Mein Bekanntenkreis - Franziska König - E-Book

Mein Bekanntenkreis E-Book

Franziska König

0,0

Beschreibung

Evelyn, eine verwöhnte taiwanesische Millionärstochter, veranstaltet ein Festival für verfemte Musik in Taipeh. Doch das mit so viel Enthusiasmus vorbereitete Projekt wird leider böse enden. Und Veronika, eine liebe Freundin, wird von einem alten Verehrer, dem die Frau verstorben ist, bedrängt, den Lebensabend mit ihm zu verbringen. Liebevoll, und im Bestreben, das Geschehen für die Sinne der Leserschaft gescheit aufzupixeln, schildert Franziska den Alltag um diese und andere Dramen und kleinen Freuden aus dem ersten Halbjahr 2009.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 434

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Franziska „Kika“ im Jahre 1995 fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott

Ein Buch ohne Vorwort.

Sie können gleich anfangen zu lesen.

Meinem lieben Onkel Hartmut gewidmet!

Inhaltsverzeichnis

Januar 2009

Donnerstag, 1. Januar

Freitag, 2. Januar

Samstag, 3. Januar

Sonntag, 4. Januar

Montag, 5. Januar

Dienstag, 6. Januar

Mittwoch, 7. Januar

Donnerstag, 8. Januar

Freitag, 9. Januar

Samstag, 10. Januar

Sonntag, 11. Januar

Montag, 12. Januar

Dienstag, 13. Januar

Mittwoch, 14. Januar

Donnerstag, 15. Januar

Freitag, 16. Januar

Samstag, 17. Januar

Sonntag, 18. Januar

Montag, 19. Januar

Dienstag, 20. Januar

Mittwoch, 21. Januar

Donnerstag, 22. Januar

Freitag, 23. Januar

Samstag, 24. Januar

Sonntag, 25. Januar

Montag, 26. Januar

Dienstag, 27. Januar

Mittwoch, 28. Januar

Donnerstag, 29. Januar

Freitag, 30. Januar

Samstag, 31. Januar

Februar 2009

Sonntag, 1. Februar

Montag, 2. Februar

Dienstag, 3. Februar

Mittwoch. 4. Februar

Donnerstag, 5. Februar

Freitag, 6. Februar

Samstag, 7. Februar

Sonntag, 8. Februar

Montag, 9. Februar

Dienstag, 10. Februar

Mittwoch, 11. Februar

Donnerstag, 12. Februar

Freitag, 13. Februar

Samstag, 14. Februar

Sonntag, 15. Februar

Montag, 16. Februar

Dienstag, 17. Februar

Mittwoch, 18. Februar

Donnerstag, 19. Februar

Freitag, 20. Februar

Samstag, 21. Februar

Sonntag, 22. Februar

Montag. 23. Februar

Dienstag, 24. Februar

Mittwoch, 25. Februar

Donnerstag, 26. Februar

Freitag, 27. Februar

Samstag, 28. Februar

März 2009

Sonntag 1. März

Montag, 2. März

Dienstag 3. März

Mittwoch, 4. März

Donnerstag, 5. März

Freitag 6. März

Sonntag, 7. März

Sonntag, 8. März

Montag, 9. März

Dienstag, 10. März

Mittwoch, 11. März

Donnerstag, 12. März

Freitag, 13. März

Samstag, 14. März

Sonntag, 15. März

Montag, 16. März

Dienstag, 17. März

Mittwoch, 18. März

Donnerstag, 19. März

Freitag, 20. März

Samstag, 21. März

Sonntag, 22. März

Montag, 23. März

Dienstag, 24. März

Mittwoch, 25. März

Donnerstag, 26. März

Freitag, 27. März

Samstag, 28. März

Sonntag, 29. März

Montag, 30. März

Dienstag, 31. März

April 2009

Mittwoch, 1. April

Donnerstag, 2. April

Freitag 3. April

Samstag, 4. April

Sonntag, 5. April

Montag, 6. April

Dienstag, 7. April

Mittwoch, 8. April

Donnerstag, 9. April

Freitag, 10. April

Samstag, 11. April

Sonntag, 12. April

Ostermontag, 13. April

Dienstag, 14. April

Mittwoch, 15. April

Donnerstag, 16. April

Freitag, 17. April

Samstag, 18. April

Sonntag, 19. April

Montag, 20. April

Dienstag, 21. April

Mittwoch, 22. April

Donnerstag, 23. April

Freitag, 24. April

Samstag, 25. April

Sonntag, 26. April

Montag, 27. April

Dienstag, 28. April

Mittwoch, 29. April

Donnerstag, 30. April 2009

Mai 2009

Freitag, 1. Mai

Samstag, 2. Mai

Sonntag, 3. Mai

Yvonne 1967-2009

Montag, 4. Mai

Dienstag, 5. Mai

Mittwoch, 6. Mai

Donnerstag, 7. Mai

Freitag, 8. Mai

Samstag, 9. Mai

Sonntag, 10. Mai

Montag, 11. Mai

Dienstag, 12. Mai

Mttwoch, 13. Mai

Donnerstag, 14. Mai

Freitag, 15. Mai

Samstag, 16. Mai

Sonntag, 17. Mai

Montag, 18. Mai

Dienstag, 19. Mai

Mittwoch, 20. Mai

Donnerstag, 21. Mai

Freitag, 22. Mai

Samstag, 23. Mai

Sonntag, 24. Mai

Montag, 25. Mai

Dienstag, 26. Mai

Mittwoch, 27. Mai

Donnerstag, 28. Mai

Freitag, 29. Mai

Samstag, 30. Mai

(Pfingst-)sonntag, 31. Mai

Juni 2009

(Pfingst-)montag, 1. Juni

Dienstag, 2. Juni

Mittwoch, 3. Juni

Donnerstag, 4. Juni

Freitag, 5.Juni

Samstag, 6. Juni

Sonntag, 7. Juni

Montag, 8. Juni

Dienstag, 9. Juni

Mittwoch, 10. Juni

Donnerstag, 11. Juni

Freitag, 12. Juni

Samstag, 13. Juni

Sonntag, 14. Juni

Montag, 15. Juni

Dienstag, 16. Juni

Mittwoch, 17. Juni

Donnerstag, 18. Juni

Freitag, 19. Juni

Samstag, 20. Juni

Sonntag, 21. Juni

Montag, 22. Juni

Dienstag, 23. Juni

Mittwoch, 24. Juni

Donnerstag, 25. Juni

Freitag, 26. Juni

Samstag, 27. Juni

Sonntag, 28. Juni

Montag, 29. Juni

Dienstag, 30. Juni

Januar 2009

Donnerstag, 1. Januar

Ofenbach/ Niederösterreich

Bewölkt,

doch auf dem Spaziergang durch gefrostetes

Herbstlaub zuweilen ein Lächeln der Sonne

durch sanft schwebende, flächendeckende

Wolkenschichten

Rehlein, meine 69-jährige Mutter, hatte sich dem Neujahrsmorgen zur Huld sehr hübsch mit einem auf dem Basar in der Türkei gekauften Hemd gekleidet, das über der Brust von einer goldschimmernden, weihnachtlichen Verzierung geschmückt wurde.

Man schaltete den Televisor ein, und ab Viertel nach elf schauten die Erwachsenen den ganzen Vormittag lang das Neujahrskonzert aus Wien unter der Leitung von Daniel Barenboim, und Rehlein tänzelte zu der Musik, während unser Familienoberhaupt „Buz“ in seinen malerischen Pantoffeln, unbewegt im Sorgenstuhle saß.

Das Publikum, von oben gesehen, schaute aus wie die Oberfläche eines Zwetschgenkuchens, und es heißt, eine Karte koste etwa 900 €uro.

Sparte ich beispielsweise ab sofort jeden Tag 3 €uro, so könnte ich Buzen am Ende des Jahres eine Karte für das nächste Neujahrskonzert kaufen. Doch was, wenn man

dann dort säße, und die ganze Zeit aufs Klo pressierte?

(Letzteres dachte abwimmelnd die Schwäbin in mir.)

Rehlein meinte, daß während dem Neujahrskonzert auch viele Bilder aus dem Zoo gezeigt würden, und auf diese Schiene sprang ich sehr interessiert auf. Ständig rannte ich in die Wohnstube und rief:

„Sind schon Bilder vom Zoo gekommen??“

Nach dem Kunstgenuß lud mich das süßeste Rehlein auf einen Neujahrsspaziergang ein.

Ich sprach davon, lieber daheim bleiben zu wollen, doch Rehlein duldete es nicht, und so stieg ich im Keller in meine dunkle Tuchhose, die ich unlängst einem sultansartigen Herrn in Kassel abgekauft habe, wie ich Rehlein plastisch berichtete, als ich aus dem Keller wieder emporgestiegen war.

Der Herr, der die Sultanshose verkauft hat, sei sehr nett gewesen. Ich hätte mich beim Kaufvorgang gefühlt wie in einem Märchen aus 1001 Nacht, und Kassel sei jetzt ganz und gar in türkischer Hand und hieße mittlerweile Küssül, wußte ich Rehlein zu erzählen.

Buz war vorausgelaufen, ich sollte ihm nacheilen, und Rehlein wiederum würde mir hinterher stürmen.

„Wo ist er denn, der oide Depp?“ frug ich mich, als ich mich anschickte, den Hang zur Pferdekoppel vor dem Hause zu erklimmen, und da sah man Buz bereits rübezahlartig in der Ferne schimmern.

Auch das emsige und wieselflinke Rehlein in schönem, glänzenden Biberpelze zeigte sich alsbald.

Buz atmete pfeifend und mühsam und kehrte sehr den Leidenden hervor, und leider sind wir Drei in sehr unterschiedlichen Tempi geeicht, so daß es eine Mühe ist, uns als kleines Spaziergangsgespann beieinander zu halten.

Ich lief meist neben Rehlein her, doch da Rehlein etwas flinker ist als ich, mußte ich mich sehr anstrengen, um mit Rehlein Schritt zu halten.

Wir bewanderten einen schönen, breiten, leicht aufschüssigen Weg, mit gefrostetem, eingeknülltem rosa Herbstlaub bedeckt, und mir gefiel der Gedanke, daß wir uns ab sofort jeden Tag Prosciuttobrote zubereiten, die wir dann im Walde picknicken könnten.

Rehlein hatte ein Sackerl mit Leckereien dabei:

Dörrobst (selbstgedörrt), Walnüsse (sich selbst danach gebogen), und für jeden von uns zwei Basler Leckerli (selbstgebacken).

Wieder atmete Buz schwer und mühsam und ich stellte mir für die Doku „Mitten im Leben“ vor, wie wir in unserer matriarchisch geprägten kleinen Herde, von Rehlein angeführt durch den Wald spazieren:

„Mutter Erika weiß, daß man die Tränke vor Sonnenuntergang erreicht haben muß – doch Vater Wolfram wird zusehends schwächer.

Schafft Wolfram es nochmals, Anschluß an die Herde zu finden? –

Dies und mehr sehen sie nach der Werbung…“

Auf dem Weg lag eine kleine Spitzmaus, die trotz ihres Pelzes erfroren war, und dann lief Buz uns gar voraus, so daß man von hinten auf das altgewordene kleine Buzzewackele von einst draufschauen konnte.

Rehlein erzählte, wie irritiert sie einst war, als der junge Buz zuweilen vorschlug „spazieren“ zu gehen, denn „spazieren“ tat sie doch nur mit der Oma. Die jungen Leute gingen wandern, und mit dem Opa dauerten die Wanderungen immer einen ganzen Tag.

Daheim geriet ich in eine seltsam schwummrige Stimmung: Meine Sicht fühlte sich so schwach und schwebend an.

Mir schien es anstrengend, aus meinen Augen überhaupt ins Freie zu blicken, solcherart, als müsse ich dafür einen inneren Klimmzug tätigen, und grad so, als sei die innere Auspolsterung meiner Hülle unter Augenhöhe gerutscht.

Buz hatte sich wie selbstverständlich in den Sorgenstuhl zurückgefleezt und den Fernseher eingeschaltet, während Rehlein in der Küche für uns schuftete.

Ich half Rehlein so gut ich konnte – bloß konnte ich´s nicht gut.

Unsere Bemühungen in der Küche wurden vom Televisorenlärm beplärrt und es lief das große Zirkusfestival von Monte-Carlo:

Auf einem wackeligen v-förmig hängenden Seil stand ein tollkühner Chinese auf einer Hand. Das Seil zitterte und vibrierte, doch der tollkühne Chinese hielt sich wacker. Dann versuchte er sich als Einradfahrer auf dem Seil, und Buz rief mindestens viermal in Folge begeisternd crescendierend:

“Das gibt´s doch nicht!“

Fürst Albäär saß inmitten seiner Familie, und seine Freundin bekam einen ungläubigen Gesichtsausdruck, als ein Zauberkünstler eine zerfallene Puppe in eine lebendige Frau zurückverwandelte.

Sie sah aus, als dächte sie: „Halloooo?!? Geht´s noch, ej?“ (auf französisch natürlich)

Ein Herr aus Mexiko wagte in den Lüften einen vierfachen Salto, an dessen Ende er von einem anderen Artisten aufgefangen werden sollte, und scheiterte zwiefach!

Sein Vater wurde ganz wild, doch beim dritten Versuch schaffte es der Sohn, und dadurch war die Ehre für den Vater wieder hergestellt, so daß er den Schweißgebadeten innig umarmte, und leidenschaftlich stammelnd das Wörtchen „Mexiko!“ hauchte, um aller Welt zu bedeuten, daß dies ein wahrer Mexikaner sei.

Als Rehlein den Tisch aufräumen wollte, sagte Buz: „Das machst du jetzt nicht – das mache ich!“ während Rehlein zu diesen schönen Worten bereits den halben Tisch aufgeräumt hatte.

Wir spielten „Kuhhandel“, ein lustiges Kartenspiel, und ich fühlte mich noch immer so schwummrig.

Buz frug mich, ob ich nicht mal wieder Kontakt zu Frau Leonskaja aufgenommen habe, doch ich habe es nicht, denn meinen Freundeskreis habe ich drastisch ausgedünnt.

Viele Freunde von einst, wie z.B. die Dame Gerswind oder auch Frau Leonskaja, habe ich ohne Reu dem Freundschaftssperrmüll überantwortet.

Doch dies muß ja wohl nicht zwangsläufig bedeuten, daß die so lieblos an den Straßenrand gestellten Freundschaften nicht eines Tages überraschend zu einem zurückkehren?

Andere Freundschaften wie z.B. zur hübschen Nicole oder auch Frau Kirwald sind mittlerweile erkaltet, und dies wiederum muß auch nicht zwangsläufig bedeuten, daß sie nicht wieder aufgewärmt werden könnten?

Buz telefonierte mit dem Onkel Eberhard, und der Anruf lud den süßen Buz und mit ihm auch Rehlein und mich freudig auf, da der vom Weine ansentimentalisierte Onkel am anderen Ende der Leitung, Buzen 5000 €uro für sein Buch versprach.

Jedoch war´s nicht das viele Geld, das ihm versprochen wurde, sondern die brüderliche Liebe die hinter diesen schönen Worten zu fühlen war, die Buz so rührte.

Vorwissen für den nächsten Tag:

Jahrelang besuchte ich auf meinen langen Reisen immer wieder meine liebste Freundin Veronika, die im Nürnberger Operngraben Violine spielt.

Doch seit dem Sommer wird die Veronika vom 81-jährigen Herrn Jorberg bestalkt, dem die Frau hinweggestorben ist, und mit dem sie offenbar vor vielen Jahren eine verbotene Liebe verband?

Freitag, 2. Januar

Bleich verhangen, fast neblig.

Es wurde kalt wie im Kühlschrank

und drohte zu schneien und zu vereisen

Ich dachte über Veronikas Freund Jorberg nach, von dem zu befürchten wäre, daß er bereits bei der Veronika eingezogen ist, zumal es sich ja leider um einen großen Manipulatoren handelt, der sich durchaus darauf versteht, das Weltgeschehen mit passenden Worten zu seinen Gunsten hinzubiegen.

Es war noch kälter geworden und vor dem Hause hatte sich ein kleiner Schneeteppich ausgebreitet.

Am warmen Kachelofen versuchte man das vermaledeite Error-Gefühl der Lebensmitte hinwegzuwärmen.

Rehlein hatte das schöne rote Weihnachtstischtuch aufgedeckt und stellte einige Behältnisse mit Knabbereien, wie beispielsweise Wasabi-Erbsen, auf den Tisch, als unsere Gäste, die Poppingers, eintrafen.

Den Jakob, ihren Taschendackel, hatten sie daheimgelassen.

Poppi & Renate kamen soeben aus Wien, und sahen je schön herausgeputzt aus.

Die Renate in spitzzulaufenden Stiefeletten, schmuckbehangen, und mit frischgescheitelter, blondierter Frisur, und der Poppi gar mit edler Krawatte.

Für Rehlein hatte man ein Gastgeschenk dabei: Eine glühbirnenartige Vorrichtung mit einem Schornsteinfeger und einem rosa Schweinderl drinnen, die man einschneien lassen kann, wenn man sie kräftig schüttelt, und genau so etwas hatte sich Rehlein einst als 14-jährige so glühend gewünscht!

Damals jedoch mit einer Madonna drin.

Fast hätte dies der Opa ihr gekauft, doch dann appellierte er an Rehleins Vernunft und man verschob den Kauf auf den St. Nimmerleinstag.

Doch daß Rehleins Traum sich 55 Jahre später, wenn auch in gedämpfter Form, doch noch erfüllen sollte….!

Die Wasabi-Erbsen schmeckten dem Poppi leider nicht, und so holte Buz seine Nugat-Mandeln der Firma Laaber herbei, die ich ihm zu Weihnachten geschenkt habe, weil der süße Buz immer so gerne teilt.

Hm, dies mundete doch immer! Wir erfuhren, daß nun auch die Aysche heirate. (Eine blutjunge Türkin aus dem Dorf.)

Glücklich sei sie leider nicht, doch sie traue sich nicht „nein“ zu sagen, und der Poppi habe schöne Worte gemacht:

Er selber habe drei Anläufe gebraucht und „nun brobiern mr´s hoid amoi!“

Dies habe er ausgerufen, und da war ihm die Aysche dankbar um den Hals gefallen, weil sie sich sehr über die ermutigenden Worte gefreut hat.

Und außerdem erfuhren wir, daß die Renate dem Poppi zu Weihnachten Lateinstunden bei einem renommierten Professor geschenkt habe.

Buz telefonierte noch mit dem Gabilein, seiner Exschwägerin die heute Geburtstag feiert, und wirkte als Gratulator und Telefonator so vergnügt bei diesem Telefonat.

Auch ich sprach mit der Verlorengeglaubten, und die Gabi klang wie Mings* Schwiemu Birgit und war immer ganz leicht zu erheitern.

Als ich ihr jedoch das mit Mings Schwiemu sagte, erschrak sie kurz und wollte wissen, ob Ming wirklich eine Schwiegermutter habe, da sie ja selber mal leicht in ihn verknallt war.

„Nur eine uneheliche!“ sagte ich schreckdämpfend, und Buz lachte so entzückend über diesen kleinen Scherz.

*Mein Bruder Ming

Samstag, 3. Januar

Bißl schneebestäubt. Sonnenschein

Am Vormittag litt ich plötzlich so sehr darunter, mor- oder übermorgen wieder abreisen zu müssen, daß sich mein Herz anfühlte, wie ein Schwamm, den man in eine essighaltige Tränenflüssigkeit gelegt hat.

Buz hatte sich wie ein Rabe, der in einen entfernten Winkel des Käfigs fliegt, an seinen Läptop zurückgezogen, wo er meist geistesabwesend mit hochgezogenen Flügeln (könnte man fast schreiben) dasitzt und an seinem Buch über die Finessen der Violintechnik arbeitet.

Rehlein und ich liebten uns unglaublich, doch davon wich mein Wehmutsgefühl natürlich nicht und wurde eher schlimmer.

Heute wurde ich an der Kasse bei Billa von der Frau-Hartl-Variante bedient, und sie, die vormals eher Unpersönliche, bediente sehr freundlich und höflich, so als sei Billa vor sich selber mit gutem Beispiel vorausgegangen und habe alle Mitarbeiter zu einer Scharmschulung geschickt, weil die Aktion „eine Stadt wird nett“, nun auch die Randbezirke Wr. Neustadts erreicht hat.

Nach dem Essen maßen wir unseren Blutdruck.

(Ob eine norddeutsche Hand jetzt wohl schrübe: “maßen wir unsere Blutdrücke“?)

Buzens Blutdruck gab zu Verwunderung Anlaß: 84 – 63.

Davon schien´s mir so, als sei Buzens Batterie leer, und ich glaubte somit, die Erklärung gefunden zu haben, warum Buz wohl so einkanalig ist, bzw. in vieler Hinsicht gar überhaupt nicht funktioniert?

Richtet man das Wort an ihn, so fühlt es sich zuweilen an, als benütze man eine Fernbedienung, deren Batterie alt und schwach geworden ist, und es passiert praktisch gar nichts, wenn man sie auf den Fernseher richtet und einen Knopf drückt.

Mir gelang´s, Buz zu einem kleinen Spaziergang zu überreden, während Rehlein sich auf´s Ohr legte.

Wir liefen an der Pferdekoppel entlang in den Wald, und ein Pferd berumpelte mit seinem lieben, weichen Maul Buzens Schulterblatt.

Sonst aber war es gar nicht lustig.

Buz schien mir als Mann mit absterbender Batterie plötzlich so fern und unzugänglich wie jener schwerdepressive Mann, den ich einmal an der Bushaltestelle vor der Universitätsklinik Göttingen gesehen habe.

Die ganze Zeit pfiff er nur geräuschvoll an seinem Atem herum, und wußte man schon früher oftmals nicht, was man mit Buz so reden solle, so wußte man es jetzt überhaupt nicht.

Wir liefen bis zum Hochstand am Echofeld. Dort stand Buz, atmete noch ein bißchen rum, und schaute mich dazu undefinierbar an.

Zuvor sah man die untergehende Sonne hinter Baumwipfeln. Buz hat aber nicht stehenbleiben mögen, und als wir endlich auf dem Feldweg angekommen waren, war sie verschwunden.

Im Wäldchen sagte Buz plötzlich: „Ich finde die Österreicher sollten ihr Land besser heizen!“

Darüber lachte ich, weil ich mich freute, daß Buz eine leichte Lustigkeit von sich gegeben hatte.

Nach der Teestunde versuchte ich, die Veronika zu erreichen.

Unfaßbar wär´s gewesen, wenn ich jetzt auf den Anrufbeantworter gesagt hätte: „..falls der oide Depp schon wieder dasitzt“.

Doch dann hob der alte Depp selber ab und ich erfuhr, daß die Veronika ihren Nachmittagsschlummer absolviere, dieweil sie um 6 Uhr schon wieder im Operngraben Dienst schieben müsse.

Wir konnten es nicht fassen, daß sich der alte Manipulator bei der Veronika wieder eingeschmeichelt hat, und mittags hatte ich den Erwachsenen doch noch erzählt, wie er sich an Veronikas Finanzgeschäften versucht hat.

Er tut so, als habe er ein Knoff-hoff, und dabei weiß er gar nichts.

Er verlangte Einblick in Veronikas Finanzpapiere, und sagte darüber in falschem Knoff-hoff-Gebaren:

„Dein Geld ist katastrophal angelegt, meine Liebe!“ und das, wo die Veronika noch nie irgendwelche finanziellen Nöte gespürt hat, und sich immer alles kaufen konnte, was sie haben wollte.

Die Veronika hat dann aber doch noch angerufen.

Ich bin unfroh darüber, daß sich der alte Tatterich nun bei der Veronika eingenistet hat, und die Veronika am anderen Ende der Leitung sagte womöglich mehr für die Ohren des Herrn bestimmt:

“Mein Gast will nur bis morgen bleiben!“ (Na, wer´s glaubt!)

Mich wolle er allerdings unbedingt kennenlernen.

„Mich braucht man doch nicht kennenzulernen. Ich bin nur eine ganz gewöhnliche alte Frau!“ sagte wiederum ich für die Ohren des Herrn.

Abends erfand ich noch eine spannende Jorberg-Geschichte und bedauerte zutiefst, daß man die der Veronika nicht erzählen kann, da der Herr ja nun immer in ihrer Horchweite sitzt – denn vielleicht erging es dem Jorberg ja wirklich so?:

Nach dem Ableben seiner Frau ging er zur Testamentseröffnung und mußte erfahren, daß er mit sofortiger Wirkung absolutes Hausverbot habe – die Geschwister seiner Frau ließen ihn nicht einmal mehr ins Haus um seinen Schlafanzug zu holen, und nur eine mitleidige Schwester reichte ihm seinen Rasierapparat über den Zaun.

Ich verabschiedete meine Eltern mit besonders viel Liebe, und hatte doch immer das Gefühl, es war nicht genug.

Sonntag, 4. Januar

Klar zunächst, dann mild-verhangen

Nachmittags gab´s eine Jausenstunde mit Ingwertee und Rehleins köstlichen Gutsles. Trotz Diätbestrebungen gönnte ich mir fünf davon, und dachte dabei an Königin Elisabeth mit ihren beiden Butterkeksen der Firma Friesenboom, die täglich um Punkt 5 zum Tee geliefert werden.

Man schaut die Kekse an und weiß: „Gleich sindse weg.“

Ich liebte meine Eltern unglaublich, und konnte es nicht fassen, wie ich´s zuweilen so lange ohne die ausgehalten haben soll – so, als sei mein Herz tiefgekühlt gewesen! Jetzt aber ist es wieder aufgetaut, und ich halte es ohne die nimmer aus.

Abends bemäkelte mich Buz mindestens dreimal, daß ich im Sommer auf meiner Violine über die Töne hinaus vibrierend, zu hoch intoniert habe, und wurde wild, als ich ihn darauf hinwies, daß er es schon fünf mal gesagt habe.

Buz warf mir verärgert vor, daß ich ihm zehnmal sag, daß er etwas fünfmal sagt.

Montag, 5. Januar

Ofenbach – Nürnberg

In Österreich nur bleich bewölkt, in Deutschland

Schnee

Ich öffnete einen ersten 20-Minuten-Sack, um ihn mit Pack- und sonstigen Nützlichkeitsmolekülen zu füllen, und dieser schwere 20-Minuten Sack beinhaltete auch ein, zwei Frösteleien, die zu erdulden waren – wenn ich nämlich mein Auto packte.

Buz in einem weißen Alzheimer-Leiberl stand am Kachelofen.

Ich sage „Alzheimer-Leiberl“ weil das Hemd mit lauter leeren kleinen Quadrätchen „beschriftet“ ist, und so stell ich mir jenen Alzheimerschub im Leben vor, wenn sich das Schriftdoc im Gehirn plötzlich aufgelöst hat.

Der Alzheimerkranke tritt z.B. an ein Plakat an einer Littfaßsäule hinan und möchte es lesen – doch oh Schreck! statt der Buchstaben sieht er nur noch kleine Quadrätchen, die alle gleich ausschauen, und keinen Sinn (mehr) ergeben!

Voller Panik schlägt er ein Buch auf – ein nächstes, - und überall das gleiche….

Kurz bevor Rehlein zur Bank radelte, umarmte ich sie noch so tiefempfunden, versenkte mein kleines Tapir- oder Vögelchenhaupt in Rehleins warmer Halsbeuge (gefühlte Gefühle) und sagte: „Niemand kann mir die Mutter ersetzen, und Du schon gar nicht!“

Noch vor 17 Uhr kam ich in Nürnberg an.

Ich sah einen alten Mann durch die verschneite Kaulbachstraße huschen und bildete mir ein, dies sei der Jorberg!

Später erfuhr ich, daß er gekocht und gespült habe, um die Veronika gefügig zu machen, denn wenn´s nach ihm ginge, so solle die Veronika lieber heut als morgen zu ihm in´s Remstal ziehen, wo er ein sehr schönes Haus habe.

Allerdings sei´s hoch oben auf einem Berg, wo man kaum Besuch empfangen könne.

Dienstag, 6. Januar

Nürnberg – Grebenstein (Nordhessen)

Wunderschön.

Kein Wölkchen am Himmel,

aber verschneit und sibirisch kalt

Buz am Telefon hatte mir die Straßen- und Wetterverhältnisse in den unglaublichsten Farben geschildert: 20 Grad minus!

Den Ständeplatz in Kassel sah ich im Geiste bereits in üppigstem Schnee versinken.

Ich erhob mich zeitig, da die Grebensteinreise – eventuell in eine Winterkatastrophe hineinmündend – etwas hürdelig im Tage stand.

Die Veronika wiederum stand im roten Morgenrock in der Küche.

Gestern abend wirkte die Veronika ja etwas fahrig-nervös, sah allerdings ziemlich hübsch aus. Am Morgen sah sie dann eher etwas bettwarm aus, wirkte dafür aber zum Ausgleich ausgeglichener.

„Was hat er Dir für einen schönen roten Morgenrock gekauft!“ rief ich aus.

Einen Ausruf, den ich schon gestern über den elektrischen Eierkocher ausgerufen hatte.

Für den Eierkocher war der Ausruf passend gewesen, doch den Morgenrock hat die Veronika doch schon ganz lange.

Trotzdem bin ich derzeit in Versuchung, genau dies über alles im Hause auszurufen, denn es heißt ja, der Jorberg kaufe ihr ständig neue Geschenke.

Wir frühstückten, und überraschenderweise wurde das Frühstück so nett, daß ich kaum loskam.

Leider ging es Veronikas Mutti so, daß sie nach der Knieoperation eine Weile an Krücken gehen mußte, und dabei wurde ihre eine Hand so unschön abgewetzt, daß man mit dieser Hand z. Zt. gar nichts machen kann, obwohl sie die Krücken schon nicht mehr braucht.

Früher war Veronikas Mutti noch sehr jugendlich und voller Elan. Sie hatte so viel vor, und wollte so viel bewegen, und nur das eine Knie spielte nicht mehr mit.

Dann bestellte sie sich einen Ersatzteilkatalog, und ließ sich ein neues Leichtmetall-Knie einbauen.

Jetzt ist die ganze Frau drumherum alt geworden, und nur das Knie ist ganz neu und jugendlich und will immer irgendwie etwas unternehmen.

Wenn Mutti Himstedt sich erschöpft vom Alter und den Mühen des Alltags mal hinsetzen und relaxieren will, dann zuckt das juvenile Knie ungeduldig - so, als wolle es ihr zurufen:

„Wollen wir nicht noch ein bißchen Sport treiben? Tanzen gehen? Hm?? Uns im „Klub der jungebliebenen Hundertjährigen“ anmelden??“

Der Prospekt für den Klub der 100-jährigen liegt immer noch herum, grad neben dem Prospekt für die Ersatzteile.

(„Unser Motto: “je oller, desto doller!““ liest man schelmisch, so jedoch leicht klischéebehaftet geschrieben auf der Prospektesoberfläche, und im Inneren des Journals leuchten einem lauter wie aus dem Ei gepellt aussehende, glückliche Senioren entgegen.)

Über den Jorberg sprachen wir natürlich auch:

Die Veronika hatte am Morgen schon mit ihm telefoniert, und im neuen Tag ging es dem Schwerdepressiven auch schon viel besser! Er erwartete seinen Sohn zum Frühstück und liebe Leute hatten ihn zum Mittagessen eingeladen, und so hofft die mitfühlende Veronika, daß er davon mit der Zeit “aufgefangen“ würde.

Gestern hatte ich als Trost dafür, daß er nicht schlafen könne, vorgeschlagen, ihn mit den Worten zu ermuntern, er könne bald ganz lange schlafen!

Dann sprach ich noch davon, daß er der Veronika drei Läptops schenken könne, und wenn sie dann bei ihm im Remstal auf dem Berg lebe, dann könne sie sich drei Streichquartettpartner zuschalten!

Geht einem ein Spieler auf den Wecker, so reicht es, den Stecker herauszuziehen.

Ich stellte uns vor, wie es für die Veronika wäre, mit ihm zusammenzuleben:

Der Jorberg habe beim Wiedersehen nach 35 Jahren zwar spontan ausgerufen, sie habe sich üüüberhaupt nicht verändert, doch nun sitzt sie ihm in glitzrigem Sonnenscheine gegenüber und dabei fallen ihm dann doch ein paar Dinge auf, die er gerne anders hätt´: „Würdest du deine Haare für mich wachsen lassen?“

„Du solltest eventuell färben!“

„Schuhe sollte man dir auch mal neue kaufen! Mal was schickes, hochhackiges??“ Er beginnt mit der Frisur, und endet bei den Schuhen.

Er kauft ihr Kleider und bittet die Veronika hineinzuschlüpfen.

„Um die Taille herum könntest du zwei, drei Kilo abspecken. Das würde dir gut zu Gesichte stehen!“

Dann bringt er silberne, hochhackige Schuhe mit.

„Würdest du die über deine kleinen Füßchen stülpen?“

Die Veronika muß die Zehen dafür sehr einrollen, und außerdem kann sie kaum laufen. Doch dem Jorberg gefallen die Schuhe so gut.

„Versuuuch´s doch mal! Vielleicht gewöhnst du dich daran!“

Heute erwartete er ja erstmal seinen Sohn zum Frühstück, und der Sohn möchte natürlich daß sein Vater glücklich wird, und ahnt das Kommende schon voraus. Jetzt reden die, so wie wir hier über ihn, die ganze Zeit über die Veronika.

„Vater, bitte rede ihr erstmal auf keinen Fall in ihre Kleidung hinein!“ sagt der Sohn beschwörend, weil er das Gefühl hat, es sei die letzte Chance des alten Mannes auf ein dauerhaftes Glück, und wenigstens macht sich der Alte eifrig Notizen darüber, was der lebensgewandte Sohn wohl so rät.

Die Veronika hatte die Zeitung herbeigeholt, um die Wetterlage zu studieren.

Auf einer Seite las man etwas über das Mammografie-Screening und die Zeitung hatte ermunternd eine Frau mit bloßem Oberkörper abgebildet, deren pralle Melonenbrüste von Röntgenstrahlen durchzuckt wurden.

Es gäbe „falsche positive“ und „falsche negative“ Befunde, so las man.

Einer Dame, die geglaubt hatte, als Einzige aufgrund eines erhöhten Risikos angeschrieben worden zu sein, nahm man im persönlichen Gespräch die Scheu.

Auch hier konnte man lesen, daß Boris Becker jetzt wieder fest mit der Lilli liiert sei, und davon stellte ich uns gleich vor, wie der Jorberg, der ja kein unbedeutender Mann ist, zumal sein Sohn ja sogar eine Biographie über ihn schrieb, mit der Veronika in die Zeitung kommt.

(In Form einer Fotomontage, die sein Sohn gemacht hat.)

„Ja, wir sind wieder fest zusammen!“ erklärt der Jorberg der Schweizer Illustrierten einfach, ohne die Veronika vorher um ihre Genehmigung gebeten zu haben.

Und es steht noch mehr in dem Artikel:

Nämlich, daß sie im Sommer zusammen nach Ostfriesland reisen und sich im Leuchtturm von Wangerooge das Ja-Wort geben wollen!

Noch bei Helligkeit kam ich in Kassel an. Es heißt, es herrsche eine sibirische Kälte, aber es war schööön!

Ich sputete mich zur Sushibar und freute mich so sehr, daß sie geöffnet hatte, daß ich die Vorfreude noch ein bißchen länger genießen wollte, und erstmal hinaus in die Fußgängerzone lief.

In der Sushibar las ich ein nachdenkliches Interview mit Udo Jürgens. Sein Verhältnis zu seiner unehelichen Tochter Gloria sei sehr entspannt, doch sie hätte sich anders entwickelt, wenn sie bei ihm aufgewachsen wäre, das müsse ganz deutlich gesagt werden.

Das Glück bleibt nie sehr lang, damit man sich nicht zu sehr daran gewöhne. Es kommt, entweicht bald wieder, und kehrt irgendwann zurück. (So Udo).

Jetzt war es leider schon dunkel geworden.

Draußen in der Fußgängerzone hörte man einen hohlen Klang aus einem länglichen Blasrohr – geblasen von einem armen Mann, der sich auf diese Weise ein paar €uro zusammenblasen wollte.

An einer Brezelbude wehte einen in dieser eiskalten Nacht etwas Wärme an, und diese Wärme war mir so kostbar.

Grebenstein zu später Stund´:

Aus Angst vor der sibirischen Kälte lief ich noch zwiefach zum Auto um die wichtigsten Dinge ins Haus zu schaffen:

Tagebücher und Konzertkleider, denn man sieht´s kommen:

sie zerbrechen und zerbröseln einfach.

Dabei fror ich mir trotz der Handschuhe fast die Fingerspitzen ab.

Mittwoch, 7. Januar

Grebenstein-Aurich (Ostfriesland)

So kalt, wie seit 22 Jahren nicht mehr.

Hauchig bleich und schneeverkrustet

Besuch bei Wyssens*:

Zunächst bekläffte mich der Benni, doch die Michaela hielt den Wüterich am Halsband fest und schob ihn in den Keller hinab, wo sein Groll auf mich, von uns Damen unbemerkt, vor sich hinzüngeln konnte.

*Von der Omi ererbte Freunde

Aurich:

Schüttere Post:

Etwas Werbung, und ferner durfte man sich über einen „„Faust-Gruß“ in die königliche Runde““ von Birgit Böhme aus dem Faust-Quartett freuen.

„Und dafür erwarten die womöglich noch einen Dank!“ dachte ich verdrossen.

Gretel*s Weihnachtsbeleuchtung, mit der sie uns doch eine Freude machen will, leuchtete nur noch schwach.

*Nachbarin, 71 Jahre

Donnerstag, 8. Januar

Aurich

Zunächst schön, dann weißlich-grau bewölkt.

Ab Mittag kalt und schneeverkrustet

Summa summarum kamen heut neun Bewerbungsschreiben los, so daß ich auf 0,9 Antworten hoffen darf.

Ich loste aus, was zu tun sei, mußte Briefe schreiben, und nahm somit den Stapel der angefangenen Briefe zur Hand.

Makabererweise hatte ich der alzheimerbefallenen Tante Lisel auf jenem Brief, den ich schon vor längerer Zeit begonnen hatte, hinten und vorne genau das Gleiche draufgeschrieben, und auch wenn sie beim Wenden womöglich vergessen haben mag, was sie soeben gelesen hat, so nahm ich doch die Müh´ auf mich, den Brief nochmals in verbesserter Form ins Reine zu schreiben.

Der Tante Antje schrieb ich, daß ich meine Heimfahrt nach Aurich genau auf halber Höh, nach 720 km bitter zu bereuen begann, doch stimmt dies nicht, denn genaugenommen hab ich´s ja schon an der Tankstelle Bernhard, 0,7 km nach der Abfahrt, bereut.

Und daß ich da nicht einfach umgekehrt bin?!

Als Mittags der Flügel verstummte, rief ich Ming zu:

„Ich sitze musikalisch auf dem Trockenen!“

Freitag, 9. Januar

Bleich verhangen. Schneekrustenreste

Zu meinem Sportgang muß ich mich derzeit sehr einpacken.

Ein Lästikum, doch man denke bloß an die Sechslinge in Berlin, die bis auf weiteres den ganzen Tag immer ein- und ausgepackt werden müssen.

E-Mail an die Tante Bea in Kalifornien:

Liebstes Beätchen!

Heut vor 10 Jahren haben wir uns mit einem damals frischverheirateten amerikanischen Pärchen (er, ein etwas schwabbeliger, aber fröhlicher junger Mann mit Stahlwollebärtchen, sie, Ballettlehrerin) dahingehend verabredet, daß wir uns genau in 10 Jahren (heute) wieder am Rand des Yakusis in Kauai zu einem Austausch treffen wollten.

Was machen wir nun?

Dies habe ich soeben im Tagebuch gelesen, da ich immer nachlese, was genau heut vor 10 Jahren geschah.

Jetzt sind die womöglich gekommen, und wir haben´s auf tüüüpischste Erwachsenenart typischer Weise „vergessen“!

Samstag, 10. Januar

Sagenhaft schön. Ein Sonnenglanz!

Im Traume schaute ich aus dem Küchenfenster in einen gänzlich anderen Ort hinein und blickte frontal auf eine Limousine drauf, in welcher Rehlein in prächtiger Abendrobe saß, dieweil sie einer Einladung zu einem Opernbesuch Folge leistete.

Rehlein sah so froh aus!

Erwartungsfreudig öffnete ich die E-Mail-Box, da ich eine Resonanz vom Beätchen aus Übersee erwartete.

Doch nur der Onkel Rainer hatte geschrieben:

Einen leider wenig dichterisch verfassten allgemeinen Rundbrief, allerdings mit schönen Fotos behangen.

Das erste Bild zeigte das Ehebett. Grad wie in Amerika üblich, mit Kissen garniert, und dann war der Rainerbube mit seiner Kamera losgezogen, um die Enten zu fotografieren, und die Entenbilder, mit sich im Wasser spiegelnden, exotischen Enten, sahen ganz bezaubernd aus, so daß Rehlein in Ofenbach später begeistert zurückschrieb.

Ich balancierte eine noch ungeformte Frisur auf dem Haupt mit mir herum. Da klingelte das Telefon.

Gespannt hob ich den Hörer ab:

Frau Schinke war´s*!

*meine einzige Schülerin, 75 Jahre alt

Frau Schinke erzählte, daß sie jenes Mozart-Quartett, das sie neulich mit mir durchgenommen hatte, in der nächsten Stunde vielleicht nochmals spielen würde, da es in der letzten Woche vielleicht doch noch nicht so gut war, als… „daß man es so hätte stehen lassen können?“ beendete ich den Satz „wissend“.

Ich bündelte ganz viel Anteilnahme und Verständnis für Frau Schinke, um mich wohltuend von jenen Künstlertypen abzuheben, die eine so alte Dame menschlich gar nicht wahrnehmen würden.

Ich frug sie z.B. nach ihrem Weihnachtsfest aus, da´s ja nun das erste ohne ihren Hans, und vielleicht das letzte war, da man laut Udo Jürgens ja schon mit 66 die Ziellinie auf der Landstraße des Lebens erblickt, die mit 75 vielleicht schon hinter einem liegt, da man nicht darauf geachtet hatte?

Nach einer Weile begann ich wieder (leicht) tüchtig zu werden, da mich das Nichtstun immer so in einen Lahmheitsstrudel hinabzieht, aus dem ich mich kaum befreien kann.

Der Leser muß es sich in Etwa so vorstellen: Zwei große, warme Hände greifen nach meinen Waderln und ziehen mich in einen Brunnen hinab.

Schaffe ich es, noch einen Zipfel der Tüchtigkeit zu erhaschen, lockert sich der Griff der warmen Hände, und ich schwebe wie ein Engel wieder aus dem dunklen Brunnenschacht empor.

Hab´ ich schon geschrieben, daß die in Nürnberg einen neuen Eisbären haben?

Einen kleinen Freund aus Moskau für die Flogge, der allerdings nur ein Jahr lang dort geparkt wird, da er schon dem Zoo in Madrid versprochen ist.

Nachdem er sich mit der Flogge durch den Zaun angewärmt hat, stand trotzdem jemand mit dem Feuerwehrschlauch bereit, und wenn er die Flogge attackiert hätt´, so hätte man ihn einfach hinweggespritzt!

Rasputin soll er heißen – während man für die verstorbenen Babys von der Vera, jenem Eisbären, der so aussieht wie Gidon Kremer, schon so nette Namen parat gehabt hätte: Lorenz und Sebaldus, nach den beiden höchsten Kirchtürmen von Nürnberg (falls es zwei Buben gewesen wären.)

Heute kam ein längliches Kuvert von der „Dame Gerswind“* an Ming.

„Rechtzeitig zu unserem „Musikalischen Sommer“ schleimt sie sich wieder ein!“ dachte Mobbl** in mir.

*Mings Exe, eine Bratscherin

**Unsere verstorbene Omi mütterlicherseits (1910 – 1999)

Sonntag, 11. Januar

nach eher bleichem Beginn mild sonnig.

Leicht verzuckert

Der Gaßmann* schickte mir eine kleine schüttere Weihnachtskarte:

„Joachim & Damen“ setzte er seinen Namenszug unter Schütternisse zum Fest.

„Und jetzt erwartet er womöglich auch noch einen Dank!“ denkt Mobbl in mir.

Was die Leute mir alle für Schütternisse schreiben!

*Joachim Gaßmann, Gitarrist, und hinzu jemand, der meinem Herzen nahe ist

Dann schrieb ich Rehlein, und das, was ich mir ausgedacht hatte (nämlich, daß Rehlein im Sommer ein Haydn-Quartett mitspielen solle), kündigte ich in einem separierten Brief an, den Rehlein erst lesen dürfe, wenn sie abends einmal angesäuselt und ansentimentalisiert ist – da ich nämlich ihre „Neins“ fürchte.

Denn im Gegensatz zu meinen „Neins!“, die´s in diesem Sinne ja gar nicht gibt, muß man die ewigen „Neins“ der Erwachsenen ja wirklich fürchten.

Von mir bekommt man meist ein begeistertes „Au ja!“, oder zumindest ein entgegenkommendes „Na gut“, und ein „Nein“ gibt´s allerhöchstens mal zu einem Saunabesuch, weil ich mich nicht so gerne in entblößter Form präsentiere.

Später loste ich „Briefeschreiben“ aus, und begann einen Brief an meine liebe Freundin Mika zum Geburtstag. Ich schrieb der Mika, daß sie jetzt genau halb so alt sei, wie damals unsere Exnachbarin Frau Kionczyk, die heute vor 3 Jahren im gesegneten Alter von 86 Jahren starb, so daß man davon ausgehen könne, daß morgen die zweite und finale Hälfte in Mikas Leben anhüb´?!

Dies schrieb ich erbauend zum Geburtstag.

Montag, 12. Januar

windig/kalt.

Mittags zuweilen Sonnenaufgrellungen, sonst

eher grau

E-mail an meine liebe Freundin Theda Adam:

Liebste Theda!

Guten Morgen.

Endlich beantworte ich Dir nun Deinen netten Brief, den Du mir schon vor einem halben Jahr geschickt hast.

Vor kurzem feierte Deine Tochter Christine Ihren 17. Geburtstag - und die Christine gibt´s somit ebenso lang, wie ich nun Tagebuch schreibe. Am 1.1.92 hub ich damit an, und habe bislang keinen einzigen Tag ausgelassen, mehr noch: Meine Texte wurden immer länger, und die Schrift immer kleiner, so daß man sie bald mit dem bloßen Auge gar nicht mehr sehen kann, und inzwischen habe ich mehr als ein Drittel meines Lebens symbolisch gesehen in Einmachgläsern eingemacht.

Deine Meßlatte der vergangenen 17 Jahre ist die Christine und meine der Stapel an Tagebüchern, wobei ich allerdings glaube, daß die Christine z. Zt. noch eine Spur höher ist, als meine Tagebücher, wenn man sie zu einem Turme aufstapelt?

Anders wäre es natürlich, wenn man die Schrift der Zeilen in die Länge zöge. Dann ergäbe sich ein Fädchen, so lang, daß man es oben am spitzen Kinn der Mondsichel befestigen und auf die Erde herabhängen lassen könne. Und von dort aus hinge es bereits so tief herab, daß man schon bald danach hüpfen könnte.

Viele liebe Grüße an Euch alle!

Deine Franziska

Gegen acht entrollte sich so pö a pö der Tag und schließlich absolvierte ich meine Morgengymnastik im Fitnesstudio.

Die Kopfhörer funktionierten nach einem nur ein- bis zweimaligen Benutzen bereits nicht mehr, doch ich beließ sie trotzdem auf den Ohren, weil ich sie ja bezahlt hab, und rannte dazu 2,4 km auf dem Laufband.

Mittags rief Ming an.

Ich konnte ihm die erhellende Mitteilung machen, daß er in Berlin höchstwahrscheinlich eingeladen wird, und daß ein Brief aus der Musikhochschule in Freiburg auf ihn warte.

„Mach ihn auf!“ bat Ming.

„Nein. Das geht nicht. Wegen dem Briefgeheimnis!“ sagte ich naseweis.

Doch Ming glaubt zu erahnen, daß das wohl leider wieder einer jener öden Kotzbriefe ist, die man schon zu Hunderten bekommen hat. Man könne ihn somit ungelesen zurückschicken und dazuschreiben:

„Ich möchte mich aber nicht ärgern, und mache den somit gar nicht erst auf!“

Dienstag, 13. Januar

Feucht-verhangen und wieder viel wärmer.

Demgemäß kein Schnee mehr

Meine neueste Zwangshandlung ist, daß ich die selbstfestgelegten Bürrozeiten mit größter Unerbittlichkeit und geradezu steirischer Grundmentalität („jetzt erst recht!“) einhalte. Ich sage „Bürro“ mit 2 „r“, damit es schneller und emsiger klingt, und weil ich dabei immer den Onkel Otto im Ohre habe, der einst schwäbisch eingefärbt „Bürro“ zu sagen pflegte.

„Ich wäre auch eine erstklassige Pfarramtssekretärin geworden!“ brüstete ich mich, da ich ja auf einmal eine Frau mit festen Bürrozeiten bin.

Meine Sekretärin Frau Münch war fassungslos, daß man das Pfarrehepaar Neese immer noch nicht erreichen konnte.

Auch mein kleines E-mail blieb unbeantwortet.

Man sieht´s kommen:

Wir setzen das Konzert in die Zeitung, spitzen eine Handvoll Hörer an, und dann liegen die Neeses seit Wochen ermordet in ihrem Heim.

(„Der Mord an dem Pastorenehepaar bewegt ganz Deutschland!“)

Nachmittags passierte folgendes, zunächst Unerklärliche:

Ich, die ich mich bei der Nachmittagsarbeit leider etwas unbefriedigt fühlte, hörte plötzlich eine Stimme ganz deutlich: „Scheiß-Kika!“ sagen.

„Jetzt hab ich schon wieder Stimmen gehört!“ konnte ich´s nicht fassen, und am allerwenigsten mochte ich es glauben, daß der Schizophrene die Stimmen soo plastisch hört.

Doch das Rätsel löste sich:

Vor meinem Fenster zeigte sich der Tone, ein lieber Freund, der Ming besucht hatte, und ich erfuhr, daß er soeben „Tschüss Kika!“ durch´s Schlüsselloch geflüstert habe.

Abends badeten Ming und ich beim Abendessen in Erinnerungen.

An das Pärchen am Yakusirand von Kaapa Shore konnte Ming sich exakt erinnern, während er Mühe hatte, sich zu entsinnen, wie er im Oktober nach Ofenbach gelangt war.

Zu später Stund schauten wir „37 C.“ (Eine ZDF-Doku).

Heut ging´s um Samenspenden.

Eine Schweizerin war künstlich gezeugt worden, und hätte ihren Erzeuger sooo gern kennengelernt.

Sie hatte sich bereits zurechtgelegt, was sie ihm alles sagen wollte, doch bereits in der zweiten E-mail drohte dessen Sekretärin mit gerichtlichen Schritten.

Mich erfasste die Idee, den Geistlichen in meinen Bewerbungen zu schreiben:

„Ich habe Grund zu der Annahme, Deine leibliche Tochter zu sein!“

Ob man dann eher eine Antwort bekäme?

Dann schauten wir einen Report über Manuel Uribe – jenen Herrn aus Monterrey, der als dickster Mann der Welt in die Geschichte einging, und dessen Schicksal einen normal mitfühlenden Menschen zur Verzweiflung treiben könnte!

In einem Berg aus Fett eingemauert sitzt er auf seinem Bett, und der Gipfel des Übels: an seinen Beinen befinden sich zwei Fettgeschwulste extra – je 60 Kilo schwer und grauslich anzusehen.

Mittwoch, 14. Januar

Am Morgen Regen, dann verhangen und sehr

neblig

ZDF-Theaterkanal:

Man sah und hörte die alte Aufnahme mit Gidon Kremer als Solisten in Brahms´ Violinkonzert unter der Leitung von Leonard Bernstein.

Der gutaussehende junge Mann stak soeben in jenem Klanggebilde von Max Reger, das doch wohl kaum als Kadenz für das Brahms Konzert gedacht sein dürfte, und außer dem Anfangsaufschwung doch eigentlich keinerlei Bezug zu Brahms´ genialem Opus aufweist?

Jetzt stak der Geiger hochvirtuos in diesem Fleißgebilde und ich wunderte mich leicht, warum er als Interpretierender hierfür genau die gleiche Gefühlsintensität absonderte wie beim Brahms-Konzert selber, obwohl dieses musikalische Versatzstück doch eher einem nüchternen Aktenstudium gleichkommt?

So, als wolle ein Schauspieler ein nüchternes Aktenstudium mit der gleichen Inbrunst gestalten wie eine tiefempfundene Liebeserklärung?

An kaum einer Stelle schien mir hierfür Gefühl vonnöten, weder beim Hörer noch beim Spieler, und er spielt´s mit einer aufopfernden Hingabe, bzw. läßt sich in einen Gefühlsstrudel hineinreißen, den es in diesem Sinne doch gar nicht gibt?

Ming verließ am Nachmittag das Haus, um Frau Weber im Kulturamt bzgl. der Plakate für seinen Klavierabend etwas Dampf unter dem Po zu schüren.

Er klopfte noch so nett ans Bürofenster, um mich mit einer Kußpose zu erfreuen, und wenig später schaute ich versonnen dem stolzen Alphamann Ming hinterdrein.

Ob ich´s mit meinen Blicken wohl schaffe, Ming dazu zu bewegen sich nochmals umzudrehen?

Doch ich schaffte es nicht und mußte hilflos zuschauen, wie Ming einfach aus meinem Blickfeld gesogen wurde.

Dann fuhr auch ich in die Stadt.

Diesmal hatte ich bereits die Handschuhe „abgeworfen“, da´s nun nimmer so kalt ist, und ich mir den Riesenberg Textilien, in den ich mich seit einigen Tagen immer gezwängt habe, nun wieder abgewöhnen sollte.

Doch nun fror ich an die Hände.

Am Kulturamt stand meiner Meinung nach Mings Radl gelehnt, und ich schaute durch ein Fenster, hinter dem man den Rücken einer Sekretärin gewahrte, weil ich gemeint hab, Ming säße ihr vielleicht als Vorsprechender gegenüber?

Doch Pustekuchen!

Im „Stern“ las ich über den Internetmörder Christian G. der im Internet bei www.knuddels.de zwei Frauen kennenlernte.

Abends war Ming bester Stimmung, da er heut bzgl. seiner Karriere so viel bewegt hatte, und auch mir fiel beständig jemand ein, den man in´s Konzert bitten sollte.

„Z.B. die Bisolds!“ rief ich aus, und meinem Hirn entsprang bereits ein Brief, den man denen schreiben könnte:

“…damit Sie eigenohrig mit anhören können, daß regelmäßige Klavierabende mit dem Musikstudierenden Iwan König die Konzerte mit Justus Frantz und Elisabeth Leonskaja nicht nur überflüssig, sondern gänzlich überflüssig machen!“ schrieb ich denen im Geiste und spielte damit auf Worte an, die Herr Bisold einst in einem Leserbrief formuliert hat.

Herr Bisold schrieb damals, als der junge Ming noch studierte, leicht hohndurchsetzt: „Ich glaube kaum, daß regelmäßige Klavierabende mit dem Musikstudenten Iwan König, Konzerte mit Justus Frantz oder Elisabeth Leonskaja überflüssig machen!“ und rieb sich innerlich freudig die Hände über diesen Satz.

Beim Abendessen warnte Ming vor´m Schinken, der zu salzig sei.

„Der Schinken ist dir zu salzig, der Käse zu fettig, ja was denn nu?“ stöhnte ich.

Heute machte ich mir schon Sorgen um die Veronika, die ja zum Geburtstag vom Jorberg gereist ist.

Der Jorberg schließt sämtliche Türen und Fenster, spült die Schlüssel zum Klo hinab, dann schneidet er das Telefonkabel durch und fortan ist die Veronika seine Gefangene.

Scheinheilig ruft er von der Telefonzelle aus Mutti Himstedt an:

„Ist denn das Mädchen gut wieder zuhause in Nürnberg angekommen?“

„Ich hab noch nichts gehört!“

Abends spielte mir Ming seine Zugaben vor. (Chopin Etüde Nr. 7, Schumann, Gershwin).

Die behäbigen Fernsehabende mit Ming sind leider nicht ganz gutzuheißen, auch wenn sie mit der sinnvollen Tätigkeit, Mings Füße zu massieren, kombiniert werden.

Donnerstag, 15. Januar

trüb-neblig verhangen

Ich hatte Körner auf der Terrasse gestreut – etwas, was mir später einen sanften Tadel Ming´s eintrug – und am Morgen zeigte sich ein Vöglein mit gelbem Schnabel (Ming später examinierend: „Was war das für ein Vogel?“ (Eine Amsel)), und der Vogel bekam eine fassungslose Ausstrahlung, so als würde er denken:

„Das hier geht garantiert nicht mit rechten Dingen zu!“

Er pickte sich ein Korn als Beweisstück und flog mit einer kopfschütteligen Ausstrahlung von dannen!

Im Klub:

Wie durch ein Wunder wurde just in jener Sekunde, als ich ankam, aufgeschlossen. Ein reifer Asiate begrüßte mich auf jene Art, als sei ich vielleicht die passende Frau für ihn?

Man spricht z. Zt. vom Novo-Virus:

Hat man´s sich erst eingefangen, so jagt ein Dünnpfiffsturm den nächsten.

Mittags malte ich mir wieder aus, wie es mit der Veronika wohl weitergegangen sei?

Der Jorberg mit der milden und zahmen Stimme eines zum Männchen mutierten, ruft, nachdem er alle Schlüssel zum Klo hinabgespült hat, schon wieder Veronikas Mutti an um scheinheilig zu fragen, ob die Veronika wohl gut zu Hause angekommen sei?

„Sie meldet sich gar nicht!“ sagt er scheinheilig.

„Ja, das ist ungewöhnlich!“ beunruhigt sich nun auch Omi Himstedt in Pforzheim.

SAT1: „Zwei bei Kallwass“:

Die Kallwass-Fälle könnte man eigentlich auch in 5 Min. abhandeln, denn sie werden bloß von dem ständigen Aneinander-vorbei-Geschwätz der Eheleute so in die Länge gezogen.

ZDF: „Hallo Deutschland“:

Eine Mutti mit Kleinkind, die in einem Kuhstall Kälber anschauen wollte, fand dort im Stroh ein neugeborenes Baby das schon ganz blaugefroren war!

Sie brachte es zum Bauern, der es auf die Heizung legte.

Das muß ja ein schönes Gefühl für einen Blaugefrorenen sein! dachte ich auf lose Weise zu der Geschichte, und freute mich über den rechtzeitigen Fund.

Man dachte wohl schon, die Kuh habe gekalbt, und es sei überraschend ein Mensch geworden, da die ja fremdbesamt wurde. Doch die wahre Mutti, ein 17-jähriges junges Ding, konnte dingfest gemacht werden.

Bald darauf kehrte der süße Schatz Ming heim.

In Ming hatten sich Endorphine gebildet, da er so viel Werbung für sein Konzert gemacht hat.

Er rief die Gretel an, um ihr vorzuspielen, und um die Gretel hat man sich ja schon direkt ein bißchen Sorgen machen müssen: Gestern sah´s bei ihr nachtesschwarz aus, und auch die Weihnachtslichter„schwiegen“. Doch jetzt kamse bald.

Als Ming die Sonate op. 109 von Beethoven spielte, schlummerte ich solcherart, als sei ich alt geworden, im roten Sorgenstuhle.

Freitag, 16. Januar

feuchtgrau

Im Internet machte ich heut Schleswig-Holstein unsicher, indem ich jedes noch so kleine Dorf anklickte um zu überlegen, ob man dort wohl ein Kirchenkonzert organisieren könne?

Das Julchen, Mings Freundin, war übers Wochenende aus Hannover gekommen.

Oben hörte man, wie Ming und Julchen im ehelichen Gemach eine Meinungsverschiedenheit über den Swing bei Gershwin austrugen.

Das Julchen meinte, das Werk müsse lasziver klingen, und Ming spiele es zu abgezählt, und ich als Zubettgeherin nebenan konnte genau mitfühlen, wie diese Worte den sensiblen Ming trafen.

Samstag, 17. Januar

Verhangen. Es wurde dunkelgrau und ab Nachmittag regnete es

Am Morgen lag ich wach neben meiner munkeleswarm gewordenen, aber noch nicht gänzlich erkalteten Wärmflasche, die mir als kostbares Geschenk Mings einen Liebhaber ersetzt.

Unser Frühstück verlief sehr angenehm. Wir sprachen z.B. über Fahrschulen. Das Julchen machte den Führerschein in der Fahrschule Büsing und durfte im Gegensatz zu mir bereits in der ersten Stunde 100 km/h fahren.

Nur einmal griff ihr der Büsing ins Lenkrad.

Ob das Julchen damals in der Graf-Enno Straße einparken geübt hat, weiß sie gar nicht, da ihr die Graf-Enno Straße damals noch nichts bedeutet hat.

Mit den Büsings sei´s nicht schlecht gewesen. „Wäre es für deine Eltern o.k. gewesen, wenn du einen Fahrlehrer angebracht hättest?“ wollte ich wissen.

„Ich weiß nicht mal, ob es für meine Eltern o.k. war, daß ich einen 30 Jahre älteren Mann angebracht hab,“ scherzte das Julchen für Ming despektierlich. „Ich hab sie gar nicht erst gefragt!“

Das Gespräch machte einen kleinen Hasenhaken und ich erzählte, wie der Opa mir mal schrieb, daß ich mich endlich verehelichen und vermehren solle.

“…und wenn´s ein Nigger wäre!“ schrieb er despektierlich.

Seltsamerweise scheint´s uns Kindern beiden ein Anliegen, ein makelloses Opabild vor dem Julchen hinzubeschwören, und Ming erzählte plastisch, wie sich der Opa einen Mohren aus Afrika in seinem Freundeskreise hielt.

Da rief die Oboistin Franzi Müller aus Basel an, und löste einen beglückenden Plauderschwung in mir aus.

Zuerst war das Konzert am Abend in Leer wie ein anstrengend zu bezwingender Felsbrocken auf meinem Lebenswege gelegen, doch jetzt hatte ich mich mit der Franzi so gut verstanden, daß ich mich richtig darauf freute!

Sie würde nämlich im Orchester sitzen und mitblasen.

„Die meisten Musiker die ich kenne, sind in den vergangenen 14 Jahren seltsam geworden!“ eröffnete ich die Konversation, und meinte damit nicht zuletzt auch mich selber, wenn ich auch nach außen hin nur mit drei Beispielen aufzuwarten vermochte: Herwig, Dimka und Martin. Doch die Erfahrung lehre, daß bei den meisten von uns mit Mitte 40 der Seltsamkeitszenit erreicht ist.

Danach wird´s wieder besser, da man ja beständig dagegen ankämpft und versucht, die Seltsamkeit wieder abzuschütteln, bevor sie sich zu tief ins Gebein gefressen hat. Man analysiert das Unglück in der Liebe, das einen zu Dem gemacht hat, der man ist, und vielleicht kann man nach einiger Zeit über die zunächst unergründlichen Fügungen des Schicksals sagen: „Es war wohl besser so“?

Abends fuhren wir nach Leer.

Ich saß vorn neben dem fahrenden Ming, und unsere Scherzeleien bzw. Diskussionsansätze waren eigentlich immer so mehr oder weniger für die Ohren vom Julchen gedacht.

Wir sprachen beispielsweise darüber, daß wir in der Blinke in Leer, streng genommen noch nie ein gutes Konzert gehört haben.

Leer wird immer bloß als Vorlauf für ein „echtes“ Konzert benützt, und man vertraut darauf, daß das von Jahr zu Jahr ausapernde Meer an Sahnehäuptern es nicht so bemerke.

Einmal riß ich einen Scherz, der von Ming herzlich belacht wurde:

„wenn das Orchester aus Winterthur auf Sommertuur geht!“

Vor der Blinke ließ man mich hinaus.

Direkt hinter der Eingangstüre begrüßte ich Nicole und Hans-Hermann, ein gepflegtes Paar aus gehobener Schicht, mit einer tiefempfundenen Umarmung und freute mich sehr darüber, daß die Franzi Müller uns tatsächlich drei Karten hinterlegt hatte. Ich setzte die Begrüßungsorgie fort und begrüßte mich mit den Ehlerts, die sich etwas zurückhaltend gaben und vielleicht darüber wunderten, daß ich sie mir gemerkt habe, obwohl sie doch für das ungeübte Auge so ausschauen wie fast alle deutschen Senioren?

Schließlich saß ich in der allerersten Reihe neben Ming – das Julchen ein paar Sitze weiter, und Ming schielte immer besorgt zu ihr hin.

Nun lernten wir das Winterthurer Orchester kennen, und da wir direkt vor den Geigen saßen, wurde es ein ziemlich geigenlastiges Konzert für uns.

Fast alle im Orchester, die man so sieht, auch wenn man direkt eigentlich niemanden kennt, sind Variationen von Leuten, die man doch kennt.

Ein aufgeschwemmter junger Geiger mit Ziegenbärtchen, hinter dem Konzertmeister sitzend, fiel mir als besonders träge und direkt „in den Sessel hineingeschissen“ auf (er saß da wie hingeschissen), und in der 2. Hälfte bereute ich´s direkt, ihm in der Pause nicht ein kleines Brieflein auf sein Pult gelegt zu haben:

„Lieber Herr!

Würden Sie bitte mit etwas mehr Leidenschaft und Hingabe spielen?

Sie wirken so unbeteiligt!

Jemand der es gut mit Ihnen meint“.

(Klingt das nicht direkt ein wenig senioril?)

Man spielte zunächst ungarische Unterhaltungsmusik, dann tauschte der Dirigent den Taktstock gegen die Oboe aus und es ertönte ein Oboenkonzert von Haydn, das ich noch gar nicht gekannt hab und ich fand, daß die Oboe viel zu tief eingestimmt war!

Hernach gab´s eine Pause, doch in der Pause ging irgendwie nichts ab.

Man stand in Grüppchen mit Leuten beieinander, die einem nichts bedeuten, und mit denen man sich nichts zu sagen weiß, wie beispielsweise den Karkows – und einmal begrüßte uns Frau Oldenburg, die noch immer so ausschaut wie auf den Fotos von Philipps Taufe im Jahre 1991, so daß man sehen konnte, wie die Jahre spurlos an ihr vorbeigezogen sind.

Etwas nagte allerdings in mir:

Als die Gretel mich anstrahlte und frug, wie es mir gefallen habe, hatte ich ihr einfach ein: „Entsetzlich!“ ins Ohr geflüstert, und dabei hatte das Oboenkonzert dem sonst so kritisch eingestellten Julchen sehr gut gefallen!

Die Pause war vorbei und ich saß wieder neben Ming und lauschte Mendelssohns Vierter.

Diesmal gab ich mir Mühe, es ganz toll zu finden, auch wenn die schlappe Körpersprache und mangelnde Ausstrahlung