Mein Hund ... und ich - Martina Meier - E-Book

Mein Hund ... und ich E-Book

Martina Meier

0,0

Beschreibung

Du hast die Möwen gejagt. Du hast die Blockflöten gefressen. Du warst meine treueste Begleiterin in schlimmer Zeit. Du warst mein Engel mit Fell. Wir haben sie gesammelt, die schönsten Geschichten über den besten Freund des Menschen, den Hund. Ob klein oder groß, Rassehund oder Promenadenmischung, all unsere Geschichten drücken die große Liebe ihres Besitzers zu seinem Tier aus und viele auch den Schmerz, den sie empfinden, wenn das Tier über die Regenbogenbrücke gehen muss. Manche Geschichten sind wahr, andere der reinen Fantasie entsprungen, einige wurde von ganz jungen AutorInnen geschrieben – wir sind sicher, dass sich jeder Hundeliebhaber in diesem Buch in irgendeiner Form wiederfinden wird ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 712

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



o

Mein Hund ... und ich

Geschichten über den besten Freund des Menschen

Martina Meier (Hrsg.)

o

Impressum

Besuchen Sie uns im Internet: papierfresserchen.de

Herausgegeben von CAT creativ - cat-creativ.at

Lektorat und Gestaltung

im Auftrag von

© 2021 – Papierfresserchens MTM-Verlag

Mühlstraße 10 – 88085 Langenargen

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2021

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Coverbild: © andreapetrlik – Adobe Stock lizenziert

Hundebilder Martina Krenn: © Karin Wiedner Fotografie

alle anderen Hundefotos und -illustrationen: privat.

ISBN: 978-3-99051-028-5 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-029-2 - E-Book

*

Inhalt

Vorwort

Als ich dich das erste Mal sah - Eine Liebeserklärung an Crazy, meinen Hund!

Als ich dich das erste Mal sah -Eine Liebeserklärung von Crazy, meinen Hund, an mich!

Der Dacksi-King

Hallo du ...

Paula und Thor

Mensch, Mäxchen

Bruno erhebt sich

„Mein“ Hund und ich

Osti vom Hause Weiß

Rasmus

Auf den Hund gekommen

Die süße Lucky Tagebuch einer Anfängerin

Peppi, das Kurzbein

Der Staubsauger

Das Turnier

Leb wohl, mein Freund

Die Wahrheit über den Hund

Lord

Bolli-Bärchen rettet den Abend

Die große Reise

Friedrich

Charlies unvergessliche Weihnacht

Der Riesenschnauz

Ein tolles Team

Anales Inferno

Nie wieder

Der Streuner

„Sitz! Und bleib!“

Unfreiwilliger Held

Lunas Abschied

Das Morgenrudel

Zu Hause

Barbarossa vom Hohenzollern

Auf den Hund gekommen

Der Hund am Straßenrand

Moppel

Hundeliebe

Liebe bis in den Tod

Schnaps und Whiskey

Lex – Leben eines Stallhundes

Sandra hält Hof

Auf den Hund gekommen ...

Überraschung des Tages

Im Homeoffice

Romy und der Tag, der alles änderte

Maxi und der grimmige Nachbar

Achtung, hier bellt die Pollyzei!

Benni findet einen Schatz

Mein Hund ist gern im Vordergrund

Pluto

Anton und Pünktchen

Pepa - Gott fügt hinzu

Schnauzerleben-Motto

Hundselend

Max und Moni

Eine Hundegeschichte in sieben Streichen

Das Familien-Dreamteam

Gedanken einer Hundebesitzerin ... deren Vierbeiner dringend nachts raus musste

Raten Sie mal ...

Der Schuhdieb

Cognac auf Abwegen

Engel mit Fell

Theo - Lebensretter und Hobbygärtner

Dagmar und Max

Aller Anfang ist schwer

Vivian - ein Nachruf

Lous Schulhündingeschichten - Oder: Ich fühle mich pudelwohl in der Schule

Rocky und die Pups-Salami

Abschied von einem treuen Freund

Mein Hund und ich Gedicht für unseren Hund Ilko

Hundeblicke

Melody

Ein Nachmittag im Licht

Der neue Hund

Und täglich grüßt das Hundetier

Murphys Law

Unsere tiefe Freundschaft

Hommage an einen echten Freund

Hunde-Momente

Jupp, der Bulldackel

Jetzt und hier

Sternen-Augen

De mil leches

Des Dackels guter Riecher

Eine heiße Spur?

Unser Hund Charlie

Wenn Erwachsene Versprechen brechen

Die Suche

Leo

Bello Mafioso - Schnüffelalarm auf dem Campingplatz

Von Pizza Hawaii und anderen Liebschaften

Lebenslinien

Collie XL

Halunke

Lala-Land -Entwicklung einer beaglespezifischen Verhaltensstörung

Tierischer Dialog

Führ(er)scheinchaos

Verwechslung

Mein Hund, der nicht mein Hund wurde

Mein Herrchen und ich

Doggystyle-Office

(K)ein Leben ohne Hund

Nachruf auf eine Dame

Ein unvergesslicher Tag

Jimmy

Lass mich gehen - Für Ty

Pfützenhüpfer

Ein verträumter Morgen aus der Hundeperspektive

Sokkadis - Herzhund

SMS an Bordsteinkanten

Idefix

Der Hund als Vorbild

Rex, unser Dreckspatz

Kinder schreiben für Kinder

Held auf vier Pfoten

Jack und Pepe – Kumpel in Bademänteln

Eine Entführung, die keine ist!

Ein Tag mit Omi und Coco

Mein Pudel Rosi

Wer bin ich?

Rickys Märchenfund

Kahl und Buddy

Hunde und die Umwelt

Cassy, ein süßer Hund fürs Leben

Leilas Abenteuer – und meins auch

Heldenhund Daniel

Zwei Spürnasen unterwegs

Buddy und ich

Paul und der Wunderhund

Eine unheimliche Begegnung

Der blutende Hundeschreck

Der große böse Wolf

Der kleine Hund Flecki, der einen Freund fand

Die wilde Hunde-Runde

Mein Hund Lilly

Rocky und das Durcheinander nebenan

Ich will ’nen Hund!!! - Diese Geschichte hat sich in echt zugetragen

Ich und Veldo im Labyrinth

Mein Helfer auf vier Pfoten

Teo und ich werden Polizisten

Laura und der kleine Hund

Mein Hund Akila und ich

Neue Ausschreibung

Impressum

*

Vorwort

Eigentlich sind wir auf Drachen spezialisiert, denn ein Drache ist unser Verlagsmaskottchen. In den zurückliegenden Wochen und Monaten aber haben wir uns zu wahren Hundeexperten in der Verlagsredaktion entwickelt, denn wir haben Hunderte Beiträge gesichtet, gelesen, korrigiert und schließlich in dieses Buch gebracht. Geschichten über wahre Hundefreundschaften, Geschichten von Hunden, die über die Regenbogenbrücke gehen mussten. Geschichten von Kindern, die sich nichts sehnsüchtiger wünschten als einen treuen Begleiter auf vier Pfoten.

Unser Verlagskater Sammy konnte da das ein oder andere Mal schon eifersüchtig werden, wenn wieder einmal jemand sagte: „Ach, wie süß, hör doch mal ...“, und dann eine tolle Passage aus einem der eingereichten Autorenbeiträge vorlas.

Ja, es hat Spaß gemacht, die vielen Texte zu bearbeiten und wir hoffen, dass es Ihnen ebenso viel Spaß machen wird, die Geschichten zu lesen. Wir haben uns wieder bemüht, ein breites Spektrum auszuwählen, und haben auch dieses Mal wieder die Geschichten der Kinder, die sie für andere Kinder geschrieben haben, mit in diesen Band integriert.

... und wer dann immer noch mehr Lust auf Hundegeschichten hat, dem sei das Buch des Hundeexperten Udo Ingenbrand „... weil Hunde wahre Helden sind – Geschichten, die das Leben schrieb“ (ISBN 9783960744207) ans Herz gelegt.

Nun aber viel Freude beim Lesen von Mein Hund ... und ich.

Ihre

Martina Meier

Verlegerin

*

Als ich dich das erste Mal sah

Eine Liebeserklärung an Crazy, meinen Hund!

Haben Sie sich schon einmal im Leben etwas ganz innig gewünscht? Etwas, wovon Sie genau wussten, dass es Ihr Leben verändern würde? Ich hatte diesen Wunsch. Viele Jahre lang.

Und dann kam der Tag der Tage … es war so weit. Ich hab mich auf die Suche nach dir gemacht. Ich bin zahlreiche Kilometer zu unterschiedlichen Züchtern gefahren, habe Hundeausstellungen besucht, mich mit Freunden getroffen, die schon mit einem Hund zusammenleben, nur um genau dich zu finden.

Vor zehn Jahren war es dann so weit! Viele Stunden Autofahrt haben mich zu dir geführt, als ob du nach mir gerufen hättest. Tief in Ungarn, mitten im Wald hast du auf mich gewartet. Um in Zukunft mit mir durch Dick und Dünn zu gehen, um lustige und traurige Zeiten zu erleben, gemeinsam!

Ein kleiner, dicker rotbrauner Magyar Vizsla-Welpe (Ungarischer Vorstehhund / Jagdhund) mit den schönsten Augen, das warst du. Natürlich der traumhafteste und allerschönste Hund auf Erden! Auch deine Geschwister waren allerliebst, Welpen halt. Tollpatschig lustig, verspielt … Obwohl du der moppeligste aus dem Wurf warst – kein Wunder, du bist ja auch permanent an der Zitze deiner Mama gehangen – wussten wir zwei sofort, dass wir zusammengehören. Gibt es so was wie Liebe auf den ersten Blick?

Beim zweiten Besuch habe ich dich dann abgeholt. Wir haben vor Ort noch gespielt und gekuschelt und anschließend hast du die ganze Fahrt in dein neues Leben verschlafen. Schon die erste gemeinsame Nacht haben wir kuschelig zusammengerollt im Bett verbracht. Uns gegenseitig Wärme und Geborgenheit geschenkt. Du hast nie nach deinen Geschwistern oder deinen Eltern gesucht oder gar geweint. Wie auch, du hast ja auf mich gewartet!

Und ich war und bin für dich da!

Du bist sofort der Star der österreichischen Hundeszene geworden. Crazy – the dog! Das Maskottchen bzw. der Chief of Security von meinem Hunde-Lifestylemagazin Crazy4dogs. Was du erlebt hast, konnten alle Hundeliebhaber in Österreich regelmäßig im Magazin nachlesen.

Seit zehn Jahren sind wir nun täglich 24 Stunden zusammen. Du liebst alle Menschen. Die großen und ganz besonders die kleinen. Du liebst deine beiden Mitbewohner, unseren Kater und würdest auch sonst nie einem anderen Lebewesen etwas antun. Also würde man dein Wesen auf einer Skala von 0 bis 10 beschreiben, würdest du von mir natürlich glatt eine 10 plus bekommen.

Ich habe in meinem Tiermagazin Crazy4dogs mal einen Artikel über den schönsten Tag im Leben meines Hundes geschrieben. Darüber, dass du nie alleine bleiben möchtest, nicht weggesperrt, alleine oder gar in einem Zwinger, da du auch ein sehr soziales und vor allem sensibles Wesen bist! Dass du auch gerne mal etwas naschen möchtest und dich sehr über das eine oder andere Leckerli freust. Du hast ja keine Hände und kannst dir selbst nichts nehmen. Dass du gerne Artgenossen treffen möchtest, mit denen du ausgelassen spielend über Wiesen laufen kannst. Gemeinsam mit mir auf Urlaub fahren, ob ans Meer oder Wandern, egal, Hauptsache, du kannst dabei sein! Du möchtest nicht grob behandelt werden, du magst lernen und verstehen, was wir Menschen von dir verlangen. Du willst geliebt werden, denn du hast so viel Liebe zu geben! Du bist ein Familienmitglied und das behandelt man mit Respekt! Du möchtest lernen und vor allem deinen perfekten Geruchssinn einsetzen können. Mit mir die Natur zu genießen, gehört zu deinen Highlights. Raus in die Stadt, den Wald oder auf die Wiese, egal bei welchem Wetter. Und dein Traumtag sollte jeden Tag so aussehen, ein Hundeleben ist zu kurz, um einen schlechten Tag einzuschieben!

Und wenn du eines Tages über die Regenbogenbrücke gehen wirst, wird es mir das Herz brechen. Aber das ist der Lauf des Lebens. Wir kommen hier alle nicht lebend raus. Nur gehen manche früher und mache später. Aber wenn es so weit ist, dann darfst du sanft, geborgen und geliebt in meinen Armen einschlafen! Ich werde dich nie vergessen und mich immer daran erinnern ... als ich dich das erste Mal sah!

Martina Krenn, Herausgeberin und Chefredakteurin der Magazine all4pets und crazy4dogs, Fürstenfeld, Österreich.

*

*

Als ich dich das erste Mal sah

Eine Liebeserklärung von Crazy, meinen Hund, an mich!

Meine liebe Hundemama. Ich bin so froh, dass ich von dir adoptiert wurde! Ich war noch ganz winzig und mehr mit dem Aufsuchen der Zitzen meiner Mama beschäftigt … Ja, das ist mir bis heute geblieben, ich esse für mein Leben gerne! Aber als du mich das erste Mal auf deinen Schoß gesetzt hast, habe ich mich sofort wohlgefühlt.

Ich habe dich dann einige Zeit nicht mehr gesehen, erst als du wieder gekommen bist, um mich abzuholen. Das war eine Freude! Ich habe mich von meinen Geschwistern verabschiedet und war sehr aufgeregt. Ich bin dir keinen Schritt von der Seite gewichen. Die Familie, bei der mein Hundepapa und meine Hundemama lebten, hat für dich und mich einen wundervollen und unvergesslichen Abholtag kreiert. Wir sind zu einem großen See in der Nähe gefahren, denn du wolltest den Moment in Bildern festhalten. Dort haben wir gespielt, gekuschelt und uns ausgiebig beschnuppert.

Ein paar Stunden später sind wir dann in meinem neuen Zuhause angekommen. Ich hab halt die ganze Reise verschlafen, so müde war ich nach diesem aufregenden Tag.

Brigitte, die liebe Fotografin und Hundemama von Scarlett und Lolita, hat mein Ankommen in Bildern festgehalten. Im Garten von meinem tollen neuen Bett und von den vielen Spielsachen, die alle nur mir gehörten … und dann bin ich in deinen Armen eingeschlafen.

Die nächsten Tage durfte ich alles in aller Ruhe kennenlernen. Den großen Garten, die beiden pelzigen Mitbewohner, die Kater und bei den aufregenden Spaziergängen konnte ich auch schon erste Freundschaften schließen. Zu meinen absoluten Lieblingsfreundinnen gehörten ab sofort die beiden Hundedamen Scarlett, eine Setterhündin, und Lolita, auch ein Magyar Vizsla wie ich. Wir haben sofort Freundschaft geschlossen. Unsere gemeinsamen Urlaube, die aufregenden Fotoshootings in den Weinbergen, unsere spannenden Wandertouren am Arlberg oder das Planschen in diversen Seen werde ich nie vergessen. Wenn ich mir einen perfekten Hundetraumtag wünschen dürfte, dann wäre das eigentlich wie jeden Tag! Einen abenteuerlichen Morgenspaziergang, einen kurzen Mittagswalk, eine gemütliche Nachmittagsrunde und einen ausgedehnten Abendausgang. Am besten mit viel Spannung, Unterhaltung, Freunden, sodass ich dann hundemüde in mein Kuschelbett falle. Dazwischen gibt’s natürlich viel gutes gesundes und abwechslungsreiches Futter für mich, sodass ich satt werde und auch einiges für meine Zähne zum Knabbern habe.

Und weißt du, Mama, es wird der Tag kommen, an dem ich über die Regenbogenbrücke gehen muss. Ich mache das nicht, weil ich dich verlassen möchte, sondern weil es so vorbestimmt ist. Ich möchte dann in deinen Armen einschlafen dürfen! Wie jede Nacht! Und ich werde dann davon träumen ... als ich dich das erste Mal sah!

Crazy – the dog! Das Maskottchen bzw. der Chief of Security des Hunde-Lifestylemagazins Crazy4dogs.

*

Der Dacksi-King

Der Rauhaardackel pflügte ein paar Meter vor uns energiegeladen, beständig und schnaubend durch das gelb-rot gefärbte Herbstlaub. Die Blätter raschelten, während er unbeirrt seine Schneise durch den Waldweg schlug. Mit seinen kurzen krummen Beinchen und den wippenden Ohren sah der Dackel von hinten – genauer gesagt, von unserem Ausblick auf ihn – wie die Mini-Ausgabe eines kleinen Afrikanischen Elefanten aus.

„Das muss ich unbedingt mal filmen“, kicherte meine Schwester. „Der sieht immer soo lustig aus!“

Ich stimmte sofort zu. Ich hatte Bruno vom ersten Moment an in mein Herz geschlossen. So wie unsere ganze Familie.

Wenn Bruno glaubte, zu weit von uns entfernt zu sein, blieb er mitten in den Blättern stehen, drehte sich um und schnaubte empört. Der Grund für seine Entrüstung: Wir waren einfach zu langsam für ihn und schlenderten für seinen Geschmack viel zu lässig hinter ihm her. Manchmal ließ er sich herab, zu uns zurückzutippeln. Dann wurde ich meistens mit einem energischen Grunzen aufgefordert, Hundecracker auszugeben.

Von Anfang an war ich seine Leckerchentante, seitdem meine Schwester Bruno nach der spontanen Rettungsaktion das erste Mal nach Hause gebracht hatte. Er tauchte regelmäßig bei einer ihrer Nachhilfeschülerinnen im Garten auf und stoberte am Koiteich herum, laut grunzend mit zerzaustem Bart und verfilzten Pfoten. Meine Schwester fand dies zufällig heraus, weil sie im Sommer immer auf der Terrasse im Garten lernten. Und dort tauchte Bruno plötzlich auf, indem er durch die Hecke schnaubte und schnurstracks zum Teich stratzte.

Ihre Nachhilfeschülerin zuckte nur die Achseln und erklärte: „Der gehört keinem. Wir haben schon überall gefragt. Wir wollen den nicht, aber er kommt immer wieder.“

Also nahm meine Schwester ihn kurzerhand mit, nachdem sie sich dem Dackel vorsichtig genähert hatte, seine traurigen Augen gesehen und sofort gewusst hatte: nur mit dem Dackel, auf keinen Fall ohne. Niemand protestierte, als sie ihn einfach einpackte. Bruno tippelte sofort glücklich hinter ihr her.

Für alles, was er uns mitteilen wollte, verfügte er über unterschiedliche Laute. Wenn ihm etwas nicht passte – und schlussendlich war er ein Dackel, ihm passte so einiges nicht –, schnaubte er empört. Das tat er, je älter er wurde, immer öfter. Im Alter eignete er sich eine Art Dauerempörung an, die er uns stetig und ständig mit lautem Schnauben und gegurrtem Gejaule in verschiedenen Tonlagen mitteilte.

Wenn er Leckerchen haben wollte, grunzte er auffordernd. Und das nicht zu knapp. Er konnte minutenlang hinter jedem herdackeln, wenn man versuchte, ihn zu ignorieren. Denn man hatte immer die mahnenden Worte der kleinen Schwester im Ohr: „Gib ihm bitte nichts mehr, er wird sonst zu fett!“

Bruno hatte nämlich nicht nur eine große, stetig weiterwachsende Warze mitten auf dem Dackelköpfchen, sondern auch einen ziemlich schwerwiegenden Herzfehler und eine stark ausgeprägte Epilepsie. Gegen beides musste er dauerhaft und mit dem Alter immer mehr Medikamente nehmen. Deshalb war er auf Dauerdiät, damit er sein treues Hundeherz nicht noch durch Übergewicht belastete. Wegen seiner Vorliebe für Leckerchen nannte meine Schwester ihn irgendwann Dacksi-King, in Anlehnung an einen bekannten Schokoriegel.

Der Dacksi-King war von Zeit zu Zeit in Erzähllaune. Damit gewann er nicht nur bei uns regelmäßig Aufmerksamkeit. Besucher und Freunde fanden dies ebenso amüsant, wenn er, wenn man gerade auf den Weg in den Keller war, um Getränke zu holen, sich vor uns stellte und anfing, im Wechsel mal hoch, mal tief zu schnauben, melodisch zu jaulen oder zu fiepen und zu gurren, mitunter minutenlang. Ganz so, als ob er uns von seinem ereignisreichen Tag erzählen wollte. Wenn man ihm antwortete und ihm über den Kopf streichelte, um über ihn hinwegzusteigen und zu gehen, lief er hinterher und erzählte weiter – und es kam oft vor, dass er seine Geschichte noch weitererzählte.

Als er später ein alter, aber fröhlicher Dacksi-King mit einem stark ergrauten Bart war, nahmen die Erzählungen nahezu epische Ausmaße an. Er folgte einem durch die Küche, hinunter in den Keller, wieder hoch in die Küche und ins Wohnzimmer und auch auf die Toilette. Währenddessen sprach er ohne Unterlass, und wenn man ihn unterbrach, wurde das Gegurre, Geschnaube und Gejaule ein Stückchen lauter.

Aber all das konnte unsere Liebe zu ihm nicht trüben. Auch nicht, dass er eines Tages eins der geliebten Zwergkaninchen meiner Schwester jagte und zu Tode erschreckte. Meine Schwester erwischte ihn mit dem toten Freddi vor dem Käfig, Widderkaninchen Emmi hielt sich panisch in der Ecke versteckt und ließ verschreckt die Ohren ein Stück mehr hängen als für Widderkaninchen üblich. Der Dacksi-King hatte kurz, aber heftig seine dunkle Seite gezeigt: Ein Jagdhund blieb eben ein Leben lang ein Jagdhund.

„Er kann ja nichts dafür“, schluchzte meine Schwester ins Handy. „Das ist sein Instinkt, und er hat bei mir jeden Tag seine Beute vor Augen.“

Ich, an dem Abend auf der Autobahn unterwegs, war extra auf einen stockdunklen Parkplatz gefahren, als sie mich anrief, und hörte mir die Geschichte schweigend an. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Dacksi-King tat mir furchtbar leid, weil er nicht aus seiner Haut konnte, Freddi tat mir furchtbar leid, weil er das Opfer seines Instinkts geworden war, und meine Schwester tat mir furchtbar leid, weil sie beide Tiere liebte und die Schuldige, die die Tür zu den Kaninchen offen stehen gelassen hatte, ihre beste Freundin war. Eine verzwickte Situation.

Heute ist Dacksi-King seit vielen Jahren im verdienten Hundehimmel – genauso wie Freddi und Emmi im Kaninchenhimmel. Die Videos, die wir damals vom kleinen Afrikanischen Elefanten gemacht haben, schauen wir uns ab und an an. So schlägt er wiederholt seine Schneisen durchs kniehohe Herbstlaub, mit wippenden Ohren und wackelndem Dackelköpfchen. Nur unterbrochen davon, wenn er abrupt stoppt, seine Ohren spitzt und, ganz Jagddackel, aufmerksam nach Winterhasen, Füchsen und Winterkaninchen lauscht. Im Hintergrund hört man jedes Mal von Neuem meine Schwester, wie sie plötzlich laut und energisch schreit: „Bruno, neiiin! Neiiiin! Das machst du jetzt nicht! Bleibst du wohl hier!“ Und flupp, verlässt der Dacksi-King das Sichtfeld, bellt aufgeregt, man hört das Laub laut rascheln, meine Schwester energisch und laut den Dackel rufen. Und das Handybild wackelt, bis es schließlich schwarz wird.

Sara Schraeder

*

Hallo du ...

Ich bin Harrison, ein mittelgroßer Mischlingshund. Ich habe weißes, zotteliges Fell und schwarze Schlappohren. Ich trage einen roten Schal wie auf dem Foto, das dieser E-Mail anhängt. Der Mann neben mir ist mein Herrchen Rocko.

Wir beide lieben es, mit dem Auto durch die Gegend zu fahren. Rocko sieht auf dem Foto ein bisschen gefährlich aus. Ja, er hat eine kräftige Statur, aber du kennst ja sicher das Sprichwort: „Harte Schale, weicher Kern.“

Dennoch, wir haben Mist gebaut. Das heißt, Rocko – und ich habe mitgemacht. Ich möchte dir alles schreiben und deine Meinung dazu hören. Kannst du mir zurückschreiben? Darüber würde ich mich sehr freuen!

Frau Else krault mir den Kopf. Die alte Dame hat mich in ihr Herz geschlossen. Auch die anderen Senioren sind lieb zu mir. Aber der Rocko hat es schwer.

„Herr Kayser, bitte halten Sie ihre Füße ruhig!“, ruft er dem alten Herren in das Ohr, auf dem er noch halbwegs hört. Beim Versuch meines Herrchens, Herrn Kaysers Schnürsenkel auseinanderzuknoten, ruft der alte Mann im Rollstuhl: „Nein, böser Mann, ich will das nicht! Frau Müller, Frau Müller, kommen Sie sofort, Frau MÜLLER!“ Jeden Morgen bindet Herr Kayser die Schuhe falsch zu und Rocko knotet sie geduldig wieder auf.

Das kennst du bestimmt. Die verbotenen Dinge machen am allermeisten Spaß. Ich erinnere mich, als Rocko noch in die Schule ging und seine Eltern arbeiteten. Dann war ich allein zu Hause. Einmal habe ich eine Klopapierrolle abgerollt und die Blätter vorsichtig vom Erdgeschoss ins Obergeschoss balanciert. Ich stellte das so geschickt an, dass kein Blatt abriss. Das Klopapier lag überall dort, wo ich langgelaufen war. Zurück blieb eine Treppenklopapierautobahn.

„Harrison!“, rief mein Herrchen und lachte.

Oder als ich die Schokolade aus Rockos Nachtschränkchen stahl. Hm, wie gut sie schmeckte! Mit meinen wuchtigen Pfoten gelang es mir nicht, das Papier zu trennen. Ich aß die ganze Tafel auf einmal, samt Verpackung. Ein paar Tage später sagte mein Herrchen, ich könne froh sein, nicht zum Tierarzt zu müssen. Die Folie hätte meinen Magen verstopfen können. Zugegeben, ich hatte in der Nacht darauf Bauchschmerzen. Am meisten Spaß hatte ich mit einem Federkissen. Ich zerbiss es und all die Federn wirbelten durch die Luft wie bei einem Schneesturm. Mein Herrchen war aufgebracht und zugleich hielt er sich den Bauch vor Lachen. Mein Herrchen Rocko ist nie lange böse, wenn ich etwas anstelle. Und deshalb finde ich, hat er eine Chance verdient.

Wir hatten viel Spaß zusammen, fuhren unendlich lang Auto, an Wäldern, Wiesen, Feldern und Seen vorbei. Riefen den Kühen auf den Weiden Moin Moin zu, beobachteten fliegende Wildgänse, rasteten auf Blumenwiesen. Rocko lag auf dem Rücken, streckte Arme und Beine von sich, hielt der Sonne das Gesicht entgegen und kaute an einem Gänseblümchen. Ich hielt Ausschau nach kleinen Vögeln und spitzte meine Ohren, um ihrem Gesang zu lauschen. Auf unseren Ausflügen durfte ich vorne sitzen. Was heißt durfte? Ich tat es einfach! Es war herrlich, sich den Fahrtwind um die Ohren fliegen zu lassen. Genauso wie auf unserem Selfie. Beim Autofahren das Handy zu benutzen, ist gefährlich. Strengstens verboten! Bitte nicht nachmachen!

Wir kehrten jeden Tag in der Eisdiele ein und bestellten uns ein Banana Split mit einer Extraportion Sahne. Wir besuchten die Rollschuhbahn. Für mich musste mein Herrchen doppelten Eintritt zahlen. Ich habe ja, nicht wie ihr Menschen, zwei, sondern vier Beine und brauchte deshalb zwei Paar Rollschuhe. Mein Herrchen machte nicht viel Aufhebens darum und zahlte. Von den Mädchen schaute ich mir ab, wie man Schlangenlinien, Kreisel und Pirouetten dreht. Rocko lachte bei meinen Versuchen, es ihnen gleich zu tun. Die Mädchen waren geübter. Sie hoben ihre Beine und drehten sich so schnell und elegant wie die Eiskunstläuferinnen in den Glitzerkostümen im Fernsehen.

Wir sahen uns einen traurigen Hundefilm im Kino an, aßen dazu Popcorn und tranken Cola. Ich heulte Rotz und Wasser. Ich glaube, Rocko hatte auch feuchte Augen. Das würde er niemals zugeben. Er umarmte mich fest und sagte: „Guter Junge, mein Harrison“, und strich mir durchs Fell. Wir fuhren an die Nordsee, mieteten einen Strandkorb und aßen Pommes. Mit Mayo und Ketchup. Man sagt Pommes Schranke dazu, weil das Rot-weiß aussieht wie eine Bahnschranke. Wusstest du das? Abends besuchten wir Klubs und ich durfte so viel Currywurst essen, wie ich wollte. In einem Klub war Karaokeabend. Ich heule echt gut! Dauerte nicht lang, bis sich einige die Ohren zuhielten und mich ausbuhten. War mir egal. Ich hatte meinen Spaß. Bestellte ich mir eben noch eine Currywurst. Ich wunderte mich ein wenig über Rockos unendliche Großzügigkeit. Aber woher sollte ich wissen, dass da etwas faul war? Ich bin doch ein Hund!

Zum Schluss unternahmen wir einen Ausflug nach Hamburg. Rocko mietete ein Hotelzimmer mit großem Flat Screen TV und Whirlpool. Wir bekamen Schnittchen mit Leberwurst aufs Zimmer. Rocko nahm ein Bad und ich sah mir gerade eine Sendung über ausgesetzte Hunde an. Ich weinte. Es zerbrach mir das Herz, zu sehen, dass es Menschen gibt, die ihre Hunde an Autobahnraststätten zurücklassen. Es rührte mich, wie liebevoll sich die neuen Besitzer um sie kümmerten. Ich suchte ein Taschentuch, fand aber keines und zog die Decke vom Bett, um meine Schnauze darin zu putzen. Da fiel ein kleines Paket auf den Boden. Rocko sang aus voller Kehle das Lied Stand by me. Ich kroch unter das Bett und beschnupperte das Paket. Es roch nach Geld. Ich biss hinein. Und noch mal. Ich kroch hervor, packte das Bündel mit meiner Schnauze, sprang auf und ab und wackelte mit dem Kopf hin und her, bis es Geldscheine regnete. Just in diesem Moment öffnete mein Herrchen die Badezimmertür. Stand da, barfüßig, mit einem Handtuch um die Hüfte. Mit aufgerissenen Augen flüsterte er: „Sch.“

Im Hintergrund lief mittlerweile die Tagesschau. Die Sprecherin berichtete von einem Überfall auf eine Tankstelle. Der Täter sei gefasst, aber von dem Geld keine Spur. Ich sprang auf das Bett, bellte und wedelte mit dem Schwanz, streckte die Vorderpfoten nach vorn und mein Hinterteil in die Höhe. Damit zeigte ich meinem Herrchen, dass jetzt eine Erklärung fällig sei.

„Ach, Harrison.“ Er setzte sich und redete mit gesenktem Kopf weiter: „Bei der Flucht hat der Tankstellendieb seine Beute vor Schreck direkt vor meiner Nase fallen lassen und ich habe sie schnell aufgehoben. Du hast von alledem nichts mitbekommen, weil du der Terrier-Dame auf der anderen Straßenseite hinterhergeschaut hast. Es tut mir so leid, Harrison!“ Ich setzte mich, hielt den Kopf schief und knurrte. Rocko verstand, dass er das Geld zur Polizei bringen musste.

Wir hätten einen Finderlohn bekommen. Aber weil wir Geld von der Beute ausgegeben hatten, ordnete der Richter für Rocko Sozialstunden an. Und zwar in der Seniorenresidenz, in der der Vater des Tankstellenbesitzers lebt. „Herr Kayser“, höre ich mein Herrchen rufen, „ich hole jetzt die Schere, diesmal haben Sie die Schnürsenkel zu fest zugezogen.“

„Nein, nein, böser Mann, ich will mit Frau Müller sprechen, Frau MÜLLERRR!“ Frau Müller sagt, sie ist sehr zufrieden mit Rockos Arbeit und hat ihm eine Festanstellung angeboten, sobald er die Strafe abgearbeitet hat. Ich darf auch hierbleiben und eine Ausbildung zum Therapiehund machen.

Was meinst du? Hättest du Rocko auch dazu überredet, das Geld zur Polizei zu bringen? Findest du, er hat eine zweite Chance verdient? Und ich auch? Ich freue mich auf deine Antwort!

Viele liebe Grüße, dein Harrison

Bianca Buchmannwurde 1972 in Oldenburg geboren. Ihr gesamtes Leben, mit Ausnahme von zwei Jahren in den USA, hat sie in dieser schönen Stadt verbracht. Neben einer kaufmännischen Ausbildung und Tätigkeit absolvierte sie ein Studium der Kunst- und Medienwissenschaften. Die Ideen zu ihren Geschichten entstehen beim Malen.

*

*

Paula und Thor

Thorquell trat zu einer Zeit in Paulas Leben, als es ihr noch ein paar wenige Jahre gut ging. Als sich noch keine ersten Anzeichen zeigten, sie unbekümmert die Vergangenheit abschüttelte, von der Zukunft träumte, Pläne schmiedete und die Gegenwart in vollen Zügen und ohne Zögern lebte. Rückblickend scheint es wie die innere Vorsehung bald entrissener Jahre.

Thorquell und Paula, das war Liebe auf den ersten Blick. Es brauchte nur diesen einen Moment über dem angeknabberten Pappkarton und die Entscheidung war so unumstößlich wie die markante Namensgebung getroffen. Niemand anderer aus unserer Familie vermochte je, mit Paula um Thorquells Zuneigung zu konkurrieren. Wir alle waren und blieben Welten von der Tiefe der Seelenverwandtschaft entfernt, die zwischen meiner Schwester und dem kleinen Mischlingsrüden bestand. So war es vom ersten Augenblick an – und so blieb es bis zu ihrem letzten Atemzug. Und darüber hinaus.

Rückblickend wundert es mich kaum, dass Thor, wie wir ihn gerufen haben, die ersten Anzeichen weit früher als wir wahrnahm – vermutlich sogar als Paula selbst. Wenn ich mich an sein auffälliges Verhalten schon Wochen vor der Diagnose erinnere, denke ich heute, dass er auf Thorquell-Art versuchte, uns alle darauf aufmerksam zu machen, dass seine Menschin in Gefahr war, dass etwas in ihr nicht mehr stimmte. Er war angespannt, rastlos, extrem beschützend und wirkte vollkommen hilflos. Wir waren mit ihm völlig überfordert und ratlos.

Als meine Schwester eines Tages in ihr Auto stieg und zum Arzt fuhr, hockte Thorquell sich in die Mitte des Flures und war nicht mehr wegzubewegen. Als sie, Stunden später, mit der niederschmetternden Diagnose über die Türschwelle trat, saß er noch immer in gleicher Haltung an derselben Stelle. Zu aller Überraschung fiel er nicht wie sonst mit freudigem Bellen über sie her, seine Schwanzspitze blieb reglos auf dem Boden liegen, statt wie immer den ganzen kleinen Kerl in ein einzige Wellen-Bewegung zu bringen. Stattdessen stand der kleine Mischling langsam auf, tapste an die Seite meiner Schwester und schaute zu ihr auf, als wolle er sagen: „Ich bin bei dir, meine Menschin. Hab keine Angst. Ich begleite dich.“

Tatsächlich begleitete er Paula von diesem Moment an Tag und Nacht, wich kaum, und wenn nur widerwillig, von ihrer Seite. Ihr kleiner Beschützer, Begleiter, Tröster und ihr persönlicher Possen reißender Clown. Der kleine Mischling mit dem großen, starken Namen wuchs über sich hinaus.

Eines Morgens, Monate nach der Diagnose, bat mich meine Schwester überraschend zu sich auf ihr Zimmer. Thor ruhte an ihrer Seite, hob den Kopf und musterte mich beinahe vorwurfsvoll. Fast schien es, als wolle er mich dafür tadeln, dass ich die Bedeutung dieses Moments nicht wahrnehmen und gebührend zu würdigen wüsste. Womöglich erinnere ich mich heute nur allein wegen dieses Blickes so genau. Als habe Thorquell mich gemahnt, den Augenblick bewusst und nicht in Eile zu begehen. Er hat ihn mir geschenkt. Denn der kleine Mischling behielt recht. Es waren Paulas letzte Stunden, die ich mit Kohlestift auf Papier skizziert einfror. Ein nicht fertig gestelltes Halbprofil ihres Gesichtes, an Thors Seite geschmiegt, der auf dem Porträt schon weit greifbarer und lebendiger als meine Schwester scheint. Wir haben die Kohleskizze noch am selben Mittag über ihr Bett gehängt. Ich erinnere mich an das kurze lebendige Aufblitzen in ihren Augen, an ihr Lachen und an Thors sichtbarer Freude daran.

„Das hast du gut gemacht“, hat sie zu mir gesagt und mir sanft mit knochiger Hand über die Wange gestrichen.

In der folgenden Nacht ist sie unter dem Bild gestorben. Niemand von uns hat ihr Gehen bemerkt. Einzig Thor war an ihrer Seite.

Um mich herum stehen Bäume. Es ist still im Friedwald. Kein Verkehrslärm, nur die Natur, die im ewigen Kreislauf weiter lebt und liebt und stirbt. Vor mir im Boden klafft ein quadratisches Loch, in dessen Mitte Paulas Urne steht. Ich bin allein zurückgeblieben. Für einen letzten ungestörten Abschied. Und für etwas Verbotenes. Streng verboten sogar. Ich bin ein wenig nervös. Ich weiß, dass ich es trotzdem erledigen muss, dass es das einzig Richtige ist. Ich denke an das Porträt, das blasse Morgenlicht auf ihren Gesichtern, und schiebe mögliche Konsequenzen meines Vorhabens beiseite. Pfeif drauf! Manchmal gibt es Wichtigeres als Regeln und Vorschriften. Und dies ist ein solcher Moment. Mit einem Kloß im Hals blicke ich kurz hoch in den bedeckten Himmel und öffne meine große Handtasche. Langsam knie ich mich neben dem offenen Grab nieder und drehe ein letztes Mal die bunt bemalte kleine Urne in meinen Händen. Mit zitternden Fingern streiche ich über das Bild. Ein Hund und seine Menschin, Seite an Seite sitzend unter einem Vollmond. Sie haben der Welt – dieser Welt und mir – den Rücken zugewandt. Und so ist es auch gewesen. Paula und Thorquell sind den letzten Pfad gemeinsam gegangen, wie auf einem unserer Spaziergänge im Wald. Während wir dem Weg weiter folgen, sind die zwei still und heimlich abgebogen und unserer Sicht entschwunden. Zurück bleiben Erinnerungen. Stiller Schmerz. Und eine letzte Aufgabe für mich. Ich atme tief durch. Der Kloß in meinem Hals drückt. Keine Tränen jetzt!

Langsam beuge ich mich weit vor und lasse die Urne vorsichtig hinab. Ich mag sie nicht loslassen, doch sie gleitet mir beinahe freudig und zielsicher aus den Händen. Geschmeidig und endgültig kommt sie neben der schlichten, größeren zur Ruhe. Ich blicke auf die beiden hinab. Eine ewige Liebe. Paula und Thorquell. Es gab sie nur zu zweit als eins – im Leben bis in den Tod. Und darüber hinaus. Bedächtig richte ich mich auf und wische mir ein paar Erdkrumen von den Händen und der Hose. Es ist Zeit. Meine Aufgabe ist erfüllt. Diese jedenfalls. Zeit, sich der nächsten, viel schwierigeren Aufgabe zuzuwenden. Denn hinter meinem Rücken wartet das Leben danach. Und es macht mir Angst. Ich zögere und schließe die Arme um meinen Körper. Ich fühle mich eingefroren.

Zwei einzelne Lichtstrahlen brechen aus der grauen Wolkendecke. Ich blinzele verbissen. In meinem Kopf formt sich ein Gedanke und lässt mich trotz meiner allmählich bebenden Lippen lächeln. Danach ist davor.

Eine leichte Böe trägt mir eine Stimme zu, streicht sanft über meine Wange und kühlt die warme, stille Tränenspur.

„Das hast du gut gemacht“, flüstert es im Wind und ich höre wie aus weiter Ferne bestätigendes Bellen.

Adina Heinemann, Battenberg.

*

Mensch, Mäxchen

Große braune Augen sehen mich an. Treu. Manchmal traurig, manchmal unerbittlich. Aber immer treu. Eine warme Schnauze schiebt sich auf mein Knie. Ich weiß, wenn ich jetzt hinsehe, treffe ich auf diese großen, braunen Augen. Meine Hand wandert zu der warmen, weichen Fellnase und beginnt, langsam und rhythmisch zu streicheln. Die braunen Augen schließen sich. Irgendwann geht die Fellnase einfach fort, lässt mich alleine am Schreibtisch sitzen. Ich höre die Krallen über das Laminat schlurfen. Dann ein Plock. Max hat es sich gemütlich gemacht. Gut so, Zeit für mich, um in Ruhe zu arbeiten.

Nach einer Weile steht er wieder schwanzwedelnd neben mir. Ist es schon so spät? Die braunen Augen sind hellwach und schauen mich fordernd an. Die weiche Nase schiebt sich immer wieder auf mein Knie, will aber nicht gestreichelt werden. Aus dem Schlurfen wird ein Trippeln. Aus dem Trippeln wird hektisches Hin und Her Gerenne. Ich konzentriere mich auf meine Worte. Tippe betont laut in die Tastatur. Siehst du nicht, dass ich arbeite? Jetzt, wo es endlich ruhig im Haus ist. Am Mittag kommen die Kinder zurück, um fünf mein Mann.

Eine Pfote wird auf mein Knie gelegt, genau da, wo eben schon die Nase lag. Dein Blick wird unerbittlich. Ich starre auf den Laptop. Nein, diesmal werde ich nicht schwach. Ich werde jetzt diesen Text zu Ende schreiben. Du legst deinen Kopf schief. Oh, nein. Ich kenne diese Masche. Nicht hinsehen, nur nicht hinsehen. Ich hacke immer fester in die Tastatur. Mist, schon wieder verschrieben.

Ok, ok. Ich geb’s auf. Du hast gewonnen. „Wollen wir raus?“ Diese Frage ist nur noch rein rhetorisch. Mit einem Satz stehen alle vier Pfoten auf dem Boden, deine Augen blitzen mich munter an. Der Stert kommt in Bewegung und wird immer schneller. Die Krallen kratzen über den Boden und rennen anschließend unruhig im Flur auf und ab. Bis ich endlich Schuhe, Jacke und Schal angezogen habe, räumst du mit deinem Stert zwei Mal die Kindergarderobe ab und wirbelst durch die Palme im Flur.

Dann endlich öffnet sich die Tür, die Fellnase wird hochgereckt und schnuppert tief. Zeitung lesen. Das glückliche Ende schlägt wie ein Ruder und wird erst nach etlichen Metern ruhiger.

Die braunen Augen treffen mich wieder und sehen irgendwie dankbar aus.

Maren Grenner wurde 1975 geboren. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei Söhnen. Mit ihrer Familie – und natürlich auch mit Max – lebt sie in Extertal im Kreis Lippe.

*

*

Bruno erhebt sich

Die Skisaison hatte bereits begonnen, doch vor Bruno – einem stattlichen Berner Sennenhund der Vorarlberger Bergrettung – lagen ein paar ruhige Tage. Er war rekonvaleszent, denn er hatte sich in der letzten Woche einer Magenoperation unterziehen müssen.

So lag Bruno also auch an diesem Samstag untätig in seinem Zwinger und wirkte noch immer sehr schlapp. Das war für die Bergretter sehr ärgerlich, denn Brunos Nase galt als die beste der ganzen Hundestaffel. Das sagte sein Hundeführer Bert jedenfalls immer wieder. Der Hund hatte schon viele Verschüttete aufgespürt. Die beiden waren ein eingespieltes Team und im letzten Jahr war Bruno sogar mit der Ehrenmedaille des Landkreises ausgezeichnet worden.

Bert kam täglich mehrmals vorbei, um nach Bruno zu schauen, und brachte ihm gestern sogar einen frischen Pansen mit – der Gestank war bestialisch. Aber während sich Bruno an gesunden Tagen mit Begeisterung über den Leckerbissen hergemacht hätte, erhob er sich nun mühsam, schnüffelte ein paar Mal desinteressiert und legte sich wieder hin.

Vor drei Tagen hatte kräftiger Schneefall eingesetzt, der erst an diesem Morgen pausierte. Die Sonne schien nun wieder, es war ein traumhafter Samstag. Genau das Richtige für alle Pistenwedler. Nur Bert schaute nachdenklich zum Himmel – er wusste zu gut, was passieren konnte. Es gab immer viel zu viele Skihaserl, die sich überschätzten und auch gerne abseits der markierten Pisten fuhren. Meist war es nur eine Frage der Zeit, bis der erste Notruf reinkam.

Als Bert gerade sein mit Montafoner Sauerkäse belegtes Vesperbrot genossen hatte, erklang die Titelmelodie von Mission Impossible auf seinem Smartphone. Er hatte es geahnt, nun gab es wohl tatsächlich einen Notfall. „Hier Bert Hauser, was ist los?“

„Hermann hier. Es gab einen Lawinenabgang am Hausberg bei der Jausenhütte. Ein Schneebrett hat sich gelöst. Eine junge Frau ist verschüttet. Sie und ihr Freund waren abseits der Piste unterwegs. Also der gleiche Mist wie immer. Wir brauchen dich und Bruno hier ganz dringend!“

„Ausgeschlossen, Bruno ist nach seiner OP noch nicht wieder fit genug für einen Einsatz!“

„Bitte versuche es! Wenn es einer drauf hat, dann Bruno – und du natürlich auch“, fügte Hermann hinzu.

Bert fühlte sich geschmeichelt, denn es stimmte ja schließlich auch.„Okay. Ich sehe, was ich machen kann.“

Als Bert am Zwinger ankam, hob Bruno schläfrig den Kopf. „Bruno, du musst uns helfen. Du bist doch der beste Hund der Staffel. Komm, steh auf!“

Der Hund reagierte mit einem Seufzer, schürzte kurz die Lefzen und legte den Kopf wieder ab. Bert zog erst sachte, dann energischer am Halsband und klinkte die Leine ein.

„Los, hoch mit dir!“ Berts Stimme wurde lauter und dringlicher. „Wir fahren mit dem Schneemobil zum Unglücksort. Und wenn es sein muss, schleppe ich dich auch.“ Was natürlich gelogen war, denn da brauchte es schon zwei starke Männer, um Bruno zu tragen.

Die aufgeregte Stimme seines Herrchens schien endlich Brunos Hirn zu durchdringen. Ganz, ganz langsam und mit einem leisen Jaulen erhob er sich vorsichtig auf seine vier Pfoten und schüttelte sich. Er guckte Bert fragend an. Es schien jetzt immerhin, als ob sein Helferinstinkt geweckt worden sei.

„Gut so, sehr gut, alter Junge. Auf geht’s zum Einsatz. Du hast die Chance auf eine weitere Ehrenmedaille.“

Ein Schwanzwedeln kam als Antwort. Bruno ging langsam ein paar Schritte auf sein Herrchen zu.

Bert band Bruno die orange Rettungshund-Weste um den Körper und kurze Zeit später düsten beide auf dem Schneemobil davon. Als sie an der Jausenhütte ankamen, waren drei von Berts Kollegen samt Hunden bereits auf dem Gelände verstreut im Einsatz. Die Männer stocherten mit langen Stecken vorsichtig im Schnee und riefen ihren Tieren Kommandos zu.

Bruno schleppte sich mühsam vom Schneemobil und setzte seine dicken, mit Fell besetzten Pfoten in die tiefe Flockenpracht.

„Komm hierher, Bruno! Wir suchen den Bereich rechts neben der Hütte ab. Los, such!“

Bruno wedelte mit der Rute und schnüffelte unaufhörlich, so wie man es ihm beigebracht hatte. Er bewegte sich behäbig Meter um Meter durch den tiefen Schnee, als er plötzlich ganz stehen blieb und aufgeregt bellte und anfing, zu graben.

„Bruno, alter Junge, hast du was entdeckt?“ Bert rief laut seine Kollegen: „Hey Leute, Bruno scheint die Person gefunden zu haben. Kommt alle her!“

Bruno war nun wieder ganz in seinem Element, er bellte und bellte und buddelte gleichzeitig weiter.

Die Helfer kamen so schnell, wie es im tiefen Schnee eben möglich war, und schaufelten mit ihren Spaten zügig, aber vorsichtig die Stelle frei. Und tatsächlich, nach kurzer Zeit hatten sie die junge Frau unter den Schneemassen entdeckt. Sie war bewusstlos, aber atmete – einem kleinen Hohlraum im Schnee hatte sie wohl ihr Leben zu verdanken gehabt. Die Verschüttete wurde geborgen und von Sanitätern mit dem Schneemobil ins Tal zum Krankenhaus gebracht.

Bert und seine Kollegen freuten sich sehr, wie immer mit einem kleinen Schnäpschen, wenn es einen guten Ausgang ihrer Mission gab. Alle gratulierten aber besonders Bruno, der sich eine ganze Menge an Streicheleinheiten abholen konnte.

Hund und Herrchen gingen zurück zum Schneemobil, wo Bert das sichtlich erschöpfte Tier in eine warme Decke hüllte.

Als sie wieder an der Bergrettungsstation ankamen, brachte der Hundeführer seinen heldenhaften Bruno zurück in den Zwinger. Der Hund schlief sofort ein.

Aber nach gut drei Stunden wurde er durch einen intensiven Geruch geweckt, der in seine empfindliche Nase stach: Da lag vor ihm ein frischer Pansen. Welch ein schöner Anblick! Und als ob es seine Magenoperation nie gegeben hätte, machte sich Bruno gierig über Berts Dankeschön her, seufzte danach kurz, legte sich wieder hin und schlummerte bis zum nächsten Morgen.

Dagmar Oberländer: Jahrgang 1965, bisher noch nicht auf den Hund gekommen, aber seit Kurzem Spaß am Schreiben kleiner Geschichten gefunden.

*

„Mein“ Hund und ich

Bei uns zu Hause ist es turbulent, laut, unordentlich, etwas chaotisch und nie ganz sauber. Das ist unser Normalzustand. Wer in diesem Haus zur Ruhe kommen möchte, braucht Ohropax und Scheuklappen. Es lebt sich hier mit einer Portion Gelassenheit leichter – wer alleine sein möchte, ist fehl am Platz.

Zum einen liegt das sicher daran, dass wir eine große und lebhafte Familie sind. Meine Zwillingsschwester und ich sind acht Jahre alt. Neben uns beiden und unseren Eltern gehören aber auch noch zwei ältere Brüder und zwei jüngere Schwestern zum engsten Kreis. Freunde gehen ein und aus, fast keine Mahlzeit findet ohne Gäste statt. Wir lieben einander. Bei uns wird mit Herzblut gelacht, gespielt, gesungen und gestritten.

Ganz sicher liegt es aber auch daran, dass unser Zuhause einer Zoohandlung Konkurrenz machen könnte. In unserem Haus werden über die Jahre Ratten, Hamster, Papageien, Katzen, Kanarienvögel, Zebrafinken, Wellensittiche, Meerschweinchen, Wachteln, Kaninchen und vor allem Hunde mit viel Liebe gepflegt, umsorgt und gefüttert.

Während andere Tierarten kommen und gehen, sind Hunde fester Bestandteil unserer Familie. Das war schon so, bevor wir Kinder auf der Welt waren. Meine Eltern züchten diese Vierbeiner bereits sehr lange. Zu Beginn waren es Terrier, später Dackel und zwischendurch auch einmal Deutsch-Langhaar.

Das Züchten ist so eine Sache. Die Geburt von Welpen, ein neuer Wurf, ist jedes Mal ein unglaubliches Ereignis. Ein richtiges Wunder, das keiner von uns verpassen möchte. Wir sind stolz auf unseren Nachwuchs und nicht weniger auf die Elterntiere. Mama ist die Hebamme, die im Zweifel hilft, das Neugeborene aus der Fruchtblase zu befreien. Wir Kinder sind die Wachposten am Hundekorb, um nach ihr zu rufen, wenn der nächste Babyhund das Licht der Welt erblickt.

Die ersten acht Wochen dürfen wir die kleinen Lebewesen auf ihrem Weg begleiten. Wir schließen sie ins Herz, sobald sie bei uns sind. Beobachten das Öffnen der Augen und Ohren nach zehn oder zwölf Tagen, zählen die ersten wackeligen Schritte. Atmen den besonderen Welpen-Geruch ein, hören das niedliche erste Bellen und Knurren, das man noch nicht ernst nehmen kann, und bekommen die kleinen spitzen Zähne zu spüren, sobald sie sich zeigen. All das ist uns gut vertraut. Wir lieben es.

Vertraut sind uns aber auch die vielen Tränen, die sich durch nichts aufhalten lassen, wenn die Kleinen ab der neunten Woche verkauft und aus dem Haus gegeben werden. Loslassen müssen, was man festhalten möchte. Erfolgloses Bitten darum, den einen oder anderen Welpen zu behalten. Die Traurigkeit ist riesig. Die Welt fühlt sich nicht fair an.

Um ein wenig Ausgleich zu schaffen, so vermute ich, leben mit uns immer mindestens so viele ausgewachsene Hunde, wie wir Kinder sind. Im Augenblick sind das vor allem Rauhaardackel. Jeder von uns kann so, wenn er mag, abends ein lebendes Schmusetier mit ins Bett nehmen. Den treuen Freund und Wegbegleiter, den Zuhörer und Versteher, die atmende Wärmflasche in der Nacht. Wer schon einmal neben einem geliebten Tier einschlafen durfte, weiß, wovon ich spreche. Für mich gibt es kaum etwas Schöneres.

Unsere Rauhaardackel sind schwarz-grau im Fell. Die Behaarung ist irgendwie struppig, wildschweinartig. Und, wie es der Name schon sagt, damit eher etwas zu rau, zu borstig, um richtig zum Kuscheln zu taugen.

Zum Schmusen wünsche ich mir schon lange einen ganz anderen Dackel, weicher, seidiger. Nicht so robust wie seine Artgenossen, eher filigraner, sanfter. Ich träume schon länger von einem Langhaardackel. Ich sehe ihn genau vor mir. In der Farbe Rot, mit sehr langen, etwas zotteligen Haaren. Weiches, glänzendes bis zum Boden reichendes Fell am ganzen Körper und mit wunderschönen sanften dunkelbraunen Augen. Wie gemacht für ein junges Mädchen: ein kuscheliges, liebes und edles Tier.

Wie durch ein Wunder beschließen meine Eltern tatsächlich, neben den Rauhaar- nun auch Langhaardackel zu züchten. Was für eine wunderbare Fügung! Ich kann es kaum glauben!

Gesagt – getan. Mama hat für uns einen Welpen ausgesucht. Eine Hündin für die künftige Zucht sei es. Mehr verrät sie nicht über unser neues Familienmitglied.

Ich freue mich riesig. So oft habe ich fremde Hundebesitzer schon um ihren langhaarigen Freund beneidet, nun wird bald auch bei uns ein so schönes Tier leben. Mein Mädchentraum geht in Erfüllung.

Die Wochen sind lang, bis endlich die ersehnte Nachricht eintrifft: Der von Mama ausgewählte Mini-Hund, der Welpe, soll heute zu uns kommen. Endlich ist er alt genug, um von seiner Mutter getrennt zu werden. Meine Eltern sind gemeinsam losgefahren, um ihn abzuholen.

Ich verbringe Stunden auf dem Balkon, um das Eintreffen von Mama und Papa – und dem neuen Teil der Familie – auf keinen Fall zu verpassen. Ich drücke mich an den Plätzen herum, von denen aus ich die Einfahrt zu unserem Haus am besten überblicken kann.

Es ist ein wunderschöner warmer Tag. Die Sonne scheint. Es ist Wetter für den Badesee – doch keine Macht der Welt bringt mich von hier weg, bevor ich nicht das lang ersehnte Wesen in meinen Armen halte.

Mama hält das Bündel während der gesamten Autofahrt auf ihrem Schoß, während Papa das Auto fährt. Sie streichelt es unermüdlich und spricht beruhigende Worte, denn es ist die erste Reise im Leben des kleinen Hundes. Schließlich kommen sie an unserem Haus an. Papa parkt seinen weißen Wagen vor der Garage. Meine Eltern steigen aus und kommen kaum bis zur Haustüre, schon stehe ich bei ihnen und strecke die Hände nach meinem Welpen aus. Ich will meinen neuen Liebling festhalten, ihn umarmen und herzen und dann am liebsten nie wieder hergeben. Meine Freude ist kaum in Worte zu fassen, ich sprühe vor Glück.

Mama übergibt mir vorsichtig ihre neue Errungenschaft. Sie lächelt, freut sich sichtlich auf meine Reaktion in dem Wissen, wie sehr ich mir schon lange einen solchen Hund wünsche.

Doch womit sie nicht gerechnet hat – und ich noch viel weniger –, ist meine unglaubliche Enttäuschung. Meine Tränen lassen sich nicht zurückhalten. So tief ist Schock, den ich erleide, als ich die Hündin das erste Mal erblicke. Ich kann nicht glauben, was ich sehe. Oder vielmehr, was ich nicht sehe. Da ist kein roter Langhaardackel! Doch was ist es dann?

Was meine Eltern mitgebracht haben, ist zwar ein Hundebaby, niedlich (zugegeben), jedoch mit kurzem Haar und völlig falsch in der Farbe. Es ist schwarz, nicht rot. Mama meint, die Haare müssten erst wachsen und das dunkle Tier – doch, es sei ein Langhaardackel, versichert sie – hätte es ihr angetan. Von meinem Traum in Rot ahnt sie nichts. Und ich weiß bis dahin noch nicht einmal, dass es Langhaardackel auch in dieser dunklen Variante gibt. Zu allem Unglück soll das Wesen Anja heißen, ein Name, mit dem ich mich erst anfreunden muss.

Doch wie nicht anders zu erwarten, schleicht sich das dunkle Tier sehr schnell in unser aller Herz. Anja wächst zu einem sehr liebenswerten Teckel heran, einer treuen Seele, und wird viele Jahre Teil unserer Familie.

Wir beide haben ein eher neutrales Verhältnis zueinander. Ich kann ihr einfach nicht verzeihen, dass sie im falschen Fell steckt und so gar nicht meinen optischen Vorstellungen entspricht. Auch nicht, als die Haare tatsächlich irgendwann lang und weich und glänzend sind.

Sie ist also nicht mein Hund geworden. Aber ein sehr bereichernder und lieb gewonnener Teil meiner Familie. Und ich kuschle nachts nun doch weiter mit den Rauhaardackeln.

Andrea Wagner aus Göppingen.

*

Osti vom Hause Weiß

Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war. War ich sechs Jahre alt? Oder war ich sieben Jahre alt? Vielleicht war ich auch fünf oder acht Jahre alt. Aber ich weiß, dass ich mich als kleines Mädel sofort in Osti vom Hause Weiß, die ihrerseits eine kleine, junge Sheltie, eine Miniatur-Collie Dame, war. Ein Traum von Hündchen, das wir von einem Züchter holten. Sheltie-Collies sind durch ihre Zartheit und ihre Intelligenz wunderbare Hunde. Sie sind eine Miniatur-Ausgabe von Lassie, der wohl bekanntesten Collie-Dame. Ich erinnere mich oft an meine Kindheit und meine Osti, ein kleines junges Hundefräulein, das sehr schnell ihren eigenen Kopf entwickelte.

Ich war oft bei meinen Großeltern – und oft war Osti an meiner Seite, denn Opa und Oma waren vernarrt in das Hündchen.

Heute bin ich 53 Jahre alt, habe zwei Katzen. Im Haus wohnen noch eine weitere Katze und ein Hund zusätzlich, wir leben mit meiner Mutter zusammen, es sind ihre Tiere. Über die Tiere, die uns im Haus als Mitbewohner dulden, könnte ich viel schreiben.

Auch meine Katzen sind mir sehr viel wert, wenn sie mich auch manchmal richtig ärgern, doch ein Leben ohne Haustier – möglich, aber für mich nicht nötig.

Seit Anbeginn war ich mit Tieren zusammen. Der erste Hund überhaupt, an den in mich erinnere, war Blacky, ein Spitz, der liebend gerne biss. Kein netter Hund. Nachdem wir Blacky nicht mehr hatten, ich weiß es wie heute, kam Osti vom Hause Weiß, in die ich mich sofort verliebte.

Osti, ich erinnere mich, nun schon älter geworden, ging mit Opa, Oma und mir immer in den Wald. Sie suchte die Pilze, die bei uns Schwammerl heißen. Ich bin gebürtige Bayerin, lebte in Bayern, und lebe immer noch dort. Oma und Opa nahmen mich oft mit in die Wiesen, eine Gegend mit viel Natur. Viele lange Stunden gingen mein Opa und ich, wenn Oma kochte, alleine in die Wiesen, Osti immer an unserer Seite. Osti kannte alle gängigen Befehle, wie „Sitz“, „Platz“ und „Fuß“, sie folgte sehr gut. Gehorchte meinem Opa aufs Wort. Mir weniger, aber ich war ein kleines Kind.

An einem Tag machten wir, meine Großeltern und ich, eine lange Wanderung. Wir wanderten im Wald, suchten Pilze. Es machte mir immer sehr viel Spaß. An diesen Tag, an den erinnere ich mich so gut, da fanden wir zwei Körbe voller Schwammerl. Das heißt ... Osti fand sie. Irgendwie war das eigenartig, aber Osti fand immer die Pilze. Sie lief, fand ein Schwammerl. Sie lief weiter, wieder ein Pilz. So ging es die ganze Wanderung durch den Wald. Ich war entzückt, lachte, juchzte. Laut lachte ich vor Freude und Übermut. Auch meine Großeltern hatten großen Spaß. Wir suchten Schwammerl, wir fanden Schwammerl und wir gingen zusammen heim. Oma kochte die Schwammerlbrüh, meine Eltern kamen am Sonntag zum Essen und Opa erzählte mir dann, einen Tag später, dass Oma der Osti gezeigt habe, wo die Pilze standen, doch für mich sah es so aus, als hätte Osti die Schwammerl gefunden.

Osti, meine erste Hündin, sie wird immer in meiner Erinnerung bleiben als derer Schwammerl-Hund.

Dani Karl-Lorenz:Geboren im Herbst 1967, Mutter eines Sohnes. Verheiratet. Ihre Hobbys sind Fotografieren, Malen und Schreiben. Sie wohnt in Bayern. Hat in verschiedenen Anthologien veröffentlicht. Ihre erste Buchveröffentlichung „Die Abenteuer des Katers Casar“.

*

Rasmus

Rebecca Klamroth, Pastorentochter, Tochter einer Lehrerin, hatte es geschafft: Abitur mit Note Einskommaeins. Lehrerin wollte sie werden wie ihre Mutter. Oder Ärztin oder Physikerin, auf keinen Fall wie ihr Vater Pastor. In ihren Augen verbreitete der keine frohe Botschaft, auch wenn er das immer behauptete – eher Gottesfurcht. Im Moment hatte sie viel Zeit. Noch drei Monate bis Semesterbeginn. Sie half ihrer Mutter im Haushalt, las viel, spielte Klavier, machte Sport. Und jeden Tag telefonierte sie mit ihrer Großmutter.

Sie hatte zum Joggen eine Runde im Bürgerpark gedreht. An der Hundewiese war es zu einem Zwischenfall gekommen. Etwa zehn Hundebesitzer hielten sich vor einer Parkbank auf, um sie herum ihre besten Freunde, die sie an langer Leine hierher geführt hatten, mindestens zwanzig an der Zahl. Pausenlos warfen die Hundebesitzer Frisbees oder Snackballs in die Gegend und pausenlos wurden die von ihren besten Freunden aufgeschnappt und zurückgetragen. Ein Rottweiler löste sich aus der Gruppe und stürzte sich auf die Joggerin, sprang an ihr hoch, bellte, schäumte. Rebecca wurde stocksteif und kreidebleich. Eine Frau mittleren Alters pfiff den Hund zurück. Der ließ von seinem Opfer ab. Die Frau rief Rebecca zu: „Der Hund mag keine Jogger und dein gammeliges T-Shirt übrigens auch nicht.“

Schluss für heute! Rebecca schob ihre Füße schlurfend über den Parkweg, als wolle sie alles beiseiteschieben, was ihr im Weg war. Sie lauschte dem Rascheln der halb vertrockneten Blätter, das entspannte. Zu Hause hüpfte sie unter die Dusche, zog sich wieder an, wickelte ein Handtuch wie einen Turban um das feuchte lange blonde Haar. Sie duftete nach Granatapfel.

Es klingelte. Rebecca öffnete. Eine ältere Frau – Kopftuch, schwarzer Mantel, Gesangbuch mit Goldschnittverzierung – stand vor der Tür. Eine Mischung aus Kernseife und Mottenkugeln schlug ihr entgegen. „Gelobt sei Jesus Christus.“

„In Ewigkeit, Amen.“

„Ist der Herr Vater oder ist die Frau Mutter zu sprechen?“

„Vater ist in der Kirche, Mutter in der Schule.“

„Da liegt einer vor dem Kirchenportal. Dem geht’s nicht gut. Könnten Sie vielleicht …“

Rasmus, ein ganz anderer Rottweiler als der im Bürgerpark, hatte sich auf den Treppenstufen vor dem Portal der Christuskirche hingestreckt. Er zitterte, atmete stoßweise. Aus dem Gebäude strömte der Duft verblühter Blumen, kalter Rauch längst verloschener Kerzen und die Kühle kalten Gemäuers. Es roch nach Requiem, nach Beerdigung, nach Grab. Rasmus lag im Staub. In seinen Haaren hatten sich von Bäumen abgestoßene Blätter verfangen und ihm eine Krone aufgesetzt. Mit Getöse riefen die Glocken zum Gottesdienst. Einige ältere Männer und Frauen strebten die Treppe hoch zum Portal an Rasmus vorbei. Er rührte sich nicht, rückte keinen Zentimeter zur Seite. Die Kirchgänger kümmerten ihn nicht. Aber diese kümmerten sich um ihn, auf ihre Weise.

„He, dies ist der Aufgang zum Gotteshaus und kein Ruhekissen. Halt deinen Morgenschlaf woanders“, rief ein Mann.

„Hau ab, du Penner, oder soll ich dir einen Tritt verpassen?“, drohte ein zweiter.

„Ihm geht es nicht gut. Vielleicht braucht er Hilfe. Den Pastor sollten wir rufen“, sagte eine Frau.

„Seine Tochter ist hier“, antwortete die Frau, die sich im Pfarrhaus gemeldet hatte.

„Ich dachte, es geht um einen Menschen in Not. Aber Tiere in Not zählen auch“, sagte Rebecca zu den Kirchgängern.

Die kannten den Fremden angeblich nicht und wollten ihn vorher auch nicht gesehen haben. Rebecca glaubte das nicht.

„Die Leute sagen nicht immer alles, sie haben ihre Geheimnisse, Rasmus ist doch nicht vom Himmel gefallen“, dachte sie und schaute sich ihn genauer an. Sie lachte über die Blätterkrone. Über die zornigen alten Männer lachte sie nicht. „Die haben keine Ahnung und kein Herz.“ Sie musterte Rasmus’ schlanke Gestalt, sein schmales Gesicht und die braunen Augen. Waren da etwa Tränen? Sie beugte sich zu ihm herab, sah ihm direkt ins Gesicht und streifte mit einer Hand über sein lockiges schwarzes Haar. „Komm mit!“

Mehr sagte sie nicht. Rasmus erhob sich und folgte ihr trottend ins Pfarrhaus. Die Kirchgänger sahen beiden mit offenen Mäulern nach.

Rebecca führte Rasmus in die Küche, gab ihm zu trinken, durchsuchte den Kühlschrank nach Leckereien, die ihm gefallen könnten. Er verschlang alles, was sie anbot, auf der Stelle. Er trank, als müsse er einen See aussaufen.

Zurücklehnen nach dem Essen?

Rebecca hatte einen anderen Plan. „Ab ins Bad. So wie du aussiehst, kannst du nicht bleiben.“

Sie schickte ihn in die Badewanne, ließ warmes Wasser einlaufen, cremte sein Fell mit Shampoo ein. Dann schüttelte sie eine halbe Flasche Duschlotion über ihn aus. Er ruderte mit allen vieren in der Badewanne und schlug um sich, dass es nur so schäumte. Dann sprang er heraus und schüttelte den Schaum ab. Er duftete nach Granatapfel …

„So wie es aussieht, kannst du nicht bleiben. Vater würde einen Anfall bekommen, wenn er dich hier sieht. Ich bring dich ins Gartenhaus.“

Das Gartenhaus war eingerichtet wie eine gute Stube: Sofa, Sessel und allerlei Regale für abgelegte Sachen. Rasmus ließ sich auf dem Sofa nieder. Rebecca setzte sich daneben und tätschelte ihn. „Ich muss. Bis bald, mein Lieber“, verabschiedete sie sich.

„Mama, Papa, ich hab jemanden mitgebracht, einen Rottweiler. Vor der Kirche lag er. Ging ihm schlecht. Hab ihn im Gartenhaus einquartiert, damit er sich erholt. Wollt ihr ihn sehen?“

„Keinen Schritt setze ich dorthin“, sagte der Vater. „Du weißt doch, ich bin allergisch gegenüber hergelaufenen Hunden.“

„Du siehst, hier kann er nicht bleiben. Noch heute Nachmittag ist er weg“, bestimmte die Mutter.

In der Not war die Großmutter die erste Adresse. Rebecca rief sie gleich an. „Oma, ich hab jemanden gefunden, einen Hund, der war in Not. Der wohnt bei uns im Gartenhaus, aber den Eltern passt das nicht. Kann er zu dir?“

„Kommt nicht in die Tüte. Absolut nicht.“

„Oma, der ist so süß!“

„Ich will keine Untermieter im Haus.“

„Nur, bis er sich erholt hat. Tu’s für mich, bitte.“

Die Mutter und Rebecca brachten Rasmus zur Großmutter. Rebecca versprach, ihn am nächsten Morgen für eine Runde im Bürgerpark abzuholen.

Windstille. Hochnebelsuppe hüllte die Stadt ein, aschfahl hing der Mond an der Wolkendecke. Rasmus stand schon in der Tür, als Rebecca ankam, bereit zum Start. Er war gut zu Fuß, meist war er ihr einige Schritte voraus. Aber an jeder Abzweigung blieb er stehen und wartete. An der Hundewiese wartete er nicht. Er sah die versammelte Meute, stürzte sich auf sie wie ein Wildfang und trieb sie auseinander, dem Rottweiler-Stammgast setze er nach, ließ sich von ihm jagen und machte sich selbst wieder zum Jäger. Der Stammgast ging hechelnd neben seiner Besitzerin zu Boden. Rasmus baute sich vor ihr auf und bellte sie an.

Rebecca kam hinzu und streichelte ihn. „Alles gut, braves Tier!“

Zu ihrem Rottweiler sagte die Besitzerin: „Du lausiger Loser. Machst einfach schlapp vor einem hergelaufenen Köter?“ Sie nahm ihn an die Leine und verließ das Feld.

„Nicht hergelaufen, ist vom Himmel gefallen, Geschenk des Himmels!“, rief Rebecca ihr nach.

Horst-Volkmar Trepte, geboren am 28.02.1947, Diplom-Psychologe, lebt in der Seestadt Bremerhaven und in Thièfosse (Vogesen, Frankreich), schreibt Gedichte und Kurzgeschichten, hat in Anthologien und literarischen Zeitschriften veröffentlicht, mag den salzigen Duft und den unerbittlichen Gegenwind am Deich an der Nordseeküste wie auch die unzähligen unterschiedlichen Ansichten, die sich bei Bergwanderungen eröffnen.

*

Auf den Hund gekommen

Schon blickte ich alle paar Minuten auf die Uhr. Um 12 Uhr wollte ich meine Pause einlegen, meine Mittagspause, mit ein wenig Studentenfutter.

Ich war nach dem Frühstück in Greifswald mit dem Fahrrad aufgebrochen, inzwischen war ich auf der Insel Usedom angekommen und bis zum Hotel waren es sicher noch mindestens zwei Stunden. Als meine Uhr die 12 anzeigte, wählte ich mir ein schattiges Plätzchen an einer kleinen Straße, einer Siedlung mit Einfamilienhäusern und kleinen Gärten davor. Ich stieg vom Rad und holte mir aus der Tasche, was ich für die Pause brauchte, da fing ein Hund auf dem Grundstück, vor dem ich stand, an zu bellen.

Ich weiß nicht mehr, was es für ein Hund war, ein großer oder kleiner, schwarz, grau oder – von mir aus – blau angemalt, es ist jetzt zehn Jahre her. Ich weiß nur eines: Der Hund war ganz Gekläff. Manchmal erlebt man in Fußgängerzonen Menschen, die ohne erkennbaren Grund herumschreien und damit nicht aufhören können, so war dieser Hund. Warum aber sollte ich mich von ihm in meiner Pause stören lassen?

Ich erinnerte mich an Familien, die immer, auch wenn man sie besuchte, den Fernseher laufen ließen. Ob man gemeinsam aß, ob man sich unterhielt, immer lief das Gedudel im Hintergrund. Das störte und gehörte sich nicht, aber man konnte es im Laufe der Zeit innerlich abschalten.

Also machte ich weiter, was ich vorhatte: Wasser trinken, Nüsse essen, noch einmal trinken, Sonnencreme verteilen, mich noch einmal über den Weg orientieren, wieder trinken, weiterfahren, das war der Plan.

Doch der Hund hatte Kondition, er kläffte beständig. Nach vielleicht fünf Minuten kam sein Besitzer aus dem Haus, beruhigte den Vierbeiner und fragte mich, was ich hier mache.

Pause natürlich, das war ja auch deutlich zu sehen.

Warum vor dem Grundstück?

Ich erzählte dem Mann, auf welchem Wege ich war, dass es jetzt nach 12 sei und ich ein schattiges Plätzchen gesucht habe.

Und ob ich nicht gehört hätte, dass sein Hund belle.

Natürlich hatte ich das gehört und ich hatte das als sehr unhöflich empfunden. Man bellte Wanderer nicht an, egal, ob sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs seien. Und ich habe gegessen, mich weder dem Hund noch dem Grundstück genähert. Der Hund habe sich vielmehr aggressiv verhalten. Behandele er Fremde immer so? Der Mann hätte ihn besser erziehen sollen.

Wozu haben Menschen einen Hund, überlegte ich: manche als Therapie gegen ihre Einsamkeit, manche als Spielkameraden für ihre Kinder, da sie weder die Zeit noch die Lust haben, sich selber um sie zu kümmern, manche auch zur Bewachung des eigenen Hauses.