Mendoza - Hans Herbst - E-Book

Mendoza E-Book

Hans Herbst

4,8

Beschreibung

"Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt." Jean Améry Der junge Chilene Carlos Mendoza hofft nach grausamen Folterungen in seinem Heimatland, in Frankreich ein neues Leben beginnen zu können. Es fällt ihm schwer, die Albträume und Schmerzen, das Misstrauen und die Angst hinter sich zu lassen. Draußen heulen die Wölfe - Pinochets Arm reicht weit und seine Killer sind auf Mendozas Spur. Für die Kämpfer im Untergrund, Latinos im Exil, ist er nützlich in seiner Hilflosigkeit. Er wird zur Schachbrettfigur, die Pinochets Gegner unter lückenhafter Deckung für die eigenen Zwecke nutzen und beliebig hin- und herschieben. Mitten in diesen unruhigen Zeiten findet er die Liebe. Mendoza wird all seinen Mut und seine Kraft brauchen, um das Versprechen einzulösen, das er einer Frau gegeben hat. Mit ihr will er in das Land der goldenen Felder reisen - doch draußen heulen die Wölfe! "Hans Herbst beschreibt anschaulich einfühlsam. Er liebt seine Geschöpfe, und der Leser spürt, dass er sie kennt, spürt die Nähe des Autors zu seinen Figuren." Neue Zürcher Zeitung

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Seitenzahl: 344

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Inhalt

Titelseite

Impressum

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

Anmerkungen

Nachwort

Hans-Herbst-Edition

Über den Autor

Editorische Notiz

Hans Herbst

Mendoza

Roman

Mit einem Nachwort von D. B. Blettenberg

PENDRAGON

Unsere Bücher im Internet:

www.pendragon.de

Originalausgabe

Veröffentlicht im Pendragon Verlag

Günther Butkus, Bielefeld 2009

© by Pendragon Verlag Bielefeld 2009

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Günther Butkus

Umschlag & Herstellung: Uta Zeißler (www.muito.de)

Gesetzt aus der Adobe Garamond

eISBN: 978-3-86532-295-1

Das Ende der Gangway war irgendwo sehr weit unten, und Mendoza griff nach dem Geländer. Er schloss die Augen, und dann öffnete er sie wieder, schloss sie und öffnete sie, und das Ende der Gangway war jetzt sehr nah. Helles Metall über grauem, nassem Beton. Er ging langsam die Treppe runter. Sein linker Fuß berührte den Beton und dann sein rechter, und er blieb stehen. Die Passagiere drängten an ihm vorbei, einige stießen ihn an und liefen durch den Regen, um in den Bus zu kommen, und Mendoza ließ sie an sich vorbeilaufen, mit dem Regen in seinem Gesicht, und blickte mit müden, entzündeten Augen nach dem seltsamen Gebäude auf der anderen Seite. Er hatte lange nicht geschlafen, im Flugzeug hatte er immer wieder nach Kaffee verlangt, er wollte nicht schlafen, weil er wusste, dass er sich seltsam benimmt im Schlaf, und einige Male hatte die junge, blonde Stewardess ihn besorgt angesehen, und er hatte gelächelt. Der Regen lief ihm über das Gesicht und in den Kragen seiner Nylonjacke, und eine junge Frau kam auf ihn zu und sagte: »Bitte, kommen Sie.« Er verstand sie nicht, ihre Stimme schien ihm aus einiger Entfernung zu kommen. Er hörte sich irgendetwas sagen und folgte ihr lächelnd in den Bus. Für einen kurzen Moment vergaß er die Schmerzen in seinen Hoden.

In dem Bus war es sehr eng, die Leute standen dicht beieinander, und Mendoza dachte, dass sie seinen Schweiß riechen könnten. Er zog sich zurück gegen die Tür, seine rechte Hand umklammerte einen silbrig glänzenden Haltegriff, der sich warm und glatt und wie Haut anfühlte. In seiner Linken hielt er die kleine Plastikreisetasche. Der Bus rollte fast lautlos über das nasse Flugfeld, das mit seiner spiegelnden Oberfläche aussah wie einer der glatten, kalten Seen in den Anden. Ein See mit Flugzeugen drauf. Wie groß sie sind, dachte Mendoza und sah nach dem Flugzeug, mit dem er gekommen war. Es war auch eine große Maschine, aber nicht ganz so gewaltig wie einige andere, und ihr aufgemalter Name erschien ihm wie ein Versprechen für ein Leben, in dem man frei atmen kann. Air France. Aire Francés. Französische Luft.

Der Bus beendete seine Fahrt mit einem weichen, kaum wahrnehmbaren Ruck und öffnete mit leisem Zischen seine Türen. Mendoza schlug den Kragen seiner Jacke hoch und trat in den Regen hinaus, der nur zwei Schritte dauerte. Dann war er in einer Tür, hinter der sich ein Gang zeigte. Der Gang war in ein sanftes Licht getaucht, das von nirgendwo kam. Mendoza betrat ein Laufband aus schwarzem Gummi, dessen Geschwindigkeit ihn überraschte, und er musste an die Förderbänder in den Kupferminen denken. Ein Menschenförderband, dachte er. Er stand still und ließ sich vorwärtstragen durch das sanfte Licht, und dabei hörte er Musik, die aus den Wänden oder von der Decke kam, er konnte es nicht feststellen und drehte den Kopf. Vielleicht kam die Musik von hinten. Er blickte in ein Gesicht mit schmalen, dunklen Augen und einem dünnen, gut ausrasierten Bärtchen unter einer Nase, die wie die Nase eines Boxers geformt war. Unter dem Gesicht sah er einen steifen, weißen Kragen und den dunklen Knoten einer Krawatte. Er wandte sich ab und sah wieder nach vorn. Die Musik war jetzt nur noch ein weit entferntes Summen. Ein Chilene oder ein Peruaner, dachte er. Eher ein Chilene. Ein gut gekleideter Chilene. Er hatte ihn im Flugzeug nicht gesehen, er hatte die wenigsten Leute richtig gesehen, nur die blonde Stewardess mit ihrem Lächeln und diesen seltsamen blauen Augen, die ihm sehr nah gewesen waren, wenn sie sich über ihn beugte, um den Kaffee zu servieren. Ein Geschäftsmann, dachte er, und wusste im selben Moment, dass er sich belog. Er wollte nicht denken, was er wirklich dachte. Einige Dinge wollte er nie mehr denken, nicht hier, in Aire Francés, aber er wusste, dass er sie nicht so einfach zurücklassen konnte, wie man seine Katze oder die kleinen Vögel in den Käfigen auf der Veranda zurücklässt. Die Schmerzen in den Hoden waren jetzt sehr stark, er fühlte seinen Nacken kalt und feucht werden, und das schwarze Band trug ihn vorwärts, mit dem boxernasigen, chilenisch aussehenden Mann in seinem Rücken. Hijo de puta, du Sohn einer Hure, dachte er, kriech in die Hure zurück, die dich geboren hat. Er fühlte das bekannte Zittern in den Beinen, das nur sehr schwer zu kontrollieren war, und mitunter verlor er mit dem Zittern auch die Kontrolle über die Schließmuskeln, und es kamen ein paar Tropfen Urin. Mendozas Finger schlossen sich hart um den schwarzen Handlauf, der mit dem Förderband in Hüfthöhe mitlief, und das Zittern hörte auf.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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