Mami 1824 – Familienroman - Myra Myrenburg - E-Book

Mami 1824 – Familienroman E-Book

Myra Myrenburg

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Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. Im hektischen Betrieb der Abfertigungshalle des Frankfurter Flughafens umarmte sich ein junges Paar. Die beiden sahen sich in die Augen und schienen nichts von der Hetze und Nervosität ringsum zu bemerken. Es wurde ihnen auch nicht bewußt, daß sie als Hindernis im Strom der Passanten angesehen werden mußten. Rechts und links von ihnen schoben die Reisenden Kofferwagen vorbei oder hasteten mit umfangreichen Gepäckstücken zu den verschiedenen Abfertigungsschaltern. "Ich möchte dich nicht gehen lassen, denn ich habe das ungute Gefühl, es ist ein Abschied für immer", seufzte Thomas Egner, und man sah ihm an, daß er litt. Sein hübsches Gesicht war bleich, dunkel hob sich der Dreitagebart ums Kinn ab. Die braunen Augen des fünfundzwanzigjährigen Medizinstudenten glänzten feucht.

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Mami –1824–

Au-pair Mädchen Julia

Roman von Svanberg Susanne

Im hektischen Betrieb der Abfertigungshalle des Frankfurter Flughafens umarmte sich ein junges Paar. Die beiden sahen sich in die Augen und schienen nichts von der Hetze und Nervosität ringsum zu bemerken. Es wurde ihnen auch nicht bewußt, daß sie als Hindernis im Strom der Passanten angesehen werden mußten. Rechts und links von ihnen schoben die Reisenden Kofferwagen vorbei oder hasteten mit umfangreichen Gepäckstücken zu den verschiedenen Abfertigungsschaltern.

»Ich möchte dich nicht gehen lassen, denn ich habe das ungute Gefühl, es ist ein Abschied für immer«, seufzte Thomas Egner, und man sah ihm an, daß er litt. Sein hübsches Gesicht war bleich, dunkel hob sich der Dreitagebart ums Kinn ab. Die braunen Augen des fünfundzwanzigjährigen Medizinstudenten glänzten feucht.

»Quatsch«, antwortete Julia etwas zu forsch, »in einem Jahr bin ich wieder da.« Sie war fünf Jahre jünger und hatte erst vor drei Wochen an einer Internatsschule das Abitur gemacht. Thomas hatte sie vor knapp zwei Jahren bei einem Sommerfest dieser Schule kennengelernt. Seither trafen sie sich regelmäßig. Sie liebten sich und verstanden sich gut. Das hatte Julia allerdings nicht davon abhalten können, sich um eine Au-pair-Stelle in den USA zu bewerben. In dem kleinen Ort Boulder, im Westen der Vereinigten Staaten, hatte sie eine entsprechende Anstellung gefunden, und sie freute sich auf den neuen Lebensabschnitt. »Ich werde dann ein gutes Englisch sprechen, und das wird mir das Sprachstudium sehr erleichtern. Wahrscheinlich mache ich auch sonst noch ein paar nützliche Erfahrungen.« Julia lächelte etwas unsicher, und dabei zeigten sich in ihren Wangen zwei reizende Grübchen. Mit dem schulterlangen blonden Haar, dem frischen Gesicht und den großen blauen Augen war sie ein sehr hübsches Mädchen. Ihre Mitschülerinnen beneideten sie um ihre Größe und die schlanke Figur, die jeden Modeschöpfer begeistert hätte.

»Du wirst jemand finden, den du lieber magst als mich«, seufzte Thomas. »Jemand, der dir mehr bieten kann als ich armer Student. Und dann wirst du da drüben bleiben und mich vergessen.« Seit ihm Julia von ihren Plänen erzählt hatte, beherrschte ihn die Angst, das geliebte Mädchen zu verlieren. Er hatte versucht, tapfer zu sein und seine Sorgen nicht zur Sprache zu bringen. Doch jetzt brachen sie um so leidenschaftlicher hervor.

»So ein Unsinn«, kritisierte Julia, die viel nüchterner war. Thomas war ihr erster Freund, und wenn sie auf die Schulkameradinnen hören wollte, war es nicht gut, sich schon jetzt festzulegen. »Ich mag dich doch, Tommy!« Sie streckte sich etwas und strich liebevoll über sein kurzgeschnittenes braunes Haar, das am Wirbel widerspenstig in die Höhe stand.

»Darüber bin ich sehr glücklich. Aber du bist zu jung und zu unerfahren, abzuschätzen, was auf dich zukommt. In diesem Internat bist du abgeschirmt von der übrigen Welt aufgewachsen. Das ist es, was mich beunruhigt.«

Julia verzog das Gesicht und verdrehte die Augen. »Mein Wunsch war es auch nicht, in einem Internat zu leben. Aber für meine Eltern war das zwar keine billige, aber eine praktische Lösung. Sie konnten beide ihren Neigungen nachgehen, ohne sich um mich kümmern zu müssen. Ich habe dir ja schon erzählt, daß sie nicht einmal in den Ferien Zeit für mich hatten. Wie auch? Mein Vater ist als Kapitän eines Luxusliners ständig unterwegs, und meine Mutter fliegt zu Dreharbeiten um die ganze Welt. Ich weiß nicht einmal, wo sie sich gerade aufhält. Das war schon immer so.«

»Das ist ja mein Kummer. Du hast keine Wurzeln. Du wirst dort bleiben, wo man dir zum ersten Mal in deinem Leben ein Zuhause bietet. Ich hätte das so gern getan, aber noch kann ich es nicht. Erst in einem halben Jahr mache ich Examen, und dann bin ich auch nur ein kleiner Assistenzarzt, der wenig verdient und viel arbeiten muß.«

»Du hast jetzt viel zu lernen, Tommy. Da ist es ganz gut, wenn wir uns nicht sehen. Du kannst dich in aller Ruhe auf die Prüfung vorbereiten«, versuchte Julia ihren Freund aufzuheitern. Sie lächelte obwohl ihr das nicht leichtfiel. Sie war nervös, doch das war mehr die Furcht vor all dem Neuen, das sie erwartete. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie ganz auf sich gestellt. Es gab niemand, der ihr Vorschriften machte, niemand, der sie überwachte, keine Hausordnung, die streng befolgt werden mußte.

Der angehende Arzt ging nicht darauf ein. »Julia, ich wollte dich schon lange etwas fragen, das mich von Anfang an beschäftigt hat. Ich fand nur nicht den Mut dazu, eben weil ich nur ein armer Student bin. Für mich bist du die Frau, mit der ich bis an mein Lebensende zusammensein möchte. Für mich bist du das Kostbarste, was diese Welt zu bieten hat. Ich möchte dich nicht verlieren, Julia. Meine größte Angst ist, daß du da drüben einen anderen kennenlernst.«

»Selbst wenn es so wäre, würde ich sicher rasch feststellen, daß er lange nicht so nett ist wie du.« Julia hatte keine Ruhe für dieses Gespräch. In der Brusttasche ihrer Jeansjacke steckte die Boardkarte, und sie war neugierig auf ihren ersten Flug. Neugierig auch auf das fremde Land, das sie in etwa elf Stunden betreten würde. Was sie dort erwartete interessierte sie im Moment mehr als Tommys Zukunftspläne.

»Es wird sicher ganz schnell einige Jungs geben, die sich um dich bemühen. Ein Mädchen, das so hübsch ist wie du, bleibt nicht allein.« Für Thomas war das eine schlimme Vorstellung. Sie erfüllte ihn mit Angst und Sorge und machte ihn fast krank. »Gerade deshalb wollte ich dir eben sagen, daß es mein größter Wunsch ist, daß aus unserer Freundschaft eine dauerhafte Lebensgemeinschaft wird. Könntest… würdest… möchtest du…« Thomas kam vor lauter Aufregung ins Stottern. Sein Herz schlug wie wild und sein Blick flackerte. »Ich meine, wäre es denkbar, daß wir heiraten, wenn… wenn du aus den USA zurück bist?«

Julia blinzelte verunsichert, denn sie hatte diese Frage nicht erwartet. Sie war eben den strengen Regeln des Internats entkommen und fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben frei. Da sollte sie sich schon wieder binden?

»Ich weiß nicht«, meinte sie zögernd. »Ich bin erst zwanzig und sollte mir vielleicht zunächst mal den Wind um die Ohren wehen lassen, bevor ich mich entscheide. Wenn ich es tue, möchte ich auch dazu stehen, für immer. Versteh mich nicht falsch, Tommy«, bat sie mit wehmütigem Lächeln. »Ich hab’ dich sehr lieb. Aber ich bin erst zwanzig. Ich habe noch keine Ausbildung und keine richtige Vorstellung von dem Leben, das ich später führen möchte. Ich will dieses Sprachstudium durchziehen und später als Dolmetscherin arbeiten. Wo, das weiß ich noch nicht. Nur eines weiß ich genau, ich will nicht ständig unterwegs sein wie meine Eltern, und ich werde meine Kinder, wenn ich welche haben sollte, nie in ein Internat geben. Ich möchte eine gute Ehe führen und mich nicht nach kurzer Zeit wieder scheiden lassen, wie es meine Eltern getan haben.«

»Das alles möchte ich auch, Julia. Ich habe auch Verständnis dafür, daß du mir keine Antwort auf meine Frage geben kannst, aber ich glaube, es ist wichtig, daß du weißt, daß ich auf dich warte und es für mich nie eine andere geben wird, ganz gleich was geschieht. Ich habe mich für dich entschieden, und dieser Entschluß wird getragen von meiner Liebe zu dir. Er ist unumstößlich.«

Thomas zog das schlanke Mädchen noch enger an sich. So, als könne er Julia festhalten.

Ihr war das nicht ganz angenehm. Besorgt schaute sie zur Uhr. »Ich glaube, mein Flug wird gleich aufgerufen. Ich sollte in den Warteraum gehen.«

»Es sind noch gut zehn Minuten«, wehrte Thomas, dem klar war, daß sie sich an der Sperre endgültig trennen mußten. Trennen für ein ganzes Jahr! Er empfand diese Zeit wie eine riesige Last, die ihn zu erdrücken drohte. »Ich wollte dir noch etwas geben, Julia. Etwas, das dich da drüben an mich erinnern soll.« Thomas zog ein kleines dunkles Kästchen aus der Tasche. Mit der freien Hand ließ er den Deckel hochschnappen. »Hoffentlich gefällt es dir!«

»Oh, was für ein hübscher Ring.« Julias blaue Augen leuchteten vor Begeisterung. Auf dunklem Stoff glänzte ein schmaler goldener Reif mit einem kleinen, glitzernden Brillanten. »Der ist doch viel zu wertvoll für mich. Er hat dich bestimmt all deine Ersparnisse gekostet. Ich kann das nicht annehmen.«

»Du machst mir eine große Freude damit, Julia. Ich habe Teile meiner Examensarbeit in einer Ärztezeitschrift veröffentlicht. Das ist mein Honorar.« Jetzt lachte Thomas vergnügt. »Die Anschaffung ist mir also nicht schwergefallen. Hoffentlich hast du Spaß damit.«

»Das hab’ ich ganz sicher. Danke, Thomas. Du machst mir eine große Freude.« Julia streckte sich und schlang beide Arme um den Hals des jungen Mannes. Stürmisch küßte sie ihn auf den Mund. Es wurde ein inniger, ein langer Kuß, und für einige Minuten vergaßen sie, daß der Abschied unmittelbar bevorstand.

*

Der Flug war nicht gerade angenehm. Es war Ferienzeit, und die Maschine war bis auf den letzten Platz besetzt. Es waren Touristen mit umfangreichen Gepäckstücken und viele Familien mit kleinen Kindern an Bord. Julia saß zwischen zwei ungeduldig zappelnden Mädchen, die wohl gerade schulpflichtig waren. Die Eltern saßen gegenüber und schienen recht froh darüber zu sein, daß sich Julia um die beiden kümmerte. Um ihnen die langweilige Flugzeit zu verkürzen, machte Julia Spiele mit den beiden, auf was sie aber nur halbherzig eingingen. Viel lieber gaben die Kinder ihrem Bewegungsdrang nach und hielten sich in dem engen Gang zwischen den Sitzreihen auf. Dort brachten sie beinahe einen Getränkewagen zum Umkippen und eine wütende Stewardeß dazu, sich bei Julia zu beschweren. Was nützte es, daß sie versicherte, daß diese Kinder nicht zu ihr gehörten. Sie wurde vorwurfsvoll angeschaut, und ihr Wunsch nach einer Tasse Kaffee wurde einfach übergangen. Um so besser verstanden es die Zwillinge, allerlei Eßbares zu organisieren, das sie in sich hineinstopften, bis ihnen schlecht war.

Was dann kam, war wieder Julias Sache. Die Eltern taten als bemerkten sie nicht, wie schlecht es ihren Sprößlingen ging. Julia, die viel lieber ihre Ruhe gehabt hätte, mußte Brechtüten halten, verschmierte Gesichter abwischen und verklebte Hände säubern.

Sie hätte sich so gern zurückgelehnt, die Augen geschlossen und an ihren Freund Thomas gedacht, der ihr bis zuletzt zugewinkt hatte. Doch es war nicht möglich. Die Kinder hielten Julia ständig auf Trab.

Vielleicht ist es eine gute Vorübung, tröstete sich Julia und ergab sich klaglos in ihr Schicksal. Schmutzig und müde fühlte sie sich, als das Flugzeug schließlich in Denver landete. Da sie keinen Fensterplatz hatte, konnte sie die Stadt, in der es sehr viele Grünflächen gab, aus der Luft nicht sehen. Der Flughafen sah nicht anders aus als derartige Einrichtungen überall auf der Welt. Julia nahm ihren Koffer vom Band, ging durch die Paßkontrolle und sah sich dann in der Ankunftshalle um. Es war vereinbart, daß sie abgeholt wurde, denn Boulder, die Kleinstadt, in der sie für ein Jahr leben sollte, lag knapp zwanzig Kilometer von Denver entfernt. Da kam auch schon eine jüngere Frau auf sie zu. Sie war mittelgroß, nicht gerade schlank, aber auch nicht dick und sah aus wie das Klischee einer gepflegten Amerikanerin. Sie trug ein gutsitzendes Kostüm, dessen dunkle Farbe die kurzen blondierten Haare voll zur Geltung brachte. Dazu trug sie auffallenden Schmuck, Schuhe und Handtasche in einer ungewöhnlichen Farbe.

»Hey, you’re really Julia!«

Die Hand der jungen Deutschen wurde ergriffen und lebhaft geschüttelt. »I’m Mandy, the Mum of Hannah and Steve.« Die Amerikanerin lachte unbekümmert. Ihr Gesicht wirkte jung und sehr gepflegt, aber irgendwie maskenhaft. Es gab nicht die geringste Unebenheit darin. Kein noch so winziges Leberfleckchen störte die Makellosigkeit.

Julia erkannte schon in diesem Moment, daß ihre Schönheit für Mandy wichtiger war als alles andere. Vermutlich war sie nur aus Neugierde zum Flughafen gekommen. Etwas verunsichert lächelte Julia und versuchte, sich an das zu erinnern, was sie zur Begrüßung sagen wollte. In der Aufregung hatte sie die sorgsam zurechtgelegten englischen Sätze wieder vergessen. »I am so glad, coming to you«, stotterte sie verwirrt und kam sich linkisch dabei vor, was ihr in Mandys Gegenwart immer wieder passieren sollte, denn diese Frau strahlte eine überwältigende Selbstsicherheit aus.

Mandy Parker gehörte zu den Leuten, die sich am liebsten selbst reden hörten. Deshalb legte sie keinen Wert auf Julias Erwiderung. Sie erklärte freundlich, doch auch irgendwie überheblich, daß draußen vor dem Flughafengebäude ihr Wagen stehe, und daß sie eine Sondergenehmigung habe, ihn dort zu parken. Ihr Mann sei nämlich Stadtrat von Boulder und habe in dieser Eigenschaft Sonderrechte, die sich auch auf ihre Person ausdehnten.

Julia verstand nicht alles und merkte wieder einmal wie lückenhaft doch das Schulenglisch war, das man ihr in neun Jahren beigebracht hatte. Dabei war sie in Fremdsprachen stets eine der besten ihres Jahrgangs gewesen.

Mandy Parker fiel nicht auf, daß die junge Deutsche wenig redete. Sie sprach um so mehr. Als Julia in ihrem bonbonfarbenen Cadillac Platz genommen hatte, erklärte sie ihr wortreich die Bedeutung von Denver und seiner Umgebung. Daß Denver das städtische Zentrum der Rocky Mountains war, hatte Julia schon vorher gewußt, denn sie hatte sich sorgfältig auf ihren Aufenthalt in den USA vorbereitet. Auch daß Colorado mit seinen Bergen, Seen und Flüssen ein touristischer Anziehungspunkt war, wußte sie. Allerdings hatte sie sich das Städtchen Boulder, das sie nach kurzer Fahrt erreichten, nicht so hübsch vorgestellt.

Boulders Umgebung war landschaftlich schönen Gebieten in der Schweiz ähnlich. Da gab es hohe Berge, deren schroffe Felsspitzen in der Abendsonne leuchteten. Dunkle Tannenwälder und grüne Wiesen schlossen sich an. Wiesen, auf denen gemächlich Vieh weidete und die von munteren Bächen durchzogen wurden, die im Tal in blaue Seen mündeten. Dort trieb man Wassersport oder angelte als Freizeitbeschäftigung. Die meisten Häuser von Boulder lagen malerisch verstreut in Halbhöhenlage und hatten einen schönen Blick auf das Städtchen mit seiner untypischen Gemütlichkeit und der Universität, die einen ausgezeichneten Ruf hatte.

»Bei uns können Sie alles machen, Julia«, schwärmte Mandy, die sichtlich stolz auf ihre Heimat war. »Im Winter fährt man Ski, im Sommer kann man wunderschöne Tage an den Seen verbringen. Wir haben ein Motorboot und ein Wochenendhaus am Fuß der ›Grand Tetons‹. Das sind die schönsten Berge, die Sie je gesehen haben. Von allem das Schönste und Größte zu besitzen, schien für Mandy eine Selbstverständlichkeit zu sein. Julia hatte das Empfinden, immer kleiner und unscheinbarer zu werden, je länger Mandy redete.

Sie hielten vor einem großen landhausähnlichen Bau, der umschlossen wurde von einem offensichtlich weitläufigen Park. Das Tor war, wie von Geisterhand bewegt, zurückgerollt, und die sorgfältig geschnittenen Buchsbäumchen entlang der Privatstraße schienen Spalier zu stehen.

Julia war beeindruckt. Sie nahm ihren Koffer vom Rücksitz und folgte Mandy in eine teppichbelegte Halle. Sie wurde indirekt beleuchtet und von einer mächtigen freitragenden Marmortreppe beherrscht.

»Wo sind die Kinder?« fragte Julia in steifem Schulenglisch. Diese Frage war überflüssig, denn Sekunden knallte es direkt neben ihr. Es war wie der Donner eines explodierenden Geschosses. Erschrocken sprang Julia zur Seite, trat dabei auf kleine, zuvor nicht erkennbaren Kügelchen, die ihr jetzt zwischen die Beine sprangen und mit unangenehmem Zischen auseinanderplatzten. Gleichzeitig stank es penetrant nach faulen Eiern und verwesendem Fisch. Von der Treppe her war schadenfrohes Kinderlachen zu hören.

Das war ein Empfang, auf den Julia nicht vorbereitet war, der ihr aber sofort verdeutlichte, daß sie nicht besonders erwünscht war.