Siesta - Hans Herbst - E-Book

Siesta E-Book

Hans Herbst

4,9

Beschreibung

Stories aus der Welt der Bars und der Straße: Momentaufnahmen von Einzelgängern und kleinen Gangstern, von rastlosen Menschen voller Angst, geheimen Erwartungen und inneren Spannungen. Jörg Fauser über den Weltenbummler Hans Herbst: "Und genau darum geht es in diesen Geschichten: um Augenblicke auf der Kippe; um Angst und die Kraft, die die Angst überwindet. Und: diese Geschichten hat einer geschrieben, der sich erstmal im Leben umgesehen hat, bevor er sich an die Maschine setzte und uns zeigte, dass er außer Trommeln und Weiten auch den Rhythmus

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Hans Herbst

Siesta

Stories Band 1

Mit einem Nachwort von Frank Göhre

PENDRAGON

Hans Herbst wurde 1941 in St. Pauli/Hamburg geboren. Nach einer Lehre als Autoschlosser reiste er durch Europa, später nach Mexiko, Nordamerika, Brasilien und in die Karibik. Erste Texte entstanden 1979. Hans Herbst hat zahlreiche Stories, Reportagen und einen Roman veröffentlicht. Er lebt als Autor und Musiker in Hamburg.

Editorische Notiz

Die Originalausgabe von „Siesta“ erschien 1984 im Albrecht Knaus Verlag. Entfallen gegenüber der Erstausgabe sind die Stories „Sprachschwierigkeiten“ und „Zwanzig Jahre sind nichts“.

Diese Stories hat der Autor in den Band „Stille und Tod“ übernommen. Bislang unveröffentlicht sind die drei Hamburgensien. Der Autor hat alle Texte für diese Ausgabe behutsam überarbeitet.

Unsere Bücher im Internet:

www.pendragon.de

Originalausgabe

Veröffentlicht im Pendragon Verlag

Günther Butkus, Bielefeld 2008

© by Pendragon Verlag Bielefeld 2008

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Günther Butkus, Kathrin Ackermann

Umschlag & Herstellung: Uta Zeißler (www.muito.de)

Gesetzt aus der Adobe Garamond

eISBN: 978-3-86532-291-3

Printed in Germany

Inhalt

Tagsüber

Zug nach Norden

Zwei bei Tisch

Kokain

Winterquartier

Die beste Waffe

Rue des Trois Portes

Siesta

Interdiction de Séjour

Ausnahme für Monk

Palo Congo

Charlys Shuffle

Der vierte Mann

Kaliber 38

Gicht

Strange Fruit

Nach dem Karneval

Ein verdammt guter Abend

Nur so ’ne Frage

Fünf Uhr nachmittags

»O Astronauta«

Drei Hamburgensien

Kupplungs-Günther

Alte Männer und Sex

Märchenstunde

Nachwort von Frank Göhre

Tagsüber

Krebs ging die Straße runter, weil er nichts anderes zu tun hatte. Es war kalt, und er schwitzte. Als er die beiden Bullen sah, wurde ihm übel, und er ging auf die andere Straßenseite. Die Bullen gingen auch auf die andere Straßenseite und genau auf ihn zu. Er konnte das nicht aushalten und ging wieder zurück. Die Bullen grinsten zu ihm rüber, und einer sagte: »Fall nicht hin.«

Krebs sagte: »Heute noch nicht.«

Sie waren beide in Zivil. Krebs hatte mal mit ihnen zu tun gehabt. Er ging langsam die Straße runter und fühlte den Schweiß unter seinen Achseln, kalt und klebrig.

Er sah die Frau, gerade als sie in ihren Wagen stieg. Eine große, schöne Frau mit kräftigen Schultern, geradem Rücken und einem prächtigen Arsch, der nicht zu groß war, und endlos langen Beinen, die in Stiefeln steckten. In diesem Rolls durch die Stadt kutschieren! Sie sitzt neben ihm, er fährt. Er legt ihr seine linke Hand in den Nacken, arbeitet sich durch das dichte schwarze Haar, streichelt sanft den Nacken rauf und runter und lässt seine Finger spielen. Sie lehnt sich gegen seine Hand, lächelt und reibt sich mit geschlossenen Augen an seiner Hand wie eine Katze. Durch die Hand, den Arm, geht ein warmes Gefühl in ihn rein, runter bis zum Magen und wieder rauf in seinen Kopf, und er sagt, mit breitem Lächeln und voller Freude: »Ich liebe dich.« Sie wirft sich auf seine Schenkel, presst ihr Gesicht in seinen Schoß, drückt sich an ihn und sagt: »Du bist ein Verrückter, du bist durch und durch verrückt.« Dabei lacht sie, und er spürt ihren warmen Atem. Das Radio ist an, AFN bringt Parker. Krebs ist glücklich und greift sich die flache Flasche mit dem Calvados. »Nächste Woche sind wir in Amerika«, sagt er, »und wir werden uns mit Musik vollpumpen und in großen Hotelbetten liegen, und ich werde einfach in dich reinkriechen und von drinnen nach Champagner schreien.« Er drückt ihren Kopf in seinen Schoß, und sie lacht und beißt ihn und sagt: »Ich liebe dich.«

Als Krebs bei dem Gedanken angekommen war, sah er Massel. Der schräge Gang war nicht zu verkennen, genauso wie der Eierkopf und die dicke Brille. Massel hielt genau auf ihn zu, und Krebs sah überhaupt keine Fluchtmöglichkeit. Er rannte genau in ihn rein. Massel sah aus, als hätte jemand Zentnerschweres auf seinem Gesicht gesessen und dabei Zement gepupt. Zur Begrüßung sagte er: »Mann, ist das kalt.«

Krebs sagte: »Ja.«

Sie gingen zusammen die Straße runter, und der Eierkopf wackelte, die dicke Brille blinkte, und die bläulichen Lippen gaben eine saure Fahne frei, die Krebs, als sie ihn genau ins Gesicht traf, exakten Aufschluss über Massels Fressen und Saufen der letzten drei Tage gab. Er sagte: »Dir geht’s nicht schlecht, was?«

Massel erwiderte schlicht: »Ich war eingeladen.«

Krebs war ehrlich erstaunt. »Wer lädt denn dich ein?«

Ohne besondere Betonung sagte Massel: »Ein alter, blinder Schwuler, der gerade seine Rente abgeholt hatte.«

Krebs schluckte. »Du wirst es noch zu was bringen«, meinte er vorsichtig.

Sie überquerten den Fluss, und Krebs merkte, dass er dringend etwas zu trinken brauchte. Vor einem großen Haus blieben sie stehen, und Krebs zeigte nach oben. »Im dritten Stock läuft ’ne Festivität. Ich bin eingeladen und soll ’nen Kum pel mitbringen. Jede Menge Weiber da. Und reichlich zu fressen.« Er drückte auf einen Klingelknopf, und als der elektrische Öffner die Tür freigab, schob er Massel rein. »Sag denen, ich komm’ gleich, will mir nur schnell ’n bisschen Shit besorgen.«

»Okay«, sagte Massel und trabte los.

Krebs nahm eine Taxe. Die Wärme in dem Wagen stimmte ihn hoffnungsvoll. Sie hielten vor einem Haus, das die Würde einer in Ehren zerbeulten Mülltonne ausstrahlte, und Krebs kletterte durch verschiedene Geruchsschichten in den vierten Stock, machte eine Tür auf und sagte: »Morgen.«

Jemand plärrte: »Mach die Tür zu!« Es klang nach Panik.

Krebs ließ die Tür offen und trat in den Raum. »Ich bin der Geist von Foremans linker Hand«, erklärte er würdevoll, »also Vorsicht.«

Eine Frau mit rotem Haar und einem chinesischen Morgenrock trat auf ihn zu und sagte pikiert: »Wie siehst du denn aus? Nicht gepennt?«

»Ich war mit Massel«, antwortete er ohne Pathos.

»Das ist ’ne Erklärung!« Die Frau lachte. »Das ist wirklich ’ne Erklärung.«

»Ich finde das verdammt unfair, wie ihr mit Massel umgeht«, plärrte ein kleines graues Mädchen. Es saß ganz in die Ecke gedrückt, trug einen dicken Pullover und kratzte sich.

So was könnte Massels Pup-Partnerin sein, dachte Krebs.

»Ihr bildet euch wohl ein, ihr seid was Besseres, beschissen finde ich das, Massel ist ein verdammt netter Junge, der viel Liebe braucht und keiner Fliege was zuleide tut.« Das Mädchen hatte sich in Eifer geredet, und das graue Gesicht wies ein paar hektische Flecken auf.

»Dann lass dich doch mal von ihm vögeln und drück ihm seine Pickel aus«, sagte Krebs.

»Aber mit ’ner Zange«, grölte jemand aus dem anderen Zimmer, und Krebs dachte Gott sei Dank und ging schnell nach nebenan.

In einem dicken Sessel saß der Amerikaner und kramte gerade eine kurze Pfeife aus seinem Bart. Er war barfuß und hielt Krebs die Pfeife hin. »Kräftig saugen, Cancer«, grunzte er, »schmeckt wie Pussy.«

Krebs saugte und lutschte und schnupperte an der Pfeife.

»Stimmt«, sagte er und hatte einen schweren Verdacht.

Der Amerikaner grinste. »Ich wusste, dass du ein Gourmet bist, Cancer, mit dir kann man getrost die kleinen Freuden des Alltags teilen. Das Ding hat gerade eben in einer schönen roten Pussy gesteckt. Verfeinert den Geschmack.«

Krebs grinste glücklich und saugte kräftig an der Pfeife. »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte er gerührt. Von nebenan kam Gekicher. Das Haschisch trocknete ihm den Mund aus, und Krebs bekam Durst. »Ich hab Durst«, sagte er.

»Es ist noch was Milch im Eisschrank«, plärrte die Graue von nebenan.

Krebs zuckte zusammen. »Wie heißt die eigentlich?«, fragte er.

Der Amerikaner guckte die Decke an und seufzte. »Die tote Traute.«

»Schöner Name«, sagte Krebs und griff dankbar die Calvadosflasche, welche die Rothaarige reinbrachte. »Auf ewige Jugend!« Er nahm einen einzigen Schluck. Er wusste, dass mehr ihn umhauen würde, Alkohol und Haschisch vertragen sich nicht, er hatte da ein paar überflüssige Erfah rungen. Aber er liebte das Gefühl, wenn der Stoff durch die Kehle lief, um dann sanft im Magen zu explodieren. Eigent lich wollte ich nur was trinken, dachte er, und jetzt bin ich schon wieder vollgedröhnt. Am frühen Nachmittag. Auch gut.

»Mir fällt gleich der Himmel auf den Kopf«, stöhnte der Amerikaner und befreite Krebs von seinen Selbstbetrachtungen. »Und immer, wenn mir der Himmel auf den Kopf fällt, krieg’ ich ’n Ständer.« Er zog die Rothaarige auf seinen Schoß.

»Du stinkst«, sagte die Rothaarige.

»Klar«, sagte der Amerikaner freundlich, »nach dir.«

Die Frau lachte und setzte sich rittlings auf ihn, das Gesicht ihm zugewandt. Krebs konnte nur ihren Rücken sehen. Er wusste, dass sie unter ihrem Rock nichts anhatte. Der Amerikaner zog in aller Ruhe seinen Hosenschlitz auf.

Die Rothaarige hob sich ein wenig und brachte alles in die richtige Stellung. Dann ließ sie sich sanft wieder runtergleiten. »Der ist drin«, sagte sie.

»Und ob«, grunzte der Amerikaner und legte den Kopf zurück. Er verhielt sich passiv und überließ alles der Frau.

Krebs sah ihren Rücken und ihre langsamen, kreisenden Bewegungen. Ihm taten die Eier weh. Vielleicht können wir ’ne Triole machen, dachte er, aber er verwarf den Gedanken sofort wieder und langte nach der Calvadosflasche. Auf dem Plattenspieler rotierte eine abgelaufene Platte. Krebs ging hin und legte die Nadel auf Anfang. Art Blakeys Drum Suite, The Sacrifice. Fünf melodische Paukenschläge als Einleitung für den Gesang des Zauberers, der Sänger wiederholt die fünf Töne, singt in Suaheli, erzählt von zwei Burschen, die den Krokodilen geopfert werden sollen. Die Menge antwortet ihm, und die Zeremonie nimmt ihren Lauf.

Krebs schloss die Augen und stellte sich vor, wie die Kroko dile zuschnappten. Vor allem schloss er die Augen, weil er den kreisenden Arsch der Frau nicht sehen wollte. Der Zauberer annoncierte »Mumba«, den Tod der beiden. Krebs sang die Worte mit, er kannte genau die Stelle, wo Candido Cameros Conga einsetzte. Es rüttelte ihn jedes Mal schockartig durch, und er spürte die Kraft, die diesen großen, glatzköpfigen Neger antrieb, einen Rhythmus aus einer einfachen Holztrommel herauszuprügeln, der alles mit sich fortreißt und einem keine Zeit mehr zum Denken lässt, ein gewaltiger Elefant, der in irrem Tempo durch den Wald jagt und durch nichts und niemanden aufgehalten werden kann und dem sich die anderen nur anschließen können, um mit ihm zu rennen, zu brüllen und zu toben. Art Blakey, Jo Jones, Charles Wright, Sabu Martinez, mächtige Zau berer, deren Trommeln selbst einen Weißen in den Bann ihrer Magie treiben können und ihn mitreißen, mitnehmen auf ihren Höllentrip zu Ehren dieser widerlichen, schmutziggrünen Ungeheuer, die ihre Zähne in die schreienden Opfer schlagen und sie auf den Grund des stinkenden Flusses ziehen, gnädig gestimmt jetzt, und die Trommeln toben ein Schwarzes Halleluja und feiern den glücklichen Verlauf der Zeremonie mit einem jubelnden Finale, wobei sich alle noch verbliebene Kraft der Trommler in einem letzten gewaltigen Schrei konzentriert, in den sich ein fürchterliches Gebrüll mischte, so dass Krebs erschrocken die Augen aufriss. Er brauchte eine Weile, um klarzusehen und auf den Boden der Tatsachen zurückzufinden.

Der Amerikaner saß in seinem Sessel und glotzte auf sein Ding, das in voller Pracht aus dem Hosenschlitz rausragte.»Sie kann sich einfach nicht dran gewöhnen, dass ich ihr das Ding auch gerne mal ’ne Etage tiefer reintu«, meinte er betrübt.

Von nebenan kam die Stimme der Rothaarigen. »Mit dem Prügel kannst du’s mal bei einer Kuh versuchen, aber nicht bei mir.« Sie kam ins Zimmer gerauscht und wies mit dramatischer Gebärde auf den noch immer prächtigen Ständer. »Guck dir das an, Krebs, hab ich recht, oder was ist?«

»Kann ich nicht sagen«, meinte Krebs, »müsste mir erst mal ’n genaues Bild machen, kleine Ortsbesichtigung sozusagen. Heb mal den Rock hoch.«

Die Frau sah ihn ziemlich scharf an.

Krebs lehnte sich zurück und sagte: »Vielleicht wäre ein Dehntest angebracht.«

»Stimmt«, fiel der Amerikaner begeistert ein.

»Ihr Böcke«, sagte die Frau. »Gib mir mal die Flasche.«

Krebs gab ihr voll Mitgefühl die Flasche, und sie nahm einen ordentlichen Schluck. »Ist ja nicht so, dass ich’s nicht gern hab’, aber mit dem Gerät bringt er mich um.«

Das Gerät war langsam in sich zusammengefallen, und der Amerikaner machte sich nicht die Mühe, es zu verpacken. Er sagte »Mist« und griff sich die Flasche.

»Schon mal Öl probiert?«, fragte Krebs teilnahmsvoll.

»Kommt nicht in Frage«, sagte die Rothaarige entschieden, »mit dem nicht.«

»Schlimmer Fall.« Der Amerikaner klang betrübt. »Was soll man machen?«

»Gibt nur eins«, Krebs war jetzt einigermaßen aufgepulvert, »Gewalt.«

Der Amerikaner nickte begeistert und grinste listig die Frau an.

Die Frau ließ einen fahren und ging raus. »Ihr seid Schwach köpfe«, rief sie von nebenan, »mein Gott, seid ihr Schwachköpfe.«

»Hier stinkt’s«, sagte Krebs, »lass uns abhauen.«

Der Amerikaner packte sein Ding ein, stieg in ein paar mächtige Gummigaloschen, und sie zogen los.

»Na, ihr Arschficker«, krähte die kleine Graue und kratzte sich.

Sie gingen raus und ließen die Tür offen.

»Tür zu!«, schrie die Graue. Es klang nicht mehr so nach Panik.

Sie arbeiteten sich durch den Mief nach unten. Oben knallte eine Tür. Sie hielten eine Taxe an, und gerade als sie einstiegen, bog Massel um die Ecke.

»Abfahren«, sagte Krebs und lehnte sich bequem zurück.

Massel sah missmutig aus, als sie an ihm vorbeifuhren. Der Amerikaner fischte die Calvadosflasche aus seinem Mantel, und Krebs nahm einen kräftigen Schluck. Er schloss die Augen. Egal, dachte er und fühlte, wie das Zeug runterlief und Hitze im Magen verbreitete.

»Gib mir mal ’n Schluck«, sagte der Fahrer.

Krebs reichte ihm die Flasche. Der Fahrer ließ laufen, ohne zu schlucken. Der Amerikaner staunte. »Wie machst du das?« fragte er. Er war ernsthaft interessiert.

»Training«, sagte der Fahrer nicht ohne Stolz. »Kann nüchtern nicht fahren. Hab ’nen fürchterlichen Tatter, wenn ich nüchtern bin. Bring’ den Zündschlüssel nicht rein.«

»Und jetzt, wie läuft’s?«

»Alles klar, bin total besoffen. Fahr’ wie ’n junger Gott.«

»So siehst du auch aus«, sagte Krebs, als sein Blick den wässrigen Glubschaugen des Fahrers im Rückspiegel begegnete. Sie überholten gerade einen Lastwagen mit Anhänger. Krebs sah die großen Räder dicht neben sich auftauchen und hatte ein flaues Gefühl im Magen. Als sie vorbei waren, drehte sich der Fahrer um und zeigte drei oder vier schwarze Zähne.

»Du bist ’n Weltmeister«, sagte der Amerikaner.

Als sie vor der Kneipe hielten, überkam Krebs ein Gefühl von Dankbarkeit. Sie stiegen aus und ließen die Türen weit offen.

»He, zahlen«, schrie der Fahrer.

»Geld gibt’s am Ersten«, schrie der Amerikaner zurück.

Sie umrundeten die Kneipe, und als sie die Rückfront erreicht hatten, hörten sie deutlich die Trommeln. Sie blieben stehen und lauschten. Jemand variierte ein Thema aus den Vodu-Zeremonien der Oriente-Kubaner.

»Er kann wirklich spielen«, murmelte der Amerikaner.

»Und ob«, sagte Krebs. Er zog ein Feuerzeug aus der Tasche und schlug einen passenden Rhythmus gegen die Hintertür. Genau acht Takte nach seinem Einsatz kam von drinnen eine Schlussphrasierung, und das Spiel brach ab. Vorne auf der Straße wurde ein Motor strapaziert und Reifen kreischten. Die Tür wurde geöffnet, und sie standen einem kleinen grauhaarigen Neger gegenüber. Der Neger schwitzte, und seine Augen waren halb geschlossen. Er grinste und machte eine Bewegung mit dem Daumen. Sie folgten ihm in die Kneipe, und Krebs schloss sorgfältig die Tür. Der Neger war hier Faktotum, und nachts, wenn Betrieb war, leerte er die Aschenbecher und wischte die Tische ab. Drinnen brannte eine einzelne Lampe, und in einem Aschen becher glimmte ein kleines Feuer, von dem eine feine, weiße Rauchsäule aufstieg. Die beiden beugten sich über den Aschenbecher und sogen mit kräftigen Zügen den Rauch in ihre Lungen. Als Krebs sich aufrichtete, war ihm schwindlig. Er versuchte ruhig zu atmen und alles unter Kontrolle zu bringen. Der Neger beobachtete ihn lächelnd. Krebs sah den Neger, dessen Lächeln den ganzen Raum zu füllen schien, und sein Blick saugte sich an ihm fest und tauchte in den Bann der freundlichen, braunen Augen, die alles wieder in Ordnung brachten. Er ging auf ihn zu und umarmte ihn. Sie redeten nie viel miteinander. Lieber spielten sie. Sie spielten Rhythmen aus dem Vodu-Kult der Oriente-Kubaner; Krebs und der Amerikaner hatten lange gebraucht, um sie zu lernen, aber der Neger war schafsgeduldig gewesen, und irgendwann hatten sie es kapiert.

Der Neger war lange von zu Hause weg, und diese beiden Weißen hatten etwas von dem, was er dringend zum Leben brauchte. Feeling. Er war froh darüber. Er leerte Aschenbecher und wischte Tische ab, und nur einige wenige hatten begriffen, dass er ein großer Trommler war. Für große Tromm ler gab es nichts zu tun in dieser Stadt. Und noch einmal den Pappkoffer packen und wieder auf die Walze gehen, wollte er nicht. Für alte schwarze Trommler ist eine Stadt so gut wie die andere.

Als Krebs die große Holztrommel zwischen die Knie nahm, zitterten seine Oberschenkel. Er kannte das, die gleiche Erregung packte ihn jedesmal, und er hielt die Trommel mit den Beinen fest und legte beide Hände flach auf die Eselshaut. Den Kopf vorgebeugt, starrte er auf seine Hände und wartete darauf, dass sein Herzschlag sich beruhigen und die Ruhe über ihn kommen würde.

Der Neger beobachtete seine beiden Partner, die mit vorgeneigten Köpfen, die Trommeln leicht schräg zwischen den Knien haltend, ihre Hände anstarrten.

Die Trommeln waren aus starkem, dunklen Holz gemacht, bauchig in der Mitte und sich nach unten verjüngend, schwarzbraun mattglänzend und mit vier soliden Metall ringen beschlagen, die das Dehnen des kostbaren Materials verhindern, Instrumente von großer Schönheit, und für den, der mit ihnen umzugehen versteht und sie richtig behandelt, der direkte Weg zu seinem Gott.

Der Neger war diesen Weg viele Male gegangen, und deshalb konnten ihm volle Aschenbecher und dreckige Tische nichts anhaben. Am Anfang war die Musik seine Heimat gewesen. Allgegenwärtig, ließ sie die amerikanischen Touristen den Eindruck haben, dass auch die Ärmsten in ihren Wellblechhütten glückliche Kreaturen seien. Jede Konservendose, jede Coca-Cola-Flasche war ein Instrument. Er brauchte Musik nicht zu lernen, sie war ein Teil von ihm und verlangte ihm keine besondere Anstrengung ab. Man spielte Musik, im besten Sinne des Wortes, ohne Konkurrenzdenken, um ihrer selbst willen, miteinander.

Später, als einige respektable alte Männer, vor denen er immer eine gewisse Scheu hatte, sich darüber im Klaren waren, dass er ein guter Trommler werden würde, nahm man ihn mit zu den Zeremonien. Das Blut des Hahnes ist in seinem Gedächtnis, und das Schreien der Frauen. Und das endlose Trommeln. Aber darüber kann er nicht reden. Wie soll er einem Weißen klarmachen, dass es einen Zustand gibt, in dem das Körperliche aufhört und man ein Teil der Musik geworden ist. Das glaubt einem keiner. Oder wenige. Ein paar kennen es. Es hat keinen Zweck, darüber zu reden.

Der Neger strich mit der Kuppe seines rechten Mittelfingers sanft über das Fell seiner großen Trommel. Es gab einen tiefen singenden Ton, und Krebs hatte das Gefühl, sein ganzer Brustkorb sei ein einziger Resonanzkörper. Der Ton traf ihn in einem Moment, den der Neger ausgesucht hatte, und ließ alles in ihm vibrieren, und ein befreiendes Grunzen kam aus seiner Kehle, so eine Art unterdrückter Freudenschrei; er wusste, dass es jetzt losging, und seine Hände reagierten, bevor sein benebeltes Hirn einen Befehl geben konnte, tobten in wildem Stakkato über die bretterharte Eselshaut, wie unkontrolliert hohe und tiefe Töne aneinanderreihend, um nach exakt acht Takten von einem tiefen singenden Ton sanft daran erinnert zu werden, dass die Fixpunkte gesetzt waren. Sein Kopf wusste jetzt um die nächsten acht Takte, an deren Ende eine schöne, logische Phrasierung dem Amerikaner seinen Einstieg in die Zeremonie ermöglichen musste, und mit einem Schrei, der ihn von allen Leiden befreite, markierte er den Auftakt zu dem Spiel des Partners, und er fühlte eine wilde Art von Glück in sich aufsteigen, als der Amerikaner im richtigen Moment einsetzte, und die drei tauchten in die Musik, und alles war gut.

Zug nach Norden

Er war fünfunddreißig Jahre alt und trug immer noch die Lederjacke, die er vor zwanzig Jahren in einem Warenhaus gestohlen hatte. Damals musste er sie einfach haben, sie glich der Jacke, die Marlon Brando in dem Film »Der Mann in der Schlangenhaut« getragen hatte, und als er sie das erste Mal anzog, war er Brando schon etwas näher. Er stand mit mürrischem Gesicht in Kneipen und Spielhallen herum und dachte an Anna Magnani. Sie hatte ihm sehr gefallen in dem Film, sie hatte etwas, das ihn anzog, er wusste nicht, was es war, er fühlte es einfach und hatte Verlangen danach. Er suchte dieses herbe Gesicht in der Menge, und einige Male fand er es, und dann ließ er nicht locker, bis er es zwischen seinen Händen hielt, um in den dunklen Augen nach dem zu forschen, das die Italienerin so anziehend machte und das unaussprechlich war. Aber er fand es nicht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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