Margarete Steiff - Kristina Lüding - E-Book

Margarete Steiff E-Book

Kristina Lüding

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Beschreibung

Margarete ist 27, als sie mit ihren beiden Schwestern eine kleine Näherei gründet. Dass sie ihrer Leidenschaft nachgehen kann, gleicht einem Wunder, denn aufgrund einer Kinderlähmung sitzt die junge Frau seit ihrer Kindheit im Rollstuhl. Aber Margarete sprüht nur so vor Lebensfreude und Tatendrang: Aus der Näherei entwickelt sich ein kleiner Laden, in dem sie Kleidung und Gefilztes vertreibt – und bald schon selbstgenähte Kuscheltiere. Margarete ahnt noch nicht, wie sehr die Stoffteddys mit den großen Augen ihr Leben verändern werden ...  

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Margarete Steiff

Die Autorin

KRISTINA LÜDING wuchs in einer Kleinstadt in Ostwestfalen auf. Ihr Elternhaus grenzte an einen Wald, in dem sie mehr Zeit verbrachte als in ihrem Kinderzimmer. Inzwischen lebt sie in einem niedersächsischen Dorf, wieder mit einem Wäldchen gleich nebenan. Kristina Lüding ist Mutter von drei erwachsenen Söhnen und Großmutter einer Enkelin.

Kristina Lüding

Margarete Steiff

Teddybären und Kinderträume

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Dezember 2022© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, MünchenTitelabbildung: © Ildiko Neer / Trevillion Images(Frau am Fenster); www.buerosued.de (Inneneinrichtung)Autorenfoto: © privatE-Book-Konvertierung powered by pepyrusISBN 978-3-8437-2826-3

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

I.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

II.

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

III.

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Anhang

Nachwort

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

I.

Widmung

Es macht keinen Sinn,immerzu seinen Beinen nachzujammern,wenn einem das Leben davonläuft.

Margarete Steiff

I.

Die Jahre 1874 – 1877

Kapitel 3

Dieses Jahr war der Winter ungewöhnlich früh hereingebrochen. Margarete saß im Rollstuhl am Fenster und schaute den dicken, flauschigen Schneeflocken zu, die umeinanderstoben und den umliegenden Dächern bereits weiße Hauben aufgesetzt hatten. Ein paar Kinder mit tief ins Gesicht gezogenen Mützen hatten sich zusammengefunden, um einen Schneemann zu bauen. Mariechen war damit beschäftigt, ihm einen Zweig als Nase ins Gesicht zu stecken.

»Er sieht aus wie der Lehrer Kuhlmann!«, rief Ludwig, und die anderen wollten sich vor Lachen ausschütten.

Margarete musste ebenfalls lachen. Ludwig hatte nicht ganz unrecht. Alois Kuhlmann war auch ihr Lehrer gewesen, ein kleiner, krumm gewachsener Mann, der aussah, als hätte er sich sein Leben lang gegen den Wind stemmen müssen. Kuhlmann war ein ewig mürrischer, unnachgiebiger Lehrer gewesen, mit einer, seiner schmächtigen Statur zum Trotz, verblüffend lauten Stimme. Die meisten Kinder hatten Angst vor ihm gehabt. Den Rohrstock hatte Kuhlmann bereits in der Hand, noch bevor man begriffen hatte, dass man ungezogen gewesen war.

Margarete beugte sich weiter vor und lehnte die Stirn gegen die kalte Scheibe. Sie lächelte, als sie sah, wie die Kinder im Kreis um den Schneemann herumtanzten.

Sie mochte den Winter, aber sie freute sich schon jetzt darauf, wenn es wieder Frühling wurde. Sie hatte ihrer Freundin Irmchen versprochen, sie in Schwäbisch Gmünd zu besuchen. Es war eine Weile her, dass sie sich gesehen hatten.

Margarete verreiste ungeheuer gern, auch wenn das mit ihrer Behinderung immer einer gut vorbereiteten Planung bedurfte. Anfangs hatten ihre Eltern sie begleitet, später dann ihr Bruder. Mit dem war es wenigstens lustig gewesen.

Margarete erinnerte sich noch gut an ihre erste Reise mit der Eisenbahn. Ihre Mutter hatte ihr gegenüber auf der harten Holzbank gesessen, die Hände im Schoß gefaltet, um jederzeit für ein Gebet bereit zu sein. Mit besorgtem Blick hatte sie aus dem Fenster gesehen und beobachtet, wie die Landschaft an ihnen vorbeihuschte.

Margarete hatte ständig hierhin und dorthin gezeigt. »Sieh doch nur, Mutter, der riesige Baum dort drüben! Ist das eine Linde? Oh, schon ist er nicht mehr zu sehen. Und da, die Kühe, die uns genauso verwundert ansehen wie wir sie!«

Der Zug ratterte über die Schienen, und sie wurde an die Sitzlehne gedrückt und durcheinandergeschüttelt. Sie hatte wieder das schrille Pfeifen im Ohr, als der Zug schnaufend in den Bahnhof einfuhr. Stundenlang hätte sie noch weiterfahren können, ihre Mutter dagegen konnte gar nicht schnell genug aussteigen. »Ich danke dem Herrgott, dass er uns heil hat ankommen lassen.«

Margarete fuhr zusammen, als die Tür aufflog und Fritz hereinkam. »Musst du mich so erschrecken!«

»Ich dachte, du hättest mein Klopfen gehört.«

»Nein, ich war weit weg.«

»Und wo, wenn ich fragen darf?«

»Ich saß gerade in der Eisenbahn.«

Ihr Bruder grinste. »Was du nicht sagst.« Er schob die Hände in die Hosentaschen und wippte auf den Zehenspitzen. »Rate, was ich dir mitgebracht habe.«

»Einen besonders hübschen Stein?«

»Nein.«

»Oh, ich weiß, einen Schneeball, den du in deiner Hosentasche versteckt hast.«

Er lachte. »Deine Zither. Ich hab sie reparieren lassen.«

»Wie schön! Ich danke dir.«

Fritz hatte sie zum Kachelmeier Schorsch gebracht, der sich mit Instrumenten auskannte und sich zudem recht gut auf das Zitherspiel verstand.

»Ist es sehr teuer geworden?«

Ihr Bruder schüttelte den Kopf. »Wir haben eine Abmachung getroffen: Du bekommst die reparierte Zither und die Kachelmeiers geflickte Kleidung. Bist du damit einverstanden?«

»Und ob. Eine Hand wäscht die andere.« Sie zwinkerte ihm zu.

»Sie liegt unten in der Stube. Die Anna lässt fragen, ob du auf der Hochzeit etwas vorspielen würdest?«

»Das wäre mir eine Ehre.«

Fritz schaute auf die Straße hinab, und die beiden schwiegen eine Zeit lang. Ein Schweigen, das nicht unangenehm war. Das war es nie. Es bedeutete lediglich, dass beide darüber nachdachten, was sie einander erzählen könnten.

Margarete sprach aus, was ihr mit einem Mal durch den Kopf schwirrte. »Ich möchte eine Nähmaschine anschaffen.«

»Ich frage mich, ob ich ein guter Ehemann werde.«

Beide hatten zugleich gesprochen.

»Du zuerst«, forderte sie ihren Bruder auf.

Er schüttelte den Kopf. »Erst du. Du willst also eine Nähmaschine.« Er nickte, als läge es auf der Hand. Natürlich bräuchte sie eine Nähmaschine, sie mit ihrer steifen rechten Hand, mit der sie kaum einen Knopf schließen konnte.

»Der Gedanke hat sich urplötzlich in meinen Kopf gemogelt und es sich dort bequem gemacht. Von jetzt auf gleich, ohne Ankündigung. Ich bin selbst ganz überrascht. Seltsam, nicht?«

Er zuckte die Schultern. So merkwürdig schien er es nicht zu finden. »Denkst du an eine neue, oder darf’s auch eine gebrauchte sein?«

»Eine neue wäre schon fein. Aber zur Not tut’s auch eine gebrauchte. Würdest du dich für mich umhören?«

»Das mache ich.«

Margarete sah ihn an. »Findest du es nicht eigenartig, dass ich eine will? Fragst du dich gar nicht, wie ich das anstellen soll?«

»Bei dir frage ich mich schon lange nichts mehr, Grete. Du hast uns so oft überrascht.« Er legte die Hand auf ihre Schulter. »Und beeindruckt.«

»Mutter wird mich für verrückt erklären.«

»Dann wirst du ihr erklären, dass du es dir gründlich überlegt hast.«

»Gründlich.« Sie lachte. »So kann man’s auch nennen.«

Eine Nähmaschine wäre in der Tat eine große Hilfe. Die Arbeit wäre viel schneller erledigt, und sie könnte genug Geld verdienen, um für sich selbst zu sorgen. Vielleicht würde dann das ewige »Was ist, wenn wir nicht mehr sind? Wer kümmert sich dann um Grete?« aufhören.

»Und jetzt du, Fritz.«

»Ich?« Er blinzelte zerstreut.

»Du hast dich gefragt, ob du ein guter Ehemann sein kannst. Ich sag dir was: Du wirst der beste Ehemann, den die Anna sich wünschen kann.«

»Woher willst du das wissen?«

»Wer ein guter Bruder ist, wird auch ein guter Ehemann sein.«

Zwei volle Tage wurde Hochzeit gefeiert.

Margarete hatte die meiste Zeit an einem der langen Tische gesessen und den anderen beim Tanzen zugeschaut. Es musste herrlich sein, so ausgelassen und unbeschwert umherzuspringen und sich im Kreis herumwirbeln zu lassen. Alles würde ich dafür geben, könnte ich das nur ein einziges Mal erleben, dachte sie wehmütig. Dann jedoch nahm sie sich zusammen, wie immer. Was half es, sein Schicksal zu beklagen?

Als endlich auch die letzten Gäste gegangen waren, fuhr sie ans Fenster und blickte nach draußen. Die Traurigkeit kam ganz plötzlich und wollte sie übermannen.

Warum war sie denn nur so niedergeschlagen? Sie sollte sich doch für Fritz und Anna freuen.

Das tue ich ja auch. Es wird daran liegen, dass etwas Vertrautes zu Ende geht und etwas Neues beginnt. So ist das nun mal. Das nennt man das Leben, du Schaf.

Als ihre Schwestern geheiratet hatten, war Margarete nicht so trübsinnig gewesen. Das lag aber gewiss daran, dass sie und Fritz etwas ganz besonders Inniges verband.

Ihr Vater kam herein, die Schritte schlurfend. Er schien müde zu sein, müde vom vielen Feiern, Trinken, Essen, Erzählen und Lachen. Sogar den einen oder anderen Tanz hatte er gewagt, auch wenn er sich sonst lieber davor drückte. »Ein, zwei Schnäpsle genügen, und dein Vater schwingt das Tanzbein«, sagte ihre Mutter gern.

»Soll ich dich zu Bett bringen, Grete?« Er gähnte, und sie nickte matt. »Was hast du denn?«

»Gar nichts.«

Er sah sie an. »Gar nichts also, ja? Danach sieht’s aber nicht aus.«

Sie konnte ein Seufzen nicht zurückhalten. »Es ist nur … Ich war gerade ein bisschen …« Sie suchte nach einem Wort. »Niedergeschmettert.« Das war ein wenig übertrieben, aber nun war es gesagt.

»Und wieso?« Er verschränkte die Arme und gähnte wieder.

»Weil der Fritz und ich …« Margarete verstummte. Sie ärgerte sich. Bestimmt hatte sie zu viel vom Apfelwein getrunken, der in diesem Jahr besonders süffig war. »Nein, ist schon gut. Ich weiß, was du sagen willst. Dass der Fritz ja nicht aus der Welt ist, er bleibt in Giengen.« Sie hob die Arme. »Sei so gut und bring mich in meine Kammer, Papa.« Ganz selten nannte sie ihn so. Früher nur, wenn sie etwas ausgefressen hatte. Wenn sie Widerworte gegeben hatte, nicht einsichtig gewesen war.

Er hob sie aus dem Rollstuhl und trug sie hinauf in ihre kleine Kammer. Mehr als ein Bett, ein Nachtschränkchen, ein schmaler Kleiderschrank und daneben ein Stuhl befanden sich nicht darin.

Als ihr Blick auf das Bett fiel, spürte Margarete schlagartig, wie erschöpft sie war.

»Brauchst du noch was?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Richte Mutter aus, dass ich heute Abend auf ihre Hilfe verzichten kann.« Normalerweise war sie ihr beim Auskleiden behilflich.

»Wie du meinst. Schlaf gut.« Er ging zur Tür.

»Ach, eins noch …«

Er drehte sich zu ihr um.

»Ich will eine Nähmaschine anschaffen.« Bisher wusste nur Fritz davon. »Ich wäre viel schneller, könnte mehr Aufträge annehmen.«

Ihr Vater machte »Hmm« und kratzte sich den dunklen Bart. »Ob das eine gute Idee ist?«

»Und ob.«

»Und wie willst du das anstellen?« Er hatte noch nie viel Federlesens gemacht und sprach das aus, was ihm durch den Kopf ging. »Mit deiner Hand?«

»Mir fällt schon was ein.«

»Dir fällt immer was ein«, brummte er.

Sie wusste nicht, ob es anerkennend oder verwundert gemeint war. »Was bleibt mir übrig?«

Er schwieg einen Augenblick, die Hand auf dem Türknauf, bevor er sagte: »Wir haben immer gedacht, dass wir uns für den Rest unseres Lebens um dich sorgen müssen. Aber ich glaube inzwischen, dass das gar nicht nötig ist. Du bist viel selbstständiger, als wir je hätten hoffen können. Nacht, Grete.« Er ging hinaus.

Jetzt, da sie allein war, gestattete sie sich ein tiefes, lang anhaltendes Seufzen. Sie räusperte sich energisch und beschloss, ihre Schwermut und Traurigkeit abzustreifen. »Der Fritz ist nicht aus der Welt«, wiederholte sie und fasste mit der linken Hand in ihr Haar, um den Knoten zu lösen.

Dann schnaubte sie kopfschüttelnd. Erst Kleid, Unterkleid, Strümpfe und Unterwäsche, dann das Nachthemd und erst dann der Knoten, Dummerchen.

Sie begann, ihr Kleid aufzuknöpfen, und bewegte die linke Schulter nach unten, bis das Kleid darüber rutschte. Mit der rechten Seite war es wie immer etwas schwerer, aber gelernt war gelernt. Anschließend zog sie Unterkleid, Unterwäsche und Wollstrümpfe aus und rollte sie zusammen.

Beim Überstreifen ihres Nachthemds steckte sie kurz fest, hatte sich aber gleich wieder befreit und zupfte es mit der gesunden Hand zurecht. Sie war verschwitzt, obwohl es eiskalt im Zimmer war. Das An- und Ausziehen war jedes Mal wieder ungeheuer anstrengend und schweißtreibend.

Margarete kuschelte sich unter das dicke Plumeau. Bestimmt fühlte es sich herrlich an, verheiratet zu sein. Es musste schön sein, jemanden bei sich zu haben, mit dem man gemeinsam älter wurde. Dessen Hand man halten konnte, wenn man sich fürchtete, und der zuhörte, wenn man etwas auf dem Herzen hatte oder einfach nur so viel im Kopf, dass es unbedingt hinauswollte.

Das ist das Romantische, besann sie sich. »Die Ehe ist kein Zuckerschlecken«, behauptete ihre Mutter schließlich gern und oft. »Sie ist ein kratziger Scheuersack, in dem beide ihren Platz haben und versuchen müssen, sich nicht allzu sehr aneinanderzureiben.«

Dann und wann erschien Margarete so ein Scheuersack allzu verlockend, weil es bedeutete, jemanden gefunden zu haben, mit dem man sein Leben teilen konnte. Aber möglicherweise war es wirklich nur das Verklärte, das Romantische, das ihr Hirn sich zurechtspann und so aus dem Schwierigen etwas Schönes, Leichtes machte.

Es klopfte, und ihre Mutter kam herein. »Ich wollte nur rasch nach dir sehen.« Sie kam zu ihr ans Bett. »Ich hab gehört, du willst eine Nähmaschine anschaffen?«

Margarete rätselte, ob sie missbilligend dreinschaute. Um ihren Mund lag ein harter Zug. War das früher schon so gewesen? Vor dem Tag, an dem sie erfuhr, dass ich niemals würde laufen können?

»Ich ahne deine Bedenken, Mutter. Aber ich möchte es. Und ich werde es schaffen.«

»Wenn deine Schwestern noch hier wären …«

»Das sind sie aber nicht. Ich werde es allein schaffen.«

Ihre Mutter schien noch etwas sagen zu wollen, beließ es aber dabei.

»Fritz und Anna sind ein schönes Paar, nicht wahr? Bestimmt werden sie sehr glücklich«, plapperte Margarete.

»Ach, Grete.«

Was weiß ich schon vom Glück, jaja. Und von der Ehe. Sprich’s nur aus.

Maria Steiff war bereits halb aus der Tür, als sie sagte: »Ich hätt’ so gern einen Enkelsohn.« Es klang ungewohnt sanft und verträumt.

»Du wirst einen ganzen Stall voller Enkelsöhne haben.«

»Dein Wort in Gottes Ohr. Und nun schlaf.« Sie ließ sie allein.

Um besser in den Schlaf zu gleiten, spielte Margarete ihr abendliches Spiel. Sie träumte sich in eine Welt, die sie sich so gestaltete, wie es in der Wirklichkeit leider nicht geschehen würde: sie inmitten einer Kinderschar. Sie würden miteinander spielen, lachen, herumtollen. Drei Mädchen und drei Buben, ja, warum nicht. Und ein Ehemann mit braun gelocktem Haar und freundlichen, gütigen Augen. Die leuchteten, wenn er heimkäme. »Wie hab ich euch vermisst«, würde er sagen, sie alle nacheinander küssen und sich zu ihnen an den großen Tisch setzen. »Wie war dein Tag, Grete?«

»Wunderbar, ganz prächtig. Und deiner?«

»Nicht ganz so prächtig wie deiner, schätze ich.« Es würde keineswegs hämisch klingen, dazu wäre er viel zu gutmütig.

Und dann würden sie gemeinsam zu Abend essen, sich von ihrem Tag erzählen und sich aneinander freuen.

Das Letzte, was Margarete durch den Kopf ging, bevor ihr die Augen zufielen, waren die Worte Ach, du romantisches Schaf.

Kapitel 4

Giengen a. d. Brenz im Frühjahr 1875

An diesem Vormittag kam keine Menschenseele in die Schneiderei. Früh um acht hatte Margarete die Tür geöffnet, das Fenster ebenfalls, um die kühle, frische Frühlingsluft ins Zimmer zu lassen. Sie war zu ihrem Tisch gefahren und hatte die Kleidungsstücke zusammengelegt, die heute abgeholt werden konnten.

Danach hatte sie ihre Nähmaschine betrachtet und bestaunt, wie bereits unzählige Male zuvor, seit Fritz damit angekommen war. »Ich hätte eine Gebrauchte haben können, aber die sah nicht sehr vertrauenerweckend aus«, hatte er gemeint. »Und für das Geld, das du bereits verdient hast, darf es ruhig was Neues sein, finde ich.«

Stolz hatte Margarete sie den Eltern präsentiert.

Ihre Mutter hatte das Schwungrad gedreht und die Stirn sorgenvoll gerunzelt. Es stand darauf geschrieben, was ihr durch den Kopf ging: dass es viel zu schwergängig war, dass Margarete es unmöglich bewegen könnte. Dass es eine verrückte Idee gewesen war. Sie sagte jedoch kein Wort.

Als Margarete wieder allein war, hatte sie sich an die Maschine gesetzt und ein Stück Stoff genommen, den Fuß auf das Pedal, die rechte Hand am Schwungrad. Nach kurzem Drehen machte ihre Hand schlapp. Nein, so würde das nichts. Wieder und wieder versuchte sie es, die Zähne zusammengebissen, wütend, verbissen. Es war ihr gleichgültig, wie sehr die Hand schmerzte. Es musste doch gehen, zum Teufel!

Aber es waren nicht nur die Schmerzen, es lag vor allem auch an der Kraft, die ihr fehlte.

Fritz kam herein, sah mit sorgenvollem Blick, wie sie sich abmühte. »Grete«, sagte er irgendwann sanft.

»Lass mich nur machen.« Es klang schroff, verzweifelt. Sie wollte nicht getröstet werden! Warum glaubten eigentlich alle, sie brauche Trost und Beistand?

Angestrengt versuchte sie es weiter – bis es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. »Fritz!«, wisperte sie aufgeregt. »Hilf mir, ja?«

»Und wobei?«

»Sie umzudrehen.«

Er hob die Augenbrauen, sagte aber nichts und drehte die Nähmaschine um, sodass Margarete nun das Schwungrad mit der anderen, der gesunden Hand bedienen konnte. »Dass mir das nicht gleich eingefallen ist!« Mit einem triumphierenden Lachen begann sie zu nähen.

Die Maschine ratterte leise und gleichmäßig, ein Geräusch, das Musik in ihren Ohren war. »Sieh nur, Fritz! Es funktioniert, und wie es funktioniert!«

Grinsend stand er daneben und schüttelte ungläubig den Kopf. »Nun sieh sich das einer an.«

Sie schnitt den Faden ab und zog den Stoff unter der Nadel hervor. »Mein erster Saum, mit der Maschine genäht!«

»Sehr ordentlich.«

»Als verstündest du was davon!« Sie hatte gelacht und den Stoff geschwenkt. »Und wie blitzschnell es ging!«

Genauso blitzschnell hatte sich herumgesprochen, dass Margarete Steiff in der Ledergasse nun eine Nähmaschine besaß, die erste in ganz Giengen und Umgebung. Schon bald kamen die Leute aus der gesamten Nachbarschaft und wenig später auch von weiter her. Sie brachten Berge von zerrissenen Hosen, Kleidern, die zu eng geworden waren oder zu weit, Mäntel, deren Saum ausgelassen werden musste, bestickte Tischtücher, die fein umsäumt werden sollten.

Margarete konnte sich vor Arbeit kaum retten.

Nur am heutigen Vormittag kam niemand. Sie war zum Fenster gerollt und hatte verwirrt geschaut, ob jemand auf dem Weg zu ihr war und sich mit jemand anderem verschwatzt hatte. Weil es ein so herrlicher Morgen war. Weil der Frühling endlich da war.

Nein, unten auf der Straße war niemand zu sehen, außer Mariechen und Leni, die mit ihren Puppen spielten.

Margarete winkte ihnen zu. »Grüß euch Gott, ihr Puppenmütter!«

Die Mädchen hoben den Kopf und kicherten.

Ich könnte auch Puppenkleidchen nähen, das wäre doch famos. Und es würde viele Mütter freuen, nicht nur die Puppenmütter. Margarete stellte es sich bildlich vor, seufzte dann aber. Nein, für derartigen Unfug, wie ihre Mutter es wohl nennen würde, fehlte ihr schlicht und einfach die Zeit. Sie kam mit der Arbeit ja kaum nach.

»Soll ich dir einen Strauß Osterglocken bringen?«, rief Marie zu ihr herauf.

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