Martin Luther in Bochum-Werne - Günter Brakelmann - E-Book

Martin Luther in Bochum-Werne E-Book

Günter Brakelmann

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Beschreibung

Aus dem Vorwort von Gisela Estel, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Bochum-Werne: In dieser Schrift von Prof. Günter Brakelmann begegnet uns am Ende des 19. Jahrhunderts ein Pfarrer, der sich in seinem Dienst mit ganz unterschiedlichen Frömmigkeitsstilen auseinandersetzen muss - und damit auch ganz unterschiedlichen Erwartungen an sein Pfarramt. Dem einen ist dieser Martin Luther viel zu weltlich, ja verhält sich an vielen Stellen sogar amtsunwürdig, den anderen ist er guter Freund und Nachbar, der gern mal mit im Wirtshaus sitzt oder auf die Jagd geht. Zum Pfarramt berufen, aber doch auch Mensch mit all seinen Fehlern und Widersprüchen. Für den äußeren Aufbau der Gemeinde hat er viel geleistet, den Bau von Kirche und Gemeindehaus vorangetrieben und begleitet. Doch genauso konnte er wegen zu wenig Besuchern den sonn­täglichen Gottesdienst ausfallen lassen oder auch den Konfirmandenunterricht vertagen. Seine Personalakte ist wohl mit eine der umfangreichsten im Landeskirchenamt. Viele Beschwerdeschreiben sind darin gesammelt, die heftige Diskussionen in der Gemeinde ausgelöst haben. Besonders tragisch ist dann auch noch das Ende dieses Martin Luthers: Er wird erschossen aufgefunden. War es Selbstmord oder sogar Mord? Bis heute bleibt vieles ungeklärt und ein wenig mysteriös. Viel Stoff jedenfalls für eine biografische, kirchenhistorische Schrift, aber auch für einen nicht bis ins letzte gelösten Kriminalfall.

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Evangelische Perspektiven

Schriftenreihe der Evangelischen Kirche in Bochum

in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Stadtakademie Bochum

In der Schriftenreihe sind bisher zwölf Hefte erschienen.

Weitere Informationen im Internet unter http://www.stadtakademie.de

Heft 13:

Günter Brakelmann

Martin Luther in Bochum-Werne

Der 1. Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Bochum-Werne

Herausgegeben von Arno Lohmann

ISBN 9783752847598

Evangelische Kirche in Bochum

Westring 26a, D-44787 Bochum

Telefon 0234 - 962904-0

http://www.kirchenkreis-bochum.de

Das vorliegende Heft ist zu beziehen bei:

Evangelische Stadtakademie Bochum

Westring 26a, D-44787 Bochum

Telefon 0234- 962904-661

[email protected]

http://www.stadtakademie.de

Evangelische Kirchengemeinde Bochum-Werne

Kreyenfeldstraße 32, D-44894 Bochum

Telefon 0234- 264727

Telefax 0234- 236557

[email protected]

Inhalt

Vorwort von Gisela Estel

Vorwort von Günter Brakelmann

Die Herkunft des Martin Luther und sein Bildungsgang

Als Vikar, Hilfsprediger und Pfarrer in Bochum-Werne

Das Schicksal des Bruders Paul Luther

Der Bau der Kirche in Werne und das religiöse Leben

Das Jahr der Heirat 1898

Jahre nach der Heirat

Das Krisenjahr 1906

Die Krisenjahre 1908/09

Das Schicksalsjahr 1913

Literatur

Vorwort

Pünktlich zum 125. Geburtstag der Evangelischen Kirchengemeinde Bochum-Werne erscheint dieses Buch über den 1. Pfarrer der Gemeinde. Am 1. November 1893 wurde Werne von der Muttergemeinde Lütgendortmund in die Selbständigkeit entlassen. Wie viele Erwartungen und Hoffnungen waren wohl mit diesem Neubeginn verbunden? Und dann war da auch noch der 1. Pfarrer, der ausgerechnet Martin Luther hieß. Würde sein Wirken ähnlich erneuernd und segensreich sein wie das seines berühmten Namensvetters?

In dieser Schrift von Prof. Günter Brakelmann begegnet uns am Ende des 19. Jahrhunderts ein Pfarrer, der sich in seinem Dienst mit ganz unterschiedlichen Frömmigkeitsstilen auseinandersetzen muss – und damit auch ganz unterschiedlichen Erwartungen an sein Pfarramt. Dem einen ist dieser Martin Luther viel zu weltlich, ja verhält sich an vielen Stellen sogar amtsunwürdig, den anderen ist er guter Freund und Nachbar, der gern mal mit im Wirtshaus sitzt oder auf die Jagd geht. Zum Pfarramt berufen, aber doch auch Mensch mit all seinen Fehlern und Widersprüchen.

Für den äußeren Aufbau der Gemeinde hat er viel geleistet, den Bau von Kirche und Gemeindehaus vorangetrieben und begleitet. Doch genauso konnte er wegen zu wenig Besuchern den sonntäglichen Gottesdienst ausfallen lassen oder auch den Konfirmandenunterricht vertagen.

Seine Personalakte ist wohl mit eine der umfangreichsten im Landeskirchenamt. Viele Beschwerdeschreiben sind darin gesammelt, die heftige Diskussionen in der Gemeinde ausgelöst haben. Besonders tragisch ist dann auch noch das Ende dieses Martin Luthers: Er wird erschossen aufgefunden. War es Selbstmord oder sogar Mord?

Bis heute bleibt vieles ungeklärt und ein wenig mysteriös. Viel Stoff jedenfalls für eine biografische, kirchenhistorische Schrift, aber auch für einen nicht bis ins letzte gelösten Kriminalfall.

Unser Dank gilt Prof. Günter Brakelmann für diese sehr interessante Schrift, die uns die Lebensgeschichte des 1. Pfarrers unserer Gemeinde nahe bringt.

Viel Freude beim Lesen – und wie sagte noch Martin Luther, der Theologe und Reformator, jener berühmte Namensvetter unseres 1. Pfarrers: „Es ist kein Mensch so böse, dass nicht etwas an ihm zu loben wäre!“.

Pfarrerin Gisela Estel

(nach 100 Jahren erste Pfarrerin in Bochum-Werne)

Vorwort

Vor Jahren, als Gert Leipski Pfarrer in Werne war, lernte ich durch ihn vor dem Bilde Martin Luthers, das in der Sakristei hing, die Geschichte dieses Werner Pfarrers kennen. Erst jetzt, nach langen Jahren, bin ich dazu gekommen, mir seinen Lebenslauf genauer anzusehen. Immerhin trägt er den Namen des Reformators Luther.

Ich habe nun versucht, die Geschichte des Namensvetters Luthers zu rekonstruieren. In erster Linie habe ich die Personalakten, die sich im Landeskirchlichen Archiv in Bielefeld befinden, durchgearbeitet. Aus ihnen wird ausführlich zitiert, um den Lesern einen Einblick in das turbulente Leben dieses Pfarrers zu geben. Ich mute Ihnen zu, die Schriftstücke, die im Original alle handschriftlich geschrieben sind, mit innerer Ruhe und genau zu lesen. Sie geben uns beredten Einblick in den damaligen Sprach- und Denkstil. Was ich nicht entziffern konnte, habe ich mit einem Fragezeichen versehen.

Ich konzentriere mich bewusst auf diesen einen Pfarrer, der der erste Pfarrer in der 1893 selbständig gewordenen Kirchengemeinde Werne gewesen ist. Seine Zeit als Pfarrer von 1891 bis 1913 fällt in eine Zeit des Wandels einer bäuerlichen Gemeinde zu einer von Bergbau und Industrie bestimmten Vorortgemeinde der Stadt Bochum. Überdeutlich werden in dieser Zeit die innergemeindlichen Konflikte.

Der Pfarrer Luther zeichnet sich dadurch aus, dass er durch das Erbe seiner 1905 verstorbenen Frau ein nicht unbedeutender Besitzer von Ackerland wurde. Ein Teil dieses Ackerlandes verkaufte er als Bauland und wurde ein reicher Mann. Er geriet mit staatlichen und mit kirchlichen Behörden in Konflikte. Wie diese abliefen und wie sie endeten, soll aktenorientiert nachgezeichnet werden. Aufsehen im Lande erregte 1913 sein Selbstmord zusammen mit einem Freund. Wie die Kirche und die Öffentlichkeit diese Tragik interpretiert haben, gibt Einblick in eine komplizierte und kontroverse Diskussionskultur.

Die Kirchen- und Gemeindegeschichte kennt neben Gelungenem das Problematische und Misslungene. Beides sollte dargestellt werden.

Für die Mithilfe bei dieser Arbeit bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landeskirchlichen Archivs in Bielefeld.

Diese kleine Studie möchte ich dem dankbaren Andenken an meinen verstorbenen Freund Gert Leipski (1926 – 1993) widmen, der 32 Jahre lang als Pfarrer in Werne versucht hat, in Anbindung an Schrift und Bekenntnis Solidarität mit den persönlichen, den sozialen und politischen Problemen seiner Gemeindeglieder zu leben.

Günter Brakelmann

Bochum, im Sommer 2018

Die Herkunft des Martin Luther und sein Bildungsgang

Im Nordosten von Dortmund lag im 19. Jahrhundert die kleine Bauernschaft Asseln. Sie hatte 1865 1.025 Einwohner. Sie veränderte ihre Struktur, als der Bergbau und andere Industrien ihren Einzug hielten. 1894 gab es 2.486 evangelische Einwohner. Es gab mehrere Bergarbeitersiedlungen der beiden Zechen Schleswig und Holstein. Ein großer Teil der Einwohner kam aus Ostpreußen und Schlesien. Als die alte Kapelle zu klein wurde, baute man 1904 eine Luther-Kirche. Die Gemeinde Asseln machte den in dieser Zeit der Industrialisierung und Urbanisierung üblichen Wandel von einem Dorf zu einem Industrieort durch. In der Zeit seit der Reformation in Dortmund und Umgebung war der Ort zunächst nur evangelisch. Das kirchliche Gepräge gaben ihm in der Regel lange Jahre amtierende Pfarrer: 1840 –1864 der von einem Bauernhof stammende Heinrich Lueg, 1864 –1897 der Sohn des Dortmunder Bürgermeisters Wilhelm Becker und 1898 –1932 der Sohn eines Schornsteinfegers Wilhelm Hilburg. Neben den Pfarrern gab es in der „Rektoratsschule“ einen Lehrer, der zugleich Organist und Küster war. Asseln gehörte zur Grafschaft Mark, die seit 1666 brandenburgisch-preußisch war.

In diesem Ort wurden dem Ehepaar Johann Martin Luther und seiner Frau Susanne, geb. Estoppey zwei Söhne geboren: Paul, geb. am 18.5.1861, und Martin, geb. 18.11.1864. Der Vater war 1859 von der Gemeindevertretung als Lehrer, Organist und Küster gewählt worden. Anfangs gab es in Asseln aus nicht bekannten Gründen eine Ablehnung Luthers, die sich aber im Laufe der Jahre verringerte. Jedenfalls heißt es in einem Eintrag in der Schulchronik: „Am 2. Februar 1890 starb infolge von Lungenentzündung, tief betrauert von der ganzen Gemeinde, Martin Luther, erster Lehrer, Küster und Organist, nachdem er über 31 Jahre in hiesiger Gemeinde zum Segen gewirkt hatte.“ (Asseln, Schulchronik, S. →)

Über ihn, über seinen Charakter und über seine pädagogische Kompetenz erfahren wir in den vorhandenen Quellen nichts. Aber dies dürfte sicher sein: Er wollte aus seinen beiden Söhnen etwas Besonderes machen. Die Eltern nannten ihre Kinder nach dem Sohn des Reformators Paul und nach dem Reformator selbst Martin. Für die Eltern dürften die Namen Hoffnung und Programm gewesen sein. Die Eltern schickten ihre Söhne auf verschiedene Schulen. Paul machte 1881 sein Abitur in Halle a. S. Seine Abiturleistungen waren durchweg befriedigend. In der Rubrik „Sittliches Verhalten und Fleiß“ stand: „Sein Betragen war gut, Fleiß und Teilnahm dagegen nicht immer gleichmäßig, in Folge dessen auch die Leistungen nicht ganz zuverlässig und seinen Fähigkeiten nicht entsprechend.“. Paul studierte dann in Bonn und Halle Theologie, machte sein 1. Examen in Münster und wurde von 1887 – 1893 Schul- und Gemeindevikarvikar in Wallenbrück bei Spenge.

Die Schulzeit des jüngeren Sohnes Martin war sehr abwechslungsreich: Er besuchte zunächst die Rektoratsschule seines Vaters in Asseln und dann die in Aplerbeck, anschließend das Gymnasium in Dortmund und die Frankesche Stiftung in Halle und machte schließlich 1884 das Abitur in Burgsteinfurt. Das Zeugnis der Reife: Religionslehre genügend, Deutsch genügend, Latein genügend, Griechisch gut, Französisch genügend, Hebräisch genügend, Geschichte und Geographie nicht genügend, Mathematik genügend, Physik genügend, Turnen recht gut.

Er war nach den Abiturzensuren ein durchschnittlicher Schüler, der sein Theologiestudium von 1884 – 1886 in Halle begann, dann für ein Jahr nach Greifswald und schließlich nach Bonn ging. Halle – Greifswald – Bonn waren die bevorzugten Studienorte vieler evangelischer Westfalen. Das 1. Examen absolvierte er am 12. und 13. April 1888 vor dem Königlichen Konsistorium in Münster.

Seine Meldung zum Examen enthielt ein „curriculum vitae“ (Lebenslauf), das auf Lateinisch abgefasst war. Mit dem Zulassungsbescheid verbunden waren die Angaben für die schriftlichen Arbeiten:

De vita in Christo nova secundum epistolam ad Romanos VIII, 1-4 (wieder ganz auf Latein abgefasst, mit ziemlich gut bewertet)

Die Absolution nach römischer, reformierter und lutherischer Lehre (mit ziemlich gut bewertet)

Predigt: Matth. 14, 22-32 (mit genügend bewertet)

Katechese: 2. Tim. 3, 13-14 (Im Ganzen gut bewertet)

Mündliche Prüfung: Philosophie: ungenügend, Bibelkunde gut, Biblische Exegese des AT genügend, des NT ziemlich gut, Dogmatik und Symbolik genügend, Moral: ziemlich gut, Pastoral-Wissenschaften ziemlich gut, Praktische Anlage: „Der Vortrag ermangelte noch der Sicherheit, Klugheit und Deutlichkeit“.

Schon 1883 hatte der Gymnasiast den „Berechtigungsschein zum einjährig-freiwilligen Dienst“ erworben. Er nahm diesen mit einer Unterbrechung durch eine Krankheit in der Zeit vom 1. April 1888 bis 1. April 1889 wahr. Entlassen wurde er als „Gefreiter mit Geeignetheit zum Unteroffizier“.

Das 2. Examen am 28./29. April 1890 ließ nicht lange auf sich warten. Nach einer „pädagogischen Ausbildung“ in Petershagen, die er mit „genügend“ abschloss, wurden ihm vom Konsistorium nach Genehmigung eines Aufschubs des Examenstermins als schriftliche Arbeiten aufgegeben:

Accuratius de disciplina ecclesiastica secundum novum testamentum agatur (ziemlich gut)

Die Mystik als Vorbereitung der Reformation (ziemlich gut)

Predigt: Philipper 3, 12-14 (ziemlich gut)

Die mündlichen Prüfungen ergaben dieses Ergebnis: Exegese des Alten Testaments genügend, Exegese des Neuen Testaments ziemlich gut, Dogmatik und Symbolik eben genügend, Kirchen- und Dogmengeschichte ungenügend, Ethik genügend, Praktische Theologie kaum genügend, Kirchenrecht genügend, Schulkunde eben genügend, Philosophie genügend, im Ganzen: „eben bestanden“.

Nach den Prüfungsnoten war Martin Luther auch hier ein durchschnittlicher Kandidat, der keine besonderen wissenschaftlichen Ambitionen gehabt haben dürfte. Es wird ihn in die Praxis eines gemeindlichen Pfarramtes gezogen haben. Inzwischen war im Februar 1890 sein Vater gestorben, so dass er in dieser Zeit mittellos war. Er bittet die oberste staatliche Kirchenbehörde, das „Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten“, um eine geldliche Unterstützung. Es wurden ihm 400 Mark bewilligt.

Als Vikar, Hilfsprediger und Pfarrer in Bochum-Werne

Am 8. Juni 1890 wird dem Kandidaten das „Zeugnis für den evangelischen Pfarr-Amts-Candidaten“ ausgestellt. Inzwischen bekommt er auf Grund seiner schlechten wirtschaftlichen Lage noch einmal eine geldliche Zuwendung von 600 Mark, für die sich der Bochumer Superintendent Friedrich („Fritz“) König eingesetzt hat. Von diesem wird er am 22. Februar 1891 als Vikar in der alten Werner Kapelle ordiniert und erhält eine Anstellung als Hilfsprediger. Die Gemeinde Werne gehörte als Außenstelle zur Gemeinde Lütgendortmund, in der seit 1877 Wilhelm Weskott (1850 – 1938) Pfarrer war.

Schon lange war vorgesehen, die wachsende Gemeinde Werne von der Muttergemeinde Lütgendortmund zu trennen und sie eine selbständige Kirchengemeinde werden zu lassen. Dieser Ablösungsprozess und der Aufbau einer neuen Gemeindestruktur in Werne sollten konfliktreich werden. Nach der Kirchenordnung mussten zunächst „Gemeinderepräsentanten“ gewählt werden. Diese wiederum hatten das Presbyterium zu wählen.

Am 18. Dezember 1892 fanden die Wahlen der Gemeinderepräsentanten statt. Wählen konnten nur die Männer, die Frauen hatten bis 1919 kein Wahlrecht in der Kirche. Am 3. Januar 1893 schreibt der Wahlleiter Superintendent König folgenden Brief an die Gewählten:

„Hierdurch teile ich Ihnen mit, dass Sie in der am 18. Dezember getätigten Wahl zu Repräsentanten der Kirchengemeinde Werne ordnungsmäßig erwählt worden sind mit der gleichzeitigen Benachrichtigung, dass gegen sieben der gewählten Herren, welchen besondere Nachricht zugeht, wegen angeblich mangelnder Qualifikation Einsprache erhoben ist. Bis zur erfolgten Entscheidung über den eingelegten Protest bleiben dieselben von den Verhandlungen der Repräsentation zunächst ausgeschlossen.

Die übrigen Herren lade ich hierdurch zu einer ersten

Konstituierenden Versammlung ein auf

Montag den 15. Januar, nachm. 4 ¼ in den Betsaal dort.

Mit der Tagesordnung

Konstituierung der Repräsentation

Wahl eines Presbyteriums.“

Martin Luther, geb. 18. November 1864 in Dortmund-Asseln, 1. Pfarrer der Evangelischen Kirchen gemeinde Bochum-Werne ab 1. November 1893

Beigefügt sind diesem Schreiben die Namen der 53 Repräsentanten und die Namen der 12 ins Presbyterium Gewählten. (darunter fünf Landwirte, zwei Obersteiger, ein Unternehmer). Es fällt schon hier auf, dass unter den Gewählten Vertreter der Mehrheit der Gemeindeglieder, die Bergleute oder Industriearbeiter sind, nicht vorkommen. Die alteingesessenen Bauern und Vertreter des Bürgertums dominieren noch in dieser Zeit die Gemeindevertretungen.

Die offizielle kirchenrechtliche Lösung der Kirchengemeinde Werne von Lütgendortmund erfolgte am 1. November 1893. An diesem Tag wurde Luther als Erster Pfarrer in Werne eingeführt. Nun sollte die endgültige Wahl des Presbyteriums durch die Repräsentanten am 2. Dezember 1893 stattfinden, aber auch sie wurde schließlich auf den 18. Dezember 1893 verschoben. Denn vorher, am 13. Dezember, bekam der Superintendent von Pfarrer Weskott diesen Brief:

„Soeben war einer der (?) von Werne, ein Bergmann, bei mir und sprach sein Bedauern darüber aus, dass die Wahl der Repräsentanten auf die Zeit von 10-1 Uhr anberaumt sei; viele von den Arbeitern, alle, die Morgenschicht haben, seien dadurch von der Beteiligung ausgeschlossen. Obwohl ich weiß, dass jetzt an der einmal getroffenen Bestimmung nichts mehr geändert werden kann, habe ich doch dem Betreffenden auf sein dringendes (?) versprechen müssen, an Sie die Anfrage zu richten, ob es nicht möglich sei, die Wahlzeit doch noch auf die Zeit von 2-4 Uhr auszudehnen. Nach der stattgehaltenen Bekanntmachung geht’s freilich nicht. Aber wenn ich diese Zeilen an Sie richte, habe ich wenigstens den Wunsch des Gutmeinenden erfüllt. In Werne siehts böse aus; es wird mächtig agitiert, dass die? in die Repräsentation hineinkommen, selbst Leute, die Freimaurer sind und seit Jahrzehnten die Kirche nur von außen gesehen haben. Wir sind freilich auch tüchtig an der Arbeit und hoffen, dass es uns wenigstens gelingt, einen Teil der wirklichen Christen hineinzubringen. Mit herzlichen Grüßen“

„In Werne sieht’s böse aus“. Es war unter den evangelischen Gemeindegliedern ein heftiger Streit entstanden. Die einzelnen Gemeindegruppen wollten möglichst viele ihrer Leute in die „Repräsentation“ bringen, um ein ihnen genehmes Presbyterium wählen zu können. Es waren 331 Stimmen, die die Repräsentation mit 55 Mitgliedern bestimmten. Die Gemeinde war religiös sehr zersplittert. Es gab unter den aus Ostpreußen eingereisten Familien eine starke vom Pietismus geprägte Gruppe, unter den einheimischen Bauern, Handwerkern und Kleinunternehmern gab es eine traditionelle von kirchlicher Sitte geprägte Gruppe, und es gab eine dem Gemeindeleben fern stehende kirchendistanzierte Gruppe, die sich aber als „protestantisch“ verstand. Sie alle drängten darauf, Leute ihrer Prägung in die gemeindeleitenden Ämter zu bekommen. Die liberalen und stark säkular denkenden Männer konnten die „Frommen“ mit ihrem Glauben und vor allem mit ihrem Lebensstil nicht verstehen, und umgekehrt konnten die „Frommen“ sich nur schwer an Menschen gewöhnen, die Wirtshäuser besuchten und ein weltliches Vereinsleben entfalteten.

Schließlich kam es am 18. Dezember 1893 in der Kapelle zu den Gemeindewahlen. Das Ergebnis: 331 Stimmen wurden abgegeben, 55 Männer wurden in die Repräsentanz gewählt, darunter zehn Männer mit über 300 Stimmen. Es existiert eine gedruckte Liste der Namen der Gewählten mit Angaben der Stimmenzahlen.

Damit war aber noch längst nicht Frieden in die Gemeinde eingekehrt. Die alten Auseinandersetzungen wurden bald neu entfacht. Die Kritiker aus der Zeit vor der Selbständigkeit der Kirchengemeinde bestätigten und erneuerten ihre Proteste. Am 20. Dezember 1893 gibt König einen Bericht an das Konsistorium über ein Gespräch mit zwei Gemeindegliedern:

„Es erschienen der Berginvalide Heinrich Berge und der Bergmann Nicolaus Grebe, Gemeindeglieder in Werne, 45 Jahre und 29 Jahre alt und erklären:

Wir fühlen uns beschwert durch den Ausfall der am 18. d. M. getätigten Repräsentantenwahl, indem durch dieselbe nicht den von der Kirchenordnung geforderten Bedingungen in Bezug auf die kirchliche Qualifikation der Gewählten Genüge getan ist. Wir führen im einzelnen an den Maurermeister und Bauunternehmer Herrn Zipp, den Lehrer Knemeyer und den