Mahabharata - Juwel der Poeten - Srikanta Sena - E-Book

Mahabharata - Juwel der Poeten E-Book

Srikanta Sena

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Beschreibung

Dieses Buch ist eine dreiteilige Zusammenfassung des berühmten Epos MAHABHARATA. Teil 1 besteht aus einer kurzen Nacherzählung der Hauptgeschichte des Mahabharata. Teil 2 enthält ethische Prinzipien und die spirituelle Essenz des Mahabharata in hunderten von Zitaten und Dialogen, nach Themen geordnet. Und in Teil 3 werden Fabeln und andere lehrreiche Geschichten aus dem Mahabharata erzählt. Das ursprüngliche Mahabharata besteht aus über 100.000 Versen und wurde vor ca. 5000 Jahren vom Weisen Vyasadeva in Sanskrit verfasst. Die berühmte Bhagavad-Gītā, die nur 700 Verse umfasst, ist im Mahabharata enthalten. Im Mahābhārata wird das Bild einer vergangenen Kultur gezeichnet, die gänzlich auf die ewigen Werte der Vedas ausgerichtet war. Die Geschichte der Welt vom Anfang der Schöpfung bis zur Vernichtung des Universums ist im Mahābhārata enthalten.

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Mahabharata
Juwel der Poeten

Dreiteilige Zusammenfassung des weltgrößten Epos:

Nacherzählung der Hauptgeschichte

Ethische Prinzipien und spirituelle Essenz in Zitaten

Fabeln und andere lehrreiche Geschichten

Srikanta Sena
IMPRESSUM
© 2021 Atmarama Verlag,
Karl-Heinz Degenhardt
Haunestr. 4
36179 Bebra
ISBN: 978-3982186825

Einleitung

Vor etwas mehr als fünftausend Jahren, am Ende des Dvāpara-Zeitalters, ereignete sich in Kurukṣetra (Nordindien) eine große Schlacht, bei der Millionen von heldenhaften Kriegern, angeführt von den mächtigsten Kṣatriya-Königen der Welt, ihr Leben ließen. Kurz bevor die Schlacht begann unterwies Kṛṣṇa, der Höchste Herr, der die Rolle des Wagenlenkers vom Bharata-Helden Arjuna angenommen hatte, seinen Freund und Schüler in der Wissenschaft der Selbst- und Gotteserkenntnis. Dieses berühmte Gespräch zwischen Kṛṣṇa und Arjuna ist als Bhagavad-Gītā bekannt. Die Schlacht selbst, wie es dazu kam und was danach geschah, wird von Dvaipāyana Vyāsa in seinem über einhunderttausend Doppelverse umfassenden Werk Mahābhārata geschildert.

Das Mahābhārata ist unterteilt in 18 Bücher oder Abschnitte: Ādi-, Sabhā-, Āraṇyaka-, Virāṭa-, Udyoga-, Bhīṣma-, Droṇa-, Karṇa-, Śalya-, Sauptika-, Strī-, Śānti-, Anuśāsana-, Aśvamedhika-, Āśramavasika-, Mausala-, Mahāprasthānika- und Svargārohaṇa-parvan. In einem philosophisch-spirituellen Sinne ist es »tief wie der Ozean«; allein die Bhagavad-Gītā, die nur 700 Verse umfasst und aus den Kapiteln 25–42 des Bhīṣma-parvan besteht, ist unauslotbar. Man kann sie immer wieder studieren und wird jedesmal neue Erkenntnisse erhalten. Die Weisheit des Mahābhārata lässt sich kaum vermitteln in ihrer ganzen Tiefe in der Form eines Taschenbuchs oder Fernsehspiels oder Kinofilms jener Geschichte der fünf Söhne König Pāṇḍus, die allgemein als das Mahābhārata bekannt ist.

Wir hören im Mahābhārata von den großen Helden der Bharata-Dynastie, den Pāṇḍavas, den fünf Söhnen König Pāṇḍus. Der rechtschaffene und gerechte Yudhiṣṭira, Pāṇḍus ältester Sohn, wurde sein Thronfolger und Herrscher über die Welt. Aber er konnte nicht lange regieren, denn er wurde von seinen neidischen Vettern, den Kauravas, angeführt von Duryodhana, dem ältesten Sohn Dhṛtarāṣṭras, durch List und Tücke seiner Herrschaft beraubt und musste mit seinen Brüdern und ihrer gemeinsamen Gemahlin Draupadi dreizehn Jahre in der Verbannung leben. Das Mahābhārata erzählt wie ihnen von den Söhnen ihres Onkels Dhṛtarāṣṭra und deren Verbündeten, immer wieder Schwierigkeiten bereitet wurden; wie sie für die gerechte Sache kämpften und mit Śrī Kṛṣṇas Hilfe schließlich aller Feinde ledig wurden und dann die Welt in vollkommener Weise regierten. Zu jener Zeit war Hastināpura die Hauptstadt der zivilisierten Welt. Hastināpura (»die Stadt der Elefanten«) lag ungefähr dort, wo heute Neu-Delhi liegt. Es gab damals zwar viele Königreiche, aber die Könige waren einem Herrscher, nämlich Mahārāja Yudhiṣṭira, dem ältesten Sohn König Pāṇḍus, tributpflichtig. Yudhiṣṭira war ein rājarṣi, ein Heiliger in der Rolle eines Herrschers über die Erde.

Wir hören weiter von den Devas, den großen Halbgöttern, und anderen Lebewesen auf anderen Planeten; von Yogis, die mit ihren mystischen Kräften ganze Planeten erschaffen oder andere für Menschen unserer Zeit unglaubliche Dinge tun konnten und von Asketen in den Wäldern, die durch die Kraft ihrer Askese fähig waren, jemanden zu verfluchen oder zu segnen. Im Mahābhārata wird von den heiligen Königen der Vergangenheit erzählt, von ihrer Tapferkeit und ihrem Heldentum; von der Dynastie, in der König Pāṇḍu erschien; von Ṛṣis (heilige Seher); von Apsaras (himmlische Gesellschaftsmädchen), die mit ihrer Schönheit, Anmut, Gesang und Tanz jeden Mann betören konnten; und von wunderschönen Prinzessinen, um deren Gunst viele starke Könige warben und für die mancher sein Leben lassen musste.

Im Mahābhārata wird das Bild einer vergangenen Kultur gezeichnet, die gänzlich auf die ewigen Werte der Vedas ausgerichtet war. Und wir begegnen dem unvergänglichen Kṛṣṇa, Herr der Welten und Ursprung und Ziel aller vedischen Schriften. Er erschien aus seinem ewigen Reich auf der Erde, um sie von der Last zahlloser mächtiger, gottloser Könige zu befreien, die Rechtschaffenen zu beschützen und die Prinzipien der ewigen Religion (sanātana-dharma) wieder einzuführen. Nur wenigen großen Seelen war es durch ihre Reinheit vergönnt, durch den Schleier seiner māyā zu schauen und ihn als den großen Lenker hinter der Weltbühne und den verehrenswerten Herrn eines jeden Individuums zu erkennen.

Die Geschichte der Welt vom Anfang der Schöpfung bis zur Vernichtung des Universums ist im Mahābhārata enthalten. Seit Ewigkeiten werden Universen immer wieder erschaffen und vernichtet. Welchen Sinn hat dies alles? Was ist der Plan dahinter? Die Vedas lehren uns, dass es nicht möglich ist, durch mentale Spekulation die Geheimnisse des Lebens zu lüften, weil wir unvollkommen sind. Wir haben unvollkommene Sinne, einen unvollkommenen Verstand; wir unterliegen der Täuschung; wir begehen Fehler, und wir haben die Neigung zu betrügen. Deshalb ist es notwendig, Wissen aus höheren Quellen zu empfangen.

Wissen, das keinen höheren Zweck verfolgt als die Befriedigung der Sinne, wird in den Vedas als Unwissenheit bezeichnet. Die vier Grundbedürfnisse der Lebewesen (essen, schlafen, sich schützen, verteidigen und sich paaren), werden in allen Lebensformen befriedigt. Die Vedas lehren uns, uns nicht mit der bloßen Verfeinerung dieser vier Grundbedürfnisse zu verstricken, sondern das Beste aus einem »schlechten Geschäft«, dem verkörperten Dasein, zu machen. Wenn jemand einen großen Schatz besitzt und ihn einfach nur irgendwo in einer Truhe auf dem Speicher stehen lässt, ohne jemals etwas damit anzufangen, wird er als ein Geizhals bezeichnet. In ähnlicher Weise bezeichnen die Schriften einen Menschen als Geizhals, der nur für die Befriedigung seiner Sinne arbeitet, anstatt den wertvollen Schatz der menschlichen Lebensform für spirituelle Entwicklung, für Selbst- und Gotteserkenntnis zu nutzen.

Athāto brahma-jijñāsā heißt es im Vedānta-sūtra – »nun, da du die menschliche Lebensform erreicht hast, ist es an der Zeit, nach Erkenntnis der Absoluten Wahrheit zu streben«. Wie diese Erkenntnis erreicht werden kann, worin sie besteht und was immer es sonst noch zu wissen gibt über diese Welt und ihre Gesetze, ist in den Vedas enthalten. Das Mahābhārata wird als der fünfte Veda bezeichnet und ist die am leichtesten verständliche Schrift, die solches Wissen enthält. Deshalb ist das Mahābhārata besonders für die Menschen dieses Zeitalters gedacht, die zwar im materiellen Wissen sehr fortgeschritten sind, spirituelles Wissen aber nur schwer begreifen können. Und den weniger intelligenten Menschen, die sehr angehaftet sind ans materielle Dasein, zeigt das Mahābhārata viele Methoden, wie man sich wirtschaftlich entwickeln kann, ohne dabei sich selbst und anderen zu schaden und den Lebensraum zu zerstören, wie man auf rechtschaffene Weise seine materiellen Wünsche erfüllen und wie man nach dem Tod sogar auf himmlische Planeten, auf denen der Standard des Genusses größer und die Lebensdauer länger ist als auf der Erde, erhoben werden kann.

Śrīla Vyāsadeva, der größte Schriftsteller aller Zeiten, dessen Intelligenz unermesslich ist und von dem es heißt, dass er Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kennt, verfasste das Vedānta-sūtra, das Mahābhārata und andere vedische Schriften und zuletzt das Śrīmad-Bhāgavatam in Sanskrit, um den Ruhm der Höchsten Persönlichkeit Gottes, Śrī Kṛṣṇa, und seiner reinen Geweihten zu verbreiten und mit der letztlichen Absicht, die gefallenen Seelen, die in der materiellen Welt im Kreislauf der Geburten immer wieder von einem Körper zum nächsten wandern und endlos leiden, zu befreien und sie auf die Ebene reiner glückseliger Existenz jenseits der Dualitäten dieser Welt zu erheben.

Śrīla Vyāsadeva verfasste das Mahābhārata im Geist und ließ es vom Halbgott Gaṇeśa niederschreiben. Er lehrte das Bhārata seinem Schüler Vaiśampāyana, der es in einer einhunderttausend Verse umfassenden Form nach dem Schlangenopfer König Janamejayas den versammelten Weisen, Brahmanen und Königen vortrug. Nārada Muni sprach das Mahābhārata zu den Devas. Der Weise Devala trug es den Pitṛs (Vorväter der Menschheit) vor, und Śukadeva Gosvāmī brachte das Bhārata zu den Gandharvas, Yakṣas und Rākṣasas. Die Pitṛs, Devas, Gandharvas, Yakṣas und Rākṣasas leben auf anderen Planeten, in anderen Sphären. Von ihnen wird später noch zu hören sein.

Ich möchte diese kurze Einführung in die Geschichte und Thematik des Mahābhārata mit ein paar Worten über die Entstehung des vorliegenden Buches abschließen. Beim Lesen von Śrīla Vyāsadevas Mahābhārata in der englischen Übersetzung von Mohan Ganguli, machte ich mir gelegentlich Notizen. Mit der Zeit wurden die Notizen immer umfangreicher, und ich begann sie nach Themen zu ordnen, um einen besseren Überblick zu haben. Als ich das Werk zu Ende gelesen hatte, entschloss ich mich, die Essenz des über einhunderttausend Verse umfassenden ältesten Epos der Welt in einem Buch zu veröffentlichen. Das Mahābhārata ist ein Schatzhaus gelebter Weisheit und ein Juwel, das den Geist der Poeten schon immer beflügelt hat und seine essenzielle Lehre und zeitlose Botschaft sollten niemandem vorenthalten werden. Getragen von dieser Überzeugung entstand zuerst Teil 2 des Buches »Mahābhārata – Juwel der Poeten«. Da ich dieses Werk des großen Dvaipāyana Vyāsa nicht mit der Absicht las, eine Studie darüber zu verfassen, sind manche Themen vielleicht etwas zu kurz gekommen. Um den Leser zu einem klareren Verständnis der Zitate zu verhelfen, sind den verschiedenen Themen kurze Einführungen vorangestellt. Einzelne Zitate sollten immer im Gesamtzusammenhang verstanden werden, um die Dinge im rechten Licht zu sehen und nicht zu einem falschen Verständnis zu gelangen.

Das Mahābhārata ist ein vielschichtiges literarisches Kunstwerk. Die spannende historische Erzählung des Lebens der fünf großen Bharata-Prinzen, der Pāṇḍavas, stellt seine oberste Ebene oder den Rahmen der zu vermittelnden Weisheit dar. Die Geschichte der Pāṇḍavas wird im ersten Teil des vorliegenden Buches stark komprimiert erzählt.

Der dritte Teil besteht aus einer kleinen Auswahl von historischen und fabelhaften Geschichten, die von verschiedenen großen Persönlichkeiten zu verschiedenen Gelegenheiten im Mahābhārata erzählt werden. Sie beinhalten philosophische Themen, moralische Fragen usw. und geben Richtlinien für rechtes Verhalten und Beispiele für praktisch angewandte Weisheit. Sie wurden von den Ṛṣis (Weisen) erzählt und von Vyāsadeva aufgezeichnet, um den Hörer bzw. Leser bei der Bildung eines guten Charakters und bei der Reinigung seiner Existenz zu unterstützen oder ihn überhaupt erst dazu anzuregen. Sinn und Bedeutung mancher Geschichten richtig zu begreifen, ist schwierig oder unmöglich, wenn man den kulturellen und spirituellen Hintergrund nicht kennt. Deshalb ist es empfehlenswert, sich durch aufmerksames Lesen der Zitate und Dialoge des zweiten Teiles ein Bild zu verschaffen von der vedischen Zivilisation, ihren Maßstäben und Zielen. Andernfalls mag man geneigt sein, die Geschichten einfach nur als skurile Märchen aufzufassen und ihnen keinen weiteren Wert beizumessen, als den bloßer Unterhaltung.

nārāyaṇaṃ namaskṛtya naraṃ caiva narottamam devīṃ sarasvatīṃ vyāsam tato jayam udīrayet

Alle Ehre sei Nara und Nārāyaṇa, der Göttin Sarasvatī und Śrīla Vyāsadeva, dem Verfasser des Mahābhārata.

I. Die Geschichte der Pāṇḍavas

Der erste Teil dieses Buches beinhaltet eine Zusammenfassung der Hauptgeschichte des Mahābhārata, die in der Schlacht von Kuru-kṣetra gipfelt. Sūta Gosvāmī erzählt einer Gruppe von Weisen, die irgendwo im Wald von Naimiṣāraṇya ein langjähriges Opfer ausführen, das Mahābhārata. Er selbst hörte das große Bharata von Vaiśampāyana, einem Schüler des erhabenen Dvaipāyana Vyāsa, am Hofe König Janamejayas, dem letzten großen vedischen Herrscher der Kuru-Dynastie.

»Duryodhana ist ein großer Baum übler Leidenschaften. Karṇa ist sein Stamm, Śakuni seine Äste, Duḥśasana seine Blüten und Früchte und Dhṛtarāṣṭra seine Wurzel.

Yudhiṣṭira ist ein großer Baum der Rechtschaffenheit. Arjuna ist sein Stamm, Bhīma seine Äste, die Söhne Madrīs seine Blüten und Früchte, und Kṛṣṇa und Religion und alle Brāhmaṇas sind seine Wurzel.«

–Ādi-parvan, Kap. 1, Vers 65-66

1 Vorgeschichte

Im Wald von Naimiṣāraṇya

Sūta Gosvāmī, der Sohn des Weisen Romaharśana, war weithin berühmt für sein Wissen von den heiligen Geschichten der Welt, den Purāṇas. Einst wanderte er zum heiligen Wald von Naimiṣāraṇya, wo der gelehrte Śaunaka mit Hilfe von mächtigen selbstbeherrschten Weisen ein zwölfjähriges Opfer vollführte. Sūta näherte sich den Heiligen, die in der Opferarena saßen, und mit geneigtem Kopf und mit gefalteten Händen erkundigte er sich nach ihrem Wohl und dem Fortschritt ihrer Entsagungen. Die Asketen des Waldes hießen ihn in ihrer Mitte willkommen, begierig die fesselnden Geschichten zu hören, die der Sohn Romaharśanas so gut kannte und boten ihm einen erhöhten Sitzplatz an. Als er Platz genommen hatte, reichten sie ihm Früchte des Waldes und einen Becher voll frischen Wassers. Dann sprach Śaunaka Ṛṣi: »O lotosäugiger Sūta, dürfen wir erfahren, welche heiligen Orte in Bharatavarṣa du mit deiner Gegenwart gesegnet und welche heiligen Personen du auf deiner Reise getroffen hast? Bitte unterrichte uns über alles, was dir widerfahren ist.«

Das Schlangenopfer

Sūta Gosvāmī erwiderte: »O ihr Ṛṣis, kürzlich vollführte König Janamejaya, der eine große Seele unter den irdischen Herrschern und der würdigste Sohn Mahārāja Parikṣits ist, ein großes Schlangenopfer mit der Absicht, alle Schlangen der Welt im Feuer zu vernichten. Während der Opferzeremonie erzählte der große Muni Vaiśampāyana viele bedeutende Geschichten, die alle zusammen als das Mahābhārata bekannt sind, das er von seinem spirituellen Meister, dem erhabenen Dvaipāyana Vyāsa, gehört hatte. Ich war einer der Zuhörer in der Versammlung. Danach besuchte ich verschiedene tīrthas und kam schließlich nach Samantapañcaka, wo viele befähigte Brāhmaṇas leben. An diesem Ort fand vor nicht allzu langer Zeit die große Schlacht zwischen den Kurus und den Pāṇḍavas und allen Königen der Erde statt. Dann begab ich mich nach Naimiṣāraṇya, um euch zu sehen, die ihr alle selbstverwirklichte Seelen seid.«

Die Weisen waren sehr begierig von Sūta Gosvāmī über das Schlangenopfer und über das Mahābhārata zu hören und so fragte Śaunaka Ṛṣi, der Sohn Romaharśanas, den weisen Sūta: »Wie kam es zu diesem Schlangenopfer? Was war der Anlass und mit welcher Absicht vollzog der Enkel Abhimanyus dieses Opfer?«

Sūta Gosvāmī erzählte, dass König Janamejaya vom Ṛṣi Uttaṅka angeregt worden war, ein Schlangenopfer zu vollziehen. Uttaṅka wollte Rache nehmen an einer Nāga[1] namens Takṣaka, weil er von Takṣaka einmal in arge Schwierigkeiten gebracht worden war. Doch dies ist eine lange Geschichte und wir wollen hier nicht weiter darauf eingehen. So viel sei jedenfalls gesagt: Uttaṅkas Rachegedanken stellten eine Ursache dar für das Schlangenopfer. Eine andere Ursache war Janamejayas Hass gegen Schlangen, der sich manifestierte, als er von Uttaṅka erfuhr, wie sein Vater, Mahārāja Parikṣit, getötet worden war.

Parikṣit war einst während einer Jagd müde und durstig am āśrama des Weisen Śamika vorbeigekommen. Der Weise saß in Meditation versunken vor seiner Hütte und rührte sich nicht, um seinen königlichen Gast gebührend zu empfangen oder ihm wenigstens etwas Wasser anzubieten, wie es in der vedischen Kultur Sitte ist. Verärgert über das Verhalten des Ṛṣis, hängte der König ihm mit dem Ende seines Bogens eine tote Schlange um den Hals und verließ den Ort. Wenig später kam Śṛṅgi, der Sohn des Weisen, nach Hause und sah seinen Vater mit der Schlange um den Hals auf seinem Hirschfell sitzen. Śṛṅgi war noch ein Knabe, aber er besaß schon mystische Kräfte, die man durch Bußen und Entsagungen erlangt. Dadurch war es ihm möglich zu erkennen, wer seinem Vater diese Beleidigung zugefügt hatte. Und weil er noch sehr unreif war, wurde er zornig und verfluchte den König für diese Tat, innerhalb von sieben Tagen von dem Schlangenkönig Takṣaka gebissen zu werden. Als Śamika seine Meditation beendet hatte und erfuhr, was Śṛṅgi getan hatte, war er sehr betrübt über die fatale Handlungsweise seines Sohnes. Parikṣit war ein guter König, der die Welt im Einklang mit dharma, den göttlichen Gesetzen, regierte, und einen solchen Herrscher wegen eines geringfügigen Vergehens mit dem Tod zu bestrafen, war ein unwürdiger Akt für einen Brāhmaṇa. Deshalb unterwies der Weise seinen Sohn über den wahren Reichtum der Brāhmaṇas, nämlich Vergebung.

Eine weitere Ursache des Schlangenopfers war ein Fluch, den Kadru, die ursprüngliche Mutter aller Schlangen, gegen ihre eigenen Kinder verhängt hatte, weil sie sich geweigert hatten, ihr bei einer betrügerischen Aktion behilflich zu sein. Verbunden mit dieser Geschichte aus alter Zeit erzählte Vaiśampāyana von der Geburt und der Herrlichkeit des mächtigen Garuḍa, des Königs unter den Vögeln, der Śrī Viṣṇu als Reittier dient, und er erzählte die Geschichte des Brāhmaṇa Astika, der das Schlangenopfer beendete und so Takṣaka und andere Schlangen vor dem Feuertod rettete. Bei dem Schlangenopfer wurden alle Arten von Schlangen – und zwar nicht nur von diesem Planeten – von erfahrenen Opferpriestern durch mantras gezwungen, in ein großes Opferfeuer zu fallen und ihr Leben zu lassen. Takṣaka hatte allerdings Glück. Als er schon über dem Feuer schwebte, erschien der Brāhmaṇa Astika auf der Szene und bat den König, ihm einen Wunsch zu erfüllen. Janamejaya willigte ein, und Astika wünschte sich, dass der König das Schlangenopfer einstellen möge.

Śaunaka Ṛṣi, der beste unter den versammelten Weisen von Naimiṣāraṇya, bat Sūta Gosvāmī von dem Gespräch zwischen König Janamejaya und Vaiśampāyana Muni zu erzählen. Sūta Gosvāmī gab eine kurze Zusammenfassung vom Mahābhārata, der Geschichte der Pāṇḍavas. Weil die Ṛṣis sich nicht ganz zufriedengestellt fühlten, sagte Śaunaka: »O Sūta, wir sind nicht zufrieden damit, das Bhārata in einer Nussschale zu hören. Bitte berichte ausführlich über alles, was du gehört hast. Bitte erzähle diese heilige und sündenreinigende Geschichte ganz und im Detail.«

Die Geburt Satyavatīs

Sūta Gosvāmī erzählte dann als erstes – nicht zuletzt um dem Autor des Bhārata gebührenden Respekt zu erweisen – von der ungewöhnlichen Geburt Satyavatīs und der ebenso ungewöhnlichen Geburt ihres Sohnes Vyāsa, den sie auf einer Insel in der Yamunā gebar und der deshalb den Beinamen Dvaipāyana (»Insel-geboren«) erhielt.

An jenem Tag, als der fromme König Uparicara, ein Nachkomme in der Linie Kurus, sich mit seiner jungen schönen Frau Girikā vereinigen wollte, um einen guten Sohn zu erhalten, erschienen seine Pitṛs (Ahnen) vor ihm und baten ihn, für sie eine Opferung durchzuführen, mit einem Tier, das er im Wald erlegen sollte. Der König dachte sich, »das kommt mir zwar sehr ungelegen, aber was kann ich tun? Den Pitṛs sollte man gehorchen«. Während der Jagd dachte er nur an Girikā, und als er sich etwas müde geworden unter einen Aśoka-Baum setzte, waren seine sehnsüchtigen Gedanken an das schöne Mädchen so groß, dass er ungewollt Samen abgab. Er fing ihn auf einem Blatt des Baumes auf und überlegte, wie dieser Samen zu Girikā gelangen könnte, bevor er sein Werk für die Pitṛs ausgeführt haben würde. Dieser Same trug die Erbmasse einer großen Dynastie hochqualifizierter Kṣatriya-Könige und sollte in seiner guten Frau eine Frucht hervorbringen. Auf dem Baum saß ein Falke, und da der König ein guter Falkner war und auch die Sprache der Falken verstand, trug er ihm auf, diesen Samen zu Girikā zu bringen.

Auf dem Weg zur Königin jedoch wurde der Vogel über der Yamunā von einem anderen Falken angegriffen, der das, was Uparicaras Falke im Schnabel trug, für eine Beute hielt. Sie kämpften in der Luft gegeneinander und dabei fiel der Same in den Fluss. Ein Fisch aß ihn auf. Dieser Fisch war eine Apsara (himmlisches Gesellschaftsmädchen), die verflucht worden war, als ein Fisch zu leben. Nach neun Monaten geschah es, dass sie ein paar Fischern ins Netz ging, die ganz erstaunt waren, als sie das Tier aufschnitten und aus dem Bauch zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, herauskamen. Sie brachten die Kinder zu König Uparicara und der König behielt den Jungen und gab das Mädchen dem König der Fischer, weil von ihr ein starker Fischgeruch ausging. Der Fischerkönig nannte das Kind Satyavatī.

Die Geburt Dvaipāyana Vyāsas

Als Satyavatī etwas herangewachsen war, übernahm sie die Aufgabe, Personen in einem Boot von einem Ufer der Yamunā zum anderen zu bringen. Eines Tages zog der junge Ṛṣi Parāśara an der Yamunā entlang. Er war eine unter allen Heiligen hochgeachtete Persönlichkeit und ihm war aufgetragen worden, einen göttlichen Sohn zu zeugen, der den einen Veda vierfach unterteilen würde, damit zukünftige Generationen menschlicher Rassen auf der Erde und auf anderen Planeten einen leichteren Zugang zur spirituellen Wissenschaft haben würden, durch die man die Bande materieller Natur transzendiert und Unsterblichkeit erlangen kann. Als er das Mädchen sah, wusste er, dass nur sie die geeignete Mutter für diesen Sohn sein könnte. Er konnte auch sehen, wer ihre wirklichen Eltern waren. Parāśara bestieg Satyavatīs Boot und während sie ruderte, offenbarte er ihr seine Mission und bat sie darum, von ihm einen göttlichen Sohn zu empfangen.

Satyavatī erwiderte besorgt um ihre Ehre und in Furcht vom Ṛṣi verflucht zu werden, wenn sie seinem Willen nicht gehorchte: »O Ehrwürdiger, ich bin eine Jungfrau und stehe unter dem Schutz meines Vaters. Wie kann ich außerdem deine Umarmungen annehmen, da jene Ṛṣis, die dort am anderen Ufer des Flusses stehen, uns sehen können?« Daraufhin schuf Parāśara Muni durch seine mystische Kraft einen dicken Nebel. Immer noch in Furcht vor den Konsequenzen einer Vereinigung mit dem Muni, sagte Satyavatī: »Was wird mein Vater sagen, und wer wird mich dann noch zur Frau nehmen, wenn ich deinem Willen gehorche?«

Parāśara antwortete: »Mach dir keine Sorgen, du wirst wieder eine Jungfrau sein!« Er gewährte ihr auch eine Segnung und Satyavatī wünschte sich, einen wohlduftenden Körper zu besitzen. Dann ließ er sie zu einer Insel in der Yamunā rudern und zeugte mit ihr Vyāsadeva. Vyāsa wurde wie die Devas kurz nach der Empfängnis geboren und wuchs in wenigen Augenblicken zu jugendlicher Größe heran. Sogleich setzte er sein Herz an die Ausübung von tapasya (Entsagung) und verließ seine Mutter. Im Gehen erklärte er ihr, dass sie an ihn denken solle, wenn sie seine Hilfe bräuchte; er würde dann sofort zur Stelle sein. An einem heiligen Ort im Himavat nahm er lange Zeit Härten und Entsagungen auf sich und stellte die Vedas zusammen und als fünften Veda das Mahābhārata.

Die Söhne Ditis und Aditis

Als nächstes berichtete Sūta Gosvāmī, was er von der Geburt der großen Helden im Mahābhārata von Vaiśampāyana gehört hatte. Er erzählte von Paraśurāma, der Kriegerinkarnation Viṣṇus, und dann von der Zeit, als die Daityas (Dämonenrasse) von den Ādityās (Halbgötter; Söhne Aditis) von den himmlischen Planeten vertrieben worden waren und sich auf der Erde inkarniert hatten.

Sūta Gosvāmī erzählte von den Söhnen des aus dem Nabel Viṣṇus geborenen vierköpfigen Brahmā und wie das Universum mit Lebewesen gefüllt worden war. Wenn nach einer Auflösung der materiellen Welten die Universen aufs neue durch den Willen des Höchsten entstehen, geht der Höchste Herr in seiner Viṣṇu-Form in jedes Universum ein. Jedes Universum ist zur Hälfte mit Wasser gefüllt und auf diesem Ozean legt Viṣṇu sich nieder. Dann lässt er aus seinem Nabel einen goldenen Lotos sprießen und aus der Blüte wird Brahmā geboren, der dann, von Viṣṇu ermächtigt, die weitere Schöpfung vornimmt, die Planeten erschafft usw. und das Universum mit Lebewesen bevölkert. Śrī Viṣṇu offenbart Brahmā das vedische Wissen im Herzen und der Großvater des Universums unterrichtet dann seine Söhne darin, die es wiederum an ihre Söhne und Schüler weitergeben. Auf diese Weise werden die Vedas den Lebewesen schon vom Anfang der Schöpfung zu ihrem Nutzen mitgegeben.

Die Vedas sind eine Art göttliches Gesetzbuch, das die Richtlinien für zivilisiertes menschliches Leben festsetzt und ihren Befolgern glückliche Lebensumstände garantiert. Letztlich zielen die Vedas aber darauf ab, den ewigen Lebewesen Wissen zu geben, durch welches Unwissenheit zerstört wird und durch das sie aus dem Kreislauf von Geburt und Tod befreit werden können. Aufgrund der bezaubernden Kraft der materiellen Natur (māyā) identifizieren sich die ewigen Lebewesen mit ihren jeweiligen zeitweiligen Körpern. Sie vergessen ihre wahre spirituelle Natur und versuchen stattdessen unter dem Zauberbanne māyās die Reichtümer der Natur auszubeuten und die materielle Natur zu beherrschen. Wegen dieser Neigung leiden die Lebewesen immer wieder die Qualen von Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Die Vedas sind ein Ausdruck der Barmherzigkeit des Höchsten Herrn, weil durch ihre spirituellen Unterweisungen die bedingten Seelen von diesem unnatürlichen Zustand fortwährender Wiedergeburt befreit werden können.

Diejenigen, die den Anweisungen der Vedas folgen und die Oberhoheit Viṣṇus anerkennen, werden als suras oder Devas, Halbgötter oder Gottgeweihte bezeichnet, und diejenigen, die diese Weisungen missachten und nach ihren eigenen Launen handeln und sich ihre eigenen Götter und Gesetze fabrizieren, werden als Asuras oder Dämonen bezeichnet. Ein Halbgott kann durchaus in die Mentalität eines Dämons verfallen, während ein Dämon durch Gemeinschaft mit reinen Gottgeweihten ebenfalls ein Gottgeweihter werden kann.

Brahmā erschuf die ersten Lebewesen aus seinem Geist. Einer seiner ersten Söhne war Marici. Marici hatte einen Sohn namens Kaśyapa. Kaśyapa heiratete Diti und Aditi. Aditi brachte zwölf Söhne zur Welt, die als Ādityās bezeichnet werden und zu denen auch Sūrya, der Sonnengott und Indra, der Himmelskönig, gehören. Die Ādityās und ihre Nachkommen sind Halbgötter, während die Daityas, die Söhne Ditis, und die Nachkommen der Daityas in der Regel atheistische Dämonen sind. Es gibt aber auch Ausnahmen. Die Dämonen bevölkerten die unteren Planetensysteme und die Halbgötter die höheren Planeten. Manchmal ziehen die Asuras gegen die Devas in den Krieg, und manchmal gelingt es ihnen dabei, das himmlische Königreich zu erobern und die Devas zu vertreiben. Den letzten Sieg über die Halbgötter erlangten die Daityas unter der Führung von Bali Mahārāja. Bali wurde aber seiner Herrschaft über die drei Welten (höhere, mittlere und untere Planetensysteme) durch einen Trick Viṣṇus (Śrī Vāmanadeva) beraubt, damit Indra seinen Posten als Himmelskönig wieder einnehmen konnte.

Devas und Asuras inkarnieren sich auf der Erde

Nach Balis Sturz flohen die Asuras und suchten – sich in großer Zahl unter Menschen und Tieren inkarnierend – auf der Erde Zuflucht und machten sie zu ihrer Basis für eine neue Attacke gegen die Devas. Mit der Zeit wurden die Asuras eine untragbare Bürde für Mutter Erde, und so begab sie sich in Form einer Kuh zu Brahmā und bat ihn mit Tränen in den Augen um Hilfe. Brahmā konnte Mutter Erde zwar nicht direkt helfen, aber er wandte sich an Śrī Viṣṇu, und die Gottheit versprach, zu gegebener Zeit in der Vṛṣṇi-Dynastie zu erscheinen und die Erde von ihrer Last zu befreien.[2] So nahm der Höchste Herr, Kṛṣṇa, in seiner ursprünglichen Gestalt in Mathurā als der Sohn Devakīs und Vasudevas Geburt, um die Frommen vor den gottlosen Asuras zu beschützen, die Asuras zu töten und um die in Vergessenheit geratenen Prinzipien wahrer Religion wieder zu verkünden. Der Herr vollführte seine Kindheitsspiele in dem Kuhhirtendorf Vṛndāvana[3] und ließ später die Stadt Dvārakā erbauen, wo er 16108 Königinnen heiratete, sich in genauso viele Formen erweiterte und mit jeder Königin in einem großen Palast lebte. In Dvārakā spielte Kṛṣṇa die Rolle eines vollkommenen Kṣatriya-Königs. Zu der Zeit als Kṛṣṇa erschien, inkarnierten sich auch viele Devas, um am līlā, den transzendentalen Spielen des Herrn, teilzunehmen.

Vaiśampāyana erzählte dann, als was die großen Devas und Daityas sich auf der Erde inkarniert hatten. Um ein paar Beispiele zu nennen: Droṇa war eine Teilerweiterung Bṛhaspatis, des Gurus der Halbgötter; Aśvatthāmā war eine Teilerweiterung Yamas, Kāmas, Krodhas und Mahādevas. Kṛpa war eine Teilerweiterung der Rudras (elf Erweiterungen Śivas); Śakuni war Dvāpara (Herr des dvāpara-yuga); Sātyaki war eine Teilerweiterung der Maruts, ebenfalls Drupada, Kṛtavarman und Virāṭa. Duryodhana war Kali (Herr des kali-yuga), und Duryodhanas Brüder waren Söhne Pulastyas. Varcas, der Sohn Somas (Halbgott des Mondes), wurde Abhimanyu, der Sohn Arjunas. Der aus dem Feuer geborene Dhṛṣṭadyumna war eine Teilerweiterung Agnis (Halbgott des Feuers). Pradyumna, einer der Söhne Kṛṣṇas, war der berühmte himmlische Ṛṣi Sanat-kumāra. Draupadī war eine Erweiterung Lakṣmīs (die Glücksgöttin) und Sacīs (Gemahlin des Himmelskönigs). Der danava Vipracitti inkarnierte sich als Jarāsandha und Ajaka, der jüngere Bruder Vṛṣaparvans, als Śālva. Ekacakra hatte als Prativindhya, Sohn Yudhiṣṭiras, Geburt genommen, Saṃhrāda, der jüngere Bruder Prahrādas, als Śalya und Anuhrāda als Dhṛṣṭaketu. Der asura Bāṣkala wurde der mächtige Bhagadatta, der in der großen Schlacht ein Verbündeter Duryodhanas war und auf einem riesigen weißen Elefanten reitend, die Reihen der Kurus dezimierte. Kaṃsa und Śiśupāla, die beide noch vor der Schlacht von Kurukṣetra von Kṛṣṇa getötet wurden und so Befreiung erlangten, waren der danava Kalanemi und Hiraṇyakaśipu.[4]

Die Dynastie der Kurus

Vaiśampāyana sprach hiernach von der Dynastie der Kurus, angefangen mit dem großen Herrscher Yayāti. Yayāti lebte vor langer Zeit, als die Menschen noch sehr viel älter wurden als heutzutage und war der Sohn des mächtigen Weltherrschers Nahuśa. Nahuśa hatte sogar eine lange Zeit die Position Indras inne, bis er aufgrund seiner Selbstherrlichkeit, seines Stolzes und seiner Vergehen gegen Brāhmaṇas diese Position wieder verlor.[5] Zwischen Brahmā und Nahuśa liegen nur sieben Generationen. Man muss dabei allerdings bedenken, dass jede Generation Millionen von Jahren währte. Zurück zu Yayāti. Er hatte fünf Söhne. Als dieser Herrscher durch einen Fluch Śukrācāryas von Gebrechlichkeit überwältigt wurde, bat er seine Söhne einen nach dem anderen, ihm ihre Jugend im Austausch mit seiner Gebrechlichkeit zu geben, da sein Verlangen nach weltichen Genüssen noch nicht gesättigt war.

Aber nur Puru, Yayātis jüngster Sohn, erklärte sich dazu bereit, seine Jugend zu opfern. Und als Yayāti nach tausend Jahren erkannte, dass es kein Ende der Verlangen gibt, d.h. dass der Hunger nach Sinnengenuss niemals gestillt werden kann, indem man die Begierden zu befriedigen sucht, gab er seinem jüngsten Sohn die Jugend zurück und sagte zu ihm: »O Bezwinger deiner Feinde, mit deiner Jugend habe ich die Freuden des Lebens genossen bis zum vollen Maß meiner Begierden, bis zu den Grenzen meiner Kräfte. Begierden werden jedoch niemals befriedigt durch entsprechende Handlungen. Im Gegenteil – wenn man Schritte unternimmt, um Begierden zu befriedigen, flammen sie nur noch mehr auf, wie ein Opferfeuer, auf das Butterfett gegossen wird. Wenn ein einziger Mann alles auf Erden besitzen würde – ihre Kornfelder, ihr Gold und Silber und ihre Edelsteine, ihre Tiere und Frauen – er wäre immer noch nicht zufrieden. Der Durst nach Genuss sollte deshalb aufgegeben werden.« Dann ging Yayāti in den Wald, um Bußen und Entsagungen auf sich zu nehmen. Puru wurde Thronerbe. Normalerweise wurde in der vedischen Zivilisation der älteste Sohn eines Königs dessen Nachfolger. Mehrere Generationen später wurde Duṣyanta in dieser Dynastie geboren. Duṣyanta zeugte mit Śakuntalā Mahārāja Bharata.[6]

Einige Generationen nach Bharata wurde der mächtige tugendhafte Kaiser Samvarana geboren, der Tapati, eine Tochter des Sonnengottes Vivasvān zur Frau bekam und mit ihr Kuru zeugte, nach welchem die Dynastie benannt wurde, in der dann die Pāṇḍavas (Söhne König Pāṇḍus) und Dhārtarāṣṭras (Söhne Dhṛtarāṣṭras) erschienen. Kuru hatte vier Söhne. In der Linie seines Sohnes Jahnu erschien zehn Generationen später Pratipa und dessen Nachfolger war Śāntanu.

Mahārāja Śāntanu heiratet die Göttin Gaṅgā

Mahārāja Śāntanu traf eines Tages im Wald die Göttin Gaṅgā und bezaubert von ihrer Schönheit machte er ihr einen Heiratsantrag. Gaṅgā willigte ein, seine Frau zu werden unter der Bedingung, dass Śāntanu niemals ein hartes Wort gegen sie sagen dürfe, was immer sie auch tue und dass er sie niemals nach dem Grund ihrer Handlungen fragen dürfe. Wenn er sie auch nur einmal tadeln würde, wäre seine Zeit mit ihr abgelaufen. Mahārāja Śāntanu zeugte mit Gaṅgā acht Söhne, von denen sie jeden – außer den letzten – sofort nach der Geburt in den Ganges warf mit den Worten: »Ich tue, was du wolltest«. Śāntanu war jedesmal sehr bedrückt, wenn seine Frau ein Neugeborenes in den Fluss warf, und als sie auch das achte Kind in den Ganges werfen wollte, konnte er sich nicht mehr länger zurückhalten und tadelte die Göttin mit harten Worten. Daraufhin sagte sie, dass gemäß ihrer Abmachung ihre Zeit mit ihm nun abgelaufen sei. Gaṅgā offenbarte dem König ihre wahre Identität und erzählte ihm, dass die getöteten Kinder die Vasus genannten Halbgötter waren, die von dem großen Ṛṣi Vasiṣṭha verflucht worden waren, auf der Erde Geburt zu nehmen und sie als ihre Mutter und ihn als ihren Vater erwählt hatten und dass es der Wille der Vasus war, gleich nach der Geburt in den Ganges geworfen zu werden.

Die Vasus stehlen Vasiṣṭhas Kāmadhenu-Kuh

Śāntanu Mahārāja wollte mehr darüber wissen und Gaṅgā erzählte folgende Geschichte: »Einst wanderten die acht Vasus mit ihren Frauen durch einen bezaubernden Wald am Rande des Berges Meru. In diesem Wald befand sich auch der āśrama Vasiṣṭhas, der ein Sohn Varuṇas, des Halbgottes der Gewässer war und dort große Entsagungen und Härten auf sich nahm, um Reinheit der Seele zu erlangen. Als die Vasus an diesem āśrama vorbeikamen, sahen sie die schöne kāmadhenu, die wunscherfüllende Kuh des Weisen. Sie war eine Tochter Kaśyapa Munis und Surabhīs, der berühmten Tochter Dakṣas. Die kāmadhenu versorgte Vasiṣṭha Muni mit allem, was er brauchte für seine Opferriten. Dyu, einer der Vasus, pries die Fähigkeiten der Kamadhenu und hob besonders hervor, dass ihre Milch Nektar sei, der dem Trinker ein langes Leben, frei von Krankheit und Gebrechlichkeit, gewähre. Dyus Gemahlin war sehr entzückt von der wundersamen Kuh. Und da ihr Besitzer gerade nicht zuhause war, bat sie ihren Ehemann mit geschickten schmeichelnden Worten, die kāmadhenu einfach mitzunehmen. Dyus Gattin hatte eine Freundin unter den Irdischen, die die Tochter des großen Königs Uśinara war. Ihr wollte sie die Kuh schenken, damit die Königstochter die Milch tränke und ebenso langlebig werden würde wie die Himmlischen, wie sie selbst. Dyu ließ sich von seiner Frau bereden und stahl Vasiṣṭhas schöne kāmadhenu. Als der Weise nach Hause kam, vermisste er seine Wunderkuh. Und obwohl Vasiṣṭha sie überall im Wald suchte, fand er sie nicht. Dann wurde ihm durch sein spirituelles Auge gewahr, was sich zugetragen hatte und im Zorn verfluchte er die Vasus, auf der Erde Geburt zu nehmen.

In der Zwischenzeit waren die Vasus in ihrem Haus angelangt, und schon bald bemerkten sie, dass ein Fluch auf ihnen lastete. So begaben sie sich wieder zum āśrama Vasiṣṭhas und brachten ihm seine kāmadhenu zurück. Sie erwiesen ihm ihre Ehrerbietungen und baten ihn, seinen Fluch von ihnen zu nehmen. Der Muni sagte: »Ich kann diesen Fluch nicht zurücknehmen, denn meine Worte können sich niemals als unwahr erweisen.« Da er aber Mitleid mit den Vasus hatte, versicherte er ihnen, dass sie alle, außer Dyu, schon innerhalb eines Jahres zu den himmlischen Regionen zurückkehren würden. Dyu sollte lange auf der Erde leben und er sollte – Glück im Unglück – als eine hochgeachtete Persönlichkeit, die mit allen Schriften vertraut und dem dharma hingegeben sein würde, gelten. Er würde auch um seines Vaters willen ehelos bleiben. Auf ihrem Rückweg trafen die Vasus mich, Gaṅgā, und erzählten mir von ihrem Unglück. Sie baten mich, als ihre Mutter auf der Erde zu erscheinen und jeden gleich nach der Geburt in den Ganges zu werfen, um sofort wieder zur himmlischen Region zurückkehren zu können.« Nachdem die Göttin diese Worte gesprochen hatte, verließ sie Śāntanu zusammen mit dem neugeborenen Jungen, den sie Devavrata[7] nannte.

Devavrata studierte die Vedas bei Vasiṣṭha Muni. Als Devavrata schon nach wenigen Jahren in allen Zweigen des vedischen Wissens bewandert und ein großer Krieger geworden war, brachte seine Mutter ihn zurück zu Śāntanu.

Devavratas Schwur

Einige Zeit später heiratate der König Satyavatī, die Mutter Śrīla Vyāsadevas. Als Śāntanu den Niśada-König um ihre Hand bat, machte er zur Bedingung, dass Satyavatīs Söhne Thronfolger werden sollten. Der Herrscher der Erde akzeptierte die Bedingung nicht, da Bhīṣma rechtmäßig sein Nachfolger war und begab sich betrübt wieder nach Hause. Um seinen Vater zu helfen, ging Bhīṣma zum Niśada-König und nahm vor ihm den Schwur auf sich, auf sein Thronrecht als ältester Sohn Śāntanus zu verzichten und niemals in den gṛhastha-āśrama (Haushalter-Lebensstand) einzutreten. D.h. mit anderen Worten, er würde keine Söhne bekommen können, die Satyavatīs Sohn vielleicht den Thron streitig machen könnten. Bei seinem Schwur ließen die Halbgötter Blumen regnen und riefen erfreut: »Bhīṣma, Bhīṣma soll er heißen!« Bhīṣma bedeutet »jemand, der einen furchtbaren Eid geleistet hat«. Śāntanu gab Bhīṣma aus Dank die Segnung, seinen Tod selbst bestimmen zu können.

Citrāṅgada und Vicitravīrya

Satyavatī gebar dem Kaiser zwei Söhne, Vicitravīrya und Citrāṅgada. Als seine beiden Söhne erwachsen waren, nahm Mahārāja Śāntanu, nachdem er 36 Jahre lang die Welt regiert hatte, vānaprastha an; er zog sich in den Wald zurück, um den Rest seines Lebens Bußen und Entsagungen auf sich zu nehmen und sich aufs nächste Leben vorzubereiten. Śāntanu war ein idealer König, ein Heiliger unter den Herrschern. Während seiner Regierungszeit führten die Menschen ein glückliches gesundes Dasein. Gleich ihrem erhabenen König, ihrem großen Vorbild, waren ihre Gedanken und ihr Trachten auf das eine große Ziel der Zufriedenstellung und Verehrung des kosmischen Erhalters, Śrī Viṣṇu, gerichtet, und sie erfüllten ihre jeweiligen Pflichten in den varnas und āśramas mit Freude. Die Brāhmaṇas leiteten die Könige auf dem Pfad des dharma und lehrten das vedische Wissen; die Kṣatriyas gehorchten den Brāhmaṇas und beschützten die Bürger, einschließlich der Tiere, Vögel und anderer Lebewesen; die Vaiśyas beschützten insbesondere die Kühe und erzeugten genügend Nahrungsmittel für die ganze Gesellschaft, und die Śūdras assistierten mit ihrer Arbeit den anderen Klassen. Śāntanu war so mächtig und so voller guter Eigenschaften, dass ihn alle anderen Könige ganz von selbst als den König der Könige akzeptierten.

Nachdem Śāntanu sich zurückgezogen hatte, übernahm Citrāṅgada die Position seines Vaters. Aber seine Herrschaft währte nicht lange, denn er wurde von einem Gandharva gleichen Namens zu einem Wettkampf herausgefordert. Sie kämpften vier Jahre lang gegeneinander, und am Ende siegte der Gandharva durch seine größeren mystischen Kräfte über den seinerzeit mächtigsten Kṣatriya der Erde. Danach ließ Bhīṣma den noch minderjährigen Vicitravīrya als Thronfolger einweihen.

Bhīṣma raubt die Prinzessinen von Kośala

Einige Jahre später, als der Knabe zu einem stattlichen Jüngling herangewachsen war, kümmerte sich der Sohn Gaṅgās persönlich um die Vermählung Vicitravīryas. Als Bhīṣma erfuhr, dass die drei Apsaragleichen Prinzessinnen von Kośala – Ambhā, Ambikā und Ambālikā – bei einer svayaṃvara[8] ihren Bräutigam wählen würden, entschloss er sich, sie für Vicitravīrya zu rauben. Zu der svayaṃvara hatten sich tausende von Kṣatriya-Königen eingefunden. Und noch bevor all ihre Namen verlesen worden waren, entführte Bhīṣma die jungen Prinzessinnen vor den Augen der mächtigen Kṣatriyas. Sie verfolgten ihn und ließen ihre Pfeile auf ihn herabregnen, aber dem Meister der Waffenkunst waren sie nicht gewachsen. Schließlich kehrten sie um, und Bhīṣma brachte die schönen Königstöchter ungehindert nach Hastināpūra.

Eine der Prinzessinnen, nämlich Ambhā, war nicht damit einverstanden, die Gemahlin Vicitravīryas zu werden, denn sie hatte ihren Gemahl bereits gewählt. Sie wollte Śalya, den König von Madras, heiraten. Bhīṣma brachte sie deshalb zu Śalya, der Ambhā jedoch zurückwies, weil sie schon von einem anderen (Bhīṣma) berührt worden war. Daraufhin bat Ambhā Bhīṣma, sie zu heiraten. Bhīṣma konnte ihrem Wunsch jedoch nicht nachkommen, weil er durch das Gelübde, lebenslänglich das Zölibat einzuhalten, gebunden war.

Die Prinzessin war darüber sehr verstört und begab sich in den Wald. Dort traf sie Paraśurāma, der der Waffenlehrer Bhīṣmas war. Sie klagte ihm ihr Leid und er versprach, ihr zu helfen. Paraśurāma forderte Bhīṣma auf, Ambhā zur Frau zu nehmen. Bhīṣma weigerte sich strikt. Das machte Paraśurāma so zornig, dass er Bhīṣma töten wollte. Śrī Paraśurāma ist die Kriegerinkarnation des Höchsten Herrn, die erschien, um die gesamte Kṣatriya-Rasse der Erde viele Male hintereinander zu vernichten, weil die Kṣatriyas ihre Macht missbrauchten und sich schwer gegen die Brāhmaṇas vergingen. Bhīṣma und Paraśurāma kämpften dreiundzwanzig Tage gegeneinander, doch konnte keiner den anderen besiegen. Ambhā fasste dann den Entschluß, harte Entsagungen auf sich zu nehmen, um von Śiva die Segnung zu bekommen, Bhīṣma töten zu können. Als der mächtige Śiva mit der Ausführung ihrer harten Askese zufrieden war, gewährte er ihr die Segnung, in ihrem nächsten Leben die Ursache von Bhīṣmas Tod zu werden.

Vyāsadeva zeugt Pāṇḍu, Dhṛtarāṣṭra und Vidura

König Vicitravīrya ist das Beispiel für einen Menschen, der sich das Leben durch exzessiven Genuss verkürzt. Er vergnügte sich sieben Jahre lang ununterbrochen mit seinen beiden Frauen und starb als Folge davon schließlich an Schwindsucht.

Um die Kuru-Dynastie fortzuführen, zeugte Vyāsadeva, der Bruder Citrāṅgadas und Vicitravīryas, auf Bitten seiner Mutter mit Ambikā einen Sohn. In der vedischen Kultur war es erlaubt, dass der Bruder eines Mannes mit dessen Ehefrau ein Kind zeugen durfte, wenn die Frau von ihrem Ehemann kein Kind haben konnte. Vyāsadeva war ein in Lumpen gekleideter Asket mit verfilzten Haaren. Da er das Gelübde auf sich genommen hatte, sich ein Jahr lang nicht zu waschen, ging von seinem Körper ein für empfindsame Prinzessinnennasen nicht gerade angenehmer Geruch aus. Als er sich Ambikā näherte, schloß sie die Augen, weil sie seinen Anblick nicht ertragen konnte. Dies führte dazu, dass ihr Sohn Dhṛtarāṣṭra blind geboren wurde. Satyavatī bat Vyāsadeva, noch einmal einen Sohn zu zeugen, diesmal mit Ambālikā. Ambālikā wurde bleich als sie den Asketen sah, und so wurde ihr Sohn mit einer blassen Haut geboren und bekam den Namen Pāṇḍu, »der Blasshäutige«. Danach bat Satyavatī den Heiligen ein drittes Mal, einen Sohn zu zeugen. Sie trug Ambikā auf, den Ṛṣi noch einmal in ihrem Gemach zu empfangen. Aber der Prinzessin war der Gedanke, sich mit dem häßlichen schmutzigen Asketen zu vereinigen, so zuwider, dass sie eine schöne Dienstmagd an ihrer Stelle Vyāsa empfangen ließ. Die Dienstmagd verhielt sich dem Weisen gegenüber sehr ehrfurchtsvoll und ergeben. Aus dieser Verbindung ging Vidura hervor, der später weltberühmt wurde für seine Weisheit und Gerechtigkeit.

Yamarāja wird vom Ṛṣi Māṇḍavya verflucht

Vidura war eine Teilerweiterung Yamarājas, des weisen Richters der Sünder. Es war Yamas Wunsch gewesen, an den transzendentalen Spielen Kṛṣṇas teilnehmen zu dürfen und durch die barmherzige Fügung des Höchsten Herrn wurde ihm dieser Wunsch erfüllt. Yamarāja hatte einmal dem Ṛṣi Māṇḍavya für eine grausame Tat, die dieser als ein Kind begangen hatte, eine übermäßig schwere Strafe auferlegt, woraufhin Māṇḍavya ihn später verfluchte, auf der Erde Geburt zu nehmen.

Vaiśampāyana erzählte in diesem Zusammenhang die folgende Geschichte:

Māṇḍavya Ṛṣi, der stets der Ausübung schwerer tapasya hingegeben war, hatte einst ein Schweigegelübde auf sich genommen. Eines Tages, als er mit erhobenen Armen wie ein Pfahl in Meditation versunken vor seiner Hütte stand, kamen einige Räuber vorbei, die von den Ordnungshütern des Königs verfolgt wurden. Sie versteckten sich hinter dem Haus des Ṛṣis. Als die Polizisten kamen und den Ṛṣi fragten, wo die Räuber hingelaufen seien, gab er natürlich keine Antwort. Die Leute fanden die Räuber schließlich, und weil sie dachten, Māṇḍavya würde mit ihnen unter einer Decke stecken, schleppten sie ihn zusammen mit den Dieben zur Stadt des Königs. Die Diebe wurde auf Holzpfähle aufgespießt und so auch der unschuldige Ṛṣi, der nicht von seinem Gelübde abwich und nichts unternahm, um der Bestrafung zu entgehen. Die Diebe starben schließlich, aber der Ṛṣi blieb am Leben.

Als einige andere Ṛṣis von Māṇḍavyas leidvollem Zustand erfuhren, begaben sie sich zu ihm und trösteten ihn und gingen dann zum König. Der König war sehr erschreckt, als er hörte, dass ein Brāhmaṇa gepfählt worden war und begab sich mit den Ṛṣis zusammen zu ihm, um vor seinen Füßen niederzufallen und ihn um Vergebung zu bitten. Māṇḍavya nahm dem König diese Bestrafung nicht übel, weil er sich darüber im klaren war, dass er diese Qualen aufgrund einer vergangenen sündhaften Handlung zu ertragen hatte. Die Leute des Königs versuchten, den angespitzten Pfahl aus dem Körper des Weisen zu ziehen, aber es gelang ihnen nicht – der Pfahl brach ab und die Spitze steckte immer noch in seinem Körper.

Als Māṇḍavya seinen Körper aufgab, wurde er zu einem himmlischen Planeten erhoben. Eines Tages besuchte er Yamarāja und fragte ihn, für welche Sünde er so hart bestraft worden war, und der Herr der Gerechtigkeit sagte ihm, dass er einmal in seiner Kindheit ein Insekt auf einem Strohhalm aufgespießt habe. Weil der Ṛṣi diese Strafe für unangemessen hart hielt, verfluchte er Yamarāja, auf der Erde Geburt zu nehmen.

Mahārāja Pāṇḍu wird von Kindama verflucht

Als Pāṇḍu zu einem Jüngling herangewachsen war, wurde er als Thronfolger Vicitravīryas eingesetzt. Er heiratete zwei Frauen, Pṛthā, auch Kuntī genannt, die die Tochter König Kuntibhojas war und Madrī, die Tochter des Königs von Madras. Der blinde Dhṛtarāṣṭra heiratete Gāndhārī, die Tochter des Königs von Gandhāra, und Vidura erhielt die Tochter König Devakas zur Gemahlin.

Bald nach seiner Hochzeit unterwarf König Pāṇḍu mit seinem Heer die Könige der Erde. Dann zog er sich mit seinen beiden Frauen in den Wald zurück, da ihm am opulenten Palastleben in Hastināpūra nicht viel gelegen war und da er außerdem ein leidenschaftlicher Jäger war.

Eines Tages tötete er aus Versehen auf der Jagd den Ṛṣi Kindama. Der Ṛṣi und seine Frau hatten die Form eines Hirschpaares angenommen, und waren gerade damit beschäftigt, sich geschlechtlich zu vereinigen, als Kindama vom Pfeil Pāṇḍus getroffen wurde.[9] Bevor der Ṛṣi starb, verfluchte er Mahārāja Pāṇḍu, ebenfalls dann zu sterben, wenn er sich mit seiner Frau vereinigt.

2 Leben und Not der Pāṇḍavas

Die Geburt der Pāṇḍavas

Daraufhin nahm Pāṇḍu vānaprastha (entsagtes Leben im Wald) an und wanderte mit Kuntī und Madrī zum Caitaratha, Kalakuta, Himavat und schließlich zum Gandhamādana, wo der tugendhafte Pāṇḍu den dort lebenden Siddhas, Caraṇas und anderen himmlischen Wesen und den Ṛṣis bald sehr lieb wurde. Mahārāja Pāṇḍu war jedoch unzufrieden, weil er sich um sein zukünftiges Wohl sorgte. Er kam zu der Schlußfolgerung, dass er ohne einen Sohn nach dem Tode keine glücklichen Regionen erreichen würde. Durch śraddha (regelmäßige Opfergaben an die Ahnen) und andere fromme Handlungen retten Söhne ihre Väter aus der Hölle, die man Put nennt oder aus anderen schlechten Bedingungen und ermöglichen ihnen einen Aufenthalt in höheren Regionen. Das ist die Aussage der Schriften. Außerdem fühlte er sich verantwortlich für das Wohl der Menschheit und hielt es für seine Pflicht, für einen würdigen Nachfolger zu sorgen, der die Prinzipien des dharma in der menschlichen Gesellschaft aufrechterhalten würde. Aufgrund dieser Überlegungen drängte Pāṇḍu seine Gemahlin Kuntī, einen gerechten tugendhaften Sohn zu bekommen. – Und wer käme dafür als Vater mehr in Frage als Yamarāja, der Herr der Gerechtigkeit, der gerechte Richter frommer und sündhafter Taten der Menschen selbst?

Pṛthā bekam einmal, als sie noch im Palast ihres Vaters lebte, als Segnung für ihre Dienste von Durvāsa Muni einen mantra, mit dem sie jeden Halbgott rufen konnte, um von ihm ein Kind zu bekommen. Durvāsa kannte die Zukunft Pāṇḍus, und deshalb gab er Kuntī diese Segnung.

Aus der Verbindung Kuntīs mit dem Herrn des Todes ging Mahārāja Yudhiṣṭira hervor. Als er das Licht der Welt erblickte, sagte eine Stimme am Himmel: »Dieses Kind wird der beste aller tugendhaften Männer sein. Er wird ein in allen drei Welten berühmter König werden!« Pāṇḍu bat Kuntī noch dreimal, Söhne von den Halbgöttern zu bekommen. Sie empfing Bhīma durch Vāyu, den Gott des Windes und Arjuna durch Indra, den König der Himmelsbewohner. Der vierten Bitte ihres Gatten kam sie aber nicht nach, sondern lehrte Madrī den mantra, damit auch sie Kinder habe. Madrī rief die Zwillings-Aśvinis, die beiden Ärzte der Halbgötter, deren Schönheit und Gelehrsamkeit im ganzen Universum bekannt waren, und empfing Nakula und Sahadeva durch sie. Die fünf hochqualifizierten Söhne Pāṇḍus wurden von den im Wald lebenden Weisen unterrichtet und zu zukünftigen Führern herangezogen.

Eines Tages im Frühling geschah durch die Macht der Vorsehung das Unvermeidliche: Pāṇḍu spazierte mit seiner Frau Madrī allein im Wald. Angeregt durch die bezaubernde Atmosphäre jenes Frühlingstages umarmte er von Lust überwältigt seine schöne Frau. Alle Versuche Madrīs, ihren Gemahl zur Vernunft zu bringen und ihn von einer Handlung abzuhalten, die ihm den Tod kosten würde, schlugen fehl – Pāṇḍu nahm Madrī gewaltsam und starb, während er sich mit ihr vereinigte. Madrī bat Kuntī, ihrem Gemahl folgen zu dürfen und Kuntī sollte sich um die Kinder kümmern. So warf sie sich auf den brennenden Scheiterhaufen Pāṇḍus und folgte ihm treu in die nächste Welt.

Die Geburt Duryodhanas und seiner 99 Brüder

Nach den Bestattungsriten brachten einige im Wald lebende Ṛṣis Kuntī und ihre fünf Söhne nach Hastināpūra zum Kuru-Palast und übergaben die Kinder der Obhut ihres Onkels Dhṛtarāṣṭra und Bhīṣmas. Bevor die Pāṇḍavas (die fünf Söhne Pāṇḍus) zur Welt kamen, hatte Gāndhārī, die Gemahlin Dhṛtarāṣṭras, von Vyāsadeva die Segnung bekommen, einhundert Söhne zu gebären. Nach zweijähriger Schwangerschaft schlug sie sich – als sie von Yudhiṣṭiras Geburt hörte – verärgert darüber, dass ihre Schwangerschaft noch immer nicht beendete war, auf den Bauch und brachte einen Fleischball hervor. Als sie ihn wegwerfen wollte, erschien der weise Vyāsa vor ihr. Gāndhārī beklagte sich bei ihm, dass er ihr einhundert Söhne versprochen hätte und sie stattdessen nach zweijähriger Schwangerschaft nur diesen Fleischball hervorgebracht habe.

Vyāsadeva sagte: »Meine Worte können niemals unwahr sein, noch nicht einmal, wenn sie im Scherz gesprochen wurden.« Dann besprengte er den Ball mit Wasser, und der Klumpen zerteilte sich in einhundert daumengroße Stücke. Vyāsadeva gab die Anweisung, jedes Teil in einen Behälter mit Butterfett zu tun und sie sorgsam aufzubewahren. Gāndhārī war zwar glücklich einhundert Söhne zu haben, dachte sich aber, dass eine Tochter ihr Mutterglück noch vergrößern würde. Als Vyāsa die Behälter nachgezählt hatte, stellte er fest, dass es einhunderteins Behälter waren. Und da er die Gedanken seiner Schwiegertochter kannte, versicherte er ihr, dass sie nun auch eine Tochter haben würde. Das Mädchen – sie gaben ihr den Namen Duhśala – wurde später mit Jayadratha, dem König der Sindhus, vermählt.

Zwei Jahre später – am selben Tag als Bhīṣma geboren wurde – hatte sich auf mystische Weise aus einem der Fleischteile Duryodhana entwickelt. Bei seiner »Geburt« wieherte er wie ein Esel, und alle Esel in der Umgebung antworteten ihm. Dieses und noch einige andere schlechte Omen wie Sandstürme und Sonnenfinsternis deuteten an, dass hier die Ursache für zukünftiges Unheil des Kuruhauses Geburt genommen hatte. Vidura riet seinem Bruder Dhṛtarāṣṭra, diesen Sohn sofort im Wald auszusetzen. Dhṛtarāṣṭra aber hörte nicht auf ihn. Als alle hundert Söhne und die Tochter geboren waren, zeugte der blinde König mit einer Dienstmagd noch einen Sohn, den sie Yuyutsu nannten.

Duryodhana versucht Bhīma zu vergiften

Die Pāṇḍavas und die Söhne Dhṛtarāṣṭras wuchsen heran. Bhīma, der Sohn des Windgottes, war Duryodhana und dessen Brüdern in Stärke, Schnelligkeit, Tapferkeit und vielen anderen Dingen überlegen, und Duryodhana wurde mit der Zeit immer neidischer auf Bhīma und dessen Brüder. Eines Tages spielten die Kinder an einem schönen Ort am Ufer des Ganges. Sie vergnügten sich im Wasser und fütterten sich anschließend gegenseitig. Bei dieser Gelegenheit gab Duryodhana dem arglosen Bhīma vergiftetes Essen. Bhīma wurde bewusstlos, und Duryodhana fesselte ihn und warf ihn in den Ganges, ohne dass die anderen es bemerkten. Während Bhīma sank, wurde er von Nāgas gebissen. Ihr Gift neutralisierte das Gift, das Duryodhana ihm ins Essen getan hatte. Die Nāgas brachten Bhīma zu ihrem König Vāsuki. Einer der Nāgas, Aryaka mit Namen, erkannte in Bhīma einen Verwandten. Aryaka war der Großvater Kuntibhojas, des Vaters Königin Kuntīs. Hocherfreut einen Urenkel zu sehen, gab er Bhīma einen Nektartrank, durch den der zweite Sohn Pāṇḍus die Stärke von zehntausend Elefanten erlangte. Dann wurde er von den Nāgas zurückgebracht zum Ufer der Gaṅgā.

In der Zwischenzeit machten sich Kuntī und Bhīmas Brüder große Sorgen um ihn, und, da sie nun Duryodhanas Absichten kannten, beschlossen sie, in Zukunft sehr vorsichtig zu sein. Von Yudhiṣṭira heißt es, er wäre so rein und unschuldig gewesen, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass irgendjemand einem anderen etwas Böses antun kann. Er hielt jeden für so ehrenhaft wie sich selbst.

Einige Zeit später versuchte Duryodhana erneut, Bhīma durch vergiftete Nahrung zu töten. Yuyutsu, der durch die Dienstmagd empfangene Sohn Dhṛtarāṣṭras, informierte Bhīma darüber. Aber Bhīma aß die vergiftete Speise einfach sorglos auf und verdaute sie völlig.

Kṛpa wurde der erste Waffenlehrer der Kuru-Prinzen. Er war der Sohn Śaradvats, der mit Pfeilen in den Händen geboren worden war. Śaradvat nahm schon früh Entsagungen auf sich, und erlangte alle himmlischen Waffen, wie die brahmacārīs durch Entsagungen von ihren Gurus das Wissen der Vedas erhalten. Indra, der Himmelskönig, wurde sehr besorgt, als er Śaradvats Askese sah und schickte Janapadī, eine schöne Apsara (himmlisches Gesellschaftsmädchen), um ihn zu Fall zu bringen. Bei ihrem Anblick fielen Śaradvat Pfeil und Bogen aus den Händen. Er flüchtete und verlor Samen. Der Same fiel auf Heidekraut und da der Samen eines Ṛṣis niemals verlorengeht, wurden daraus zwei Kinder geboren, ein Junge und ein Mädchen. Ein Soldat Mahārāja Śāntanus fand die Kinder und brachte sie dem König. Śāntanu nannte sie Kṛpa (kṛpa bedeutet, Mitleid, Barmherzigkeit) und Kripī, weil er sie aus Barmherzigkeit aufzog. Später erschien Śaradvat am Königshof und lehrte seinen Sohn die Waffenkunst.

Droṇa wird Waffenlehrer der Kuru-Prinzen

Als die Kuru-Prinzen schon etwas herangewachsen waren, machte Bhīṣma den mächtigen Droṇa zum Lehrer der Jünglinge. Vaiśampāyana erzählte folgende Geschichte über Droṇa: An der Quelle der Gaṅgā lebte der Ṛṣi Bharadvāja. Eines Tages sah er die leicht bekleidete Gritaci (eine Apsara) und in einem Aufwallen der Lust gab er Samen ab. Er fing ihn in einem droṇa genannten Behälter auf. Aus dem Samen entstand ein Junge, den er Droṇa nannte. Bharadvāja war ein Freund König Priśatas. Priśatas Sohn Drupada und Droṇa waren Schüler Agniveśas. Drupada kam oft zum āśrama seines Guru und so wurden Droṇa, der bei seinem Meister lebte, und Drupada ebenfalls Freunde. Nach seiner Schülerzeit heiratete Droṇa Kripī. Sie brachte einen Sohn zur Welt, den sie Aśvatthāmā nannten. Nach dem Tod Bharadvājas und König Priśatas erlangte Droṇa die Waffen Paraśurāmas. Der mächtige Paraśurāma, die Kriegerinkarnation des Herrn, hatte sich in den Himavat zurückgezogen, nachdem er die Kṣatriya-Klasse einundzwanzigmal vernichtet hatte.

Als Droṇa davon hörte, ging er zu ihm und bat Paraśurāma um einen Teil seines Besitzes. Paraśurāma sagte: »Ich habe bereits all meinen Reichtum verschenkt. Ich besitze nur noch meinen Körper und meine himmlischen Waffen; du kannst zwischen beiden wählen.« Droṇa ließ sich die Waffen mit den dazugehörigen mantras geben. Obwohl im Besitz mächtiger Waffen war Droṇa ein armer Brāhmaṇa. Er besaß noch nicht einmal eine Kuh, die seiner Familie etwas Milch hätte geben können. Um seiner Armut abzuhelfen, begab er sich eines Tages zu König Drupada, seinem alten Freund. Aber Drupada wollte von seiner Freundschaft nichts mehr wissen und wies ihn schroff ab. Als sie beide noch als Schüler Agniveśas in dessen āśrama lebten, hatte Drupada öfters zu Droṇa gesagt, dass er, wenn er einmal König sei, Droṇa die Hälfte seines Königreiches geben würde. Tief gekränkt durch das Verhalten König Drupadas, verließ Droṇa den Palast und ging nach Hastināpūra, um der Waffenlehrer der Kuru-Prinzen zu werden, in der Hoffnung mit ihrer Hilfe dem stolzen König von Pañcala eines Tages eine Lehre zu erteilen und ihm sein Königreich mit Gewalt zu nehmen.

Unter allen Schülern Droṇas war Arjuna der herausragendste. Er übertraf seine Brüder und die hundert Söhne Dhṛtarāṣṭras in der Geschicktheit im Umgang mit Pfeil und Bogen bei weitem. Er übte sich sogar nachts im Bogenschießen. Seine Aufmerksamkeit war dermaßen zielgerichtet, dass er beim Schießen nur das Zentrum des Zieles sah und sonst nichts. Weil Droṇa sehr zufrieden war mit Arjuna, gab er ihm die Segnung, der beste Bogenschütze der Welt zu sein.

Ekalavias Guru-dakṣiṇā

Eines Tages kam der Niśada-Prinz Ekalavia zu Droṇacarya und bat ihn, ihn als seinen Schüler anzunehmen. Droṇa lehnte jedoch ab, weil er fürchtete, dieser Mann einer niedrigeren Kaste könne vielleicht im Laufe der Zeit seine Kṣatriya-Schüler übertreffen. Hierauf ging Ekalavia in den Wald und übte sich dort im Bogenschießen. Er fertigte eine Tonfigur Droṇas an und erlangte dadurch, dass er sie regelmäßig verehrte als wäre sie Droṇa selbst, die Meisterschaft im Umgang mit Pfeil und Bogen, und er übertraf sogar noch den Sohn Indras in der Kunst des Bogenschießens.

Als Arjuna von den Fähigkeiten des Niśada-Prinzen hörte, sagte er zu seinem Lehrer: »Wie ist es möglich, dass Ekalavia mich im Bogenschießen übertrifft, wo du mir doch das Versprechen gegeben hast, dass es auf der Erde niemanden gäbe, der mir gleichkäme in dieser Kunst?« Droṇa begab sich daraufhin zusammen mit Arjuna in den Wald zu Ekalavia. Als Ekalavia Droṇa sah, fiel er sofort wie ein Stab vor ihm nieder und brachte ihm Ehrerbietungen dar. Droṇa sagte zu ihm: »Wenn du mein Schüler bist, dann gib mir jetzt die Guru-dakṣiṇā.« Ekalavia antwortete: »Befiehl mir, was ich für dich tun oder für dich bringen soll, mein Meister.« Droṇa sagte: »Gib mir deinen rechten Daumen als Guru-dakṣiṇā.« Da Ekalavia ein Mann war, der zu seinem Wort steht, hackte er den Daumen seiner rechten Hand ab und gab ihn Droṇa. Er musste dann allerdings feststellen, dass er nicht mehr so genau schießen konnte wie vorher.

Yudhiṣṭiras Demut

Einmal, an einem Ekadaśi-Tag, schickte Droṇa Yudhiṣṭira los mit dem Auftrag, ihm jemanden zu bringen, der Yudhiṣṭira untergeordnet sei, und Duryodhana schickte er los, um jemanden zu finden, der Duryodhana übergeordnet sei. Am Abend kam der stolze Duryodhana zurück und berichtete, er habe niemanden gefunden, der ihm übergeordnet sei. Bald darauf traf Yudhiṣṭira ein und berichtete: »Am Ende des Tages traf ich einen Vaiśya (Bauer), von dem ich anfangs dachte, er wäre mir untergeordnet in der Rechtschaffenheit, weil er Wasser aus einem Brunnen holte.[10] Ich wollte ihn schon mitnehmen, doch dann sah ich, dass der Vaiśya das Wasser einer Kuh gab. Da ich keinen finden konnte, der mir untergeordnet ist, bringe ich mich selbst als den Niedrigsten von allen.« Als Droṇa Yudhiṣṭiras Demut sah, wusste er, dass der älteste Sohn Pāṇḍus geeignet war, die Welt zu regieren, und er wusste auch, dass der selbstherrliche Duryodhana die Ursache der Zerstörung der Kurus sein würde.

Der Wettkampf zwischen Arjuna und Karṇa

Am Ende der Lehrzeit der Kuru-Prinzen veranstaltete Droṇa einen öffentlichen Wettkampf. Seine Schüler zeigten vor den Augen des Kuru-Hofstaates und vieler neugieriger Bürger ihre Waffenkünste. Bhīma und Duryodhana, die beide erstklassige Keulenkämpfer waren, führten einen Zweikampf aus, den Droṇa nach einiger Zeit abbrach, als er sah, mit welchem Zorn sie aufeinander losgingen. Als letzter demonstrierte Arjuna seine Geschicktheit mit Schwert und Keule und im Bogenschießen. Alle Zuschauer waren äußerst erstaunt über seine Fähigkeiten.

Als der Wettkampf fast zu Ende war, betrat ein stattlicher unbekannter Krieger in einer goldenen Rüstung die Arena. Es war Karṇa, der Pflegesohn des Kutschers Adiratha. Adiratha hatte Karṇa als Säugling in einem Weidenkorb am Ufer des Ganges gefunden. Das Kind trug wunderschöne Ohrringe, weshalb er es Karṇa (»Ohr; schöne große Ohren, schön geschmückte Ohren«) nannte. Karṇa prahlte vor allen Zuschauern mit seinen Fähigkeiten und vollführte auch tatsächlich alles, was Arjuna getan hatte. Duryodhana hieß ihn erfreut willkommen und bot ihm seine Freundschaft an. Dann forderte Karṇa den Sohn Indras mit stolzen Worten zum Zweikampf heraus. Kṛpa, der mit den Regeln des Zweikampfs wohlvertraut war, fragte den Krieger, aus welchem Geschlecht, von welcher königlichen Linie er abstamme. Karṇa senkte seinen Blick beschämt zu Boden. Duryodhana rettete die Situation zugunsten seines neugewonnenen Verbündeten, indem er sagte: »O Lehrer, die Schriften sagen, dass man auf dreierlei Weise ein König werden kann – durch Geburt in einer königlichen Familie, durch heroische Taten und durch das Anführen eines Heeres. Wenn Arjuna nicht mit einem Nicht-König kämpfen will, dann mache ich hiermit diesen Mann zum König von Aṅga.« Sofort kamen einige Brahmanen herbei und vollführten die Krönungszeremonie, und von diesem Zeitpunkt an war Karṇa einer von Duryodhanas Männern.

Bald darauf kam Adiratha auf einen Stab gestützt in die Arena, und Karṇa verneigte sich achtungsvoll vor seinem Pflegevater. Adiratha umarmte seinen Sohn freudig und benetzte dessen Haar mit seinen Tränen. »Ha«, sagte Bhīmasena, »er ist der Sohn eines Wagenlenkers! Du verdienst es nicht im Kampf von Arjuna getötet zu werden, o Sohn eines Kutschers. Nimm schnell die Peitsche in die Hand und tu, was für Leute deines Berufes angemessen ist. Du verdienst es nicht, König von Aṅga zu sein. Du bist wie ein Hund, der zum Opferfeuer gekommen ist, um die geheiligte Butter zu stehlen!« Erzürnt sprang Duryodhana auf und konterte mit scharfen Worten. Dann verschwand der Sonnenball hinter dem Horizont, und Krieger und Zuschauer verließen die Arena und begaben sich nach Hause. Die Meinungen der Zuschauer in der Frage, wer nun der bessere Krieger war – Karṇa oder Arjuna –, gingen auseinander. Manche hielten Arjuna für den Gewinner des Wettkampfs und andere Karṇa.

Droṇācārya demütigt König Drupada

Einige Zeit später forderte Droṇa von seinen Schülern die Guru-dakṣiṇā – sie sollten Drupada gefangennehmen und ihn als Geschenk überbringen. Also zogen sie los zur Stadt des Königs und kämpften gegen sein Heer, und Arjuna nahm den mächtigen König von Pañcala gefangen und brachte ihn zu Droṇa. Pārtha (Arjuna) hatte seinem Waffenlehrer schon am Anfang seiner Lehrzeit versprochen, Drupada zu unterwerfen. Drupadas ganzes Königreich war nun im Besitz von Droṇa, und er demütigte Drupada, indem er ihn am Leben ließ und ihm die Hälfte seines Köngreichs schenkte. Droṇa sprach: »Du sagtest, nur ein König kann der Freund eines Königs sein. Nimm nun das südliche Pañcala als dein Reich an, während ich das nördliche Pañcala regiere und sei mein Freund.«

Ein Jahr danach wurde Yudhiṣṭira zum Erbprinzen geweiht. Zu dieser Zeit empfing Arjuna die Brahmaśira-Waffe von Droṇa, eine Waffe, die falsch eingesetzt, d.h. gegen Schwächere eingesetzt, die ganze Erde vernichten würde. Droṇa hatte diese Waffe von seinem Guru Agniveśa empfangen. Der Waffenlehrer der Pāṇḍavas forderte nun von Arjuna allein eine besondere Guru-dakṣiṇā, und Arjuna versprach, ihm alles zu geben, was er wolle. Droṇa sagte: »Kämpfe gegen mich, wenn ich dich eines Tages zum Kampf herausfordern werde.«

Vāraṇāvata