Eine andere ist seine Mutter - Myra Myrenburg - E-Book

Eine andere ist seine Mutter E-Book

Myra Myrenburg

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. Jeden Tag wurden sie geweckt von fetziger Musik und der frisch-fröhlichen Stimme aus dem Radio, die den Europäern auf der Insel Gloriosa einen guten Morgen wünschte. »Hallo, ihr Insulaner im indischen Ozean! Die Sonne scheint, das Meer rauscht. Freut euch des Lebens! Hier ist Aurelie Petit mit Nachrichten aus aller Welt!« Um diese Zeit stand Swantje auf, rekelte sich vor der geöffneten Lamellentür, die direkt ins Geäst eines riesigen, alten Jakarandabaumes zu führen schien, und überwand sich zu ein paar gymnastischen Übungen. Nach Rosalinds Geburt vor zwei Jahren war es ihr noch nicht gelungen, alle Pfunde zu verlieren, die sie unbedingt loswerden wollte. Nun ja. Gott sei Dank war sie einszweiundsiebzig groß, und mit den herrlichen bunten Stoffen auf den einheimischen Märkten und ein paar guten Schnittmustern ließ sich vieles kaschieren, vorausgesetzt, man hatte eine Nähmaschine, ein wenig Geschick und reichlich Zeit. Am besten war es, einen Extra-Raum dafür abzuzweigen, zumindest dann, wenn man zwei emsige Kleinkinder hatte, die ihre nimmermüden Händchen nach allem ausstreckten, das sie erreichen konnten. Hier auf der Insel Gloriosa waren sie in der glücklichen Lage, über genügend Räume zu verfügen. Das herrliche alte Herrenhaus mit seinen überdachten Terrassen und lauschigen Sitzplätzen war zwar etwas heruntergekommen, aber es bot enorm viel Platz. Natürlich machte es auch jede Menge Arbeit, die Swantje allein nie bewältigt hätte, was auch nicht nötig war, im Gegenteil. Wer auch immer dieses Haus bewohnte, beschäftigte mindestens drei Dienstboten und einen Gärtner. Wenn Aurelie Petit im Radio einheimische Rhythmen erklingen ließ zum Zeichen dafür, daß sie nun von den Nachrichten aus aller Welt zu einem viel interessanteren Thema überging, nämlich dem Inselklatsch, war es sieben Uhr morgens und höchste Zeit für Arnulf, sich die Augen zu reiben und aus dem Bett zu schwingen. Swantje sah ihm belustigt zu, wie er erst nach seiner Brille auf dem Nachttisch tastete, herzhaft gähnte und mit gespreizten Händen durch sein sandfarbenes Haar fuhr. Er ließ ein paar schauerliche Laute erklingen, die er seine Atemübungen nannte, blieb auf der Bettkante sitzen und wartete darauf, daß sie ihm zwei Minuten lang den Nacken massierte. Wie alle zu lang geratenen, hoch aufgeschossenen Menschen, die keinen nennenswerten Sport trieben und einen Teil des Tages in gebückter Haltung arbeiteten, litt er unter Muskelverspannungen. »Haaa«, seufzte er mit geschlossenen Augen, »das tut gut!

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Mami – 2046 –

Eine andere ist seine Mutter

Muss sich Swantje wirklich von dem kleinen Marcel trennen?

Myra Myrenburg

Jeden Tag wurden sie geweckt von fetziger Musik und der frisch-fröhlichen Stimme aus dem Radio, die den Europäern auf der Insel Gloriosa einen guten Morgen wünschte.

»Hallo, ihr Insulaner im indischen Ozean! Die Sonne scheint, das Meer rauscht. Freut euch des Lebens! Hier ist Aurelie Petit mit Nachrichten aus aller Welt!«

Um diese Zeit stand Swantje auf, rekelte sich vor der geöffneten Lamellentür, die direkt ins Geäst eines riesigen, alten Jakarandabaumes zu führen schien, und überwand sich zu ein paar gymnastischen Übungen. Nach Rosalinds Geburt vor zwei Jahren war es ihr noch nicht gelungen, alle Pfunde zu verlieren, die sie unbedingt loswerden wollte.

Nun ja. Gott sei Dank war sie einszweiundsiebzig groß, und mit den herrlichen bunten Stoffen auf den einheimischen Märkten und ein paar guten Schnittmustern ließ sich vieles kaschieren, vorausgesetzt, man hatte eine Nähmaschine, ein wenig Geschick und reichlich Zeit.

Am besten war es, einen Extra-Raum dafür abzuzweigen, zumindest dann, wenn man zwei emsige Kleinkinder hatte, die ihre nimmermüden Händchen nach allem ausstreckten, das sie erreichen konnten.

Hier auf der Insel Gloriosa waren sie in der glücklichen Lage, über genügend Räume zu verfügen. Das herrliche alte Herrenhaus mit seinen überdachten Terrassen und lauschigen Sitzplätzen war zwar etwas heruntergekommen, aber es bot enorm viel Platz. Natürlich machte es auch jede Menge Arbeit, die Swantje allein nie bewältigt hätte, was auch nicht nötig war, im Gegenteil. Wer auch immer dieses Haus bewohnte, beschäftigte mindestens drei Dienstboten und einen Gärtner.

Wenn Aurelie Petit im Radio einheimische Rhythmen erklingen ließ zum Zeichen dafür, daß sie nun von den Nachrichten aus aller Welt zu einem viel interessanteren Thema überging, nämlich dem Inselklatsch, war es sieben Uhr morgens und höchste Zeit für Arnulf, sich die Augen zu reiben und aus dem Bett zu schwingen.

Swantje sah ihm belustigt zu, wie er erst nach seiner Brille auf dem Nachttisch tastete, herzhaft gähnte und mit gespreizten Händen durch sein sandfarbenes Haar fuhr. Er ließ ein paar schauerliche Laute erklingen, die er seine Atemübungen nannte, blieb auf der Bettkante sitzen und wartete darauf, daß sie ihm zwei Minuten lang den Nacken massierte. Wie alle zu lang geratenen, hoch aufgeschossenen Menschen, die keinen nennenswerten Sport trieben und einen Teil des Tages in gebückter Haltung arbeiteten, litt er unter Muskelverspannungen.

»Haaa«, seufzte er mit geschlossenen Augen, »das tut gut! Weiter so, Duckie, nicht aufhören!«

Swantje lachte und gab ihm einen scherzhaften Klaps auf die Schulter. Sie kannten sich seit ihrer Kinderzeit. Um sie zu ärgern, hatte er sie Duck genannt, das war das englische Wort für Ente, und dabei war es geblieben, obwohl sie sich längst zu einem stolzen Schwan entwickelt hatte.

»Schluß jetzt, und ab mit dir ins Bad«, befahl sie und lauschte mit halbem Ohr der frischfröhlichen Stimme im Radio, die von den Feierlichkeiten zu Ehren des Geburtstags des Inselpräsidenten berichtete.

»Wann ist das?« rief Swantje und schloß die Lamellentür, weil sich ein Schwarm bunter Vögel im Jakarandabaum niedergelassen hatte, die nur zu gern hereingeflattert wären.

»Irgendwann nächste Woche, ich glaube Donnerstag«, kam es aus dem Bad.

»Müssen wir hin?«

»Kommt drauf an, ob wir eine schriftliche Einladung kriegen.«

»Aber die wäre doch längst eingegangen.«

»Na ja, ich habe schon ein paar Tage lang die Post nicht durchgesehen. Zuviel zu tun auf den Stationen.«

»Arnulf, kümmere dich darum, bitte. Für eine offizielle Einladung im Präsidentenpalast müssen wir uns vorbereiten, kleidungsmäßig und überhaupt.«

»Ach was. Ich ziehe meinen Smoking an, der braucht nur ausgebürstet zu werden.«

»Du – ja. Du hast damit kein Problem«, wollte Swantje einwenden, »aber ich! Unter all diesen Paradiesvögeln komme ich mir immer wie eine Vogelscheuche vor.«

Doch Arnulf ließ bereits die Dusche rauschen und hörte nichts mehr. Außerdem trabte Mareike herein, gefolgt von ihrem Schwesterchen Rosalind, beide mit schlafwarmen Bäckchen und ausgestreckten Händchen, und an eine Fortsetzung des Gesprächs war nicht mehr zu denken.

Nach dem Frühstück, das sie auf der Küchenterrasse einnahmen, schwang sich Arnulf in seinen Geländewagen und fuhr in die Hauptstadt. Kurz danach erschien Joseph Malaparte, ein knorriger, braunhäutiger Mann älteren Jahrgangs, der Swantje ein ganzes Heer von Dienstboten ersetzte.

Da Arnulf keinen Nagel in die Wand schlagen konnte, waren sie gleich nach dem Einzug auf jemanden angewiesen gewesen, der die Möbel aufstellte, die Bilder aufhängte, die Terrassen mit Gittern absicherte, damit die Kinder nicht hinunterpurzelten, und das umfangreiche Umzugsgut auszupacken half.

Danach hatte Joseph den Dschungel hinter dem Haus in einen Park verwandelt und dafür gesorgt, daß brüchige Dielenbretter im Eingangsbereich erneuert und sämtliche Ventilatoren repariert wurden. Er entfernte regelmäßig alle Spinnweben im Haus, klopfte Teppiche, hielt die Garagen und die beiden Wagen sauber und schaffte alle schweren Einkäufe in die Vorratsräume. Zweimal in der Woche brachte er seine Tochter Celestine mit, ein scheues, stilles Mädchen, das fegte und putzte, Wäsche aufhängte und in der Küche half. Oft spielte sie auch mit den Kindern, die ihr sehr zugetan waren.

Arnulf verbrachte den ganzen Tag in der Hauptstadt. Er gehörte zu einem Spezialistenteam, das sich im Auftrag des Präsidenten mit dem Gesundheitswesen auf der Insel befaßte.

Krankenstationen in abseits gelegenen Gegenden sollten kontrolliert, Impfungen durchgeführt und die Dienste in den drei großen Hospitälern verbessert werden.

Arnulf hatte sich um diesen Job gerissen. Swantje war weniger begeistert gewesen. Aber sie kannte ihn und sein unstillbares Fernweh und sagte sich: bevor er als Schiffsarzt auf einem Überseedampfer anheuert und ich als Strohwitwe daheim auf ihn warte, gehen wir lieber zusammen nach Gloriosa, wo auch immer das liegen mag.

Damals war Mareike ein Jahr alt gewesen, jetzt war sie vier, und die kleine Rosalind war nicht auf der Nordsee-Insel Wentholm geboren, der Heimat ihrer Eltern, sondern auf Gloriosa im indischen Ozean.

»Was soll’s«, hatte Arnulf ver-gnügt gemeint, »Insel ist Insel. Wir sind geborene Insulaner, Duckie, für uns ist die Umstellung doch nicht halb so schwer wie für die andern aus meinem Team. Nimm nur mal Martine, die kommt aus den Schweizer Alpen. Oder Herbert und seine Frau. Die haben kein größeres Gewässer gekannt als den Bodensee.«

O ja, er war nie verlegen um Argumente, die für ihn und seine Entscheidung sprachen. Deshalb ließ er auch keine Kritik zu, die seine Umgebung betraf, seine Arbeitsbedingungen oder die Verhältnisse auf Gloriosa ganz allgemein.

»Wir sind Gäste in diesem Land«, sagte er zu Swantje, wenn sie ihm von kritischen Tönen erzählte, die ihr zu Ohren gekommen waren, »wir werden gut behandelt und gut bezahlt. Wir haben keinen Grund, uns zu beklagen, und wir haben auch gar kein Recht dazu.«

Das stimmte natürlich, und außerdem, mußte sich Swantje eingestehen, kam er ja viel mehr herum als sie, die außer Joseph Malaparte und seiner Familie kaum Einheimische kannte. Selbst ihre Kontakte mit den ansässigen Europäern – und deren gab es ziemlich viele – beschränkten sich auf Arnulfs Kollegenkreis. Die meisten von ihnen waren unverheiratet, und nur Herbert und Helga vom Bodensee und ein Ehepaar aus Osnabrück hatten Kinder.

Man traf sich regelmäßig bei den kleinen Festlichkeiten, die vom europäischen Club veranstaltet wurden, der auch eine Tennisanlage mit angrenzenden Räumlichkeiten unterhielt, in denen Schach und Skat gespielt und gelegentlich getanzt wurde. Was fehlte, war ein Kindergarten oder wenigestens ein Treff für Mütter und Kinder, egal, welcher Nation.

Swantje bedauerte das sehr, aber sie fühlte sich nicht dazu berufen, eine solche Einrichtung zu gründen.

»Warum eigentlich nicht?« fragte Dr. Martine Schneider, ihre einzige Freundin aus Arnulfs Team.

»Weil es sich nicht lohnt«, erwiderte Swantje, »unser Vertrag läuft nächstes Jahr aus. Vier Jahre sind ja auch genug.«

»Meinst du?«

»Ja, das ist meine feste Überzeugung.«

Martine lächelte, wiegte den Kopf und nahm die Schirmmütze ab, die sie als Sonnenschutz trug. Sie arbeitete vornehmlich nachts im Entbindungsheim neben dem Haupthospital, und da sie in der Nachbarschaft wohnte, kam sie nachmittags oft auf ein Stündchen vorbei.

»Du willst also nach Ablauf des Vertrages unbedingt nach Deutschland zurück?« fragte sie und ließ sich die zweite Tasse Kaffee einschenken.

»Ganz bestimmt«, versicherte Swantje.

»Ob das in Arnulfs Sinne ist?«

»Wahrscheinlich nicht, aber diesmal setze ich mich durch. Schon der Kinder wegen müssen wir uns anders orientieren. Ohne Kindergarten kann man leben, aber ohne vernünftige Schule nicht. Außerdem denke ich an Arnulfs Zukunft. Er hat hier doch mehr und mehr administrative Aufgaben übernommen. Als Arzt arbeitet er kaum noch. Wenn das so weitergeht, verliert er den Anschluß an die ärztliche Praxis.«

»Na, na, so schnell geht das aber nicht«, meinte Martine belustigt, »und wenn er wollte, könne er ja im Verwaltungsdienst bleiben – es gibt viele gehobene Posten im Gesundheitswesen. Trotzdem«, fügte sie rasch hinzu, als sie Swantjes verdüsterte Miene sah, »bin ich auf deiner Seite. Ihr solltet zurückgehen nach Deutschland. Das wäre auch meiner Ansicht nach das Beste für euch.«

»Dann ist’s ja gut«, murmelte Swantje besänftigt, »ich dachte schon, du fällst mir in den Rücken.«

»Das täte ich nie«, sagte Martine mit Nachdruck, »warum gehst du eigentlich nicht ab und zu mit Arnulf in den Club?«

»Er geht nur donnerstags, wenn überhaupt, dann ist Skatabend.«

»Na und? Was hält dich zurück?«

»Martine! Ich spiele nicht Skat.«

»Du könntest es lernen.«

»Ach nein! Und was ist mit dir?«

»Ich kann abends nicht. Mein Dienst beginnt um neun, das weißt du doch.«

»Ich kann auch nicht. Ich lasse die Kinder nicht gern mit Celestine allein. Sie ist ein liebes Mädchen, aber sie braucht selbst Aufsicht. Wie kommst du überhaupt darauf, daß ich mich in diese verräucherte Bude setzen soll – einen ganzen Abend lang?«

»Nichts, es war nur eine Idee«, murmelte Martine und griff nach ihrer Schirmmütze, »ich bin ja auch nicht gerade eine Stütze der Gesellschaft. Aber ich finde, du solltest dich nicht ganz ausklinken, verstehst du?«

Ja, natürlich. Swantje nickte mechanisch. Martine meinte es gut mit ihr. Sie war eine treue Seele und eine zuverlässige Freundin. Aber sie lebte allein, total konzentriert auf ihren Beruf, und vom Alltag einer Familienmutter hatte sie keine Ahnung.

*

Der Geburtstag des Präsidenten wurde mit einer vierstündigen Militärparade begangen, einem Galadinner für ausgesuchte Gäste in seinem Palais und einem Feuerwerk um Mitternacht.

Doktor Arnulf Petersen und seine Frau waren ebenso eingeladen wie alle Europäer in leitenden Positionen, die der Präsident persönlich kannte.

Selbstverständlich würde man der Einladung Folge leisten. Etwas anderes kam schon deshalb nicht in Frage, weil jedes Fernbleiben einen Affront bedeutet hätte gegenüber dem Staatsoberhaupt, dessen Autorität unbestritten war.

Theophile Antoine Legrande war seit neun Jahren Präsident der Insel Gloriosa. Bei seinem Amtsantritt war er einundvierzig gewesen, jetzt wurde er fünfzig. Er war ein unscheinbarer Mann, eher klein als groß, der wegen seines farblosen Äußeren nur zu leicht unterschätzt wurde. Man nann-

te ihn schlicht Monsieur Theophile.

Wie es hieß, pflegte er unzählige Kontakte mit aller Welt, was in den Reihen der einheimischen Honoratioren und Landbesitzer ein gewisses Mißtrauen hervorrief. Man warf ihm Scheingeschäfte mit ausländischen Spekulanten vor und sprach bereits vom Ausverkauf der Insel Gloriosa. Der Präsident reagierte auf diese unterschwellige Feindseligkeiten mit einer Militärparade, die seine Macht demonstrieren und seine Kritiker warnen sollte.

All dies bemerkten die europäischen Spezialisten nur am Rande, und die meisten von ihnen vertraten den gleichen Standpunkt wie Arnulf Petersen: Nur nicht drum kümmern.

Schon am frühen Morgen hatte Aurelie Petit ihre Sendung mit einem kräftigen Fanfarenstoß und einem ›Habby birthday, Herr Präsident!‹ eingeleitet und die Glückwünsche ihrer Hörer an das berühmte Geburtstagskind übermittelt.

Am frühen Nachmittag waren die Petersens mit ihren Kindern in die Hauptstadt gefahren und hatten ihren reservierten Tribünenplatz eingenommen. Rechts und links von ihnen saßen Kollegenfamilien, am Rand der Reihe hatte sich Martine mit zwei Mitarbeiterinnen niedergelassen. Schräg oberhalb stand eine zapplige junge Person mit rotgoldenen Strähnchen im lackschwarzen Haar, die mit einem langen Kabel kämpfte und ein Mikrofon schwenkte.

»Wer ist das?« fragte Swantje.

»Aurelie Petit«, erwiderte Arnulf, und seine Worte gingen unter im Gedröhn der Marschmusik, mit der die Parade angekündigt wurde.

Swantje konnte nicht umhin, sich noch einmal umzudrehen, denn schließlich hörte sie die Stimme der Dame jeden Morgen im Radio. Aurelie Petit hatte inzwischen das Kabel entwirrt und eine Sprechprobe ins Mikrofon gehaucht. Sie trug ein orangerotes Chiffonkleid und ein unbestimmtes Lächeln auf den Lippen, als sie zu Swantje hinunter sah. Ihre Blicke trafen sich sekundenlang.

Gleichzeitig wurden Sträuße bunter Fähnchen verteilt, die Arnulf auseinander pflückte und einzeln an seine Töchter und die Kinder seiner Kollegen weiterreichte. Die Musik war ohrenbetäubend, während die ersten Kompanien aufmarschierten, gefolgt von einer berittenen Einheit auf geschmückten Pferden.

Die Kinder jubelten und schwenkten die Fähnchen, die Stimmung stieg und erreichte ihren Höhepunkt, als der Präsident stehend und winkend in einer offenen Luxuslimousine langsam vorbeigefahren wurde. Über ihm kreisten Flugzeuge und Hubschrauber, Spruchbänder mit Glückwünschen erschienen am Himmel. Böllerschüsse wurden abgegeben, Luftballons in riesigen Bündeln schwebten über den Tribünen.

Danach wurde es langweiliger. Eine Panzerkolonne nach der anderen schob sich durch die festlich geschmückten Straßen, die Luft wurde heiß und staubig. Die Kinder begannen zu quengeln, die Eltern warfen verstohlene Blicke auf die Uhr.

»Können wir gehen?« fragte Swantje.