Max Achtzig - Dieter Schäfer - E-Book

Max Achtzig E-Book

Dieter Schäfer

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Beschreibung

Ein fataler und vermeidbarer Lkw-Unfall mit vier toten Pkw-Insassen am Rosenmontag 2018 gab den Ausschlag zur Gründung des Vereins "Hellwach mit 80 km/h e. V." Lesen Sie, wie solch ein tragischer Unfall an einem Stauende das Leben von so vielen Menschen belastet, aber auch ein Weckruf sein kann, mehr für die Verkehrs­sicherheit zu tun und der Vision Zero näher zu kommen. Das Buch zeigt auf, wie dies mit der Max Achtzig Idee erreichbar ist. Es kann als Begleitwerk im Rahmen der für Fahrer und Trainer gesetzlich vorgeschriebenen Schulungs- und Fortbildungsinhalte der Anlage 1, Ziffern 1.2, 1.3a und 3.1 der Berufskraftfahrerqualifizierungsverordnung (BKrFQV) eingesetzt werden. Die Maxime ist Aufruf und Motivation zugleich: Es ist Zeit für Veränderung – Zeit am Leben zu bleiben!

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Weitere Empfehlungen:

Max Achtzig

40 Tonnen Verantwortung!

Liebe Helena,

wir sind uns bisher nie begegnet.

Du weißt nicht, wie sehr Dein Schicksal mich und mein Wirken beeinflusst und motiviert.

Es steht für die vielen tragischen Unglücke im Straßenverkehr, bei denen geliebte Menschen von jetzt auf nachher durch ein Augenblicksversagen, oft eines Anderen, aus der Mitte von Angehörigen und Freunden gerissen werden und tiefgreifendes Leid auslösen.

Lass uns diese Erkenntnis so vorantreiben, dass daraus eine Welle der Zuversicht entsteht, die hilft, die Gefahren am Stauende zu minimieren und den Unfalltod zurückzudrängen.

Deshalb widme ich dieses Buch auch Dir persönlich.

Herzlichst

Dieter Schäfer

Ich danke meinem Kurpfälzer Freund Karl Gärtner für die Unterstützung bei der Illustration.

Das Titelbild und alle Zeichnungen stammen unverwechselbar aus seinen Pinseln und Zeichenstiften.

Seit 1542

Verlag Waldkirch KG

Schützenstraße 18

68259 Mannheim

Telefon 0621-129150

Fax 0621-1291599

E-Mail: [email protected]

www.verlag-waldkirch.de

© Verlag Waldkirch Mannheim, 2024

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Herausgebers.

Inhalt

Vorwort

Der Unfall

Einstellungen und Routinen als Unfallgefahr?

Ursachenanalyse

Szenarien für tödliche Unfälle am Stauende

Mangelhafte Infrastruktur

Die Max Achtzig Idee

Technische Prävention

Personalisierte Prävention

Der Sekundenschlaf

Ablenkung

Das Max Achtzig Sicherheitsregister

Aktive Präventionsmaßnahmen

Die importierte Alkoholgefahr

Was tut der Staat zur Gefahrenabwehr?

Was kann die Autobahn GmbH tun?

Die „stillen“ Opfer

Schlusswort

Anhänge

Das Max Achtzig Poster

Die Max Achtzig Aufklärungsbroschüre

Feierabendgedanken

Mitglied werden

Der Verkehrspolizist

Licht am Ende des Staus

Dieter Schäfer

Vorwort

Für mich als damals verantwortlicher Leiter der größten Verkehrspolizeidirektion Baden Württembergs brachte der 12. Februar 2018 eine Zäsur.

Das Schicksal eines 15-jährigen Mädchens entfachte in mir die Wut und das Feuer, fortan gegen das Sterben am Stauende im Besonderen und die gesellschaftliche Oberflächlichkeit hinsichtlich des Sterbens im Straßenverkehr im Allgemeinen anzukämpfen.

Wir haben in diesen Jahren eine Pandemie erlebt, die das stete Streben nach Wirtschaftswachstum und Unternehmensgewinnen und den damit einhergehenden Neoliberalismus in einer alles globalisierenden Welt zu einem abrupten Stillstand gebracht hat.

Wir haben den Rückgang von mehr als 500 Verkehrstoten in zwei Jahren gefeiert, um festzustellen, dass es sich überwiegend um die Folgen des Lockdowns und des Rückzuges ins Home Office gehandelt hat.

Wir haben während der pandemischen Zeiten auch die Lkw-Fahrer gefeiert, die unsere Versorgung gesichert haben. Die erforderliche Wertschätzung haben wir ihnen aber nie gewährt. Selbst ein Angebot, ihr menschliches Bedürfnis, ihre Notdurft an den Ab-/Ladeorten zu verrichten, wurde und wird ihnen bis heute oft nicht gewährt, ganz zu schweigen von Aufenthalts- und Erholungsräumen nach langen Transportfahrten.

Während die Opferzahlen bei allen Verkehrstoten um 20 Prozent zurückgegangen waren, stiegen die der toten Lkw-Fahrer am Stauende um 60 Prozent an. Und die schrecklichen Zahlen bleiben weiterhin hoch. Dabei liegt das Verhältnis getöteter Lkw-Fahrer zu getöteten Insassen von Pkw am Stauende bei etwa 3,5 zu 1.

Im Lichte des europaweiten Fahrermangels bringt aber jeder verunglückte Lkw-Fahrer die Lieferketten näher an ihre Belastungsgrenzen. In Deutschland fehlen bereits 100.000 Fahrer1 und jährlich gehen 30.000 von ihnen in Rente. Dem stehen aber nur 15.000 Nachwuchskräfte gegenüber. Jeder Verunglückte Fahrer verschärft die Situation.

Es muss endlich ein Ruck durch unsere Gesellschaft gehen. Der Tod am Stauende ist nicht unausweichlich. Und die gewohnte Sicherheit der Lieferketten ist nicht auf ewig garantiert. Wir müssen aktiv zu einer Verbesserung der Situation für die BKF beitragen und damit auch die Verkehrssicherheit erhöhen.

Nicht nur das Transportgewerbe, nein auch die Industrie und der Warenhandel müssen erkennen, dass der Fahrer das wertvollste Glied in einer funktionierenden Lieferkette ist. Und sie müssen ihrer Verantwortung gerecht werden.

1https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/speditionen-lkw-fachkraeftemangel-100.html

Kapitel 1

Der Unfall

Der 12. Februar 2018 ist ein wolkenverhangener Montag, kühl aber trocken. Die 15-jährige Helena verabschiedet sich kurz nach 13.00 Uhr von ihrer Oma in Karlsruhe. Nach einem Besuch macht sie sich mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester mit dem Auto auf den Nach-Hause-Weg. Sie nehmen die Autobahn A5 und wollen über die A6 am Walldorfer Kreuz zur A67 Richtung Heimat nach Köln fahren.

Ebenfalls auf der A5 nach Norden ist ein 59-jähriger erfahrener polnischer Berufskraftfahrer mit seinem Sattelzug unterwegs. Kurz nach 14.00 Uhr passiert er die Tank- und Rastanlage Bruchsal.

Etwa um diese Zeit beginnt sich 25 km südöstlich an der Dauerbaustelle auf der A6 ab der Anschlussstelle Rauenberg zur allmittäglichen Rush-Hour der Verkehr zurück zu stauen und wächst schnell.

Unser Lkw-Fahrer schwimmt im Verkehr mit und fährt unwesentlich schneller als die für Lkw erlaubten 80 km/h. Das Verkehrsaufkommen ist durchschnittlich hoch und er wähnt sich sicher, da er auf der mittleren und linken Spur von Pkw mit 120 bis 140 km/h überholt wird. Etwa 14.17 Uhr passiert er den Autobahnkilometer 293.

Der Stau auf der A6 ist mittlerweile so angewachsen, dass er das Abbiegeohr am Walldorfer Kreuz von der A5 zur A6 erreicht hat und sich auf dem rechten Abbiegestreifen der A5 weiter zurückstaut bis km 292.

Helenas Familie hat zwischenzeitlich fast das Walldorfer Kreuz erreicht und muss an diesem Stauende anhalten. Vor ihnen stoppt ein weiterer Pkw und davor ein Sattelzug mit Tankauflieger.

Keine 50 Sekunden später wird der Lkw-Fahrer jäh aus der Monotonie seines Fahreralltags gerissen. Mit einem fürchterlichen blechernen Knall wird er in seinen Sicherheitsgurt katapultiert. Bremsen kreischen. Dann herrscht Totenstille. Er ist starr vor Schreck.

Die Ersthelfer, die angehalten haben, eilen zur Unfallstelle. Die beiden Pkw wurden zwischen den Sattelzügen förmlich zermalmt, der hintere der Beiden auf weniger als die Hälfte seiner Länge zusammengequetscht.

Der vordere Pkw verkeilt sich am Unterfahrschutz und wird durch die Aufprallwucht vom hinteren Pkw aufgegabelt und nach oben abgeknickt und gegen die Rückwand des Tankaufliegers geschmettert. Der 60-jährige Fahrer muss sofort tot gewesen sein.

Das hintere Wrack ist so deformiert, dass man nicht erkennen kann, wie viele Personen im Fahrzeug sitzen.

Der Tank des vorderen Sattelzuges reißt auf und 10.000 Liter Flüssigabfälle in Form von Schweineblut fluten die Fahrbahn. Mittlerweile sind die Rettungsorganisationen eingetroffen. Sie müssen in dem dickflüssigen Blut umher waten, um sich einen Überblick zu verschaffen. Der muffige, eisenhaltige Geruch des Blutes überlagert das schreckliche Szenario und löst bei nicht wenigen Würgereiz aus.

Nach quälenden Minuten der Ungewissheit hören die Retter ein Röcheln aus dem hinteren Fahrzeugwrack. Die Karlsruher Feuerwehrleute gehen behutsam mit dem Spreizgerät um und legen die Fahrzeugkabine frei.

Als der Notarzt von der Beifahrerseite her ins Innere zum Rücksitz schaut, blickt er in die weit aufgerissenen, Schock-geweiteten Augen des Mädchens Helena. Sie ist bei vollem Bewusstsein und fragt ihn leise und mit flehender Stimme:

SIND DIE ALLE TOT?

Tatsächlich kommen ihr Vater, ihre Mutter und ihre 14-jährige Schwester ums Leben.

Helena wird mit multiplen Knochenbrüchen, aber nicht lebensgefährlich verletzt, mit dem Rettungshubschrauber in die Klinik geflogen.

Der Lkw-Fahrer selbst bleibt unverletzt.

Das Schweineblut fließt schließlich, von der Feuerwehr mit Wasser verdünnt, in den unter der Autobahn querenden Kraichbach und färbt diesen rot.

Welch schon fast apokalyptisch anmutendes Szenario. Und auch tragisch, weil schon wieder ein Unfall mit Toten bei Kilometer 292 geschehen war. Denn es war nicht der erste schwere Unfall auf diesem „Todeskilometer“. Seitdem die Dauerbaustelle zum Umbau des Walldorfer Kreuzes im Januar 2017 eingerichtet wurde, verzeichnete das zuständige Autobahnkommissariat Walldorf eine ganze Serie schwerster Unfälle.

In der Folge wird dann das ganze tragische Ausmaß dieses Unfalles bewusst und mit jedem weiteren Ermittlungsergebnis und schlussendlich der Vorlage der fertigen Ermittlungsakte an die Staatsanwaltschaft wird klar, dass ein Augenblicksversagen eines sehr erfahrenen Lkw-Fahrers zum Tod von vier Menschen geführt hatte. Außerdem wirft sich die Frage auf, warum es gerade bei Kilometer 592 so häufig zu schweren Unfällen kam.

Wenige Tage nach dem Unfall erhielt ich als damaliger Leiter der Verkehrsdirektion eine Anfrage der Mannheimer Berufsfeuerwehr, ob ich bei einer Rettungskräftefortbildung zu diesem Unfall berichten wolle. An einem der folgenden Samstage fand die Veranstaltung in den Hallen der neuen Feuerwache statt.

Ich referierte auch über die beschriebene apokalyptische Situation für die Ersthelfer.

Die Unfallsituation war so außergewöhnlich, dass sich noch während des Einsatzes die Frage von posttraumatischen Belastungsstörungen stellte. Der Einsatzleiter reagierte bei einem jungen Beamten vorbildlich und entließ ihn aus dem Einsatz und veranlasste eine sofortige Nachbetreuung.

Solchen psychischen Belastung sind insbesondere die Ersthelfer sowie die Angehörigen der Rettungsorganisationen ausgesetzt. Und so werden einem die Erscheinungsformen des Unfalltodes in jedem Einzelfall brutal deutlich. Hatten wir bei der Polizei noch in den 80er Jahren die Angewohnheit, den Schrecken nach Dienstende mit einem Bier herunter zu spülen, wurde uns in der Leitung des Polizeipräsidium Mannheim im Laufe der zweiten Hälfte der 1990er Jahre nach einigen internen tragischen Todesfällen bewusst, dass die betroffenen Beamtinnen und Beamten mehr brauchten und wir installierten ein festes PTSD-Team zur Früherkennung und Bewältigung von posttraumatischen Belastungsstörungen.

Zurück zur Veranstaltung bei der Feuerwehr: Nach meinem Vortrag nahm mich der anwesende Notarzt zur Seite und berichtete mir. dass sein Kollege bei diesem Unfall im Dienst und als Ersthelfer vor Ort war. Und dann schilderte er mir die Situation beim Zusammentreffen mit der schwerverletzten Helena und ihrem Flehen:

„SIND DIE ALLE TOT?“

Mir schossen sofort die Tränen in die Augen. Damit hatte ich trotz der vollen Kenntnis der Unfallakte nicht gerechnet. Das traf mich so dermaßen unvorbereitet, dass es sich eingrub und dieses Gefühl mich auch nicht mehr losließ.

Ich dachte, ich kann das nach so vielen Jahren sachlich verarbeiten. Es wäre jedoch nicht menschlich, wenn man im Einzelfall nicht doch eine zeitweilige Belastungsstörung davontrüge. Und genau das widerfuhr mir in diesem Moment. Dieser Unfall hat mich mitgenommen – weil er so unnötig war und so grausam und so real den gesellschaftlichen Umgang mit dem Verkehrstod in all seinen politischen Facetten widerspiegelt.

Dieses Gefühl gibt mir seither jeden Tag Motivation und Antrieb, gegen das Sterben am Stauende anzukämpfen und für die Vision Zero2 einzutreten.

Laut dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat betrifft der Tod jeder einzelnen im Straßenverkehr getöteten Person durchschnittlich direkt 113 weitere Personen: elf Familienangehörige, vier enge Freunde, 56 Freunde und Bekannte sowie 42 Einsatzkräfte3.

Ich gehöre wohl auch dazu.

2https://de.wikipedia.org/wiki/Vision_Zero, https://www.dvr.de/ueber-uns/vision-zero

3https://www.dvr.de/presse/pressemitteilungen/psychische-unfallfolgen-beteiligter-personen-betroffene-nicht-allein-lassen

Kapitel 2

Einstellungen und Routinen als Unfallgefahr?

Quatsch, so etwas passiert mir doch nicht!???

Wie oft hören wir diesen Satz, wenn ein aktueller Unfall diskutiert wird. Es sind immer die anderen, die nicht aufpassen. Man selbst fährt ja als Berufskraftfahrer schon jahrelang unfallfrei.

Hier ein paar Beispiele aus dem Zeitraum von Ende August bis Ende September 2023: