Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Als Zeth, der Anführer der Schwarzen Dämonen, zufällig auf den jungen Bennet trifft, ahnt er nicht, dass dieser ein gefährliches Geheimnis in sich trägt. Er nimmt den Jungen als Knappen bei sich auf. Bennet bemerkt bald, dass zwischen ihm und seinem neuen Herrn eine mysteriöse Anziehungskraft besteht. Er weiß aber auch, dass sein Schicksal ihn zu Zeths Feind machen wird. High Fantasy spicy enemy to lover MM Romance Vollständig überarbeitete Neuauflage
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 466
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Simon Rhys Beck
Die Dämonen des Caskáran
Band 1
© dead soft verlag, Mettingen, 2024
Originalausgabe Band 1 2008
http://www.deadsoft.de
Für Fragen zur Produktsicherheit:
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.de
Bildrechte: © trafa – stock.adobe.com
Komplett überarbeitete Neuauflage
ISBN 978-3-96089-718-7
ISBN 978-3-97089-719-4 (ebook)
Als Zeth, der Anführer der Schwarzen Dämonen, zufällig auf den jungen Bennet trifft, ahnt er nicht, dass dieser ein gefährliches Geheimnis in sich trägt. Er nimmt den Jungen als Knappen bei sich auf.
Bennet bemerkt bald, dass zwischen ihm und seinem neuen Herrn eine mysteriöse Anziehungskraft besteht. Er weiß aber auch, dass sein Schicksal ihn zu Zeths Feind machen wird.
Preis der Freiheit?
Als ich durch die langen, steinernen Gänge wanderte, war mein Verstand mit dem Lösen verschiedenster Probleme befasst. Ich hatte kurzzeitig vergessen, wo ich mich befand, und sicher hätte ich mich das eine oder andere Mal in den labyrinthartigen Gängen verlaufen, wenn ich nicht so einen phänomenalen Orientierungssinn gehabt hätte.
So etwas passierte häufig – eine völlige Trennung von Körper und Geist. Es war nicht besonders wünschenswert, doch eine typische „Krankheit“ der Magier und Zauberkundigen. Es dauerte meist einen Moment, bis sich Geist und Körper wieder vereint hatten. Und das konnte manchmal recht unangenehme Folgen haben.
Doch an diesem Tag ging es schnell, fast augenblicklich war ich wieder eine Einheit, als ich durch die geöffnete Tür einen Blick in einen der kalten kleinen Räume warf und IHN sah. Neugierig trat ich näher. Die Soldaten bemerkten mich und sie erkannten mich sofort, doch sie waren es gewöhnt, dass ich überall war. Sie akzeptierten mich. Oder, um genauer zu sein: Die meisten fürchteten mich – was mir recht war. Mein Ziel war es, der Großmeister der Xentenkaste zu werden, auch wenn der Weg bis dahin noch lang war.
Aber mein Interesse galt nicht den Soldaten, sondern dem Mann, den sie quälten. Ein hübscher, schlanker Bursche mit fuchsrotem, kurzem Haar, hohen Wangenknochen und dem arrogantesten Blick, den ich jemals gesehen hatte. Seine schrägen Katzenaugen verrieten ihn als Redarianer, genauer als Cat’a.
Er kniete mit auf dem Rücken gefesselten Händen und bloßem Oberkörper auf dem Boden und blutete aus einigen hässlichen Wunden, die sie ihm beigebracht hatten. Sein Gesicht war hart und ausdruckslos, seine Kiefermuskeln zitterten allerdings vor Anspannung.
Ein Redarianer – einer unserer Feinde. Egal, was er getan hatte, der Tod war ihm so gut wie sicher.
Einer der Soldaten redete auf ihn ein, es klang fast zärtlich. „Gib es doch einfach zu, Mann … dann hast du es bald hinter dir …“
Doch der Rothaarige schüttelte den Kopf.
Der Soldat zuckte mit den Schultern und nickte seinem Kameraden zu, nur dieses winzige Zeichen. Und der Mann zog eine Peitsche unter dem Gürtel hervor und verpasste dem Redarianer ein paar üble Schläge. Er traf seinen Rücken, seine Beine und die gefesselten Hände.
Ich zuckte bei jedem Schlag mit zusammen.
Einer der Soldaten trat dem jungen Burschen in den Rücken, sodass dieser nach vorn aufs Gesicht fiel. Ein leises Stöhnen entrang sich seinen Lippen. Ich fühlte seinen Schmerz und seine Verzweiflung. Er wusste, wie es um ihn stand.
Der Soldat kniete sich auf den Boden. „Jetzt red schon! Das hier macht uns auch keinen Spaß!“ Sein Grinsen strafte seine Worte Lügen.
Rotschopf schwieg beharrlich. Ich sah, wie der Soldat mit der Peitsche erneut ausholte und fragte laut: „Wer ist der Mann?“
Der Soldat hielt inne. „Ein Redarianer, Meister Mistok!“
„Das sehe ich.“
„Er heißt Espin, und er hat die Tochter des Tar Merdan entehrt“, ergänzte ein anderer rasch.
„Habe ich nicht“, knirschte der am Boden Liegende.
Ich trat einen Schritt näher und sah, wie zwei der Soldaten zurückwichen. Ihre Angst verschaffte mir eine heimliche Genugtuung. Macht war eine wundervolle Droge.
Der Mann mit der Peitsche starrte erst auf Espin hinunter, dann sah er mich wieder an. „Darauf steht der Galgen.“
Ich nickte. Das Gesetz kannte ich. Die Magier der Xentenkaste, zu der ich gehörte, waren schon seit Urzeiten an der Schaffung der Gesetzestexte beteiligt. Wir waren das Gesetz in Yendland.
„Hat er es zugegeben?“, fragte ich. Mein Blick wanderte über Espin, der jetzt direkt vor mir lag.
„Nein, noch nicht, aber … das kriegen wir schon aus ihm raus.“
Daran zweifelte ich nicht. Sie würden ihn einfach so lange foltern, bis er alles gestand. Alles, was ihm zur Last gelegt wurde – unabhängig davon, was er wirklich getan hatte. Das war das ungeschriebene Gesetz der Folter.
„Ich mag die Redarianer nicht“, sagte ich ruhig.
Die Soldaten grinsten. Und der mit der Peitsche bemerkte: „Aber sie sind sehr gut zum … Vögeln.“ Die anderen lachten laut.
Espin, auf dem Boden, war wie versteinert.
Ich fragte mich, ob sie sich bereits an ihm vergangen hatten, oder ob ihm das bisher erspart geblieben war. Es war nicht unüblich, dass die Gefangenen missbraucht wurden.
„So“, sagte ich und trat noch einen Schritt näher. „Zum Vögeln sind sie gut?“
Die Soldaten nickten zustimmend. Ich bemerkte ihre Anspannung – erwarteten sie etwa, dass ich mich vor ihren Augen an ihm verging? Da musste ich sie enttäuschen.
„Lasst mich mit ihm allein!“ Der bestimmte Tonfall meiner Stimme überzeugte sie – sie hatten gar keine Wahl. Ohne Widerrede zogen sie sich zurück. Ich wusste, was sie jetzt dachten, ich sah die Bilder in ihren Köpfen, aber es war mir gleichgültig. Als Magier hatte ich alle Privilegien, und es war ein Kinderspiel, sie zu manipulieren.
Ich war mit Espin allein.
Sein pfeifender Atem erfüllte den Raum.
Vorsichtig fasste ich ihn an den Schultern. Die Berührung allein elektrisierte mich. Er war ein hübsches Geschöpf. Eine Sünde, dass sie ihn so zugerichtet hatten!
Er stöhnte wieder, als ich ihn auf die Seite rollte. Sein Blick durchbohrte mich. „Was wollt Ihr?“
Ich lächelte. Die Redarianer waren nicht gerade für ihre guten Umgangsformen bekannt. Mit einer fließenden Bewegung schlug ich die große Kapuze zurück, sodass er mein Gesicht sehen konnte.
Er musterte mich aufmerksam. „Seid Ihr Magier? – Ihr seid jung“, stellte er fest.
„Und du bist offensichtlich zu vorlaut.“
„Was wollt Ihr, Magier?“
Er überraschte mich mit seinem frechen Mundwerk. Ein typischer Redarianer: Selbst jetzt, nach der Folter und mit dem Tod vor Augen war er fordernd und voller Stolz. Sein Tonfall provozierte mich. So ließ ich ihn erst einmal gefesselt am Boden liegen.
„Erzähl mir die Wahrheit: Warum bist du hier?“
Er lachte tatsächlich. Ein raues, schmerzerfülltes Lachen. „Das ist einfach: weil Eure Soldaten mich eingesackt haben.“
„Reiz mich nicht“, warnte ich ihn. „Ich will wissen, ob es stimmt, was die Soldaten sagen!“
Er schüttelte den Kopf.
„Du hast die Tochter von Merdan also nicht entführt?“
Er hob den Kopf ein wenig, um mich besser ansehen zu können. „Bind’ mich los, dann rede ich mit dir“, forderte er.
Doch ich wusste, dass er nur mühsam seinen Schmerz bezähmen konnte.
Ich zog einen Dolch aus den Falten meines Mantels und durchtrennte Espins Fesseln. Er rollte sich leise stöhnend auf den Rücken und rieb sich die aufgescheuerten Handgelenke. Ein erstes Eingeständnis seiner Qualen. Seine Stärke war beeindruckend.
Misstrauisch sah Espin mich an. Wahrscheinlich hatte er Angst vor mir. Auch wenn den Redarianern der Umgang mit Magie vertraut war. Er wollte aufstehen, doch ich war sofort über ihm – diese Gelegenheit konnte ich mir einfach nicht entgehen lassen. Er lag vor mir, als könne ich ihn tatsächlich haben. So leicht …
Ich wusste, dass er es nicht mit mir aufnehmen konnte. Vielleicht war er mir körperlich überlegen, er war deutlich größer als ich und mit Sicherheit geübt, was das Kämpfen betraf, doch gegen meine Magie hatte er keine Chance.
Ich presste ihn mit meinem Gewicht zu Boden. Unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.
„Was wollt Ihr?“, fragte er erneut.
Ich spürte das Zittern seiner Lippen. Die Pupillen seiner Katzenaugen waren weit geöffnet.
„Lasst mich aufstehen – ich … mein Rücken …“
Ich lächelte schmal. War er zu mehr bereit? Dachte er vielleicht, er könne sich „freikaufen“?
Ich ließ ihn aufstehen. Er starrte mich an. „Nein! Sie ist freiwillig mitgegangen … Es war ein Auftrag …“
„Und ist sie auch freiwillig mit dir ins Bett …“
„Ich war nicht mit ihr im Bett, verdammt!“, unterbrach er mich heftig. „Ich würde mit keiner Frau …“ Er verstummte.
„Warum hast du das den Soldaten nicht gesagt?“
Er schwieg und sah etwas verlegen zu Boden. Da erinnerte ich mich: Die Redarianer empfanden es als unehrenhaft, wenn ein Mann ausschließlich mit Männern verkehrte.
„Es ist doch egal, oder? Ich werde so oder so hier sterben …“
„Warum hast du sie entführt?“, fragte ich noch einmal, ohne auf seine Worte einzugehen.
„Ich habe sie nicht entführt.“ Er betonte jedes Wort. „Sie liebt einen Redarianer. Ich habe sie nur zu ihm gebracht. Es war ein verdammter Auftrag! Als ich sie zurückbringen wollte, haben sie mich erwischt …“
„Warum du?“
Jetzt lächelte er schief. „Weil mein Freund wusste, dass ich sie nicht anrühren würde. Sie ist sehr hübsch, weißt du? Und wir … Nun …“ Er zuckte mit den Schultern.
„Ihr seid ohne Moral“, vervollständigte ich.
Er schüttelte trotzig den Kopf. „Wir leben die Dinge aus, von denen ihr nur träumt.“
Ich lachte ein wenig boshaft. „Du doch wohl nicht, oder?“
Er warf mir einen wütenden Katzenblick zu, den ich nicht weiter beachtete.
„Was wisst Ihr schon von Liebe?“, fauchte er.
„Aber du weißt alles?“
Er schwieg – doch seine fremdartigen Augen durchbohrten mich förmlich.
Dessen ungeachtet zog ich einen Schemel heran. „Setz dich, ich sehe mir deine Verletzungen an.“
Fragend zog er die Augenbrauen nach oben. „Wozu sollte das gut sein? Ich werde nicht mehr lange leben.“
Ich deutete stumm auf den Hocker, und nach einigen Augenblicken setzte er sich.
Sie hatten ihn übel misshandelt, er würde einige Narben zurückbehalten. Er ist ein verdammter Redarianer, rief ich mir ins Gedächtnis, er gehört zu unseren Feinden. Und trotzdem … Ich dachte darüber nach, ob genau dieser Gedanke gerechtfertigt war. Was hatte Espin getan? Wofür sollte er sterben? Er hatte das Mädchen nicht entehrt – sollte er nun sterben, nur weil er ein Redarianer war? War das richtig?
Ich gestand mir ehrlicherweise ein, dass nur seine Schönheit mich zu diesen Gedanken veranlasst hatte. Wirklich – er hatte Glück. Und meine Einstellung war zugegebenermaßen beschämend. Handelte ich nun moralisch oder unmoralisch, wenn ich ihn … gehen ließ? Hatte ich das tatsächlich vor? Auf jeden Fall war es ungesetzlich, das war klar.
Ich berührte seine Wunden und verschaffte ihm ein wenig Linderung. Doch mir war nicht entgangen, dass er zusammengezuckt war, als ich ihn angefasst hatte. Mit den Fingerspitzen glitt ich über seine Schultern, berührte vorsichtig seine unversehrte Haut – er bekam eine Gänsehaut. Seine Reaktion erfreute mich. Doch er konnte es noch nicht akzeptieren. Hätte er meine Berührung einfach genossen, wäre es für ihn ein Eingeständnis von Schwäche gewesen. Ein Eingeständnis, dass er sich mir unterworfen hatte. Und die Redarianer waren so stolz. So ein stolzes Volk. Ich lächelte schmal.
Er wusste, dass ich alles mit ihm tun konnte. Es stand mir zu, dass ich ihn benutzte – er gehörte mir! Ich hatte sogar das Recht, ihn zu töten! Warum nahm ich mir nicht einfach, was ich begehrte? Bei Eccláto, ich wusste, warum … weil ich ein Gewissen hatte, das mich daran hinderte. Skrupel – auch wenn das Gesetz auf meiner Seite war. Aber ich wollte ihn nicht bezwingen. Ein so stolzes Wesen wie ihn durfte ich nicht unterwerfen.
Espin drehte sich zur mir um. „Was ist?“, fragte er. Er hatte mein Zögern bemerkt.
Vorsichtig und ohne darüber nachzudenken, berührte ich sein Gesicht. Seine Haut war heiß, glatt, fast fiebrig. Er hielt meinem Blick stand.
„Ich sorge dafür, dass du entkommen kannst.“
Espin runzelte überrascht die Stirn. Er glaubte mir nicht. Warum sollte er auch?
„Was muss ich dafür tun?“, fragte er zweifelnd.
„Nichts.“
Er traute mir nicht. „Ich bin ein Redarianer – warum solltest du mich entkommen lassen?“
„Du hast nichts getan.“
„Selbst das weißt du nicht sicher“, wandte er ein.
Ich sah ihm tief in die Katzenaugen. „Doch, das weiß ich.“
Seine Mundwinkel zogen sich nach oben zu etwas, das beinahe ein Lächeln war. Und ich fragte mich, was er gerade dachte.
„Du handelst gegen eure Gesetze, Magier!“
Ich fasste in seinen Nacken und zog ihn zu mir heran. Er ließ es ohne Gegenwehr zu. „Ja, das tue ich …“ Ich teilte seine Lippen mit meiner Zunge. Er schmeckte wunderbar.
„Es gibt Dinge, die ich nicht akzeptieren kann“, flüsterte ich dicht an seinem Ohr, „und dazu gehört das blinde Befolgen sinnloser Gesetze.“
„Ja …“ Espin kam mir entgegen. Seine Augen funkelten.
Ich fasste in seinen Hosenbund und zog ihn dicht zu mir heran, konnte seine Hitze spüren. Eine Hand ließ ich an seinem Oberschenkel nach oben wandern, fühlte das angespannte Zittern seiner Muskeln. Er reagierte heftig auf meine Berührungen, und die Energie in seinem Körper drohte sich in einem gewalttätigen Akt zu entladen. Er hatte zu viele unterschiedliche Empfindungen ertragen müssen in den letzten Stunden. Zuviel für ein so impulsives Wesen wie diesen Cat’a, wie sich die katzenäugigen Bewohner von Reda nannten. Doch noch hatte er sich unter Kontrolle – und gerade diese mühsame Beherrschtheit machte mich verrückt. Wir starrten uns an wie zwei Raubkatzen kurz vor dem Kampf. Seine Männlichkeit wuchs in meinem festen Griff, und ich wünschte mir, ihn ganz zu besitzen. Eins mit ihm zu werden, denn dann würde ich einen Teil seiner ungebändigten Kraft in mich aufnehmen können, ohne das Tier in ihm bezwingen zu müssen. Er wäre nicht der erste Redarianer, den ich besäße, daher kannte ich die erstaunliche Energie, die sie beim Beischlaf freisetzten. Pure magische Lebenskraft, die mich noch stärker machte.
Doch ich löste mich von ihm. Es kostete mich alle Willenskraft, die ich aufbringen konnte.
„Verschwinde, bevor die Soldaten wiederkommen.“
Sichtlich irritiert schüttelte er den Kopf. Auch er war erregt, seine Katzenaugen waren nun dunkel, so weit geöffnet waren seine Pupillen. Er schien im ersten Moment nicht zu begreifen, was ich meinte.
Ich streifte den schweren, dunklen Umhang von meinen Schultern und hüllte Espin darin ein. So würden wir unbemerkt nach draußen gelangen. Er ließ es geschehen, versuchte, wieder Herr seiner Sinne zu werden.
„Was wirst du ihnen sagen?“, fragte er rau.
Ich winkte ab. „Das soll nicht deine Sorge sein.“
Ohne weitere Zwischenfälle gelangten wir ins Freie. Espin reichte mir den Umhang zurück.
„Ich verstehe dich nicht …“
Ich ließ meine Finger über seine glatten Oberarme gleiten. „Vielleicht habe ich einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit?“
„Gibt es das?“, fragte er leise. „Gerechtigkeit?“
Ich nickte. „Ja, natürlich.“ Und ich war davon überzeugt.
Espins Blick wanderte über den dunklen Vorplatz der riesigen Burg, auf dem sich zu dieser nächtlichen Stunde kaum eine Menschenseele aufhielt. Es würde kein Problem für ihn sein, in den Schatten zu verschwinden. Geschickt kletterte er auf die Mauer.
„Wir sehen uns wieder“, sagte er knapp.
Hatte ich ein „Danke“ erwartet? – Doch ich lächelte, als er in die Dunkelheit sprang.
„Bald mein Freund. Sehr bald …“, flüsterte ich.
Zeth saß über dem Plan und starrte ihn missmutig an. Was war das für eine Idee, dachte er. Aber natürlich, wer war für diesen Einsatz besser geeignet als seine Einheit? Wieder einmal mussten seine Dämonen herhalten, wenn Caskáran Ferakon einen geheimen Auftrag zu vergeben hatte. Dabei waren sie gerade erst nach Darkess zurückgekehrt! Er hatte sich ein wenig erholen wollen.
Ein heftiges Klopfen an seiner Tür ließ ihn aufsehen.
„Ja?“
„Capitan Zeth! Ihr müsst unbedingt mitkommen. Das ist nicht richtig so …“ Thraq, einer seiner Soldaten, war außer Atem, als er das Zimmer des Capitan betrat.
„Was gibt’s?“ Er wunderte sich über die wenig förmliche Ansprache des Soldaten.
„Es geht um einen …“ Thraq zögerte. In seinen wässrig blauen Augen spiegelte sich Unsicherheit. Offensichtlich war es ihm unangenehm. „Einen Frischling. Einen jungen Soldaten … Ich denke, wenn Ihr nicht eingreift, wird es Verletzte oder Tote geben.“
Zeth stand auf. Gestern hatte er fünf neue Männer bekommen. Und er ahnte Arges. Seine Soldaten waren sowohl für ihre derben Späße als auch für ihre harten Aufnahmerituale bekannt. Er schätzte dies nicht besonders, ging aber nicht dagegen vor. Denn er wusste, sie festigten auf eine merkwürdige Weise die Kameradschaft. Und er selbst hatte als junger Mann diese Aufnahmerituale am eigenen Leib erfahren müssen. Sie konnten einen demütigen – doch umbringen?
Er folgte Thraq nach draußen. Der junge Soldat lief mit großen Schritten voran. Es war ihm offensichtlich ernst mit dem, was er gesagt hatte.
Als Zeth den Schauplatz betrat, bot sich ihm folgendes Bild:
Ein schmaler, rothaariger Junge – er mochte ihn kaum als Mann bezeichnen – stand in Verteidigungsstellung, er blutete aus einigen oberflächlichen Wunden im Gesicht und am Rücken. Das Hemd hing in Fetzen an seinem Leib. Die übrigen Soldaten hatten sich angespannt, aber auch abfällig lachend um ihn herum gruppiert. In seiner Nähe Finn und Legato, zwei der schärfsten Ausbilder, die Zeth in seiner Truppe hatte. Finn hielt eine Peitsche in der Hand, mit der er dem Jungen offensichtlich schon ein paar saftige Hiebe verpasst hatte.
Ein Kribbeln zog über seine Wirbelsäule bis nach oben in seinen Nacken, fast, als würde er beobachtet. Doch als er sich kurz umdrehte, war dort niemand. Er schüttelte das unangenehme Gefühl ab.
„Was ist hier los?“
Zeth hatte nicht laut gesprochen, doch seine gebieterische Stimme ließ alle verstummen. Die Soldaten wichen sofort zurück und machten ihm Platz.
Finn fixierte den Jungen weiterhin, während Legato sich seinem Vorgesetzten zuwandte. „Er ist wie ein wildes Tier, Capitan. Er lässt keinen an sich herankommen und verweigert die Befehle. Wir wissen nicht, was wir mit ihm machen sollen.“
Zeth sah den Jungen noch einmal genauer an. In seinen Augen spiegelte sich blanke Panik angesichts der Übermacht der Soldaten – aber auch Trotz und der Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Finn bestätigte das. „Er beißt und spuckt – ich habe so etwas noch nie erlebt.“
Mit einer Handbewegung befahl er Finn, sich zu entfernen. Vorsichtig trat er auf den Jungen zu.
„Was ist hier los?“, fragte er leise. Er hatte keine Angst, dass der Bursche mit den kupferroten Haaren ihn angriff.
In stummem Entsetzen schüttelte der Junge den Kopf.
„Wie heißt du?“
„Bennet.“ Die weiche Stimme jagte ihm eine Gänsehaut über die Unterarme.
„Gut, Bennet. Du wirst jetzt mit mir kommen. Egal, was passiert ist, Befehlsverweigerung wird bestraft. Aber ich möchte mir erst einmal anhören, wie es zu dieser unschönen Situation gekommen ist.“
Bennet nickte. „Ja, Herr.“
Mit hängenden Schultern folgte der junge Mann dem Capitan. Er schien sich auf das Schlimmste gefasst zu machen. Vielleicht eilte Zeth ein gewisser Ruf voraus, durch besondere Mildtätigkeit hatte er sich bisher nicht hervorgetan.
Im Quartier des Capitan angekommen, sah Bennet sich vorsichtig um, was Zeth nicht entging. Er war zweckmäßig eingerichtet, schnörkellos und ein wenig düster.
Zeth war der uneheliche Sohn des Herrschers von Yendlandund wohnte auf der Festung Darkess, die zwar deutlich bescheidener ausgestattet war als die Paläste der Caskáran, doch noch immer mit mehr Luxus aufwarten konnte, als Bennet womöglich jemals gesehen hatte.
Mit einer knappen Handbewegung wies der Capitan seine Wache an, den Raum zu verlassen.
„Nun, ich höre …“ Zeth riss seinen jungen Soldaten aus den Gedanken.
„Ich … was soll ich sagen?“, fragte Bennet leise, Trotz schwang in seiner Stimme mit.
„Ich möchte wissen, was vorgefallen ist.“
„Und dann?“
Zeth war erstaunt über so viel Frechheit.
„Dann werde ich sehen, was ich mit dir mache“, erwiderte er hart. „Dein Verhalten meinen Soldaten gegenüber kann ich jedenfalls nicht dulden.“
Bennet erschauderte leicht. „Mein Verhalten …“
„Also?“
„Sie haben mich gequält, und ich habe mich verteidigt. Nicht mehr und nicht weniger.“
Zeth verkniff sich ein Grinsen. Der Junge musste nicht wissen, dass er sich amüsierte.
„Auf Ungehorsam steht der Stock oder die Peitsche, Bennet. Ich denke, ich lasse dir die Wahl.“
Bennet wurde blass. „Alles, was ich möchte, ist, nach Hause, Capitan Zeth …“
„Warum bist du dann hier?“
„Ich musste, mein Herr. Meine Tante und mein Onkel sind arme Leute und für den Caskáran wurden Soldaten gesucht. Die, die geeignet schienen, wurden mehr oder weniger gezwungen, das Dorf zu verlassen. – Mein Onkel hat mich an Eure Soldaten verkauft …“
Zeth betrachtete den schmächtigen Burschen. Sagte er die Wahrheit? Und wie war Bennet dann ausgerechnet in seine Einheit gekommen? Die Elite des Heeres?
„Und – warum glaubten sie, du seist geeignet?“
Bennet senkte den Blick. „Ich kenne mich mit Pferden aus …“
„Ich dachte, deine Tante und dein Onkel seien arme Leute.“
„Und wie kommt es, dass ihr dann Pferde habt?“
Jetzt hob Bennet den Kopf wieder an. „Ich sprach nicht von unseren Pferden.“ Er sah Zeth direkt in die Augen. „Ich bin … ein Pferdedieb. Und zwar ein sehr begabter.“
Zeth verzog den Mund zu einem schmalen Lächeln. „Und wahrscheinlich hast du auch noch andere Begabungen, nicht wahr?“
„Was meint Ihr, mein Herr?“
Zeth winkte ab. „Du willst nicht in der Einheit bleiben?“
„Ich bin kein Soldat!“
„Meinst du nicht, dass du hier Freunde finden wirst?“
Bennet stieß ein tonloses Lachen aus, das sehr zynisch klang. „Seht mich an! Was glaubt Ihr, was Eure Soldaten sich dabei gedacht haben, mich in Eure Einheit zu holen?“
Zeth nickte. Das hatte er von Anfang an gedacht. „Haben sie sich an dir vergangen?“, fragte er nüchtern.
Bennet biss sich auf die Unterlippe. Er hatte mehr verraten, als er wollte. „Es gibt Schlimmeres.“
„Ich dulde keine gewaltsamen Übergriffe dieser Art, Bennet. Nicht in meiner Einheit.“
Bennet betrachtete angespannt den Fußboden.
Zeth musterte ihn lange. Was sollte er jetzt mit dem Burschen machen? Würde er ihn zurückschicken, das war klar, hätten seine Leute ihr Spielzeug wieder. Zeth wusste, dass sie alles andere als zimperlich waren. Und Bennet war so zart gebaut – lange würde er solchen Übergriffen nicht standhalten.
Zurück zu seiner Familie schicken wollte er ihn allerdings auch nicht. Er schien ihnen nicht besonders viel wert zu sein, wenn sie ihn einfach verkauften. Da fiel ihm plötzlich etwas ein.
„Ich brauche einen Knappen.“
Bennet hob langsam den Kopf. In seinem Blick spiegelte sich mehr als nur Zweifel.
„Ich … soll Euer Knappe werden?“
Zeth nickte, während er bereits über sein eigenes Angebot nachdachte. Er hielt schon seit Längerem Ausschau nach einem jungen Mann, der diese Aufgabe übernehmen konnte. Denn sein Kammerdiener Gerion wollte heiraten, eine Familie gründen. Natürlich bedurfte es Zeths Zustimmung zu dieser Verbindung, aber er wollte dem jungen Mann nicht im Weg stehen. Wenn Gerion allerdings Familie hatte, mochte Zeth ihn nicht mehr zu längeren Reisen zwingen. Bennet erschien ihm als passender Ersatz. Nun gut, er hatte seine Qualitäten noch nicht unter Beweis gestellt, aber er schien ein cleveres Bürschchen zu sein und sicher durchaus lernfähig. Außerdem hatte er behauptet, mit Pferden umgehen zu können. Ein weiterer unbestreitbarer Vorteil.
„Jamake?“
Die Wache trat ins Zimmer. „Ja, Herr?“
„Ist Thraq noch da?“
Jamake nickte.
„Soll reinkommen.“
Der Soldat betrat den Raum. Er schien noch immer unsicher.
Zeth sah sich um. „Hol Esarion, den Arzt, und Finn“, wies er die Wache an. Statt dem Burschen seine Strafe zukommen zu lassen, bestellte er nun einen Arzt – das konnte doch nicht sein! Aber Bennet hatte etwas an sich, das ihn in seinen Bann zog. Außerdem wollte er einen gesunden, leistungsfähigen Knappen!
„Das war sehr selbstlos von dir, Thraq“, wandte er sich an den Soldaten.
Dieser nickte langsam.
„Du wirst vielleicht Probleme bekommen.“
„Damit werde ich schon fertig.“ Er straffte seine breiten Schultern.
Thraq musste das wissen. Schließlich hatte er seinen Kumpanen ihr neues Spielzeug weggenommen.
„Manchmal ist es wichtiger, sich gegen die Gruppe zu stellen“, sagte Zeth.
Thraq nickte wieder. In seinem beweglichen Gesicht zeigte sich, wie Stolz er über das Lob war, das er erhalten hatte.
Als Finn den Raum betrat, sandte er Thraq einen derart finsteren Blick zu, dass dieser sich schnell verdrückte. Zeth blieb dieser Blick ebenfalls nicht verborgen.
Finn strahlte, im Gegensatz zu Thraq, etwas Brutales aus. Der schwarze Bart war kurz gestutzt, eine Narbe zog sich von seinem linken Ohr bis hinunter zu seinem Hals.
Zeth kam sofort zur Sache. „Finn, warum hast du ihn in die Einheit geholt?“
„Wen?“
„Bennet natürlich“, erwiderte Zeth ungeduldig.
Der Ausbilder senkte irritiert und ein wenig unwillig den Kopf. „Er machte einen … ähm … passablen Eindruck.“
Zeth trat einen Schritt nach vorn und griff nach Bennets magerem Oberarm. „An welcher Stelle, Finn?“, fragte er mit liebenswürdiger Schärfe. „Er hat so dünne Arme – er könnte ein Schwert nicht einmal hochheben!“
Der Ausbilder sah weiterhin zu Boden.
„Lass uns nicht um den heißen Brei herumreden! Du wolltest ihn für deine Vergnügungen, Finn, und für die Einheit. Aber das lasse ich nicht zu. Er ist kein Gefangener, und du solltest Soldaten suchen – keine Lustknaben.“
Finn nickte knapp.
„Er wird zunächst als Knappe bei mir bleiben. So lange, bis mir etwas Besseres einfällt.“ Was immer das sein mochte.
„Ja, Capitan.“
„Capitan Zeth?“ Der Arzt war gekommen – Esarion. Zeth kannte den Mann schon, solange er lebte. Er war ihm immer eine Art Vaterersatz gewesen und ein Vertrauter. Als Zeth vor etwas über vier Jahren die Festung Darkess übernommen hatte, war Esarion ihm ohne Zögern gefolgt. Und nur wenn Zeth in Gesellschaft war, sprach der Arzt ihn mit seinem Rang an.
„Du kannst gehen“, wandte Zeth sich an Finn. Der Ausbilder zog sich eilig zurück. Offenbar spürte er Zeths mühsam unterdrückten Zorn.
Zeth ließ sich auf seinen gepolsterten Stuhl mit der hohen Lehne fallen. „Schau dir das an, Esarion.“
Er wedelte mit der Hand in Bennets Richtung.
Der ältere Mann trat auf den Jungen zu, der sich eingeschüchtert in eine Ecke zurückgezogen hatte. Er betrachtete die Striemen auf der Haut des Jungen.
„Und? Das ist doch eure übliche Art der Bestrafung.“ Er machte sich nicht die Mühe, seinen Widerwillen zu verbergen. Zeth wusste, dass Esarion jegliche Art der körperlichen Züchtigung verabscheute. Sie hatten schon viele lange, unfruchtbare Gespräche über dieses Thema geführt.
Zeth seufzte. „Nicht auf meinen Befehl. Sie haben ihn auch …“
Bennets entsetzter Blick ließ ihn verstummen. Doch Esarion wusste es natürlich auch, ohne, dass es ausgesprochen werden musste. Er musterte Bennet aufmerksam.
„Hast du noch andere Verletzungen?“
Bennet schüttelte stumm den Kopf.
„Er sollte baden, danach kann ich eine heilende Salbe auf seine Wunden auftragen.“
„Baden?“ Zeth zog die Augenbrauen hoch.
Esarion sah Zeth missbilligend an. „Er ist schmutzig, Zeth – sieh ihn dir an. Seine Verletzungen können sich entzünden. – Er muss sich ja nicht in deinem privaten Badetempel vergnügen, wenn es dir zuwider ist.“
Zeth grinste bei der Vorstellung. Nein, im Grunde hatte er nichts dagegen, wenn Bennet sich in seinen privaten Gemächern aufhielt. Bei den anderen Soldaten konnte er ihn auf jeden Fall nicht baden lassen. Und da Bennet als sein zukünftiger Knappe das Recht hatte in seinen Räumen zu schlafen, konnte er ihm jetzt auch dort ein Bad richten lassen. „Gut, baden …“
„Capitan, keine Umstände …“, wandte Bennet mit schwacher Stimme ein. Doch Zeth schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
„Jamake?“
Die Leibwache trat wieder in den Raum. „Ja, Capitan?“
„Lass ein Bad für unseren jungen Freund hier vorbereiten.“
Ein verblüffter Gesichtsausdruck huschte über das Gesicht des sonst so beherrschten Mannes. „In Euren Gemächern?“
„Ja.“ Zeth war sich klar darüber, was der Mann jetzt dachte.
Esarion lächelte ihn wohlwollend ihn an. „Siehst du, du bist noch lernfähig.“ Er klopfte ihm auf die Schulter.
„Und wenn er wieder genesen ist, wird er die Strafe für seinen jetzigen Ungehorsam bekommen“, knurrte Zeth.
Der Arzt schüttelte verärgert den Kopf. „Dann peitsch’ ihn jetzt aus, damit ich die Verletzungen auch gleich mitbehandeln kann.“
„Mach dich nicht über mich lustig“, warnte Zeth den Älteren, doch der zeigte sich wenig beeindruckt. Sie kannten sich einfach schon zu lange.
„Zeth, du machst dem Jungen Angst.“ Er nahm den Jungen freundlich am Arm, um ihn wegzuführen. „Komm, Bennet, ich zeige dir den Weg.“
Der ließ sich willig mitziehen.
~~~
Bennet hatte lange nicht mehr solch prachtvoll eingerichtete Gemächer gesehen. Dieses waren Zeths private Räumlichkeiten. Der Boden bestand aus schwarzem Stein, an den Wänden und vor den Betten und Diwanen befanden sich dichte, kostbare Teppiche mit kunstvollsten Mustern. Massive Holz- und Lacktruhen säumten die Wände, schlichte Seidenvorhänge verhinderten den Blick nach draußen. Zu einer anderen Zeit hätte Bennet diesen Luxus vermutlich kaum bemerkt, doch jetzt war er schier geblendet.
Esarion brachte Bennet in einen der kleineren Baderäume. Der ältere Arzt strahlte etwas Beruhigendes aus. Er erinnerte Bennet mit seinem grauen langen Bart, den langen, zu einem Zopf zusammengenommenen Haaren und den vielen Fältchen um die Augen an einen harmlosen alten Onkel.
Eine junge unverschleierte Frau war dabei, das Bad vorzubereiten. Als sie Bennet und Esarion eintreten sah, verharrte sie kurz. Bennet war erstaunt, eine unverschleierte Frau in Zeths Gemächern zu sehen. Der Capitan schien sich nicht um die herrschenden Konventionen zu kümmern, oder vielleicht war sie auch seine Bettgefährtin.
Er betrachtete sie, während sie mit geschickten Handbewegungen ihre Arbeiten verrichtete. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit feinen Gesichtszügen und einer kleinen Stupsnase. Doch vor allem fielen ihm ihre schmalen Hände und Handgelenke auf
Der Badezuber war eine runde Wanne, die fest in diesem Raum installiert war. Der Rand der Wanne war mäßig hoch, das Wasser darin so heiß, dass es dampfte. In dem Dorf, in dem er die letzten Jahre gelebt hatte, hatte es keine Badewannen gegeben. Ein kleiner Bachlauf schlängelte sich dicht am Dorf vorbei und mündete in einen See. Dort hatten sie sich gewaschen. Im Winter war das Wasser so eisig gewesen, dass einem fast die Gliedmaßen abgefroren waren, aber er hatte gelernt sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren.
Die junge Frau legte einige Handtücher bereit und eine angenehm duftende Seife.
„Soll ich Euch zur Hand gehen?“, fragte sie höflich. Ihr Blick streifte Bennets nackten Oberkörper und die Spuren der Misshandlungen.
Bennet erstarrte, spürte, wie er errötete. Nein, er wollte sich nicht von dieser fremden Frau berühren lassen. Er konnte diese Berührungen heute überhaupt nicht ertragen, wusste nicht, wie gut er sich selbst unter Kontrolle hatte. Es war zu viel passiert.
Esarion winkte freundlich ab. „Nein, ich mache das schon, Philia. Danke.“
Die junge Frau verneigte sich kurz und verließ dann den Raum.
„Besser so, nicht wahr?“ Der Ältere grinste verständnisvoll, als Bennet nickte.
„Wer ist sie?“
„Zeths Dienerin Philia“, antwortete Esarion und fragte dann wie beiläufig: „Und Zeth möchte dich als seinen Knappen behalten?“
Bennet zuckte mit den schmerzenden Schultern, als er seine Hosen auszog. „Der Capitan hat so etwas angedeutet.“
„Diese Arbeit übernehmen normalerweise nur die Söhne anderer Adeliger. Du solltest froh sein, von den Soldaten wegzukommen.“ Esarion betrachtete Bennet so eingehend, als würde er versuchen, seine Gedanken zu lesen.
„Warte.“ Er hielt Bennet davon ab, in die Wanne zu steigen.
„Beug dich mal nach vorn.“
Bennet erstarrte in der Bewegung. „Nein …“
„Sei nicht albern. Ich muss mir das ansehen.“
Widerwillig beugte sich Bennet nach vorn; seine Hände klammerten sich um den Rand der Wanne.
Esarion berührte ihn vorsichtig am Rücken. „Ich schaue nur.“
Bennet nickte verkrampft. Sein Herz schlug bis zum Hals. Er spürte Esarions warme Hände auf seinem Rücken. Der Arzt tastete sich vorsichtig hinunter.
„Sie haben dich aufgerissen, Junge. Hast du starke Schmerzen?“
„Nein, es geht.“ Tatsächlich schmerzten ihn die Striemen auf seinem Rücken im Moment mehr.
„War wohl nicht das erste Mal für dich, was?“
Bennet schwieg. Es ging den Arzt nichts an.
„Jetzt steig in die Wanne“, sagte der Arzt. „Ich werde das nachher auch einsalben.“
Mit rotem Kopf kletterte Bennet in die Wanne. Er hatte gehofft, dass dieses Thema damit für ihn erledigt wäre, doch Esarion erklärte: „Ich sehe solche Verletzungen häufiger.“
Bennet nickte langsam. Er bewegte sich auf unbekanntem Terrain, wusste nicht, wie die Yendländer mit gleichgeschlechtlicher Liebe umgingen. Und nicht, was passierte, wenn jemand dazu gezwungen wurde.
„War es sehr schlimm für dich?“
Bennet biss die Zähne zusammen. Das heiße Wasser brannte an seinen Wunden.
„Du kannst froh sein, dass einer der Soldaten das Spiel beendet hat.“
„Ich weiß“, sagte Bennet leise. Er tauchte mit dem Kopf unter. Langsam breitete sich die entspannende Wirkung des Wassers aus und die Schmerzen ließen etwas nach. Nur die Striemen, die die Peitsche hinterlassen hatte, brannten weiterhin.
„Es ist eine Ehre, als Knappe für Zeth zu arbeiten“, erklärte Esarion ernst, als Bennet wieder auftauchte.
Bennet nickte wieder. Aber wer wusste schon, was der Capitan alles von ihm erwartete? Früher oder später wurde er von hier verschwinden müssen. Und hier, in dieser neuen Position, war das sicher schwieriger als aus der Anonymität einer großen Gruppe. Mit völlig ausdrucksloser Miene begann er, sich zu waschen. Er war wirklich schmutzig. Und er musste nachdenken – vielleicht konnte er irgendwie entkommen? Aber wo sollte er dann hin? Er konnte sich doch nicht als Pferdedieb durchschlagen … Obwohl – sollte er von hier entkommen, konnte er vielleicht ein oder zwei Pferde mitnehmen. Als Startkapital sozusagen.
Wie war es nur zu diesem Debakel gekommen? Seufzend wusch er sich den Schmutz und das getrocknete Blut vom Körper, das Wasser verfärbte sich zusehends bräunlich-rot.
Esarion beobachtete ihn schweigend dabei. Er schien ganz in seine eigenen Gedanken versunken.
Schließlich half er Bennet aus der Wanne und reichte ihm ein großes Handtuch. Der wickelte seinen schmalen Leib vollkommen darin ein und genoss für einen Moment das Gefühl, sicher und geborgen zu sein. Für einen Moment … Ein Gefühl, das ihm sehr fremd geworden war. Kannte er es überhaupt noch?
„Komm, leg dich hierher.“ Esarion winkte Bennet zu einer Liege, auf der ein weiteres weiches Handtuch ausgebreitet war.
Kundig verarztete er Bennets Verletzungen. Als er mit den Fingern über Bennets Gesäß strich, zuckte dieser zusammen.
„Entspann dich, Junge. Vor mir brauchst du nichts zu befürchten.“
Bennet atmete tief aus und versuchte an gar nichts zu denken.
„Siehst du, das war’s schon.“ Esarion stand auf und reichte Bennet frische Kleidung, eine weite helle Hose aus angenehm weichem Stoff und ein grobes Baumwollhemd, das in der Taille von einem Ledergürtel zusammengehalten wurde.
Er warf einen letzten wehmütigen Blick auf seine alten, zerschlissenen Sachen – jetzt fing ein neues Leben an, wieder einmal. Und Bennet war sich nicht sicher, ob er dafür bereit war.
Die Festung Darkess war etwa zwei Reitstunden von der Hauptstadt Iskaran entfernt, in der Caskáran Ferakon residierte. Zeth schätzte die relative Einsamkeit, die ihm die Burg und die umliegenden kleineren Dörfer boten. Hier war er sein eigener Herr, und trotz allem war er nicht von der Außenwelt abgeschnitten. Darkess war auch eine Aussichtsplattform, da die Burg ein wenig höher gelegen war und Iskaran zum Süden hin absicherte. Vom höheren der beiden Wachtürme der Burg konnte man die Wälder und das Umland überblicken.
Darkess besaß nur einen schmalen Burggraben, dafür aber eine massive äußere Mauer und eine Ringmauer, die den inneren Bereich der Burg schützte.
Als Zeth jetzt dort oben auf einem der Wachtürme stand, die braun-goldenen Wälder direkt unter sich, und sich den kühlen Wind durch die Haare wehen ließ, stellte er wieder einmal fest, wie gut seine Entscheidung gewesen war, Iskaran zu verlassen. Der Zeitpunkt war richtig gewesen, er hatte nicht mehr im Herrscherpalast bleiben können. Zu sehr hatten ihn die Geschehnisse mitgenommen, zu problematisch wurde sein Verhältnis zu seinem Halbbruder Kyl, dem Thronfolger. Esarion hatte ihn dazu gedrängt, Darkess zu übernehmen, als Ban Dari, der frühere Herr der Festung, im hohen Alter von 86 Jahren ohne einen Nachfolger zu hinterlassen, gestorben war.
Es war viel passiert in der Zwischenzeit. Mittlerweile hatte Zeth seine eigenen Männer, die schwarzen Dämonen. Zeth wusste nicht, warum die Yendländer ihm und seinen Männern diesen Namen verpasst hatten. Vielleicht lag es an den schwarzen Wappenröcken, die sie trugen. Oder daran, dass viele ihn selbst mit einem Dämon oder einem Raubtier verglichen. Ihre Aufträge waren überwiegend geheimer Natur, Nacht- und Nebelaufträge, von denen sich der Caskáran im Notfall distanzieren konnte. Dass die Yendländer ihn mit Misstrauen und abergläubischer Angst betrachteten, war Zeth gleichgültig, so lange er nicht in den Ruf geriet, etwas mit Magie zu tun zu haben, denn das war der Magierkaste, den Xenten, vorbehalten. Und wer dagegen verstieß, hatte mit drastischen Strafen, nicht selten mit dem Tod zu rechnen.
Zeth verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken von der Wache und begann den Abstieg. Im Moment war alles ruhig, doch Unruhe keimte in ihm – er spürte sie wie ein heranziehendes Gewitter. Da war etwas im Gange, was er noch nicht richtig einschätzen konnte. Das Letzte, was er wollte, war ein Krieg. Die letzten kriegerischen Auseinandersetzungen lagen erst sechs Jahre zurück, doch er war für alles gerüstet.
In einem der Räume im oberen Stockwerk befand sich Zeths Arbeitszimmer. Hier bewahrte er Bücher und Karten auf, Aufzeichnungen, Schreibutensilien und seltene Gegenstände, die ihm im Laufe der Zeit in die Hände gefallen waren. Er mochte diesen Raum, hier fühlte er sich wohl. Wie so häufig ließ er seinen Blick über die Dinge gleiten, die hier ihren Platz gefunden hatten. Und wie so häufig blieben seine Augen an einem Gegenstand hängen, der ihm mehr als alles andere bedeutete. Eine kaum handgroße Figur stand vor einigen dicken Wälzern. Sie war aus fast schwarzem Holz geschnitzt. Im ersten Moment sah sie aus wie ein Krieger mit gezücktem Schwert, doch wer genauer hinsah, erkannte einen Magier, aus dessen Handinnenfläche ein Blitz schoss. Die Gesichtszüge der Figur waren sehr filigran gearbeitet, sodass man tatsächlich erkennen konnte, wen die Figur darstellte. Zumindest Zeth konnte das, und es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er es nicht ausgehalten, auch nur einen einzigen Blick in dieses winzige Holzgesicht zu werfen. Die Statuette löste, auch nach der langen Zeit noch, die unterschiedlichsten Emotionen in ihm aus. Sie bedeutete großen Schmerz, erinnerte ihn jedoch auch an Tage unbeschwerten Glückes und an die Verantwortung, die er jetzt zu tragen hatte. In diesem Moment bescherte ihr Anblick ihm ein schlechtes Gewissen. Himmel, wie lange war er nicht mehr in Livin gewesen? Art musste mittlerweile … 15 Jahre alt sein! Wie erging es ihm wohl gerade?
Ein kurzes Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Sein treuer Diener Gerion trat ein.
„Mein Herr?“
Zeth musterte den hageren, jungen Mann, der ihm seit drei Jahren zur Seite stand, aufmerksam. Gerion war ein bescheidener junger Mann mit aschblondem Haar, das ihm in leichten Wellen auf die Schultern fiel. Um seinen Mund jedoch lag jedoch eine gewisse Strenge.
„Ich habe endlich einen Ersatz für dich gefunden, Gerion.“
Der Diener nickte angespannt. „Ich weiß. Den Jungen mit den roten Haaren.“
Zeth lächelte. „Spricht sich schnell herum, was?“
„Er soll ausgerechnet mit Finn und Legato … nun … aneinandergeraten sein …“
Zeth ließ sich einen Becher Wein einschenken, so etwas konnte Gerion ganz nebenbei. „Aneinandergeraten? Sagt man das?“
Gerion nickte erneut. Und Zeth ließ es dabei bewenden. Sollten sie sich doch den Kopf darüber zerbrechen, warum er sich für den Jungen entschieden hatte.
„Würdest du ihn bitte einweisen, bevor du aufbrichst?“
„Ja, Herr. Selbstverständlich.“
Zeth hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. „Ach, Gerion … er hat keine Ahnung von dem, was er tun soll. Bisher hat er sich als Pferdedieb verdingt, zumindest behauptet er das. Aber je eher er dich ersetzen kann, umso besser, nicht wahr?“
Gerion zog eine Grimasse, lächelte jedoch gleichzeitig schmal, und Zeth wusste, was er damit sagen wollte: Das würde ein hartes Stück Arbeit werden.
„Und bitte schick Philia her, wenn du sie siehst.“ Dass seine Dienerin auch seine momentane Bettgefährtin war, war kein Geheimnis. Zeth mochte die junge Frau, sie war offen, sinnlich und loyal. Und er hatte keine Schwierigkeit mit dem Gedanken, dass sie möglicherweise irgendwann ein Kind von ihm bekam. Seine Söhne und Töchter würden mit keinem Makel behaftet sein. Keiner von ihnen würde als Bastard aufwachsen, das hatte er sich geschworen.
Mit einem Nicken zog Gerion sich zurück.
~~~
Angespannt wartete Bennet auf Gerion, den Mann, dessen Platz er einnehmen sollte. Er war eher überrascht, als er den blassen, sehnigen Mann zum ersten Mal sah. Er hatte eine andere Vorstellung von Zeths ständigem Begleiter gehabt. Doch Gerions Augen waren offen, und er machte einen unnachgiebigen Eindruck.
„Du bist Bennet?“
Der nickte.
„Du weißt sicher bereits, dass du Zeths Knappe werden sollst – und sein Diener, da ich nicht mehr sehr lange zur Verfügung stehe. Du wirst sicher keine Schwierigkeiten haben, beide Aufgaben zu erfüllen. Zeth ist kein sehr fordernder Herr. Mit Fleiß und etwas Geschick wirst du gut beides erledigen können. Ich bin dafür verantwortlich, dass du die grundlegenden Sachen lernst.“
Seine Augen glitten abschätzend an Bennet hinunter. Und der wusste, die feste, saubere Kleidung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er noch kein richtiger Mann war. Er mochte vielleicht so alt sein wie Gerion damals, als er in Zeths Dienste getreten war, doch er war mit Sicherheit viel schmaler und kleiner.
„Wenn du unfähig bist, wird das auf mich zurückfallen. Das werde ich nicht zulassen. Also – denk daran: Ich bin kein Unmensch, aber ich erwarte von dir, dass du die wichtigsten Dinge in kurzer Zeit beherrschst. Denn“, jetzt wurde der strenge Zug um seinen Mund für einen kurzen Moment weicher, „meine Braut wartet auf mich.“
Bennet nickte unsicher.
„Gut, du bist dafür verantwortlich, Zeth beim An- und Auskleiden behilflich zu sein. Du hast ein Auge auf seine Waffen, du musst sie reinigen, wenn das nötig sein sollte. Du wirst ihm ein Bad richten lassen, wenn er danach verlangt, du wirst sein Bote sein, du bist für seine Pferde verantwortlich und hast damit die Aufsicht über die Stallburschen. Du wirst immer da sein, verstehst du, was ich meine? Du …“
„… wirst ihm den Arsch abwischen“, knurrte Bennet ungehalten.
Gerion trat mit einem schnellen Schritt auf ihn zu und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
„Du wirst dir solche Sätze schnell abgewöhnen müssen, Bennet. Zeth schätzt Gehorsam – und er kann ungemütlich werden, wenn jemand ihm nicht gehorcht. Was du nicht kannst, wirst du lernen, aber meine Reaktion auf Unverschämtheiten wird immer diese sein.“
Bennet starrte ihn finster an. Gerions Handabdruck brannte in seinem Gesicht.
„Und, ich befürchte, dass du nicht einmal weißt, wie Gehorsam geschrieben wird.“
„Ich habe etwas viel Wichtigeres als Gehorsam gelernt“, grummelte Bennet leise. Dass er lesen und schreiben konnte, hielt er erst einmal geheim.
Gerion sah ihn an und seufzte. „Und das wäre?“
„Überleben.“
Der junge Mann betrachtete ihn skeptisch. „Ich habe noch nie davon gehört, dass Zeth einen Knappen hätte töten lassen, Bennet. Aber die Möglichkeiten, einen Knappen zu bestrafen sind vielfältig – und an deiner Stelle würde ich es nicht darauf ankommen lassen. Du wirst lernen, dich angemessen zu verhalten.“
Den restlichen Tag und auch die darauffolgende Nacht verbrachte Bennet in Gerions Gegenwart – und der war ein unerbittlicher Lehrmeister.
~~~
Mit großen Schritten überquerte Zeth den Hof. Dicke Wolken schoben sich über die dunkle, trutzige Burg, doch der Wind war nur mäßig kühl. Er war ganz in Gedanken, nahm nicht einmal die respektvollen, zum Teil unterwürfigen Begrüßungen der Bediensteten wahr. Er hatte sich daran gewöhnt, dass viele Leute ihn fürchteten oder zumindest mit Unbehagen betrachteten. Wobei ihm nie vorgeworfen wurde, ungerecht zu sein. Aber er verlangte von anderen ebenso viel Disziplin wie von sich selbst. Und da das eine oder andere Mal selbst seine Soldaten drakonische Strafmaßnahmen erdulden mussten, waren die Leute auf der Hut. Den Zorn ihres Herrn wollte niemand heraufbeschwören.
Zwei Jungen kreuzten Zeths Weg, Stallburschen, wie er sofort erkannte.
„Hey ihr!“
Sie blieben, wie vom Donner gerührt, stehen.
„Wisst ihr, wo Legato und Finn sich aufhalten?“
Der Größere der beiden bekam vor Aufregung rote Ohren, als er antwortete: „Ja, sie sind hinter den Ställen auf dem Trainingsplatz, Capitan.“
Zeth bekam mit, wie der kleinere Junge sich hinter dem anderen zu verstecken versuchte. Mit einem boshaften Grinsen packte er ihn am Ärmel.
„Ist irgendwas? Hast du was zu verbergen?“
Der Junge verschluckte sich vor Schreck und bekam einen Hustenanfall. Zeth dachte für einen Augenblick, er würde ersticken.
„Nein, nichts, Herr!“, keuchte er mit hochrotem Gesicht.
„Capitan, mein Bruder hat wirklich nichts … ich meine, er will nichts verstecken oder so!“, rief der größere Junge nun alarmiert.
Zeth ließ den anderen los und betrachtete die beiden genauer. „So, Brüder seid ihr, ja? Arbeitet ihr beide im Stall?“
Die zwei nickten verängstigt.
„Dann seht zu, dass ihr wieder ans Arbeiten kommt!“
Zeth sah ihnen hinterher, als sie davonrannten. Kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg zum Trainingsplatz.
Seine beiden Ausbilder kämpften mit breiten Übungsschwertern gegeneinander. Sie hatten ihre muskulösen Oberkörper entblößt, Schweiß lief ihnen in Strömen über die braungebrannten Leiber. Einige seiner Soldaten sahen bei diesem Trainingskampf zu. Als Zeth sich zu ihnen gesellte, nahmen sie automatisch Haltung an. Zeth nahm das mit einem befriedigten Gefühl zur Kenntnis. Aufgrund seiner illegitimen Geburt war es für ihn nicht immer selbstverständlich gewesen, von anderen mit Respekt behandelt zu werden. Und die Tatsache, dass sein Vater, Caskáran Ferakon, ihn in seiner Nähe haben wollte, hatte es ihm auch nicht erleichtert. Wenn Esarion nicht gewesen wäre, wer weiß, was aus ihm geworden wäre?
Er wartete, bis Legato und Finn den Kampf beendet hatten, um sich mit ihnen zu einer Besprechung zurückzuziehen.
Finn trocknete sich das Gesicht nachlässig mit seinem weiten Baumwollhemd ab, bevor er es überzog. „Ich bin der Meinung, dass Itron ein Spion ist, Zeth.“
Zeth nickte bedächtig und setzte sich auf die Kante des Tisches. Auch er hatte so etwas bereits befürchtet. „Itron war lange Jahre einer der engsten Berater meines Vaters!“ Und ein Freund von Uliteria, seiner jetzigen Gattin, mischte sich ein unangenehmer Gedanke ein.
„Genau das hat ihn in die Lage versetzt, Informationen weiterzuleiten“, warf Finn ein. „Ich hörte, dass er sich jetzt einer Gruppe von Banditen angeschlossen hat, Männer, die vor den Toren der Stadt lagern und den Wald und die Straßen zwischen Iskaran und Darkess unsicher machen.“
„Angeschlossen? Ich denke, er sucht lediglich deren Schutz“, sagte Legato langsam.
„Wie auch immer …“
„Was glaubst du, für wen er arbeitet?“
„Für wen auch immer er arbeitet, er hat versucht, sich Zugang zu den unterirdischen Gängen des Palastes zu verschaffen. Ein Wunder, dass die Palastgarde ihn hat ziehen lassen, nachdem er entdeckt wurde.“
„Was er da wohl wollte?“, rätselte Finn.
„Die Gänge führen zum einen zu den Kerkern und den Folterkammern“, sagte Zeth nachdenklich. „Die Magier der Xentenkaste haben dort ihre Räume, es gibt verschiedene Vorratskammern, die große Bibliothek und natürlich die magische Sakristei, in der das Raq, der Lichtstein von Meru, hinter verschlossenen Türen aufbewahrt wird.“
„Der heilige Stein der Xenten und das Herrschersymbol von Yendland.“ Legato runzelte nachdenklich die Stirn. Seine ohnehin harten Züge wirkten wie versteinert.
Sie sahen sich an. Dachten sie alle das gleiche?
„Er wird uns sicherlich einiges verraten, sobald wir ihn haben“, erklärte Zeth kalt.
Als er zu später Stunde seine Gemächer betrat, stellte er zufrieden fest, dass Bennet bereits dort war. Das hieß wohl, Gerion hatte ihn so weit eingewiesen, dass der Junge seine ersten Aufgaben übernehmen konnte. Das war ihm recht, denn es war jederzeit möglich, dass sie Darkess verlassen mussten. Und er wollte Bennet nicht gern auf der Festung zurücklassen.
~~~
„Hast du ausreichend zu essen bekommen, Bennet?“, fragte er, und es klang freundlich. Trotzdem brachte Bennet kaum mehr als ein eingeschüchtertes Nicken zustande.
Die Informationen, die er von Gerion über Zeth erhalten hatte, waren alles andere als hilfreich gewesen, um ihn ein wenig zu beruhigen. Zumindest wusste er nun, dass Zeth und Gerion nicht das Lager geteilt hatten. Diese Frage hatte ihm allerdings eine weitere Ohrfeige eingebracht. Dabei fand er sie gerechtfertigt, denn er hatte wissen wollen, was ihn vielleicht erwartete. Er beobachtete, wie der große Mann sich über seinen Schreibtisch beugte, um noch einmal die Pläne der näheren Umgebung zu studieren. Zeth strich sich die Haare aus dem Gesicht und runzelte konzentriert die Stirn. Er trug breite Lederbänder um die Handgelenke, die in Kämpfen vor Verletzungen schützten. Er trug sie wie Schmuck, stellte Bennet fest.
Zeth wirkte wie ein Kämpfer, durch und durch. Doch nicht wie ein grobschlächtiger Schläger, er war elegant wie eine Raubkatze, ein leiser Jäger, aber nicht minder furchteinflößend.
Zeth war die Betrachtung seiner Person offensichtlich nicht entgangen. Er beendete das Studium der Karten und wandte sich ihm zu.
„Komm her, Bennet. Hilf mir beim Ausziehen.“
Bennet trat näher. Er zögerte.
„Was ist? Hast du das noch nie gemacht?“
Bennet schüttelte zaghaft den Kopf. Trotzdem begann er die Seitenschnallen des Lederwamses zu lösen, welches Zeth über seinem weißen Oberteil trug.
Er half ihm, das Lederteil über den Kopf zu streifen. Die Nähe des großen, gutaussehenden Mannes mit den pechschwarzen kurzen Haaren, dem dunklen Bart und den ebenso dunklen Augen verunsicherte ihn noch mehr. Er sah, dass seine Finger zitterten, als er ihm den schweren Waffengurt abnahm. Das Schwert, das in der ebenfalls ledernen Scheide steckte, war sehr unhandlich. Es kostete Bennet einige Mühe, es hochzunehmen und zu der dunklen Truhe zu tragen, um es auf dem Deckel abzulegen.
Zeth wirkte allerdings auch ohne Waffe bedrohlich. Er wartete geduldig – doch Bennet vermeinte, seine Anspannung zu spüren. Und er hoffte inständig, dass diese sich nicht gegen ihn entladen würde. Er hatte seinen neuen Herrn noch nicht wirklich zornig gesehen, doch da er eine rege Fantasie hatte, konnte er sich ohne Weiteres ausmalen, wie eine solche Situation aussehen würde. Und er betete, dass Zeths Zorn niemals ihm gelten würde.
Bennet fasste nach Zeths Hemd und öffnete die seitlichen Bänder, sodass er es dem Capitan über den Kopf ausziehen konnte. Einen Moment lang starrte er auf den imposanten Oberkörper, sah die lange Narbe, die quer über der rechten Brust verlief.
Als er nach der massigen Gürtelschnalle griff, die den breiten Gürtel um Zeths schmale Hüften verschloss, packte Zeth nach seinen Händen. Bennet hob den Kopf und sah seinem Herrn ins Gesicht, direkt in die schwarzen Augen, die ihn aufmerksam beobachteten.
„Bennet, du fasst mich an, als seien wir ein Liebespaar“, spottete Zeth.
Bennets Gesicht begann zu glühen. „Verzeihung.“
„Schon gut.“ Zeth ließ die Hände des Jungen wieder los. Die Situation schien ihn zu amüsieren.
Er zog sich die restlichen Kleidungsstücke selbst aus und Bennet war froh darüber. Er war für den Augenblick wie versteinert.
Zeth seufzte leise, was Bennet nicht entging.
„Leg dich schlafen, Bursche“, knurrte er. „Es war ein langer Tag für dich!“
Bennet gehorchte widerspruchslos. Tatsächlich spürte er jeden Muskel in seinem geschundenen Körper, und auch die Verletzungen setzten ihm zu. Er war so erschöpft, dass er sich am liebsten auf sein Lager, einer kleinen Pritsche in einer Ecke von Zeths Schlafkammer, gesetzt und geweint hätte. Aber selbst dazu fehlte ihm die Kraft.
Sein Schädel war wie leergefegt, er war nicht einmal hungrig, dabei hatte er vor lauter Aufregung fast nichts herunterbekommen, als Gerion ihn mit in die Küche genommen hatte.
Mit langsamen und steifen Bewegungen streifte er sich das Oberteil vom Körper und legte sich mit Hose unter die Bettdecke. Es störte ihn nicht, dass er im gleichen Zimmer schlafen sollte wie sein neuer Herr. Er war auch zu müde, um weiter darüber nachzudenken.
„Gerion wird dich morgen wecken, Bennet.“
„Ja, Herr“, murmelte Bennet leise und war auch schon eingeschlafen. Zeths Nähe versprach seltsamerweise Schutz, nur instinktiv nahm er das wahr, aber es reichte für einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen versammelte Zeth seine Männer um sich. Er hatte ihnen Zeit gelassen, ordentlich zu essen, bevor er gemeinsam mit ihnen den Plan für die heutige Nacht durchgehen wollte. Leichter Nieselregen hatte eingesetzt, und als Bennet nach oben sah, stellte er fest, dass die Wolken sie den Tag und wahrscheinlich die Nacht über begleiten würden. Das ideale Wetter, erklärte Zeth. Eine sternenklare Nacht hätte ihren Angriff erschwert.
Der Gedanke an den geplanten Einsatz der Soldaten behagte Bennet nicht besonders. Er musste sich erst einmal mit der Idee arrangieren, eine Zeit lang bei Zeth zu bleiben. An seiner Seite zu kämpfen, war noch einmal etwas ganz anderes.
Er gab sich alle Mühe, seinem neuen Herrn zur Hand zu gehen. Auch wenn er noch nicht so recht wusste, was von ihm erwartet wurde.
Er war froh, als Gerion ihm mitteilte, er solle sich die Pferdeställe ansehen, sich mit den Pferdeburschen und den Tieren vertraut machen. Von Pyk und Lak, zwei jungen Kerlen aus dem Dorf, ließ er sich das Sattelzeug zeigen, die Futterkammer, den Heuboden und die Weiden, die sich bis weit hinter die Festung erstreckten. Pyk und Lak schienen zwar nicht besonders schlau zu sein, aber sie mochten die Pferde und ihre Arbeit. Und sie waren sehr gewissenhaft. Bennet konnte darüber hinwegsehen, dass sie strenger rochen als die Tiere. Er war so beschäftigt, dass er die Mittagsmahlzeit vergaß und erst am Nachmittag wieder auf Zeth traf. Auch dieses Zusammentreffen war eher zufällig, aber Bennet war augenblicklich klar, dass er sich früher hätte zurückmelden müssen. Er stand nun in den Diensten eines Herren.
Bevor Zeth seiner Laune Ausdruck verleihen konnte, murmelte Bennet: „Entschuldigt, Herr. Ich habe die Zeit nicht im Auge behalten.“
Zeth knurrte etwas Unverständliches, und Bennet hielt für einen Augenblick den Atem an.
Er war nass und durchgefroren, seine neue Kleidung stak vor Dreck.
„Lass dir warmes Wasser geben und sieh zu, dass du neue Sachen bekommst.“
Bennet nickte, froh, Zeths unnachgiebigem Blick zunächst entkommen zu sein.
Er spürte, dass Zeth ihm nachstarrte und sputete sich.
~~~
Wie die Schatten hatten sie am Abend die Festung verlassen. Nur die Geräusche, die Pferdehufe machten, wenn sie auf durchgeweichten Boden trafen, begleiteten die Männer. Zeth hatte neben Finn und Legato nur fünf seiner Krieger zu diesem Einsatz mitgenommen. Er ging davon aus, dass sie Itron ohne weitere Schwierigkeiten gefangen nehmen konnten. Der Mann hatte einen Fehler gemacht – er hätte die Gegend um Iskaran und Darkess besser verlassen und das Weite gesucht!
Die Wege der Dörfer, durch die sie ritten, waren wie leergefegt. Das lag sicher daran, dass es immer wieder regnete, aber Zeth wusste, dass ihnen die Blicke der Dorfbewohner durch die zugeklappten Fensterläden folgten. Er spürte sie, und seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt.
Am Tage hatte er Neor, einen seiner Kundschafter, in die Wälder geschickt, damit dieser den ungefähren Standort der Banditen herausfand. Zu ihrem Glück hatte Neor sie tatsächlich aufspüren können.
Zeth ließ sie ein Stück in den Wald hineinreiten, bevor er den Befehl zum Absitzen gab. Einer seiner Soldaten sollte bei den Pferden bleiben, während Finn als Einziger nicht absaß. Er sollte sich aus der entgegengesetzten Richtung dem Lager der Banditen nähern.
Das Geräusch des Nieselregens, der auf Blätter traf, begleitete sie beständig.
Sie sprachen nicht, verständigten sich lediglich mit Gesten. Zeth wartete, bis Finn auf seinem Pferd in der Dunkelheit verschwunden war. Er versuchte, den Hufschlag des drahtigen Tieres auszumachen, aber der Waldboden schluckte die Geräusche. Gut.
Lautlos schlichen sie an das versteckte Lager heran. Es war kühl, Zeth spürte die Nässe durch seine Kleidung kriechen. Aus den Augenwinkeln sah er seine Männer, die sich ebenso leise rund um das kleine Lager verteilten, es damit einkreisten. Die dicht zusammenstehenden Bäume und Büsche gaben ihnen gute Deckung.
Die Männer, die sie aufgespürt hatten, waren vorsichtig. Sie hatten nur ein winziges Feuer entfacht, das man selbst von ihrer Position aus kaum erkennen konnte. Er hörte es leise knistern, roch den Rauch, sah einige Männer, die sich um das Feuer versammelt hatten und gedämpft miteinander sprachen. Legato berührte ihn am Oberarm und machte ihm ein Zeichen, dass seine Soldaten alle platziert waren.
Gut, das war der passende Zeitpunkt für den Überfall. Und wenn alles glatt ging, hatten sie heute Nacht noch einen der Spione in ihrer Hand!
Zeth unterdrückte ein Grinsen, die Anspannung, die seinen Körper ergriff, war besser als alles andere. Er liebte diese Einsätze – viel mehr als den offenen Kampf auf dem Schlachtfeld. Der war ihm zu blutrünstig, die Verluste zu groß. Zeth mochte Strategien und ausgeklügelte Pläne – das hatte ihm die Führung der Eliteeinheit eingebracht. Sein Vater wusste um seine strategischen Fähigkeiten. Schon als Jugendlicher hatte er seinen Vater im Doron, dem Strategiespiel der Magier und Weisen, geschlagen. Dafür hatte er die eine oder andere Ohrfeige einkassiert. Nicht etwa von seinem Vater – sondern von seinen Lehrern, die sein Verhalten skandalös fanden. Niemand besiegte den Herrscher! Nicht einmal in einem Brettspiel …