Der wichtigste Ort auf Erden - Franziska König - E-Book

Der wichtigste Ort auf Erden E-Book

Franziska König

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Beschreibung

Eine Milieustudie oder Realdoku. Der Leser ist dazu eingeladen, eine Geigerin auf ihrem Lebenswege zu begleiten, und an den Freuden und Dramen zu partizipieren, die den April 2003 in eine Symphonie verwandeln sollten. Der Alltag selber diktiert die Handlung.

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Journal

Realdoku aus dem wahren Leben

Meinem lieben Onkel Hartmut gewidmet!

Franziska (Kika) mit ihrer Violine – fotografiert von ihrer lieben Freundin Ute Bott aus Rottweil.

„Wenn ich dereinst verstorben bin, so schweigt auch meine Violine!“ sagt sie.

Drum bringt Franziska alle vier Wochen ein schlankes bis vollschlankes Taschenbuch heraus.

Erzählt werden Geschichten aus dem wahren Leben, die von erhöhtem Interesse sein dürften.

Jeden vierten Dienstag um 18.05 wird das fertige Manuskript in die Umlaufbahn entsandt.

Die meisten Vorkömmlinge finden sich im Personenverzeichnis am Ende des Buches

Hier die Familie vorweg:

Buz (Wolfram), unser Papa (*1938) Professor für Violine an der Musikhochschule in TrossingenRehlein (Erika), unsere Mutter (*1939 ) Ming (Iwan), mein Bruder (*1964)

Ein Buch ohne Vorwort. Sie können gleich anfangen zu lesen…

Inhaltsverzeichnis

April 2003

Dienstag, 1. April

Mittwoch, 2. April

Donnerstag, 3. April

Freitag, 4. April

Samstag, 5. April

Sonntag, 6. April

Montag, 7. April

Dienstag, 8. April

Mittwoch, 9. April

Donnerstag, 10. April

Freitag, 11. April

Samstag, 12. April

Sonntag, 13. April

Montag, 14. April

Dienstag, 15. April

Mittwoch, 16. April

Donnerstag, 17. April

Karfreitag, 18. April

Samstag, 19. April

Sonntag, 20. April

Ostermontag, 21. April

Dienstag, 22. April

Mittwoch, 23. April

Dienstag, 24. April

Freitag, 25. April

Samstag, 26. April

Sonntag, 27. April

Montag, 28. April

Dienstag, 29. April

Mittwoch, 30. April

April 2003

Dienstag, 1. April

Ein leider höchst unschönes Wetter!

Im Traume schöpfte eine welke abgearbeitete Hand, die einem dünnen freudlosen Frauenzimmer gehörte, Reissuppe in bereitgestellte Suppenschalen. Ich war bei der Armenspeisung gelandet!

Neben der großen, dampfenden Suppenschüssel stand auf einem Reiter Folgendes zu lesen:

Wir freuen uns sehr, wenn Sie hier Freunde finden, mit denen Sie lachen, und sich lebhaft unterhalten können. Doch wir bitten Sie im Interesse der anderen Gäste, auf Grölereien zu verzichten.

Die Speisung kostete bloß einen symbolischen €uro, der sich durch Straßenmusik mühelos erspielen ließ.

Geburtstagsbedingt wurde Rehlein ständig der Frühstückstafel entrupft.

Der erste Anruf kam vom Arthur, der als Gratulant Nägel mit Köpfen machte, und die Jubilarin nebst Anhang für den Abend um 18 Uhr zu einem festlichen Galadinner einlud. Rehlein rief gleich freudig in der Schillerstraße an, wo Ming bei der Julia genächtigt hatte.

Ming vergaß, seiner Mutter zu gratulieren, dieweil er sich soeben in einer ganz verdatterten Stimmungslage befand: Er als Umweltschützer hätte schwören können, gestern abend mit dem Radl zur Julia gefahren zu sein, und doch stand am Morgen sein Auto in der Schillerstraße!

Später entpuppte sich das Ganze als Aprilscherz, den sich Mings künftiger Schwiegervater, Herr Müller, erlaubt hatte. Unwirsch habe er ins Zimmer der jungen Leute hineingerufen: „Parkt ihr das Auto vielleicht mal weg??“

Gebannt schauten Rehlein und ich uns einen packenden Film an:

Ein in Bombay lebender Amerikaner bereiste drei Wochen lang seine Heimat Amerika. Nachdem er die Sonora Wüste besucht hatte, reiste er nach Kanada, wo es trotz des schönen Sonnenscheins leider arscheskalt war.

Es handelte sich bei diesem Amerikaner um einen professionellen Schlangenfänger, dem sein Beruf so viel Freude zu bereiten schien, daß er ihn sogar im Urlaub ausübte.

Wir schauten auf seine geschnürten Schuhe, in denen er im Sonnenschein durch Kanada lief.

An einer Stelle befanden sich unzählige Strumpfbandnattern, so daß man als Frau einen Schreikrampf bekommen möchte, wenn man beim Bettgang zu später Stund´ entdecken muß, daß einem jemand einen Streich gespielt, und einen riesigen Koffer mit Strumpfbandnattern im Bett ausgeleert hätte.

Mitten in diese kleine amüsante Schaudergeschichte hinein, die als kunstvolles Gemälde aus der Biedermeierzeit in unserem Inneren aufgestiegen war, rief unser Freund Hans-Jürgen an.

Auch er hatte vergessen, daß Rehlein heute Geburtstag hat, und klang ganz aufgeregt, dieweil es neue unglaubliche Geschichten über seine Noch-Ehefrau Ruth zu erzählen gab:

„Nun ist mir klar, daß meine Frau wirklich verrückt ist!“ sagte der Hans-Jürgen in fassungsloser Enttäuschung, vom Schicksal derart getreten worden zu sein. Mehr noch: Entgeistert japste er nach einem noch passenderen Wort, während sich ein ganz erschütterter Ausdruck in Rehleins liebes Gesicht malte.

Doch hört selber:

Die Ruth hatte eine Affäre mit einem stadtbekannten Arzt begonnen, und tat zuvor scheinheilig so, als müsse sie sich in ärztliche Behandlung begeben. Den Grund hatte sie ihm jedoch nicht verraten mögen:

„Du weißt ja: Arztgeheimnis!“ habe sie dümmlich gewitzelt.

Diesem Arzt wollte sie nun die kostbare Briefmarkensammlung vom Hans-Jürgen schenken, und hatte das exklusive Geschenk bereits eine Weile lang bei ihrer Putzfrau und Vertrauten versteckt, um zu schauen, ob es dem Hans-Jürgen überhaupt auffällt, wenn die Sammlung fehle?

Und dann wollte sie dem Arzt, für den sie offenbar nur ein kleines Abenteuer war, von Hans-Jürgens sauer erspartem Geld auch noch ein Auto kaufen!

„Eine Frau, die alles hat! Mutter von vier wohlgeratenen Kindern! Ganz zu schweigen von ihrem arbeitsamen Ehemann, der es seiner Familie an nichts mangeln lässt!“ rief der Hans-Jürgen erschüttert und gleichsam fassungslos durch den Hörer.

Und dieser Arzt habe sich nun vor einer Woche überraschend das Leben genommen! erfuhren wir.

Mich bewehte der Frost, und auch das ungeheuer kneippige und schubberige Innenleben von der Ruth, nach dem Selbstmord dieses Herrn, der von jetzt auf gleich einfach nicht mehr da sein soll?

Passend zu dieser Geschichte wurde das Wetter draußen ausgerechnet an Rehleins Geburtstag ganz häßlich.

Ein wütender Regen peitschte herum, berüttelte und verbog Äste und Zweige, die sich unter seiner wüsten Wucht regelrecht zu krümmen schienen, und begischtete die Fenster wie in der Autowaschanlage.

Ein Frustablassungstanz der Natur – dem Seelenleben vom Hans-Jürgen nachempfunden.

Im Hinblick auf den Rehrücken am Abend gönnten wir uns Mittags statt einer Mahlzeit nur eine Kahlzeit.

Abends besuchten wir unseren lieben Freund Arthur:

Ich schaute gleich nach Arthurs Mutti, die ihrerseits ebenfalls einen Gast hatte, der in einem Sessel saß, und mit der gekrümmten und welkenden Gestalt im Rollstuhl sprach, deren Füße in wärmenden Babuschen staken. Ihr Bruder Flo (Adolf-Lorenz).

Ich selber nahm auf dem Kaminsims Platz und schaute auf die weiße Frisur von Mutti Paula drauf.

Dadurch, daß die Paula mit ihrem Bruder meist Adelsthemen zu besprechen pflegt, schielte ich nach der Zeitung, und auch wenn es ein wenig unhöflich gewesen sein mag, so zupfte ich mir die Zeitung doch heran, um so geräuschfrei wie irgendmöglich nach den Todesanzeigen zu blättern.

Ein Herr in Leer starb im 104. Lebensjahr und wurde still betrauert.

Onkel Flo wollte wissen, ob ich meine Eltern betreue?

„Sehe ich denn schon so alt aus?“ lachte ich. „Die betreuen mich!“

Dies sagte ich nett und wahrheitsgemäß.

Bald darauf wurde ein festliches Abendmahl serviert. Befeiert wurden die beiden Jubilatorinnen Rehlein und Helga, die heut ihr sechsjähriges Jubiläum als treue Hausdienerin der Familie feiert.

Mutti Paula, die neben mir saß, fädelte eine Unterhaltung ein. Sie erzählte von ihrem Mann Horst, der sich sehr darauf versteht, die Gäste mit seiner Meisterschaft auf dem Schifferklavier zu verblüffen und zu begeistern.

Zuweilen nimmt er sein Spiel auf Tonband auf, und hört sich seine Musik äußerst kritisch an.

Ich erfuhr, daß die Paula früher rasend, und viel zu lang in ihren Horst verliebt war, während beim Horst selber die Verliebtheit schon kurz nach der Eheschließung abebbte und versickerte.

Zunächst wurde ein Aquavit gereicht, ferner Appetithäppchen mit Hering und Sahnemeerettich, als kleiner aber feiner Zwischengang eine Hühnerbouillon, und schließlich Rehrücken mit deliziöser Soße, Kartoffelklößen und Rotkraut.

Zum Dessert wurde Vanille-Eis mit Zwetschgen serviert.

Hm, dies schmeckte uns!

Arthur und Ming schwelgten in Erinnerungen und sprachen über die Jahre des gemeinsamen Studiums in Berlin.

„Ihr seid ja schon in der Rückblicksphase!“ lachte Rehlein.

Man erzählte von Meenhard F., einem Kommilitonen, der in seiner weltverbesserlichen Art leicht an Opas Jünger „Böhmert“ erinnerte, und nun als Naturköstler lebt.

Wir lachten über seinen Aufsatz für die Zeitschrift „Natürlich leben“:

Er möchte keine Nachbarn, die grölend am Grill stehen, sondern lieber lachende Nachbarn, die im Walde Brombeeren zupfen.

Mittwoch, 2. April

Grau und regnerisch. Doch abends lichtete es sich auf

Als wir tief in der Nacht - das Kalenderblatt war bereits abgezupft worden - den Anrufbeantworter molken, war selbiger von Glückwunschtelefonaten regelrecht vollgesogen: Allein sechs Ansagen stammten vom ratlosen Buz, denn niemand hob ab.

Heute träumte ich wie folgt:

Das prominente Ehepaar Wussow (Klaus-Jürgen und Yvonne) traf sich an einem neutralen Ort zu einer Aussprache über seine Ehemisere. Doch der Klaus-Jürgen lenkte die Wortgeschosse schon bald auf ein Thema, das ihm viel wichtiger schien als seine Ehekrise: Die Krise im Irak!

Seine böse Frau Yvonne war davon leicht beschämt, weil sie immer nur ihren Eheschrott im Kopf gezwirbelt, und darüber die wirklichen Probleme auf der Welt gedanklich ganz unter den Tisch gekehrt hatte.

Am Morgen rief Buz sogar nochmals an, und wurde davon naturgemäß noch ratloser, als schon wieder niemand abhob!

„Du schläfst doch in meinem Bett, Kikanüdelchen!“ sagte Buz so nett, und hatte recht damit. Aber ich war zu müd, mich zu erheben.

Nach einer Weile rief Omi Baumgart an, um ein fröhliches Geburtstagslied zu singen. Doch sie besang die Falsche – nämlich mich.

Später meldete sich die ehemaliege Gegenschwiemu nochmals bei Rehlein, und durch den lautgestellten Lautsprecher hörte sich das Telefonat beinahe an wie früher, als Rehlein noch regelmäßig mit ihren Eltern telefonierte.

Bedingt durch Schwerhörigkeit und Generationenbarriere leicht anstrengend.

Ich wurde immer schwächer, und auch der Kaffee, der doch vor einigen Tagen noch Wunder bewirkt hatte, nutzte kaum noch.

Zwischen elf und zwölf kam meine neue Schülerin Maria mit ihren kleinen Töchterlein Miriam.

Rehlein hatte das Zimmer schon ein bißchen kindgerecht umgeräumt, und ich hatte auf Buzesart beschwichtigend beschworen, daß die Kleine nur artig auf einem Schemel sitzen würde, um dem Unterrichtsgeschehen zu lauschen.

Die kleine Miriam hatte den heutigen Schulreifetest leider nicht bestanden, doch die fröhliche Mutti Maria nahm´s nicht weiter tragisch, da die Miriam jetzt ein ganzes Jahr lang daheim bleiben darf.

Interessiert erkundigte sich Rehlein nach dem Schulreifetest, und Mutti Maria erzählte, daß man der kleinen Miriam vier Kugeln in die Hand gab, und dann noch drei weitere auf den Tisch legte und frug: „Welches ist weniger?“ Doch die Miriam machte es falsch, dieweil sie so aufgeregt war.

Dann sollte sie einen Menschen malen, und wenn 18 Merkmale gestimmt hätten, wäre das kleine Fräulein schulreif gewesen. Doch es vergaß in seiner Aufregung den Mund.

Wir zogen uns ins Musikzimmer zurück, um die Bratschenstunde abzuhalten, doch jetzt störte die kleine Miriam den Unterricht die ganze Zeit. Sie bepatschte Rehleins Gemälde auf der Staffelei, und hie und da klimperte sie am Klavier. Ich klappte den Klavierdeckel zu, und setzte mich unverrückbar drauf.

Die Maria spielte heut den ersten Satz einer Gamben-Sonate von Bach, und ich versuchte, der Darbietung Sogkraft und höchste Meisterschaft einzuhauchen. Auf dem Klavierdeckel sitzend sang und wedelt ich gestisch herum, bestrebt durch passende Worte Geschmeidigkeit in die leicht hölzern klingenden Phrasen hinein zu zaubern.

Doch dann geschah etwas, mit dem man nie und nimmer gerechnet hatte: Die kleine Miriam, die schon eine ganze Weile lang Ruhe gegeben hatte, so daß man sie bereits fast vergessen hatte, rief aus: „Schau mal Mami! Ein Mensch ohne Mund!“ und hatte einfach auf jener kunstvollen Zeichnung vom Friedel, auf der Rehlein wie eine Adelige ausschaut, den Mund hinwegradiert. Ich war fassungslos, und konnte mich gar nicht mehr gescheit auf den Unterricht konzentrieren.

Später beichtete die Maria Rehlein diesen entsetzlichen Kunstfrevel, doch statt in das befürchtete Wehklagen auszubrechen, nahm Rehlein es überraschenderweise mit Humor.

Buz sei am Telefon so fröhlich gewesen, da er gestern in Freiburg ein Ehepaar besucht habe, mit dem er Rehleins Geburtstag gefeiert hat, obwohl die beiden Rehlein doch gar nicht kennen.

Ich nahm mir vor, so lange Diät zu halten, bis jemand zu mir sagt: „Duu bist aber dünn geworden!“

Und außerdem mußte ich fürchten, daß ich jetzt womöglich auch noch wetterfühlig werde, da mir das häßliche Küstenwetter schlechte Laune bereitete, und früher fühlte ich mich in jeder Wetterlage froh.

Wieder galt´s, mich meiner Karriere zu widmen:

Ich setzte ein Fax an Frau Steinfels in Teningen auf, schlug einen heiteren, sehr vertraulichen Tonfall an, und schrieb gar, daß ich deswegen so gerne herumreise, weil man sich so nütz und tätig dabei vorkäme.

Dann schrieb ich eine Mail an Herrn Heinrich in Halberstadt, und in meiner Fantasie ist Herr Heinrich, dessen Mails immer etwas knapp klingen, äußerst empfindlich, und tendiert dazu, so manches als kränkende Ironie aufzufassen.

Bald darauf gab´s Mittagessen: Zwirbelnudeln mit Zucchini.

Im ZDF-Mittagsmagazin wurde einem verdeutlicht, daß das Leben auf Erden zur Zeit ziemlich verdorben und unschön ist:

In Hongkong und verschiedenen anderen Orten droht eine Epidemie mit der Lungenkrankheit SARS, so daß die Chinareise von Ming und Buz auf wackeligen Beinen steht?

Wie ein Wirbelwind löffelt Ming seine Mahlzeiten zügig hinab, und dann dröhnt auch schon wieder der Flügel auf.

Mitten in die Klangkaskaden hinein, ereilte uns ein Anruf aus Taiwan: Der Franz, ein Jünger Buzens, der sehr um die Gesundheit seiner Lieben besorgt ist. Rehlein mußte ihm versprechen, daß Buz und Ming nicht nach China reisen, denn dies sei eine Reise ins sichere Verderben. Der Franz selber ist sehr vorsichtig, und läuft nicht mehr ohne Mundschutz herum. Doch auch darüber hinaus gefällt ihm das Leben in Taiwan nicht so besonders, (zu warm und zu laut) und er wäre lieber hier bei uns!

Abends verzierte ich Rehleins Torte mit Marillenmarmelade, Pistazien und Mandeln, und dem süßesten Rehlein gefiel die Torte so sehr, daß man sie gar nicht anschneiden mochte, um den Anblick noch weiter zu genießen.

Donnerstag, 3. April

Z.T. grau und trostlos, doch abends schön frisch

Mit dem Weckerschrill am Morgen, bevor der Tag sich überhaupt gescheit entrollt hatte, wurde ich einem Nest des Behagens entrissen, in das ich mich so gerne wieder hineingeschmiegt hätte.

Um Punkt zehn begann ich nach Sekretärinnenart mit meiner Karrieretätigkeit.

Ich telefonierte mit Christoph Merken, einem von einer Sekretärin in Braunschweig empfohlenen Herrn aus Schönberg, der sehr langfristig plane.

Anhand seines Namens hatte ich einen etwas kümmerlichen dünnen Kantor mit Balkenbärtchen assoziiert, und jetzt war ich überrascht, daß es sich um einen humorigen älteren Herrn handelte, der mir auch keine große Hoffnung machte, auch wenn er mir erlaubt hat, ihm etwas zu zuschicken.

„Aber bitte nicht mit Auflistungen irgendwelcher Meisterkurse!“ sagte er griffig.

Das gefiel mir, und so sparte ich mir bei dieser Wurfsendung auch die Kritiken, und färbte meinen Brief sehr persönlich ein, indem ich schrieb, daß man eine CD nur eine Minute lang anhören müsse, und wenn sie einem nach Ablauf dieser Minute nicht gefällt, so könne man sie jemandem schenken, den man nicht so mag.

Einmal betrat Ming das Zimmer, und bebusselte mich zu Begrüßungszwecken sehr nett, mitten in mein Telefonat mit einer Dame aus Bad Mergentheim hinein.

Zum Mittagessen lief wie alle Tage der Televisor, und wir erfuhren, daß die Amerikaner jetzt genauso weit von Bagdad entfernt sind, wie wir von Bagband!* Nämlich 15 Kilometer.

Einem kleinen Ort mit einer hohen und spitzen Kirchturmzipfelmütze mitten in Ostfriesland

Ming wollte wissen, wie mir der kommentierende Herr wohl gefällt, und was er wohl für eine Wellenlänge auf mich ausströme?

„Säße ich hier mit ihm allein zu Tisch, so würde sich wohl Verlegenheit auftun,“ sagte ich, obwohl man das doch so, wenn das Bildschirmglas dazwischen ist, überhaupt nicht sagen kann, da man einander ja erst beschnuppert haben muß, wie im GEO einst zu lesen stand.

Bald schon ging´s auf 15 Uhr zu, und ich mußte mich zum Außendienst aufsatteln.

„Mein Chef kennt da keine Gnade!“ solches und dererlei sage ich immer wieder zu Rehlein, um mich in meiner Scheinwelt, das Leben einer Spitzensekretärin zu führen, noch sicherer zu fühlen.

Kleine Erinnerung aus unserer Kindheit:

Übten wir nicht genug, so drohte uns Buz zuweilen schelmisch damit, ich würde als Sekretärin, und Ming als Dachdecker enden.

Und genau so kam´s….

Zuerst besuchte ich die Post, und wurde ausgerechnet von jener schnittlauchlockigen Dame bedient, von der ich vielleicht nicht so gern bedient werde, da sie mich mal wie ein dummes Schulmädchen dazu verdonnert hat, meine Marken gefälligst selber aufzukleben – hierfür würde sie nicht bezahlt!

Ich gehe ihr auf die Nerven, weil ich immer solch ein Getue um meine Briefmarken mache. Ist ein bedeutsamer graumelierter und bebrillter Herr drauf abgebildet, frage ich, ob der wohl klug war, oder nicht – und so was weiß sie als simple Postbedienstete doch meist gar nicht.

„Der wird woul gut gewesen sein. Denn sou leicht schafft man es auch nicht auf eine Briefmarke!“ sagt sie dann rasch, während die Schlange hinter mir immer länger wird.

Doch heute war sie ganz nett, da ich zu den zehn wunderschönen Sondermarken noch fünf ganz häßliche bestellt hab – solcherart, als habe ich vielleicht fünf Schmähbriefe geschrieben. Doch ich brauchte eigentlich nur eine häßliche für das Finanzamt, für das mir eine schöne Marke zu schade ist, weil die immer so beamtlich und betont unpersönlich schreiben.

Hernach kopierte ich meine Kritiken in der „Ostfriesischen Landschaft“, und traf bei dieser Gelegenheit auf Frau v. d. Nahmer, über die ich ja schon nachgedacht hatte. Eine Frau, die an eine durch´s Leben schwebende gute Fee erinnert, so daß man stets von einer kurzen Freude beweht wird, wenn man ihr begegnet. Doch ich frug mich, ob unsere Freundschaft wohl bald bröckelt?