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Das Land hat sich gewandelt, so wie die Zeit. Alles hat sich verändert in Arida, nur die Festung der Flüche scheint von alledem unberührt zu bleiben. Und hier beginnt die Geschichte von Luana und Dylan: "Kinder von Emiliana und Adam" sie wurden mit magischen Fähigkeiten geboren, wie kein anderer in Arida. Sie müssen sich der dunkeln Macht von Zoria stellen, um die Existenz aller Welten zu bewahren. Komm mit auf eine Reise voller Magie und triff neue und bekannte Gesichter.
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Seitenzahl: 306
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Das Land hat sich gewandelt, so wie auch die Zeit. Alles hat sich verändert in Arida, nur die Festung der Flüche scheint von alledem unberührt. Und hier beginnt die Geschichte von Luana und Dylan, den Kindern von Emiliana und Adam. Sie wurden mit unvergleichlichen magischen Fähigkeiten geboren und sie müssen sich der dunklen Macht von Zoria stellen, um die Existenz aller Welten zu bewahren. Komm mit auf eine Reise voller Magie und begegne vielen neuen und bekannten Gesichtern…
Uwe Balzereit, 1969 in Schwerin geboren, ist Vater von 3 Kindern und wohnt in der kleinen Stadt Güstrow in Mecklenburg Vorpommern. Inspiriert durch seine eigenen Lagerfeuergeschichten in Ferien- und Jugendfilmcamps brachte er die dort erzählten Abenteuer vom „Magierbund“ nun zu Papier.
Prolog
Frieden
Begegnung
Ausbildung
Vor Gericht
Auf Reisen
Luana
Felona
Saryata
Pläne
Flucht
Ein letzter Versuch
Endlich vereint
Saltih
Bei den Zwergen
Das Treffen
Wut
Abschied
Ellion
Spuren von Magie
Die verschlafene Witwe
König Marim
Der Anschlag
Endlich frei
Bei den Elfen
Das Heer
Dunkle Zeiten
Überfall
Tod und Zerstörung
Niederlage
Der Strom versiegt
Das Versprechen
Für Stephanie
Ein leises Klopfen und Kratzen ließ Arela ein Auge aufschlagen, eher blinzeln. Vermutlich versuchte wieder einer dieser verfluchten Zwerge etwas aus ihrem Berg zu stehlen. Nur ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit genügte, dann waren sie auch schon da und nahmen mit, was auch immer sie in ihre kleinen wulstigen Finger bekamen. Allerdings wurde ihr so auch nicht langweilig im Berg.
Seit 15 Jahren lebte sie nun wieder in ihrem alten Zuhause und noch immer versuchten die Zwerge hin und wieder ein Stück Erz oder Silber zu stibitzen. Längst wusste sie, wie sie das elendige Pack aus ihrem Berg vertreiben konnte, aber sie waren wie Ungeziefer. Diesmal würde sie ihnen eine Lektion erteilen, die sie so schnell nicht wieder vergaßen.
Arela legte sich so, dass es schien, als schliefe sie tief und fest. Die Geräusche wurden lauter und nun konnte sie auch spüren, wie sich eine Person näherte. Doch etwas war anders. Es war kein Zwerg, der zu ihr in den Berg kam. Langsam öffnete sie wieder ein Auge.
Vor Arela stand ein Junge. Irgendetwas in ihr sagte, dass sie den Burschen kennen müsse. Vorsichtig trat er näher. Arela spürte keine Angst bei ihm. Was sie allerdings erstaunte, war das Maß an Magie, das von ihm ausging. Arela überlegte angestrengt, an wen oder was sie dieser Junge erinnerte. Dann! »Ja, jetzt weiß ich es! Guten Tag, junger Malkier!«.
Erschrocken wich Dylan zurück. »Die Stimme in seinem Kopf, wo kam die nur her?«, fragte er sich. Er sah den Drachen neugierig an, der sich nun aufgerichtet hatte und ihn anschaute, als untersuche er ihn. Da war nichts von der Boshaftigkeit, vor der ihn die Zwerge gewarnt hatten. Es hatte Wochen gedauert, bis sie ihm überhaupt erlaubten, den Berg zu betreten.
»Meine Mutter hat mir von dir erzählt und mein Vater hat dich einst von einem Fluch befreit.«, begann Dylan selbstbewusst. Arela musterte den Jungen. »Ja, das hat er und ich bin ihm noch immer zu Dank verpflichtet. Was erwartest du von mir? Warum bist du zu mir gekommen?«
Dylan trat näher und flüsterte dem Drachen etwas zu, nein, auch er sprach in Gedanken mit ihm...
Stille senkte sich über die Hügellandschaft. Die Luft roch nach Tod und Zerstörung. Vereinzelt vernahm man die Schreie der verletzten Soldaten.
Heiler eilten von einem zum anderen oder hielten manchmal nur noch die Hand eines einzelnen Mannes, um ihn in Frieden sterben zu lassen.
Sven schleppte sich in Richtung der Festung der Flüche. An seinem Bein klaffte eine große Schnittwunde und sein Gesicht war blutverschmiert. Von weit entfernt vernahm er eine Stimme und hielt inne. Da wieder. Er erkannte diese Stimme: Es war sein Freund Ralin, der Zwerg aus dem Eisengebirge.
Mühsam schleppte Sven sich in die Richtung aus der die Rufe kamen. Dann sah er Ralin begraben von einem riesigen Baum, der sicher während des Kampfes von einem dieser Lichtblitze getroffen worden war. Sven gab alles, was sein Körper noch an Kräften aufbringen konnte und stemmte den Stamm ein wenig zur Seite. Ralin drehte sich aus seinem Gefängnis heraus. »Danke, mein Freund, danke! Ich dachte schon, ich muss hier sterben.«
Sven stand erschöpft neben dem Zwerg und schlug ihm auf die Schultern. »Wie könnte ich dich denn hier liegen lassen, wo in der Festung noch jede Menge Bier auf uns wartet, mein Freund.«
Lachend und mit schmerzverzerrten Gesichtern hakten die beiden sich unter und schleppten sich mit vereinten Kräften zu den rettenden Mauern der Festung. Noch bevor sie die Festung erreichten, wurden sie auf einen Wagen geladen und von Heilern versorgt. Die große Halle der Weltenlinien wurde als Krankenstation umgebaut und es roch hier nach Blut und Schweiß. Unentwegt klagten Stimmen über Schmerzen oder stöhnten nur laut vor sich her. Einige blickten nur noch starr ohne Ziel mit offenen Augen. Für sie kam jede Hilfe zu spät.
Aufgeregt schritt Kenlad durch die Reihen der Verletzten und Toten. Nirgends war Adam zu finden. Dann musste er doch noch irgendwo dort draußen sein. Olidir schickte Suchtrupps, die die Hügel um die Zelte der Magier nochmals absuchen sollten.
Nur Emiliana wusste, was geschehen war. Sie hatte gespürt, dass etwas sich von ihr losriss. Ein Teil von ihr spürte seinen Schmerz, als die Klinge in Adams Brust gestoßen wurde, und verschwand. Ihren eigenen Schrei hörte sie schon nicht mehr, als sie zusammensank. Sie war sicher: Ihr Liebster war tot. Jemand führte sie zurück in ihr Zimmer und legte sie behutsam auf das Bett. Die füllige Heilerin, die sich seit ihrer Ankunft in der Festung um sie gekümmert hatte, hielt ihr einen Trank an die Lippen. »Trinkt das, Mädchen, es wird Euch beiden helfen. Ihr müsst jetzt tapfer sein! Alles wird gut. Trinkt!« Emiliana schmeckte etwas Bitteres und augenblicklich wurde alles um sie herum dunkel. Sie versank in einen tiefen Schlaf.
Emiliana fand sich in dem Garten wieder, in dem sie mit Adam und Mandara geübt hatte. Heute sah hier alles anders aus. Die Blätter der Bäume waren welk und nicht eine Blüte war mehr zu erkennen. Ja, selbst das Gras war an vielen Stellen verdorrt und braun. Kein Vogel flog oder sang in den Zweigen, auch die wunderschönen Schmetterlinge waren fort. Alles hier sah krank aus. Der Ort, der einst so schön gewesen war, schien zu sterben.
Langsam und unsicher ging Emiliana auf die Hütte zu. Vor dem Haus bemerkte sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Unweit der Hütte saß eine Frau. Offenbar bemerkte sie Emiliana nicht, saß dort wie erstarrt. Von der Frau ging etwas Kaltes, Böses aus. Emiliana fröstelte, während sie die Frau beobachtete.
Dann begriff sie, was dort passierte. Sie hatte so etwas schon einmal gesehen, damals, als Marget dunkle Magie wob. Ganz genauso sah es hier aus. Alles Leben wurde aus dem gesaugt, was das Dunkel berührte. Emiliana konnte die Menge an magischer Energie, die die Frau aufnahm, förmlich sehen. Es war, als wabere eine Aura um sie.
Eine einzelne Magierin schaffte es, dass eine ganze Welt starb? Emiliana bekam es nun mit der Angst zu tun. Panisch lief sie zurück durch die Tür, die ja hier irgendwo sein musste. Es war immer eine Tür dagewesen! Doch jetzt war hier alles anders.
Die dunkle Magierin bemerkte nun auch Emiliana und plötzlich vernahm sie eine Stimme in ihrem Kopf. »Du bist nun in meiner Gewalt, Kind! Wehre dich nicht… Mandara hatte ein wirklich lauschiges Plätzchen hier. Ich konnte es nicht lassen, noch einmal hierher zurück zu kommen. Soviel Macht schlummert an diesem Ort, so viel Energie! Ich dachte, die alte Elfe wird sie nicht mehr brauchen, also habe ich mich daran genährt, wie du siehst.«
Zoria kam scheinbar schwebend näher. Fieberhaft suchte Emiliana nach einem Tor, einer Tür oder irgendetwas, was nach einem Ausgang aussah. Sie rannte wild drauf los, spürte kaum, wie die Zweige und Dornen ihr Schlafkleid und die Haut darunter zerrissen. Sie wollte nur fliehen, weg von diesem unsagbar traurigen Ort.
»Du kannst mir nicht entkommen. Hier bin ich mächtiger als irgendwo sonst. Mach es dir doch nicht so schwer und nimm dir ein Beispiel an deinem Liebsten. Der hat ganz still gehalten, als ich ihn getötet habe!«
Emiliana gefror das Blut in den Adern, als sie diese Worte hörte. Langsam öffnete sie die Faust, die sie fast schon krampfartig geschlossen hatte, und ein roter Stein blinkte auf. Arelas Drachenstein schimmerte in ihrer Hand.
So, wie sie es mit Adam geübt hatte, sog sie die Kraft aus dem Stein, formte ein kompliziertes Gewebe aus Licht und Feuer, warf es auf Zoria und schleuderte sie mehrere Meter weit durch die Luft.
»Du willst kämpfen, kleines Elfenmädchen?«, frohlockte Zoria und stand sogleich direkt vor ihr. Aus ihren Händen floss ein gelber Lichtstrahl, der Emiliana erfasste. Instinktiv griff diese zu, riss Zoria ihren Edelstein aus den Händen und wob in allerletzter Sekunde ein Schild, um sich zu schützen. Sie konnte nur noch erkennen, wie alles um sie herum durch eine Feuerbrunst zu Asche zerfiel, und lief, so schnell ihre Beine sie tragen konnten. Wieder lief sie nur im Kreis, dabei musste sie doch einen Ausweg finden!
Zoria schrie ihr hinterher: »Ich mache dir einen Vorschlag, Elfenmädchen. Du gibst mir den Weltenschlüssel und ich lasse dich dafür in deine Welt zurück. Wie klingt das?«
Emiliana erinnerte sich an den Spruch in der kleinen Holzschatulle, in der sie einst einen Schlüssel gefunden hatte:
VERBORGEN IN DEN BURGEN
LIEGT DER ZUGANG ZU DEN LINIEN.
DER WELTEN RIEGEL KANNST DU ÖFFNEN.
VERWEILE NICHT ZU LANGE,
DIE ZEIT WIRD DANN DEIN FEIND.
Zoria durfte diesen Schlüssel auf keinen Fall in die Hände bekommen! Sie griff sich an den Hals, wo die Kette mit dem kleinen Schlüssel als Anhänger hing. Versehentlich berührte sie ihn mit dem Drachenstein und er sendet ein weißes Licht aus. Vor ihr öffnete sich ein Portal. Schnell schlüpfte sie hindurch und hörte nur noch Zorias wütendes Geschrei.
Als sie die Augen aufschlug, lag sie wieder in ihrem Bett. Nun spürte sie die zahlreichen Verletzungen, die sie bei ihrer Flucht davongetragen hatte. Sie musste sich ab sofort besser schützen, wenn sie in den Träumen wandeln und nochmals den Schlüssel benutzen wollte. Nur wie? Vielleicht konnte ihr Olidir morgen dabei helfen. Erschöpft und traurig schlief sie ein.
Noch spät in der Nacht rief Olidir den Rat zusammen. Still gedachten sie der vielen Opfern der Schlacht.
Niemals in der Geschichte von Arida hatten alle Völker gemeinsam gegen das Böse gekämpft. Trotz der Hilfe der Magier und vornehmlich der Leistungen Adams, waren tausende Kämpfer gestorben. So etwas, wie es hier passiert war, durfte es nie wieder geben.
Olidir schlug vor, in jedes Reich, an jeden Thron einen Magier zu entsenden, der alles Tun beobachten sollte. Nur so könne im Falle, dass irgendjemand sich an dunkler Magie versuchte oder sich auch nur um das Wissen darum bemühte, sofort eingegriffen werden.
Vorschläge gab es viele, aber da auch viele eigene Interessen innerhalb des Rates zu berücksichtigen waren, war es nicht ganz einfach, sich zu einigen. So wurde dann im ersten Morgengrauen ein Plan aufgestellt, der folgende Punkte enthielt:
Das Bestreben nach dunkler Magie ist untersagt.
Das Weben von dunkler Magie ist untersagt.
Jeder Magier muss einen Eid ablegen, um zu versichern, dass er niemals dunkle Magie benützt.
Jedes Königreich und jeder Thron bekommt einen Magier zur Seite gestellt.
Einmal im Jahr wird jeder Bürger, egal ob Mann, Frau oder Kind, auf magischen Fähigkeiten geprüft. Ganz gleich, wie gering die Kräfte auch sein mögen, müssen sie gemeldet werden.
Jeder, bei dem Magie festgestellt wurde, kommt in die Festung der Flüche und wird hier einer Behandlung bzw. einer Ausbildung unterzogen, um der Welt Arida zu dienen.
Jedem Magier ist es verboten, einen Thron zu besteigen.
Für einen riesigen Tumult sorgte der Vorschlag, alle zehn Jahre einen neuen Rat und Herren der Festung der Flüche zu wählen. Aber auch über diesen 8. Punkt konnte der Rat sich dann doch einigen. 9. und 10. waren dann nur noch wirtschaftlicher Natur.
Auf diese Weise bekam die Festung der Flüche, in der sich so lange Zeit nichts verändert hatte, ein ganz neues Gesicht.
Ein zusätzlicher und ganz außerordentlicher Punkt war, dass Emiliana in der Festung verbleiben und mit in den Rat aufgenommen werden sollte. Das brachte das Fass zu Überlaufen. Eine Frau, noch dazu eine Elfe im Rat der Magier! So etwas hatte es noch nie gegeben!
Olidir wartete geduldig, bis sich der Tumult gelegt hatte. »Ehrenwerte Ratsmitglieder, die Zeiten ändern sich. Seit Generationen schon sind wir völlig festgefahren in unserer Denkweise und unserem Handeln, so sehr, dass es uns fast die ganze Welt gekostet hätte. Emiliana hat Fähigkeiten, von denen wir nur zu träumen wagen. Allein durch ihre Verbindung zu Adam und Mandara ist sie mächtiger in den Dingen der Magie als jeder andere hier. Nicht auszudenken, welch Kräfte wohl das ungeborene Kind entwickelt.«
Nachdenklich verstummte ein Magier nach dem anderen und somit wurde auch dieser Vorschlag angenommen und beschlossen.
Schnell leerte sich nun der Ratssaal und auch Olidir begab sich erschöpft in sein Arbeitszimmer, um einige wichtige Papiere für den nächsten Tag zu ordnen. So vieles war noch zu tun und eine Totenfeier für die in der Schlacht gefallenen Kämpfer musste organisiert werden.
Der nächste Tag begann grau und verregnet und er passte damit zu der niedergedrückten Stimmung, die jeden hier in der Festung erfasst hatte. Kaum ein lautes Wort wurde gesprochen. Niemand lachte oder machte einen Spaß, denn alle wussten, was der Welt Arida in den letzten Tagen angetan wurde. Man musste nur einen Blick über die Mauern der Festung werfen und sah Heerscharen von Krähen auf der Suche nach Fressbarem. Das viele vergossene Blut lockte noch immer allerlei Getier an.
Trotz der kurzen Nacht war Olidir schon sehr früh auf den Beinen und eilte durch die Gänge zu Emiliana. Seine Aufgabe war es jetzt, sich um diese Frau zu kümmern. Irgendetwas sagte ihm, dass genau sie der Schlüssel sein würde, um das Fortbestehen der Festung maßgebend zu beeinflussen.
Die Heilerin Ithra war bereits im Zimmer als er eintraf. In sich versunken saß Emiliana auf ihrem Bett und starrte vor sich ins Leere. Alles an ihr strahlte tiefe Traurigkeit aus und es schien, als nehme sie niemanden um sich her wahr.
Ithra zog Olidir am Arm wieder vor die Tür. »In diesem Zustand habe ich sie heute Morgen vorgefunden. Ich vermute, es liegt an dem schmerzhaften Verlust des jungen Magiers. Merkwürdig allerdings erscheinen mir die vielen Verletzungen, die sie am ganzen Körper hat. Ich könnte schwören, dass sie, als sie gestern zu Bett ging, unversehrt war. Ich hatte sie ja noch einmal untersucht. Irgendetwas geht hier vor.«
Olidir überlegte einen Moment und ging dann wieder in das Zimmer zu Emiliana zurück. Nichts hatte sich verändert, noch immer starrte sie vor sich her. Er setzte sich zu ihr an das Bett und schaute sie an. »Dein Verlust ist unbeschreiblich, ich fühle mit dir, mein Kind.«, flüsterte er traurig. Dabei strich er ihr liebevoll durch das Haar.
Nun blickte sie ihn direkt an mit ihren vom vielen Weinen geröteten Augen und nahm seine Hand in die ihre. Er zog sie in seine Arme, wo sie wieder leise schluchzte und ihn fester an sich drückte. Olidir konnte den Schmerz spüren, der so unsagbar tief in Emiliana festsaß.
Er ließ sie gewähren, bis sie sich nach einer Weile von allein löste und ihn wieder anschaute. »Ich muss Euch etwas berichten, Olidir. Es gibt etwas, das Ihr wissen müsst.« Erstaunt schaute Olidir sie an. »Kind, doch nicht jetzt. Ihr trauert tief und braucht Ruhe für Euer Kind.«
»Nein, hört mir zu! Seht her!« Emiliana zog den kleinen Schlüssel hervor. Für einen kurzen Augenblick hielt Olidir den Atem an. »Woher…?« Ohne zu antworten zog sie auch noch den Rubin hervor, den sie Zoria abgenommen hatte.
»Ich verstehe nicht, Kind. Woher habt Ihr die Sachen? Und erklärt mir doch bitte auch, woher all die Verletzungen stammen, die Ihr tragt.«
»Das versuche ich gerade… Letzte Nacht im Traum befand ich mich an Mandaras geheimen Rückzugsort Sandria und traf dort auf Zoria, die dunkle Magierin, die verantwortlich ist für Adams Tod. Ich konnte im letzten Moment fliehen und hab ihr dabei diesen Rubin abgenommen.«
Der Rubin war sehr groß und in ihm schlummerte sicher eine unglaubliche Menge an magischer Energie. Den Schlüssel kannte Olidir von verschiedenen Abbildungen aus den Büchern der Bibliothek in der Festung. Selbst berührt hatte er noch nie einen. Ehrfürchtig betrachtete er ihn und legte dann die beiden Sachen vorsichtig wieder in Emilianas Hände.
»Vergangene Nacht hat der Rat eine Sitzung abgehalten und Euch als sein Mitglied berufen.«
Erstaunt hob Emiliana den Kopf. »Ich im Rat? Aber was habt Ihr Euch denn gedacht? Was soll ich im Rat der Festung? Wie soll ich Euch denn dort zunutze sein? Das macht Adam doch auch nicht wieder lebendig! Bitte geht jetzt!“
Emiliana ging zu dem kleinen Fenster, starrte hinaus und beachtete Olidir nicht weiter. Weitere Tränen liefen ihr über das Gesicht und sie achtete nicht darauf.
Olidir öffnete den Mund, aber Ithra signalisierte ihm mit einem Kopfschütteln, dass es wohl wirklich besser war, wenn er jetzt ging. Es machte heute keinen Sinn mehr, mit Emiliana zu reden. Leise schloss Olidir also die Tür und eilte dann zur großen Halle der Weltenlinien, um nach den Verletzten zu sehen.
In der Halle herrschte reges Treiben. Noch immer waren einige der Verletzten nicht versorgt, die Heiler arbeiteten unentwegt, vielen stand die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben.
Völlig außer Atem stand plötzlich Tamiyr vor Olidir. »Meister! Ihr müsst schnell in den Ratssaal kommen. So kommt doch! Der junge Magier wurde gefunden.« Kaum den letzten Satz beendet machte der Junge auch schon wieder kehrt und lief vor in Richtung des Ratssaals. Olidir verließ den Raum in eine andere Richtung, öffnete ein Paneel im Gang und verschwand ungesehen hindurch. Nach nur wenigen Schritten im Dunkeln erreichte er die kleine Tür, die ihm den Zugang zum Ratssaal ermöglichte. Er trat ein. Die meisten Stühle waren leer und der Raum auch nicht so hell erleuchtet wie sonst.
Hier unten, wo sein Pult stand, lag nun aufgebahrt auf dem Kartentisch der Leichnam von Adam.
Olidir machte einen Schritt auf den Tisch zu, als Tamiyr plötzlich angelaufen kam und Olidir erstaunt ansah. Wie konnte es sein, dass der alte Mann schon wieder schneller hier war als er selbst? Das machte er jedes Mal mit ihm. Man sah dem Jungen an, wie angestrengt er des Rätsels Lösung suchte, aber Olidir beachtete ihn nicht weiter und untersuchte Adams Leiche.
Die lange schwarze Klinge steckte noch immer tief in seinem Körper. Der Griff des Kurzschwertes lag neben ihm auf dem Tisch. Er musste abgebrochen sein, als er darauf fiel.
Olidir kannte diese Art von Schwertern. Die rabenschwarze Klinge war absolut todbringend. Solche Arbeiten kamen aus der Welt Myron, einer Welt voller düsterer Gestalten, Monstern und anderem dunklen Gezücht.
Jedes Jahr wurde ein neuer Bann auf die Weltenlinien von Myron gelegt, aber immer wieder schafften es einige der dunklen Geschöpfe, in die Welt von Arida einzudringen. Der Rat musste endlich einen Weg finden, sie für immer voneinander abzutrennen, ansonsten würde das Böse niemals aufhören, nach der Macht aller Welten zu streben.
Olidir befahl, den Leichnam herzurichten und in einem gesonderten Raum aufzubahren, damit alle Abschied nehmen konnten. Das Schwert Trunan und den Stab der Elfen nahm er an sich.
Sven und Kenlad boten an, ihrem Freund das letzte Geleit zu geben und die beiden Zwerge schlossen sich ihnen an. Schweigen und in würdiger Andacht mit gesenkten Häuptern standen die Männer nun vor Adam.
Olidir verneigte sich ein letztes Mal vor ihm und verließ den Ratssaal.
Tiefe Stille senkte sich über den kleinen Hügel vor der Festung. Leise vernahm man nur das Flattern der Wimpel und Banner im Wind, obwohl Hunderte von Menschen, Zwergen, Elfen und Magiern hier versammelt standen, vornean Emiliana und ihre Gefährten. Das kurze Brüllen eines Drachen ertönte in der Ferne.
Emiliana hörte die Worte nicht, die zu Ehren Adams verlesen wurden. Sie spürte nur, wie die tiefe Trauer sich ähnlich einem dunklen schweren Stein auf ihre Seele senkte. Alles in ihr widersetzte sich gegen die offensichtliche Wahrheit und sie wollte einfach nicht einsehen, dass sie ihren Liebsten für immer verloren hatte. An ihr zogen all die Bilder vorbei: all die Abenteuer, all die zärtlichen Worte, all die lieben Gesten und all die Nächte, die sie miteinander verbracht hatten. Alles erschien ihr so lebendig, umso mehr verstärkt durch die Bewegungen ihres Kindes in ihrem Bauch.
Nein! Adam würde immer in ihrem Herzen wohnen und eines Tages würden sie wieder vereint sein, für immer!
Mit stolz erhobenem Haupt verließ sie neben den anderen langsam dem Platz. Leichter Regen wusch all die Spuren der Trauernden rund um das Grab fort und ließ den Stein des Grabmahles wie Glas erscheinen.
Wochen waren nun vergangen seit Adam beigesetzt wurde. Aus allen Winkeln der Welt Arida waren Könige und Abgesandte gekommen, um Adam die letzte Ehre zu erweisen. Eine Nachbildung von Trunan und den Dangan mahnte an die Dinge, die hier geschehen waren.
Emiliana hatte sich in ihrer Trauer etwas gefangen und verbrachte viel Zeit damit, mehr über die Festung der Flüche sowie über die Aufgaben des Rates zu erfahren. Der Tag der Geburt ihres Kindes war nun nicht mehr weit. Ithra schimpfte schon regelmäßig darüber, dass es nicht gut für das ungeborene Kind sei, wenn die werdende Mutter sich dermaßen in die Arbeit stürzte. Sie und Emiliana verbrachten jetzt nahezu jeden Tag miteinander und sie wachte über alles, seitdem Emiliana hier in der Festung angekommen war. Oft schon übernahm Ihtra die Rolle einer Mutter und auch die einer Freundin.
Nach und nach wurden die neuen Beschlüsse in der Festung umgesetzt und die einzelnen Reiche hatten nun jeweils einen Magier an ihrer Seite. Olidir wurde erneut als Ältester des Rates und Oberhaupt der Festung der Flüche gewählt, wenn auch die leisen Stimmen der ewigen Nörgler ihren Unmut darüber bedeuteten. Vieles stand im Wandel und Veränderungen machten eben auch Angst.
Sven war jetzt Hauptmann der Garde in der Festung. Die neue Uniform stand ihm gut. Stolz trat er bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit Emiliana gegenüber und zwinkerte ihr zu wie am ersten Tag, als sie sich kennenlernten. Er wusste, es tat ihr gut, wenn er sie aufmunterte.
Aber auch sein Elfenfreund Kenlad und die beiden Zwerge Ralin und Brogar waren als Abgesandte der Reiche in der Festung geblieben und übernahmen nun hier die Ausbildung von jungen Magier und Magierinnen im Kampf, denn ein steter Strom von Ankömmlingen mit magischen Kräften füllte jetzt die zuvor leeren Kammern in der Burg. Schon kurz nach Bekanntgabe des Beschlusses, alle zu prüfen und auszubilden, kamen die ersten in die Festung. Je nach Alter und Fähigkeit wurden verschiedene Unterrichtsstufen gebildet.
Viele der Kinder hatten in ihrem Leben noch nie ein Buch gesehen oder gar in der Hand gehalten und wenn es die Zeit erlaubte, dann war auch Emiliana zur Stelle. Sie lehrte ihnen geduldig neben den Grundlagen in Lesen und Schreiben einige Zauber zu weben. Somit nahmen Olidirs Pläne schneller als geplant Gestalt an.
Aber es gab auch andere Stimmen. Viele der alten Magier fühlten sich gestört in ihrer Ruhe und sahen ihre Studien gefährdet. Doch Olidir gab nicht viel auf diese Meinungen. Der Rat hatte es beschlossen und so wurde es getan.
Erst jetzt stellte Olidir erschrocken fest, wie sehr die Festung es in den vergangenen Jahren vergessen hatte, sich um den Nachwuchs zu sorgen und sich um all die Seelen zu kümmern, die niemals richtig gelernt hatten mit der Magie umzugehen.
Er beugte sich gerade tief über seine Papiere an seinem alten Schreibtisch, als er plötzlich erstaunt aufblickte. Er spürte, wie alle um ihn herum und sogar der Boden zu beben begann, erst nur ganz sachte, dann immer heftiger. Über die Wand ihm gegenüber zog sich blitzschnell mit einem lauten Knacken ein großer Riss bis in den Fußboden und kleine Steinbrocken lösten sich im selben Augenblick aus der Decke. Erschrocken sprang Olidir auf. Was ging hier vor? Das Beben wurde immer stärker und er hatte den Eindruck, als würde die gesamte Festung unter seinen Füßen schwanken. Panisch lief er zum Fenster und dort musste er feststellen, dass ausschließlich die Burg in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Alles außerhalb lag still wie eh und je vor ihm.
Etwas Großes ging hier vor sich. »Nur was kann das sein?«, fragte Olidir leise bei sich, als die Zimmertür aufflog und Tamiyr in der Öffnung keuchend nach Luft rang. »Meister! Meister, Ihr müsst kommen! Das Kind wird geboren! Schnell!« Wie von Sinnen stürmte der Junge auch schon wieder los.
Es war fast unmöglich, durch die Gänge zu laufen ohne sich festzuhalten. Überall fiel der Putz von den Wänden, hier und da versperrten die großen Kandelaber den Weg, die sonst in den Nischen standen, um die Gänge zu beleuchten. Sogar einer der Wandteppiche hatte dadurch bereits Feuer gefangen und aufgeregt versuchten die Bediensteten, den Brand schnell zu löschen.
Die ganze Festung war in heller Aufregung. Olidir vermied es, die geheimen Gänge zu nutzen, denn die Gefahr, sich zu verletzen, war jetzt groß.
Ithra fing ihn vor Emilianas Zimmer ab und wies ihn an, zu warten. Wenig später eilte eine Frau mit zwei Dienern, die einen großen hölzernen Stuhl trugen und eine Elfe, die Olidir als Heilerin kannte, herbei und betraten den Raum. Die Stuhlfrau, wie man sie nannte, wurde von der Hebamme angewiesen, Wasser und Tücher zu holen. Olidir wusste um die möglichen Gefahren, die bei einer Geburt auftreten konnten.
Der lange Flur war hier ziemlich karg ausgestattet: Einige Kandelaber, wenige Teppiche und Bilder hingen an den Wänden. Unweit der Zimmertür entdeckte er eine alte Holzbank. Gerade als Olidir sich setzte, kamen Sven, Kenlad und die Zwerge angelaufen. »Sagt! Was ist es? Wir hörten, dass das Kind kommt. Ratsherr! So redet doch!«, drängte Sven nervös.
»Beruhigt Euch, Hauptmann! Ich bin auch gerade erst gekommen und weiß selbst noch nichts Genaues. Ithra wird uns sicher gleich benachrichtigen!«
Nervös nestelte Sven an seinem Gürtel und zog eine kleine Flasche aus der Tasche, die er unverzüglich herumreichte. Kaum dass er die Flasche wieder weggesteckt hatte, ertönte erst ein leises Wimmern gefolgt von dem energischen Schreien eines Babys. Ithra steckte den Kopf durch die Tür und winkte Olidir zu sich. Alle sprangen zeitgleich auf und folgten dem Ältesten.
»Ein Junge ist es!« Wieder wurden die Stimmen im Zimmer laut und erneut schloss Ithra ruckartig die Tür. Olidir machte sich Sorgen. Es wird doch Emiliana nichts passiert sein?
Nach langen Minuten des Wartens und Bangens trat Ithra dann endlich mit zwei Bündeln im Arm aus dem Zimmer. Olidir hielt den Atem an. »Völlig unerwartet kam noch ein weiteres Kind, ein wunderschönes Mädchen! Und das Beste ist: Alle sind wohlauf. So nun geht, verbreitet die Nachricht!«
Bereits wenige Tage nach der Geburt durfte dann jeder der jungen Mutter gratulieren und die neuen Mitbewohner der Festung bestaunen.
Dylan war ein wirklich schöner Junge mit fast weißem Haar und leuchtend grünen Augen. Er trug die weichen Züge seiner Mutter.
Mit ihren kleinen wie ein Bergsee strahlendblauen Augen und den markanten Wangenknochen ihres Vaters lächelte auch Luana die Leute an, die in ihr Körbchen schauten und sie und ihren Bruder mit den besten Wünschen für das Leben überhäuften.
Zehn Jahre gingen ins Land. Unterdes tat sich sehr vieles in Arida. Ein Großteil der zerstörten Städte und Dörfer waren inzwischen wieder aufgebaut oder an anderer Stelle neu errichtet. Selbst dort direkt vor der Festung der Flüche, wo einst die große Schlacht tobte, siedelten sich die Menschen in den Hügeln an.
Endlich war Frieden eingekehrt. Jedes Jahr gedachte man dem Tag, der so viele Opfer nebst dem jungen Magier Adam gefordert hatte. Auch aber wurde dieser Tag als Sieg für alle Völker gefeiert und somit tanzte und lachte man bis spät in die Nacht hinein.
Neugierig steckte Dylan seinen kleinen Kopf durch die Balustrade des Balkons, durch den er das Fest beobachtete. Er wäre auch gerne dabei gewesen aber Mutter hatte es verboten. Er sei zu klein. Pah! Er war nicht mehr klein! Er konnte schon kämpfen, das hatte er bewiesen. Mit dem Holzschwert auf dem Vorplatz hatte er den alten Sven besiegt. Naja, wenigstens fast besiegt. Aber er hatte ihn getroffen. Er konnte kämpfen!
Leise drehte er sich zu Luana um, die scheinbar tief und fest schlief.
Ithra saß auf ihrem großen Holzstuhl, wie sie es immer tat und schlief ebenfalls, was ihm ihr leises Schnarchen verriet. Mit leisen Sohlen schlich Dylan aus dem Zimmer.
Niemand war auf dem Gang zu sehen. Einige Kerzen brannten auf den Kandelabern und erhellten sanft den langen Flur. Er wünschte sich, er wäre unsichtbar. Er sprang aus einer Nische in die nächste und versuchte, sich so gut wie irgend möglich vor eventuell hersehenden Blicken zu verstecken.
Gerade in dem Augenblick, als er aus einer der Nischen sprang, traten zwei Magierlehrlinge um die Ecke und hielten direkt auf ihn zu. Sie redeten aufgeregt über eine Katerin, wie schön sie doch sei und ob sie sich heute würde küssen lassen. »Bäh nee, Mädchen küssen… Die Jungs mussten spinnen!«, dachte sich Dylan, während er auch schon leise zur Seite sprang.
Die Jungs schlurften an ihm vorbei ohne ihn bemerkt zu haben! Erstaunt sah Dylan an sich herab. Nein, da war alles so wie immer, er war noch da. Aber waren die denn blind? Sie hätten ihn doch sehen müssen!
Jetzt rannte er so schnell er konnte den Flur entlang und prallte fast auf den Elfen Kenlad, der lautstark mit Sven und den beiden Zwergen diskutierte. Aber auch hier bemerkte ihn niemand.
Dann endlich hatte Dylan die große Treppe erreicht, die hinunter zur Halle der Linien führte. Laute Musik und das Stimmengewirr unzähliger Menschen strömten ihm entgegen. Als er die erste Stufe nehmen wollte, nahm Olidir ihn bei der Hand. »Na, mein junger Magier, wo wollen wir denn hin? Solltest du nicht auf deinem Zimmer sein?«
Schüchtern schaute Dylan den Ratsherren an. »Ich, ich wollte doch nur... «, nervös trat er von einem Fuß auf den anderen.
»Wenn du mir verrätst, wer dich diesen Zauber gelehrt hat, dann habe ich dich für einen Moment nicht bemerkt.« Olidir zwinkerte dem Jungen verschwörerisch zu. Sofort huschte ein Lächeln über das kleine Gesicht. »Niemand hat mir das gezeigt. Ich wollte es einfach und dann sah mich auf einmal keiner mehr. Es ist ein toller Trick!«
Olidir spürte längst, welche immense Macht den Jungen durchströmte. Niemand, den er innerhalb und auch außerhalb der Festung kannte, trug vergleichbar viel Magie in sich.
»Komm morgen gleich nach dem Aufstehen in mein Arbeitszimmer, hörst du?!«. Damit ließ er den Jungen die Stufen hinab laufen und sah ihn in der Menge verschwinden. Sobald er aber die Augen schloss, konnte er ihn schwebend wie einen Funken in der Nachtluft wahrnehmen. Olidir war sich sicher, dass aus diesem Jungen etwas Besonderes werden würde.
Zaghaft klopfte es an der Tür zu Olidirs Arbeitszimmer. Er hielt kurz inne. »Komm rein, mein Junge!«
Mit gesenktem Kopf trat Dylan durch die Tür. Hinter ihm stand Emiliana mit ernster Miene.
Mit einem kurzen Nicken wies der Ratsherr ihnen beiden Platz zu nehmen. Emiliana aber blieb stehen und er ahnte, dass dieses Gespräch dann wohl eher unangenehm werden würde.
»Ja, ja, ich weiß, ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen, aber ich gab ihm mein Wort und das halte ich. «, begann Olidir, sich zu verteidigen. »Aber schaut her!«
Er stand auf, ging zu Dylan und hockte sich zu ihm herunter. »Junge, zeig uns doch einmal beiden, was genau du gestern getan hast, um unbehelligt auf das Fest zu gelangen. Trau dich!«
Emiliana spürte jetzt deutlich, dass Magie gewoben wurde, aber sie war so anders, so gewaltig. Plötzlich verschwand Dylan vor ihren Augen! Kurz hielt Emiliana erschrocken den Atem an. Ihr Junge war noch keine zehn Jahre und konnte schon derart mächtige Magie weben? Sie blickte in die Stränge, die Dylan wob und fester um sich band. Emiliana schaffte es kaum, die vielen Linien der Magie zu durchbrechen. Immer und immer wieder verschloss sich Dylan vor ihren Augen. So etwas hatte sie noch nie gesehen und vor allem, so wurde ihr bewusst, hatte sie keine Möglichkeiten, dagegen anzukommen, denn das, was der Junge hier wob, war anders als das, was sie jemals gelernt hatte.
Dylan ließ ab von seinem Zauber und war kurz darauf wieder ganz zu sehen. Er schien in keinster Weise erschöpft zu sein. Das war doch nicht möglich, schon gar nicht für ein Kind!
Emiliana wusste längst, dass ihr Junge Magie weben konnte, denn als Mutter spürte man das sofort. Aber mit einer solchen mühelosen Intensität hatte sie niemals gerechnet. Nicht auszudenken, was geschah, wenn er weiter völlig unkontrolliert übte und sich vielleicht selbst oder gar andere damit verletzte!
»Emiliana, Ihr müsst ihn in die Ausbildung geben!«, beschwor Olidir sie nun.
Dylan stand dicht bei ihr und schaute sie nur mit seinen grünen Augen an. Er wusste, sie konnte ihm nichts abschlagen, wenn er sie so anschaute. Dylan war sehr klug.
Olidir ließ seinen besten Lehrer rufen und bereits wenig später stand dieser im Arbeitszimmer. Er begutachtete Dylan. »Was soll ich mit ihm anfangen? Er ist viel zu jung! Besser, Ihr fragt mich nochmal in drei oder fünf Jahren!«
Der Ratsherr redete auf den Lehrer ein. »Mandavar! Ja, er ist jung, sehr jung sogar.
Aber so prüft ihn doch erst und entscheidet nicht vorschnell!«
Der Lehrer trat direkt vor den Jungen und fesselte ihn mit Seilen aus Magie. Überrascht von dem plötzlichen Angriff schaute dieser ängstlich zwischen seiner Mutter und Olidir hin und her. Als er aber begriff, dass er keine Hilfe von ihnen zu erwarten hatte, versuchte er sich gegen sie Seile, die ihm die Luft nahmen, zu wehren.
Instinktiv spürte Dylan, dass er keine Möglichkeit hatte, diesen Griffen zu entkommen. Also ließ er es geschehen und nahm die Fesseln an. Er akzeptierte sie und stellte sich vor, dass es die Decke wäre, mit der seine Mutter ihn zärtlich zudeckte, wenn er krank war.
Der Druck fiel augenblicklich von ihm ab. Er schlug die Augen auf. Um sich herum sah er die Decke, an der er gerade gedacht hatte. Dann bildete er das Gewebe nach, das Mandavar benutzt hatte, um ihn zu fesseln und sofort schossen Seile wie Stahl auf den Lehrer zu. Mit einem Ruck verlor Mandavar den Boden unter seinen Füßen, schwebte an der Decke des Arbeitszimmers und konnte sich keinen Millimeter mehr rühren.
»Dylan! Lass ihn hinunter! Schluss jetzt! Aufhören!« Erst jetzt hörte der Junge die Rufe seiner Mutter. Langsam ließ er den Lehrer herab und löste den Zauber. Ein blutiges Rinnsal lief von Mandavars Stirn und Lippe und zitterte am ganzen Leib. Mit fast kaum hörbarer Stimme krächzte er »Ich gehe lieber zu den Zwergen in den Berg Erz schürfen, als diesen Jungen auszubilden! Diese Art der Magie gibt es nicht! Verschont mich mit dieser Aufgabe!« Nach diesen Worten lief er aus dem Zimmer und schlug die Tür mit einem Donnern hinter sich zu.
»Dylan, du gehst jetzt bitte auf dein Zimmer und wartest dort, bis ich dich rufen lasse!« Olidir schaute den Jungen eindringlich an. Dieser blickte kurz zu seiner Mutter und ging dann ebenfalls aus dem Zimmer. Als die Tür sich diesmal leise schloss, bedeutete Olidir Emiliana, Platz zu nehmen. Er goss ihnen beiden einen Becher Wein ein.
»Emiliana, wir werden Dylan weiter prüfen müssen. Offenbar schlummert eine Macht in ihm, die Arida noch nicht gesehen hat. Auch gilt das natürlich für Luana.«
Stumm zu Boden blickend nickte Emiliana nur langsam, als sei sie in Gedanken ganz woanders.
»Hört Ihr? Es ist wichtig!« Olidir reichte ihr den Becher und nun schaute sie ihm entschlossen ins Gesicht. »Ja, Ihr habt recht, Adam hätte es auch gewollt. Ich lasse Luana rufen. Dann werden wir sehen.«
Einen kurzen Augenblick später klopfte es wieder zaghaft an der Tür. Nachdem Olidir mit lauter Stimme zum Eintreten aufgefordert, erschien ein zartes schlankes Mädchen. Ihre blauen Augen strahlten ihn freundlich an, während sie mit einer Hand ihre langen schwarzen Locken, die ihr in das Gesicht gerutscht waren, aus den Augen wischte.
»Komm näher, Kind. Hab keine Angst. Setz dich!«
Luana nahm schüchtern Platz und schaute zu ihrer Mutter. Die legte dem Mädchen nun ein Buch in den Schoß, ein scheinbar sehr altes Buch. Auf dem Einband prangte ein großes Siegel und obwohl es etwas verblasst war, konnte man die Details gut erkennen. So klein das Buch auch war, es wog schwer auf den Knien des Mädchens.
»Luana! Öffne es und lies uns vor!«, forderte Emiliana sie auf. Zögernd schlug Luana das Buch auf. Sie spürte sehr wohl, dass irgendetwas vor sich ging, aber sie konnte nicht erahnen, was geschehen würde.