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Die Thematisierung der Inhaltlichen Aspekte zu diesem Buch „Meine Aufwartung im Jenseits“ (förmlicher Besuch) möge dazu beitragen, dem interessierten Leser das Verständnis über Träume aus einer ihm bisher ungewohnten Betrachtungsweise zu erläutern. In vielen zur Niederschrift gebrachten Träumen, seien es, jene in Joes Traumbuch oder in den Büchern der Segmenten A-E, spielt der Tod, das Jenseitige mit vielen ihren Facetten - eine übermächtige, ja geradezu beängstigende Rolle. Beide setzen sich immer wieder mit einer nichtablassenden Daseinsberechtigung in die Szene, so, als würden nur sie alleiniger Gestalter des Lebens sein.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Meine Aufwartung im Jenseits
Traumgeschichten
Manfred Heil
Niederschrift
[Autor] In diesem Traumbild erlebte Joe die Trauerfeierlichkeiten seiner Mutter auf eine sehr ungewöhnliche Weise. Er befand sich mit mehreren Personen in der Trauerhalle seines Heimatortes, wo der aufbewahrte Sarg mit seiner Mutter anders stand. Nicht mit dem Fußende zum Hallenausgang, wie gewöhnlich, sondern quer zum Ausgang. Die Trauergäste standen am Kopfende des querstehenden Sarges. Aber auch sie standen etwas durcheinander herum, was der Pietätordnung eigentlich nicht entsprach. Plötzlich bewegte sich die auf dem Boden liegende Tote. Sie befand sich nicht mehr im Sarg, sondern in einem Sack eingenäht. Sie bäumte sich mehrmals auf, und man vernahm eine Stimme, die wimmernden Kinderlauten ähnelte.
Plädoyer
[Chan] Hallo Joe, zu diesem makabren Traumbild, das dir deine Seele zukommen ließ, möchte ich dir (vielleicht) eine wahre Begebenheit nacherzählen. Die ich bei Alexandra David – Neels Buch 'Heilige und Hexer' gelesen habe.
Alexandra David – Neel (* 24. Oktober 1868 in St. Mande, Val-de-Marne, † 8. September 1969 in Digne) reiste 1898 und 1911-1925 in Süd- in Innerasien und erforschte besonders den tibetischen Buddhismus.
In einem Ihrer Reiseberichte beschreibt sie den Ritus 'Ro-lang' (der tanzende Leichnam). Ich beschränke mich auf den zweiten Teil ihrer Schilderung, wo gewisse Ähnlichkeiten mit dem obigen Traumbild sich decken. Ziehe aber bitte, nach dem du dieses Exposé (Bericht) gelesen hast, keine falschen Schlüsse. Mir geht es ausschließlich darum, zu zeigen, wie sich formale Urbilder (Archetypen), die uns allen Menschen innewohnen, in Tibet noch fester Bestandteil des Glaubens, bei uns in Traumbildern, ähneln.
„Aber gleichviel, eine Menge Leute in Tibet glaubt jedenfalls an die Wirklichkeit des 'Ro-lang'. Sie glauben sogar nicht nur an die Wiederbelebung von Leichen durch besondere Riten, sondern sie halten die Toten überhaupt für fähig, sich plötzlich wieder zu erheben und den Lebenden zu schaden. So bestellt man ihnen einen ständigen Wächter, der durch fortgesetztes Hersagen liturgischer Gebete die falsche Auferstehung verhindern soll.
Ein Trapa aus Sepogön, nahe beim Saluë, erzählte mir von einem ähnlichen Falle. Er hatte einmal, als er noch Klosterschüler war, drei Lamas seines Klosters in ein Haus begleitet, in dem ein Mann gestorben war und wo sie nun täglich, bis zum festgesetzten Begräbnistage, die Totenfeierlichkeiten abhalten sollten. Sie hatten sich zur Nachtruhe in eine Ecke des großen Zimmers zurückgezogen, in dem sich der Tote befand, durch viele Binden und Tücher in sitzender Stellung festgehalten. 'Mir wurde der Auftrag erteilt, ihn durch Aufsagen der Zauberformeln zu bewachen', sagte der Trapa, dem ich diese sonderbare Geschichte verdanke. Im Verlauf der Nacht wurde ich so müde, dass ich im Hersagen stockte und wohl ein paar Minuten lang geschlummert haben mag.
Ein leichtes Geräusch schreckte mich auf; eine schwarze Katze schlich an der Leiche vorbei und aus dem Zimmer hinaus. Dann hörte ich einen Laut, wie wenn ein Stück Stoff zerrissen würde. Zu meinem Entsetzen sah ich den Toten sich bewegen und seine Fesseln abstreifen. Wahnsinnig vor Furcht floh ich aus dem Hause, aber nicht ohne vorher noch bemerkt zu haben, dass das Gespenst mit ausgestreckter Hand sich den schlafenden Lamas näherte. Am folgenden Morgen lagen alle drei tot da. Die Leiche war an ihrem Platz zurückgekehrt, aber die Binden waren zerrissen, und die Tücher lagen rundherum auf dem Boden.
Derartige Erzählungen werden in Tibet fest geglaubt. Die Berührung des 'Ro-lang' ist tödlich, und das tückische Gespenst legt die Hand an alle, die ihm erreichbar sind.
Die mit den Totenfeierlichkeiten betrauten Lamas sollen magische Worte und Bewegungen kennen, die solchen Gefahren Einhalt tun können, indem sie den Toten an seinen Platz bannen, sobald er auszubrechen versucht.
Man erzählt sich auch von 'Ro-langs', die aus dem Hause, in dem sie wiedererwachen, entkommen sind und das Land unsicher machen. Andere wiederum sollen spurlos verschwunden sein.“ [12(a)]
Niederschrift
[Joe] Auf einem bahnsteiglosen Bahnhof ankommend stieg ich aus dem haltenden Personenzug aus. Zwischen den Gleisen etwas unsicher stehend, sah ich einen von links herannahenden Zug kommen, der dann mit heftigem Fahrtwind hinter mir vorbeibrauste. Nachdem der Zug vorbei war, suchten meine Augen fieberhaft den Ausgang. Noch einige Gleise musste ich überqueren und befand mich dann auf einer Straße, die mit nicht gerade schönen Wohnblocks besiedelt war. Weiter oben, die Straße hoch, sah ich eine ältere Frau, die aus einer Mülltonne etwas herauszog. Sie war, wie ich intuitiv vermutete, sehr hungrig. Bei meiner weiteren Observation erkannte ich das Herausgezogene, als etwas Essbares. Nach dieser Szene sah ich mich plötzlich selbst vor mehreren Mülltonnen zwischen einer der maroden Wohnblockreihen stehen. Die ältere Frau kam die Straße herunter auf mich zu und fragte, was ich hier suchte? Ich antwortete ihr: „Ich bin hier und habe die Aufgabe, arme Familien aufzusuchen, denn ich handle im Auftrag einer Organisation.“ Sie gab mir einen Zettel und sagte: „Hier sind Adressen von Familien.“ Einen jungen Mann hatte sie bereits aufgeschrieben, sich aber nicht mehr darum gekümmert. Dieser junge Mann war mir bekannt. Ich sagte zu ihr: „Was für ein Zufall.“
Plädoyer
[Traum-Autor] Diese Schichtung von Traumbildern, sei es das Ankommen auf einem bahnsteiglosen Bahnhof; sei es der heftige Fahrtwind, den der hinter mir vorbeibrausende Zug verursachte und mir Ängste und Schrecken einjagte; seien es die grauenhaften Wohnblockreihen; alle diese Bilder stehen nicht im Kontrast zu dem, was meine Observation im Zusammenhang mit der alten Frau, die sich abmühte etwas essbares aus den Mülltonnen zu fischen, ergab. Über die Medien erfahren wir hin und wieder, wie Menschen – ganze Familien, sich mit den noch essbaren Resten der Müllberge ernähren. Wenn ich solche Reportagen im Fernsehen anschaue, kann ich nur meine tiefste Verachtung, gegenüber den Verantwortlichen aussprechen, die aus ihrer menschenverachtenden Haltung heraus, solche Wunden ihrer Seele und den der Mitmenschen antun. Dieses gilt natürlich nicht denen, die aus der Not heraus ihr tägliches Brot, um zu überleben, die Müllhalten durchwühlen müssen. Jedoch, auch über die in Notgeratenen bin ich verärgert, nämlich sich in dieser Art und Weise vom Abfall des Mülls zu ernähren.
Ein Auszug eines Reiseberichtes „Asien lächelt anders“ von J. Gebser dokumentiert eine andere Haltung von Menschen, die durch die Verantwortlichen in die Not getrieben wurden.
Das lächeln des Reiskorns
„Noch ganz benommen von der Schönheit, Finesse, Eleganz und Qualität all dessen, dem man dort auf Schritt und Tritt begegnet, hielt ich dort auf der Straße nach einer Rikscha Ausschau, um ins Hotel zurückzufahren. Ich weiß nicht, wie ich dazu kam, jene Frau überhaupt zu sehen. Sie saß am Rande des Bürgersteiges, unauffällig, eher zierlich, und in sich selbst versammelt. Sie hatte eine kleine Bluse an, die braun-gelb gemustert war, und trug schwarze Hosen. Sie war wohl gegen sechzig Jahre alt; ihr Haar begann schon zu ergrauen. Sie musste einmal sehr schön gewesen sein und war es noch heute, selbst jetzt, da das ganze Antlitz von Hunderten von Falten durchgekerbt war, Kerben, die Tausender ungeweinter und geweinter Tränen als Rinnsale in ihre Züge eingegraben hatten: eine Landschaft des Leidens. Dieses Antlitz war erschütternd, weil in ihm keine Qual noch Bitternis waren. Sie aß. Es war die Art, wie sie aß, die mich derart beeindruckte, dass ich gebannt stehen blieb. Sie hatte die linke Hand halb, wie eine Schale geöffnet, darin einige Reiskörner lagen. Mit dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand nahm sie vorsichtig eines der Reiskörner, führte es langsam zum Mund und zerkaute es; das dauerte fast eine Ewigkeit; dann kam bedächtig, ruhig und langsam das nächste Reiskorn an die Reihe. Sei saß dort, ganz den Reiskörnern hingegeben, und bemerkte nichts von alledem, was um sie herum geschah. Auch mich sah sie nicht, obwohl ich sie doch schon ziemlich lange anblickte. Ich wollte gehen, ich kam mir, so zuschauend, unfair und indiskret vor; andererseits konnte ich mich von diesem Anblick nicht trennen. Als ich mich dann endlich entschlossen hatte, weiterzugehen, und gerade im Begriff war, mich abzuwenden, hob sie den Kopf und wandte mir langsam ihr Antlitz zu. Jetzt konnte ich ihre Augen sehen, die selber die Umgebung noch nicht wahrnahmen. Ich atmete erleichtert auf, hoffend, ich würde noch unbemerkt davonkommen.
Da füllte sich plötzlich ihr Blick mit Gegenwart, und sie begann mich wahrzunehmen. Ich erschrak sehr. Da stand ich, ein weißer Fremder, hatte ein gutes Hemd, eine gute Hose, gute Schuhe an und hatte taktlos auf das Elend wie auf eine Schaustellung geglotzt. Ich erschrak nicht nur, ich schämte mich. Ich lächelte verlegen, versuchte irgendeinen kleinen entschuldigenden Gruß und war durchaus darauf gefasst, dass sie mir einen zornigen oder beleidigten oder verächtlichen Blick zuwerfen würde. Aber nichts dergleichen geschah; nur wurde es mir noch ungemütlicher zumute. Und dann ging ein kleines Lächeln über ihr Gesicht; erst jetzt sah ich, wie sehr vom Hunger es bereits ausgezehrt war. Dann breitete sich dieses Lächeln aus und sprang in ihre Augen, die nunmehr ganz da waren. Sie machte nicht die allergeringste Geste, aber sie schaute mich offen an: ohne Hass, ohne Verachtung, ohne Zorn.
Es waren zwei große braune Augen von einer Reinheit und Klarheit, wie hellest Quellen sie haben. Und dann sprang das leise Lächeln mitten aus ihren Augen heraus in die meinen. Es war kein Fragen, keine Verwunderung, kein Vorwurf darin. Es war nur dieser lächelnde Blick ohne Traurigkeit; der lächelnde Blick eines Menschen jenseits von Leid und Neid. Meine Dankbarkeit war groß. Ich hoffe, ich habe ihr durch die Art, wie ich mich Abschied nehmend verbeugte, diese Dankbarkeit und ehrfürchtige Bewunderung zum Ausdruck bringen können.“ [3(c)]