Lebenssplitter - Dietmar Wolfgang Pritzlaff - E-Book

Lebenssplitter E-Book

Dietmar Wolfgang Pritzlaff

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Beschreibung

Prall aus dem Leben: 34 Kurzgeschichten von Dietmar Wolfgang Pritzlaff. Analytische, dramatische, erotische, gruselige, kriminelle, märchenhafte, satirische Texte, bis hin zu Science fiction-Kurzgeschichten umfasst dieses Buch. Zum Nachdenken, fühlen und träumen. Schockierend, tief traurig, lustig. Zum Belustigen und Gruseln. Lustvoll und nachthaltig. Viele ungewöhnliche Reisen in tiefe Regionen des menschlichen Daseins.

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Seitenzahl: 274

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Impressum

ISNB:

978-3-9611-2475-6

Auflage 1 / v2 / Januar 2017

© Foto: Charly, Köln

Autor:

Dietmar Wolfgang Pritzlaff (Alle Rechte dem Autor vorbehalten.)

geb. in Altena/Westf., schreibt Romane, Kurzgeschichten,

Lyrik, Haiku, Songtexte, Theaterstücke, Hörspiele, Essays und Drehbücher,

journalistische Texte

www.diwop.de

www.liesmichnet.de

Verlag:

© 2017 • dwp –Day Walker Productions

veröffentlicht von: feiyr.com

dwp-feiyr-com-Veröffentlichungen

© Coverbild: „Linsenleben“, Zeichnung von Dietmar Wolfgang Pritzlaff, Köln

© Text und Satz: Dietmar Wolfgang Pritzlaff, Köln

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Analyse

Wer stirbt schon tausend Tode?

Kapitel 2: Dramen und andere Kleinigkeiten

Der Feigling

Für einen Augenblick Ruhe

Der Stich

Die ewig Reisende

Die letzte Umarmung

ER sucht SIE

Gossenkinder

Geliebte Lina

Kein Ausweg aus dem Meer-Prinzip ? oder die Macht der Gewohnheit

Mutters Liebling

Nett-Chat?

Sonntagmorgen

Warme Brüder 1 – Zwillinge

Warme Brüder 2 – Persische Nächte

Kapital 3: Erotische Fantasie

Rheingold

Kapital 4: Gruselgeschichten

Der weiße Alptraum

Kein Platz für Kannibalen

Vergiss mein nicht

Kapitel 5: Kriminelle Geschichten

Der Fotomörder

Eva Flock: Mordgedanken

Silvia springt

Kapitel 6: Märchen für die „lieben Kleinen“

Das Cranxer Fest

Kapitel 7: Satirische Geschichten

Der Sauhund

Die Hektik der Erotik

Golf-Platz-Reigen 1: Der große Schlag

Golf-Platz-Reigen 2: Ein mörderisches Spiel

Golf-Platz-Reigen 3: Der Lustsklave vom Golfplatz

Gruppendynamik

Im Bann der Viagra

Let‘s fetz...

Kapital 8: Science Fiction

Daniel

Der Krieg der Kinder

Laserherz

Kapitel 1: Analyse

Wer stirbt schon tausend Tode?

Fuß tritt Gas.Gas gibt Schwung.Beschwingtes Hirn schwingt mit und - MATSCH.

Das Weiß des Hirns - nicht mehr erkennbar.

Zu viel Rot. Tiefes Rot des Blutes,

dass in Strömen aus dem Körper gepumpt wird,

der auf rauem, kaltem Asphalt,

gekrümmt, zerstückelt und unbeweglich liegt.

Hand am Steuerrad.Steuerrad will lenken.Gelenke aber zu langsam und - MATSCH.Die Hand nicht mehr am Steuer.

Zerschunden, aufgeschürft, zerquetscht und gebrochen

durch den harten Aufprall.

Kann nicht mehr greifen, nicht mehr steuern,

nicht mehr streicheln.

Unbeweglich liegt sie da,

zwischen platt geschlagenen Grashalmen

und scharfkantigen Glassplittern.

Getrennt vom Leben,

abgetrennt von dem gerade noch Lebenden.

Auge sieht Kurve.Kurve zu scharf.Scharfes Auge fliegt und - MATSCH.Auge fliegt und fliegt und flöge immer noch,

wenn nicht ein Baum Einhalt geboten hätte.

Nun hängt Auge an Baumrinde.

Sieht aus, als ob der Baum ein Auge bekommen hätte.

Er schaut ganz traurig drein.

Schon verblasst der Glanz des strahlenden Auges.

Der Baum schüttelt nur ungläubig sein Geäst.

Wut hat er auch im hölzernen Bauch.

Ist ihm doch ein stählerner Keil in seinen Holzleib gefahren.

Aber er hielt dem Blechungetüm stand.

Der Baum zählt mindestens dreihundert Jahre,

da hat er solches schon oft miterlebt.

Und jedes Jahr kommen weitere Keile und Schrammen

an seinen Stamm dazu.Behutsam, ganz sachte, ganz sanft,

wird das Auge genommen,

dem Besitzer zurückgebracht.

In einer Plastiktüte trägt es ein Sanitäter davon.

Unbeweglich liegt das Auge nun

auf dem Grund der künstlichen Behausung.

Bauch krampft sich zusammen,vor dem Schleudern.Bauch schleudert mit und - MATSCH.Bauch kaputt.

Aufgerissen.

Metall bohrt sich in offene Wunden.

Herausgerissen, die vielen Meter

der Ver- und Entsorgungsleitung des Menschen.

Können nicht mehr mit was versorgen.

Können nichts mehr entsorgen.

Liegen nur in großen Schlaufen

auf schwarzem Teer,

tausend sich schlängelnder Nattern gleich.

Aber kaum so lebendig.Ruhig, ganz ruhig,

senkt sich die Abendkühle

auf die Menschenfetzen.

Blech wird zerdrückt.Rücken gekrümmt.Krümmt und krümmt sich und - KNACK.Zuviel gekrümmt.

Die Krümmung geht niemals wieder heraus.

Armer Rücken, muss sich nur noch krümmen.

Nie mehr aufrecht gehen.

Rücken ist gespickt,

aber nicht mit duftenden Kräutern,

Gewürzen und Speckstreifen,

nein, er ist gespickt mit spitzen,

zerborstenen Glasstücken und scharfen Metallteilen.

Dann aufgeschlagen auf Steine,

die sich auch noch in den Rücken drücken.

Und jetzt liegt er da, der Rücken,

völlig zerschunden und für immer gekrümmt.

Vorzerkleinert für die Würmer.

Nerven bis zum Reißen gespannt.Sie werden reißen, irgendwann.Oder durchdrehen.Oder beides gleichzeitig.

Lungen, mal mit, mal ohne Luft,saugen nur Rauch in sich hinein.Bronchien gereizt, husten im Todeskampf.

Beine lässig oder verkrampft,dünn oder dick,werden tausendfach gebrochen,um geschient, genagelt und gegipst zu werden.

Finger werden abgenommen.Innereien zerquetscht

und dann erneuert, ersetzt.

Herz aus Plastik.Niere aus Kunststoff.Gelenke aus Metall.Und die vielen, vielen hübschen Prothesen, die es gibt.Nur Mut!

Das Experimentierfeld ist groß

und Ärzte wollen ja schließlich auch leben.

Und wenn gar nichts mehr geht,

übernimmt eine Maschine sogar unser Denken.

Und wir liegen dann ganz unbeweglich,

ganz ruhig,

die nächsten Wochen,

die nächsten Monate

oder Jahre - im KOMA.

Aber noch ist es ja nicht so weit.Auf geht’s und gute Fahrt.

Denn wer stirbt schon tausend Tode?

Kapitel 2: Dramen und andere Kleinigkeiten

Der Feigling

Wie beschreibt man einen Feigling? Oder, was ist ein Feigling? Was bedeutet es "feige" zu sein?

Fragen über Fragen und keine Antwort. Oder doch? Vielleicht gibt diese Geschichte Antwort. Vielleicht kann diese helfen, Antworten zu finden. Warst Du schon einmal so richtig feige? Kennst Du das Gefühl der Feigheit? War es mehr Angst oder Unmut? War es mehr eine Charakterschwäche, vielleicht resultierend aus Deiner Kindheit, sozusagen ein psychologisches Erziehungsproblem, das Deine Moralvorstellung geprägt hat, oder war es ein beklemmendes Angstgefühl, ganz tief drinnen, dass keine intimen Gespräche darüber zulässt und sich einschließt, sich ummauert und verschanzt, wenn es berührt wird? Eventuell liegt es ja an Deiner Sensibilität. Sozusagen ein Feingefühl, welches nicht angekratzt werden darf.

Angst vor Schmerzen? Eigenen Schmerzen in Situationen der Wahrheitsbeichte oder Mutunterdrückung bei richtigen hautnahen Prügeleien. Angst vor Schmerzen und Angst davor, Tränen des Schmerzes danach zeigen zu müssen. Angst vor der Verspottung dieser Tränen. Angst vor der Lächerlichkeit die in der Verspottung liegt. Angst davor, in der Lächerlichkeit als Hampelmann vor anderen Leuten zu stehen. Wer sind diese anderen Leute, die Dir sagen, dass Du immer mutig, immer stark, immer kraftvoll sein musst? Wer sind die Leute die Dir sagen, dass Du keine Gefühlsregungen offen zeigen darfst, die Dich wegen Deiner Gefühle auslachen dürfen? Wer?

Es ist Frau Saubermann vom dritten Stock, die etwas über Deine Familienverhältnisse weiß und wenn die Quatschtante so richtig bei den Nachbarn auf den Putz haut, bist Du gesellschaftlich unten durch.

Es ist auch der stramme Max aus dem Fitness-Studio, der mit seinen Muskelpaketen prahlt und auf mindestens tausend und eine Beischlafnacht zurückblicken kann und das obwohl er erst zwanzig Jahre alt oder vielmehr jung ist.

Und Du stehst neben ihm und hast erst eine Freundin gehabt und diese noch nicht einmal aufs Kreuz legen können. Und die "dumme" Pute hat diese Geschichte auch noch rumerzählt und auch der stramme Max weiß inzwischen, wie es um Dich steht und der lacht nur über Dich.

Dann könnte es natürlich auch noch Freddy sein. Freddy hat schon immer ein großes Maul gehabt, und Dir schon oft eins übergebraten. Er ist der Schläger der Schule gewesen und alle Mädchen waren hinter ihm her. Und Du trautest Dich so gar nicht mehr aus Dir heraus. Warst lieber ganz ruhig und still. Bloß nicht auffallen. Hast Dich ganz klein gemacht und Dich dann verkrochen oder warst Du Freddy sogar dienlich, nur damit er Dich in Ruhe lässt?

Es sind meist diese verdammten Urängste der Feiglinge, die oft auf zu viel Gefühlsleben aufbauen und das Gefühl der Feigheit keimen lassen.

Die Feiglinge schlagen sich nicht. Können die gar nicht. Es steckt einfach nicht in ihnen drin. Die können die Arme nicht erheben, höchstens zum Schutz, aber zuschlagen – nie. Sie greifen nicht ein. Nicht körperlich. Sie können nur verbal zurückschlagen.

Es gibt tausend Arten feige zu sein. Und in der nachfolgenden Geschichte wirst Du einem Feigling begegnen der einige Arten der Feigheit erlebt hat.

Eine wirklich jammervolle, mitleiderregende und zu tränenrührende Geschichte. Die Geschichte von einem Ober-ober-ober-Feigling. Einem einfachen und richtig netten Menschen, aber eben feige.

Sein Name war Dieter. (Das sagt doch wohl alles!) Er konnte nicht schlicht und einfach, kurz und knapp nur Klaus heißen. Nein Dieter war sein Name und dieser verwandelt sich leicht in den Kosenamen Didi. Bei Namen wie Michael oder Ullrich ist die Verniedlichung ja fast schon vorprogrammiert. Aus Michael wird Michi und aus Ulrich wird Ulli. Genauso formen sich aus Elisabeth leicht die klangvollen Kosungen wie Ellie, Lissi oder Betti und aus Dieter wird eben Didi. Ganz klar. Aber es gibt noch etwas, das auf den D-Namen lastet, und zwar der Anfangsbuchstabe, das große D. Allen D-Namen voran steht Detlef an erster Stelle der Namen, die sofort in eine Richtung der Sexualpraktiken eingestuft werden. Detlef wird nicht nur in die Kosung Dete verwandelt, sondern erhält die besondere Note in der weichen, gekünstelten und gezogenen Sprechweise. So wird schnell ein langes Deeeetleeeef aus Detlef. Die vielen Sprüchlein einer ganzen Generation in den siebziger Jahren mussten sich die Deeeetleeeefs gefallen lassen. So zum Beispiel: "Mein Name ist Deeeetleeef und wie geht deine Hose auf?", oder: "Mein Name ist Deeeetleeeef, mit weichem D wie Damentoilette". Diesen Damentoilettentouch bekamen nicht nur die Detlefs zu spüren, sondern auch die Dieters. So auch unser Dieter.

Dieter hätte aber auch Egon oder Emil heißen können, das spielte schon gar keine Rolle mehr, denn es war die Art wie er aufwuchs, mit wem er sich abgab, zu wem er sich hingezogen fühlte, die ihm schon früh die Spitznamen Muttersöhnchen und Weiberheld (= abfällige Betitulierung von Jungen über Jungen die mit Mädchen spielen, obwohl jeder weiß, dass Jungen normalerweise nur mit Jungen zu spielen haben), einbrachten.

Man hatte ihm sogar schon einige Male gesagt, dass er zu schön sei. Zu schön im Gesicht. Zu schön für einen Jungen, einen Mann oder Kerl. Bekannte sagten sogar direkt, dass so was Hübsches bestimmt ein Mädchen sei. So bekam er also auch desöfteren das "Mädchen" um die Ohren gehauen. Als Schimpfwort sozusagen. Irgendwie war Dieter ja stolz darauf als "schön" zu gelten und es auch zu sein. Aber in der nächsten Minute schämte er sich gleich wieder dafür.

Betrachten wir uns jetzt Dieters Werdegang einmal von Anfang an. Der kleine Dieter, zwischen dem dritten und dem fünften Lebensjahr, war jähzornig und schrie oftmals am Tag wie am Spieß durch die kleine Wohnung nach seiner Mama, um sich, besonders auch bei seinen zwei älteren Schwestern, durchzusetzen.

In den Kindergarten wollte er nicht. Seine Mutter schliff ihn hinter sich her. Jeden Morgen das gleiche Theater. Er wollte nicht und sollte doch. Auf dem ganzen Weg in den Kindergarten weinte, brüllte und jammerte er und bettelte um Gnade. Seine Mutter fand aber Kindergärten damals noch sehr nützlich, für das Leben schulend und gewinnbringend für das Kind, so dass sie mehrere Wochen diese Mühen auf sich nahm und das wimmernde Kind in den Kindergarten schleppte.

War Dieter erst einmal im Kindergarten mit den anderen Kindern zusammen, beruhigte er sich einigermaßen schnell und spielte dann meist in einer sogenannten Puppenecke.

Natürlich gab es da Puppen und Puppenhäuschen, Puppengeschirr und Puppenkleidchen, Puppenmöbel, Puppenkämme und Puppenbesteck, und selbstverständlich spielten nur kleine Mädchen in der Puppenecke. Die Jungen spielten mit Autos oder Bauklötzen. Ganz so wie es "normalerweise" sein muss. (Muss?)

Die Mädchen freuten sich immer auf Dieter, da konnten sie endlich Vater-Mutter-Kind spielen. Dieter jedenfalls spielte wie zuhause mit seinen Schwestern das Spiel in der Puppenecke mit. Stundenlang, ganz lieb und zurückgezogen, mit den Puppen und mit den (anderen) Mädchen. Die Kindergärtnerin wunderte sich zwar darüber, ließ es aber zu.

Dieter liebte die Freiheit und spielte am allerliebsten mit den Mädchen auf der Straße oder in nahegelegenen Wäldern. Häuser standen damals nur wenige links und rechts der Straße. Was heißt Straße, eigentlich war es mehr ein Feldweg, holprig und übersät mit Schlaglöchern. Bürgersteige gab es anfangs noch nicht. Wozu auch? Höchstens ein, zwei Autos am Tag befuhren den Weg. Nicht jeder konnte sich damals in den sechziger Jahren ein Auto leisten.

Es gab Schrebergärten die (wie sollte es anders sein) natürlich mit Zäunen abgesperrt waren, die die Kinder aber immer zu überklettern oder zu durchbrechen wussten. Eine Wiese, die Schäfchenwiese, sogenannt, weil auf ihr im Sommer immer Schafe angepflockt weideten und wie gesagt, die frischen Wälder ringsumher luden zum Spielen und Verweilen ein.

Die Kiefer-, Buchen-, Tannen- und Fichtenwälder waren nahe und ließen sich auf abenteuerliche Weise durchstreifen und erforschen.

Heute sieht dort alles ganz anders aus. Es gibt keine Schäfchenwiese und auch keine Schrebergärten mehr. Dafür aber Bürgersteige und eine echte Straße mit Asphalt gedeckt. Parkplätze, Einstellplätze und hohe Zäune um die kleinen Vorgärten der erbauten Häuser. Dafür musste der Wald weichen und weicht Jahr für Jahr noch immer weiteren Hausbauten.

Zurück zu Dieter. Dieter hatte mit seinem Geschrei und Geplärr seine Mutter davon überzeugt, dass das Gefängnis des Kindergartens wirklich nicht der richtige Ort zum Spielen war und so nahm sie den armen Kleinen wieder aus dem Kindergartendasein heraus und gab ihn der freien Welt zurück.

Nach dieser abscheulichen Kindergartenzeit spielte also Dieter wieder in freier Wildbahn und wieder mit - Mädchen. Das kam daher, dass es fast nur Mädchen in dieser Straße gab. Seine allerliebste Sandkastenfreundin war Claudia. Sie brauchte nicht in irgendeinen Kindergarten, sei er katholischer oder evangelischer Art. Claudias Eltern waren neuapostolisch und für neuapostolische Kinder gab es keine neuapostolischen Kindergärten. Sie spielte in ihrem eigenen Garten hinter dem Haus.

Dieters Eltern wohnten (und wohnen noch heute) in einem Mietshaus. Claudias Eltern hingegen besaßen ihr eigenes Haus, direkt gegenüber Dieters Kinderstube, mit zwei Einliegerwohnungen, die sie vermieteten. Zu dem Haus gehörte noch ein Garten mit Rosenbeet, Wiese und Terrasse. Obstbäume, Johannisbeer- und Stachelbeersträucher rundeten das Bild des kleinen aber feinen Paradieses ab, in dem Claudia und Dieter spielten. Natürlich durfte Dieter nur ins Paradies kommen, wenn er auch ganz lieb zu Claudia war und keinen Streit vom Zaun brach. Denn manchmal ging es mit Dieter durch und dann kehrte er plötzlich die winzig kleine Männlichkeit, die auch irgendwo in ihm steckte, heraus. Aber nur vor Mädchen. Wenn Dieter aber ganz brav, lieb und nett war, gab es hin und wieder sogar selbstgemachten Johannisbeersaft von Claudias Mutter zu trinken. Das waren für Dieter die schönsten Augenblicke in seinem noch so jungen Leben. Es war ihm fast wie Weihnachten und Ostern an einem Tag, weil es diesen besonderen, köstlichen Fruchtsaft nicht alle Tage gab. Und Dieters Eltern mussten ja auch mangels Geldmasse an vielem sparen und hatten gar nicht die Möglichkeiten den kleinen Dieter mit solchen Köstlichkeiten zu verwöhnen.

Claudia hatte einen Bruder der, zwar nur zwei Jahre älter als Claudia und Dieter, sich aber meist zu älteren Jungen auf anderen Straßen hingezogen fühlte und nur selten die Spiele der "Kleinen" mit seiner Anwesenheit bereicherte. Noch dazu war er sehr sportlich und in einem Schwimmverein begeistertes Mitglied. Heute ist er Trainer dieses Vereins.

Nach und nach zogen weitere Familien in die Häuser auf unserer Straße und bereicherten, aber störten auch die kleine Spielgruppe von Claudia und Dieter. Da waren noch Regina und deren Schwester Kerstin. Beate, Reginas Cousine, ihre Schwester Sabine und ihr kleiner Bruder Martin, mit dem man noch so gar nichts anfangen konnte. Später gesellten sich noch eine Annette und eine Sandra dazu.

Du siehst also, Dieter blieb gar nichts anderes übrig als sich mit den Mädchen gut zu stehen. Sie waren immerhin in der Überzahl.

Wann begann Dieters Feigheit? War er schon immer feige?

Aus der Vorschulzeit ist eine Begebenheit zu berichten, die Dieter als erstes großes Feigheits-Ereignis in sein Feigheitsregister, aufgenommen hat. Die Geschichte spielte sich in einem kalten Winter ab. Die Schäfchenwiese lag unter einer dicken Schneedecke begraben. Claudia und Dieter hatten sich eines schönen Morgens, gleich nach dem Frühstück zusammengefunden, um gemeinsam Schneemänner und Schneehäuser zu bauen. Der Schnee nicht zu feucht, nicht zu pulvrig, schrie geradezu nach der Verbauung, und schon standen die beiden Kinder mitten in den Schneemassen und rollten kleine Schneebälle zu riesigen Schneekugeln, um diese aufeinanderzutürmen und schneemenschlich zu verzieren. Dann kam eine neue Idee ins Spiel und es wurden noch mehr Kugeln gerollt, zu einem großen Kreis angeordnet und die Kugelschichten nacheinander aufeinander gebaut, sollten mal ein Haus, eine Art Iglu werden. Aber kurz vor der Vollendung sahen die beiden Kinder plötzlich zwei viel ältere Jungen über die Wiese auf sich zukommen. Schon von Weitem verhöhnten die großen Jungen die Bauwerke der Kleinen mit sichtlichem Vergnügen. In Dieter stieg eine innere Unruhe auf. Wo waren seine Eltern die sich jetzt schützend vor ihn stellen konnten? Wo waren seine älteren Schwestern die helfen konnten?

Hier war nur Claudia, und die war genauso klein wie Dieter. Aber sie bewies Mut. Sie ging in Abwehrstellung, Dieter wollte es ihr gleichtun, jedoch: Es ging einfach nicht. Er konnte nicht aus sich heraus, konnte nicht über seinen eigenen Schatten springen, hatte keinen Mut. Dachte auch, einem Mädchen werden die Lümmels schon nichts tun. Sie taten dem Mädchen auch nichts, nichts Körperliches. Die beiden Bösewichte zerstörten die großen Schneekugeln, hauten dem Schneemann eins auf die Nase, stürzten ihn unter lautem Gejohle um und zertrampelten ihn anschließend mit Genuss. Claudia versuchte die großen Jungen wegzudrängen. Sie versuchte es jedenfalls, wurde aber immer ärgerlicher, zorniger, wütender und hatte alsbald schon Tränen im Gesicht. Dieter stand nur da und sah verängstigt zu wie die ganze Kinderarbeit zunichte gemacht wurde. Er starrte wie angewurzelt, mit großen Augen in die weißen Massen, und dachte nur daran, dass ihm nichts geschehen möge. Als Claudia merkte, dass sie nichts gegen die Zerstörungswut der beiden Großen tun konnte, kullerten unaufhörlich die Tränen an ihren, trotz der Eiseskälte, glühenden Wangen herunter und tropften in den Schnee. Claudia weinte und weinte, dann lief sie von der Wiese. Dieter neben ihr her, nicht imstande ein Wort herauszubringen. Claudia sagte auch nichts als Dieter ihr den Weg zu dem elterlichen Haus folgte. Sie schellte, ihre Mutter machte die Tür auf und Claudia stürmte ins Haus. Dieter traute sich nicht ihr zu folgen und blieb stehen. Die Mutter fragte ihn, was denn geschehen sei, aber er bekam den Kloß aus dem Hals einfach nicht heraus und blieb stumm. Claudias Mutter bestimmte hierauf ein Warten vor der Tür für ihn. Dieter stand in der Kälte und schlich lautlos durch den Garten. Dieter ahnte schon die kommende, fürchterliche Blamage und spürte wie der Kloß in seinem Hals noch weiter anschwoll. Dieter verstand die Welt nicht mehr. Konnten denn zwei ältere, stärkere und größere Jungen einfach so, nur so aus Spaß, alles kaputt machen? Und wie hätte denn Dieter auch helfen können, der arme kleine Wurm? Nur weil er ein Junge war musste er mutig sein?

Claudias Mutter öffnete irgendwann später die Eingangstür und rief Dieter zu sich. Nervös und Fingernägel kauend stand er vor ihr und sie fragte warum er Claudia nicht geholfen habe. Das musste ja kommen. Genau die richtige Frage, dachte Dieter. Dieter konnte jedoch nicht antworten, nichts erwidern, starrte nur vor sich auf den Boden und da stiegen auch ihm die Tränen in die Augen. Claudias Mutter blieb hart und stellte fest, dass Dieter doch ein Junge sei. Was auch immer das bedeuten sollte, in dieser Situation. Erhobenen Hauptes offenbarte sie Dieters Strafe: Er sollte nach Hause gehen, Claudia würde jetzt nicht mehr mit ihm spielen und über das "warum" sollte er mal tüchtig nachdenken.

Das also war die Strafe für einen Feigling. Schluchzend schlich Dieter nach Hause und vergrub sich in sein Zimmer. Dieter hat bis heute niemandem davon erzählt. Weitere Peinlichkeiten konnte und wollte er nicht ertragen.

Kurze Zeit später hatte die "Neue" in unserer Straße, namens Annette, Dieters Stellung bei Claudia erobert und wurde nach und nach Claudias beste Freundin. Dieter durfte nur noch manchmal im Paradiesgarten mitspielen und fühlte sich dann dort auch nur geduldet.

Glücklicherweise gab es, wie schon erwähnt, noch andere Mädchen mit denen Dieter spielen konnte. Der Spielort wurde aus dieser Not heraus vom Paradiesgarten einfach auf die Straße verlegt. Die gemeinschaftlichen Spiele wurden meistens von sechs Mädchen und einem Jungen, unserem Dieter, gestaltet. Spiele wie "Halli-Hallo" - (Ich hoffe Du kennst dieses nette Spiel. Ein Spiel bei dem ein Spieler sich ein Wort ausdenkt, zum Beispiel einen Vornamen mit D. In jeder weiteren Runde kommen die nachfolgenden Buchstaben des Wortes dazu, solange bis das Wort gefunden wird. Sobald ein Mitspieler das Wort errät, schreit der Wort-Ausdenker "Halli-Hallo" tupft den Ball, so fest wie nur möglich auf den Boden auf, auf das er weit in die Luft zurückspringt. Je höher desto besser. Der Wort-Erräter muss nun aus seiner irgendwo kauernden Lage heraus den Ball zu fangen versuchen und wenn er ihn gefangen hat, musst er laut "STOP" rufen. Der inzwischen hoffentlich weit weggelaufene Wort-Ausdenker bleibt stehen und bildet mit seinen Armen vor seinem Körper einen Kreis. Der Wort-Erräter, der genau da stehenbleiben musst, wo er den Ball gefangen hat, musst nun versuchen den Ball in den Armen-Kreis des Wort-Ausdenkers zu werfen. Schafft er es, so darf der Wort-Erräter nun seinerseits ein Wort ausdenken, welches geraten werden musst. Schafft er es nicht, so darf der erste Wort-Ausdenker weiter ausdenken.) - oder "Dreh dich nicht um, der Plumpsack geht um", "Völkerball", "Grüne Gasse", Federball, Seilspringen oder "Gummi-Twist, machten den Kindern immer ganz besonders große Freude.

Aber zurück zu einer weiteren Geschichte von Claudia und unserem noch immer feigen Dieter. Ja ihr habt richtig gelesen - Claudia. Sie hatte wohl an jenem Tag kein anderes Kind zum Spielen gefunden und gab sich an solchen Tagen auch mal wieder mit Dieter zufrieden. Diese Geschichte begab sich beim Vögel füttern. Es geschah ein Jahr später zur gleichen Zeit. Es war wieder Winter und Claudia und Dieter zogen am späten Nachmittag aus, um die restliche Zeit des Tages irgendwie herumzukriegen. Sie entdeckten dabei ein Vogelhäuschen, welches auf einem Pflock angebracht war, in einem benachbarten Garten. Und siehe da, die Vögel flogen nicht einmal weg. Waren sie so zahm oder nur so hungrig? Egal, jedenfalls liefen Claudia und Dieter schnell nach Hause, um sich aus dem elterlichen Vogelfuttervorrat eine Handvoll zu holen. Wieder am Vogelhäuschen angekommen, standen sie mit ausgestreckten, bekörnten, offenen Händchen am Jägerzaun des Gartens und versuchten die kleinen Piep-Mätze anzulocken. Mit "Piep-piep, piep-piep" und "Zirp-ti-zirp" und allen möglichen Pfiffen und Gebärden standen sie am Zaun, aber kein Vöglein wollte auch nur in die Nähe der Beiden kommen. Den größten Erfolg der Beiden, beschied ihnen die Unbekümmertheit einer hungrigen Drossel, die bis auf zwei Meter an den Zaun herankam und zugeworfene Körner aus dem Schnee fraß. Claudia und Dieter vergaßen bei soviel Tierliebe die Zeit. Es wurde schon langsam dunkel und die Füße froren in den Stiefeln, aber keiner von ihnen wollte die Fütterung der "Raubtiere" aufgeben. Plötzlich kamen zwei ältere Jungen auf die Beiden zu. (Schon wieder mal, ja, aber es waren nicht dieselben aus unserer ersten Geschichte.) Die Jungen gibbelten, rempelten sich gegenseitig an und beschimpften sich daraufhin lauthals. Bei diesem Lärm war es kein Wunder, dass die Vögel aufstieben und mit krächzendem Geschrei gen Himmel fuhren. Die zwei Jungen schlugen die Körner aus Claudias und Dieters Händen, zerrten an ihren Mänteln und hatten einen Heidenspaß dabei. Dieter verschlug es wieder einmal die Sprache. Er schluckte einmal kräftig, riß sich los und schwubbs - haste was kannste - ging es im Affenzahn nach Hause, in Sicherheit. Das letzte was Dieter noch mitbekommen hatte, war die Tatsache, dass Claudia wieder einmal ihren "Mann" gestanden hatte. Mit Boxen, Kneifen, Kratzen und Treten wehrte sie sich, bis Dieter - na ja, Du weißt ja was dann geschah.

Später haben Claudia und Dieter nie wieder über diesen Vorfall gesprochen. (Gott sei Dank, würde Dieter sagen.) Zuhause angekommen, lief Dieter in sein Zimmer und zitterte am ganzen Körper. Alle Fragerei, Drängen und Gut-zu-reden seiner Eltern konnten nicht helfen, etwas aus ihm herauszubekommen. Er blieb stumm und druckste nur so herum.

Aber nicht nur mit dem Mädchen Claudia passierten Dieter solche Sachen. Die nächste Feigheits-Story ereignete sich in Anwesenheit eines blonden, mit dicken Gläsern bebrillten Mädchen beim Rollschuhlaufen. Dieter fühlte sich stark, ärgerte und stänkerte aus Spaß und Langeweile das blonde Mädchen namens Regina, bis ein viel jüngerer, aber von seiner Statur her, kräftigerer Junge des Weges kam. Regina kannte ihn aus der Schule und bat ihn um Hilfe. Ein "nichts leichter als das" war in seinen Augen zu lesen und dann jagte der Junge hinter unserem armen berollschuhten Dieter her. Der Überraschungsangriff gelang. Der Junge erwischte ihn beim Ärmel, zerrte ihn herum und klatsch - hatte Dieter eine knallrote Wange geschlagen bekommen. Anstatt sich zu wehren, dachte Dieter beleidigt, wütend und traurig zugleich nur darüber nach, wie man sich in solch einer Lage denn hätte anders verhalten, sich wehren, sich helfen können und warum Regina so etwas mit ihm anstellen ließ. Er zog die Rollschuhe aus und ging verstört nach Hause. Dieter verschloss sich immer mehr und mehr, in seinem Geist und in seinem Zimmer vor der Außenwelt. Traute sich schon gar nicht mehr auf die Straße, und wurde langsam aber sicher, so ein richtiger ungenießbarer Einzelgänger.

Einmal ging er allein in den Wald, um Pilze zu suchen. Ganz allein, mit einem großen geflochtenen Korb in der Hand, schlich er durch den herbstlichen Wald und durchwatete knöcheltiefes Laub. Als er den Korb voll der schönsten und kräftigsten Steinpilze und Rotkappen gesammelt hatte und ein Lied summend, den Heimweg antreten wollte, kamen ihm zwei Jungen in die Quere. (Schon wieder!) Die beiden waren viel jünger aber in der Überzahl (Zwei, immerhin.) Die beiden Jungen pöbelten Dieter an. Das reichte Dieter schon für einen kurzen Sprint. (Schnell weglaufen hat Dieter dadurch gelernt.) Wir wollen ehrlich sein, Dieter lief nicht, er hetzte durch den Wald nach Hause. Verlor dabei die ganzen Pilze und log seiner Mutter vor, dass er keine gefunden habe.

Die beiden Jungen kannten Dieter jetzt, wussten wo er wohnte und erfuhren auch, dass Dieter der einzige Junge in seiner Straße war. Die Jungen kamen jetzt immer öfter, gerade in diese Straße und Dieter blieb immer öfter zu Hause. Sah Dieter die Jungen von weitem, so machte er einen großen Bogen um sie, und versuchte auf allen möglichen und unmöglichen Schleichwegen nach Hause zu kommen, um sich dort vor ihnen und der Umwelt zu verstecken.

Informationshalber sollten wir noch in einer so traurigen Geschichte zwei Freudenerlebnisse des feigen Dieters, die in ganz besonderer Art und Weise mit den zuletzt geschilderten Begebenheiten in Verbindung standen, erwähnen.

Das Erste war die Nachricht, dass einer der beiden oben erwähnten Jungen, durch einen Verkehrsunfall gestorben, und der andere Junge mit samt seiner ganzen Familie, wer weiß wohin verzogen war.

Welches Glück, welche Freude erlebte Dieter, ausgelöst durch diese wunderbaren Umstände, die ihn von einem der größten Übel seines Lebens befreite. Seine Freude, seine Schadenfreude sprang in seinem Geiste über Tisch und Bänke und er dankte sogar gen Himmel dafür.

Nach vier quälenden Grundschuljahren löste sich Dieters Klasse auf. Quälende Jahre, weil Dieter immer den anderen Jungen aus der Klasse, mit den tollsten Tricks und meist mit riesigen Umwegen, auf dem Weg zur Schule und wieder nach Hause, auszuweichen versuchte. Manche Kinder aus seiner Klasse gingen zur Realschule oder auf das Gymnasium. Und was tat Dieter? Er ging zur Hauptschule, denn dorthin gingen auch die ihm so liebgewonnenen Freunde (ja, auch Dieter hatte tatsächlich ein paar Freunde gefunden) und vor allem Freundinnen. Claudia, zum Beispiel, ging auch in das Hauptschul-Zeitalter über. Großmäuler, Schläger und Kravallisten ließen sich angeblich nur zu anderen Schulen versetzen. Davon wollte Dieter nichts wissen. (Dennoch gab es weiterhin genug Pöbler und Stänkerer an der Hauptschule und auch in seiner Klasse. ÄTSCH!)

Dieters bester Freund Peter wohnte einige Straßen weiter. Um dort hinzugelangen, musste Dieter wohl oder übel an einem Treffpunkt für oben beschriebene Chaoten und Halbstarken, die sich stärker als alle anderen vorkamen, Flasch-Bier zutschten und Leute anpöbelten, vorbei. Auch Dieter wurde von ihnen ein paarmal angequatscht, so dass er schleunigst Auswege suchte, um diesen Treffpunkt zu umgehen.

Ein Schleichweg führte durch ein Waldstück und dann mitten über einen Friedhof. Wenn Dieter über den Friedhof ging, beschlich ihn natürlich ein ganz eigenartiges Gruselgefühl, doch war dieses Gruseln immer noch erträglicher als die Anmachereien der Krachschläger, und von dem Friedhof aus, war es dann auch nicht mehr so weit zu Peter.

Dieters Freund Peter, der sich nichts aus den Krachern machte, wunderte sich öfters als nur einmal über Dieters Wunsch über den Friedhof gehen zu wollen, wenn sie beide gemeinsam unterwegs waren. Dieter log, dass sich die Balken bogen. Er fände das schön-unheimlich, bei Mondschein über den Friedhof zu stiefeln. Nur das nicht immer Mondschein war, gab denn doch Peter Anlaß zu weiterem Nachdenken.

Ein anderer Weg, um zu Peter zu gelangen, war zwar komplizierter und auch teurer, wurde aber von unserem Feigling Dieter auch gerne des Öfteren genutzt. Ein Bus fuhr von der Bergeshöhe, auf der Dieter wohnte hinab ins Tal. Und von da aus konnte er, da sein Freund Peter auf halber Höhe des Berges wohnte und Dieter mit dem Bus viel zu weit in das Tal hinabfahren musste, auf einem steilen Weg, genannt "Zick-Zack-Weg", weil er in Zick-Zack-Form nach oben führte, wieder zu der Straße gelangen auf der Dieters Freund Peter wohnte.

Diese Problem-Lösung war wirklich ein zeitaufwendiges und kompliziertes Ereignis. Dieter musste dafür sein sparsam eingeteiltes Taschengeld einer Verkehrsgesellschaft in den Rachen werfen, aber was tat Dieter nicht alles, um nicht gesehen zu werden, um nicht in irgendeine schwierige, für ihn nicht zu bewältigende Situation zu geraten. Und auch der steile Wieder-Anstieg über den Zick-Zack-Weg machte ihm dann nichts mehr aus. Dieter verbrachte mehrere Stunden am Tag damit, sich Wegrouten auszudenken, bei denen er ohne seelische und körperliche Schäden davonzutragen, von einem Ort zum anderen gelangen konnte. Oder er rief seinen Freund Peter an, um ihn zu fragen, ob er nicht lieber kommen wolle.

Zwei weitere Geschichten, in unmittelbarem Zusammenhang mit Peter stehend, sollen nicht unerwähnt bleiben. Die Erste beginnt damit, dass Peter, zu jener Zeit 18 Jahre jung (Dieter, war erst 16) seinen Führerschein machte und sich einen Wagen kaufte. Einen grünen, halbautomatischen Käfer, mit dem Peter und Dieter in eine nicht weit entfernte, aber größere Stadt fuhren, um ins Kino zu gehen. Auf einem Parkplatz nahe dem Stadtkern parkte Peter den Käfer und dann gingen er und Dieter den Rest zu Fuß weiter. Auf der Straße zum Kino begegneten sie fünf Italienern, die auch so zwischen 16 und 18 Jahre alt waren. Sie lachten laut und lamentierten. Sie stellten sich gegenseitig ein Bein, rempelten und stießen sich an. Die Italiener kamen immer näher und Peter und Dieter im Gespräch vertieft, wichen ihnen ein paar Schritte auf der Straße aus, um an ihnen vorbeizugehen. Einer der Italiener jedoch entwickelte solch einen Spaß am Stänkern, dass er direkt auf Peter zuging, ihn mit der Schulter anrempelte, ganz gekonnt theatralisch zur Seite torkelte und dann seine Kumpels heranrief. Die stellten sich jetzt um Dieter und Peter und begannen laut herumzutönen. Peter sollte sich gefälligst entschuldigen, was er natürlich nicht tat. Er erklärte, dass er keine Schuld habe und das er nicht gewillt war, sich zu entschuldigen. Zwei der Italiener drängten Peter zu einer nahen Hauswand, hielten seine Arme fest und sagten, dass er sich trotzdem entschuldigen und vielmals um Verzeihung zu bitten solle.

Was tat denn Dieter in dieser ganzen Zeit, wirst Du Dich jetzt fragen? Eine gewiß ganz berechtigte Frage. Er stand mit den anderen Italienern Peter gegenüber. Hatte mal wieder einen dicken Angstkloß im Hals und schwätzte leise vor sich hin. Er versuchte mit diesem leisen Reden die Italiener zu beschwichtigen. Faselte so etwas wie, hört doch auf, das bringt doch nichts, wir entschuldigen uns und damit gut, aber die Italiener hörten nicht auf Dieter.

Das Komischste an der ganzen Sache war, dass die Italiener Dieter nicht festhielten. Er stand nur so da, genau zwischen Zweien. Er hätte seinem Freund helfen können, aber stand nur da und hörte auf sein wild schlagendes kleines Feiglingsherz. Der fünfte Italiener kam plötzlich angestürmt und schlug Peter mit der Faust ins Gesicht. Peter wollte sich wehren, wurde aber immer noch festgehalten.

Dieter rang nach Atem und spürte wieder diese Feiglingsschmerzen, spürte Schmerzen im Gesicht. Es war ihm, als ob er selbst den Faustschlag abbekommen hätte. Er stand da, stocksteif und konnte nichts tun. Er war unfähig sich zu bewegen.

Ein paar Sekunden später brauste ein roter Wagen heran und hielt direkt hinter dieser Szenerie. Ein Fenster wurde hastig geöffnet und ein älterer Herr rief etwas. Daraufhin ließen die Italiener Peter los und liefen davon. Der Mann erkundigte sich nach Peters und Dieters Befinden. Sie antworteten ihm, dass alles in Ordnung sei, bedankten sich und gingen weiter in die Innenstadt hinein. Der Fahrer des Wagens wartete noch eine Weile, dann fuhr er davon.