Meine Jobs - Dietmar Wolfgang Pritzlaff - E-Book

Meine Jobs E-Book

Dietmar Wolfgang Pritzlaff

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Beschreibung

Meine Jobs – Der Arbeiter Dietmar Wolfgang Pritzlaff Der Weg des Arbeiters Dietmar Wolfgang Pritzlaff von 1969 bis 2017. Der Arbeiter und seine Arbeiten. Seine Chefs und Arbeitskollegen. Durch Höhen und Tiefen, Erfolge und Missgeschicke, Glück und Enttäuschungen auf dem Weg zum brauchbaren Angestellten. Geschichten mit jeder Menge Humor und Zynismus gespickt.

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Seitenzahl: 442

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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Vorwort
Kapitel 1: Grundschul-Katastrophen
Kapitel 2: Hauptschul-Katastrophen
Kapitel 3: Meine Ausbildung
Kapitel 4: Heimwerkermarkt in Altena
Kapitel 5: Stadtgalerie Altena
Kapitel 6: Arbeitsamt 2
Kapitel 7: Weiterbildung 1 – Technischer Kaufmann
Kapitel 8: Arbeitsamt 3
Kapitel 9: DZ Licht in Menden
Kapitel 10: Personaldienstleister ohne Job
Kapitel 11: Der Broker und ich
Kapitel 12: Bölk bölkt!
Kapitel 13: Arbeitsamt 4 und Zwischendurch ...
Kapitel 14: Weiterbildung 2 - DTP-Fachmann
Kapitel 15: Die „Avantgarde“ in Essen-Borbeck
Kapitel 16: Kreativ in der „Wolke mit Blitz“
Kapitel 17: Arbeitsamt 5
Kapitel 18: Eurokom – 5 Tage im Chaos
Kapitel 19: Selbständig und frei bei der RAG
Kapitel 20: Werbe-Angestellter Nummer 1
Kapitel 21: Arbeitsamt 6
Kapitel 22: Weiterbildung 3– Langeweile pur
Kapitel 23: Weiterbildung 4– nur für Profis
Kapitel 24: Weiterbildung 5– endlich Multimedia
Kapitel 25: Arbeitsamt 6 – und kleine Jobs
Kapitel 26: Die Agentur und der kleine Copy-Shop
Kapitel 27: Arbeitsamt 7
Kapitel 28: Agentur in Düsseldorf
Kapitel 29: Arbeitsamt 8
Kapitel 30: Call-Center-Agent in Zeitarbeit
Kapitel 31: Arbeitsamt 9 und CANON in Köln
Kapitel 32: Rente
Nachwort
Werbung in eigener Sache

Impressum

Titel:

MEINE JOBS – Der Arbeiter Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 

ISNB:

978-3-9637-6107-2

 

Auflage 1 / v2 / April 2018

 

© Foto: Charly, Köln

 

 

Autor:

Dietmar Wolfgang Pritzlaff (Alle Rechte dem Autor vorbehalten.)

geb. in Altena/Westf., schreibt Romane, Kurzgeschichten, Lyrik, Haiku, Songtexte,

Theaterstücke, Hörspiele, Essays und Drehbücher, journalistische Texte

www.diwop.de

www.liesmichnet.de

 

 

 

Verlag:

© 2018 • dwp –Day Walker Productions

veröffentlicht von: feiyr.com

dwp-feiyr-com-Veröffentlichungen

 

© Coverbild: „MEINE JOBS“, Covergestaltung von Dietmar Wolfgang Pritzlaff, Köln

 

© Text und Satz: Dietmar Wolfgang Pritzlaff, Köln

 

 

Vorwort

Dieses E-Book soll Auskunft geben über meinen oft holprigen schulischen Werdegang, über meine grundverschiedenen Jobs, über geldeinbringende Tätigkeiten, die nie von großer Dauer waren, über meine Weiterbildungen und über meine erfolglosen Anstrengungen in der Arbeitswelt lukrative Langzeitjobs zu erhaschen.

Das ist wohl nichts Besonderes. So eine Geschichte kann doch jeder von sich berichten. Es gibt aber einige spannende Erlebnisse, die ich so noch von keinem anderen Arbeiter gehört oder gelesen habe und die es wert sind, erzählt zu werden. Die muss ich einfach mal „los werden“.

Darunter finden sich genauso Geschichten rund um das Arbeitsamt, wie auch Erlebnisse mit Chefs und Lehrkörpern in Weiterbildungsanstalten. Da waren so einige spezielle Typen dabei. Mit denen habe ich so einiges erlebt, das ich berichten möchte.

 

Nach der CD und dem Lyrik-E-Book NACHTREIGEN, nach den E-Books BOMBENSTIMMUNG und LEBENSSPLITTER, die einen Überblick über meine literarischen Werke darstellen, über SPURENSUCHE (E-Book meiner Kunstwerke), über SPIELWIESE (E-Book meiner Schauspielkarriere) und über SPRACHKUNST (E-Book meiner Autorenlaufbahn) – zeige ich jetzt die Zeiten auf, in denen ich nun mal Geld verdienen musste. Mit irgendwas und in welchem Job auch immer, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Von der Kunst, von Literatur und Schauspiel konnte ich nicht leben, also musste noch immer so ganz „nebenbei“ noch ein Job ausgeübt werden, um mein Konto zu füllen.

 

Mit welchen Schwierigkeiten ich in der Arbeitswelt konfrontiert wurde, davon soll dieses E-Book MEINE JOBS berichten.

 

Vielleicht entdeckt sich ja der eine oder die andere in meinen Geschichten wieder und kann Vergleiche ziehen.

 

 

Viel Spaß beim Lesen wünscht

 

Dietmar Wolfgang Pritzlaff

 

 

 

Kapitel 1: Grundschul-Katastrophen

Schule war mein erster „Job“. War ich ein guter Schüler? Ein klares NEIN! - weil ich lieber in den Sauerländer Wäldern herumspaziert wäre, als mich jeden Tag aufs Neue irgendeiner schulischen Ordnung und Strenge zu unterwerfen.

War ich ein guter Schüler? Ein klares JA! - weil ich mich doch dem Zensuren Stress beugen konnte und wollte, um Wissen und Können zu erlangen. Ich durchblickte schnell, dass man ordentlichen Scheiß innerhalb der schulischen Zeiten bauen und trotzdem gute Noten einfahren konnte, wenn man sich an den richtigen Stellen zur rechten Zeit was richtig Gutes ausdachte. Gern stellte ich in einem Thema Fragen die nach Themenerweiterung schrien. So hielten mich die Lehrer als voreilig oder schon wissensträchtig, obwohl eigentlich so gar nix davon in meinem Kopf wirklich hauste. Also nur ein Denkanstoß blieb. Der Lehrer glaubte dann meist, dass ich das besprochene Thema schon verinnerlicht hatte und ließ ab von weiteren Fragen. Ein sehr guter Trick! Kann ich nur empfehlen.

 

Nicht jeder Lehrer, nicht jede Lehrerin war immer eine Koryphäe auf seinem oder ihrem Gebiet. Da wurde es manchmal richtig langweilig, wenn Lehrer sich erst Mal in der Schulstunde „schlau“ machen mussten, um ein neues Thema zu besprechen. Wie armselig. Die Lehrer hatten keine Zeit oder Lust zur Vorbereitung und hielten die Vorbereitung in der Schulstunde ab. Diese Lehrer und Lehrerinnen wurden von mir innerlich schon mal abgehakt, als unsinnige Zeittotschläger.

 

Aber es gab auch einige Lehrer die immer gut drauf waren, die ihr so wertvolles Wissen gerne und kreativ weitergaben, ihre geschätzten Erfahrungen kundtaten und uns blöden, völlig leeren Wissensschalen mit fürs Leben brauchbaren Tipps füllten. Unsere Köpfe waren am Anfang vom Kindergarten und behütetem Zuhause verformt und mussten erst Mal geradegerückt und die gesellschaftliche Ordnung darübergestülpt werden. So war ich immer darauf fixiert, neues Wissen bekommen zu können. Dann fand ich Schule wieder klasse.

Trockene Themen wie die deutsche Rechtschreibung, Politik und Religion waren ganz bestimmt nicht meine Lieblingsfächer. Besser waren Chemie und Physik, also die naturwissenschaftlichen Fächer in denen ich glänzte. Auch bei Erdkunde und Geschichte war ich ganz vorne mit dabei. Aber es kam auch auf den Lehrer, die Lehrerin an, die das Wissen zu vermitteln versuchten. Denn manchmal blieb es bei Versuchen. Es gab Lehrkörper, denen man einfach nicht zuhören, nicht folgen konnte und nicht wollte. Sie waren dann langweilig, ausgedehnt öde und nur bedingt sinnvoll.

 

Der Schulweg war lang. Sehr lang. 1,5 Kilometer insgesamt. Eigentlich in einer halben Stunde zu schaffen. Für Erwachsene. Aber nicht für kleine kurze oder krumme Kinderbeine. Da konnte es passieren, dass der Weg 50 Minuten oder 1 Stunde dauerte. Und wenn dann noch hier und da abseits der Wege Neues zu entdecken war, wuchs der Zeitberg auf 2 Stunden an. Den einen Berg bis ins Tal hinunter und dann wieder den halben Berg gegenüber wieder rauf. Vom Breitenhagen bis zum Drescheider Berg. Wer sich in Altena auskennt, weiß von diesen Anstrengungen.

 

Was man damals den kleinen Kindern so alles zumutete...! Unglaublich. Heute würde man das nicht mehr tun. Ende der 1960er Anfang der 1970er Jahre ging das einfach so. Und dann noch mit den vielen Büchern und Heften beladen. Auf dem Rücken einen Schulranzen, der manchmal so schwer war, dass man gar keine Lust mehr hatte, diese Last zu tragen. Wegwerfen und leicht wie eine Feder auf den heimatlichen Berg raufspringen, wäre da angebrachter gewesen. Im Sommer bei 30 Grad im Schatten zog sich der Weg wie Gummi. Von allen Richtungen kamen die Kinder auf diesem Schulweg. Man traf sich, machte schon mal den ersten Blödsinn und trottete gelangweilt hintereinander oder nebeneinander her.

 

Ich will jetzt nicht jeden Tag meiner Schulzeit beschreiben. Das würde dann doch zu viel des Guten sein. Ich möchte nur einzelne Stationen aufzeigen, in denen etwas Besonderes passierte, eigentümliche Gefühle aufkamen oder Ungerechtigkeiten geschahen. Also die Ungerechtigkeiten, das ist das Schlimmste im Leben, finde ich.

Es gibt Lehrer denen ich es nicht recht machen konnte. Da hätte ich mich auf den Kopf stellen können, es blieben schwierige Menschen. Die gibt es wirklich und dann lernte ich auch nichts, weil ich den Lehrmenschen hinter dem Wissen nicht ausblenden konnte. Da hatte ich doch keine Lust einem unangenehmen Menschen zu folgen, auch wenn es nur gedanklich war. Noch nie habe ich und werde ich auch nicht, solchen Blödkisten die Ehre meines Gehörs oder Gehirns geben.

 

Anderen Lehrern und Lehrerinnen konnte ich stundenlang zuhören und klebte mit meinen Ohren an ihren Lippen. Ich stellte tausend Fragen zu Themen, bei denen ich völlig hin und weg war und wollte alles bis ins Kleinste wissen. Das machte dann auch richtig Spaß zu lernen.

 

Mathematik war ein Fach, das ich mir ins Hirn reinkloppen musste. Es wollte nicht rein und musste doch. Und wenn es drin war, war es auch ganz schnell wieder aus dem Kopp. Flüchtig wie ein zarter Parfumduft. Was habe ich mich mit Kettensätzen, Algebra, Buchführung und theoretischer Mathematik gequält. Aber immer, wenn ich schon längst aufgeben wollte, machte es Klick und es ging wieder was rein in die Gehirnwindungen. Wenn das Hirn erst Mal „guten Tach, ich bin eine verstandene Formel“ zu einer mathematischen Aufgabe gesagt hatte, dann wusste ich, das etwas von dem Wissen auch morgen noch in Erinnerung blieb.

 

War ich ein Streber? Ich war immer unter den Besten. Nicht der Beste, aber darunter. Von den Jungs sowieso. Da hatte ich komischerweise überhaupt keine Schwierigkeiten. Also hielt ich mich mit meiner eigenen Beurteilung im Vergleich an die echt schlauen Mädchen. Die hatten so einiges drauf.

Meine liebe Sandkastenfreundin Dagma zum Beispiel. Sie war in allen Fächern immer etwas besser als ich. Sie war mein Antrieb mitzuhalten. Dagma hatte meist die bessere Note in den Klassenarbeiten und kam nach Notenvergabe zu mir, um mir ihre bessere Note unter die Nase zu halten. Die Noten waren vom Lehrer verlesen worden, also wusste ich ja schon ihre Note, aber sie kam trotzdem jedes Mal zu mir, um sich ein Lob von mir abzuholen und mich neidisch zu machen. Damit schaffte sie es immer. Wirklich immer!

Also doch ein Streber? Vielleicht ein Nachläufer, denn ich schaffte es nur selten, Dagma gute Noten zu übertrumpfen. Wenn so ein Glücksfall mal eintraf ging ich zu ihr und knallte ihr meine bessere Note in ihre Ohren, und wie Mädchen nun mal so sind, wurde die bessere Note gleich wieder abgetan als Ausrutscher, denn die Gesamtnote zählte ja in einem Fach und dabei stand Dagma immer weiter vorne, zu meinem Ärger.

Wenn man als Schüler sowieso immer nach Zensuren eingestuft wird, muss man ja irgendwie lernen um mitzukommen. Aber eigentlich hatte ich mich nur dem Lernen hingegeben, weil man es musste. Und wenn ich etwas musste, dann sollte das auch gut werden. Irgendwie musste ich ja dadurch kommen. Dann wollte ich es auch richtig mitmachen und nicht nur hinterherlaufen. Egal was ich anfing, ob Schule, Job, Weiterbildung, Theater oder Literatur, ich wollte das Beste daraus machen.

 

Im ersten Schuljahr gab es Noten für gute Führung, Beteiligung am Unterricht, häuslicher Fleiß und den regelmäßigen Schulbesuch. Meine Leistung war befriedigend. Ich hatte noch so gar keine Lust was zu lernen. Ich war verspielt und wollte lieber wieder in den Sauerländer Wäldern rumtoben, als ruhig auf einem Stuhl zu sitzen und irgendwas von der deutschen Sprache zu lernen.

Im zweiten Halbjahr des ersten Schuljahres war nicht mehr alles befriedigend. Im Rechnen nur ein ausreichend. Es musste etwas geschehen. Ich strengte mich im 2ten Schuljahr mehr an, aber die Noten wollten nicht nach oben gehen. Rechnen und Schreiben blieben ausreichend. Na, klasse! Ich blieb unteres Mittelmaß. Das ging dann auch so weiter. Ich war nur in Religionslehre gut. Toll! Sollte ich Mönch werden? Theologie studieren?

 

Schon früh lernte ich, dass auch Lehrer und Lehrerinnen nur Menschen waren, die mal ausbrechen konnten. Im vierten Schuljahr geschah solches auf eine derart drastische Art und Weise, dass sich dieses Erleben, dieses Mitdabeisein in mein Gehirn eingegraben hat. Mein Mitschüler Klaus hatte seine Schulaufgaben nicht gemacht. Wir Schüler wussten davon, hatte er uns doch vor der Schulstunde davon berichtet. Klaus log, dass er seine Hausaufgaben zuhause vergessen hätte. Die wären gemacht, aber lägen nun unnützer Weise zuhause. Was sollte er jetzt tun?

Frau Gronna, unsere Klassenlehrerin, ließ sich darauf ein. „Na gut“, sagte sie. „Dann hol sie eben.“ Und als Klaus sich nicht rührte fügte sie an: „Jetzt!“

Wir Mitschüler waren baff. Den langen Weg nach Hause und zurück. Runter vom Berg und wieder rauf auf einen Berg. Dann wieder runter vom Berg und wieder rauf auf den anderen Berg und die Hausaufgaben zeigen. Um dann am Schulschluss am Nachmittag wieder den Berg runter und rauf... Egal. Klaus stand auf und latschte nach Hause. Er sollte sich beeilen, gab die Lehrerin ihm noch mit auf den Weg. Sie würde auf die Uhr schauen. Für alle anderen Kinder ging der Unterricht weiter.

Es war so gegen 10.00 Uhr. In etwa einer Stunde müsste der Weg zu schaffen gewesen sein, wenn man sich beeilte. Klaus war wieder da. Aber er hatte über 2 Stunden gebraucht. Die große Pause war schon vorbei und wir saßen wieder im Klassenraum. Frau Gronna wollte die Hausaufgaben sehen. Klaus gab ihr sein Aufgabenheft. Ein Geschmiere und Gekleckse mit dem Tintenfüller und Tintenkiller. Eine wahre Freude der Anarchie. Gar nicht zur Freude von Frau Gronna.

„Warum hat das so lange gedauert? Das Geschreibsel kann man nicht lesen. Hast Du die Hausaufgaben zuhause schnell noch geschrieben?“

Klaus stammelte ein klares nein. Er hätte die Hausaufgaben nur von zuhause geholt. Frau Gronna ließ nicht locker und glaubte Klaus Ausführungen nicht. Sie schrie immer wieder: „Lüge, alles Lügen!“ Plötzlich, wie von der Tarantel gestochen, sprang die gute Frau Gronna auf, schnappte sich den Holzzeigestock und den armen kleinen Klaus und die ganze Klasse wurde Zeuge eines brutalen Überfalls. Ruckzuck legte Frau Gronna unseren Klaus über ihr Knie und es zischte der Stock und knallte laut auf Klaus Hintern. Einmal, zweimal, dreimal, es hörte nicht auf. Immer fester schlug Frau Gronna zu und war wie im Rausch. Dabei schrie sie immer weiter. „Alles Lüge. Du Lügner. Du lügst mich an.“ Und so weiter und so weiter. Jeder Schlag knallte durch das Klassenzimmer. Wir Mitschüler waren erstarrt. Keiner rührte sich. Jedem gingen die Schläge unter die Haut und brannten sich ins Hirn. Wir waren geschockt. Uns stockte der Atem. Die Frau hörte und hörte nicht auf. Wieder und wieder schlug sie zu. Eine solche Furie war uns bis dahin nicht untergekommen. Wieder schlug sie zu und nochmals, bis der Stock auf dem zarten Kinderhintern zerbrach. Dann endlich hörte sie auf. Klaus heulte. Dicke Tränen liefen ihm die Wangen runter.

 

Wie hörte das dann auf? Ging Klaus einfach auf seinen Platz? Rannte er raus? Konnten wir einfach so mit dem Unterricht fortfahren? Ganz ehrlich – ich weiß es nicht mehr. Nur die Schläge begleitet von dem unheimlichen Stocksausen der durch die Luft fuhr, sind mir seitdem ins Gedächtnis eingebrannt.

Es war eine beklemmende Situation, eine unbekannte Atmosphäre. So etwas hatten wir noch nie erlebt und erleben müssen.

Ungestraft blieb der Ausbruch der Frau Gronna nicht. Die Eltern hatten sich beim Direktor über den Gewaltausbruch dieser Frau beschwert. Frau Gronna musste sich vor uns Schülern erklären und entschuldigen. Das war alles? Ich hätte mir gewünscht, wir Schüler hätten alle einmal auf Frau Gronna einschlagen dürfen. Aber das geschah dann doch nicht.

 

Unsere Klassenlehrerin in der Grundschule blieb Frau Gronna. Ich hätte mir einen Unterricht unter einem Klassenlehrer kaum vorstellen können, denn meine ersten Schuljahre wurden nur von Frauen bestimmt. Vier Jahre Grundschule bei Frau Gronna, dann bei einer Frau Mikko und später zweieinhalb Jahre Frau Resse. Im 8ten, 9ten und 10ten Schuljahr bekamen wir einen Herrn Bille vor das Lehrerpult geklemmt und schon gingen meine guten Noten runter. Irgendwie hatte ich wohl Schwierigkeiten einen Mann als Lehrer ernst zu nehmen. Das spielerische Lernen hörte schlagartig auf und der große Kampf um Wissen und Zensuren begann. Ich konnte mit dem Herrn Bille nix anfangen. Und plötzlich hatten wir überall Lehrermänner. In Geschichte, Politik, Erdkunde, Physik und Chemie, Deutsch und Religion. Nur noch in dem Schulfach Englisch gab es eine Frau, aber diese Dame hat mir echt das Englische völlig vermiest. Bis heute. Doofe Kuh, die! Nee, ich war doof, dass ich das alles so ernst nahm, dass ich nicht mehr englisch sprechen wollte. Aber das ist eine andere Geschichte und diese wird später noch genauer erzählt werden.

 

Aus meinem eBook SPIELWIESE:

Meine erste Theatererfahrung war im Alter von 10 Jahren im vierten Schuljahr. Unsere Klassenlehrerin Frau Gronna kam auf die grandiose Idee ein Theaterstück mit den „lieben“ Kleinen aufzuführen. DER FEHLERTEUFEL sollte gespielt werden.

 

Ich weiß überhaupt nichts mehr von diesem Stück, keinen Inhalt, keine Rollen und von wem das Stück stammt. Es gab in den 1970er Jahren einen ULI – DER FEHLERTEUFEL. Ob unser Stück eine Umsetzung der Figur in ein Theaterstück war, ist mir heute nicht mehr bekannt. Wikipedia schreibt (Zitat): Uli der Fehlerteufel ist eine Figur von Ilse Herrndobler. Die Figur trieb in den 1970er und 1980er Jahren ihr Unwesen in Rechtschreibfibeln westdeutscher Grundschüler. In diesen Fibeln und Arbeitsheften verdrehte er die Buchstaben, stahl Großbuchstaben, Satzzeichen oder sogar ganze Wörter. Aufgabe der Kinder war es, diese Fehler zu berichtigen. „Uli“ lebte in Lesebüchern und Sachkundeheften der Grund- und Sonderschulen. In Auslandsschulen von mehr als 50 Staaten wurde er zu einer gezielten Grundlage für die Beherrschung der deutschen Sprache im Unterricht eingesetzt. Aha! Aber, wie schon geschrieben, weiß ich es nicht genau, ob dieser Uli Anlass für unser Stück gleichen Namens war.

 

Ich bekam leider nur eine kleine Rolle und hatte so gar keine Lust darauf. Ich hätte gerne die Hauptrolle gespielt, aber die war schon vergeben und wurde von einem Mädchen verkörpert. Und gut verkörpert, dass musste ich zugeben. Aber der Fehlerteufel ein Mädchen? Ganz schön cool und locker ging ihr Spiel über die Bühne. In mir nagte mein Ego an sich selbst. Ich wollte mehr als ich wahrscheinlich konnte, wollte gefordert und gefördert werden, aber ich stand nun mal nicht hoch im Kurs unserer Lehrerin.

Vielleicht hätte ich mehr Zutrauen zu mir selbst, mehr Mut und Courage gefunden oder erwecken können, aber ich hatte schon vor meiner kleinen Rolle absoluten Schiss in der Buchse. Ich wollte doch gar nicht im Mittelpunkt stehen und spürte doch, dass ich es wollte. Ja, was denn nun? Ja oder nein? Nein, oder Ja? Nein, lieber nein.

 

Weil ich unglücklich über meinen wenigen Text war und noch weniger Spielfreude entwickeln durfte in meinen zwei Auftritten, kam die Lehrerin auf die glorreiche Idee, dass ich noch ein Lied anstimmen sollte. Das Lied „So ein Tag, so wunderschön wie heute...“ Mir graute davor die Stimme zu erheben und mir verschlug es eher die Sprache, als dass ich einen ganzen Saal mitreißen wollte. Kurzum, das Lied wurde von mehreren angestimmt. Ich war zwar unter diesen, aber eben nicht mehr der Vorsänger. Später habe ich mir deshalb immer Vorwürfe gemacht. Warum hatte ich nicht den Mut und habe einfach gesungen. Es war das Lampenfieber, vor anderen Mätzchen zu machen. Es steckte einfach nicht in mir. Dachte ich zumindest damals. Bevor ich in eine Rolle schlüpfen konnte, musste ich mir sicher sein, musste ich üben und üben und mit gut zureden, hätte ich es dann auch spielen können. Also doch keine Rampensau.

 

Der Theaternachmittag kam. Im großen Saal des „Lennestein Altena“, die einzige große Bühne, der einzige Saal mit Platz für 400 Leute, war gut gefüllt von unseren Klassen der Schule. Kinder, Mitschüler und ihre vor Stolz platzenden Eltern saßen gespannt im Saal. Auch meine Eltern freuten sich auf das Bühnenspektakel mit ihrem Sohn. Mein Auftritt rückte näher und näher. Mein Puls ging schneller und schneller. Wie heiße ich nochmals? Wo bin ich? Was für einen Text sage ich? Plötzlich war alles irgendwie weg und nur mit Mühe konnte ich auf die Bühne. Meine zwei Sätze gesagt und das war es dann auch schon. Schnell noch das Lied mitgesungen und hoffentlich das Ganze vergessen. Aber so einfach war das nicht. Mein Auftritt blieb meinen Eltern unvergessen und ich höre heute noch oftmals: „Du hast dich im Lennestein hinter den anderen versteckt und warst so leise... Man hörte dich gar nicht.“ Boah ey, lasst mich alle in Ruhe. Wie peinlich. Noch heute. Was für ein Quatsch. Das war doch nur Kinderkacke, aber es hat sich ins Gedächtnis gebrannt. Ich wollte nie mehr auf die Bühne. Ich hatte die Schnauze voll.

 

Nach der Grundschule ging es für mich auf die Städtische Hauptschule Breitenhagen. Wie die meisten anderen Mitschüler hatte ich das Gefühl, ich müsste bei meinen mir liebgewordenen Schulkameraden bleiben. Also nicht aufs Gymnasium. Und die Hauptschule war am Breitenhagen in der Nähe meines Zuhauses. Jetzt hatte ich nicht mehr einen langen, sondern einen extrem kurzen Weg. 07.53 Uhr aus dem Haus reichte noch, um pünktlich zu sein. 07.55 Uhr aus dem Haus, dann musste ich schon schnell laufen. Herrlich, keine anstrengenden zeitraubenden Wege mehr.

Irgendwie hatte ich plötzlich Lust bekommen mehr zu wissen. Meine Noten gingen nach oben. Religionslehre, Deutsch, mündlicher Ausdruck, Literatur, Englisch, Biologie, Erdkunde, Geschichte/Politik, Physik, Sport und Musik – alles GUT. Schriftlicher Ausdruck, Mathematik und Rechtschreiben blieben befriedigend. Aber ich hatte Lunte gerochen und wollte das ändern. Das Bestreben nach mehr hatte mich erwischt. Das nächste Halbjahreszeugnis wies dann nur noch 2 befriedigend auf.

Die „Schuld“ daran trug eine Lehrerin namens Marie-Luise Resse, die jeden Tag aus Lüdenscheid nach Altena kam. Meine Lieblingslehrerin und eine große Förderin des freien Denkens in der Kunst. Meine erste Mäzenin. Bei ihr verging der Unterricht so spannend, unterhaltsam und schnell, dass ich von diesem Zeitpunkt an gerne zur Schule ging. Ein Wunder!

 

 

 

Kapitel 2: Hauptschul-Katastrophen

1973 bis 1975, also 2 Jahre, war die Hauptschule am Breitenhagen. Danach wurde dort eine Grundschule eingerichtet und wir Schüler vom Breitenhagen mussten umsiedeln. Die neue Schule war so weit weg, dass wir mit dem Schulbus fahren mussten. Die Hauptschule Rahmede wurde neuer Ort des Lernens bis zu meinem 10 Schuljahr. Mal kam der Bus später oder gar nicht. Mal war der Bus überfüllt, weil der zweite Bus nicht kam und und und...

 

Aber ich lernte meinen besten Freund Erik kennen. Wir saßen ab dem 5ten bis zum 9ten Schuljahr immer zusammen. Wir schrieben voneinander ab und quatschten gerne im Unterricht. Wir störten den Unterricht. Ja, auch das muss mal sein. Wenn die Lehrer so langweilig waren, mussten wir die vergeudete Zeit etwas aufpeppen.

 

Im 7ten Schuljahr kamen sogar 2 sehr gut-Noten in mein Zeugnis hinzu. In Geschichte und Kunst konnte ich glänzen. Diese Fächer waren allesamt bei der guten Frau Resse.

Im 2ten Halbjahr 1975 verließ die beste Lehrerin der Welt, die Schule. Sie kam nicht mit den aufsässigen, pubertierenden Jungs in unserer Klasse zurecht. Sie ging dann auf eine Grundschule in Lüdenscheid. Das war wohl die bessere Wahl.

Wir Jungs waren einfach zu blöde um den deutlichen Unterschied zu anderen Lehrern zu bemerken. Wir hatten viele Freiheiten bei Frau Resse und hatten das viel zu oft ausgenutzt. Ich war hin und her gerissen. Als Junge unter den Jungs musste ich Blödsinn mitmachen, sonst war ich nicht mehr bei denen angesagt. Aber von der Lehrerin war ich angetan und wollte ihren Unterricht gerne mitmachen und gute Leistungen erzielen. Jedes Thema wurde von Frau Resse spannend aufgearbeitet, mit weiterführenden Zetteln und Infos, die nicht in den Schulbüchern standen. Als sie unsere Schule verließ war das sehr schmerzlich für mich. Ich hatte sie besonders gern. Kein Lehrer, keine andere Lehrerin hatte das danach noch geschafft.

 

Mit den neuen Lehrern gingen meine Noten wieder ein Stück weit runter. Schade. Gerade hatte ich den richtigen Lernantrieb gefunden, schon war wieder alles vorbei. Eigentlich sollte ich nicht die Lehrerin, sondern das Wissen in den Vordergrund stellen, aber für mich fiel oder stieg alles mit den Lehrkräften.

 

Auszug aus meinem E-Book SPURENSUCHEN:

1977 sollten alle Schüler meiner Klasse eine ganz besondere Erfahrung machen: das Berufs-Praktikum. Ich war jetzt 14. Drei Wochen nicht in die Schule, kein Unterricht, keine Lehrer. Hurra!

Aber dafür drei Wochen in einen Beruf reinschnuppern. Mit einer meiner besten Schulfreundinnen Hanna hatte ich einen Praktikumsplatz in einem Blumengeschäft in Altena ergattern können. Da wir beide nicht so viel Geld für einen Bus hatten, latschten wir morgens den weiten Weg in die Stadt und nachmittags wieder zurück.

An jedem Morgen wurden frische Blumen angeliefert. Das hieß, die ältere Ware durchschauen, ob etwas vergammelt ist und dann Platz für die neuen Blümchen gemacht.

Wir Praktikanten wurden in die hohe Gesteckkunst eingeweiht. Ich baute aus Bambusstangen eine Leiter und arrangierte davor die Blüten und Blätter. Noch einen Tannenzapfen und schon war mein besonderes Gesteck fertig. Außer uns Praktikanten waren noch in dem Laden zwei junge Frauen beschäftigt, die eine im dritten, die andere im zweiten Lehrjahr und natürlich Chef und Chefin.

Alle besahen sich unsere Gestecke und meins gefiel, weil es auffiel. Aber dann kam der Chef und meinte, die Gestecke müssten den Schütteltest überstehen. Mein Gesteck war ein Gesteckschwamm im Glas und dann alles reingestopft, was nicht niet- und nagelfest war. Er nahm mein Gesteck, dreht es auf den Kopf. Ich hielt den Atem an und wollte schon etwas sagen, dann aber rüttelte er noch mit dem Glas und alles fiel in Klumpen zu Boden. Mein Gesteck war nicht rüttel- und katastrophenfest.

Also gut, neu gemacht. Dieses Mal aber schnitt ich ein größeres Stück vom Gesteckschwamm ab. Es passte nicht ganz in die Glasschale. Mit etwas Druck ging es dann doch rein und die überstehenden Ränder wurden abgeschnitten. Nun hatte ich eine rüttelfeste Grundsubstanz geschaffen und begann dann die Dekoration von vorne.

Wenn ein Gesteck fertig war, brachte man es in den Verkaufsraum zu einem Tisch auf dem die Gestecke gesammelt ausgestellt wurden.

Meine Gestecke fielen immer irgendwie zwischen den anderen auf. Mal mit einer Bambusleiter, mal mit großen Pinienzapfen oder mit bunt angemalten Kieselsteinen bestückt, waren sie wirklich auffallender als andere.

Und siehe da – eine Ehre wurde mir zu teil. Eine Kundin suchte nach einem Geschenk und stand vor dem Gestecktisch. Ihr Auge blieb an meinem Gesteck mit der Bambusleiter hängen und war ganz entzückt. Die Auswahl war groß, aber mein Gesteck wurde verkauft. Genial!

Meist waren die „Ladenhüter“, die Gestecke die zwar nach allen Regeln der Blumenkunst gefertigt wurden, aber nach 08/15 aussahen, noch zum Feierabend im Laden und fanden keine Abnehmer. Dann wurde jedes Schälchen für die Nacht nochmals mit Wasser befüllt, damit die Blumen an nächsten Tag nicht die Köppe hängen ließen.

Der Beruf gefiel mir. Viele Menschen um sich, Mitarbeiter und Kunden und immer kreative Kreationen aus dem Hause Pritzlaff, die sich gut verkauften. Das könnte doch meine Zukunft sein. Aber in Gesprächen mit den Angestellten musste ich leider feststellen, dass dieser Beruf völlig unterbezahlt wurde. Viel Arbeit, wenig Geld.

Zu etwas mehr Geld bringt man es wohl erst, wenn man einen eigenen Laden aufmachen kann. Aber dazu muss man erst Mal das nötige „Großgeld“ mitbringen um ein Polster zu haben. Und wenn man Auszubildende haben wollte, musste man auch noch den Meistertitel erlangen. Das kostet wiederum viel Geld und Zeit. Aussichtlos, trübe Aussichten für meine Berufswahl. Also Florist auf keinen Fall, leider. Schade.

 

Kotzen 1:

In der 8ten Klasse, 1977, waren wir in einer schönen Herberge in den Bergen des nahen Sauerlandes. Es ging auf Klassenfahrt in eine Jugendherberge in Brilon im Hochsauerland, Nähe Winterberg.

Wir besuchten eine Ski-Sprungschanze. War es die alte Schanze in Brilon oder sind wir nach Winterberg? Das ist mir entfallen. Aber wir standen mal auf einer Sprungschanze und ganz ehrlich – Nein! – ein deutliches nein. Ich würde niemals dort runterhüpfen und ins Nichts fallen wollen. Das kam für mich also schon mal nicht in Frage.

Wir trimmten uns auf einem Waldtrimmpfad und stampften durch ein Kneipp-Becken bei dem ich mich auch noch erkältete und mir eine schön-eklige, dicke Erkältung einfing.

Aber der Knaller war der Anfang der Reise oder sollte ich besser schreiben das Ende der Reise? Denn nach der zweistündigen Busfahrt von Altena nach Brilon wurde mir etwas flau im Magen. Der Bus fuhr Serpentinen. Immer ging es rund und rum und rund und rum... Ich saß neben meinem besten Freund Erik und wollte ihm gerade mitteilen, dass das Geschaukel und auf-und-ab der Fahrt mir irgendwie... aber das war auch schon alles, was ich sagen konnte. Erik bemerkte sofort, dass da etwas Größeres auf ihn zukam. Er holte schnell meinen Regenmantel vom Haken, schön warm, innen mit langem Plüschfutter, und legte mir diesen auf den Schoß und schwupps... schon mit dem ersten Schwall schossen die Brocken in saurer Tunke von einem guten Frühstück in den Plüsch. Zweimal, dreimal, viermal... es wollte gar nicht aufhören. Ich konnte mich kaum einkriegen. Immer wieder schoss etwas grünliche Suppe nach, bis wirklich alles in meinem Mantel war. Von jetzt auf gleich war mir so hundeelend zumute. Ich sackte in mich zusammen und konnte kaum meinen vollgekotzten Mantel halten. Erik übernahm die Regie. Das alles geschah kurz bevor wir an der Jugendherberge waren. Mein Kreislauf – abgesackt – völlig im Eimer. Ich konnte kaum aufstehen und mich auf den Beinen halten. Ich wollte nur noch Sterben – nein, bloß das nicht – nur meine Ruhe, einfach nur Ruhe. Aber ich musste ja noch meine Reisetasche ins Zimmer bringen. Musste die Kotzespritzer vom Sitz vor mir wischen. Musste mich um den Kotzemantel kümmern und die Kotze entsorgen, aber das alles konnte ich nicht mehr. Der Busfahrer regte sich fürchterlich über meine Kotztiraden auf und beschwerte, sich, dass er alles saubermachen müsse. Erik beschwichtigte ihn. Er würde mich erst in die Herberge bringen, dann die Sachen holen und dann saubermachen. Damit ließ der Busfahrer ab von mir. Ich hätte nix machen können. Eher hätte ich mich erschlagen lassen können. Erik half mir aufzustehen und schwankend auf ihn gestützt verließen wir den Bus. Er brachte mich ins Mehrbettzimmer. Immer noch hatte ich den Kotzmantel an der Hand. Der musste weg und Erik brachte ihn in den Waschraum. Er schmiss ihn einfach in eine Duschkabine und ließ warmes Wasser drüber laufen. Ich lag ausgestreckt in meiner Koje und konnte keinen Finger mehr rühren. Mir war schwindelig und schlecht.

Erik holte die Taschen und ging dann gleich wieder los, um den Bus sauber zu machen, aber der Busfahrer hatte ein Einsehen und hatte schon selbst gewischt und gereinigt. Danke! Das hätte er auch gleichmachen können ohne zu Murren. Und wo waren die lieben Lehrer? Haben keinen Finger gerührt. Haben sich nicht um mich bemüht. Na, vielen Dank auch!

Nachmittags gab es den ersten Programmpunkt: Rundgang durch Herberge und nähere Umgebung, aber ich konnte nicht daran teilnehmen. Erst abends zum Abendbrot konnte ich eine Schnitte mit mehreren Tassen Hagebuttentee verdrücken. Damit ließ sich mein Kreislauf besänftigen. Aber erst am nächsten Morgen war der Schwindel wirklich vorbei und ich war wieder obenauf.

In der Zwischenzeit war Erik so lieb und hatte meinen Regenmantel gereinigt. Wirklich gereinigt. Und das war gar nicht einfach. In dem langen Plüschinnenfutter „verhakten“ hatten sich hier und da die größeren Kotzbrocken, verklebten das Futter und brachten dieses zum sauren Stinken. Er musste richtig schrubben. Er hatte eine stark parfümierte Handseife in seinem Gepäck und diese half jetzt ungemein den ekligen sauren Geruch aus dem Kunstplüsch zu waschen. Immer wieder musste er nachreiben, um die Schlieren wegzuschwemmen aus dem Plüschgeflecht. Zum Trocknen hängte er das gute Stück über die Heizung in unserem Mehrbettzimmer. Was war das jetzt? Einen fürchterlich süßlichen, grauenvollen Nasenbeißer hatten wir in unserem Schlafraum. Es stank entsetzlich nach Parfüm, durchdringendem Parfüm. Er biss sich ins Riechinstrument und blieb dort hängen. Der Geruch war in den ersten Tagen kaum zu ertragen. Manche Mitschüler machten um mich und meinen Mantel einen großen Bogen. Aber ich musste diesen Mantel tragen. Ich hatte keinen anderen dabei. Nach einer Woche hatte man sich daran gewöhnt. Erst nach Monaten verging der Geruch wirklich. Was für eine Seife?!

 

Kotzen 2:

Nach der Klasse 9 im Jahr 1978 gingen alle Jungs und einige Mädchen von der Schule um Berufe zu erlernen. Ich blieb auch zur 10ten Klasse um meine Mittlere Reife abzuschließen. Abschlussfahrt nannte man die Klassenfahrt der Klasse 9, bei der nochmals alle Schüler zusammen verreisen konnten. Wir freuten uns schon auf Juist. Von der Herberge und den herrlichen Sauereien hatten wir von den älteren Abgängern schon gehört. Da gab es wohl immer gerne mal Ramba Zamba.

Aber, Pustekuchen! Die Abschlussklasse ein Jahr zuvor hatte dermaßen in der Jugendherberge gehaust, dass unsere Schule ein Besuchsverbot erhalten hatte. Und was hieß das jetzt für unsere Klasse? Nicht nach Juist. Na, klasse.

1976, im 7ten Schuljahr waren wir in Husum an der Nordsee. Wir wollten gerne wieder an die See. Also ging es jetzt in Klasse 9 nach Eckernförde. Zwar nicht die Nordsee, aber wenigstens die Ostsee und die kann auch ganz schön wüten, wie sich herausstellen sollte.

Wir latschten von unserer Herberge am Strand entlang zum kleinen Hafen von Eckernförde. Dort wartete schon ein kleiner Fischkutter auf uns und brachte uns raus auf die Ostsee. Zuerst war es ruhig und glatte See. Das konnte jeder aushalten. Hier und da ein paar kleine Wellen. Das war es dann auch. Irgendwann war die Sonne weg, es wurde grau und nieselig. Die Wellen klatschten noch gemächlich vor den Bug. Dann wurde der Wind stärker und stärker und erreichte eine Stärke zwischen 8 und 9. Jetzt schlugen die Wellen über den Bug über das Schiff. Wir standen noch zu viert in der Spitze des Kutters und hatten Regenjacken an. Das Wasser schlug über uns hinweg und pitsch und patsch waren wir alle durch und durch nass. Eine Welle, zweite Welle, nein ich hatte keine Lust mehr und wollte nicht mehr Wellenbrecher spielen. Die anderen hielten noch aus. Immer höher kamen die Wellen. Ich meine, das ist die Ostsee verdammt nochmal, die hatte ruhig und glatt zu sein. Das hier war die Hölle. Das kleine Boot wurde hin und her geworfen. Wie ein Blatt im Wind. Mir wurde schlecht. Richtig schlecht. In eine Richtung ging das ja noch, aber mein Balancegefühl schwindelte. Von allen Seiten schlugen hohe Wellen an das Boot und dann machte mein Kreislauf endgültig nicht mehr mit. Ab an die Reling und... Erst mal einen Platz finden. Da standen schon in gewissem Abstand meine MitschülerInnen und kotzten sich die Seele aus dem Leib. Ich fand einen schönen Platz und würgte das leckere Mittagessen aus mir raus, dass es eine helle Freude war. Überall, ringsherum wurde jetzt gekotzt. Mal grün mal rosa, mal rot. In allen Regenbogenfarben. Der Kapitän riss nun das Ruder herum und wollte nach der nächsten Welle drehen und zurückfahren. Aber das war gar nicht so einfach. Die See wütete immer mehr. Bei dem Drehversuch kamen die Kotzenden hautnah mit der Ostsee in Berührung, denn das Wasser stand plötzlich Oberkante Holz Reling. Die Kotze wurde davongeschwemmt, aber die anderen kotzten ja auch alle. Also schwamm immer wieder Kotze an mir vorbei. Das löste dann den nächsten Schwaps aus meinem Hals aus. Dann konnte ich mich nicht mehr auf den Beinen halten und kroch auf allen vieren in die Kajüte und legte mich auf eine Bank. Überall lungerten die Kranken herum. Was für eine Scheiße. Niemals wieder Schifffahren. Das braucht kein Mensch. Also seetüchtig war und bin ich wirklich nicht.

 

Ein Bild aus diesem Eckernförde-Besuch werde ich niemals vergessen: Meine Mitschülerin Silvia und ihr Eis. Ich hatte in der Zeit des Eckernförde-Besuches Geburtstag, also musste auch gefeiert werden. Salz-Zeug, Kekse und süße Leckereien sollte es geben. Das musste für 25 Jugendliche erst Mal eingekauft werden. Silvia wollte mir helfen und wir gingen in die Stadt. Wir kauften wie bescheuert, 4 große Tüten voller Chipse, Flipse, Salzstangen und diverse andere Artikel zum Glücklich sein. Wir schleppten die vollen Tüten so vor uns hin und latschten wieder zurück zur Jugendherberge. Unterwegs hielten wir an einer Eisdiele und ich kaufte uns beiden Eis im Hörnchen für unterwegs. Aber Tüten schleppen und Eis lutschen zur gleichen Zeit, waren schon eine Herausforderung. Mal trug man auf der rechten Seite beide Tüten, mal links. Tüten abgestellt und schnell das Eis drumherum gelutscht. Das Eis drohte sich in der prallen Sonne zu verflüssigen. Mitten auf einem Zebrastreifen fegte eine Windböe den Sonnenhut von Silvias Kopf. Sie schrie auf und ich folgte dem nachfolgenden Schauspiel. Silvias Hut hing ihr noch im Nacken, in der linken Hand die Einkaufstaschen und in der rechten Hand das Eis. Es war keine dritte Hand zur Verfügung. Silvia griff nach dem Hut mit dem Eis in der Hand. Das Eis stand Kopf. Die Eiskugel hielt nicht im Hörnchen und es machte platsch, auf die Straße. Das schöne Eis. Silvia nahm ihre Hand wieder nach vorne. Sah auf ihr Hörnchen ohne Eis und mit einer Geste und einer enttäuschten Mine schmiss sie auch noch das leere Eishörnchen über ihr Schulter. Einfach so. Ein Bild für die Götter. Situationskomik pur. Wenn man es nacherzählt, ist es einfach nicht mehr so schön. Eine nächste Böe fegt Silvias Hut über den Zebrastreifen auf die andere Straßenseite. Wir mussten also wieder über den Zebrastreifen zurück. Die ganze Zeit wartete ein Autofahrer vor dem Zebrastreifen auf uns und sah unserem Treiben zu, ohne in seinem Wagen verrückt zu werden, denn er musste ja die ganze Zeit auf uns warten. Und wir latschten hin – dann das Eisdrama – und wieder zurück. Vielleicht hatte er auch seinen Spaß bei dieser Slapstickdarbietung gehabt.

 

1978 kam eine Platte auf den Markt von einer gewissen Amanda Lear. Das Lied hieß QUEEN OF CHINATOWN und hatte es mir sofort angetan. Was für eine Stimme. Ich liebe dunkle Frauenstimmen. Zarah Leander, Lale Andersen, Tanita Tikaram und eben Amanda Lear. In einer Mathestunde sang ich vor Langeweile so vor mich hin das Discolied der Amanda. Der Lehrer wurde aufmerksam und sagte: „Erik, willste raus?“ Er sah Erik ernst an und der schaute ernst erstaunt zurück und beschwerte sich, dass das Gebrumme nicht von ihm stammte. Dem Lehrer war es egal. „Ich habe dich im Auge!“, gab er seine Warnung raus. Ich konnte mir ein Lachen kaum verdrücken. Noch heute können Erik und ich darüber herzhaft lachen.

 

In Geschichte und Politik war ich immer gut. Aber dann geschah es. Meine erste 5 überhaupt handelte ich mir ein. Wir hatten den Warschauer Pakt und die Nato als Thema. Ich erdreistete mich in meiner Abhandlung den Beginn der Pakte nach dem Krieg zu beschreiben. Kurz zuvor hatten wir das Dritte Reich durchgenommen und ich war entsetzt von meinen Vorfahren. Dass sie solche grauenvollen Geschehnisse zugelassen hatten und sogar dabei mitgemacht hatten. Ich konnte es kaum fassen. Ich schrieb vom damaligen Führer und seinen Taten kurz und knapp und legte noch einen drauf: „Wenn wir nicht so ein Schwein wie Hitler in unserer Geschichte gehabt hätten, wäre alles anders verlaufen.“ Ich musste mir Luft machen.

Der Lehrer auch. Wir bekamen unsere Arbeiten zurück und ich staunte nicht schlecht. Eine 5. Zum ersten Mal in meinem Leben schlechter als 4. Das war wirklich neu für mich. Und welche Begründung gab es dafür?

Ich hätte alles am Dritten Reich festgemacht, dass überhaupt ein Warschauer Pakt und die Nato entstanden sind. Ja, klar. Ohne das Dritte Reich gäbe es die nächsten Jahrzehnte so nicht. Ich protestierte und brachte meinen Satz über das Schwein Hitler nochmals vor. „Es war nicht alles schlecht in jener Zeit.“

Das konnte er jetzt nicht gesagt haben. Nicht der Lehrer und schon gar nicht dieser Lehrer, ein ewiger Hippie-Verschnitt mit langen welligen Haaren aus den 1968gern. Das konnte nicht sein. Mir wurde klar: dieser Lehrer war alles andere als Hippie. Der war rechts, sehr weit rechts. Wie konnte man irgendetwas aus dem Dritten Reich gut finden? Und das in seinem Alter. Er war so um die 30 Jahre alt.

Mir war das völlig schleierhaft. Alles war doch auf Lug und Trug im Dritten Reich aufgebaut. Ja, einige der Nazibauten sind genial. Ein Herr Speer durfte dafür sogar weiterleben. Obwohl er alles genauestens wusste. Was wir erst heute nach Öffnung diverser Giftschränke wissen. Er hätte auch an den Galgen kommen müssen.

Na, gut, wenn das Arsch von Lehrer es so will. Meine anderen schriftlichen Arbeiten waren gut und mündlich auch. Dann gab es eben eine 3 auf dem Zeugnis anstatt einer 2.

 

Neu war das Wahlpflichtfach. Zwei gab es zur Auswahl. Man musste eines nehmen. Leider. Nichts als Möglichkeit, wäre schöner gewesen. Im ersten Jahr gab es eine Theater-AG, aber bei dem Herrn Lehrer fühlte ich mich im ersten Halbjahr nicht wohl und wechselte dann zum Tanzen. Erst gab es zwei Jungen, mich und einen Klaus, der aber schon bald die Schnauze voll hatte und lieber zum technischen Werken wechselte als sein Tanzbein zu schwingen. Er hatte wohl keins.

Ich war dann der Hahn im Korb. Allein unter Mädchen, die alle tanzen lernen wollten. Ich konnte schon Disco-Fox und Grundschritte der Standardtänze hatte ich gelernt von meinen zwei älteren Schwestern. Die nahmen mich schon frühzeitig mit in die Discos, weil ihre Stecher nicht gerne tanzten und die Herren dankten es mir, wenn ich meine Schwestern über das Parkett schleuderte. Dann hatten sie Ruhe und meine Schwestern hatten ihren Auslauf.

In der Schule hatte ich so einen Lehrauftrag: Disco-Fox unter die weiblichen Mitschüler zu bringen. In einigen Fällen war das ganz leicht, in anderen gar nicht umzusetzen. Es kommt eben auf das Rhythmusgefühl an und da gab es Mädchen, die einfach keines besaßen.

Nach 2 Jahren Tanzen im Wahlpflichtfach traf sich die Klasse wieder. Wir beschlossen nicht weiter zu tanzen, sondern das Wahlpflichtfach in eine Sport-AG umzuwandeln. Die meisten hatten die Schnauze voll von Tippelschritt und Cha-Cha-Cha. Wir landeten beim Volleyball-Spiel. Das bekamen natürlich die Jungen meiner Klasse mit. Sie wollten nicht tanzen, aber jeden anderen Sport lieber ausüben, als rumzuwerkeln. Also versuchten alle bei uns im Kurs unterzukommen, aber so einfach war die Wechselei nicht. Im laufenden Jahr konnten die Herren nicht und später hörten ihre Schuljahre an unserer Schule auf und sie gingen ab. Ätsch!

Ich war natürlich sehr begehrt bei den Volley-Damen. Wenn Gruppen gebildet wurden, wurde ich immer als Erster in eine Gruppe gewählt und dann wurde gespielt. Auf Biegen und Brechen, auf was-haste-was-kannste und drauf. So ungefähr stemmte ich mich dann beim Volleyballspiel rein. Meine Aufschläge waren berüchtigt. Ich gab dem Ball immer einen gewissen Dreh mit und schon landete er auf dem Boden. 1 Punkt für meine Mannschaft. Und dann passierte es natürlich. Bei einem harten Aufschlag prellte ich mein rechtes Handgelenk. 2 Wochen Gips. Nicht schreiben, kein Sport, kein Schwimmunterricht. Später hatte ich jahrelang eine Sehnenscheidenentzündung und trug einen Leder-Stütz-Riemen um das Handgelenk. Das Gelenk musste geschont werden.

 

Kotzen 3:

Kotzen, nicht weil es mir schlecht war, sondern von einem Vorfall, der eine angemessene Übelkeit wegen Ungerechtigkeiten hervorrief.

Das Ganze spielte sich ab im 10ten Schuljahr. Mein bester Freund war da nicht mehr dabei. Erik hatte seine Lehrstelle schon angetreten. Ich freundete mich mit Heike C. an. Die Ärmste! Ich muss sie schon ziemlich genervt haben. Wäre sie nicht an meiner Seite gewesen, ich weiß nicht ob ich noch überhaupt bereit gewesen wäre etwas zu lernen.

Aber von Anfang an. Mitten im 9ten Schuljahr gab es einen Lehrerwechsel im Fach Englisch. Die gute Englisch-Lehrerin bekam ein Baby und blieb dann zuhause. Eine Frau Schulle übernahm den Unterricht. Das bekam meiner Note überhaupt nicht. Ich schwankte im Englischunterricht immer von Gut bis Befriedigend, also irgendwas zwischen 2 und 3. Ich sprach gerne englisch. Aber dann kam Frau Schulle. Nach meiner ersten Frage: „Ich verstehe das nicht. Könnten Sie bitte nochmals...“, wurde ich prompt unterbrochen. „We talking english, please!!, antwortete Frau Schulle. Ich wieder: „Ich möchte nur wissen...“ Wieder unterbrach mich diese Frau Schulle. „We talking english, please.“ Wollte sie nicht oder hatte sie mich auch beim zweiten Mal nicht verstanden? Ich wollte doch nur… Sie blieb dabei. Ich sollte versuchen alles in English wiederzugeben. Ich versuchte ein drittes Mal sie zu einer deutschen Antwort zu überreden. Aber es kam immer nur der gleiche Satz. Wenn ich so in die Ecke gedrängt werde, mache ich dicht. Alles klar, dicke Frau Schulle, red du nur englisch, wenn Du magst und machte völlig zu. Den Unterricht bekam ich nur noch am Rande mit und ich wollte auch nicht mehr dieser Dicken etwas beweisen. Dann eben nicht, du alte Kröte.

Ich hatte meine gute Freundin Heike. Sie war es, die mir in Englisch Nachhilfe gab. Sie ließ mich bei Klassenarbeiten abschreiben, so dass ich wenigstens einigermaßen mitkam. Im ersten Halbjahreszeugnis dann der Schock: ein Zensurensprung. Ich war außer mir. Das durfte es so doch gar nicht geben. Ich latschte zu der Dicken und versuchte ein Gespräch. „Du musst dich mehr beteiligen am Unterricht. Du musst dich schon anstrengen.“

Was wollte die Olle? Wenn Frau Schulle mich im Unterricht auf Englisch was fragte, antwortete ich in Deutsch. Ich dachte, sie kapiert irgendwann, dass ich eine Erklärung auf Deutsch verlangte. Aber sie blieb beim Englischen und ich beim Deutschen.

Es kam der Tag der Abrechnung, der Elternsprechtag. Ich wollte vor meinen Eltern diese Lehrerin zu dem Zensurensprung zur Rede stellen. Aber was machte die alte Schachtel?

„Ihr Sohn ist immer so abgelenkt im Unterricht, seit er neben der Heike sitzt. Ich glaube, da ist mehr im Spiel, als wir ahnen.“

Was sollte das denn, du blöde Kuh? Klar, war da mehr. Ohne Heike hätte ich überhaupt nix mehr in Englisch mitgekriegt. Sie half, wo sie nur konnte. Kleine Spickzettel für Dietmar rübergeschoben und die nächste 4 konnte ich einheimsen. Sonst wäre das noch übler ausgegangen. Ich danke noch heute, für die Hilfe Heike C.!

Meine Eltern waren sprachlos und wollten mit mir am Abend reden. So verließen wir den Elternsprechtag. Meine Eltern waren völlig überrascht, wie auch ich, von den Ausführungen der Dicken.

„Wäre es besser euch auseinanderzusetzen?“, fragte tatsächlich meine Mutter. Nein, das war es nicht, wie ich lautstark entgegnete und erzählte, dass mir die Heike sehr hilft. Mit dieser Erklärung ließen sie ab von mir. Und jetzt? Was ist mit dem Zensurensprung? Ich überredete meine Eltern zu einem Termin beim Direktor. Sie willigten ein, der Termin stand an und wir saßen alle bei Direktor Baumann. Ein alter Haudegen der ganz alten Schule. Er ließ sich auf nichts ein. Seine Lehrkräfte hätten sein vollstes Vertrauen und insbesondere Frau Schulle, die so einiges über mich und meine Person erzählt hätte. Er würde nicht in die Zensurengebung eingreifen. Das hatte alles seinen Sinn und bleibt so. Basta! Wenn wir wollten, könnte wir ja noch die Schulaufsichtsbehörde einschalten.

So ein Dreckschwein. Meine Eltern waren eingeschüchtert. Sie waren auch noch alte Schule gewohnt und Lehrer waren immer ernst zu nehmen und konnten sich nicht täuschen und Direktoren schon gar nicht.

Zuhause sprach ich nochmals mit meinen Eltern, aber mein Vater hatte die Schnauze voll von Aufregung, Einspruch sagen und weiteren Behördengängen und Erklärungen und und und... Ich sollte bessere Noten schreiben, dann kann die Lehrerin mir auch nichts. Jetzt stand ich alleine da.

Zu der Frau Schulle hatte ich dann nur noch ein distanziertes Verhältnis. Ich mit ihr, wohlgemerkt. Komischerweise nutzte sie jede Gelegenheit, um mich auf die Palme zu bringen. Sie sollte mich in Ruhe lassen, aber sie kam ständig zu mir und wollte mit mir quatschen. Nach jeder Klassenarbeit bekam keiner Besuch von Frau Schulle, aber ich konnte Wetten darauf abschließen, dass diese Frau Schulle zu mir kam. „Oh, Dietmar, schon wieder nur eine schwache 4.“ Ich hätte ihr in die Fresse schlagen wollen und durfte es nicht. Da wurde mir dann immer wirklich schlecht. Ich hätte kotzen können.

 

Kotzen 4:

Wir bekamen einen neuen Mathe-Lehrer, Herrn Klosse. Er war so in den 30igern, hatte einen schwarzen Vollbart und man musste es ihm lassen, er sah wirklich gut aus. Er war ständig misslaunig und unberechenbar. Er kam an einem schönen Morgen ins Klassenzimmer, sagte nichts, ging gleich an die Tafel und schrieb eine Aufgabe mit Kreide darauf. „So, rechnet jetzt.“ Danach setzte er sich an sein Lehrerpult und las Zeitung.

Wir hatten ein Mathematikgenie in der Klasse, der Jens. Der sah die Aufgabe und sagte laut: „Das kann so nicht aufgehen.“ Wir sahen alle zu Jens, auch Herr Klosse. Für mich war das unfassbar. Jens hatte noch nichts aufgeschrieben und schon hatte er die Lösung im Kopf? Genial, wie gesagt.

Herr Klosse meinte Jens sollte erst Mal rechen und dann würden wir weitersehen. Wieder setzte unser Jens an: „Das kann man so nicht rechnen.“

„Ruhe jetzt und rechnet“, brüllte Herr Klosse völlig genervt und alle Schüler schrieben und rechneten und schrieben und grübelten. Irgendwann reichte es Herrn Klosse und meinte, wir müssten doch alle schon die Lösung haben. Hatten wir aber nicht. Wir rechneten ja noch.

Jens verdrehte die Augen und zuckte nur mit den Schultern. Herr Klosse stand auf und löste die Aufgabe, übrigens aus dem Bereich der höheren Mathematik, der Algebra, mit allen Zwischenschritten an der Tafel. Er versuchte es zumindest.

Herr Klosse schrieb und schrieb und wischte schon eine Tafel aus und schrieb gleich darauf weiter und weiter. Selbst bei der dritten ausgewischten Tafel schrieb er und schrieb... Irgendjemand meiner Mitschüler fragte, ob wir das mitschreiben sollten. „Passt auf und lernt“, motzte Herr Klosse nur und schrieb weiter und weiter und hätte Jens nicht irgendwann mal wieder etwas gesagt, würde der arme Herr Klosse heute noch an der Tafel stehen und schreiben und schreiben. 2 Kreidestifte gingen bei der Schreiberei drauf.

Jens erklärte: „Sie haben innerhalb der Aufgabe in der ersten Zeile einen Dreher.“

„Das kann ja gar nicht sein. Besserwisser“, schrie Herr Klosse und wollte weiterrechnen.

„Doch“, meinte Jens. Wir Schüler fanden diese Situation höchst amüsant. Irgendwann kam dann auch mal unser oberschlauer Lehrer darauf die Aufgabenstellung zu überprüfen und siehe da, Jens hatte recht. Wie schon sehr oft. Wir merkten, es brauchte nicht viel, dann würde der arme Herr Klosse vor Wut über sich selbst platzen. Die Schulstunde war noch nicht ganz um und wir hatten gelernt, dass wir immer auf unseren Jens hören sollten, dann hätten wir nicht die schönen freien Seiten in unseren Matheheften mit sinnlosen Aufgaben bekritzelt.