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Seit Simone De Beauvoir ist klar: als Frau wird man nicht geboren, zur Frau wird man gemacht. Doch wie genau wird man zu einer "jüdischen Frau?" Und warum hat der Feminismus, eine Bewegung die maßgeblich von Jüdinnen geprägt worden ist, immer wieder Kleidung thematisiert? Was ist der gedankliche Ursprung hinter der binären Geschlechterkategorie, wie sie im Judentum vorherrschend? Wie wird die Trennung zwischen beiden Geschlechtern aufrechterhalten? Diese und andere Fragen beantwortet das vorliegende Buch. Ismael Eckstein bricht darin komplexe soziologische und feministische Theorie und Gedanken leicht verständlich herunter und brilliert dabei, indem er alten Debatten neue Denkanstöße aufzeigt. Das Buch richtet sich an alle Feminist*innen und Soziolog*innen, die eine wissenschaftliche und kulturelle informierte Auseinandersetzung mit dem Thema "Geschlecht" oder "Kleidung" suchen, sowie für jüdische Frauen ohne wissenschaftlichen Hintergrund, die sich über aktuelle Entwicklungen innerhalb des Judentums interessieren oder eine Antwort auf die Frage suchen, wie man die religiöse Identität mit einem emanzipierten Frau-Sein verbinden kann.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Kleidung und der Stoff unserer Leben
2 Theoretische Vorüberlegungen
3 „Männlich“ und „Weiblich“ schuf Er sie
3. 1 „Männlich“ und „Weiblich“ bekleidete Er sie.
3. 2 „Männlich“ bekleidete Er ihn
3. 3. „Weiblich“ bekleidete Er sie.
4 Jüdischer Feminismus
4. 1 Zniut aus Perspektive des jüdischen Feminismus und jüdischer Frauen
4. 2 Das Gebot zum Tragen von Tefillin, Zizit und Tallit aus Sicht des jüdischen Feminismus und jüdischer Frauen
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Impressum
Männlich und Weiblich schuf Er sie
Über die Sicht des jüdischen Feminismus und jüdischer Frauen auf die konstitutive Rolle der Kleidung in der Konstruktion von Geschlechtlichkeit im Judentum
Von Ismael Eckstein
“As our clothing differed, so too did the fabric of our lives.” (Nadell 2019: xi) Mit diesem Satz aus dem Buch Americas Jewish Women beginnt Pamella S. Nadell ihre Reflektionen über den Wandel, den das Leben von Jüdinnen in Amerika seit der Kolonialzeit erfahren hat. Der Satz ist vor allem vor dem Hintergrund eines Midrasch spannend, der Kleidung zu einer von drei Kontinuitäten im Judentum macht. Aus der ägyptischen Gefangenschaft sei man befreit worden, weil man in der fremden Kultur kompromisslos an jüdischen Namen, jüdischer Kleidung und jüdischer Sprache festgehalten hatte. Der geläufigen Interpretation zufolge sei dies der Grund dafür, warum man auch heute noch unverändert alte Traditionen befolgt, wozu eine traditionelle Weise sich anzuziehen gehört. Doch Nadell geht es in ihrem Buch nicht primär um jahrtausendealte Kleidungstraditionen, vielmehr zeichnet sie nach, wie das Leben jüdischer Frauen in Amerika in den letzten 300 Jahren aussah und welcher Wandel sich dabei vollzog. Nadell reiht sich damit ein in einen immer größer anwachsenden Pool von Geschichtsschreibung der sichtbar machen möchte, wie sehr Jüdinnen das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ geprägt haben und von ihm geprägt wurden. Man denke in diesem Zusammenhang nur an all die sozialen Bewegungen in Amerika, in denen jüdische Frauen partizipierten oder sogar leitend waren. Die Liste ist lang und umfasst die Streiks der Textilarbeiterinnen, der Gewerkschaftlerinnen, der Suffragetten, der Kampagnen für Geburtenkontrolle und der reproduktiven Rechte von Frauen, Anarchismus, Sozialismus, Kommunismus, Zivilrecht, Friedensaktivismus und vielen anderen mehr (vgl. Antler 2018: 5). In all diesen Bewegungen waren jüdische Frauen prozentual gesehen deutlich überrepräsentiert und ohne sie hätte es all diese sozialen Bewegungen in dieser Form vermutlich nie gegeben (vgl. ebd.).
Und doch sind Leben und Kleidung jüdischer Frauen so eng miteinander verwoben, dass auch Nadell die Geschichte der jüdischen Frauen Amerikas nicht erzählen kann, ohne dass das Thema Kleidung immer wieder auftaucht. Etwa wenn sie die Geschichte der Textilarbeiterinnen rekonstruiert, die als Mitglieder der IGLWU für bessere Arbeitsbedingungen Streiks organisierten (Nadell 2019: 129 ff.). Oder wenn sie von dem Druck zur Anpassung an amerikanische Kleidungsgewohnheiten erzählt, der jüdischen Immigrantinnen entgegenschlug (vgl. ebd.: 112 ff.). Genauso zählen dazu Nadells Verweise auf die jüdischen Fashion-Entrepreneurinnen, welche die Kosmetik für Millionen von Amerikanerinnen bereitstellten oder denen die Uniformen der US-Soldatinnen ihr Design verdanken (vgl. ebd.: 178).
So wie es Nadell geht, steht es auch um die Geschichte des Feminismus: ohne den Bezug zu jüdischen Frauen oder Kleidung, lässt sie sich nicht schreiben. Der Feminismus verdankt dem Judentum eine Vielzahl von Denkerinnen, die einen jüdischen Hintergrund haben, etwa Betty Friedan, Naomi Weisstein, Shulamith Firestone, Sonia Pressman Fuentes, Bella Abzug, Gerda Lerner und Judith Butler, um nur einige zu nennen. Für den Feminismus war Kleidung stets ein Thema. Erinnert sei etwa an die Jüdin Alix Kates Shulman, die zusammen mit anderen Feministinnen bei einer viel beachteten Protestaktion High Heels „and other implements of female torture“ verbrannte und in einem Mülleimer mit der Aufschrift „freedom trash can“ versenkte (vgl. ebd. 2019: 242). Die Gruppe mit der Shulman diese Aktion konzertiert hatte, erntete daraufhin den Namen „bra-burners“, auch wenn sich BHs gar nicht unter den angezündeten Gegenständen befunden hatten. Dies, aber auch der Blaustrumpf, der dem Blaustrumpf-Feminismus seinen Namen verlieh, zeugt von einem weiteren Kontinuum, welches mit Kleidung in Verbindung steht: Kleidung war stets Stoff symbolischer Politik der Frauenbewegung gewesen und ist es auch heute noch (vgl. Hartlieb et al. 2010: 9 ff.) Pionierinnen der ersten Frauenbewegung etwa traten bewusst mit Hosen und losen Reformkleidern auf, statt Korsett und Mieder zu tragen, während in der zweiten Welle des Feminismus Kleidungsstücke bewusst abgelegt wurden, die Frauen zum Objekt männlichen Begehrens machte (vgl. ebd.). Heute trägt Pussy Riot als Erkennungszeichen Skimasken und Femen fallen auf, indem sie bewusst auf Kleidung verzichten.
Aufgrund der engen Verbindung die zwischen Judentum, Feminismus und Kleidung besteht, möchte ich untersuchen, welche Sicht der jüdische Feminismus und jüdische Frauen auf die jüdischen Kleidungstraditionen haben. Konkret soll es dabei um die Frage gehen, welche Rolle Kleidung bei der Konstruktion eines binären Geschlechtersystems im Judentum spielt und welche Rollen- und Geschlechterverhältnisse sich darin widerspiegeln. Dazu werde ich im Folgenden zunächst einige theoretische Vorüberlegungen über Kleidung anstellen. Anschließend sei anhand des Schöpfungsberichtes skizziert welche Vorstellungen von Geschlechtlichkeit im Judentum vorherrschend sind. Die Schöpfung des Menschen in „Männlich“ und „Weiblich“ soll für das daran anknüpfende Kapitel als Vorlage dienen, in denen ich herausarbeite inwiefern die beiden Geschlechterkategorien ein zweites Mal durch „männliche“ und „weibliche“ Kleidung in sozialen Prozessen konstruiert werden. Damit ist die Grundlage gegeben für eine Rekonstruktion der Perspektive des jüdischen Feminismus und jüdischer Frauen auf die jüdischen Kleidungstraditionen.