächst tat es nicht einmal weh, eher breitete sich Taubheit aus. Erst in der nächsten Sekunde rollte der Schmerz mit einem fiesen Brennen heran. Keegan schnaufte und mahlte mit den Zähnen. Der zweite und dritte Hieb folgten dicht hintereinander. Seine Beine begannen wie verrückt zu zittern und er krallte sich mit ganzer Kraft an das Bett. Jetzt sollte er durchhalten, wollte er die Situation nicht schlimmer machen. Der vierte Hieb brachte Tränen. Der fünfte traf seine Hoden.

Zufall?

Absicht?

Weißglühende Qual schoss jeden einzelnen Nerv entlang. Aufheulend sackte er zu Boden. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Automatisch schlossen sich seine Hände schützend um seine Weichteile.

„Keegan!“

Er wimmerte in den staubigen fleckigen Teppich, während es in seinen Ohren rauschte. Viel zu langsam ebbte der Schmerz ab.

„Keegan!“

Bei allen Heiligen!

Curtis!

Keegan brauchte zwei Anläufe, um aufzustehen und wieder seine Position einzunehmen. Auf einmal hatte er das Gefühl, dringend pinkeln zu müssen.

Shit! Shit! Shit!

Wenn er zur Vervollständigung der Katastrophe auf den Teppich urinierte, würde ihn Curtis mit der Nase hineindrücken und ihn die Fasern sauber lecken lassen. Zuzutrauen wäre es ihm jedenfalls. Vor Angst bibberte er wie Espenlaub. Was würde sein Zuhälter noch mit ihm anstellen? Weiter prügeln? Da spürte er etwas Kühles an seinem Eingang. Gleitmittel! Gleich darauf bohrte sich Curtis in ihn und begann ihn kräftig zu stoßen. Keegan wurde regelrecht gegen den hölzernen Rahmen des Bettes gerammt. Zum Glück war er von seinen vorherigen Freiern gedehnt und der Schwanz seines Zuhälters nicht sonderlich umfangreich. Dafür reichlich trainiert, wie Keegan feststellen musste. Curtis schien wahre Ewigkeiten zu brauchen, bis er abspritzte und sich endlich von ihm löste. Er selbst blieb regungslos stehen, wagte es nicht, seinen zitternden Beinen nachzugeben oder einen Laut von sich zu geben. Still verfolgte er, wie Curtis das Kondom abzog und in einen Eimer warf.

„Zieh dich an und geh auf deinen Platz.“

„Ja, Sir. Darf ich vorher das Bad benutzen?“

Curtis grunzte eine Zustimmung, richtete seine Hose und verließ das Zimmer. Erleichtert sank Keegan am Bett in die Hocke, wischte sich die Tränen von den Wangen und untersuchte seine pochenden Hoden. Ein dicker roter Striemen zog sich über seinen Sack. Schon eine leichte Berührung ließ ihn mit den Zähnen knirschen. Auch seine Backen brannten wie Feuer. Langsam und konzentriert atmete er zehnmal ein und aus, bevor er ins Bad wankte. Wenn er trödelte, fing er sich garantiert den nächsten Ärger ein. Trotzdem versuchte er im Badzimmerspiegel seinen Hintern anzusehen. Hässliche Striemen zierten seine Haut. Das hatte er nun von seiner Nächstenliebe.

„Shit!“

Jammern änderte nichts, er sollte sich lieber beeilen. Rasch benutzte er die Toilette, wusch sich das Gesicht und mit einem bereitliegenden Lappen vorsichtig zwischen den Beinen. Der nächste Freier würde sich über seinen rot leuchtenden Arsch freuen …

In der Hotellobby entdeckte er Curtis bei einem Plausch mit Murdock. Seine Intuition, dass sein Zuhälter auf ihn wartete, war also richtig gewesen. Wie eine Maus wieselte er an den beiden vorbei und stellte sich erneut in den Nieselregen. Seine Eier schmerzten furchtbar, hoffentlich wollte der nächste Freier nicht an ihm herumfummeln. Cian war ebenfalls da. Er sagte nichts, schaute ihn nicht an, sondern senkte bloß den Kopf. Wie viel von seiner Bestrafung hatte er mitbekommen? Keegan konnte sehen, wie sein Gefährte mit dem Husten kämpfte. Solange Curtis in der Nähe war, sollte sich der Kleine das besser verkneifen.

„Hey, du bist Keegan, nicht wahr?“

Innerlich stöhnte er. Musste ihn denn gleich wieder einer anquatschen?

„Ja, bin ich. Kann ich Ihnen was Gutes tun?“ Er konnte regelrecht Curtis’ Blicke spüren, die ihn durchbohrten. Sein Zuhälter stand mit verschränkten Armen im Eingang des Horizontal, als wäre er plötzlich dorthin gezaubert worden.

„Ich habe gehört, dass ich bei dir den weltbesten Blowjob bekomme.“

„Das wird Sie etwas kosten, wenn Sie den Himmel erleben wollen.“

„Wie viel?“

Keegan nannte den unverschämten Preis, den Curtis für diese Dienstleistung festgesetzt hatte. Dafür ließen sich andere ficken. Aber sein Ruf reichte aus, dass dieser Kunde ohne zu murren zahlte.

„Machst du es mir genau hier?“

„Sie wollen Zuschauer?“ Keegan zuckte mit den Schultern. „Warum nicht?“ Ein bisschen Werbung konnte nicht schaden, selbst wenn nicht viele Freier unterwegs waren. Er kniete sich auf den Boden, öffnete seinem Gegenüber die Hose und fischte in den Tiefen der schlabberigen Unterwäsche nach dem halbsteifen Schwanz. Aus seiner Hosentasche holte er ein Kondom hervor. Ein kurzes Reiben an dem Glied des Kunden sorgte für eine pralle Erektion, sodass er ihm geschickt das Gummi überstreifen konnte. Dann schaltete er jeden Gedanken an sein Tun aus und begann mit seiner Arbeit. Er leckte, saugte und summte leise, während er die Erektion tief in den Rachen gleiten ließ, umspielte mit den Fingern die zuckenden Hoden, setzte gekonnt die Zähne ein, um zusätzliche Reize zu schaffen. Dabei musste er höllisch aufpassen, dass er das Gummi nicht beschädigte. Curtis würde total ausflippen, wenn er sich ungeschützt in den Mund spritzen ließ.

Seitdem die Endzeit-Grippe nahezu jeden zweiten Menschen ausgerottet hatte, stürzten sich die Überlebenden in jedes Sexabenteuer, das sie finden konnten. Aber die Furcht vor Krankheiten saß tief und Kondome waren zurzeit einer der meist verkauftesten Artikel auf dieser Welt.

Vor rund sechzig Jahren war den Forschungslabors des amerikanischen Militärs ein Virus entkommen, der sich rasend schnell verbreitet hatte. Im Nu war Amerika am husten. Die ersten tausend Toten der „unbedenklichen“ Grippe sorgten für eine Flüchtlingswelle und damit war das Schicksal der Menschheit besiegelt. Nur zwei Wochen später meldeten Europa, Asien und Australien ebenfalls Todesopfer. Eine weitere Woche später war weltweit der Notstand ausgerufen worden. Medizinische Laboranten brachen auf der Suche nach einem Gegenmittel hustend und fiebernd zusammen, Hilfstruppen kamen niemals im Krisengebiet an, Ärzte starben auf den Straßen. Alte, Kinder und die Schwachen krepierten wie die Fliegen. Etwa die Hälfte der Menschheit überlebte …

Was dann unweigerlich folgte, waren Plündereien, Gewalt und Anarchie. Seuchen, ausgehend von den vielen unbestatteten Leichen, sorgten für weitere Todesopfer, denn niemand wollte sich bei der Beseitigung der Leichen anstecken. Erst als die Nahrung knapp wurde und sich der Winter ankündigte, sammelten sich die Überlebenden in den Großstädten und begannen notgedrungen Hand in Hand zu arbeiten. Institutionen wie das Elektrizitätswerk, Lebensmittelproduktionen, das Krankenhaus und vieles andere wurde notdürftig in Betrieb genommen.

Die ersten Jahre waren hart. Ständig erkrankten Personen an der sogenannten Endzeit-Grippe und weil es weiterhin kein Gegenmittel gab, wurden die Kranken vor lauter Furcht vor einer neuen Verbreitung des Virus‘ erschlagen und anschließend verbrannt. Auch heute brach die Grippe immer wieder vereinzelt aus.

Es gab keine Regierung mehr, stattdessen verwalteten die einzelnen Städte sich selbst. Fast überall ergriffen die Einflussreichsten, Gefürchtetsten und die Geldsäcke die Macht. Wo sie nicht einschritten, galt das Recht des Stärkeren. Mauern wurden hochgezogen, jeder Einreisende wurde auf Fieber oder Husten überprüft. Güterkonvois, bestehend aus Pferden und Karren, pendelten zwischen den Städten hin und her.

In Awaken wurde eine Miliz gegründet, die Diebstahl, Vergewaltigungen und Mord in Grenzen hielt. Die festgenommenen Verbrecher wurden in einem Schnellverfahren abgeurteilt. Schuldig bedeutete in diesen Zeiten, dass man Gladiator wurde und in den ehemaligen Stadien um sein Leben kämpfte, da niemand Insassen in einem Gefängnis durchfüttern wollte, wenn es ohnehin schon wenig genug zu fressen gab. Da das Fernsehen der Vergangenheit angehörte, wurden solche spektakulären Veranstaltungen sehr beliebt. Das Vergießen von Blut heizte den Leuten ein, ließ sie sich groß und mächtig und unverwundbar fühlen. Die Spiele hielten also die Leute ruhig, boten Anlass zu florierenden Wettgeschäften und dezimierten sehr wirkungsvoll die Anzahl der Verbrecher.

Dazu boomte das sexuelle Vergnügen. Nichts war zu pervers, Tabus gab es überhaupt nicht mehr, Orgien florierten. Die Bürger führten ein Leben wie einst die Römer. Das Motto lautete genau wie damals: Brot und Spiele. Und die neue Generation wuchs mit dieser Form der Moral auf.

Damit brach ein neues Zeitalter an. Aus dem ehemaligen London erhob sich rauchend und in Trümmern eingebettet Awaken. Die einst so lebensfrohen Einwohner mutierten zu kaltblütigen unmoralischen Überlebenskämpfern. Und Egoismus hieß ihr König.

Die Finger des Mannes gruben sich tiefer in seine Schulter. Instinktiv erkannte Keegan, wie er Mund, Zunge, Lippen und Hände kombinieren musste, um dem Kunden den Blowjob seines Lebens zu verpassen. Er hob den Blick zu dessen verzücktem Gesicht und ließ die Erektion ein weiteres Mal weit in seinen Rachen eintauchen. Dabei registrierte er die sie umstehenden Männer, die sich verstohlen durch ihre Kleidung hindurch streichelten oder ganz offen wichsten. Keegan schluckte, um dem Würgereiz zu entgehen, spürte das vertraute Zucken, als der Freier mit einem quiekenden Geräusch seinen Höhepunkt erreichte. Langsam ließ er den schlaffer werdenden Schwanz aus seinem Mund gleiten, wobei er gleichzeitig das Kondom abzog, das er in einem Eimer hinter sich entsorgte.

„Wahnsinn, Junge. Ich konnte wirklich die Engel singen hören.“ Der Freier war zufrieden. Vorsichtig schaute Keegan zu Curtis hinüber, der kurz mit schmalen Augen nickte und sich anschließend auf seine weitere Runde über die Lustmeile machte. Erleichtert atmete Keegan auf. Dass sich die Kerle um ihn herum stritten, wer als nächster an der Reihe war, bekam er nur nebenbei mit. Seine Aufmerksamkeit war auf Cian gerichtet, der sich hustend und mit wachsgleichem Gesicht an der Wand abstützte. Trotzdem wurde sein Gefährte erneut von einem Kunden angesprochen und betrat mit ihm zusammen das Horizontal.

***

Er fühlte sich etwas benommen, als der Freier ihn auszog. Der Mann hatte raue Hände, die viel zu fest über seine Arme strichen, als dass man es zärtlich hätte nennen können. Ein fleischiger Mund küsste sich über seine Schulter. Cian hatte Schmerzen in der Brust, ihm war schwindlig und daher war er nicht böse, dass der Mann ihn zum Bett drängte.

„Was dagegen, wenn ich dich fessle?“, wurde er gefragt.

„Nein“, murmelte er matt und ließ sich willig die Arme über den Kopf ziehen. Curtis hatte ihnen eingebläut, dass sie keine Einwände zu erheben hatten. Und es war ihm zutrauen, dass er ihnen Testfreier schickte. Sein Kunde zog ein Stück Wäscheleine aus seiner Hosentasche.

„Wir haben passendes Material im Schrank“, erklärte Cian.

„Wenn es okay ist, würde ich lieber die Leine benutzen wollen. Ich fahre total auf Wäscheleinen ab.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, band der Freier ihm die Handgelenke an den Bettpfosten fest. Die dünne, hellblaue Schnur grub sich tief in seine Haut. Hoffentlich gab es keine Blutergüsse, die dem nächsten Kunden missfallen könnten.

Ach, verdammt!

Was machte er sich dauernd für Gedanken. Er musste … husten. Cian wurde regelrecht von dem Anfall geschüttelt. Sein Freier wich etwas zurück und musterte ihn argwöhnisch.

„Bist du krank?“

„Nein.“ Er rang nach Atem und versuchte sich in einem beruhigenden Lächeln. „Ich habe mich bloß verschluckt.“

„Dabei gab es bislang nichts zu schlucken.“ Der Typ lachte über seinen eigenen platten Witz. Ein Finger zog träge Kreise um eine von Cians Brustwarzen. „Ich mag es etwas extremer. Ist das ebenfalls okay?“

Kacke!