Un Amore Italiano - Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n? - Martina Meier - E-Book

Un Amore Italiano - Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh'n? E-Book

Martina Meier

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Beschreibung

Sehnsuchtsland Italien – wer hat dieses wunderschöne Land je schöner beschrieben als unser großer Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe? Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn, Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn, Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, Kennst du es wohl? Dahin! Dahin! Möcht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn! ... Und dieses wundervolle Land hat bis heute nichts von seiner Schönheit verloren. "Sobald ich die italienische Grenze überschreite", so Herausgeberin und Verlegerin Martina Meier, "fällt von mir der Alltag ab." So widmen wir uns in diesem Buchprojekt dem Sehnsuchtsland Italien – in Erzählungen oder Märchen, in Liebesgeschichten und Gedichten, aber auch in Rezepten und persönlichen Erinnerungen ... und genießen echte italienische Momente.

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Seitenzahl: 193

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Un Amore Italiano

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?

Italienische Liebesgeschichten – Band 6

Martina Meier (Hrsg.)

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Impressum:

Besuchen Sie uns im Internet:

herzsprung-verlag.de

Herausgegeben von CAT creativ - cat-creativ.at

Lektorat und Gestaltung

im Auftrag von

© 2021 – Herzsprung-Verlag

Mühlstraße 10 – 88085 Langenargen

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2021

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Cover erstellt unter Verwendung von Bildern mit AdobeStock-Lizenz: © simbos + © neirfy

Reisen Sie mit uns in das Sehnsuchtsland Italien und erleben immer wieder neue „Un Amore Italiano – Geschichten einer Liebe in Italien“.

ISBN: 978-3-99051-034-6 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-99051-035-3 - E-Book

*

Inhalt

Sternstunden

Eine römische Liebe

Urlaub in Freiheit

Wenn über Venedig der Mond steht

Eine Reise in den Süden – Liebe inbegriffen

Der unerreichbare Ort

Alle Wege führen nach Rom

Der 90. Geburtstag meines Nonnos

Italienische Kirschblüten

Sommersehnsuchtsland

Ein kleines Mädchen singt

Tausend Worte Sonnenschein

Briefe an Rom

Malcesine am Gardasee - Italien 1991

Das kleine Geheimnis in der Toskana

Italien sehen und sterben?

Das siebte Geschenk

Enzas Vermächtnis

Magie auf Italienisch

Enjo, der zufriedene Eisverkäufer

Urlaub mit Weltrekorden

Geheimnisvolle Türen

Italienische Fernträume

Ein zauberhafter Ratgeber

Seine Mutter, mein Mann und ich

La vincita

Bella vita

Caffè, Caffè

Italien-Erinnerungen

La gita oder der Ausflug

Skizze vom San Bernadino

Mit dem Radl

Zeit für Italien

A Venezia

Fisch a la Napoli

Geht doch

Der kleine Mönch unter der Stadt

Buchtipp

Impressum

*

Sternstunden

Der blaue Himmel ist voller Schwalben. Einer plötzlichen Eingebung folgend habe ich das Auto am Fuß der Einfahrt abgestellt. Die letzten Meter möchte ich Schritt für Schritt zurücklegen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich damit meine Vorfreude in die Länge ziehen oder meine Ankunft verzögern will.

Weinreben, grünes Laub in gleichmäßigen Reihen, erstrecken sich zu beiden Seiten des staubigen Feldweges über sanft gewelltes Land. Am Horizont verschmelzen die Hügel im Abenddunst wie durch eine große Lupe. Atemloses Herzklopfen. Wie immer, wenn ich an ihn denke. Und wenn er sich nicht freut, dass ich komme?

Was dann?

„Anna, die Weinberge bleiben an Ort und Stelle. Sie brauchen keine Skizzen. Schauen Sie, konzentrieren Sie sich und beginnen Sie gleich mit der Farbe! Wagen Sie Neues! Verlassen Sie angestammte Pfade!“

Ich spürte den missbilligenden Blick von Signora, unserer Lehrerin, in meinem Rücken. Meine mit groben Bleistift-Strichen hingeworfenen Zeichnungen, die ich jetzt fein säuberlich mit Aquarellfarben kolorierte, waren ihr von Beginn an ein Dorn im Auge. Mir gefielen meine Bilder.

„Passabel!“, lautete der Kommentar von Signora, um gleich darauf nachzuschieben, ihnen fehle das Leben und überhaupt der persönliche Stempel. Warum sagte sie nicht gleich langweilig?

Der Malkurs im Süden war ein Geschenk meiner Familie zu meinem 45. Geburtstag. Natürlich hatte ich mich gefreut, wurde aber gleichzeitig den Verdacht nicht los, meine Familie wollte mich für den September, den ich als Familienzeit an der Nordsee vor dem Beginn des Studiums der Kinder eingeplant hatte, anderweitig unterbringen. Einen Tag nach meinem Geburtstag hatten meine Teenie-Zwillinge mir ihre fix und fertig geplante Rundreise durch Spanien präsentiert. Und mein Mann? Hatte erstaunlich schnell eine Klettertour in den Alpen, seinen lang gehegten Traum, gebucht.

Jetzt saß ich vor meiner Staffelei auf der schattigen Terrasse des Ateliers inmitten der anderen, ausschließlich weiblichen Teilnehmer des Kurses, die sanft geschwungenen Hügel der Toskana und einen azurblauen Himmel vor Augen. Weinstöcke in Reih und Glied, über denen die Mittagshitze flimmerte. Diese Landschaft sollten wir abbilden. Im dottergelben Kaftan flatterte Signora um uns wie ein Zitronenfalter. Natürlich hatte die Lehrerin einen richtigen Namen – Giuseppina Marcella –, aber irgendwie hatte sich eingebürgert, sie nur Signora zu nennen, hatte sie uns erzählt. Sie war eine Institution des Weingutes, das neben den Malkursen und Weinproben auch Kost und Logis anbot. Die Lehrerin lobte, kritisierte, gab Tipps, die wie die eines Coaches klangen, setze selbst hier und da ein paar Pinselstriche, besonders gerne bei mir. Theoriestunden hielt Signora für überflüssig. Wir sollten unserer Intuition folgen. Man male mit dem Herzen, nicht mit dem Kopf, es sei wie in der Liebe. Sie wurde nicht müde, das zu betonen. So häufig, dass wir Wetten abgeschlossen hatten, wie oft ihr dieser Satz an einem Tag über die Lippen käme.

Heute war es heiß, zu heiß, wir alle hatten Schwierigkeiten, uns künstlerisch zu betätigen, wie ich mit Seitenblick auf meine Nachbarinnen festgestellt hatte. Die meisten von uns genossen den grandiosen Ausblick und sahen dem emsigen Treiben in den Hügeln zu. Seit zwei Tagen arbeiteten die Erntehelfer ununterbrochen von Sonnenaufgang bis zum letzten Tageslicht. Überall in den Weinbergen gab es etwas zu entdecken: Menschen, die wie Ameisen fleißig wimmelten, rote Erntekörbe, kleine Traktoren. Es war spannender, zu schauen, zu beobachten, als sich mit der Leinwand zu befassen.

Als Signora mich abermals ermahnte, ich solle mich konzentrieren – die Frau hatte mich offensichtlich auf dem Kieker –, pinselte ich lustlos weiter. Jetzt fragte ich mich ständig, was meine Familie wohl gerade machte. Mein Smartphone steckte in der Hosentasche, war auf Vibrationsmodus geschaltet. Wiederholt hatte ich das Gefühl, es vibrierte. Jedes Mal war es falscher Alarm, wie ich mit einem Blick auf das Display feststellte. Signora bekam es immer mit, wenn ich das Gerät aus der Hosentasche zog – wahrscheinlich überwachte sie mich mit Argusaugen – und sagte dann: „Beim nächsten Mal ist das Handy weg!“ Mein Gott, diese Frau konnte wirklich anstrengend sein.

Als ein Mann in Jeans und blütenweißem Hemd die Terrasse betrat, flogen unsere Köpfe herum, als hätten wir alle die Ablenkung herbeigesehnt. Ich stöhnte innerlich. Es war dieser ungehobelte Kerl, der mich gestern Abend, im Blaumann und sichtlich verschwitzt, angepöbelt hatte, wegen meines Autos, das die Einfahrt zum Maschinenpark versperrte. Dass ich mich dort nur kurz hingestellt hatte, um mit meinem Mann zu telefonieren, konnte er nicht wissen. Ich hatte mich mit meinem Mann am Telefon gestritten, sodass sich meine Laune auf dem absoluten Tiefpunkt befand, als er mit dem Traktor eintraf, hupte, wild gestikulierte und schimpfte. Ich war förmlich explodiert. Ich hatte den Blaumann, die Welt, obwohl ich meinen Mann meinte, mit einer Reihe von lauten Flüchen bedacht. Mein Gegenüber war nicht minder überrascht gewesen als ich selbst. Und dann, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hatte ich aufs Gas getreten, dass die Kieselsteine spritzten, und war auf den Gästeparkplatz gefahren. Ein gelungener Abgang, hatte ich mir selbst gratuliert. Selbstbewusst, ausdrucksstark und angemessen.

Jetzt betrachtete ich den Mann, der sich nun vor uns aufbaute und vorstellte. Alessandro Cillo, der Besitzer des Weingutes – oha, ich hatte ihn gedanklich als Erntehelfer eingeordnet –, frisch geduscht, mit heute sichtlich blendender Laune, begrüßte uns Hobby-Künstlerinnen. Er konnte also auch freundlich sein, dachte ich. Während er sprach, blieb sein Blick einen Augenblick länger als nötig an mir hängen. Prüfte er, ob sich die arme Irre wieder beruhigt hatte? Er erzählte von seinem Gut, der Familiengeschichte, die eng mit den Weinbergen verbunden war. Den Teil, dass seine Frau vor sechs Jahren tödlich verunglückt war und er sich seitdem in Arbeit vergrub, um sein Herz vor einer neuen Liebe zu schützen, wie uns Signora erzählt hatte, ließ er aus. Voller Stolz sprach er über seine Rebsorten und Weine, kurz und bündig, und entschuldigte sich gleich darauf, weil er zurück zur Ernte müsse.

Genau wie die anderen Frauen hatte ich ihm mit weit aufgerissenen Augen zugehört. Nun ertappte ich mich dabei, dass ich mich für mein Verhalten gestern Abend zu schämen begann und – sehr interessant – dass meine Gedanken in eine ungewöhnliche Richtung drifteten. Beim anschließenden Mittagessen war Alessandro Cillo das Gesprächsthema. Ein Mann, der zum Träumen geeignet war. Nun ja, er war wie der Hahn im Hühnerstall aufgetaucht, verständlich, dass er auf uns Hennen wirkte. Außerdem sah er nicht schlecht aus, überlegte ich weiter, mit seinem schwarzen, etwas zerzausten Haar, das ihn sicherlich jünger machte, als er war, dem dunklen Teint und den braunen Augen, die sehr intensiv und aufmerksam schauen konnten. Ja, er hatte das gewisse Etwas, das Frauen ansprach. Nicht wenigen meiner Künstler-Kolleginnen spukte eine Verabredung mit ihm – und mehr – durch den Kopf, wie sie nach dem zweiten Glas Wein gestanden. Selbst ich reagierte auf ihn. Vielleicht hatte Signora uns genau deswegen den traurigen Teil seiner Familiengeschichte erzählt, um den armen Alessandro, wie sie ihn wiederholt nannte, vor der Hysterie flirtwilliger Amateur-Malerinnen zu schützen.

Und dann kam dieser Samstag. Die Hitze, die seit einer Woche über dem Land bis in die Nacht geherrscht hatte, erreichte den Höhepunkt. Schwül wie in einer Waschküche war es, das Konzert der Zikaden, das sonst beständig zu hören war, war verstummt, ebenso der Gesang der Vögel. Kein Luftzug wehte. Es schien, als hätte die Natur den Atem angehalten.

Am späten Nachmittag sollten wir Trauben zeichnen – wieder einmal, wie originell –, heute direkt am Weinstock. Die nördlichen Berge waren noch nicht abgeerntet. Also sollten wir uns dort weitläufig verteilen und arbeiten. Im Vertrauen auf die mangelnde Lust von Signora, sich in der Glut zu bewegen, war ich fast eine halbe Stunde durch die Reben gewandert, um meine Ruhe zu haben. Mein gelbes Leinenkleid klebte auf der Haut und ich war froh, dass ich an den breitkrempigen Strohhut gedacht hatte. Ich wischte mir die Schweißperlen von der Stirn, leerte die Wasserflasche, die ich mitgeschleppt hatte, ehe ich meinen Stuhl auf dem braun gebrannten Grasstreifen zwischen den Rebenreihen ausklappte und mich darauf niedersinken ließ.

Für einen Moment musste ich verschnaufen. Ich atmete den intensiven Geruch von vertrocknetem Gras, beobachtete einen großen schwarzen Käfer, der sich über die rote, bröcklige Erde mühte, und war dankbar für den einen zarten Windhauch, der meine bloßen Arme streichelte. Dann begann ich mit der Arbeit. Ich malte mit Feuereifer. Trauben und abermals Trauben, unterschiedliche Perspektiven, verschiedene Formate, ich wählte neue Bildausschnitte. Signora würde staunen.

Als eine Windbö mein Zeichenpapier flattern ließ, blickte ich auf und erschrak. Der Himmel war voller dunkler, bedrohlich aussehender Wolken – und jemand stand neben mir. Jemand im Blaumann. Alessandro Cillo.

„Wie lange schon“, schoss es mir durch den Kopf.

Warum? Zufall? Hatte er etwas gesagt? Worauf wartete er?

Ehe das Gewitter in einer nicht erwarteten Heftigkeit losbrach, erreichten wir einen Unterstand. Trotzdem hatten uns die ersten dicken Tropfen bereits durchnässt. Mit zwei alten Handtüchern, die wir in der behelfsmäßig zusammengezimmerten Hütte fanden, trockneten wir meine Zeichnungen und uns notdürftig ab, kichernd wie Teenager, bevor wir atemlos in der Bewegung innehielten. Was folgte, war unzählige Male durch meine Träume als wilde Fantasie gegeistert.

Wir fixierten uns für eine gefühlte Ewigkeit, als wägten wir sorgfältig ab, ob wir den nächsten Schritt gehen sollten. Ich überließ Alessandro den Vortritt, nicht, dass er dachte, ich würde mich ihm an den Hals werfen. Nur ein sanfter, vorsichtiger, ein testender Kuss war es gewesen. Aber einer, der meinen Verstand offenbar abschalten konnte.

Meine Gedanken drehten sich auch danach ununterbrochen um diese Begegnung mit Alessandro. Wieder und wieder gab ich mich dem süßen Nachhall des Kusses hin, bevor mein analytisches Denken endlich wieder die Oberhand gewann. Das Gewitter, diese aufgeladene Atmosphäre, überhaupt die südlichen Reize waren schuld an der Eskapade. Was geschehen war, passte absolut nicht zu mir, ging mir weiter durch den Kopf. Zu mir, die jeden Schritt durchdachte, die ein ganzes Leben – Ausbildung, Hochzeit, Haus, Kinder – akribisch wie eine Expedition im Voraus geplant und umgesetzt hatte. Hormone, nichts als Hormone waren es, die versuchten, mit aller Macht in mein Leben zu grätschen. Ein kleines Urlaubsabenteuer hatte ich erlebt, okay, vielleicht musste das nach zwanzig Jahren einer vor sich hin dümpelnden Ehe sein. Natürlich würde sich das nicht wiederholen, das war nicht mein Stil. Urlaubsromanzen, Affären, so ein Typ war ich nicht. Und Alessandro lachte sich wahrscheinlich ins Fäustchen, weil es ihm gelungen war, mich zu überrumpeln, bevor er sich der nächsten Frau widmete.

Wir trafen uns wieder. Ich ließ es zu und genoss es, als erlebte ich die Liebe zum ersten Mal im Leben. Alessandro verhielt sich charmant und leidenschaftlich. Er war intelligent, großherzig und voller Esprit. Wir lachten viel. Stundenlang, nächtelang unterhielten wir uns. Das Leben pulsierte. Ein grandioses Gefühl. Tage des Glücks waren es. Ich fühlte mich jung, begehrt, unbeschwert. So lebendig. In Signoras Gesichtszügen spiegelten sich Bewunderung und Zustimmung, als ich mutig und kraftvoll mit Ölfarbe experimentierte. Auf einmal war ich ihre erklärte Lieblingsschülerin.

Wieder zu Hause in Deutschland hoffte ich, ich würde auf dem harten Boden der Tatsachen aufschlagen und vom Alltag überrollt an den Urlaub und Alessandro nur wie an einen betörenden Traum denken. Ich hoffte, Alessandro würde mich vergessen, damit ich ihn vergessen konnte.

Aber er tat es nicht. Jede Nachricht, jedes Telefonat, durchwebt von Sehnsucht, brachte uns ein Stück näher. Wir waren zwei Seelen, die sich berührten, immer wieder. Es war mitnichten eine Romanze, kein leichtfertiges Entschweben aus dem Alltag, es war mehr. Uns verbanden tiefe Gefühle. Wie in einem Zeitraffer hatte sich zwischen uns etwas entwickelt, was so übermächtig schien, dass ich eine Entscheidung treffen musste. Alessandro lud mich in sein Leben ein, doch er drängte mich nicht.

Ein halbes Jahr später verließen meine Kinder das heimische Nest. Überraschenderweise schlug mein Mann mir gleichzeitig vor, eine Auszeit von der Ehe zu nehmen, um nachzudenken, wie er es nannte. Ich war wie vor den Kopf geschlagen.

Ich verbot mir, an Alessandro zu denken. Dafür hatte ich gar keine Zeit. Hatte ich nicht genug mit meiner Ehe zu tun? Trotz aller Bemühungen funktionierte es nicht. Meine Gefühle für Alessandro ließen sich nicht abschalten. Aber: Wie sollte es weitergehen? Sollte ich zwanzig Jahre Ehe eintauschen gegen einen Pass ins Ungewisse?

Es war schließlich mein Mann, der den langen Monaten des Haderns ein Ende setzte. „Hör einmal im Leben auf dein Herz! Es ist besser für uns alle!“

Sommerdüfte umwehen mich. Hohe Zypressen säumen wie Wächter den Weg, sieben das goldene Abendlicht. Dankbarkeit für diesen Moment steigt in mir auf. Und dann überwältigt mich die Freude: Ich könnte hüpfen, springen, die Welt umarmen und lege frohen Mutes einen Schritt zu. Wenig später kommt Alessandros Gut in Sicht, die gelb getünchten Gebäude auf dem Hügel. Mir stockt der Atem. Dutzende roter Luftballons, zu einem riesigen Herz gebunden, tanzen in der warmen Luft neben dem Eingang seines Privathauses. Von dem Balkon, der sich über die Haustür spannt, hängt ein Plakat. Ich lese:

Herzlich willkommen, Anna, mein Engel!

Bettina Schneideraus Berlin.

*

Eine römische Liebe

Italien – Anette war fasziniert von dem Zauber des Landes.. Da war das türkisfarbene Meer, duftende Pinienwälder, bunte Häuser, lautes Zikaden-Gezischel, säuselnde Palmenblätter, Hupkonzerte in engen Gassen, tägliche Pasta, unendlich viel Sonne, sagenhaftes Licht und – jede Menge sehr attraktive junge Männer. Bisher hatte sie das Land am Mittelmeer nur unter der Obhut ihrer Eltern und Schule erkundet. Ferientage in Positano an der herrlichen Amalfiküste oder etwa Taormina an der Ostküste Siziliens und die Abifahrt mit der Oberprima nach Rom hatten ihren Entschluss geformt. Sie wollte alles über die Schönheit und Eleganz des Landes, seine großartige Geschichte und die lebhaften Menschen kennenlernen, aber zuerst seine Sprache.

Es war Herbst 1975. Ein Jahr Studium am Dolmetscher Institut in Heidelberg lag jetzt hinter ihr. Zusammen mit ihrer Freundin Monika hatte sie die Grundlagen der italienischen Grammatik und Sprache gepaukt. Jetzt wollten die Freundinnen der deutschen Tristesse entfliehen und zusammen nach Rom reisen. Doch so einfach ging das nicht. Anettes Vater hatte bei den gemeinsamen Italien-Urlauben längst bemerkt, dass die jungen Herren seiner Tochter ständig heiße Blicke nachwarfen. Er wollte ihr die Fahrt in den Süden verbieten.

„Kommt nicht infrage“, beschloss er kurz und knapp. „Den Italienern kann man nicht trauen, sie stehlen Autos, alles Gauner.“

Das saß. Anette war verzweifelt. Wie schaffte sie es nur, ihren Vater zu überzeugen? Richtig verbieten konnte er die Reise nicht. Seit Januar war die Volljährigkeit von 21 Jahren auf das Alter von 18 Jahren herabgesetzt worden. Vieles Betteln, noch mehr Versprechungen und die Buchung einer Unterkunft im Kloster San Francesco D’Assisi am Fuße des Petersdoms konnten ihn schließlich erweichen. Vor allem aber die Tatsache, dass um 22.00 Uhr die Tore des Klosters abgesperrt wurden, zog bei ihrem Vater.

„Moni“, rief Anette quer durch die Heidelberger Studenten-WG. „Mein Koffer geht nicht zu.“ Ihre Freundin hörte sie nicht. Dafür bestand auch nicht die geringste Chance, denn aus dem Radio dröhnte gerade Adriano Celentanos Stimme: „Ma, Siamo in crisi ma, senza andare in là.“ Der Italiener sang über die Krise in den Siebzigern, den Umbruch und Aufbruch. Anette bekam davon wenig mit. Der Song Svalutation war vor allem ein irre guter Hit und entfachte ihre Vorfreude. Anette schürzte die Lippen und sang den Refrain auf vollem Halse mit. Dann schlenderte sie ins Nachbarzimmer zu ihrer Freundin. „Die Sandalen mit den Plateausohlen müssen unbedingt mit“, brüllte sie ihr ins Ohr. „Passen die noch in deinen Koffer?“

„Mein Koffer ist voll und ultraschwer“, entgegnete Monika. „Was hast du denn schon alles eingepackt? Zähl mal auf. Vielleicht habe ich etwas vergessen und muss noch mal umsortieren.“

„Todschicke Klamotten“, bilanzierte Anette überschwänglich. „Den Wildlederrock und den Bolero mit den Fransen und – ganz wichtig – den schwarzen Lackmantel, die weiße Bluse mit den Trompetenärmeln und zwei Schlaghosen und und und.“

Mode war in Italien ein wichtiger Teil des kulturellen Lebens und der Gesellschaft, das war den beiden Damen längst aufgefallen. Joggingschuhe oder Turnschuhe ließ man besser zu Hause. Socken in Sandalen etwa ging gar nicht. Anette und Monika hatten sich fest vorgenommen, nicht als Touristen aufzufallen. Monika versuchte, den Koffer zu schließen, leider ohne Erfolg. Sie stöhnte: „Meinen Lackmantel nehme ich über den Arm. Der geht nicht mehr in den Koffer.“

Die beiden Studentinnen hatten Fahrkarten für den Liegewagen nach Rom gekauft. Zwanzig Stunden Rattern und Quietschen von Eisenbahnrädern lagen vor ihnen. An Schlaf war nicht zu denken und je weiter sie in den Süden kamen, umso stickiger wurde die Luft im Abteil.

In Chiasso mussten sie ihre Pässe vorzeigen. „Buongiorno“, begrüßte sie ein dickbäuchiger Schaffner mit Schnauzbart. „I passaporti per favore.“ Italienische Familien stiegen zu, packten Käse, Tomaten und Salami aus, es stank nach Knoblauch, die Rotweinflasche wurde entkorkt – und das schon vormittags. Anette und Monika verstanden nur die Hälfte oder eigentlich gar nichts von dem, was um sie herum ununterbrochen lamentiert wurde. Nur „Bella Signorina“ und „Come va?“

Sie mussten sich nur ansehen und fingen an zu kichern. Müde, aber glücklich kamen sie gegen Nachmittag in Rom Termini an, stiegen in ein Taxi, das sie zum Kloster San Francesco D’Assisi brachte. Hier empfing sie eine vertrocknete Nonne und brachte sie auf ihr Zimmer. Die Unterkunft war einfach ausgestattet, aber zum Glück gab es einen Balkon mit Liegestühlen und einem fantastischen Blick über Rom und den Petersdom. Das Kloster stieß direkt an die Vatikanmauern. Anette und Monika umarmten sich glücklich.

„Wir sind da, endlich da und mittendrin. Genauso habe ich mir das immer vorgestellt“, sagte Anette.

„Was besichtigen wir morgen als Erstes?“, fragte Monika.

Doch Anette lag schon auf einem der Liegestühle und hörte die Frage ihrer Freundin nicht mehr. Sie war in der warmen Herbstsonne sofort eingeschlafen. Lautes Glockengeläut weckte sie nach einer Weile wieder auf.

„Was ist?“, fragte Anette.

Es klopfte an der Tür. „Cena, per favore, Cena.“

Monika schlug im Wörterbuch nach. „Ah, Abendessen.“

Schnell zogen sich die jungen Damen um und gingen in einen kargen Speisesaal, der so gar nicht einer gemütlichen Trattoria entsprach. Die Freundinnen waren skeptisch, doch der servierte Vino Rosso tat seine Wirkung und die jungen Damen prosteten sich schon beim zweiten Glas fröhlich zu. Das Leben begann! Die Küche im Kloster war hervorragend. Serviert wurden Frutti di Mare fritti, Spaghetti al sugo und ein göttliches Dessert, irgendeine Crema, die nach Kaffee und Schokolade schmeckte.

„Sensationell.“ Mehr konnte Monika dazu nicht sagen. So fantastisch hatten sie noch nie gegessen. Ihr Bauch war kurz davor, zu platzen.

Am nächsten Morgen war ihr Ziel das Forum Romanum. Anette und Monika waren absolut überwältigt und voller Ehrfurcht, so viel Geschichte unter ihren Füßen zu spüren und mit ihren Händen zu ertasten. Sie studierten den Reiseführer, prägten sich so viel wie möglich ein und fotografierten, bis drei Filme voll war. Dabei begann der Urlaub doch gerade erst. Ein riesiger Zitronenbaum direkt an der Via Sacra verströmte seinen fruchtigen, süßen Duft. Riesige Pinienbäume spendeten ein wenig Schatten. Die Sonne strahlte. Es war einfach nur herrlich. Erfüllt von der Historie beendeten sie am späten Nachmittag ihren Rundgang durch die Antike, fuhren mit der U-Bahn zurück ins Kloster, um sich für den Abend schick zu machen. Anette zog einen blaugrün gemusterten Samtrock im Glockenlook zusammen mit einer weißen kurzärmligen Bluse und weißen Sandalen an – natürlich ohne Socken. Auch Monika wechselte die Kleidung und legte einen neuen Film in ihren Fotoapparat ein. Sie zogen los in die Innenstadt. Es war Montag und gähnende Leere in der Stadt. Deshalb posierte Anette lachend und mit keckem Hüftschwung an der Spanischen Treppe und wurde von Monika fotografiert.

Zwei junge, hochgewachsene Italiener beobachteten sie aus der Ferne. Sie spielten Gitarre, blieben aber von den zwei jungen Damen unbemerkt. Die Freundinnen setzten sich auf die Stufen der Spanischen Treppe und genossen die Aussicht auf die Piazza di Spangna.

Eine Gruppe von Junggesellen sprach sie an. „Werry pritty Signorinas, werry pritty.“ Anette und Monika prusteten lauthals los, versuchten aber, sich schnell zu beherrschen, und hielten sich die Hand vor den Mund. Die englische Aussprache der Italiener war herrlich komisch. Die Freundinnen verdrehten die Augen.

Die jungen Herren gaben nicht auf und fragten: „Do you like to dance with me?“ Die beiden schüttelten den Kopf. Mit geübtem Blick hatte sie längst abgeschätzt, dass diese Italiener mindestens ein Kopf kleiner waren als sie. Die Freundinnen standen auf, um zum Kloster zurückzugehen. Auf ihrem Weg wurde sie erneut von zwei Männern eingerahmt. Diesmal waren sie groß und hübsch.

„La musica – nicht gut?“, fragte der junge Mann an ihrer Seite. „Wohin gehen Sie?“

Anette und Monika liefen stur weiter und sahen sich an. „Reden wir mit diesen Typen?“, fragte Anette.

„Och ja.“ Monika war von der neuen männlichen Begleitung angetan.

„Come ti chiami?“, fragte Anette den Mann zu ihrer Linken.

„Sono Vincenzo.“ Er wollte Anette in die Wangen kneifen, aber sie wich ihm sofort aus.

„Der ist ja richtig frech“, dachte sie. „Schon wieder so ein Draufgänger.“ Eigentlich wollte sie Vincenzo zurechtweisen. Aber dann fingen er und sein Freund Luca an, auf der Gitarre zu spielen, und sangen dazu abwechselnd mit fantastischen Stimmen. Sie improvisierten viel und spielten auch bekannte Songs. Anette und Monika klatschten, wippten und sangen mit. Die Freundinnen waren beeindruckt. Die Konversation beschränkte sich vor allem auf bella, bellissima, buona, grande und noch mal bellissima. Den Italienern gingen die Komplimente nicht aus.

Vincenzo legte den Arm um Anette. Sie war empört über die Annäherungsversuche und legte seinen Arm weg. Anderseits hatte sie noch nie so viele charmante Komplimente bekommen und noch nie hatte ein so gut aussehender Mann sie so angehimmelt und für sie gesungen. Seine samtigen, dunklen Augen waren wunderschön. Schließlich willigten die jungen Damen ein, gemeinsam in einer Bar einen Vino Rosso zu trinken. Doch dann sah Monika auf die Uhr. „Wir müssen zurück zum Kloster laufen. Die Tore machen gleich zu.“ Hastig verabredeten sie sich für übernächsten Nachmittag.