Mein Kind ist transgender - und jetzt? - Michele Angello - E-Book

Mein Kind ist transgender - und jetzt? E-Book

Michele Angello

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Beschreibung

Im falschen Körper geboren? Wenn Eltern feststellen, dass ihr Kind sich seinem angeborenen biologischen Geschlecht nicht zugehörig fühlt, stellt das ihre Welt auf den Kopf. - Ist das nur eine Phase oder ist mein Kind wirklich Transgender? - Hab ich was falsch gemacht? - Wie gehe ich einfühlsam mit meinem Kind um? - Wie und mit wem kann ich darüber reden? - Wird mein Kind geliebt werden? Dr. Michele Angello und Alisa Bowman geben fundierte Antworten aus ihrer langjährigen Arbeit mit transidenten Kindern und deren Familien. Die liebevollen und praktischen Tipps helfen Eltern dabei, Ängste, Sorgen und Schamgefühle zu verlieren, die Identität ihres Kindes anzunehmen und es auf dem Weg in eine glückliche Zukunft zu begleiten.

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Seitenzahl: 386

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Mein Kind ist transgender – und jetzt?

Wie Ihr Kind glücklich aufwächst und seinen eigenen Weg findet • Aus dem Englischen übersetzt von Daniela Kosic

Michele Angello, Alisa Bowman

1. Auflage 2020

Einleitung

Egal, ob Sie konservativ oder liberal, religiös oder agnostisch, reich oder arm sind, ein hohes Bildungsniveau haben oder nicht, kann das Großziehen geschlechtsvarianter Kinder eine Herausforderung sein. Und es gibt Lernbedarf, egal welches Verständnis von Geschlecht Sie haben. Selbstverständlich sorgen sich alle Eltern um das Wohlergehen ihrer Kinder, jedoch stehen Eltern, Familienangehörige und andere Bezugspersonen geschlechtsvarianter Kinder vor noch nie dagewesenen, beängstigenden und verwirrenden Entscheidungen und Fragen: Wie kann ich meinem Kind ein sorgloses Leben ermöglichen? Können Kinder wie meines ein normales Leben führen? Wird es sein ganzes Leben lang mit Diskriminierung, Hass und Gewalt zu kämpfen haben? Wie soll ich jemals medizinische Entscheidungen für mein Kind treffen, ohne ständig an meinen Entscheidungen zu zweifeln? Wie soll ich das alles finanzieren? Könnte mein Kind selbstmordgefährdet werden und wie kann ich das verhindern? Wie wird die Verwandtschaft reagieren, wenn ich erzähle, dass unser Sohn nun unsere Tochter ist? Könnte das nur eine Phase sein?

Alle, denen ein geschlechtsvariantes Kind am Herzen liegt, stellen sich früher oder später solche Fragen und es ist schwer, Antworten auf sie zu finden. Wenn Sie sich an Fachleute für Kinderheilkunde wenden, werden diese Ihnen vielleicht sagen, dass sie nicht viel über Transgender und andere Formen der Geschlechtsvarianz wissen. Personen aus Ihrem Freundeskreis könnten Ihnen Lügen und Halbwahrheiten erzählen und noch längst nicht alles, was im Internet steht, ist wahr.

Aus diesem Grund haben wir dieses Buch geschrieben. Es soll Antworten liefern, die auf Forschung, jahrelanger Erfahrung und Wissenschaft beruhen.

Über die deutsche Ausgabe dieses Buches

Im Englischen wird transgender als Adjektiv gebraucht, in der deutschen Sprache hingegen als Substantiv. Zur besseren Lesbarkeit und um dem amerikanischen Originaltext bestmöglich zu entsprechen, haben wir uns dafür entschieden, den Begriff in der deutschen Übersetzung ebenfalls als Adjektiv zu verwenden. Da sich das englischsprachige Original auf die Situation von Transgender-Personen in den Vereinigten Staaten bezog, mussten für die Übersetzung des Buches ins Deutsche an vielen Stellen Anpassungen für den deutschsprachigen Raum vorgenommen werden. Dies war vor allem bei Informationen zu wichtigen Anlaufstellen, Vereinen, aber auch bei Informationen zur rechtlichen Situation (unter anderem was die Vornamensänderung und die Änderung des Geschlechtseintrags betrifft) sowie zur Kostendeckung durch Versicherungen der Fall.

Wer wir sind

Dr. Michele Angello praktiziert in Wayne, Pennsylvania, in der Nähe von Philadelphia. Um die Jahrtausendwende war sie die einzige Therapeutin in dieser Region, die sich auf die Beratung von Transgender-Kindern und -Erwachsenen, sowie geschlechtsvarianten Personen und ihren Familien spezialisiert hatte. Zu dieser Zeit machten geschlechtsvariante Menschen nur einen kleinen Teil ihrer Arbeit aus. Als sie jedoch zunehmende Bekanntheit erlangte, begannen Eltern sie anzurufen: »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Mein Sohn trägt unheimlich gerne Kleider.« Heute, rund achtzehn Jahre später, besteht ihre Arbeit zu 95 Prozent aus der Unterstützung geschlechtsvarianter Menschen, die aus mehr als dreißig US-amerikanischen Bundesstaaten und zehn Ländern kommen. Neben ihrer beratenden Tätigkeit setzt sie sich auch auf andere Arten für geschlechtsvariante Menschen ein: Sie sagt vor Gericht als Sachverständige aus, schult Lehrkräfte und Verwaltungspersonal, hält Reden bei Konferenzen, berät Unternehmen bei der Schaffung eines positiven Arbeitsumfelds und gibt Interviews.

Alisa Bowman ist Autorin und war bis vor einem Jahrzehnt nicht mit dem Thema Transgender vertraut. Vor Jahren erzählte ihr eine befreundete Person von einem Neffen, der zu einer Nichte wurde. Sie kannte den Namen Chaz Bono. Mehr wusste sie jedoch nicht. Im Jahr 2006 begann dann ein Familienmitglied, geschlechtsvariantes Verhalten aufzuweisen. Eine Zeit lang hinterfragte dies niemand. Sie dachten, das Mädchen sei einfach nur jungenhaft. Irgendwann wollte dieses Kind, von dem alle dachten, es sei ein Mädchen, einen Maschinenhaarschnitt, die Herrentoilette in Restaurants benutzen und sich Jungenunterwäsche und Badehosen kaufen. Alisa fragte Michele: »Könnte sie…ich weiß nicht einmal, wie das heißt … transgender sein?« Danach folgte eine jahrelange Reise, die Alisas Horizont erweiterte und ihr Herz öffnete. Um ihr Familienmitglied zu unterstützen, besuchte Alisa Selbsthilfegruppen und Konferenzen zum Thema Transgender. Sie war überrascht von der Größe, der Unsichtbarkeit und der Stigmatisierung der geschlechtsvarianten Gemeinschaft. Bald erkannte sie, dass sich die Menschen, die versuchten, diese Jugendlichen zu unterstützen, zu fördern und zu beschützen, wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlten. Alisa sah es als ihre Aufgabe zu helfen und bietet deshalb Eltern ihre Unterstützung an.

Was wir Ihnen wünschen

Wir hoffen, dass dieser Ratgeber all Ihre Fragen beantwortet, insbesondere jene, die Sie sich nicht trauen zu stellen. Im besten Fall kommen Sie von Zeit zu Zeit auf dieses Buch zurück, damit es Ihnen hilft, Ihrem Kind ein sorgloses und würdevolles Leben zu ermöglichen. Vielleicht geben Sie es auch anderen zu lesen, damit sie Transgender-Kinder und -Erwachsene sowie geschlechtsvariante Personen besser verstehen. Wir hoffen, dass Ihnen durch dieses Buch Folgendes bewusst wird:

Wie Nebel am Morgen wird sich die Verwirrung lichten. Vielleicht fühlen Sie sich im ersten Moment überfordert. Ja, Sie lieben dieses Kind. Daran gibt es keinen Zweifel. Aber … kann das Geschlecht überhaupt geändert werden? Ist Geschlecht nicht von Geburt an festgelegt? Ist das nur eine Phase? Wie funktioniert das alles? Wie bereits erwähnt, ist es ganz normal, sich überfordert zu fühlen, insbesondere wenn es das erste Mal ist, dass Sie das Wort »Transgender« hören oder Sie sich nicht sicher sind, was wir mit dem Wort »geschlechtsvariant« meinen. Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen – diese Begriffe werden im ▶ Kapitel »Die Sprache des Geschlechts« erklärt. Wir hoffen, dass Sie in diesem Buch Antworten auf Ihre zahlreichen Fragen finden werden und Sie dadurch verstehen, wie wunderbar Ihr Kind ist.

Sie sind nicht allein. Die geschlechtsvariante Gemeinde, der auch Transgender-Personen angehören, mag zwar zum Großteil unsichtbar sein, ist aber definitiv vorhanden. Vorsichtigen Schätzungen zufolge leben in den USA ungefähr 984 000 Transgender-Personen, was in etwa 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. In Deutschland sind es grob geschätzt etwa 20 000 Transgender-Personen, was 0,02 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Man geht davon aus, dass weltweit eine von 30 000 Personen eine Transfrau und eine von 100 000 Personen ein Transmann ist. Die tatsächliche Zahl der Transgender-Personen ist jedoch viel höher. Studien zeigen, dass 71 Prozent der Transgender-Personen ihre wahre Identität verbergen, um sich vor Diskriminierung zu schützen. Diese Zahl wird noch höher, wenn geschlechtsvariante Personen, die zum Beispiel beide Geschlechter haben, geschlechtslos sind oder sich frei zwischen den Geschlechtern bewegen, miteinbezogen werden. Dieses Buch soll auch jene Menschen unterstützen, die sich für alle geschlechtsvarianten Jugendlichen einsetzen möchten, ungeachtet ihrer Geschlechtsidentität.

Weltweit gibt es immer mehr Kinder, die das Gefühl haben, im falschen Körper geboren worden zu sein. Das veranlasste viele unterschiedliche Organisationen dazu, Grundsatzerklärungen und Richtlinien zur Betreuung dieser Kinder zu veröffentlichen. Im Jahr 2007 startete das Gender Management Service des Kinderkrankenhauses in Boston das erste Programm mit Fokus auf Geschlechtsdysphorie (ein Unwohlsein, das entsteht, wenn der Körper nicht mit dem wahren Geschlecht übereinstimmt) bei Kindern und Jugendlichen. Heute, ein Jahrzehnt später, gibt es überall in den Vereinigten Staaten ähnliche Zentren: in Seattle, San Francisco, San Diego, Los Angeles, Boulder, Chicago, Kansas City, Cincinnati, Madison, Baltimore, Philadelphia, Washington D.C. und Buffalo.

Es mag Ihnen vielleicht erscheinen, als wäre Ihr Kind das einzige geschlechtsvariante Kind in Ihrer Nachbarschaft, Ihrem Bezirk oder Ihrem Land, aber das ist eine Illusion. Abhängig von der Größe Ihrer Region könnte es einige, wenn nicht sogar dutzende Familien wie die Ihre geben. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich zwei Familien auf einer Konferenz oder in einem Sommercamp für Transgender-Kinder treffen und merken, dass sie praktisch Nachbarn sind und wundervolle geschlechtsvariante Kinder nur zwei Straßen voneinander entfernt großziehen.

All Ihre Gefühle sind normal. Sie sind kein schlechter Mensch, wenn Sie in einer solchen Situation Angst haben, beschämt oder wütend sind. Fast alle – vom engen Freundeskreis bis hin zu Verwandten – sind erschüttert, wenn sie erfahren, dass ein Mensch, dessen Geschlecht sie zu kennen glaubten, sich nicht mit diesem Geschlecht identifiziert. Vielleicht trauern sie um den sorgfältig ausgewählten Namen oder um die Zukunft, die sie sich für dieses Kind ausmalten. Diese Gefühle sind so verbreitet und gewöhnlich, dass wir ihnen ein ganzes ▶ Kapitel widmeten.

Ja, Diskriminierung existiert und ihr Kind kann trotzdem erfolgreich sein. Die Liste prominenter geschlechtsvarianter Persönlichkeiten ist lang. Zu den vielen, vielen erfolgreichen Transgender-Personen gehören unter anderem:

Raffi Freedman-Gurspan, die erste Transgender-Person, die dem Weißen Haus als primäre Verbindungsstelle zur LGBT-Gemeinschaft diente.

Margaret Stumpp, Senior Vice President des US-amerikanischen Unternehmens Prudential Financial.

Lana und Lilly Wachowski, Regisseurinnen von Matrix und vielen anderen Filmen.

Jennifer Pritzker, ehemalige Oberstleutnantin der U.S. Army, Milliardeninvestorin und Philanthropin.

Lynn Conway, ehemalige Angestellte von Xerox, IBM und Memorex und Professorin für Elektrotechnik und Computerwissenschaften an der University of Michigan.

Rebecca Allison, ehemalige leitende Kardiologin des US-amerikanischen Versicherungsunternehmens Cigna.

Rachael Padman, Physikdozentin an der University of Cambridge in England.

Ben Barres, Professor für Neurobiologie in Stanford.

Malcolm Himschoot, Pfarrer der United Church of Christ.

Ines Rau und Andreja Pejic, Models.

Laverne Cox, Emmy-nominierte Schauspielerin.

Jenny Bailey, ehemalige Bürgermeisterin von Cambridge, England.

Stu Rasmussen, ehemaliger Bürgermeister von Silverton, Oregon.

C. Riley Snorton, Assistenzprofessor für Africana Studies an der Cornell University.

Kael McKenzie, Richter in Manitoba, Kanada, und Victoria Kolakowski, Richterin des Alameda County Superior Court in Kalifornien.

Sarah McBride, ehemalige Praktikantin im Weißen Haus, die im Center for American Progress als Wahlkampf- und Kommunikationsmanagerin arbeitet.

Ja, es gibt Hass auf dieser Welt, aber auch viel Liebe. Als der rechtsgesinnte Liberty Council damit drohte, eine Grundschule im US-Bundesstaat Wisconsin wegen einer Lesung des Kinderbuches I am Jazz (das die Geschichte der Transgender-Jugendlichen Jazz Jennings erzählt) zu verklagen, verschoben Gemeindemitglieder die Lesung in die örtliche Bibliothek, wo hunderte Menschen erschienen, um ihre Unterstützung zu zeigen. Einige Tage später stimmten die Mitglieder des Schulausschusses einstimmig für die Einführung einer neuen Richtlinie, die der Transgender-Schülerschaft den Zugang zu Toiletten und Umkleideräumen, die ihre Geschlechtsidentität zum Ausdruck bringen, ermöglicht, und das trotz der Einwände des Liberty Council und einiger weniger Eltern.

In Kansas City im US-Bundesstaat Missouri wählte eine Schule im Herbst 2015 erstmals ein Transgender-Mädchen als Abschlussballkönigin. Als einige Mitglieder der LGBT-feindlichen Westboro Baptist Church protestierten und Schilder mit der Aufschrift »Gott hasst Transen« oder »Du hasst deine Kinder« hochhielten, versammelten sich hunderte Kinder, Jugendliche, Eltern und Mitglieder der örtlichen Kirchengemeinde zu einer Gegendemonstration. Sie riefen: »God Save the Queen!«, und gingen in Scharen auf die viel kleinere Gruppe von Mitgliedern der Westboro Baptist Church zu, die daraufhin schnell in ihre Fahrzeuge stiegen und flüchteten.

Um noch ein weiteres Beispiel zu nennen: Im Jahr 2015 erhielt der Pfadfinderinnenverband Washington State Council of Girl Scouts eine Spende von 100 000 Dollar, jedoch unter folgender Bedingung: »Bitte stellen Sie sicher, dass unsere Spende keinen Transgender-Mädchen zugutekommt. Wenn das nicht möglich ist, geben Sie bitte das Geld zurück.« Der Verband nahm das Geld nicht an und startete stattdessen eine Crowdfunding-Kampagne auf der Website Indiegogo. Innerhalb von sechs Tagen kamen fast 300 000 Dollar zusammen, dreimal mehr, als die Spende betragen hätte. Megan Ferland, die Vorsitzende des Verbandes, sagte: »Die Girl Scouts sind für alle Mädchen und jedes Mädchen sollte die Möglichkeit haben, ein Girl Scout zu sein, wenn es das möchte.«

Andere haben Ihnen den Weg geebnet, damit Sie es nicht selbst tun müssen. Im Laufe der Jahre schlossen sich mehrere Familien mit Organisationen zusammen, um gegen diskriminierende Gesetze und Richtlinien zu kämpfen. Zwei nennenswerte Siege wurden in den US-Bundesstaaten Maine, Colorado sowie Virginia erzielt, wodurch Beispiele für vorbildliche Praktiken an Schulen zur Unterstützung von Transgender-Kindern geschaffen wurden. Aus diesem Grund werden Sie wahrscheinlich merken, dass Sie gar nicht so hart kämpfen müssen, damit Ihr Kind akzeptiert wird und die eigene Identität stets ausleben kann.

Die Welt verändert sich schnell zum Besseren. Ungefähr 70 Prozent der 900 Personen, die vom Zentrum für politische Kommunikation der University of Delaware befragt wurden, gaben an, den Schutz von Transgender-Personen vor Diskriminierung an Schulen und am Arbeitsplatz zu befürworten. Diese Einstellung war deutlich zu erkennen, als die New York Times damit begann, den Vornamen genderqueerer und genderfluider Personen die geschlechtsneutrale Anrede »Mx.« voranzustellen. Im Jahr 2015 wählten 300 Fachleute aus den Bereichen Linguistik, Lexikografie und Grammatik in den USA das Pronomen »they« (auf Deutsch: »sie«; dritte Person Plural) zum »Wort des Jahres«, da es im Gegensatz zu den Pronomen »he« und »she« (auf Deutsch: »er« und »sie« in der dritten Person Singular) genderqueere und genderfluide Personen miteinbezieht. Sie werden vielleicht merken, dass auch in diesem Buch weitestgehend auf geschlechtsspezifische Bezeichnungen verzichtet und stattdessen geschlechtsneutrale Alternativen verwendet wurden, so zum Beispiel »Personen« oder »Kinder«, um dadurch die Befürwortung einer solchen geschlechtsneutralen Ausdrucksweise deutlich zu machen.

Im Jahr 2016 legte ein Transgender-Mann in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia den Grundstein für die erste »Pride School«, eine Schule speziell für LGBT-Personen. In Boston, Massachusetts, wurde ein Chor mit dem Namen Butterfly Music Transgender Chorus gegründet, er lädt alle Transgender-Personen zum Mitsingen ein. Jaden Smith (Sohn von Will und Jada Pinkett Smith) war im Frühling 2016 das Gesicht einer Werbekampagne für Frauenbekleidung. Die Sängerin Adele besuchte Disneyland mit ihrem Sohn Angelo, der als seine Lieblings-Disney-Figur verkleidet war: Anna aus dem Film Die Eiskönigin. Der Transgender-Mann Ben Melzer wurde auf der Titelseite der deutschen Men’s Health abgebildet. Wir hoffen, dass diese Beispiele Ihnen zeigen, dass es noch nie einfacher war, ein geschlechtsvariantes Kind großzuziehen, zu begleiten und zu unterstützen. Ihr Kind kann noch viel mehr haben als einfach nur ein normales Leben. Ihr Kind kann ein außergewöhnlich authentisches Leben haben – ein bedeutungsvolles Leben voller Glück und Zufriedenheit.

Inhaltsverzeichnis

Titelei

Einleitung

Über die deutsche Ausgabe dieses Buches

Wer wir sind

Was wir Ihnen wünschen

1 Identitätskrise

1.1 Anzeichen1

1.2 Anzeichen 2

1.3 Anzeichen 3

1.4 Anzeichen 4

1.5 Anzeichen 5

1.6 Anzeichen 6

1.7 Anzeichen 7

2 Es ist nicht nur eine Phase

2.1 1. Die Studie bezog Kinder, die nicht transgender waren, mit ein.

2.2 2. Personen, die nicht mehr in die Klinik kamen, wurden als nicht mehr transgender verzeichnet.

2.3 3. Die Studie ist wenig repräsentativ.

3 Die Sprache des Geschlechts

3.1 Was ist der Unterschied zwischen dem biologischen Geschlecht und dem sozialen Geschlecht ?

3.2 Was ist der Unterschied zwischen der »Geschlechtsidentität« und dem »zugewiesenem Geschlecht«?

3.3 Ich sehe oft die Akronyme AFAB und AMAB. Was bedeuten sie?

3.4 Gibt es einen Unterschied zwischen Transgender und Geschlechtsvarianz?

3.5 Was bedeutet der Begriff »nicht geschlechtskonform«?

3.6 Was ist der Unterschied zwischen der »Geschlechtsidentität« und dem »Geschlechtsausdruck«?

3.7 Was bedeutet »cisgender« und was hat das mit Transgender-Personen zu tun?

3.8 Was ist der Unterschied zwischen Transgender und Transsexualität?

3.9 Was meinen Menschen, wenn sie sagen, sie seien »binär«?

3.10 Welche Unterschiede gibt es zwischen Menschen, die nicht geschlechtskonform, genderqueer, geschlechtsvariant oder transgender sind?

3.11 Ist intersex anders als transgender oder bedeutet es dasselbe?

3.12 Manche Menschen bezeichnen sich als genderfluid. Was bedeutet das?

3.13 Was ist der Unterschied zwischen Transgender-Personen, Crossdressern, Dragqueens und Dragkings?

3.14 Ist ein Transgender-Mann eine Frau in einem Männerkörper oder umgekehrt? Was ist mit Transgender-Frauen?

3.15 Was ist der Unterschied zwischen sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität?

3.16 Was ist der Unterschied zwischen einer Geschlechtsdysphorie und einer Geschlechtsidentitätsstörung?

3.17 Was bedeutet »misgendering«?

3.18 Was bedeutet LGBTund LGBTQQIP2SAA?

3.19 Was bedeutet »passing« und »blending«?

3.20 Was bedeuten »transphob«, »transmisogyn« und »cissplaining«?

3.21 Wie kann man Menschen geschlechtsneutral beschreiben?

3.22 Was ist ein »toter Name«?

3.23 Was ist der Unterschied zwischen dem Coming-out einer homosexuellen Person und der Transition einer Transgender-Person?

3.24 Was ist die richtige Bezeichnung für eine medizinische Transition?

4 Anlage oder Umwelt

4.1 ((Überschrift 4))

4.1.1 1. Geschlecht ist ein soziales Konstrukt.

4.1.2 2. Geschlecht entwickelt sich während der Schwangerschaft.

4.1.3 3. Umwelteinflüsse, die unsere DNA mutieren lassen.

4.1.4 4. Geschlechtsvariante Personen sind eine seltene und natürliche Ausnahme.

5 Die soziale Transition

5.1 Die Gefahren der Anpassung

5.2 Was ist die soziale Transition?

5.2.1 Kleidung, Schmuck und Frisuren, die das wahre Geschlecht des Kindes präsentieren

5.2.2 Ein neuer Name und andere Pronomen, die die wahre Geschlechtsidentität widerspiegeln.

5.2.3 Die Benutzung von Toiletten, Umkleiden und anderen nach Geschlecht getrennten Orten, die dem wahren Geschlecht entsprechen.

5.2.4 Sportarten, Hobbys und außerschulische Aktivitäten ausüben, die dem wahren Geschlecht entsprechen.

5.3 Wie die soziale Transition eines geschlechtsvarianten Kindes abläuft

5.3.1 Eine soziale Transition lässt sich rückgängig machen

5.3.2 Sie brauchen es nicht allein zu tun

5.3.3 Sie können sich Ihren Ängsten stellen

5.3.4 Sie brauchen nicht alles auf einmal zu tun

5.4 Wie eine schrittweise Transition abläuft

5.5 Wie Sie es anderen erzählen

5.6 Die Zukunft strahlt hell

6 Gute Trauer

6.1 Schock und Verleugnung

6.2 Wut

6.3 Verhandeln

6.4 Angst und Scham

6.5 Depression, Verlust und Sehnsucht

6.6 Akzeptanz

7 Den Körper angleichen

7.1 ((Überschrift 7))

7.1.1 Pubertät verzögern

7.1.2 Hormonbehandlung

8 Die Ausbildung

8.1 ((Überschrift 8))

8.1.1 Wie Sie Veränderungen vorantreiben können

8.1.2 Häufige Ausreden – und wie Sie darauf reagieren können

8.1.3 Wenn Ihre Versuche scheitern

9 Das hohe Gericht empfängt Sie jetzt

9.1 Wie Sie den Vornamen Ihres Kindes ändern

9.2 Wie Sie den Geschlechtseintrag ändern

9.3 Wie Sie die Privatsphäre Ihres Kindes schützen

9.4 Wie Ihr Kind die nötige gesundheitliche Behandlung erhält

9.5 Was Sie tun können, wenn der Ehepartner oder die Ehepartnerin Anspruch auf Sorgerecht erhebt

9.6 Was Sie tun können, wenn Ihr Kind mit Mobbing konfrontiert wird

9.7 Wie Ihr Kind Zugang zu Sportteams erhält, die die Geschlechtsidentität des Kindes reflektieren

9.8 Wie Sie für den Zugang zu bestimmten Toiletten und Umkleiden argumentieren können

10 Geldangelegenheiten

10.1 Wie die medizinische Versorgung bezahlbar wird

11 Hals über Kopf

11.1 Beziehungsratschläge

12 Das Schlimmste verhindern

12.1 ((Überschrift 12))

12.1.1 Achten Sie auf die Warnzeichen

12.1.2 Unterstützen und bestärken Sie Ihr Kind

12.1.3 Wie sieht Unterstützung aus?

12.1.4 Die Wichtigkeit der Transition

12.1.5 Freude im Leben schaffen

12.1.6 Wie Ihr Kind eine Therapie erhält

12.1.7 Wie Sie Ihr Kind mit einer Gemeinschaft vernetzen

12.1.8 Wie Sie Ihr Kind vor Hass schützen

12.1.9 Es wird besser – viel besser

13 Es darf gefeiert werden

13.1 ((Überschrift 13))

14 Glaubensangelegenheiten

14.1 1. Suchen Sie nach einer aufgeschlosseneren Glaubensgemeinde

14.2 2. Verändern Sie Ihre jetzige Glaubensgemeinde

14.3 3. Lächeln Sie und ertragen Sie es

14.4 4. Üben Sie Ihren Glauben zu Hause aus

15 Unwahrheiten im Internet

15.1 ((Überschrift 15))

15.1.1 Behauptung 1

15.1.2 Behauptung 2

15.1.3 Behauptung 3

15.1.4 Behauptung 4

15.1.5 Behauptung 5

15.1.6 Behauptung 6

15.1.7 Behauptung 7

15.1.8 Behauptung 8

15.1.9 Behauptung 9

15.1.10 Behauptung 10

16 Es wird wirklich besser

16.1 Samantha Jo-Dato

16.2 Stu Rasmussen

16.3 Jacob Tobia

16.4 Jake Graf

16.5 A. J. Taylor

16.6 Danksagungen

16.7 Service

16.7.1 Wo Sie Unterstützung finden

Autorenvorstellung

Verzeichnisse

Impressum

1 Identitätskrise

Sieben Anzeichen, dass Ihr Kind transgender sein könnte

Viele beliebte Zeitschriften wollen uns glauben machen, dass wir nur einen kurzen Test machen müssen, wenn wir wissen möchten, wo wir stehen. Wenn Sie zum Beispiel wissen wollen, welche Signale Sie Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner senden, können Sie den Test »Welche Art von sexy bist du?« der Zeitschrift Cosmo machen. Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Ihr Leben in die richtige Richtung verläuft, hilft Ihnen der Test »Wer sollte ich sein?« der Zeitschrift O weiter.

Im medizinischen Bereich werden ebenso Fragebögen verwendet, um zu einer Diagnose oder Erkenntnis zu gelangen, jedoch basieren diese auf wissenschaftlicher Forschung. Wenn beispielsweise vermutet wird, dass eine Person depressiv ist, kann das Beck-Depressions-Inventar zurate gezogen werden. Dabei handelt es sich um eine Liste mit 21 Fragen, mit derer Hilfe die persönliche Einstellung und Symptome einer Depression gemessen werden können. Der sogenannte Myers-Briggs-Typenindikator gibt Aufschluss über die Persönlichkeit eines Menschen.

Aus diesem Grund wird oft verständlicherweise angenommen, dass durch einen solchen Test auch bestimmt werden kann, ob ein Kind transgender ist. Unglücklicherweise existiert so etwas derzeit nicht. Die Forschung konnte noch nicht herausfinden, welche Eigenschaften ein Kind, das sich wahrscheinlich als Transgender identifiziert, ausmachen. Ebenso ist die Antwort auf die Frage »Ist mein Kind transgender?« nicht unbedingt ein einfaches Ja oder Nein. Uns wurde beigebracht, dass Geschlecht binär ist, entweder männlich oder weiblich. Tatsächlich ist Geschlecht viel eher ein Spektrum oder ein Kontinuum. An einem Ende des Spektrums stehen Menschen, die sich als eindeutig männlich oder weiblich identifizieren. Die innere Wahrnehmung ihres Geschlechts stimmt mit ihren Geschlechtsorganen überein und sie präsentieren sich der Welt als ebendieses Geschlecht. Am anderen Ende stehen Personen, die sich als Transgender identifizieren: Ihre Geschlechtsidentität entspricht nicht dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Dazwischen liegt sehr viel Diversität. Zum Beispiel könnte sich eine Person mit Eierstöcken und einer Gebärmutter als Frau identifizieren, aber stereotypisch männliche Hobbys und männliche Kleidung bevorzugen. Sie trägt vielleicht Anzüge und schaltet mit einer Zigarre und einem Glas Scotch ab, ist sich jedoch sicher, eine »Sie« zu sein. Sie ist geschlechtsvariant, aber nicht zwangsläufig transgender. Ebenso kann sich eine andere Person, die mit weiblichen Geschlechtsorganen geboren wurde, als männlich identifizieren und präsentieren und sich nicht daran stören, dass die Gesellschaft sie aufgrund seiner Brüste und ihrer Figur als Frau sieht. Auch in diesem Fall ist die Person geschlechtsvariant, aber nicht notwendigerweise transgender. Ein anderer Mensch fühlt sich manchmal weiblich, manchmal männlich und bewegt sich zwischen den Geschlechtern frei hin und her. Solche geschlechtsvarianten Personen befinden sich in der Mitte des Geschlechterspektrums und identifizieren sich oft als genderfluid. Wieder andere fühlen sich in ihrem Inneren als ein Geschlecht, bevorzugen es jedoch, sich nach außen hin als ein anderes Geschlecht zu präsentieren, und einige Jugendliche sind sich ihrer Geschlechtsidentität noch nicht sicher – sie wissen noch nicht, wer sie wirklich sind.

Wie Sie sehen, hat das Geschlecht sehr viele unterschiedliche Facetten. Kinder, die nicht der Geschlechternorm entsprechen, müssen sich nicht notwendigerweise als Transgender identifizieren. Ein Junge, der gern Ballett tanzt oder sich die Nägel lackiert, identifiziert sich vielleicht nicht als weiblich. Ebenso kann ein Kind, dem bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, dieselben Interessen haben und sich fragen: »Wieso sagen alle, ich sei ein Junge? Ich bin ein Mädchen! Verstehen sie es nicht?«

All das stellt bei der Erstellung eines allgemeinen Fragebogens ein Problem dar. Somit sollten Sie beim Lesen der folgenden Anzeichen daran denken, dass es sich nur um Anzeichen und keineswegs um eindeutige Beweise für die Identität eines Kindes handelt. Ungeachtet der Anzeichen, die Sie bemerken oder auch nicht, sollten Sie den Rat einer Fachperson einholen, die mit dem Thema Geschlechtsvarianz Erfahrung hat.

1.1 Anzeichen1

Ihr Kind präsentiert sich auf eine Art, die nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Obwohl dieses Anzeichen Sie zum Kauf dieses Buches veranlasst haben könnte, ist es das am wenigsten aussagekräftige Anzeichen. Denn wie bereits erwähnt, hat Geschlecht ein sehr breites Spektrum und jemandes Ausdruck von Geschlecht stimmt nicht immer mit der Geschlechtsidentität dieser Person überein. Einige Jungen lieben Puppen, Teekränzchen und My Little Pony. Tatsächlich lieben so viele Jungen My Little Pony, dass es für sie im Englischen sogar eine eigene Bezeichnung gibt: »bronies« (eine Kombination aus »bro«, Kurzform für »brother« oder »Bruder«, und »Pony«). Ebenso mögen einige Mädchen Autos und tragen gern Boxershorts, ohne zwangsläufig transgender zu sein. Wir können darauf wetten, dass bei der Untersuchung des Geschlechtsausdrucks von 100 zufällig ausgewählten Personen deutlich werden würde, dass dieser Ausdruck des Geschlechts sehr divers ist. Es gibt Frauen, die als Installateurinnen arbeiten, und Männer, die bei romantischen Filmen weinen, Frauen, die das Nähen hassen, und Männer, die gern stricken. Die Liste könnte noch unendlich verlängert werden.

Zur Geschlechtsidentität gehört nicht nur, wie sich eine Person ausdrückt und präsentiert, sondern auch, wie sich dieser Mensch selbst sieht. Falls sich Ihr Kind somit sehr deutlich als das andere Geschlecht präsentiert, sollten Sie diesem Anzeichen keine allzu große Bedeutung beimessen, insbesondere wenn keines der anderen Anzeichen zutrifft. Statt Grenzen zu setzen und zu sagen, was für das Geschlecht eines Kindes angemessen ist und was nicht, sollten Kinder dazu ermutigt werden, ihre Individualität auszudrücken. Das taten auch Melissa und Andrew als sie merkten, dass ihr zweijähriges Kind, dem bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, zunehmend an Spielzeugen für »Mädchen« interessiert war. Wenn es mit Spielzeuglokomotiven aus der Serie Thomas die kleine Lokomotive spielte, suchte es sich immer weibliche Figuren aus, zum Beispiel Rosie, Lady oder Emily. Es las Bücher über die Zeichentrickheldin Dora, jedoch niemals über Diego, und zu Halloween verkleidete es sich als Uniqua, der rosafarbene Backyardigan. »Wir wussten nicht, ob es nur eine Phase ist«, sagte Melissa. »Also erlaubten wir unserem Kind, Geschlecht zu entdecken und zu experimentieren. Wir entschlossen uns dazu, bis zum fünften Lebensjahr zu warten und zu sehen, ob sich etwas verändert.« Es stellte sich heraus, dass sich ihr Kind bis dahin eindeutig als weiblich identifizierte, also ließen sie es als Mädchen leben.

1.2 Anzeichen 2

Ihr Kind stellt sich vor, ein anderes Geschlecht zu haben. Möchte Ihr Kind bei Rollenspielen immer eine Person des anderen Geschlechts spielen? Will Ihre Tochter beim Spiel Mutter-Vater-Kind immer der Vater sein? Wählt Ihr Sohn bei Videospielen immer Avatare mit Röcken und Zöpfen aus? Wenn Ihr Kind Ihnen erzählt, was es später einmal werden möchte, beschreibt es dann das Leben einer Person des anderen Geschlechts? Zum Beispiel sagt Ihr Sohn vielleicht: »Wenn ich groß bin, werde ich eine große Familie haben und ich werde die Mutter sein.« All das können Anzeichen dafür sein, dass sich Ihr Kind nicht mit dem Geschlecht identifiziert, das ihm bei der Geburt zugewiesen wurde.

1.3 Anzeichen 3

Ihrem Kind ist Privatsphäre äußerst wichtig. Transgender-Kinder schämen sich oft sehr für ihre Genitalien.

Manche Kinder denken sich: »Wenn niemand das da unten sieht, glauben sie vielleicht, es ist nicht da.« Daraus folgt, dass Kinder in öffentlichen Toiletten oder Umkleiden ein sehr großes Unwohlsein verspüren oder wenn sie sich bei ärztlichen Untersuchungen ausziehen müssen. Sogar zu Hause möchten sie nicht, dass jemand sie nackt sieht, ihre Eltern eingeschlossen. Dr. Angello beriet bereits Familien, deren Kleinkinder sich immer wieder im Badezimmer einsperrten.

Für manche Kinder kann diese Scham über ihre Genitalien gefährlich werden. Einmal fanden Eltern ihre Transgender-Tochter, die sich gerade mit einer Schere ihren Penis abschneiden wollte. Eine andere Mutter fragte ihr Transgender-Mädchen, wieso es immer wieder ihre Genitalien nach unten drücke. Das Mädchen antwortete, dass sie störten und verschwinden sollten.

Jugendliche, die eine ungewollte Pubertät durchleben, können extreme soziale Ängste entwickeln. Einige verbringen viel Zeit damit, sich die Brüste fest abzubinden, um sich so mit einer flachen Brust zu präsentieren. Einige haben so große soziale Ängste, dass sie nur selten ihr Zimmer verlassen.

1.4 Anzeichen 4

Ihr Kind lächelt, wenn Fremde es dem anderen Geschlecht zuordnen. Eine Mutter erzählte, dass Fremde ihr Kind, dem bei der Geburt das Geschlecht weiblich zugewiesen wurde, oft für einen Jungen hielten. Die Mutter zuckte stets zusammen, wenn Fremde sagten: »Wie geht es dir, kleiner Mann?« Dann merkte sie aber, dass ihr Kind lächelte und sichtlich entspannt war, wenn es mit einem männlichen Pronomen bezeichnet wurde. Das Kind wurde schnell wieder angespannt, wenn die Mutter die Fremden verbesserte und sagte: »Eigentlich ist sie ein Mädchen.«

Wenn das Geschlecht Ihres Kindes verwechselt wird, achten Sie auf die Reaktion Ihres Kindes. Scheint Ihr Kind es zu genießen? Zuckt Ihr Kind zusammen, wenn Sie andere verbessern? Bittet Ihr Kind Sie darum, andere Menschen nicht zu verbessern, wenn sie es mit dem anderen Geschlecht »verwechseln«?

Das könnten Anzeichen dafür sein, dass sich Ihr Kind wohler fühlt, wenn es mit einem anderen Geschlecht als dem bei der Geburt zugewiesenen bezeichnet wird.

1.5 Anzeichen 5

Ihr Kind möchte sich äußerlich verändern. Die Mutter eines sechsjährigen Kindes vermutete, dass ihr jungenhaftes Mädchen in Wirklichkeit transgender sein könnte, als sie ihr Kind eines Abends nach dem Verlust eines Haustiers tröstete. Ihre Tochter fragte: »Was passiert, wenn wir sterben?« Die Mutter antwortete: »Einige Menschen denken, dass nichts passiert. Andere glauben, dass wir nach dem Tod in den Himmel kommen, und manche Menschen glauben an die Wiedergeburt, dass sie nach ihrem Tod als jemand anderes wiedergeboren werden.« Die Mutter war überrascht, als ihre Tochter sagte: »Wenn ich sterbe, komme ich als Junge wieder und heiße Tyler.« Die Mutter war verständlicherweise besorgt, da sich ihre Tochter nun scheinbar nach dem Tod sehnte.

Andere Kinder, die ich beriet, fragten mich: »Wieso hat Gott einen Fehler gemacht, als ich geboren wurde?« Daraufhin fragten sie weiter: »Kann ich in den Himmel zurückgehen, damit mich Gott wieder repariert?« Das sind beunruhigende Fragen. Sie sind nicht nur ein Hinweis dafür, dass Ihr Kind transgender sein könnte, sondern auch ein Hinweis dafür, dass es suizidgefährdet sein könnte. Viele dieser Kinder sind noch zu jung, um zu verstehen, dass es nicht möglich ist, einfach in den Himmel zu reisen, mit neuen Genitalien ausgestattet zu werden und wieder zu derselben liebevollen Familie zurückzukehren. Sie sind sich der Bedeutung des Todes nicht bewusst.

Für Eltern von Jugendlichen könnten solche selbstschädigenden Aussagen und Verhaltensweisen das erste und einzige Anzeichen dafür sein, dass etwas nicht stimmt. Oft sind Eltern mit Jugendlichen, deren Stimmung während oder nach Pubertät schnell von glücklich und ausgeglichen zu wütend und unruhig wechseln kann, überfordert. Zunächst machen Eltern vielleicht die Pubertät dafür verantwortlich. Dann beginnen sie sich zu fragen, ob ihr Kind eine psychische Krankheit oder eine Persönlichkeitsstörung hat. Es kommt oft vor, dass Eltern mit ihren Kindern von einer psychologischen Praxis in die nächste gehen und eine Diagnose und Verschreibung nach der anderen bekommen. Schlussendlich stellt sich heraus, dass ihr Kind transgender ist. In vielen (aber nicht allen) Fällen verschwinden die emotionalen Probleme, sobald Eltern die wahre Identität ihres Kindes anerkennen.

Leider ist die Zahl der Selbstmordversuche unter Transgender-Jugendlichen sehr hoch. Wenn Sie vermuten, dass Ihr Kind selbstmordgefährdet sein könnte, suchen Sie sofort ärztliche Hilfe, idealerweise von einer Person, die Erfahrung mit geschlechtsbezogenen Themen hat.

1.6 Anzeichen 6

Ihr Kind identifiziert sich als transgender, genderfluid, genderqueer, genderexpansiv oder mit einer anderen Form der Geschlechtsvarianz. Glauben Sie Ihrem Kind, wenn es Ihnen sagt, wer es ist. Jüngere Kinder drücken ihre Geschlechtsidentität auf vielerlei Arten aus:

Wieso sehe ich aus wie ein Mädchen? Ich bin ein Junge.

Wieso sehe ich aus wie ein Junge? Ich bin ein Mädchen.

Wieso kann ich kein Junge sein?

Wieso kann ich kein Mädchen sein?

Ich denke, dass ich ein Junge bin.

Ich denke, dass ich ein Mädchen bin.

Jugendliche drücken es meist klarer aus. Susan erinnert sich, dass ihr Kind sie einmal zur Seite nahm und nervös sagte: »Ich kann das nicht mehr vorspielen.« Susan fragte: »Was vorspielen?« Ihr Kind antwortete: »Ich fühle mich nicht wie ein Mädchen. Ich habe mich nie wie ein Mädchen gefühlt. Ich glaube, dass ich transgender bin, und ich wäre lieber ein Junge.«

Als Jane ihr Kind fragte, ob irgendetwas nicht »in Ordnung sei«, antwortete es: »Ich habe keinen Ärger ...« Danach folgte eine Pause. Ihr Kind fuhr fort: »Ich bin nicht schwul, falls du das meinst …« Es folgte eine weitere Pause und dann sagte es: »Ich bin transgender.« Jane sprang auf, umarmte ihr Kind und sagte: »Danke, dass du mir das gesagt hast. Es ist in Ordnung. Mach dir keine Sorgen. Es wird alles wieder gut. Wir kriegen das hin. Ich hab dich lieb! Wir möchten nur, dass es dir gut geht und du glücklich bist!« Erst, nachdem ihr Kind schlafen gegangen war, googelte sie das Wort »Transgender«, da sie, wie sie selbst sagte, nicht wusste, was es bedeutet. Sie fand es jedoch schnell heraus. »Sie ist intelligent und ich habe nie daran gezweifelt, dass sie weiß, wer sie ist. Ich erkannte, dass sie bereits lange darüber nachgedacht hatte, also musste ich ihr helfen, ihr Glück zu finden.« Heute ist Janes Tochter eine glückliche und gesunde junge Erwachsene, die in einer Beziehung mit einer anderen Frau ist.

Hier noch eine wichtige Anmerkung: Wenn Ihr Kind so etwas nicht sagt, bedeutet das nicht, dass ihr Kind nicht transgender oder geschlechtsvariant ist. Nicht alle Kinder sind reif oder selbstbewusst genug, um eine solch starke Aussage über ihre Geschlechtsidentität zu machen, ohne vorher darum gebeten worden zu sein.

Außerdem verstehen nicht alle Kinder die Frage »Als was identifizierst du dich?«. Stattdessen könnten Sie fragen: »Was würdest du sagen? Bist du ein Junge oder ein Mädchen?« Vielleicht werden Sie überrascht sein, eine klare und selbstbewusste Antwort zu bekommen. Ich beriet Kinder, die erst drei Jahre alt waren, noch nicht richtig sprechen konnten und sagten: »Ich bin ein Junge« oder »Ich bin ein Mädchen«.

1.7 Anzeichen 7

Ihr Kind ist nach der Transition glücklicher. Einer der besten Wege, ein Gefühl für die Geschlechtsidentität von Kindern zu bekommen, ist, sie mit ihrem Geschlechtsausdruck experimentieren zu lassen. Wenn Sie Ihrem Sohn nicht erlauben wollen, sein Haar lang wachsen zu lassen, und ihn nicht mit dem Namen Abby ansprechen möchten, sollten Sie aufhören, sich dagegen zu wehren, und anfangen, Ihr Kind zu ermutigen. Ebenso sollten Sie Ihrer Tochter einen Kurzhaarschnitt erlauben, wenn diese darum bittet. Ermutigen Sie Ihren Freundeskreis und Ihre Familie dazu, Ihr Kind mit dem Namen und den Pronomen zu bezeichnen, die es bevorzugt.

Wenn Sie wie viele der anderen Eltern sind, die ich berate, könnte Ihnen die Vorstellung, das zu tun, Angst machen. Vielleicht möchten Sie vor der ▶ sozialen Transition mit hundertprozentiger Sicherheit wissen, dass Ihr Kind transgender ist. Wie werden Ihr Freundeskreis, Ihre Eltern und Ihre Familie reagieren? Wird Ihr Kind geärgert, schikaniert oder ausgegrenzt werden? Diese Sorgen sind verständlich, jedoch können sie auch überwunden werden. Wenn Sie die Vorstellung einer vollständigen Transition zu sehr abschreckt, können Sie mit kleineren, eingeschränkten Experimenten beginnen. Zum Beispiel können Sie Ihr Kind während einer Reise an einen Ort, an dem niemand Ihre Familie kennt, mit seinem Geschlechtsausdruck experimentieren lassen.

Während Ihr Kind mit seinem Geschlechtsausdruck experimentiert, sollten Sie darauf achten, ob es entspannt ist und glücklicher wird. Das mag zwar banal klingen, jedoch ist deutliche Zufriedenheit nach der Transition eines der sichersten Anzeichen dafür, dass ein Kind transgender ist.

Zusätzlich zu den bereits erwähnten sieben Anzeichen sollte ebenso darauf geachtet werden, wie beständig diese Anzeichen sind. Sind sie erst seit Kurzem zu beobachten oder bereits seit vielen Monaten oder gar mehreren Jahren durchgehend? Je länger die Anzeichen bestehen bleiben, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich Ihr Kind irgendwo im geschlechtsvarianten Spektrum befindet. Diese Erkenntnis kann zu Beginn beängstigend sein. Deshalb möchten wir Ihnen versichern: Ihr Kind ist ein wundervoller Mensch, dessen Leben voller Möglichkeiten ist. Werden diese Kinder unterstützt, haben sie ein wunderbares Leben. Sie haben alles, was es braucht, um dieses wunderbare und einzigartige menschliche Wesen zu beschützen, zu fördern und großzuziehen. Der Rest dieses Buches wird Ihnen den richtigen Weg weisen.

2 Es ist nicht nur eine Phase

Warum Kinder nicht aus ihrer Geschlechtsidentität herauswachsen

Nur wenige Monate, nachdem ihr elfjähriges Transgender-Kind dazu übergegangen war, männliche Pronomen und einen männlichen Vornamen zu verwenden, erhielt Anne eine E-Mail von ihrer Schwägerin, in der stand: »Neueste Studien zeigen, dass von den Kindern, die in einem Alter von zehn Jahren geschlechtsvariant sind, nur 20 Prozent auch als Erwachsene transgender sind. Da es während der Pubertät zu Veränderungen im Gehirn und im Körper kommt, werden über 80 Prozent ihr Geschlecht später akzeptieren.« Damit wird angedeutet: Ihr Kind wird daraus herauswachsen. Sie hätten nicht zulassen sollen, dass Ihr Kind mit anderen Pronomen angesprochen wird. Sie hätten einfach warten sollen. Die Pubertät hätte das Problem gelöst.

Bereits mit zwei Jahren zeigte Annes Kind Anzeichen dafür, transgender zu sein, und sie hielten über die Jahre an. Nach der sozialen Transition, zu der während einer Therapie geraten wurde, war der Transgender-Junge sichtlich glücklicher und selbstbewusster. Trotzdem zweifelte Anne an sich selbst, als sie diese E-Mail las, und fragte sich, ob sie das Richtige getan hatte. Sie machte sich Sorgen: Wird er zu den 80 Prozent gehören, die daraus herauswachsen? Oder zu den 20 Prozent, die es nicht tun? Soll ich das tun, was die jüngsten Studien mir raten? Oder soll ich den Rat von Außenstehenden befolgen? Werden wir uns daran gewöhnen, einen Sohn zu haben, und wird er uns eines Tages dann sagen, dass er doch wieder unsere Tochter sein möchte?

Dieses ungute Gefühl ließ sie nicht los. Bei einer endokrinologischen Untersuchung ihres Kindes fragte die Mutter dann schließlich: »Tue ich das Richtige? Was, wenn er aus dem herauswächst?«

»Sie tun das Richtige«, wurde ihr versichert. »Forschungen zeigen, dass Transgender-Kinder einzigartige Gehirne haben und sie dadurch anders denken. Ihr Kind ist nicht nur in einer Phase. Ihr Kind hat tatsächlich eine andere Veranlagung.«

Anne war sich noch immer unsicher, also konsultierte sie weitere Fachleute und traf sich mit den Eltern von Transgender-Kindern in einer Selbsthilfegruppe. Sie beobachtete auch ihr Kind, untersuchte sein Verhalten, seine Aussagen und seine Angewohnheiten auf Anzeichen dafür, dass er zu seinem ursprünglichen Geschlecht zurückkehren werde, fand jedoch keine. Alles, was Anne las, hörte und sah wies auf eine unbestreitbare Wahrheit hin. Ihr Kind ist transgender und sein Verhalten war nicht nur eine Phase. Von da an begann das ungute Gefühl nachzulassen.

Wie auch Anne fragen sich viele Eltern, ob ihr Kind nur eine Phase durchläuft. Das denken auch ihr Freundeskreis, ihre Nachbarschaft, ihre Verwandten und Bekannten, die ihnen raten, den nicht geschlechtskonformen »Launen« ihres Kindes nicht nachzugeben. Immer und immer wieder werden diese Eltern mit der 80-Prozent-Statistik konfrontiert. Ihnen wird gesagt, dass die meisten Kinder aus dem herauswachsen werden, ein anderes Geschlecht sein zu wollen, so auch die ihren. Die Statistik wird oft erwähnt, um Eltern zu trösten, jedoch merken die meisten Menschen nicht, wie beleidigend und verletzend das ist. Damit wird angedeutet, dass mit den 20 Prozent der Kinder, die aus ihrer Transidentität nicht herauswachsen, etwas nicht in Ordnung sei, und Geschlechtsvarianz mit Sittenlosigkeit und Abnormität gleichgestellt. Statt den emotionalen Schmerz der Eltern zu mindern, verlängert ihn diese Statistik. Sie macht den Eltern falsche Hoffnungen und verlängert die sehr schmerzhafte Trauerphase.

Das wohl stärkste Argument gegen diese Statistik ist das Folgende: Sie ist falsch. Obwohl sie in Berichten und Reportagen oft erwähnt wird, basiert sie auf extrem fehlerhaften Studien. Es gibt drei große Kritikpunkte an dieser Studie:

2.1 1. Die Studie bezog Kinder, die nicht transgender waren, mit ein.

Mehr als 80 Prozent der Kinder, über die gesagt wurde, dass sie aus ihrer Transidentität »herauswachsen« würden, waren nie transgender. »Ein großer Teil der geschlechtsvarianten Personen ist nicht transgender«, sagt Kristina Olson, PhD, die gerade an einer umfangreichen, 20 Jahre dauernden Studie mit hunderten Transgender-Jugendlichen, die am TransYouth Project der University of Washington teilnehmen, arbeitet. Zum Beispiel verkleiden sich Jungen oft gern als Prinzessinnen, was nicht zwangsläufig bedeutet, dass sie transgender sind. Nicht nur Mädchen mögen stereotypisch weibliche Kleidung und Spielsachen. Ebenso muss ein Kind kein Junge sein, um Rangeleien, Sport und Videospiele zu mögen. Das hat den Grund, dass es einen Unterschied zwischen der Geschlechtsidentität (wer sie sind) und der Geschlechtsausdruck (wie sie ausdrücken, wer sie sind) gibt.

Wenn Kinder älter werden, ändert sich tatsächlich manchmal ihr gegengeschlechtlicher Ausdruck, während ihre Geschlechtsidentität für gewöhnlich gleich bleibt. Im Alter von drei Jahren liebte Matthew das rosafarbene Tutu seiner Schwester und tanzte fröhlich durch das Haus, während er es trug. Nach drei Monaten verlor er das Interesse daran und das Ballettröckchen wurde schließlich auf den Stapel für den Garagenflohmarkt gelegt. Dies ist jedoch kein Beispiel für ein Kind, das aus dem Transgender-Sein »herauswuchs«. Matthew war niemals transgender. Er war bloß ein Kind, das Aktivitäten, Kleidung und Spielsachen mochte, die stereotypisch mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden. Matthew sah sich immer als Junge. Nicht ein einziges Mal sagte er zu seinen Eltern: »Ich bin ein Mädchen.« Er wuchs nicht aus seiner Identität heraus, sondern lediglich aus dem rosafarbenen Tutu.

Des Weiteren wechseln einige Kinder zwischen den Geschlechtern hin und her, fühlen sich an einem Tag eher »männlich« und an einem anderen eher »weiblich«, oder sie identifizieren sich mit keinem Geschlecht. Hier wird oft fälschlicherweise angenommen, dass diese Kinder »ihre Meinung ändern« oder aus ihren Geschlechtsidentitäten »herauswachsen«. Tatsächlich ist ihre Identität nicht festgelegt, weder ausschließlich männlich noch weiblich, sondern eher eine Mischung aus beiden. Diese Kinder werden als genderfluid, genderexpansiv oder genderqueer bezeichnet.

Schließlich werden sich viele geschlechtsvariante Kinder – der Großteil von ihnen – mit zunehmendem Alter ihrer gegengeschlechtlichen Identität und ihres Geschlechtsausdrucks immer sicherer. Sie fühlen sehr deutlich, dass sie Jungen sind, obwohl sie mit Eierstöcken und einer Gebärmutter geboren wurden, oder dass sie Mädchen sind, obwohl sie mit einem Penis und Hoden auf die Welt kamen. Ihre jahrelange klinische Erfahrung in der Arbeit mit diesen Kindern zeigte Dr. Angello, dass es bei Kindern, deren Identität länger als ein Jahr unverändert bleibt, sehr unwahrscheinlich ist, dass sie aus dieser Geschlechtsidentität herauswachsen, und viele weitere Fachleute können dies bestätigen.

Wenn all diese Kinder in einer Forschungskategorie zusammengefasst werden, kann der Eindruck entstehen, dass 80 Prozent von ihnen aus ihrer Geschlechtsidentität herauswachsen. Jedoch identifizierten sich viele der Kinder in diesen Studien niemals mit einem anderen Geschlecht als dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen. Als sie gefragt wurden, ob sie ein Junge oder ein Mädchen seien, antworteten die femininen Jungen mit »Junge«. Weil sie sich aber auf eine stereotypisch weibliche Art ausdrückten, wurden sie von ihren Eltern in eine Genderklinik gebracht und zusammen mit Transgender-Kindern beobachtet. In Wirklichkeit waren die meisten der Kinder, die zu den 80 Prozent gezählt wurden, nie transgender.

In Kristina Olsons Studie, die noch läuft, werden Kinder nur dann der Kategorie »transgender« zugeordnet, wenn sie sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Sie begleitet auch eine separate Gruppe geschlechtsvarianter Nicht-Transgender-Kinder (die genderqueer oder genderfluid sind) sowie eine Gruppe von Cisgender-Kindern. Die Ergebnisse dieser Studie, die in den nächsten Jahren veröffentlicht werden sollen, könnten ein für alle Mal diesen 80-Prozent-Mythos zerstören.

2.2 2. Personen, die nicht mehr in die Klinik kamen, wurden als nicht mehr transgender verzeichnet.

Nur weil Kinder nicht mehr in die Klinik kommen, bedeutet das nicht, dass sie nicht länger transgender sind. Sie könnten sich woanders medizinische Hilfe gesucht haben, umgezogen sein oder, noch schlimmer, Selbstmord begangen haben. Zudem sind Transgender-Personen, die ihrem wahren Geschlecht Ausdruck verleihen, oft viel Gespött und Mobbing ausgesetzt und unterdrücken deshalb ihre Identität. »In einem Alter von drei, vier oder fünf Jahren kann ein Kind, das dem männlichen Geschlecht zugewiesen wurde, eine Vorliebe für stereotypische Mädchenkleidung und -spielsachen haben und in der Vorschule gern Modenschau spielen. Einem solchen Kind wird oft gesagt, dass es das nicht tun soll. Was passiert dann? Die Identität dieses Kindes wird unterdrückt«, sagt Johanna Olson-Kennedy, MD, eine Ärztin im Kinderkrankenhaus in Los Angeles, die sich auf die medizinische Betreuung von geschlechtsvarianten Kindern spezialisiert hat. »Die Scham wächst mit den Kindern. Die Adoleszenz beginnt und wenn das Kind die Pubertät überstanden hat, werden die Schwierigkeiten während des Erwachsenenalters unerträglich.«

Transgender-Personen durchleben oft einen Kreislauf von Ausdruck und Unterdrückung, bevor sie schließlich ihre wahre Identität ausleben. Wie die Transgender-Frau Tina Madison White in ihren Memoiren Between Shadow and Sun schreibt: »Wir verbringen Jahrzehnte damit, uns an jede nur denkbare Erklärung und Lösung zu klammern … bis uns schließlich die Zeit abläuft und die Liste der möglichen Erklärungen immer kürzer wird. Erschöpft und entmutigt sehen wir diese eine Tür, die nie geöffnet wurde. Öffne sie oder stirb, ohne jemals gelebt zu haben.«(1) Denken Sie nur an Caitlyn Jenner und die vielen anderen berühmten Persönlichkeiten, deren Transition erst spät in ihrem Leben stattfand. Hätten sie während ihrer Jugendzeit an einer Studie teilgenommen, wäre ihnen gesagt worden, sie seien aus ihrer Transgender-Phase herausgewachsen. In Wirklichkeit hatten sie einfach nur gelernt, sich anzupassen und zu verstecken, wer sie wirklich sind.

2.3 3. Die Studie ist wenig repräsentativ.

Wenn an einer Studie weniger als 100 Personen teilnehmen, wie es bei all diesen Studien der Fall war, können falsche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Dies war anscheinend bei dieser Studie der Fall. Fachleute im Bereich der Endokrinologie, Geschlecht und Transgender werden hingegen bestätigen, dass das »Ablassen« davon (Ausdruck zur Beschreibung von Kindern, die aus ihrer Geschlechtsidentität »herauswachsen«) sehr selten ist, insbesondere nach der sozialen Transition der Kinder und wenn sie bereits mindestens ein Jahr mit dem Geschlecht leben, mit dem sie sich identifizieren. Viele Fachleute werden sagen, sie hätten einen solchen Fall nicht erlebt. Andere werden sagen, dies sei bei einem oder zwei von hunderten Kindern, die von ihnen betreut wurden, der Fall gewesen. »Nicht eine Person, die in meiner Klinik behandelt wurde, hat ihre Meinung zu ihrer Geschlechtsidentität geändert«, schrieb Norman Spack, MD, der im Jahr 1985 als erster Endokrinologe in den Vereinigten Staaten Transgender-Kinder behandelte.(2)

Die bereits erwähnte, gut geplante Langzeitstudie von Kristina Olson könnte dabei helfen, den Anteil der Kinder, die auf ihrer Geschlechtsidentität beharren, besser zu erfassen. Bis die Ergebnisse dieser Studie vorliegen, wäre es richtiger zu sagen, dass wir nicht genau wissen, wie hoch der Anteil der Kinder ist, die aus ihrer Geschlechtsidentität herauswachsen, als zu behaupten, es sei bei 80 Prozent der Kinder der Fall.

Nehmen wir für einen Moment an, diese Statistik stimme. Was Sie vielleicht wirklich wissen möchten, ist Folgendes: Wie kann ich wissen, ob mein Kind zu den 80 Prozent oder zu den 20 Prozent gehört? Wenn Sie wüssten, dass Ihr Kind höchstwahrscheinlich nicht aus seiner Geschlechtsidentität herauswachsen wird, würden Sie sich immerhin bei der Transition Ihres Kindes wohler fühlen, wenn es damit beginnt, als das selbstgewählte Geschlecht zu leben und geschlechtsangleichende medizinische Behandlungen zu erhalten. Leider können wir Ihnen keine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage geben, jedoch können wir Ihnen einige Hinweise geben. In einer niederländischen Studie wurden geschlechtsvariante Jugendliche beobachtet und befragt. Dabei stellte sich heraus, dass es zwischen den Personen, die darauf »beharren« (sich weiterhin als transgender identifizieren), und denen, die davon »ablassen« (sich nicht mehr als transgender identifizieren), einige Unterschiede gibt.

Personen, die darauf beharren …