Kein Traum, sondern Wirklichkeit - Myra Myrenburg - E-Book

Kein Traum, sondern Wirklichkeit E-Book

Myra Myrenburg

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Der Workshop fand in einem perfekt restaurierten Schloß statt, das für die Schülerinnen der Mainzer Gunda-Rath-Schauspielschule gar nicht günstiger liegen konnte, nämlich mitten im Rheingau, umkränzt von Rebenhügeln und alten Burgen. Dennoch, der Weg war beschwerlich gewesen, auch für Anneke Helm und Milena Waldt, die keine lange Anreise hatten. Dem Treffen auf Schloß Marquartstein war ein strenges Auswahlverfahren vorausgegangen. Mehr als tausend junge Nachwuchskräfte hatten sich beworben um eine Rolle in ›Cinderella Cindy‹, dem neuen Musical, das auf einem altbekannten Thema beruhte und daher großen Erfolg versprach. Anneke und Milena waren Freundinnen. Sie waren musikalisch, tänzerisch begabt, ehrgeizig und sehr attraktiv, jede auf ihre Weise: Anneke weizenblond und blauäugig, Milena dunkelhaarig, mit Bernstein-Augen und groldbraunem Teint. Sie wohnten zusammen in einem Apartment in Mainz und ­be­suchten seit zwei Jahren mit ­Erfolg alle Kurse, die im Institut der ehemaligen Bühnenkünstlerin Gunda Rath angeboten wurden. Auf Schloß Marquardstein bezogen die beiden sofort ein gemeinsames Zimmer im Dachgeschoß, räumten unter aufgeregtem Gekicher ihre Sachen in die beiden Wandschränke, rissen die kleinen lukenförmigen Fenster auf und ließen die würzige Waldluft hereinströmen. »Hast du die kleine Rothaarige gesehen, die vorhin angekommen ist?« fragte Anneke halblaut. »Psst! Ich glaube, sie wohnt gleich neben uns!« »Ob die wohl so jung ist, wie sie aussieht?« sinnierte Anneke und sprach damit ein Problem an, das sie beide zunehmend beschäftigte. Schon während der Probeaufnahmen waren ihnen Mädchen aufgefallen, die noch sozusagen in den Kinderschuhen steckten. Mädchen, sie seit ihrem dritten Lebensjahr Ballettstunden nahmen, geschulte Singstimmen hatten und regelmäßig in den Märchenaufführungen des Stadttheaters auftraten. Diese Mädchen waren den meisten anderen voraus an Bühnenerfahrung, Sprechtechnik und praktischem Können, obwohl sie erst siebzehn oder achtzehn waren. Neben ihnen kamen sich Anneke und Milena mit ihren dreiundzwanzig Jahren alt und grau und unqualifiziert vor. Sie hatten beide reguläre Schulen besucht bis zum Abitur und sich in verschiedenen Ausbildungen versucht, bevor sie ihr schauspielerisches Talent entdeckt und beschlossen hatten, daraus einen Beruf zu machen. Wie schwer das war und wie überwältigend die Konkurrenz, darüber konnten sie sich stundenlang ereifern.

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Mami – 2003 –

Kein Traum, sondern Wirklichkeit

Mit Baby Olaf verändert sich Annekes Welt

Myra Myrenburg

Der Workshop fand in einem perfekt restaurierten Schloß statt, das für die Schülerinnen der Mainzer Gunda-Rath-Schauspielschule gar nicht günstiger liegen konnte, nämlich mitten im Rheingau, umkränzt von Rebenhügeln und alten Burgen.

Dennoch, der Weg war beschwerlich gewesen, auch für Anneke Helm und Milena Waldt, die keine lange Anreise hatten.

Dem Treffen auf Schloß Marquartstein war ein strenges Auswahlverfahren vorausgegangen. Mehr als tausend junge Nachwuchskräfte hatten sich beworben um eine Rolle in ›Cinderella Cindy‹, dem neuen Musical, das auf einem altbekannten Thema beruhte und daher großen Erfolg versprach. Anneke und Milena waren Freundinnen.

Sie waren musikalisch, tänzerisch begabt, ehrgeizig und sehr attraktiv, jede auf ihre Weise: Anneke weizenblond und blauäugig, Milena dunkelhaarig, mit Bernstein-Augen und groldbraunem Teint.

Sie wohnten zusammen in einem Apartment in Mainz und ­be­suchten seit zwei Jahren mit ­Erfolg alle Kurse, die im Institut der ehemaligen Bühnenkünstlerin Gunda Rath angeboten wurden.

Auf Schloß Marquardstein bezogen die beiden sofort ein gemeinsames Zimmer im Dachgeschoß, räumten unter aufgeregtem Gekicher ihre Sachen in die beiden Wandschränke, rissen die kleinen lukenförmigen Fenster auf und ließen die würzige Waldluft hereinströmen.

»Hast du die kleine Rothaarige gesehen, die vorhin angekommen ist?« fragte Anneke halblaut.

»Psst! Ich glaube, sie wohnt gleich neben uns!«

»Ob die wohl so jung ist, wie sie aussieht?« sinnierte Anneke und sprach damit ein Problem an, das sie beide zunehmend beschäftigte. Schon während der Probeaufnahmen waren ihnen Mädchen aufgefallen, die noch sozusagen in den Kinderschuhen steckten. Mädchen, sie seit ihrem dritten Lebensjahr Ballettstunden nahmen, geschulte Singstimmen hatten und regelmäßig in den Märchenaufführungen des Stadttheaters auftraten.

Diese Mädchen waren den meisten anderen voraus an Bühnenerfahrung, Sprechtechnik und praktischem Können, obwohl sie erst siebzehn oder achtzehn waren.

Neben ihnen kamen sich Anneke und Milena mit ihren dreiundzwanzig Jahren alt und grau und unqualifiziert vor.

Sie hatten beide reguläre Schulen besucht bis zum Abitur und sich in verschiedenen Ausbildungen versucht, bevor sie ihr schauspielerisches Talent entdeckt und beschlossen hatten, daraus einen Beruf zu machen.

Wie schwer das war und wie überwältigend die Konkurrenz, darüber konnten sie sich stundenlang ereifern.

Trotzdem: insgeheim rechneten sie sich beide einige Chancen aus für das Musical ›Cinderella Cindy‹, wenn nicht für die Hauptrolle, so doch für eine der zahlreichen Nebenrollen, die sie im Schlaf aufsagen konnten.

Beim Abendessen im Rittersaal des Schlosses lernten sie nicht nur die insgesamt achtzehn anderen Teilnehmer des Workshops kennen, sondern auch den Komponisten Rolf Fabian und die Choreografin Ilka Tauer.

Obwohl sich die meisten sichtlich herausgeputzt hatten, ging es dann doch recht locker und ungezwungen zu.

Auf der langen Tafel brannten Kerzen in hohen Leuchtern, irgendwo erklang dezente Hintergrundmusik, die Gespräche drehten sich ausnahmslos um das Musical, dessen Erfolg so gut wie sicher war, und niemand zeigte sich verwundert darüber, daß es nur Sprudelwasser zu trinken gab. Schließlich waren für den morgigen Tag Proben angesagt, die schon um acht Uhr beginnen und mit wenigen Unterbrechnungen bis achtzehn Uhr dauern sollten.

Etwas später saßen Anneke und Milena auf ihren schmalen Bettkanten und machten sich gegenseitig Mut.

»Die anderen sehen auch nicht besser aus als wir!«

»Ich glaube nicht, daß sie mehr können!«

»Von mir aus sollen sie mich ruhig gleich um acht drannehmen!«

»Mich auch! Aber im Grunde ist es mir egal. Ich bin den ganzen Tag fit.«

Sie schliefen schlecht in dieser ersten Nacht im Schloß, turnten sich bereits um sechs Uhr morgens munter, aßen kaum etwas zum Frühstück und traten überpünktlich in einem der großen Säle zur Gemeinschaftsprobe an.

Danach stand fest, daß sie alle etwa den gleichen Ausbildungsstand hatten. Am nächsten Tag wurden sie einzeln geprüft, so gründlich, daß ihnen Hören und Sehen verging. Hinter vorgehaltener Hand wurde darüber getuschelt, wer sich vom Typ her am besten für die verschiedenen Rollen eignete.

Am dritten Tag endlich fanden die ersehnten und gefürchteten Einzelgespräche statt.

Milena vertrieb sich die Wartezeit mit Yoga-Übungen.

Anneke, um sich zu beschäftigen, begann ziellos ihre Sachen zu packen, duschte zweimal hintereinander, und wusch sich die Haare.

Als sie gerufen wurde, stand sie gerade triefnaß im Bad und stieß einen unterdrückten Schreckensschrei aus.

»Was denn! Ich? Jetzt schon?«

»Los, los, los«, drängte Milena, »du hörst doch, daß dein Name gefallen ist. Menschenskind, mußt du dir denn ausgerechnet jetzt die Haare waschen!«

Anneke frottierte sich hektisch trocken, warf ein formloses blaues Kittelkleid über und hängte sich das Silberkettchen mit dem sternförmigen Talisman um den Hals.

»Wie sehe ich aus, Milena?«

»Wie ein chinesischer Kuli.«

»Oh, mein Gott.«

Sie rannte hinaus, den Flur entlang, die breite geschwungene Treppe hinunter bis ins Erdgeschoß, wo sie mit nassen hängenden Haaren und schmerzhaft klopfendem Herzen das Besprechungszimmer betrat.

Es war ein Salon, mit grüner und goldener Seide tapeziert, deren Muster sie nie vergessen würde: Fächerförmige Blätter und Lilienblüten.

Der Komponist Rolf Fabian stand vor einem wandhohen, von schweren Portieren umrahmten Fenster und bedeutete ihr, sich zu setzen. Sie sank auf ein zierliches, hart gepolstertes Sesselchen mit hoher, steifer Lehne.

Minutenlang blieb es kirchenstill.

Anneke wußte nicht, was sie sagen sollte, während er in einem Schnellhefter blätterte und sich gedankenvoll den graumelierten Kinnbart strich. Er trug seinen üblichen dunkelroten Baumwollpulli zu schwarzen Cordsamt-Hosen.

Seine Augen hinter goldgeränderten Brillengläsern blickten ernst, und seine Stimme klang streng.

»Sie haben gute Zwischenzeugnisse«, sagte er langsam, »aber noch keinen Abschluß.«

»Nein, ich werde erst nächstes Jahr fertig – wenn alles klappt.«

»Falls wir Sie für unser Musical auswählen, müßten Sie Ihre Ausbildung unterbrechen. Wäre das möglich?«

»Ich – ich denke schon. Ja, doch, ganz bestimmt.«

»Sie sind sich klar darüber, daß mit einem Engagement nicht nur eine große Chance verbunden wäre, sondern auch eine große Verpflichtung?«

»Ja, das weiß ich.«

»Könnten Sie sich vorstellen, mit dem Ensemble auf Tournee zu gehen? Eine Saison in Berlin zu verbringen, die nächste vielleicht in München und mit ein bißchen Glück sogar bis nach New York zu ziehen?«

»O super!« hauchte Anneke.

»Am Broadway«, fuhr Rolf Fabian in sachlichem Ton fort, »werden immer wieder gute Musicals gesucht. Ich rechne mir für meine Cinderella Cindy einige Chancen aus. Was meinen Sie?«

»Aber sicher! Die Story hat was! Und die Songs sind ja so fetzig!« stieß Anneke begeistert hervor.

Er schmunzelte vor sich hin, schloß den Schnellhefter, setzte sich auf ein grün bezogenes Sofa, nahm die Brille ab und wurde unversehens wieder ganz ernst.

»Wir wollen offen miteinander reden, Anneke. Sie sind mein Vorschlag Nummer eins für die Hauptrolle.«

»Was? Ich? Nein! Ehrlich? Aber warum denn nur?«

»Sie entsprechen dem Bild, das mir vorschwebte, als ich die Person der Cindy erfand. Sie wissen ja, dem Musical liegt ein international bekanntes Märchen zugrunde. Was ich schaffen wollte, war ein modernes Aschenputtel. Cinderella im neuen Gewand!«

Anneke griff sich erschrocken in die nassen, schlaff herabhängenden Haare.

»Sehe ich so aus?« fragte sie flüsternd.

»Aber nein«, erwiderte Rolf Fabian belustigt, »ich finde nur, daß Sie diesen speziellen Typ verkörpern, den ich gern in der Hauptrolle sähe. Wir werden noch eingehend darüber reden, wenn es soweit ist. Aber bevor ich mich für Sie einsetze, müßte ich genau wissen, ob Sie die notwendigen praktischen Voraussetzungen erfüllen. Also, volljährig sind Sie ja, das heißt, Sie dürfen eigene Entscheidungen treffen…«

»Ja, natürlich.«

»In der Schauspielschule gäbe es keine Einwände, keineTermine, die noch einzuhalten wären?«

»Nein, nein, ich wüßte nicht, welche.«

»Und persönliche Verpflichtungen, die Sie hindern könnten? Wie ich schon sagte, Sie müßten bereit sein, herumzureisen, ein Zigeunerleben zu führen, heute hier, morgen da. Die meisten privaten Beziehungen gehen darüber zu Bruch. Ich erwähne das nur, weil Sie sich über alle Begleitumstände klar sein müssen. Denn wenn Sie die Hauptrolle annehmen, wenn Sie in das Projekt einsteigen, dann gibt es kein Zurück mehr!«

»O nein – ja – das verstehe ich.«

»Gut. Denken Sie trotzdem noch einmal darüber nach. Ich will jedenfalls alles daransetzen, daß Sie die Cinderella Cindy spielen. Aber das muß vorerst unter uns bleiben. Klar?«

»Ganz klar«, stammelte Anneke, »vielen Dank, Herr Fabian!«

Sie sprang auf, schüttelte ihm heftig die Hand und stürzte hinaus. Eine Minute lang stand sie regungslos am Fuße der Treppe, schloß die Augen und atmete tief durch.

Die Hauptrolle!

War es zu fassen? Hatte sie damit gerechnet?

Nie! Nie! Nie! Oder doch? In einem ganz verborgenen Winkel ihres Herzens?

Ja, vielleicht. Nein, nicht wirklich.

Das ist ja jetzt auch egal, dachte Anneke, raffte ihr blaues Kittelkleid und schwebte auf einer Wolke des Glücks die Stufen hinauf. Im ersten Stock blieb sie stehen, schüttelte unwillkürlich den Kopf und ging so ruhig wie möglich wieder hinunter.

Wie um alles in der Welt sollte sie Milena gegenübertreten, ohne sich zu verraten? Dafür war das Gespräch mit Rolf Fabian viel zu aufregend gewesen, seine Eröffnung viel zu überwältigend.

Anneke preßte die Lippen fest zusammen, während sie scheinbar lässig durch die Eingangshalle schlenderte. Draußen im Schloßhof tummelten sich Schauspielschüler und Tagesgäste. Der angrenzende Parkplatz war dicht besetzt. Anneke schlängelte sich zwischen Autos und Bussen hindurch zu einer öffentlichen Telefonzelle, grub fieberhaft ein paar Münzen aus der Tasche ihres Kittelkleides, warf sie ein, drehte die Wählscheibe und preßte den Hörer ans Ohr. Als sich die erwartete, vertraute Stimme meldete, sagte sie in fliegender Hast: »Ruf mich zurück, Janosch. Ich bin wieder in der Telefonzelle. Die Nummer hast du ja.«

*

Doktor med. vet. Jan-Christof Ebbing, von seinen Freunden Janosch genannt, saß auf der zerschrammten Schreibtischplatte im Büro einer Tierarztpraxis am Niederrhein. Das soeben geführte Gespräch mit seiner Freundin Anneke hatte ihn nachdenklich gestimmt. Langsam, im Zeitlupentempo, legte er den Hörer wieder auf und fuhr sich mit der gespreizten Hand durch das dichte, kurz getrimmte friesenblonde Haar.

Eine Hauptrolle sollte sie bekommen. Nun ja.

Kein Wunder eigentlich. In seinen Augen war Anneke Helm das schönste, liebreizendste Wesen unter der Sonne, und daß sie außerdem eine begnadete Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin war, stand für ihn außer Frage. Ohne die anderen Bewerberinnen zu kennen, war er fest davon überzeugt, daß nur Anneke die begehrte Rolle der Cinderella Cindy verdiente. Seit Jahren waren sie zusammen. Er wußte nicht einmal genau, wie lange es her war, seit sie sich auf einem bayerischen Volksfest erstmals begegnet waren: zwei Nordlichter, die sich nach München verirrt, zwei Menschen, die sich gesucht und gefunden hatten, um nicht mehr auseinander zu gehen. Ihm war, als habe er sie sein Leben lang gekannt, und Anneke empfand genauso.

Bisher hatte sich alles glücklich gefügt, obwohl er in Gießen studierte und sie in Mainz. Auch die verschiedenen Praktika und Vertretungsjobs, die ihn seit seinem Examen quer durch die Republik führten, hatten keine nennenswerten Probleme aufgeworfen.

Jetzt aber, mit dieser Hauptrolle in einem Musical, wurde ihre Beziehung auf die Probe gestellt.

Jetzt kam es darauf an, die Nerven zu behalten und keinen Fehler zu machen.

Einerseits war er wahnsinnig stolz auf Anneke, andererseits bohrte in ihm die Angst vor Trennung und Entfremdung.

Am besten, ich fahre hin, dachte Jan-Christof und rutschte erleichtert von der Schreibtischkante seines Freundes Leonhard, den er nur noch bis zum Wochende vertrat. Danach hatte er eigentlich in Arnum auf dem elterlichen Hof bei der Renovierung der Nebengebäude helfen wollen. Aber das konnte er ja immer noch tun. Wie er seine Brüder kannte, würden sie ihm die Arbeit nicht vorwegnehmen oder gar streitig machen.

Hahaha. Ganz im Gegenteil.

Anneke hatte nicht gesagt, wie lange sie noch auf Schloß Marquartstein bleiben würde. Na, wenn schon.

Jan-Christof Ebbing verfügte nicht nur über einen Kleinwagen aus vierter Hand, sondern auch über Fähigkeiten, die er in der Autoreparaturwerkstatt seines ältesten Bruders Hendrik erworben hatte.

Wo immer sich Anneke befand, in welchem versteckten Winkel zwischen Rhein und Main – er würde sie finden. Er war nicht nur der geborene Pfadfinder, er war auch ein Willensmensch, und vor allem war er mit Anneke durch das Band der Liebe verbunden.

Kaum hatte er den Entschluß gefaßt, rief sie noch einmal an. Es war, als habe sie seine Gedanken in der Ferne aufgefangen, was gar nicht selten vorkam. So etwas geschah ihnen öfters. Sie bestärkte ihn in seinem Vorhaben und erklärte ihm, wo das Schloß lag, denn sie würde noch über das ganze Wochenende dort bleiben.

Glücklicherweise kam Leonhard früher als geplant zurück, so daß Jan-Christof schon in der Nacht vom Freitag auf den Samstag losfahren konnte. Wie immer hatte er eine Kühlbox mit Getränken und Proviant auf dem Beifahrersitz, seine Sachen geschickt verstaut in der Segeltuchtasche auf dem Rücksitz und sein Zelt im Kofferraum. Ihm ging nichts über Unabhängigkeit, und Organisation war seine starke Seite.

Er fand den Weg zum Schloß bereits im Morgengrauen, schlief ein Stündchen im Auto und schlenderte nach einem erfrischenden Schluck Kaffee aus der Thermosflasche über den Parkplatz zum Haupteingang.

Eine kleine Schar junger Leute erschien auf der Freitreppe, wo sie lebhaft diskutierend und gestikulierend stehenblieben.

Dann kam Anneke heraus, und das Getuschel und Geraune erstarb.