Einmal hab ich mich von dir getrennt - Myra Myrenburg - E-Book

Einmal hab ich mich von dir getrennt E-Book

Myra Myrenburg

5,0

Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. »Nach den Semesterferien«, sagte Pieter und band das Küchenhandtuch ab, das er statt einer Schürze trug, »bin ich nicht mehr hier.« »Im Ernst?« fragte Amelie belustigt und verteilte ein halbes Dutzend Teller auf dem Küchentisch der Wohngemeinschaft. Pieter nickte und beugte sich aus der Höhe seiner knappen zwei Meter über den Topf, in dessen Tiefen dunkelrot die Tomatensoße blubberte. Er griff nach einem Löffelchen, schmeckte sie ab, richtete sich auf und sah Amelie fest ins Gesicht. »Es hat geklappt mit meinem Studienplatz«, fuhr er fort und hielt das Löffelchen unter fließendes Wasser, »am ersten April fange ich an.« »Aaah ja?« murmelte Amelie gedehnt und musterte ihn ungläubig. Seit sie Pieter kannte, faselte er von einem Gastsemester in Amerika. Er war ein unruhiger Geist, den es in seiner niederländischen Heimat nicht gehalten hatte. Er studierte nun schon im zweiten Jahr Verfahrenstechnik in Deutschland. Ehrgeizig wie er war, nützte er jeden Tag, verbummelte keinen Schein und kam entsprechend schnell vorwärts. Ein Gastsemester in Amerika würde ihn doch nur Zeit kosten, dachte Amelie, aber seine ernste Miene machte sie stutzig. »Wo fängst du denn an im April?« fragte sie, das Besteck verteilend. »An der technischen Universität von Kalifornien.« Amelie hielt inne. Das klang ja konkreter als alles, was sie bisher zu diesem Thema je gehört hatte.

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Mami Classic – 24 –

Einmal hab ich mich von dir getrennt

Myra Myrenburg

»Nach den Semesterferien«, sagte Pieter und band das Küchenhandtuch ab, das er statt einer Schürze trug, »bin ich nicht mehr hier.«

»Im Ernst?« fragte Amelie belustigt und verteilte ein halbes Dutzend Teller auf dem Küchentisch der Wohngemeinschaft.

Pieter nickte und beugte sich aus der Höhe seiner knappen zwei Meter über den Topf, in dessen Tiefen dunkelrot die Tomatensoße blubberte. Er griff nach einem Löffelchen, schmeckte sie ab, richtete sich auf und sah Amelie fest ins Gesicht.

»Es hat geklappt mit meinem Studienplatz«, fuhr er fort und hielt das Löffelchen unter fließendes Wasser, »am ersten April fange ich an.«

»Aaah ja?« murmelte Amelie gedehnt und musterte ihn ungläubig.

Seit sie Pieter kannte, faselte er von einem Gastsemester in Amerika. Er war ein unruhiger Geist, den es in seiner niederländischen Heimat nicht gehalten hatte. Er studierte nun schon im zweiten Jahr Verfahrenstechnik in Deutschland. Ehrgeizig wie er war, nützte er jeden Tag, verbummelte keinen Schein und kam entsprechend schnell vorwärts. Ein Gastsemester in Amerika würde ihn doch nur Zeit kosten, dachte Amelie, aber seine ernste Miene machte sie stutzig.

»Wo fängst du denn an im April?« fragte sie, das Besteck verteilend.

»An der technischen Universität von Kalifornien.«

Amelie hielt inne.

Das klang ja konkreter als alles, was sie bisher zu diesem Thema je gehört hatte.

»Wie lange wirst du dort bleiben, Piet?«

Er hob die Schultern und ließ sie wieder sinken.

»Wenn ich Glück habe, bis zum Examen.«

»Aber es ist doch nur ein Gastsemester! Das heißt, du wärest im Herbst wieder hier!«

»Eigentlich ja. Aber ich arbeite an einem Projekt, das die drüben in Kalifornien neu in ihr Programm aufgenommen haben. Ich wäre denen dort also um eine Nasenlänge voraus.« Er lächelte verlegen, wie immer, wenn er über seine Erfolge sprach.

Amelie ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen.

Pieter van der Kerk.

»Und was wird aus mir?« murmelte Amelie.

»Du schreibst mir jede Woche einen schönen langen Brief!«

»Ach, wirklich?«

»Ja, das hoffe ich!«

»Und du schreibst mir jeden Monat eine Postkarte, was?«

Pieter lachte.

Seine Schreibfaulheit war bekannt. In anderthalb Jahren hatte er seinen Eltern außer Geburtstagsgrüßen nur gelegentlich einen Anruf zukommen lassen.

Allerdings war er dreimal im Jahr nach Hause gefahren. Von Kalifornien aus würde das nicht möglich sein. Amelie stellte den Topf mit den Spaghettis auf den Tisch, die Tomatensoße, den Parmesankäse. Pieter entkorkte die Chiantiflasche, rief seine Freunde zum Essen.

Sie teilten sich zu viert eine große Altbauwohnung. Wenn er ausstieg, mußten sich die drei anderen einen neuen vierten Mann suchen.

»Hast du ihnen die große Neuigkeit schon verkündet?« fragte Amelie halblaut, während Frank, Ulf und Oliver anrückten.

Nein. Pieter hatte es ihr zuerst sagen wollen, damit sie es nicht von den anderen hörte.

»Heute ist Neujahr«, sagte er, sein Glas erhebend, »ein guter Termin um neue Pläne bekanntzugeben.«

»Was für Pläne?« fragte Frank schläfrig. Er war erst gegen Mittag von einer Silvesterparty heimgekehrt und kämpfte, ebenso wie seine beiden Freunde, immer noch mit einem ausgewachsenen Kater. Es dauerte eine Weile, bis sie Pieters Neuigkeiten begriffen hatten. Erst allmählich lichtete sich der Nebel in ihren Köpfen.

Sie saßen um den ovalen Tisch und stellten wieder einmal fest, daß selbst ein geborener Italiener die Spaghetti nicht so haargenau al dente zu kochen verstand wie Pieter van der Kerk, der Holländer, nicht zu reden von der Tomatensoße, die mit einem kräftigen Schuß Chianti gewürzt einfach umwerfend schmeckte.

»Kalifornien?« murmelte Frank kauend.

»Verdammt weit weg«, fand Ulf.

»Besonders für dich, Amelie«, fügte Oliver mitfühlend hinzu.

»Da hörst du es«, sagte Amelie anklagend und schlug spielerisch mit ihrer Serviette nach Pieter.

Er lächelte hilflos, aber hinter dieser Hilflosigkeit, das wußte sie, verbarg sich ein eiserner Wille, eine eigensinnige Entschlossenheit. Nichts und niemand würde Pieter van der Kerk von seinem Ziel abbringen, nichts und niemand wäre imstande, sich ihm in den Weg zu stellen.

»Geh doch mit«, schlug Frank vor.

»In Kalifornien brauchst du dich weder mit Winterklamotten noch mit Heizungsrechnungen zu belasten«, fügte Ulf hinzu.

»Ja, wirklich, Amelie, überleg dir das mal«, raunte Oliver.

Pieter schwieg.

»Na und du?« Sie lächelte ihn tiefgründig an. »Deine Begeisterung hält sich wohl eher in Grenzen, was?«

Er streute sich umständlich Käse über die Spaghetti und tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab.

»Ich hab doch selbst noch keine Ahnung, wie und wo ich da unterkomme«, stieß er gepeinigt hervor, »ich werde einfach nehmen, was ich kriege – ein Zimmer im Studentenwohnheim wahrscheinlich – viel Zeit bleibt mir ja nicht – sobald ich dort bin, will ich gleich loslegen.«

Amelie legte ihm eine Hand auf seine unruhigen Finger.

»Schon gut, Piet. Es war nur ein Witz. Ich habe nicht vor, nach Amerika zu gehen. Soviel ich weiß, wird dort nicht einmal eine Ausbildung anerkannt.«

»Ach was! Krankenschwestern werden auf der ganzen Welt gesucht«, wandte Frank ein.

»So einfach ist das nicht«, widersprach Amelie, »mein Examen gilt nicht einmal in allen europäischen Ländern, geschweige denn in Übersee. Außerdem gefällt es mir in der Gertrudis-Klinik. Mich zieht es nirgendwohin!«

»Kann ich verstehen«, murmelte Ulf, »schon wegen des Apartments, das du dort hast! Ich wünschte, ich hätte auch so was! Wer weiß, wen wir als vierten Mann kriegen, wenn Pieter auszieht!«

»Also, das macht mir eigentlich keine Sorge«, meinte Oliver.

»Mir auch nicht«, sagte Frank, »ich würde nicht gern allein wohnen. Noch nicht. Vielleicht später mal. Ich bin einfach nicht daran gewöhnt.«

»Ach, es hat schon viel für sich«, murmelte Amelie, »wenn man morgens nicht warten muß, bis das Bad frei ist!«

»Ich kann immer warten«, grinste Frank, »ich bin gegen jede Hektik am frühen Morgen.«

»Weil du noch nicht im Berufsleben stehst«, bemerkte Amelie.

»Und weil du grundsätzlich zu spät zur Uni kommst«, fügte Ulf hinzu.

»Wie lange willst du dich denn im wilden Westen herumtreiben?« fragte Oliver, an Pieter gewandt.

»Keine Ahnung.«

»Hast du etwa vor, ganz dort zu bleiben?«

Pieter schüttelte unwillig den blonden Kopf.

»Ihr fragt mich zuviel, Leute. Ich habe nichts weiter vor, als ein Projekt auszuknobeln. Hängt mit der Meßtechnik zusammen.«

Alle winkten sofort ab.

»O Gott, verschone uns mit Einzelheiten. Wir würden sie ja doch nicht verstehen.«

»Ich muß jetzt allmählich los«, sagte Amelie, »tut mir leid, daß ich euch die ganze Spülerei allein überlasse, aber morgen habe ich Frühdienst, und jetzt ist es schon neun Uhr.«

»Ich bringe dich heim«, unterbrach Pieter und schob seinen Stuhl zurück, »noch läuft die Karre, wenn auch nicht mehr lange.«

»Du brauchst sie ja auch nicht mehr lange«, erwiderte Amelie und hängte sich ihre schwarze Kapuzenjacke um die Schultern, »macht’s gut, Jungs, und übertreibt es nicht mit der Arbeit!«

»Worauf du dich verlassen kannst«, kam es johlend aus drei verräucherten Kehlen zurück.

Sie fuhren durch die Außenbezirke der Industriestadt an der Ruhr, die besser war als ihr Ruf, schöne Wohnviertel und hübsche Parkanlagen hatte, aber an einem kalten, nassen Januarabend nicht gerade herzerwärmend wirkte.

Schwarz glänzte der Asphalt, trübselig im Vergleich zur vorangegangenen Weihnachtssaison war die Straßenbeleuchtung.

»Den Januar habe ich nie gemocht«, murmelte Amelie aus dieser Stimmung heraus.

»Er ist nicht besser und nicht schlechter als andere Monate«, erwiderte Pieter mit dem ihm eigenen Gleichmut. Seine innere Balance hing nie von äußeren Einflüssen ab. Er lebte für seine Berechnungen, seine grafischen Darstellungen, seine Computerausdrucke. Wenn es jemanden gab, der nicht des ewigen Sommers wegen nach Kalifornien ging, dann war es Pieter.

»Meisje«, sagte er, als sie sich dem erleuchteten Gebäudekomplex der Gertrudis-Klinik näherten, »du weißt, daß ich weiterkommen will, nicht wahr? Ich meine – ich habe dir doch nie etwas vorgemacht, oder?«

Nein. Nie. Dergleichen lag ihm fern. Er war kein Verschleierer. Er war ein unbeirrbar auf sein Ziel konzentrierter Mensch, und daraus hatte er zu keiner Zeit einen Hehl gemacht.

Wenn Amelie trotzdem, im tiefsten Grunde ihres Herzens einen Hoffnungsfunken gehütet hatte, so deshalb, weil bei einem Mann von sechsundzwanzig Jahren die Liebe nicht nur ein gewisses Beiwerk, sondern ein Hauptbestandteil des Lebens sein konnte. Indessen, was Pieter van der Kerk anging, so war dies offensichtlich nicht der Fall. Oder aber die Liebe, die er für Amelie empfand, ging nicht tief genug.

In dieser Abendstunde, als sie zweimal um den Block kurvten, um einen Parkplatz zu finden, fragte sie sich erstmals, wie sie selbst zu ihm stand. Merkwürdigerweise hatte sie sich bisher nur Gedanken um seine Einstellung zu ihr gemacht. So, als würden ihre wahren Gefühle erst wichtig in dem Moment, da sie seiner ganz sicher wäre.

Er hielt am Hintereingang der Wohnanlage, in deren drittem Stock ihr Apartment lag.

»Wenn du fortgehst, Piet, kommen wir ganz auseinander«, murmelte Amelie, den Kopf in seinem Seemannspullover vergraben. Er streichelte ihr braunes Haar, schwerfällig, ungeschickt, hilflos wie er nun einmal war.

Auf diese Weise hatte er es immer fertiggebracht, sie zu rühren. Pieter van der Kerk war kein Draufgänger, kein Hans Dampf in allen Gassen, kein Herzensbrecher, kein Salonlöwe.

Er war gediegen in seiner Art und ziemlich unvollkommen als Liebhaber. Aber genau das mochte sie an ihm, und genau davon hatte sie sich eine gewisse Beständigkeit versprochen, um nicht zu sagen eine gemeinsame Zukunft.

»Warten wir es ab«, seufzte er und gab seiner Stimme einen tröstlichen Klang, »du bist doch mein Meisje – ein anderes hab ich nicht – das weißt du doch!«

Ja, das wußte sie. Meisje hieß Mädchen, und alle Zärtlichkeit, deren er fähig war, legte er in dieses Wort.

Er brachte sie noch ins Haus, küßte sie zum Abschied im schwach beleuchteten Flur und versprach, sich alsbald wieder zu melden.

*

Am zwanzigsten Februar fuhr Pieter nach Utrecht zu seinen Eltern, am fünfundzwanzigsten traf er sich mit Amelie auf der Insel Texel, wo sie fünf Tage durch nasse Dünen stapften, gegen den Sturmwind ankämpften, Ströme von heißem Tee mit Rum schlürften und sich vornahmen, ihren nächsten gemeinsamen Urlaub entweder in einer weniger unwirtlichen Jahreszeit oder in einem weniger rauhen Klima zu verbringen.

Trotzdem genossen sie diese wenigen Tagen der letzten, ungestörten Gemeinsamkeit, denn danach kehrte Pieter nur noch einmal kurz in die Großstadt an der Ruhr zurück, um seine Sachen zu packen, sein Zimmer in der Wohngemeinschaft zu räumen und sein Flugticket abzuholen.

Am zehnten März flog er nach Los Angeles.

Einerseits legte sich Amelie der Abschied schwer aufs Herz. Andererseits empfand sie Erleichterung darüber, daß die Hektik des Aufbruchs ein Ende hatte. Daß wieder Ruhe einkehrte in ihr Leben.

Die gynäkologische Privatstation, auf der sie arbeitete, hatte zwar keine Probleme mit der Überbelegung, die anderswo den Tagesablauf des Pflegepersonals erschwerten. Dafür hatte man oft mit anspruchsvolleren Patientinnen zu tun, heikel und schwierig im Umgang.

Amelie und Nicole, beide vierundzwanzig, waren die jüngsten Schwestern auf der Station. Roswitha und Gerlind, beide um die Vierzig, teilten sich in die Pflegeleitung.

Herr und Frau Dr. Vinzenz, wiederum zehn Jahre älter, waren die unumstrittenen Autoritäten. Was sonst noch herumlief, waren Schwesternschülerinnen und Hilfskräfte, die ständig wechselten.

Ebenso wechselten natürlich die Patientinnen.

Aber es gab auch welche, die immer wiederkehrten, deren Probleme und Gewohnheiten man schon kannte, ebenso wie ihre Ehemänner, Kinder und sonstigen Angehörigen.

Zu diesen Patientinnen gehörte Frau Elvira Kern.

»Sie haben die schönsten Blumen auf der ganzen Station«, sagte Amelie am frühen Morgen des Ostersonntags, und rückte die zauberhaften Frühlingssträuße in ihren runden Glasvasen auf der breiten Fensterbank nebeneinander.

»Ja, das reinste Stilleben«, seufzte Elvira Kern und schlang sich ein blaues Band um ihr blaßblondes Haar. Sie war eine auffallend schöne Frau Mitte Dreißig, verheiratet mit einem bekannten Maler und Grafiker, die ihre gynäkologischen Probleme nicht in den Griff bekam. Mit jedem Jahr, das sie älter wurde, verstärkte sich ihre Panik, und jede Fehlgeburt, die sie erlitt, stürzte sie in eine tiefe Depression.

»Ostern«, sagte sie und ließ einen lustlosen Blick zum Fenster hinaus schweifen, »aber sehen Sie sich das Wetter an! Man könnte meinen, es ginge auf Weihnachten zu!«

»Wir haben auch erst den zweiten April«, erwiderte Amelie und ordnete die Medikamentenschälchen auf dem Nachttisch neu an, »wenn es richtig Frühling wird, sind Sie längst wieder draußen, Frau Kern! Die Zeit arbeitet für Sie!«

»Das sagt mein Mann auch. Die Zeit und das Klima und was sonst noch alles angeblich für mich arbeitet – nur mein Körper tut es nicht.«

Minutenlang blieb es still im pfirsichfarben getönten Zimmer Nummer zwölf.

»Haben Sie Kinder, Schwester Amelie?« fragte Elvira plötzlich.

Amelie unterdrückte ein Lächeln. Aber der Patientin, sensibel, wie sie war, entging ihre leise Belustigung nicht.

»In Ihrem Alter habe ich mir über dieses Thema auch noch keine Sorgen gemacht, Schwester Amelie. Sie sind wohl erst Anfang zwanzig.«

»Vierundzwanzig, Frau Kern, und für viele meines Alters sind Kinder sehr wohl ein Thema. Nur bei mir – sehen Sie, ich habe keinen Ehemann, keinen Lebensgefährten, im Moment nicht einmal einen Freund. Deshalb…«

Sie lächelte Elvira abbittend an, und Elvira lächelte zurück.

»Das kann sich bald ändern! Nur Mut! Sie sind auffallend

hübsch, Sie kommen mit vielen Menschen zusammen, in dieser Stadt gibt es zudem viele Studenten.«

Amelie winkte resigniert ab.

»Mein letzter Freund war Student, einer von der besten Sorte, aber er hatte nichts Eiligeres zu tun, als nach Amerika auszureisen, weil da angeblich die Bedingungen für die Erforschung der Meßtechnik günstiger sind.«

Elvira nickte vor sich hin. Ihre blaßblauen Augen unter blaßblondem Haar blickten bekümmert. Sie hatte etwas Elfenhaftes an sich, was die schlichteren Gemüter in der Gertrudis-Klinik zu der Vermutung veranlaßten, sie wäre fürs Kinderkriegen einfach nicht gebaut. »Wahrscheinlich hat Ihr Freund sogar recht damit. Aber für Sie, die Sie zurückbleiben, ist es natürlich sehr hart. Und so hat jeder von uns sein Päckchen zu tragen, nicht wahr?«

Amelie konnte das nur bestätigen.

Aber, wie sie Frau Kern lebhaft versicherte, man durfte sich einfach nicht unterkriegen lassen.

»Sehen Sie, ich kann es mir gar nicht leisten, durchzuhängen.«

»Sie meinen, Sie müssen schon von Berufs wegen den Kopf oben behalten?«

»Ja, genau.«

Elvira Kern dachte nach.

»Vielleicht ist es das, was mir fehlt – eine berufliche Aufgabe, die mich ablenkt von meinen kleinen Katastrophen.«

»Es muß ja nicht unbedingt eine berufliche sein«, meinte Amelie, die allmählich vorsichtig wurde, denn hier hatte sie es mit der Frau eines prominenten Künstlers zu tun, »jede andere Aufgabe tut es auch.«

Ein Schatten fiel über Elviras Gesicht.