Mein Bruder - Karin Smirnoff - E-Book

Mein Bruder E-Book

Karin Smirnoff

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Beschreibung

Ein Familiendrama, das auf dem einsamen schwedischen Land spielt – In Karin Smirnoffs Debüt geht es um das Leben. Um Liebe und Gewalt. Um das, was schön, und das, was kaputt ist. Und um das Allerwichtigste: Vergebung.

Jana fährt an den Ort ihrer Kindheit, um ihren Zwillingsbruder zu besuchen, und beschließt zu bleiben. Denn in Smalånger ist alles wie immer: Ihr Bruder trauert einer Liebe nach, die es nicht hätte geben dürfen, und trinkt zu viel, ihre Mutter lebt nach einem Schlaganfall im Pflegeheim, und ihre ehemaligen Freunde sinnen auf Rache. Und dann ist da noch John mit Augen wie schwarze Löcher, der ihr mit leidenschaftlicher Liebe, aber auch unkontrollierter Aggression begegnet und Erinnerungen an ihre Kindheit im Schatten des bedrohlichen Vaters wachruft. Ein Familiendrama, das auf dem einsamen schwedischen Land spielt – erzählt mit rauer Zärtlichkeit und einer ganz eigenen Sprache voller Leidenschaft, Spannung und Humor. Es geht um das Leben. Und um das Allerwichtigste: Vergebung.

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Über das Buch

Jana fährt an den Ort ihrer Kindheit, um ihren Zwillingsbruder zu besuchen, und beschließt zu bleiben. Denn in Smalånger ist alles wie immer: Ihr Bruder trauert einer Liebe nach, die es nicht hätte geben dürfen, und trinkt zu viel, ihre Mutter lebt nach einem Schlaganfall im Pflegeheim, und ihre ehemaligen Freunde sinnen auf Rache. Und dann ist da noch John mit Augen wie schwarze Löcher, der ihr mit leidenschaftlicher Liebe, aber auch unkontrollierter Aggression begegnet und Erinnerungen an ihre Kindheit im Schatten des bedrohlichen Vaters wachruft. Ein Familiendrama, das auf dem einsamen schwedischen Land spielt — erzählt mit rauer Zärtlichkeit und einer ganz eigenen Sprache voller Leidenschaft, Spannung und Humor. Es geht um das Leben. Und um das Allerwichtigste: Vergebung.

Karin Smirnoff

Mein Bruder

Roman

Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein

Hanser Berlin

Tief im Norden in Väla

Tief in der Hölle

tief im Norden in Väla

spiel ich mein Akkordeon

gegen den Schmerz in der Seele.

Der Balg hat nen Riss

Und nen Riss hat die Seele.

Tief im Norden in der Hölle.

In Väla.

Helmer Grundström

Eins

Ich fuhr heim zum Bruder. Nahm den Bus die Küste entlang und sprang an der EVier raus. Dann ging ich Richtung Dorf.

Der Schnee fiel dicht und verwehte die Straße. Die Flocken stürzten sich in meine niedrigen Stiefel und meine Knöchel froren wie in der Kindheit.

Mein Daumen hätte Autos anhalten können doch es kamen keine. Das Haus meines Bruders lag ein paar Kilometer entfernt bergauf.

Um mich bei Laune zu halten sang ich EvertTaube.

Unsere Eltern liebten EvertTaube und dann starben sie.

Der Wind schnitt durch meinen Mantel. Ganz oben fehlte ein Knopf und die Flocken schmolzen an meinem Hals. Ich hätte längst da sein müssen. Der Schnee machte die Landschaft anonym. War ich überhaupt schon bei EskilBrännströms vorbei. Ich stolperte singend drauflos. Solang sich der Kutter bewegt und wer hat bestimmt dass du auf die Welt kamst.

In den Schneewirbeln tauchte ein Bündel auf. Ein geduckter Mensch im Gegenwind. Erst sah ich nicht ob Mann oder Frau.

Der Wind drehte. Es schneite fäustlingsgroße Flocken. Für ein paar Sekunden war das Wesen weg dann gab der Wind wieder alles und im Auge des Sturms sah ich plötzlich wer es war.

Niemand den ich kannte.

Was ein Wetter sagte er als er näher kam und ich nickte nur. Er fragte wo ich hinwolle und ich sagte zum KippoHof.

Du musst an der Gabelung falsch abgebogen sein erklärte er hinter seinem Schal. Hättest rechts abbiegen müssen. Ich kann es dir zeigen sagte er freundlich. Zwischen dem Schal und der Mütze waren Nase und Augen zu erahnen. Ich wollte seinen Blick erhaschen doch er sah nur geradeaus.

Wir machten kehrt obwohl der Kompass in meinem Bauch das Gegenteil riet. Er bot mir seine Handschuhe an.

Es hatte schon lange niemand mehr seine Handschuhe mit mir teilen wollen. Ich verstand nicht wie ich mich hatte verlaufen können.

Wir machten kehrt und gingen zurück. Gegen den Wind gestemmt wie die Kinder von den Blauen Bergen.

Er wohnte in der Nähe und hieß John.

Ich heiße Jana sagte ich. Und will meinen Bruder besuchen.

Und dein Bruder heißt Bror erwiderte er. Ich weiß wer du bist.

Und wohin bist du unterwegs schrie ich um den Wind zu übertönen der wieder neue Kraft gesammelt hatte.

Nirgendwohin schrie er zurück. Ich mag einfach nur gern Unwetter.

Er deutete auf einen der schmaleren Wege wo immer noch schwache Spuren im Schnee zu erkennen waren.

Ich wohne ein Stück weiter in die Richtung. Komm doch kurz mit und wärm dich auf dann kannst du weitergehen wenn sich der Sturm gelegt hat.

Ich zögerte weil ich ihn nicht kannte und hätte kennen müssen. Außerdem wusste ich dass der Weg zum EskilBrännströmHof führte.

Wohnst du in dem Ödhaus fragte ich und er nickte.

Mir war nicht klar dass man dort wohnen konnte.

Hast du auch Familie oder wohnst du allein.

Da kann man nur allein wohnen antwortete er.

Der Wind peitschte mir weiter den Schnee an den Hals. Mein Gesicht war längst taub geworden. Ich folgte ihm hinein.

Er entfachte ein neues Feuer im Kamin. Holte eine rosa Wolldecke und breitete sie über mich während ich in langen Unterhosen und Unterhemd auf der gepolsterten Küchenbank saß und meine Klamotten auf einem Stuhl trockneten.

Die Decke stammt aus Umedalen erklärte er. Als die Irren aus der Anstalt auszogen gabs ne Auktion.

Das Zimmer kam mir bekannt vor und ich dachte ich musste schon einmal hier gewesen sein. Die Küche war auf eine sanfte und friedliche Weise abgewohnt. Neben der Bank gab es noch einen älteren Ausziehtisch ein paar selbstgetischlerte VästerbottenStühle eine Vitrine und eine Uhr die tickte obwohl sie falsch ging.

Er schien hier zu wohnen. Schlief vermutlich auf dem Gustavian von dem ich jetzt meine Beine herabbaumeln ließ weil meine Füße nicht bis auf den Boden kamen.

Lebst du in der Küche fragte ich und wölbte meine Hände über der heißen Tasse die er mir reichte.

Ja meistens antwortete er. Jedenfalls im Winter. Im Sommer schlafe ich auf dem Dachboden oder im Saal.

Dieser Saal fragte ich und hielt mich an einer dunklen Erinnerung fest. Hat der eine Deckenbemalung. Er nickte und schlürfte seinen Kaffee wie die Alten. Von einer Untertasse durch einen zwischen Lippen und Zähne geklemmten Zuckerwürfel.

Ich sah den Saal vor mir. Ein paar gelbe Gummistiefel auf einer schwarzen Kiste. Die man nicht öffnen konnte. Wie ich am Ende eine flache Eisenstange genommen hatte die wie eine rostige Landmarke draußen in der Erde steckte. Ich hatte sie zwischen den Deckel und die Kiste geschoben und gestemmt bis das Schloss mit einem Ruck nachgab.

Fünfundzwanzig Jahre später konnte ich mich nicht mehr erinnern was in der Kiste gewesen war. Vielleicht nichts als abgestandene Luft.

Hast du von meinem Bruder Adam gehört fragte er.

Hatte ich nicht.

Wir haben auf dem Heuboden gespielt sagte er. Haben Saltos von einem Dachbalken gemacht und sind im Heu gelandet.

Adam war ein paar Jahre älter und traute sich immer mehr als ich. Egal wie sehr ich meine Angst gebändigt hab. An jenem Tag hatte er Zigaretten geklaut und mich gefragt ob ich auch mal rauchen wollte. Um nicht kindisch zu wirken habe ich ne filterlose Glenn genommen und sie in den Mundwinkel gesteckt während mein Bruder ein Streichholz entfacht hat. Es war nicht geplant dass mir der Rauch im Hals stecken blieb und ich einen Hustenanfall bekam und meine filterlose Glenn ins Heu fallen ließ. Im Prinzip ist ne glimmende Zigarette im Heuhaufen genauso schwer zu finden wie eine Nadel.

Im frischgeernteten Heu wär die Glut vielleicht von selbst erstickt aber je mehr wir es aufgewühlt haben desto mehr Sauerstoff haben wir hineingefächelt und plötzlich sind um uns herum die Flammen hochgeschlagen.

Ich bin auf den Boden runtergestürzt und raus in die Sonne und Luft und hab den dichten Rauch wie einen Schweif hinter mir hergezogen. Bin über den Hof gerannt um Hilfe zu holen aber dann hab ich gemerkt dass Adam nicht hinterherkam und bin zurückgestürmt. Hab nach ihm gerufen. In einem Spalt zwischen Feuer und Rauch sah ich seinen Arm über den Rand des Heubodens hängen.

Der Mann verstummte und sammelte sich. Räumte ein bisschen in der Küche auf. Wischte Kaffeekrümel mit einem Lappen weg und strich sich die üppigen schwarzen Locken aus dem Gesicht. Sah mich an und erklärte.

Wahrscheinlich hatte der Rauch ihn schon dahingerafft. Ich hab die Leiter versetzt und die Luft angehalten und bin so schnell wie möglich hochgeklettert. Hab seinen Arm zu fassen bekommen und versucht den Körper runterzuziehen aber er war zu schwer und ich zu schwach.

So ist das gewesen. Ich war zu schwach um meinen Bruder zu retten. Hab nicht mal gespürt wie das Feuer in meinem Haar brannte. Hab nur die zarte Haut auf Adams totem Unterarm gespürt.

Es waren seine Stiefel die auf der Kiste standen falls du dich das fragst.

Es war eine traurige Geschichte. Ich hatte das Gefühl er log.

Die Wärme des Feuers und der heiße Kaffee machten mich dösig. Ich hätte mich anziehen und weiter zu meinem Bruder den Hügel hinaufgehen sollen aber mein Körper war schlapp und nicht bereit sich wieder in den Sturm hinauszubegeben. Ich zog die Beine zu mir aufs Sofa und versuchte darauf zu kommen was ich gerade roch. Es war nichts Unangenehmes. Mehr so wie ich mir den Duft in anderen Ländern vorstellte. Oller Mief hätte Muttern gesagt und vielleicht roch ich tatsächlich auch nur alten Schmutz wie ein Spürhund der Witterung aufnahm. Aber sosehr ich auch schnupperte ich konnte den Geruch nicht identifizieren.

Du kannst hier übernachten wenn du willst sagte er. Ich kann mir auf dem Boden ein Lager herrichten oder im Sessel schlafen.

Die Küchenbank ließ sich ausziehen und obwohl ich Körperkontakt mit Fremden nicht ertragen konnte schlug ich vor wir könnten sie teilen auch wenn es eng werden würde.

Er blies die Lampe aus. Erst in dem Moment wurde mir bewusst dass es keinen Strom im Haus gab. Eine besondere Stille breitete sich über dem dunklen Boden aus während der Wind der Sturm der Schnee und die Kälte gegen die Einfachverglasung ankämpften.

Ich konnte nur schwer schlafen. Wir lauschten unseren Atemzügen während die Stunden verstrichen. Ich lag ganz außen mit einem Bein auf dem harten Rand. Er drückte sich gegen die Lehne. Ich spürte seinen Körper als Kontur an meinem obwohl wir einander kaum berührten. Trotzdem war meine eingeatmete Luft seine ausgeatmete Luft. Als wären wir unter Wasser gefangen und würden uns eine Sauerstoffflasche teilen.

Mein Bein rutschte wieder zurück aufs Bett. Sein Arm wollte sich nicht länger wehren und fand schließlich doch seinen Platz. Sowie meine Hand in seine geöffnete Faust glitt kamen meine Gedanken zur Ruhe.

Als ich aufwachte war es hell und das Zimmer hatte eine andere Stimmung als am vorigen Abend. Die Fenster wurden von ausgeblichenen Gardinen umrahmt deren Stoff zu kleinen Löchern zerfiel. Auf der Fensterbank drängten sich Geranien die bald aus ihrem Dämmerschlaf geweckt würden.

John war schon aufgestanden. Hatte Holz im Kamin nachgelegt und den Kaffeesatz von gestern mit ein paar gehäuften Messlöffeln angereichert und aufgegossen.

Ich betrachtete ihn aus meiner liegenden Perspektive. Ein orangefarbener HellyHansen der die Arbeitsplatte aufräumte. Als sich der Pullover das erste Mal umdrehte musste ich den Reflex unterdrücken mich abzuwenden.

Macht nichts sagte er bin ich gewohnt.

Er deckte den Tisch mit Kaffeetassen Mjukkaka Butter und VästerbottenKäse. Lächelte mich eine Weile an und sagte er hoffe ich hätte gut geschlafen. Machte es sich mit seiner Untertasse und seinem Zuckerwürfel bequem.

Was ist dann passiert fragte ich. Nachdem dein Bruder gestorben war.

Diesmal wollte mein Blick nicht ausweichen sondern studierte eingehend seine verbrannte Haut die sich über die eine Gesichtshälfte zog wie Furchen in einer trockengelegten Sandbank.

Nach Adams Tod hat sich alles verändert. Davor waren wir gewöhnliche Kleinbauern die kaum vom Ackerbau leben konnten. Mein Vater hat im Winter Waldarbeiterjobs angenommen und im Sommer geangelt. Wenn er weg war hat Adam die Entscheidungen getroffen nicht meine Mutter. Sie hat wie immer auf einem Hocker neben der Spüle gesessen und die Reste von unseren Tellern gegessen. Nicht weil sie unter uns stand. Sie wollte es so.

Sein Blick blieb in der Erinnerung hängen und er schwieg eine Weile.

Mein Vater hat mir die Schuld an Adams Tod gegeben. Behauptet ich hätte ihn retten können. Weil ich ne Hasenscharte hatte und schwerhörig war haben sie mich auf eine Schule in Örebro geschickt wo man angeblich sowohl Hasenscharten als auch Schwerhörigkeit heilen konnte.

Wie alt warst du da fragte ich der annalistischen Ordnung halber.

Zehn fast elf.

Ich zog mich an. Die Hose über die lange Unterhose. Meine Socken und Stiefel waren in der Zwischenzeit getrocknet. Es schneite immer noch aber nur leicht. Die Sonne kämpfte sich durch die Wolkenmassen. Es konnte ein schöner Tag werden.

Mildes Licht fiel auf sein Gesicht. Ich hätte seine Verbrennungen gern berührt um sie in Ton zu formen dachte aber so eine Geste konnte leicht zu Missverständnissen führen.

Darf ich den Saal sehen bevor ich aufbreche.

Ja das wird wohl gehen.

Der Raum sah genauso aus wie in meiner Erinnerung. Blasse Deckenornamente im Bauernstil und eine farbbesprenkelte Holzwand.

Sogar die Kiste stand noch da nur ohne die gelben Gummistiefel.

Der große Unterschied bestand darin dass die Wände mit Leinwänden in unterschiedlichen Größen bedeckt waren. Sie waren einfach mit einer Heftpistole daran festgetackert worden. Die Gemälde darauf waren wie Szenen. Feuer Rauch Gesichter Gras Meer Körperteile Gummistiefel und Hände so gut gemalt dass sie fotografisch wirkten.

Sind die von dir fragte ich und er nickte. Ich male ab und zu.

Hast du die schon mal jemandem gezeigt.

Nein hatte er nicht. Ich war die erste.

Du kannst malen sagte ich und wurde ganz still von dem was ich sah. So ergriffen dass ich dringend weitermusste. Ich wich zurück von den Leinwänden als Hintergrund und John und seinem verbrannten Gesicht und seinem üppigen schwarzen Haar als Vordergrund.

Ich sah nicht nur die Gemälde ich sah mich selbst meinen Bruder und Vattern. Und da kam Muttern angerannt. Schrie dass sie etwas tun müssten. Ihn retten. Die Tiere blökten vor Aufregung. Das Pferd wieherte töten töten.

John hob zum Abschied die Hand. Ich auch. Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte rannte ich bis ich keine Luft mehr bekam.

Zwei

Wir saßen in Brors Küche und tranken Whisky. Oder besser gesagt er Whisky und ich Tee. Er hatte ein Feuer im Kamin gemacht und ich versuchte den Dreck und die Unordnung zu verdrängen. Wir waren im Abstand von wenigen Minuten geboren worden und ähnelten uns in vielem. Vor allem im Aussehen. Rötlich und mager mit strähnigem pigmentlosem Haar und auf eine so blasse Art nichtssagend dass uns alle nur als die Zwillinge in Erinnerung behielten.

Ist was passiert oder warum biste gekommen fragte er.

Nein nichts Besonderes antwortete ich und dachte an Johns Gemälde. Ich hatte an Ostern einfach noch nichts vorgehabt.

Der Abend verstrich. Wir drehten eine Runde mit dem Elchhund und der Himmel war wieder sternenklar. Der Hund zog uns voran. Die Temperatur lag bei minus zwölf und es knarzte unter unseren Sohlen. Die Laternen gingen nur bis zu GöranBäckströms aber das Licht des Schnees und der Sterne über uns genügten.

Wir redeten über Dinge die passiert waren. Wer gestorben war. Wer krank geworden. Über die Schneehuhnjagd in den Bergen und die gelungene Bedeckung der Nachbarshündin. Worüber man in Smalånger so redet. Wir redeten nicht darüber warum Emelie ihn verlassen hatte und auch nicht über den Verfall unseres Elternhauses.

Auch diese Nacht verbrachte ich auf einem Gustavian. Schaffte es nicht mal mehr mich auszuziehen sondern deckte mich mit meinem Mantel zu und schlief sofort ein.

Tags darauf zog ich Gummihandschuhe über füllte einen Eimer mit Seifenwasser und schrubbte mich systematisch durch die Zimmer. Gegen Nachmittag standen auf der Vortreppe schwarze Müllsäcke voll mit Bierdosen Pizzakartons Zeitungen verwelkten Zimmerpflanzen abgelaufenen Lebensmitteln leeren Hundefutterdosen und Schnapsflaschen zertrümmerten Bilderrahmen zerbrochenem Schnickschnack und einem Haufen zerschnittener Frauenkleider.

Angeblich können alle Menschen irgendetwas gut. Ich genoss den Anblick wenn der gemaserte Seifenboden zum Vorschein kam und die Leimfarbe der Holzvertäfelung wieder leuchtete. Genoss es wie das kochend heiße Wasser Essen Fett Erbrochenes und andere Substanzen aufweichte die eine harte Kruste auf Kacheln und Fächern im Kühlschrank und im Vorratskeller gebildet hatten. Genoss es sogar zu sehen wie die kreisende Waschtrommel den Dreck der letzten Monate oder auch Jahre aus Bettwäsche Gardinen Teppichen und Klamotten löste und am Ende alles im Trockenschrank aufzuhängen. Ich würde die Angst meines Bruders so wegputzen wie ich auch meine eigene wegputze. Es war wie Tetris. Die Teile fanden ihren Platz und vertrieben den Versuch an etwas anderes zu denken.

Bror hockte auf der Küchenbank und sah gleichgültig zu. Hin und wieder trank er einen Schluck Bier. Wenn die Flasche leer war ging er in die Kammer und holte eine neue. Vielleicht war ich zu spät gekommen.

Ich hab gehört du hast bei EskilBrännströms übernachtet sagte er.

Meinst du John fragte ich und hoffte er würde weiterreden aber er kniff seinen wortkargen Mund wieder zusammen und starrte weiter in die gefährliche Unendlichkeit.

Ich setzte mich neben ihn. Nahm ihm die Flasche aus der Hand und trank einen Schluck lauwarmes Bier.

Kennst du John fragte ich.

Den kennen doch alle sagte Bror.

Ich nicht sagte ich.

Er wohnt noch nicht so lang hier erklärte Bror.

Kann sein sagte ich und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Du hast nichts zu essen da wir müssen einkaufen.

Er lehnte sich an mich und hätte ich meinen Bruder nicht so gut gekannt ich hätte geglaubt er weinte.

Er stank nach Trauer und Schweiß. Ich legte den Arm um ihn und strich ihm wie früher über das Haar. Alles wird gut sagte ich.

Alles wird gut.

Drei

Ich lenkte den Jeep rückwärts aus der Garage und zurrte die Müllsäcke auf der Ladefläche fest. Bror ließ auf sich warten. Am Ende öffnete er die Tür und die Katze schlüpfte hinaus. Spähte in alle Richtungen ehe sie unter die Vortreppe glitt.

Nach ihr kam Bror mit der Kapuze über dem Kopf. Spähte in alle Richtungen ehe er auf den Beifahrersitz glitt. Fingerte manisch an den Knöpfen herum um die Heizung in Gang zu kriegen.

Seine Haut war hellgrau. Sogar die Sommersprossen waren verblasst. Das Haar fiel ihm in fettigen Strähnen ins Gesicht die er ständig hinters Ohr strich.

Durch den vielen Schnee war es glatt und das Auto schlitterte den Hügel hinab. Beim Abzweig zu EskilBrännströms bremste ich ab und fuhr im Schleichtempo weiter während ich nach Spuren im Schnee suchte. Der Privatweg lag glatt und unschuldsvoll da.

Du weißt nichts über John sagte Bror. Er ist kein schlechter Mensch aber du weißt nichts über ihn.

Nein und er nichts über mich antwortete ich. Tja abgesehen davon dass ich eine Vatermörderin bin aber das wissen wohl alle.

Ja sagte mein Bruder das wissen alle. Tja abgesehen davon dass er nicht starb.

Wie immer glotzten die Leute uns an. Blieben stehen und betrachteten dieses Diptychon ehe sie sich selbst beim Gaffen ertappten und sich wieder den Preisschildern und Haltbarkeitsdaten zuwendeten. Es war ein kleiner ICASupermarkt. Nicht viel größer als ein Kaufmannsladen. Er gehörte nicht der Familie Icander obwohl wir das immer so sagten.

Die Icanders bestanden aus Vater Mutter und Söhnen. Sie arbeiteten hier solange ich denken konnte. Der jüngste Sohn war an die sechzig und außer dass ihm die Haare ausgegangen waren sah er aus wie immer. Er zeigte ehrliche Freude als wir den Laden betraten. Mit Rückkehrern oder Zuziehenden konnte er nicht rechnen. Höchstens mal einem armen Flüchtling mit begrenztem Aufenthaltsstatus. Wahrscheinlich hatten die Icanders sich deshalb nie die Mühe gemacht zu renovieren oder anzubauen. Die Lebensmittel stapelten sich immer noch in hohen Regalen entlang der Wände.

Ich lenkte den Einkaufswagen und versuchte ein paar Tage vorauszudenken. Bror folgte mir stinkend und wie in Trance als er plötzlich Icander den Älteren entdeckte und vor den Stapelwaren stehenblieb.

Zwei Dosen Artischocken hätt ich gern sagte Bror und erhielt einen langen Blick zur Antwort.

Die Artischocken standen ganz oben. Staubig wie Konserven in einem Kriegsvorrat. Der Kaufmann versetzte die Leiter ein Stückchen und kletterte hinauf. Wir standen unten und sahen wie sich die Sprossen unter seinem Gewicht bogen. HerrIcander war nicht fett er war kolossal. Seine Arschbacken wackelten wie Aspik. Der Schweiß strömte seine Wangen hinab. Der Atem pfiff in seinem gewaltigen Brustkorb.

Verdammt flüsterte ich war das wirklich nötig.

Bror grinste boshaft als der Mann wieder Boden unter den Füßen hatte und ihm die Dosen reichte.

Bittschön sagte er. Hoffe sie schmecken genauso gut wie beim letzten Mal.

Wir legten die Waren auf den Tresen. FrauIcander wiederholte den Namen jeder Ware die sie in die Kasse eintippte. Kaffee ja. Seife ja. KisteCola ja. Tampons ja. Apfelsinen ja. Vaxol ja.

Sie hat in einer Apotheke in Schonen gearbeitet sagte Bror.

Was soll das heißen fragte ich aber er antwortete nicht. Inzwischen war er voll und ganz damit beschäftigt einem begriffsstutzigen Alten entgegenzustarren der den Blick nicht von uns abwenden konnte.

Kein Wunder dass man das Einkaufen rauszögert brummelte Bror und packte die Waren in Mutterns selbstgenähte Stofftaschen.

Mich belustigte es manchmal eher ein solches Aufsehen zu erregen ohne etwas anderes dafür zu tun als da zu sein. Auf uns traf fast alles zu was über Zwillinge behauptet wurde obwohl wir zweieiig waren. Wir lasen die Gedanken des anderen und sprachen im Chor.

Was hast du denn Schönes mit den Artischocken vor fragte ich als wir wieder im Auto saßen.

Er zog bloß eine Grimasse.

Mal im Ernst sagte ich. Warum quälst du ihn mit deinen Dosen er hat dir doch nichts getan.

Was weißt du schon darüber antwortete er.

Nichts deshalb frage ich ja.

Bror schaute aus dem Fenster. Vergiss es sagte er am Ende.

Ich fuhr zur Tankstelle um zu tanken und Tabak zu kaufen.

Du bist also wieder zu Hause fragte das Mädchen an der Kasse ohne dass ich mich erinnern konnte ihr je begegnet zu sein.

Ja ich hab gehört du hast bei Papa übernachtet. Was ein Glück dass du dich bei dem Sturm nicht verlaufen hast sagte sie ohne mich anzusehen.

Ja Schwein gehabt antwortete ich. Du bist also seine Tochter fügte ich aus reiner Höflichkeit noch hinzu aber da hatte sie sich schon dem nächsten Kunden zugewandt.

An der Dieselsäule stand Finn mit seinem John Deere. Ins Dorf zurückzukehren war wie in die Truman Show zu kommen. Alles verlief in denselben Bahnen. Die Leute hatten genau dieselben Tagesabläufe. Die Wirklichkeit gestaltete sich wie ein Unendlichzeichen. Dazu gehörte auch Finn mit dem John Deere.

Tolle Farbe sagte ich im Vorbeigehen und er schreckte zusammen als wäre ich in seine Gedanken eingedrungen.

Die Jana sagte er lang nicht gesehen. Sein Gesicht wurde sanfter als er mich wiedererkannte. Er trat ein paar Schritte vor als wollte er mich umarmen hielt dann aber inne und steckte die Hände in seine Overalltaschen. Böse Zungen behaupteten Finn wäre zurückgeblieben dabei war er einfach nur ein bisschen eigen. Er blieb lieber für sich.

Hab ich voriges Jahr gekauft. Wenn du willst darfst du ne Runde fahren oder dich von mir rumkutschieren lassen. Ich wollte gerade bei Olofssons leeren erklärte er und deutete mit dem Kopf auf den angekuppelten Saugwagen.

Nicht heut sagte ich. Ein andermal gern.

Also bleibst du ne Weile.

Mal sehen antwortete ich und ging weiter zum Auto weil ich Angst hatte Bror könnte sich vielleicht nicht mehr lange auf den Beinen halten. Er lehnte an der Tür und rauchte. Ich legte meine Hände auf seinen Rücken und überredete ihn zum Einsteigen. Wir müssen es rechtzeitig zur Deponie schaffen sagte ich.

Du meinst den Recyclinghof sagte Bror. Er öffnete das Fenster einen Spalt und steckte sich eine neue Kippe an.

Ja wie auch immer das neuerdings heißt.

Wurde verlegt erklärte Bror. Ist jetzt unten beim Klärwerk. Montags und donnerstags von sieben bis zwölf geöffnet. In geraden Wochen.

Und in ungeraden Wochen.

Geschlossen antwortete er.

Also wieder nach Hause.

Weißt du noch wie wir mit dem Luftgewehr auf die Müllratten geballert haben fragte ich um die Stimmung aufzuheitern.

Ja das war mal ein Spaß sagte er. Bis du aus Versehen RogerGran ins Bein geschossen hast.

Ich fragte ich. Warst das nicht du.

Du ich ich du. Jedenfalls einer von uns glaub ich.

Eindeutig du sagte ich. Danach haben die Preiselbeermädchen uns mitgenommen. Roger saß weinend neben dir. Hat an der Wade geblutet und den ganzen Heimweg über geflennt.

Roger war schon immer ne Memme sagte Bror.

Zu Hause wie ich den KippoHof nach wie vor nannte räumten wir die Einkäufe in den Vorratskeller. Selbst in dem dunkelkalten Raum wo sich nur Lebensmittel und überwinternde Geranien wohlfühlten herrschte Chaos. Er war anscheinend nicht nur dort gewesen um Zwiebeln oder Kartoffeln zu holen. Ein Aschenbecher voller Kippenstummel stand auf dem Boden und hier und da lagen leergetrunkene Bierdosen herum. Ich fröstelte schon.

Was machst du hier unten fragte ich.

Nachfühlen sagte er. Manchmal hab ich das Gefühl nichts wär echt. Dann komme ich her und setze mich auf den Boden und friere. Fühle nach dass ich friere.

Mein Bruder war gekentert und brauchte Hilfe um sich wieder aufzurichten. Bestimmt aß er kaum was sondern lebte nur von Kippen und Alkohol. Er war mager wie ein Almosenempfänger.

Wir räumten den Müll in die IcaTüte und zwängten uns wieder die steile Stiege hinauf.

Plötzlich wurde mir bewusst dass ich gar nicht an Henrik gedacht hatte. Ich hatte nicht genug Platz für ihn gehabt. Ich beschloss ein bisschen länger zu bleiben als geplant und richtete mich in meinem alten Kinderzimmer ein. Bror lehnte im Türrahmen und sah zu wie ich das schmale Bett frisch bezog und eine zusätzliche Decke darauflegte. Die gleiche rosa Decke wie bei John fiel mir auf. Die beiden waren wohl auf derselben Auktion gewesen.

An den Wänden hingen immer noch die alten Starschnitte gemischt mit Kinderzeichnungen und Bildern die aufgehängt worden waren weil sie irgendwo hängen mussten. Sogar mein kindischer Nippes war noch da. Schlüsselringe Schnecken Katzengold und Steine vom Havastrand auf bestickten Decken. Muttern hatte sie zum Zeitvertreib in solchen Mengen produziert dass mehrere Kartons davon auf dem Dachboden standen.

Man kann sagen was man will aber sticken konnte sie stellte Bror fest. Er verließ seinen Türrahmen und setzte sich ans Fußende des Bettes.

Du bist nicht gekommen als sie krank wurde sagte er. Sie hat nach dir gefragt und ich hab angerufen. Du hättest kommen können.

Ich antwortete dasselbe wie damals als er anrief. Dass ich sie nie wieder sehen wollte weder tot noch lebendig.

Der Wind hatte wieder an Stärke zugenommen und ließ die Wände knacken aber das Zimmer war so warm als hätte es nie kalt gestanden.

Es hat nie kalt gestanden sagte Bror. Sie hat darauf beharrt dein Zimmer warm zu halten für den Fall dass du wieder nach Hause kommst. Ich hielt das für überflüssig habs aber nicht übers Herz gebracht es so zu sagen wies war.

Wie wars denn fragte ich. Wir strichen unsere strähnigen Haare hinters Ohr.

Warum sagten wir Muttern statt Mama Mami Mutti oder vielleicht auch Siri. Ich hatte irgendeine vage Erinnerung wir hätten das aus einer Fernsehserie übernommen und nach all den Jahren konnten wir sie unmöglich wieder umtaufen. Und der Alte wurde folgerichtig zu Vattern wenn wir ihn ein seltenes Mal erwähnten.

Bror stand auf und fragte ob ich was essen oder trinken wolle und dann ging er runter zu sich.

Ich zog mich aus. Kroch unter die rosaglänzende Steppdecke und wollte an die Nacht auf dem EskilBrännströmschen Gustavian denken doch stattdessen dachte ich an Muttern und dass sie nie die Heizung abgestellt hatte. Jetzt lag ich wieder in dem warmen Mädchenzimmer während sie nach einem Schlaganfall verkrüppelt im Heim lag. Irgendwann mal vielleicht sagte ich mir und schaltete mein Handy ein. Leere Anrufliste und Mailbox.

Frau konnte auch selbst anrufen oder eine SMS schicken. Was sollte sie überhaupt sagen. Hallo vielleicht. Oder nett dich kennenzulernen danke für die letzte Nacht tolle Bilder hoffentlich sehen wir uns wieder. Frau konnte es auch sein lassen. Sie hatte ja nicht mal seine Nummer.

Zur Frühstückszeit lag das Haus immer noch im Stillen und obwohl ich den Tisch deckte und Kaffee kochte blieb die Tür von Brors Schlafzimmer geschlossen. Ich drehte den eintönigen Wetterbericht im Radio auf volle Lautstärke. Es sollte ein schöner Tag werden. Der Wind war abgeflaut. Das tropfende Dach verhieß Frühling.

Im Verschlag unter der Treppe fand ich einen Anorak und ein Paar von Mutterns selbstgestrickten Fäustlingen. Sogar ein paar Schnabelstiefel in halbwegs passender Größe gab es. Ich überlegte ob ich mir die Tegsnäs meines Bruders leihen sollte die an der Vordertreppe lehnten. Der Schnee war immer noch tief und zu Fuß erschien mir der Weg langweilig.

Der Schlüssel zum Waffenschrank hing an seinem Haken. Ich öffnete ihn vor allem aus Neugier und stellte fest dass das Interesse meines Bruders für Waffen nicht abgeklungen war. Ich holte eine nach der anderen hervor. Wog die Waffen in der Hand und probierte aus wie sie sich anfühlten. Zielte versuchsweise und verliebte mich in eine neu aussehende Zweihundertzweiundzwanziger.

Ich nahm sie und legte sie an die Schulter um eine Wacholderdrossel ins Visier zu nehmen. Von meinen Zitterhänden abgesehen war der Büchsenschaft vom Gefühl und Gewicht her genau richtig.

Jetzt kannst du höchstens Krähen jagen. Bror stand auf der Vortreppe. Er trat von einem Bein aufs andere. Kriegte seine Augen kaum auf in der Frühjahrswintersonne. Die Schnapsfahne dampfte aus seinem Mund während er redete.

Aber hier gibts nicht mal mehr Krähen. Jedenfalls nicht im Wald.

Schöne Büchse sagte ich ist die neu und er nickte.

Ich dachte du würdest Holzschafte bevorzugen.

Er zuckte die Achseln. Schieß uns ein Schneehuhn.

Trotz des Pappschnees war die Före ganz annehmbar. Ich fuhr auf den Skiern einen Forstweg entlang der für die Hüttenbesitzer geräumt worden war und wo die Wintervögel gerne den Splitt aufpickten den das Räumfahrzeug aufgewirbelt hatte. Die Waffe lag leicht auf meinem Rücken. Die Sonne wärmte mein Gesicht. Mein Gemüt war hell und aufnahmebereit für die geflügelten Wesen die sich zwischen den Bäumen bewegten hauptsächlich Raben.

Nach ein paar Kilometern erreichte ich die Straße und hielt an und lauschte. Die Bäume knackten vor Freude darüber dass die Kälte endlich auf dem Rückzug war. Der Schnee rutschte in Schollen von den Zweigen. Das war der Kindheitswald. Der Kippowald der seine Nadelarme nach meinem Rücken ausstreckte.

Vattern hatte uns das Jagen beigebracht. Die Väter im Dorf die zur Jagd gingen brachten es ihrem Nachwuchs bei. Wir liefen neben ihnen her bis wir alt genug waren um selbst den Schein zu machen. Dann bekamen wir einen eigenen Platz in der Jägergruppe.

Abknallen sollen hätte ich den Scheißkerl anstatt ihn mit einer Heugabel zu durchbohren. Ein sauberer Tod anstelle eines fortgeführten Lebens als wär nichts passiert. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern wie es sich zugetragen hatte oder wollte es nicht. Es gab Erinnerungen an die kam man nicht heran. Es war als würde man ein Bild neben das andere legen und die meisten waren gestochen scharf. Man sieht ihn Muttern schlagen sieht ihn Bror schlagen. Und das nächste Bild ist einfach leer. Nicht weiß sondern glänzend leer wie mit Elsterglanz poliertes Messing.

Etwas flatterte auf. Größer als ein Rabe. Ein Auerhahn war von meiner Nähe aufgescheucht worden und hatte sein Versteck geräumt. Vorsichtig schob ich eine Patrone in den Lauf und bewegte mich langsam zum Ast einer Küstenkiefer in passender Höhe um mich aufzustützen.

Ich sah den Vogel im Visier. Senkte die Waffe damit der Mittelpunkt etwas unterhalb der Brust lag und drückte ab. Verfolgte die letzten Sekunden im Leben des Vogels ehe er im Schnee landete und erstarrte.

Meine langen Skier verhedderten sich im Geäst. Obwohl ich nur knapp fünfzig Meter vom Auerhahn entfernt sein konnte war ich mir unsicher wo er sich befand. Und ich hätte nicht einfach die Skier ausziehen und losstapfen können dann wäre ich im Tiefschnee versunken. Mir blieb nichts anderes übrig als in die wahrscheinlichste Richtung weiterzulaufen und zu hoffen dass die Sonne nicht zu schnell unterging falls meine Suche länger dauerte. Unter meinem Anorak klebte der Schweiß. Meine Strümpfe waren in den Skistiefeln heruntergerutscht und die Fersen aufgescheuert. Vor allem aber wollte ich den Vogel schnell finden um mich zu vergewissern dass ich ihn nicht waidwund geschossen hatte.

Ich war im Zweifel ob ich richtig gelaufen war. Ein weiterer Vogel flatterte auf und ich war nur ein paar Meter von ihm entfernt erschoss ihn aber nicht. Es war eine Henne. Dem Prädator kam ein trauriger Gedanke. Die Henne suchte nach ihrem Partner sonst wäre sie mir nicht so nahe gekommen. Unter einer einsamen Fichte zwischen all den Kiefern lag der tote Hahn.

Ich hob ihn auf. Ein Prachtexemplar von über vier Kilo. Ich nahm ihn in meine Arme wie einen schlafenden Säugling. Sein Körper war immer noch warm.

Vier

Karsamstag. Wir kochten. Standen nebeneinander und unterhielten uns in der Sprache der Stillen. Hackten Gemüse für eine Quappensuppe. Bror füllte sein Weinglas. Bislang blieb sein zunehmender Rausch diskret. Ich nahm den Auerhahn aus. Angeekelt vom Gestank der halbverdauten Kiefernnadeln die aus den Gedärmen ins Waschbecken quollen und angeekelt von meiner Wilderei zog ich die Haut ab und legte sie in den Gefrierschrank.

Ist das bei Auerhähnen so wie bei Schwänen fragte ich Bror aber er schüttelte nur den Kopf.

Gib mir mal den Knoblauch sagte er. Und den Thymian. Anscheinend bist du schon vom Stadtleben verweichlicht. Außerdem ist die Zweisamkeit der Schwäne ein Mythos. Sie sind untreu und sie trennen sich auch. So ist das bei allen Vögeln. Das Huhn schielt nach neuen Hähnen um schönere Kinder zu bekommen. Der Hahn stattet den Nestern in der Nachbarschaft spontane Besuche ab.

Wir waren gleich groß. Wir hatten das gleiche strähnige Haar und strichen es hinter das Ohr. Unsere rotweiße Haut war sommersprossig. Wir lächelten nur selten was schade war denn unsere Zähne waren stark und gerade. Ich fragte mich welche inneren Ähnlichkeiten wir nach wie vor hatten.

Bleibst du lange fragte er und prostete in die Luft.

Was meinst du mit lange fragte ich.

Ich meine ob du vorhattest hier zu wohnen.

Wir schwiegen eine Weile. Ich überlegte was die richtige oder falsche Antwort war und ob es überhaupt eine gab.

Tja antwortete ich defensiv. Keine Ahnung. Ich hatte nichts von dem Job und von Henrik erzählt. Bror hatte mich bislang auch nicht gefragt.

Beim ambulanten Pflegedienst ist eine Stelle frei sagte er. Maria ist vor ner Weile gestorben. Oder gestorben worden.

Was willst du damit sagen.

Nichts antwortete er und versteckte sich hinter dem Geräusch des zischenden Gemüses im heißen Topf.

Wir aßen schweigend. Es war keine unangenehme Stille weil ich hörte was er dachte. Er dachte dass er mich vermisst hatte und wollte dass ich hier wohnte. Wir hatten im Saal gedeckt. Eine mutternbestickte Decke über den Empiretisch gelegt und die Kerzen im Kronleuchter entzündet.

Nach dem Essen steckte Bror sich eine Kippe an und nahm ein paar tiefe Züge.

Dann fingen wir an zu reden. Wir redeten über alles außer das was uns kaputtmachte.

In den frühen Morgenstunden stand mein Laptop mit leerem Akku auf dem Tisch zwischen Weinflaschen und zierlichen Kaffeetassen und Cognacgläsern.

Ich hatte mich online für den Job beim Pflegedienst bei der Kirchengemeinde in Smalånger beworben und auf Senden gedrückt.

Sie müssen ziemlich verzweifelt sein falls sie jemanden einstellen der ihnen um Viertel vor zwei in der Nacht zum Ostersonntag eine schlampige Bewerbung schickt sagte ich und fegte mit der Hand die Krümel zusammen.

Prost. Auf den Pflegedienst und auf Jesus der in seiner Höhle liegt und darauf wartet endlich wiederaufzuerstehen sagte Bror.

Auf uns und auf die KircheJesuChristiderHeiligenderletztenTage sagte ich und torkelte die Treppe hinauf zur WMMannschaft von vierundsiebzig. Neunzehnhundertvierundsiebzig war ich noch nicht mal geboren. Das Poster hatte ich auf einem Flohmarkt gekauft und mit Reißzwecken befestigt. Ich las die Namen wie ein Gebet.

Doch eine Sache hatte ich in dieser Nacht noch zu erledigen.

Ich wählte EinsEinsAchtEinsEinsAcht und bat darum mit JohnBrännström in Smalånger verbunden zu werden.

Er klang nicht sonderlich überrascht.

Danke noch mal lallte ich.

Danke gleichfalls. Gehts dir und deinem Bruder gut.

So mittel antwortete ich und spürte wie müde ich war. Dass mein Rücken vom Skifahren schmerzte und alles Wichtige was ich sagen wollte plötzlich weg war.

Können wir uns sehen fragte ich.

Ja.

Dann legten wir auf. Als ich einschlief lag sein Körper in Gedanken auf meinen knochigen Beinen. Dann rannte ich durch eine Kanalisation wo mir das Wasser bis zur Taille stand und ich wusste da war was woran ich mich dringend erinnern sollte. Mir fiel nur nicht ein was.

Fünf

Der Morgen graute. Wurde zum Vormittag Mittag und Nachmittag ehe ich mich auf die Bettkante setzte und die hellgelbe Tapete mit den Ringelblumenaugen anstarrte. Langsam holte mich der gestrige Abend ein. Ich hatte mich auf einen Job beworben und ich hatte John angerufen. Je klarer mir wurde dass ich mich in einem feinmaschigen Kindheitsnetz verfangen hatte und vorerst ans Dorf gefesselt bleiben würde desto stärker nagte der Bandwurm an meinem Darmfett.

Auf die Furcht folgte der Kater. Ich sank wieder aufs Bett. GeorgÅbyEricson RalfEdström RonnieHellström StaffanTapper OveKindvall und die anderen Fußballspieler blickten auf mich herab. Sie sahen eine jämmerliche Gestalt mit einem Speichelrinnsal im Mundwinkel ausgestreckt auf einem Kinderbett. Die Gestalt schlief wieder ein und als sie das nächste Mal aufwachte kündigte das Licht schon den Abend an.

Ich kochte Kaffee und klopfte bei Bror an. Es war still dort drinnen nicht mal Schnarchen oder Atemzüge obwohl ich das Ohr an die Tür drückte.

Ich beseitigte die Spuren unseres Abendessens und wischte bei der Gelegenheit auch gleich ein paar Schränke aus. Aufräumen fegen aufräumen fegen aufräumen fegen aufräumen fegen in einem fort bis ich mich wieder so klar im Kopf fühlte dass EskilBrännströms möglich schien.

Ich fütterte den Hund und lieh mir den Jeep. Es war eine kurze Fahrt. Eigentlich nur den Hügel runter über die Weggabelung und rechts rein in den Schotterweg.

Das Haus lag im Dunkeln auf dem einsamen Hofplatz. Vielleicht malte er oder schlief. Ich wusste nicht mehr ob wir eine Zeit vereinbart hatten.

Er öffnete nicht und die Tür war verschlossen. Die Menschen hier schlossen nur selten die Tür ab. Wenn doch hängten sie den Schlüssel an einen Nagel neben die Tür oder ließen ihn im Schloss stecken. Hier gab es keinen Nagel und die Tür blieb verschlossen. Zum zweiten Mal an diesem Tag stand ich vor einer Tür und horchte nach Lebenszeichen.

Der Hof lag auf einer kleinen Anhöhe mit Wald im Rücken und Backstube Schober und Stall im Vierkant. Der Hofplatz war bis zum Wirtschaftsgebäude mit einem Traktor geräumt worden.

Ich stakste über den glatten Boden zum Kuhstall. Er sah gut erhalten aus. Keinerlei Hinweise auf abgebrannte Heuböden oder ausgeräucherte Kinderleichen.

Ich schob den Riegel beiseite und trat in den Stallgeruch meiner Kindheit. Kuhstände mit Ketten an gusseisernen Ringen. Kälberstände mit Strohresten wo ich sie vor mir sah. Eintägige Stierkälber auf wackeligen Beinen in der Stunde nach der Geburt von der Mutter getrennt zum Schlachten verdammt. Sah sie vor mir und hörte sie nach der Kuh brüllen. Und ein Stück weiter antwortete die Kuh. Ich steckte die Hand zu ihnen hinein und ließ sie an meinen Fingern saugen. Und dann er. Vattern im Bauernoverall mit über dem Bauch spannenden Knöpfen. Schwarze schwere Stiefel und ein breiter Rücken der immer zu sagen schien hau ab die Kälber müssen eh weg. Mach was Nützliches. Versorg das Vieh.

Meine Augen gewöhnten sich an das schummerige Tageslicht. Spinnweben breiteten sich aus und der hereingewehte Dreck trieb über den Boden im Milchraum. Dem stets klinisch reinen Heiligtum des Stalls.

Ein weißer Kittel hing an einem Nagel. Jetzt grau nach Jahren am Nagel.

Ein zerschlissener Pulli mit ausgefransten Bündchen war über einem Stuhlrücken vergessen worden. Die Milchkannen standen säuberlich aufgereiht. Daneben hing die Melkmaschine mit den Saugbechern. Sie waren über die Euter gestülpt worden und hatten die Kühe im Chor muhen lassen wenn es zu lange dauerte. Ein Ziehen in meinen eigenen Brüsten. Ich stellte mir die Angst vor. Angebunden zu sein und darauf zu warten durch einen Bauern vom Milchstau erlöst zu werden der seinen verkaterten Zorn an den Tieren ausließ.

Wir hatten einen Pakt geschlossen die Tiere und ich. Wie oft hatte ich in ihre zarten Ohren geflüstert sie sollten ihn tottreten. Und sie hatten zurückgeflüstert. Es gibt eine Heugabel mit geschliffenen Zinken.

Ich sah John ehe er mich sah.

Er tastete sich im Dunkeln voran. Stolperte über etwas und fluchte. Ich glitt aus den Schatten hervor. Wir standen in dem engen Melkraum dicht beieinander und irgendwas war mit seinem Körpergeruch. Wenn ich ihn einatmete roch ich nur seine Haut. Keinen alten Kuhmist der nie weggebracht worden war. Er zog mich näher. Unsere Jackenstoffe knisterten aneinander. Hände schlüpften unter den Stoff. Tasteten hastig über seinen Körper. Knipsten mit den Fingerspitzen Erinnerungen an. Die angespannten Arme Schultern der Nacken die unebene Haut an den Schläfen und schließlich das Haar das ich wie Zöpfe zwischen den Fingern zwirbelte.

Er hob mich hoch. Meine Beine hakten sich um seine Hüfte. Die Narbe der hasenschartigen Lippe auf meinem Mund und tanzende Zungen. Seine Augen leuchteten so wie nur schwarz in schwarz leuchten kann denn draußen war der Tag schon ein Abend und die Sterne leuchteten sicher auch.

Alles grob und hart und rau sogar seine Zunge. Aber es strömte Zärtlichkeit aus der Körpermasse die meinen eigenen Körper in ein neugeborenes Kalb mit hungrigem Maul verwandelte. Tat es weh packte er mich zu fest konnte ich atmen. Er wollte nicht loslassen und ich wollte nicht frei sein. Als uns die unausweichliche Kälte einholte gingen wir zurück zum Haus. Der Mond kam zum Vorschein. Begleitete uns über den vereisten Hofplatz.

Wo warst du fragte ich später als wir auf dem Gustavian lagen und wie Neugeborene unsere Gesichter erforschten.

Auf dem Heuboden antwortete er.

Dem niedergebrannten.

Ja. Dann habe ich ein Geräusch gehört und dich entdeckt. Oder du mich.

Ich wusste nicht dass du eine Tochter hast sagte ich.

Nein. Woher solltest du das auch wissen erwiderte er.

Und selbst fragte er und ich stand vor einer Entscheidung. Ich konnte es leugnen und weitermachen wie vorher. Oder ja sagen und einen Teil von mir ans Licht bringen den es nicht gab.

Ich wurde in die Wärme gezogen und kämpfte mit meinen Gedanken. Stränge die ständig vibrieren mussten aber so funktionierte mein Gehirn. Es arbeitete fleißig und machte nur selten Pausen. Jetzt dachte es an Vattern und es dachte an ein Kind.

Wir küssten uns wieder. Küssten in dieser Nacht so viel dass unsere ungeübte Haut wundgerieben wurde und da küssten wir noch mehr. Und unsere Geschlechter. Scheuerten und schmerzten und holten neue Kraft aus übervollen Quellen mit Speichel und Körperflüssigkeiten.

Dann schliefen wir oder schliefen wir gar nicht ich weiß es nicht mehr. Falls wir geschlafen hatten war sein Körper so nah und warm und verschwitzt gewesen dass ich am Ende nicht mehr zwischen mir und ihm unterscheiden konnte.

Ich sollte mich noch an diese Nacht erinnern. Sie hervorholen und in der Hand halten wie ein zerbrechliches FabergéEi.

Du und ich sagte er. Eine binäre Waffe.

Sechs

Es wurde hell. Ich musste nicht auf die Uhr sehen um zu wissen dass es vier war. Der Bandwurm hatte Hunger und ich kroch vorsichtig vom Gustavian um niemanden zu wecken. Eine Weile blieb ich daneben stehen und betrachtete die schwarzen Locken auf dem Kopfkissen wie ein Engelsbild. Ein Bild von vielen. Zufällige Verbindungen ohne Namen oder Gesichter die kamen und gingen.

Unter der Treppe war ein Badezimmer eingezwängt. Ich fand ein langärmliges Shirt das ich als Nachthemd überzog. Setzte mich auf den schwarzen Bakelitring und versuchte meine Gedanken zu sammeln doch es funktionierte nicht. Der Bandwurm nagte immer noch leise obwohl ich mich auf neutrale Dinge wie Flüssigseife Vademecum Pepsodent Gallseife Rasierschaum und Timotei zu konzentrieren versuchte.

Als ich pinkelte brannte es zwischen den Beinen. Mein gesamtes Becken schmerzte. Lautlos öffnete ich den Badezimmerschrank um zu sehen was ein Mann wie John in seinen Verstecken verbarg wurde aber enttäuscht. Keine interessanten Medikamente oder exklusiven Frauenparfüms auf den gläsernen Regalbrettern. Nur eine einsame Flasche AquaVera ein Paket Zahnbürsten von Coop und ein Rasiermesser mit Perlmuttgriff. Das Badezimmer hätte eine Grundreinigung vertragen können. Es juckte mir in den Fingern aber der schwarze Klinkerboden aus den Sechzigerjahren war eiskalt und ich sehnte mich zurück zur Wärme auf dem Gustavian.

Er lag halb aufgerichtet auf der Seite. Stützte seinen Kopf auf den Ellbogen folgte mir mit seinen komischen Kafkaaugen vom Bad zum Sofa ehe er für mich beiseiterückte. Der Kontrast zwischen dem frostgebeutelten Bad und seinem warmen Körper ließ mich erschauern. Ich drückte mich an seinen Körper. Überall Haar. Gelockt auf Kopf Brust Beinen Armen Bauch. Sogar seine Füße waren behaart wie die eines Primaten. Es kitzelte in der Nase. Ich bekam es in den Mund. Und weiter unten spürte ich wieder sein Geschlecht an meinem Bauch wachsen. Die Fingerkuppen der freien Hand strichen leicht über meine Haut. Riefen einen anderen Schauer hervor als Kälte und Wärme. Es dauerte lange. Eine Ewigkeit bis sie meinen Schoß erreichten der mehr wollte sosehr es auch schmerzte und brannte.

Ich hatte eine Tochter sagte ich anschließend weiß aber nicht wo sie ist. Sie wurde gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben und es war besser so.

Besser für wen fragte er.

Für meine Mutter nehm ich an und für mich auch. Ich war jung und konnte mich nicht um sie kümmern. Ein Kind das sich um ein Kind kümmert.

Dann mussten wir eingeschlafen sein. Wir wurden von einem Hämmern an der Tür geweckt und Brors Stimme die wollte dass wir aufmachten. Die es verlangte. Seine Worte im Auto auf dem Weg zum Laden waren hängengeblieben und jetzt kamen sie wieder näher. Du weißt nichts über John.

Habt ihr irgendein Hühnchen miteinander zu rupfen fragte ich und sah dass John etwas sagen wollte. Doch stattdessen stand er auf und schlüpfte in seine Jeans. Mit seinem haarignackten Oberkörper erinnerte er bei Tageslicht an einen Gorilla der am liebsten auf allen vieren gelaufen wäre.

Ja doch rief er ungeduldig in Richtung Tür. Ich schloss mich im kalten Badezimmer ein.

Wo ist sie hörte ich Brors hitzige Stimme und zögerte ob ich antworten sollte.

Reg dich ab sagte John. Jana ist erwachsen und trifft ihre eigenen Entscheidungen.

Jana ist zerbrechlich und braucht dich nicht brüllte mein Bruder aus vollem Hals und hämmerte gegen die Klotür.

Zerbrechlich. Was war das für ein Wort. Ich hätte hinausgehen und ihn beruhigen sollen. Gleichzeitig war ich neugierig worüber sich die beiden anschreien würden. Sie teilten irgendetwas von dem ich nichts wusste und deshalb sagte ich nichts.

War es das Schluchzen meines Bruders was ich jetzt hörte oder war es Johns. Nein es war Bror.

Du hast sie umgebracht sagte er mit tränenerstickter Stimme. Du hättest es selbst verdient zu sterben du Arschloch.

John sagte nichts. Verteidigte oder erklärte sich nicht. Ich schloss auf und kam raus. Und da. In Johns Arme gegossen stand Bror und weinte an seiner Brust. Es war als würde ich außen stehen und mich selbst betrachten. Maria schluchzte er meine Maria. Den Mund wahrscheinlich voll schwarzem Kraushaar.

Als er sich beruhigt hatte ließ John ihn los. Er hatte eine Schramme am Arm und blutete leicht. In Brors Hand sah ich irgendeinen Gegenstand aufblitzen. Kein Messer sondern einen Korkenzieher.

Was machst du sagte ich und entwand das Ding seiner verschwitzten Hand. Hast du ihn mit einem Korkenzieher attackiert. Bror sah zu Boden die fettigen Strähnen im Gesicht.

Kommst du sagte er.

Ich fahr dich nach Hause sagte John und Bror protestierte nicht. Ließ sich die Treppe runterführen und in den Jeep hinein.

Ich selbst blieb auf den Stufen stehen ohne zu begreifen was gerade geschehen war.

Vielleicht sollte ich ein Feuer machen dachte ich. Und Kaffee kochen.

Die uralte Küche war verwirrend. Es gab nur einen gusseisernen Ofen nicht mal einen Kühlschrank. Hinter dem Handgriff an der Kachel über dem Herd musste sich die Ofenklappe verbergen. Ich öffnete die verschiedenen Luken. Versuchte zu verstehen wo das Holz hineinmusste. Die unterste schien am logischsten. Ich schob ein paar Scheite hinein und besprenkelte sie mit Benzin. Das Feuer entwickelte sich schnell. Ich fütterte den Herd mit neuem Holz sobald das alte Feuer gefangen hatte. Langsam breitete sich die Wärme über den kalten Boden und auf die Wände aus.

Als John zurückkam hatte die Kanne gerade geblubbert.