Mentoring - Das Praxisbuch - Tobias Faix - E-Book

Mentoring - Das Praxisbuch E-Book

Tobias Faix

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Beschreibung

Immer mehr Menschen erkennen und erleben die Möglichkeiten: Mentoring ist aus dem säkularen und christlichen Bereich heute nicht mehr wegzudenken. Was in Unternehmen und Ausbildung längst fest zur Personal- und Persönlichkeitsentwicklung gehört, ist auch im christlichen Kontext bereichernd. Beim Mentoring gibt eine erfahrene Person (Mentor:in) ihr Erfahrungswissen an eine noch unerfahrenere Person (Mentee) weiter oder vermittelt Kontakte aus dem eigenen Netzwerk. Ziel ist es, die Mentees bei der persönlichen Entwicklung und auf dem individuellen Glaubensweg zu unterstützen. Doch auch Mentor:innen nehmen erfahrungsgemäß aus diesem Austausch viel für sich mit. Dabei muss man nicht Jesus, Yoda oder Mr. Miyagi sein. Tobias Faix und Anke Wiedekind erklären diese ganzheitliche Begleitung von Glaube und Leben verständlich. Sie zeigen, dass Mentoring ein biblisches Prinzip geistlichen Wachstums und eine effektive Arbeitsmethode für Gemeinden ist. Auch außerhalb des Gemeindekontexts kann sie von engagierten Christ:innen zum Einsatz kommen. Das Buch bietet Interessierten und praktizierenden Mentor:innen fundierte Grundlagen und praktische Tipps. Die Kapitel enthalten neben Theorieteil, Fallbeispielen und Vertiefungsaspekten auch hilfreiche Aufgaben und Übungen. Das ist neu: Für diese Ausgabe wurde das beliebte Standardwerk komplett überarbeitet und aktualisiert, mit neuen Übungen sowie aktuellen Tipps und Links versehen und um neue Themen und Aspekte erweitert (z.B. Mental Health, Resilienz & Mentoring, Prävention, geistlicher Missbrauch und sexuelle Gewalt, Dekonstruktion & Mentoring u.v.m).

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Seitenzahl: 383

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Tobias Faix / Anke Wiedekind

Mentoring

Das Praxisbuch

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttp://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationeninsbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG zu ­gewinnen,ist untersagt.

9., erweiterte und völlig überarbeitete Auflage 2025

© 2000 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn

Andreas-Bräm-Straße 18/20, 47506 Neukirchen-Vluyn,

[email protected] Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.grafikbuero-sonnhueter.de,unter ­Verwendung eines Bildes © iStockphoto.com

Lektorat: Hauke Burgarth, PohlheimDTP: dtp studio eckart | Jörg Eckart, Frankfurt am Main

Verwendete Schrift: Akko Pro

eBook: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, Köln, www.ppp.eu

ISBN 978-3-7615-7071-5 Print

ISBN 978-3-7615-7072-2 E-Book

www.neukirchener-verlage.de

Inhalt

Impressum 4

Vorwort zur 9., erweiterten und völlig überarbeiteten Auflage 11

Was dieses Buch will und wie es zu gebrauchen ist 13

1.

Mentoring verstehen 17

Erste Annäherung: Mentoring zwischen Handwerk & Kunst 17

Grundannahmen im Mentoring 25

Mentoring verstehen und gestalten 29

Verschiedene Ebenen im Mentoring 34

Differenzierung & Abgrenzung des Mentoring-Begriffs 38

Erste Schritte für eine gelingende Mentoring-Beziehung 44

Grundwerte von Mentoring 46

Vorstellung dreier bekannter Mentoring-Modelle 47

Vertiefende und weiterführende Literatur 52

2.

Mentoring: die gemeinsame Beziehung gestalten 55

Grundlagen der Mentoring-Beziehung 55

Die Bedeutung der Beziehung 56

Haltungen eines Mentors / einer Mentorin 56

Haltungen des / der Mentee 60

Ablauf und Dynamiken einer Mentoring-Beziehung 64

Die Mentoring-Beziehung gestalten 71

Wenn es hakt in der Mentoring-Beziehung: Schwierigkeiten und ungesunde Dynamiken 75

Tools zum Anfangen 77

Vertiefende und weiterführende Literatur 84

3.

Mentoring als Ort des Glaubens 86

Mentoring in der Bibel 86

Lernen von Jesus 88

Mentoring bei Paulus 95

Vom Suchen und Finden der eigenen Spiritualität 99

Tools: Spiritualität & Mentoring 110

Mentoring als Chance eines ganzheitlichen Glaubens 113

Tools: Spiritualität gestalten 119

Vertiefende und weiterführende Literatur 121

4.

Mentoring: Glaube zwischen Macht, Ressource und Zerbrechlichkeit 123

Glaubensentwicklung im Lebenslauf und Mentoring – Begleitung in Zeiten des Zweifels und der Veränderung 123

Mentoring und Glaube im Prozess der Dekonstruktion 126

Mentoring und die Resilienz des Glaubens – wie Begleitung Glaubensstärke fördern kann 131

Tools zum Thema Glaube vertiefen und erneuern 137

Mentoring und Mental Health: Beziehung als Ressource psychischer Gesundheit 144

Geistlicher Missbrauch und Mentoring – Gefahr und Prävention 148

Sexualisierte Gewalt und die Rolle von Mentoring 153

Vertiefende und weiterführende Literatur 160

5.

Mentoring: die Kunst der Kommunikation 162

Aktives Zuhören 162

Den / Die Mentee verstehen lernen 165

Sprachmuster und Sprachwelten 166

Gesprächstechniken können gelernt werden 170

Ein Mentoring-Gespräch führen 175

Die Königsdisziplin: Die richtige Frage stellen 179

Intervenieren – wirksam verändern 186

Tools zur Gesprächsgestaltung 190

Vertiefende und weiterführende Literatur 192

6.

Mentoring: Die eigene Persönlichkeit entdecken 193

Die Persönlichkeit – psychologische Grundlagen 194

Die eigene Persönlichkeit kennenlernen 197

Persönlichkeit und die Ebenen des Mentoring-Gesprächs 205

Persönlichkeit und Theologie – ein ganzheitlicher Blick 207

Persönlichkeit und Wege zur Transformation 208

Verlernen als Voraussetzung zur Persönlichkeitsentwicklung 213

Persönlichkeitsentwicklung anhand ausgewählter Beispiele 219

Tools: Sich selbst leiten lernen 224

Vertiefende und weiterführende Literatur 229

7.

Mentoring in der Gemeinde – die leise Revolution 231

Das Entwicklungs- und Generationenpotenzial entdecken 231

Mentoring als strukturelle Hilfe 237

Mentoring als Förderung der jungen Generation 238

Kleingruppen-Mentoring als Wachstumsprinzip 246

Mentoring als Förderung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 252

Mentoring als Förderung für junge Leiterinnen und Leiter 256

Praxisbeispiel: Vom Mitläufer zum Ältesten 267

Vertiefende und weiterführende Literatur 269

Tool: Über den Aufbau einer Mentoring-Struktur am Beispiel von Gemeinde und Hochschule 270

Praxisbeispiel: „Mein Leben als Mentor:in“ 270

Vertiefende und weiterführende Literatur 270

Zwei Wege boten sich mir im Wald,und ich nahm den, der weniger betreten war,und mein Leben wurde anders.

Robert Frost aus „American Poetry“

Den vielen Mentorinnen und Mentoren,die unser Land „unsichtbar“ prägen.

Vorwort zur 9., erweiterten und völlig überarbeiteten Auflage

Wir freuen uns über die 9. Auflage unseres Mentoring-Buchs, die zeigt, dass das Thema weiter aktuell ist. Immer mehr Kirchen und Gemeinden entdecken Mentoring für sich und erleben eine neue Wertschätzung des eigenen Generationenpotenzials, das nur zu oft ungenutzt bleibt. Dabei erleben wir eine Art zweiten Frühling. Ging es vor einigen Jahren vor allem um das Verständnis von Mentoring und das Matching einzelner Mentoring-Paare, so wird Mentoring in vielen Kirchen und christlichen Organisationen heute auch konzeptionell genutzt. Mentoring als ein geistliches Netzwerk, das die Bedürfnisse nach Persönlichkeitsentwicklung, Nachfolge und geistlichem Wachstum systematisch fördert und so den „geistlichen Grundwasserspiegel“ der Kirchen, Gemeinden und christlichen Werke steigen lässt. Aber auch als Mitarbeiter:innenbegleitung oder zum Zusammenbringen der Generationen werden Mentoring-Konzeptionen vermehrt genutzt. Dies hat in unseren Schulungen zu zwei oft gestellten Fragen geführt: 1. Wie baut man so eine Mentoring-Konzeption auf? Und 2. Wie können sich vor allem Mentorinnen und Mentoren langfristig weiterentwickeln? Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, diesen beiden Fragen nachzugehen, sie in der Praxis zu prüfen und anzuwenden und die Ergebnisse in zusätzlichen Kapiteln in die erweiterte Neuauflage aufzunehmen. Aber nicht nur in diesem strukturellen Bereich hat sich die vorliegende Auflage verändert: Wir haben uns in den letzten Monaten Zeit genommen, das ganze Buch sprachlich und inhaltlich zu aktualisieren und einige Kapitel zu überarbeiten bzw. sogar ganz neu zu schreiben, um Themen wie Glaubensentwicklung im Lebenslauf, Dekonstruktionsprozesse, Mental Health oder Verlernprozesse aufzunehmen und mit aktuellen Übungen und Tools praktisch anwendbar zu machen. Dazu gehören auch zwei Kapitel zu den herausfordernden Themen geistlicher Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt. Themen, die in den letzten Jahren vermehrt in der Diskussion waren und gerade in einem scheinbar sicheren Raum wie Mentoring unbedingt mitbedacht werden müssen. Wir danken dem Neukirchener Verlag, dass er dies möglich gemacht hat und das Buch weiter fördert.

Mentoring erlebt aber nicht nur im christlichen Kontext einen Aufschwung, sondern auch im säkularen Bereich. Vor allem das sogenannte Schüler:innen-Mentoring und Hochschul-Mentoring spielt eine wachsende Rolle und hilft Schüler:innen und Studierenden, sich in einer immer komplexeren Welt zurechtzufinden. Diese Erfahrung machen wir nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. So freuen wir uns besonders, dass das Buch mittlerweile in die portugiesische, chinesische und englische Sprache übersetzt wird. Es ist ein spannender Prozess, wie Mentoring in anderen Kulturen gelebt und angewandt wird.

Besonders danken wollen wir an dieser Stelle dem Christlichen Mentoring Netzwerk in Deutschland (cMn e. V.), das das Anliegen unseres Buchs in Form von Schulungsangeboten, Supervisionsgruppen für Mentoren, Vernetzung von Mentoring-Konzepten und natürlich dem Vermitteln von Mentoring-Paaren unterstützt und somit zum praktischen „Möglichmacher“ für viele wird.

Unser Dank gilt dem Neukirchener Verlag, unserem Lektor Hauke Burgarth und Joseph Okon.

Wir hoffen, dass dieses Buch Ihnen in Ihrem Anliegen von Mentoring ganz praktisch weiterhilft.

Ostern 2025, Tobias Faix & Anke Wiedekind

Was dieses Buch will und wie es zu gebrauchen ist

Mentoring, und dies ist uns gleich zu Beginn wichtig, ist kein Allheilmittel für das eigene geistliche Leben, Persönlichkeitsdefizite, gegen unbefriedigende Lebensentwicklungen und einen lahmenden Gemeindebau. Mentoring steht eher für eine nachhaltige Veränderung in Glauben und Leben und nimmt sich dementsprechend Zeit. Vor einer Weile bekam ich (Tobias) einen Brief von einem ehemaligen Mentee, in dem mir dies wieder deutlich wurde. Ich hatte schon seit einigen Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm und er war jetzt gerade fertig mit seinem Studium. Im Übergang zwischen Studium und Beruf nahm er sich ein paar Tage Auszeit, überdachte sein bisheriges Leben und schrieb mir in diesem Zusammenhang einen Brief. Darin dankte er mir für die Geduld und das Vertrauen, das ich gerade in der Teenagerzeit in ihn investiert hätte. Er hätte sich nie richtig bedankt und es sei ihm auch jetzt erst bewusst geworden, wie viel er unserer Mentoring-Beziehung zu verdanken habe. Er beschrieb dann einige Situationen, die ihn sehr geprägt, in seinem Selbstbewusstsein gestärkt und sein Gottesbild verändert hätten. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich an diese Einzelheiten nicht mehr erinnern konnte, mich aber über die späte Reaktion gefreut habe. Mir wurde dabei wieder neu klar, wie nachhaltig Mentoring wirkt, aber auch, dass diese Wirkung sich oftmals nicht sofort zeigt, sondern auf Jahre angelegt ist.

Mentoring ist eher wie Bäume pflanzen, dazu fällt uns die Geschichte von Jean Giono ein, Der Mann, der die Bäume pflanzte, die gut zum Thema passt. Darin erzählt Giono aus seiner Perspektive, wie er im Jahr 1910 (damals 22-jährig) allein eine Wanderung durch das karge Bergland der Provence unternahm. Auf der Suche nach Wasser, das ihm ausgegangen war, traf er per Zufall einen 55-jährigen Schafhirten. Dieser gab ihm zu trinken und ließ ihn in seiner Hütte übernachten. Neugierig geworden, was diesen Mann dazu bewegte, ein solch einsames Leben zu führen, blieb der junge Mann einige Tage bei ihm. Elzéard Bouffier, so der Name des Schäfers, hatte sich für ein Leben in der Einsamkeit entschieden, nachdem er Frau und Sohn verloren hatte. Als er erkannte, dass die ganze Gegend aus Mangel an Bäumen absterben würde, entschloss er sich, etwas dagegen zu unternehmen, und säte seitdem Bäume, indem er jeden Morgen, noch vor der Arbeit, 100 sorgsam ausgesuchte Eicheln einpflanzte. Dies tat der Schäfer Tag für Tag, bei Wind und Wetter und ohne darüber ein Wort zu verlieren. Seit drei Jahren machte er dies und hatte so schon 100.000 Eichen gepflanzt, 20.000 davon waren angewachsen und 10.000 überlebten, die zu einem Eichenwald wuchsen. Elzéard Bouffier war damals 55 Jahre alt. Nach dem Ersten Weltkrieg, zu dem der Erzähler eingezogen wurde, unternahm er wieder eine Wanderung in der Gegend und traf auch wieder auf den alten Schäfer, der seiner Tätigkeit des Bäumepflanzens weiterhin unbeirrt nachging. Mehrmals noch im Laufe der nächsten Jahre besuchte er Elzéard Bouffier und konnte das Wachstum des Waldes und die Veränderung der Landschaft deutlich erkennen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, 1947, besuchte Jean Giono Bouffier zum letzten Mal. Mittlerwiese hatte sich Erstaunliches getan: Die ganze Landschaft der Provence hatte sich verändert, Wälder waren entstanden, es gab wieder Wasser in den Brunnen und Menschen kehrten in die ehemals verlassenen Dörfer zurück. Über vier Jahrzehnte pflanzte Bouffier treu und unscheinbar „seine“ Bäume. Wir wünschen uns, dass Mentoring solch eine nachhaltige Entwicklung fördert und dieses Buch dazu beitragen kann.

Der Aufbau des Buchs

Das Buch besteht aus sechs Kapiteln, die wichtige Dimensionen einer Mentoring-Beziehung aufnehmen, vertiefen und in die eigene Praxis führen sollen. Dabei soll sich der Prozess einer Mentoring-Beziehung im Buch widerspiegeln und so wechseln sich theoretische Reflexionen, Praxiserfahrungen, Übungen und praktische Werkzeuge (die wir Tools nennen) in den einzelnen Kapiteln munter ab. Am Ende und manchmal auch zwischen den Kapiteln sammeln wir diese Tools, die dann in der Mentoring-Praxis helfen sollen, das zuvor Beschriebene umzusetzen. Dazwischen gibt es immer wieder Übungen, die das Gelesene reflektieren. Im Buch kann man die verschiedenen Abschnitte gut an ihren Symbolen erkennen. Neben Inhalt und theoretischen Reflexionen, die als Grundlage des Buchs dienen, finden Sie folgende Abschnitte:

Praxisbeispiele (aus unserer Erfahrung)

Tools (Werkzeuge für die Praxis)

Übungen (zur Vertiefung der Theorie)

Vertiefende und weiterführende Literatur (zum selbstständigen Weiterarbeiten)

Die verwendeten Namen in unseren Beispielen sind übrigens erfunden, Lena, Klaus und die übrigen heißen in Wirklichkeit anders, doch die beschriebenen Prozesse und Gespräche haben so stattgefunden.

Auf den ersten Seiten versuchen wir, unsere Vision und unsere Haltung zu Mentoring zu vermitteln, bevor wir systematisch wichtige Dimensionen einer Mentoring-Beziehung beschreiben. Im ersten Kapitel wird dann das Grundverständnis von Mentoring dargelegt, die Abgrenzung und Überschneidungen zu anderen Formen der Begleitung und die ersten Schritte in die Praxis getan. Dies geschieht bewusst so früh, damit die folgenden Kapitel auch als praktische Hilfe und Begleitung für eine Mentoring-Beziehung gesehen werden können. Im zweiten Kapitel wird der Aufbau und die Durchführung einer Mentoring-Beziehung erläutert und praktisch beschrieben, bevor es im nächsten Kapitel um die biblische Reflexion des Themas geht. Dabei liegen die Schwerpunkte auf Jesus und Paulus, die Mentoring auf jeweils unterschiedliche Weise praktiziert haben. Im darauffolgenden Kapitel geht es um Fragen der Macht im Kontext von Mentoring-Beziehungen, aber auch darum, die eigenen Ressourcen und Möglichkeiten zu entdecken und einzuüben. Im fünften Kapitel steht das zentrale Element der Kommunikation innerhalb der Mentoring-Beziehung im Mittelpunkt, bevor es dann darum geht, die eigene Persönlichkeit zu entdecken. Im abschließenden Kapitel werden die bisherigen Erkenntnisse in den Kontext der Gemeinde gesetzt und die Frage gestellt, wie eine Mentoring-Kultur den Gemeindeaufbau fördern und Mitarbeiter:innenbegleitung und Leiter:innenausbildung in nachhaltigen Strukturen formen kann.

Mentoring lebt durch den Vollzug und so hoffen wir, dass dieses Buch wieder den Weg zurück in die Praxis findet. Dabei soll es ein guter Leitfaden sein, auch wenn es natürlich nicht alle Fragen abdecken kann.

Wir würden uns wünschen, dass das Buch nicht nur wertvolle Impulse und Hilfen für eine Mentoring-Beziehung gibt, sondern ermutigt, diese Beziehung einzugehen und positive Erfahrungen zu machen, als Mentor:in und als ­Mentee.

Tobias Faix & Anke Wiedekind

1.

Mentoring verstehen

Der Mensch macht gewöhnlich drei Reifestufen durch. Zuerst lernt er die richtigen Antworten. Im zweiten Stadium lernt er die richtigen Fragen, und auf der dritten und letzten Stufe lernt er, welche Fragen sich überhaupt lohnen.Blaise Pascal

Stell dich darauf ein, dass du tiefe Erkenntnisseüber dich selbst gewinnen kannst, das ist eine wichtige Grundvoraussetzung für die Arbeit als Mentor:in.Sarah D.

Erste Annäherung: Mentoring zwischen Handwerk & Kunst

Wenn wir in diesem Buch von Mentoring und Mentoring-Prozessen sprechen, dann liegt diesen Begriffen natürlich ein gewisses Verständnis zugrunde, welches wir im ersten Kapitel darlegen wollen. Dabei wird zu Beginn des Buchs ein kurzer Überblick über verschiedene Themen gegeben, die später ausführlich behandelt werden.

Entwicklung einer Mentoring-Kultur

Mentoring ist keine „technische“ Angelegenheit, nichts, was nach einer bestimmten Methodik abgearbeitet werden kann. Stattdessen bildet Mentoring einen Schutzraum, den viele Menschen in einer immer pluralistischeren, komplexer werdenden Welt suchen, in der Orientierung immer schwerer fällt. Es beschreibt ein Stück Begleitung auf dem eigenen Lebensweg. Bei Mentoring geht es um einen Prozess, in dem zwar verschiedene Methoden und Techniken ihren Platz haben und zur Anwendung kommen, diese aber sind Mittel zum Zweck. In diesem Beziehungsprozess entwickeln sich verschiedene Phasen, in denen die / der Mentee in Persönlichkeit und Glauben gefördert und in den eigenen Gaben und Fähigkeiten freigesetzt wird. So sagt der Mentoring-Experte Christoph Röckelein zu Recht: „Ein aufrichtiges Interesse am anderen, eine ressourcen- und lösungsorientierte Haltung, die Bereitschaft, mehrperspektivisch zu reflektieren, Methoden, Tools und Techniken so einzusetzen, dass es für den anderen transparent ist und für den Kontext passt – diesen Haltungen hat sich jede Methodik unterzuordnen.“ (Coaching-Magazin 2/2010)

Mentoring ist keine „technische“ Angelegenheit, nichts, was nach einer bestimmten Methodik ­abgearbeitet werden kann.

Mentoring: Eher Vitamin als Aspirin

Deshalb hat Mentoring zuallererst einen förderungsorientierten Ansatz, es soll die / den Mentee stärken und Wachstum da fördern, wo er oder sie es im Moment am meisten benötigt. Lösungsorientiertes Arbeiten, in dem die Stärken gestärkt und Herausforderungen angenommen werden, steht dabei im Fokus.

Welcher Bereich soll gefördert (gefordert) werden? Wie wollen wir unsere gemeinsamen Ziele erreichen? (Wachstum)Welche Themen betrachten wir? Wo braucht es eine besondere Aufmerksamkeit? (Begleitung)Wie kann die Förderung bzw. das Gefordertwerden praktisch im Alltag umgesetzt werden? (Praxisanteile)

Diese Fragen helfen, die Entwicklung des / der Mentee ganzheitlich zu fördern. Man knüpft an die vorhandenen Eigenschaften und Begabungen an, um Veränderungen in den Deutungs- und Handlungsmustern zu erreichen. Prozesse, die darauf abzielen, das Vorhandene positiv weiterzuentwickeln, werden gemeinsam eingeleitet. Dabei sind drei Grundfragen in Bezug auf die Deutungs- und Handlungsmusterveränderung wichtig:

Prozesse, die darauf abzielen, das Vorhandene positiv weiterzuentwickeln, werden gemeinsam eingeleitet.

Was ist zu beenden? (Die Frage nach der Ablösung von Mustern)

Was ist fortzusetzen? (Die Frage nach der Weiterentwicklung von ­Mustern)Was ist zu beginnen? (Die Frage nach der Neuentwicklung von Mustern)

Die Mentor:innen nehmen in diesem Prozess nur die Rolle der Begleitenden ein, welche durch Fragen den Mentees helfen, eigene Entscheidungen zu treffen, und niemals Entscheidungen für sie übernehmen. Grundlage eines jeden Mentoring-Prozesses ist es, die Selbstverantwortung des / der Mentee zu ­stärken.

Grundlage eines jeden Mentoring-Prozesses ist es, die Selbstverantwortung des / der Mentee zu ­stärken.

Mentoring mit System

Gleichzeitig steht ein:e Mentee nicht isoliert da, sondern wird maßgeblich geprägt durchs Umfeld: Menschen, die ihn oder sie umgeben, die Firma, in der er oder sie arbeitet, die Familie, in der er oder sie lebt, die Gemeinde, die er oder sie besucht. Diese Gruppen oder Systeme leben von charakteristischen Kommunikationsmustern und Rollenzuschreibungen und damit in letzter Konsequenz auch charakteristischen Verhaltensweisen, die in einem Kontext auftreten, im anderen aber nicht.

Mentoring begleitet und fördert Mentees auch mit Blick auf die Systeme, in denen sie leben, und hilft ihnen, zu verstehen und ggf. auch zu verändern:

welche Funktion sie jeweils innehaben (im Freundeskreis, der Familie, der Gemeinde …),welche Rolle sie spielen,welche Rituale, Regeln und Strukturen vorherrschen,welche Kommunikations- und Interaktionsformen sich ergeben undwo und aus welchen Gründen sich Konflikte ergeben und wie sie zu­ ­lösen sind.

Die Besonderheit des systemischen Blicks besteht darin, dass die Persönlichkeit eines Menschen sehr stark aus den Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung hergeleitet wird. Verhalten ist sowohl eine Reaktion auf ein Verhalten einer anderen Person als auch Ursache von neuen Verhaltensweisen. Und genau darin liegt die Chance auf Veränderung: Mit einer neuen Verhaltensweise einer Person beginnt das System automatisch, sich zu verändern.

Mentoring braucht einen Rahmen

In diesem Buch wird immer wieder von Prozessen und Dynamiken gesprochen werden, die den Sinn und besonderen Wert einer Mentoring-Beziehung ausmachen. Damit dieser wertvolle Inhalt aber den Freiraum hat, den er zur Entfaltung braucht, sind einige Rahmenbedingungen hilfreich, die die Mentoring-Beziehung stützen und stärken, sodass man sich auf die Inhalte konzentrieren kann. So hat es sich in vielfacher Weise bewährt, einen gemeinsamen freiwilligen Rahmen zu vereinbaren, der beispielsweise einen regelmäßigen Zeitpunkt zum Treffen vorsieht. Dies erspart die Sucherei nach einem neuen Termin. Dieser organisatorische Rahmen klärt auch die Frage nach dem Rhythmus der Mentoring-Beziehung: Wie oft treffen wir uns? Dabei gibt es keine Regel, sondern jede Mentoring-Beziehung muss nach ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen entscheiden, wie sie den zeitlichen Rahmen setzt. Außerdem ist es hilfreich, sich auf gemeinsame Werte und Ziele zu verständigen, auf die aufgebaut werden kann, wie beispielsweise Glaubensbasis, Vertrauen, Verschwiegenheit etc. Für die innere Sicherheit ist ein mündlicher „Mentoring(jahres)vertrag“ nützlich. Eine Mentoring-Beziehung braucht darüber hinaus immer wieder Impulse und Hilfestellungen in Form von Tools (Werkzeugen), damit der Prozess in Gang bleibt. Dabei können Mentor:in und Mentee auf bewährte Tools zurückgreifen und müssen das Rad nicht neu erfinden.

Methodenkompetenz ist dabei unumgänglich, aber sie darf nicht in einen „Methodenfetischismus“ ausarten, in dem Mentor:innen denken, dass es für alles ein Tool gibt oder mit dem Einsatz des Tools schon die Lösung kommen wird.

Warum Tools wichtig sind, aber nicht ausreichen

In diesem Buch finden Sie eine Menge an bewährten Tools (Werkzeugen), die in den eigenen Mentoring-Prozess eingebaut werden können. Diese Tools sind großartige Impulsgeber und Hilfen, um Prozesse zu fördern oder Unbewusstes zutage zu fördern. Dabei geht es nie um das Tool an sich, sondern immer um die Person und das zu bearbeitende Thema. Das Tool ist eine Brücke, über die Mentor:in und Mentee gemeinsam gehen können, um ihr Ziel zu erreichen. Methodenkompetenz ist dabei unumgänglich, aber sie darf nicht in einen „Methodenfetischismus“ ausarten, in dem Mentor:innen denken, dass es für alles ein Tool gibt oder mit dem Einsatz des Tools schon die Lösung kommen wird. Neben allen handwerklichen Fähigkeiten, die durch diese Lektüre oder Mentoring-Ausbildungen erlernt werden können, sind beim Mentoring auch Soft Skills wie Intuition, Empathie und Erfahrung gefragt. Gute Kontakt- und Wahrnehmungsfähigkeit ist bei allen Mentoring-Prozessen von großer Wichtigkeit. Was früher fast spöttisch als „6. Sinn“ in „ernsthaften“ Mentoring-Beziehungen gemieden wurde, ist heute längst wissenschaftlich belegt und gefordert. Matthias Blenke nennt vier wichtige Elemente, auf die ein Mentor bei sich selbst hören sollte (Coaching-Magazin 1/2010):

Die inneren Bilder: Welche inneren Bilder habe ich während des Gesprächs? Was denke ich, was der / die Mentee als Nächstes tun wird?Das Bauchgefühl: Welches Klima herrscht heute? Wirkt der / die Mentee angespannt? Was für eine Atmosphäre liegt im Raum? Was für ein Gefühl habe ich im „Bauch“? Wie reagiere ich (körperlich) in verschiedenen Situationen während des Gesprächs?Das intuitive Wissen: Welche Impulse empfange ich während eines Gesprächs? Werden mir plötzlich Zusammenhänge klar, die ich vorher nicht gesehen habe? Nehme ich eine „innere Sicherheit“ zu einem Thema wahr?Der innere Dialog: Welche Fragen kommen mir beim Gespräch mit der / dem Mentee? Welche Antworten gebe ich auf diese Fragen ganz automatisch? Welche Argumente fallen mir ein?

Diese „inneren Stimmen“ hat jeder Mensch, und ihre Wahrnehmung kann trainiert werden, indem man zum Beispiel nach dem Gespräch versucht, sie schriftlich zu fixieren, und nach einigen Sitzungen immer wieder kontrolliert, was davon gestimmt hat und was nicht. Diese Intuition und innere Wahrnehmungsfähigkeit wächst mit der Erfahrung automatisch und stellt eine wichtige Stütze im Mentoring-Prozess dar.

Mentoring im Kontext der Gemeinde

In den letzten Jahren gab es eine vermehrte Aufmerksamkeit zum Thema Leiter:innenschaft und Mitarbeiter:innenförderung in der Gemeinde, was vieles positiv in Bewegung gesetzt hat. Trotzdem klagen viele Gemeinden über Mitarbeiter:innenmangel und fehlende junge Leiterinnen und Leiter, die Verantwortung übernehmen. Dafür gibt es sicher eine Vielzahl von Gründen. Einer, der immer wieder genannt wird, ist die Unsicherheit der neuen Generation, mit Verbindlichkeit umzugehen. Darüber können wir in unseren Gemeinden lamentieren und klagen, wir können aber auch konkret etwas dagegen tun. Eine Möglichkeit, die in den letzten Jahren in immer mehr Gemeinden Fuß fasst und sich unabhängig vom Gemeindeverständnis und der Gemeindeform bewährt hat, ist Mentoring. Was in Wirtschaft, Studium und Politik schon seit geraumer Zeit zur Förderung von Jungunternehmer:innen, Studierenden und Politiker:innen eingesetzt wird, nutzen jetzt vermehrt Gemeinden. Mentoring ist ein explizit biblisches Prinzip, das sich durch die ganze Bibel und Kirchengeschichte zieht und in den letzten Jahrzehnten etwas in Vergessenheit geraten ist. Mit den gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre und einer neuen Jugendgeneration wird es wiederentdeckt. Viele junge Menschen sehnen sich nach Begleitung und Halt in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft und suchen Unterstützung in ihrer geistlichen Entwicklung. Bei einer Umfrage von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Gemeinden und Kirchen gaben 78,2 Prozent der Befragten an, unzufrieden mit ihrem Glauben zu sein, und über 50 Prozent hatten keine feste Zeit und keinen festen Ort für ihre „Zeit mit Gott“. Es herrscht also eine große Unsicherheit, gerade auf geistlichem Gebiet, und dies, obwohl über zwei Drittel der Antwortenden regelmäßig in den Gottesdienst gehen. Dabei wünschen sich die meisten mehr von Gott und würden sich gerne helfen lassen (Quelle: www.institut-empirica.de). Viele Christ:innen und Gemeinden stehen diesen Wünschen aber unsicher gegenüber. Mentoring kann hier eine Hilfe und ein Gefäß sein, um auf diese Unsicherheiten zu reagieren, junge Christ:innen zu fördern und die Generationen in der Gemeinde neu zusammenzubringen.

Viele junge Menschen sehnen sich nach Begleitung und Halt in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft und suchen Unterstützung in ihrer geistlichen Entwicklung.

Geistliches Wachstum durch Nachahmung

Gelebter Glaube spricht lauter als all unser Wissen.

Gelebter Glaube spricht lauter als all unser Wissen. Nachahmung ist dabei ein einfaches, fast unsichtbares Prinzip, das bei der Kindererziehung als selbstverständlich angesehen wird, aber im geistlichen Leben viel zu wenig Beachtung findet. Es findet natürlich (im wahrsten Sinn des Wortes) statt, aber oftmals unreflektiert und auch ungewollt. Als das neunte Wort unserer Tochter „Scheiße“ war, haben meine Frau und ich unseren Wortschatz schnell umgestellt. Nicht, dass wir es sie gelehrt hätten, nein, sie hat es sich einfach abgeschaut. So geschieht es auch im Glauben. In einer Mentoring-Beziehung mit einem jungen Mann, der frisch zum Glauben fand, ist mir das sehr deutlich geworden. Wir trafen uns regelmäßig einmal die Woche und haben das Johannesevangelium gelesen, darüber geredet, Dinge gemeinsam umgesetzt und gebetet. Nach ein paar Wochen sprach er mich etwas unsicher an und fragte mich, warum wir vor dem Gebet die Brille abnehmen und uns mit der Hand übers Gesicht fahren würden. Er mache dies gerne, das stehe außer Frage, aber er wollte einfach mal nach dem Hintergrund dieser Tradition fragen. Ich blickte ihn voller Erstaunen und Verwunderung an und brauchte ein paar Minuten, um zu begreifen, dass er sich mein unbewusstes Gebetsritual abgeschaut und einfach übernommen hatte. Nachahmung ist ein kraftvolles Prinzip, welches reflektiert und in einem guten Rahmen Glauben fördern kann. Im Schutzraum Mentoring kann sich der eigene Glaube langsam entwickeln, können Fragen gestellt, Zweifel zugegeben und miteinander Wegstrecken zurückgelegt werden. Es geht dabei nicht um möglichst hohe Effektivität, sondern um natürliche Entwicklung und Reife im Glauben. Ja, reifen wie eine Frucht, der man zwar beim Wachsen zusehen kann, die aber scheinbar keine Fortschritte erkennen lässt. Dennoch wächst die Frucht und wird jeden Tag reifer. Mentoring ist nichts für den schnellen Erfolg, sondern für eine nachhaltige Veränderung. Für diese Veränderungen sollen die eigenen, vorhandenen Ressourcen neu entdeckt und eingesetzt werden.

Im Schutzraum Mentoring kann sich der eigene Glaube langsam entwickeln, können Fragen gestellt, Zweifel zugegeben und miteinander Wegstrecken zurückgelegt werden.

Mentoring ist kein Allheilmittel

Mentoring kann leider nicht allen Herausforderungen begegnen und schon gar nicht schnell. Mentoring ist immer eine langfristige Investition. Wer schnellen Erfolg möchte, sollte nicht auf die „Karte“ Mentoring setzen. Deshalb sollten Sie sich bewusst für Mentoring entscheiden. Viele Christinnen und Christen, gerade in Leitungsebenen der Gemeinden, finden Mentoring sehr gut und loben es über allen Maßen. Leider haben sie selbst kaum Zeit, es zu praktizieren. Und hier scheint ein Schlüssel im Verständnis von Mentoring zu liegen und vielleicht auch die größte Schwierigkeit: Mentoring braucht Zeit! Wenn ich nicht bereit bin, regelmäßig Zeit in Menschen zu investieren, wird es sehr schwer werden, etwas zu verändern. Dabei muss Mentoring nicht jede Woche stattfinden, vielleicht reicht ein regelmäßiges Treffen im Monat für einen guten Start. Wichtig dabei ist die Verbindlichkeit von beiden Partner:innen, damit ein Vertrauensverhältnis wachsen kann, das auch durch Krisenzeiten hindurch hilft. Einer anderen Gefahr unterliegen besonders die Mentor:innen, indem sie zu viel Verantwortung auf sich nehmen. Eine Mentorin oder ein Mentor entscheiden nicht für die Mentees und sind auch nicht für deren (geistliches) Leben verantwortlich, sondern sind begleitende Personen. Die Amerikaner Anderson und Reece bringen dies in vier gefährlichen Fallen für geistliche Mentor:innen pointiert auf den Punkt:

Mentoring ist immer eine langfristige Investition.

Der Messias-Komplex: Ich halte es für meine Aufgabe, dich zu retten oder von den Kämpfen und Schmerzen deines Lebens zu befreien.Die Problemlösungs-Mentalität: Ich halte es für meine Rolle, dir zu sagen, was die richtigen Antworten sind, oder dir einen Ausweg zu zeigen.Das Macher:innen-Syndrom: Ich halte es für meine Rolle, dich zu einem vorgegebenen Gebilde oder Produkt zu formen.Der Weisheitsspender:innen-Dünkel: Ich glaube, dass ich jedes Mal, wenn ich auf meine:n Mentee treffe, auf Verlangen Weisheiten von mir geben muss, denn ich bin eine Quelle der Weisheit und Wahrheit.

Deshalb ist Mentoring sowohl im Einzelfall als auch im Kontext der Gemeinde immer eine leise Revolution, die keine Bühne braucht, sondern im Hintergrund an einer stabilen Förderung von ganzheitlichem Glauben und stabilen Persönlichkeiten arbeitet.

Mentoring, die leise Revolution

Mentoring ist ein nachhaltiges Prinzip der Förderung und kein starres Konzept. Es kann sowohl als Einzel-Mentoring, als Gruppen-Mentoring oder als Grundlage für eine ganze Mitarbeiter:innenbegleitung in der Gemeindestruktur angewandt werden. Die Flexibilität von Mentoring in den einzelnen Beziehungen fördert die Stärken der Einzelnen und somit der ganzen Gruppe und legt eine gesunde und stabile Grundlage für eine selbstständige Gottesbeziehung und eine eigenständige Persönlichkeit. Deshalb ist Mentoring sowohl im Einzelfall als auch im Kontext der Gemeinde immer eine leise Revolution, die keine Bühne braucht, sondern im Hintergrund an einer stabilen Förderung von ganzheitlichem Glauben und stabilen Persönlichkeiten arbeitet. Ebenso kann Mentoring als Netzwerk für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine geistliche und strukturelle Grundlage sein. Als Pastor:innen haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht und festgestellt, dass die Investitionen in einzelne Menschen zwar eine Überwindung sind, sich aber langfristig mehr als auszahlen. Das erleben wir auch immer wieder im eigenen Leben. Der Aufbau einer Mentoring-Arbeit im Kontext der Gemeinde ist ein Prozess, der sich über mehrere Jahre erstreckt und unterschiedliche Ebenen umfasst. Wer auf Mentoring setzt, muss die „Kultur“ begreifen und die Flexibilität verstehen, die Mentoring sowohl in der inhaltlichen Gestaltung als auch in der methodischen Vielfalt widerspiegeln. Dann wird man merken, dass langsam ein Rädchen ins andere greift und die leise Revolution beginnt.

Wer auf Mentoring setzt, muss die „Kultur“ begreifen und die Flexibilität verstehen, die Mentoring sowohl in der inhaltlichen Gestaltung als auch in der methodischen Vielfalt widerspiegeln.

Grundannahmen im Mentoring

Das Prinzip des Mentorings gab es schon sehr früh in der Menschheit, sowohl in der griechischen Mythologie als auch in der Bibel. Dabei kann eine Mentoring-Beziehung an sich unbewusst ablaufen und erst im Nachhinein als solche erkannt oder ganz bewusst eingegangen werden, um sich in verschiedenen Prozessen weiterzuentwickeln.

Kurze Geschichte des Mentorings

Der Begriff Mentoring kommt eigentlich aus der griechischen Mythologie. Odysseus war auf dem Weg in den Krieg nach Troja und vertraute seinen Sohn Telemachos zu Hause seinem Freund Mentor mit den Worten an: „Erzähle ihm alles, was du weißt!“ Mentor sollte für Telemachos der Begleiter, Führer, Berater und Erzieher sein. Oft wurde danach dieses Prinzip genutzt, der Name „Mentoring“ hat sich aber erst im 17. Jahrhundert in Pädagogik und Literatur durchgesetzt. Beispielhaft kann dies am Buch Les Aventures de Télémaque gezeigt werden, das der französische Schriftsteller und Erzieher des Enkels von Ludwig XIV., Fénélon, für seinen Schützling, den Duc de Bourgogne, schrieb. Mentor ist dort die Figur des Lehrers, der als Vorbild für die persönliche Entwicklung und die Bildung des Königssohns verantwortlich ist. Seit dieser Zeit hat sich der Begriff Mentoring durchgesetzt und beschreibt die Beziehung einer erfahrenen, meist älteren Person zu einer jüngeren, die in ihrem ganzheitlichen Lebensentwurf unterstützt wird. Eine erste Hochzeit des Mentorings gab es zu Beginn der Frauenbewegung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Zwar war es Frauen offiziell erlaubt, zu studieren und zu lehren, aber um eine universitäre Laufbahn anzustreben, brauchte man einen Mentor, der einem half, sich in der männlich dominierten Universitätswelt durchzusetzen. Durch die Weltkriege und den Wiederaufbau verschwand das Mentoring-Prinzip von der Oberfläche und tauchte dort erst in den 1970er Jahren auf, und zwar zuerst verstärkt in Amerika.

Der Begriff Mentoring kommt eigentlich aus der griechischen Mythologie.

Mentoring-Boom in den 1970er Jahren

Wie so oft wurde Mentoring zuerst von amerikanischen Großkonzernen wiederentdeckt. Mentoring hat sich in der westlichen Wirtschaft und teilweise in der Politik durchgesetzt, wobei Frauen einen natürlicheren Zugang zum Mentoring haben. So hieß es im renommierten Harvard Business Review im Jahr 1979: „Everyone who makes it has a mentor.“ Und Mentoring boomte auf dem amerikanischen Wirtschaftsmarkt. So war es nicht verwunderlich, dass in den USA Mitte der 70er Jahre fast alle großen Unternehmen die zentrale Rolle des Mentorings in der Laufbahnentwicklung von Nachwuchskräften wiederentdeckten. Einer der Väter dieser Entdeckung war der Unternehmer Max von Dach. Er beeinflusste mehrere Generationen von Manager:innen auf dem Gebiet des Mentorings. Der wachsende Erfolg einiger Unternehmen in diesem Bereich der Managementförderung führte dazu, dass immer mehr große Unternehmen ihre Manager im Bereich der Personalentwicklung in ein Mentorenprogramm eingebunden hatten. In den 90er Jahren wurde dieses Prinzip, das vor allem junge Manager:innen förderte, auch in Deutschland immer populärer, es ist mittlerweile immer öfter Bestandteil der Ausbildung. Inzwischen gibt es an fast jeder Hochschule Mentoring-Programme für die Studierenden, die in verschiedenen Foren vernetzt werden, wie zum Beispiel unter Forum Mentoring: bundesweite Dachorganisation für Mentoring-Programme an Hochschulen (www.forum-mentoring.de).

Sicher ist, dass man einiges von den Erfahrungen und den Konzepten aus der Wirtschaft, der Bildung und dem Managementbereich lernen kann. Aber es wäre zu einfach, kurzerhand alles zu übernehmen und besonders auf Mentoring im geistlichen Bereich zu übertragen, da die Zielsetzung zum Teil eine andere ist.

Warum ist Mentoring zurzeit so gefragt?

Ausbildung und Bildung fanden in den letzten Jahrzehnten vor allem in Schulen, Universitäten und Lehrbetrieben statt. Dabei lag der Schwerpunkt vor allem auf der Wissensvermittlung. Die vermittelnde Person dieses Wissens steht dabei eher im Hintergrund, das Wissen ist weitgehend losgelöst von der zu vermittelnden Form. Der Grund dafür liegt vor allem in der Distanz zwischen Vermittler:in und Zuhörer:in. Es besteht keine persönliche Ebene, auf der eine eigene Meinung und Persönlichkeit vermittelt werden kann. So gibt es zwischen Vermittler:in und Lernenden eine sehr große Lücke. Dazu kommt, dass in jeder Ausbildung sehr viel über das Medium Buch oder Computer (Internet) gelernt wird, was für die Wissensvermittlung von Vorteil, aber der Persönlichkeitsentwicklung nicht gerade förderlich ist. In vielen Jahrhunderten vorher war dies anders; Meister und Lehrer hatten ihre Schüler (vor allem Männer), die mit ihnen umherzogen und von ihnen lernten. Dabei ging es nicht nur um Wissen, sondern auch um die Umsetzung dieses Wissens in der Praxis und um eine eigene Persönlichkeitsentwicklung des Lernenden. Momentan kommt dazu, dass sich unser Bildungssystem völlig verändern wird und sich der neuen Ökonomie anpassen muss. Künstliche Intelligenz wird uns alles Wissen dieser Welt sekundenschnell beibringen, aber hilft uns nicht bei Charakterentwicklung und Persönlichkeitsprägung. Durch das ständige Weiterbilden und die rasante Entwicklung von Wissen auf fast allen Gebieten spricht man heute von „lernenden Lehrer:innen“. Lehrer:innen werden Schüler:innen ausbilden und selbst von den Schüler:innen lernen. Die Zeit des Frontalunterrichts wird der Vergangenheit angehören, und Schüler:innen müssen lernen, ihren eigenen Lernprozess voranzutreiben, wobei die Lehrkraft mehr die Aufgabe einer Geburtshelferin oder eines Geburtshelfers innehat. In Zeiten von KI (wie bspw. ChatGPT) ist fast jedes Wissen in kurzer Zeit verfügbar, aber es zu reflektieren, zu prüfen und anzuwenden wird eine wichtige Kompetenz der Zukunft sein. Das Ziel wird sein, dass die Klassen kleiner werden und die Lehrenden sich intensiver und umfassender um wenige Schüler:innen kümmern. Eine Art Mentoring im Kleingruppenbereich. Es wird sich zeigen, ob so etwas finanziell umsetzbar ist, oder ob es, wie momentan, nur einer kleinen Elite zur Verfügung steht. Mentoring wird aber im Bildungssystem eine immer größere Bedeutung bekommen (so sind große Konzerne immer öfter bereit, in ein Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Studium mit Mentor:innen zu investieren). Diese Entwicklungen haben sich in allen Bereichen unseres Lebens durchgezogen und unser Denken, Handeln und Sein verändert. Das industrielle Zeitalter ist vorbei und wir stehen im Zeitalter der Wissensökonomie. Eine Studie zeigt, wie sich die Arbeitssituation der westlichen Welt verändert hat. Haben im Jahr 1900 noch 83 Prozent der Bevölkerung körperlich gearbeitet, sind es 1994 nur noch 38 Prozent und die Tendenz ist stark sinkend. Die Computerbranche und das Management beherrschen den Arbeitsmarkt der Gegenwart und bestimmen unser gegenwärtiges Handeln. Die Kompetenz, Wissen anzuwenden, ist heute wichtiger als alles andere. Vorbei sind die Zeiten, in denen man nach der Ausbildung oder dem Studium aufgehört hat zu lernen. In Zukunft wird man bis zum Ende seiner Arbeitsfähigkeit ständig dazulernen müssen. Flexibilität, Kreativität, Individualismus, Bildung und Kommunikation heißen die neuen Zauberworte, die sich durch unser Leben ziehen, und zwar in allen Lebensbereichen: in der Arbeitswelt (Bildungs-Sponsoring), im Familienleben (Netzwerkfamilie) oder in der Freizeitgestaltung (Erlebnisgesellschaft). Das Leben wird immer komplexere Züge annehmen, und es fällt uns immer schwerer, uns darauf einzustellen. Und die nächste Herausforderung wartet schon vor der bisher verschlossenen Tür wie die Frage nach Mensch-Maschine-Interaktionen.

Das industrielle Zeitalter ist vorbei und wir stehen im Zeitalter der Wissensökonomie.

Aber nicht nur die Arbeitswelt verändert sich, sondern auch die Intelligenz (emotionale Intelligenz), die Glaubensformen (Pluralität des Glaubens), unser Bewusstsein (Open Mind) und vieles mehr. Wer hilft uns, mit dieser veränderten Lebenssituation umzugehen? Wie können wir uns darauf einstellen? Deshalb spielt gerade in den boomenden, zukunftsweisenden Berufszweigen wie EDV, Consulting, Bildung und im Managementbereich Mentoring zunehmend eine große Rolle. Hier hat man erkannt, dass es nicht mehr reicht, eine gute Wissensbasis zu vermitteln, sondern dass Werte wie Flexibilität, Kreativität, Erfahrung und Führungskompetenz für die Zukunft der Unternehmen lebensnotwendig sind. Aber diese Werte sind nur schlecht aus dem Lehrbuch zu vermitteln, also setzt man wieder auf eine alte Methode der Wertevermittlung und Persönlichkeitsprägung: Mentoring. Laut einer amerikanischen Umfrage wissen über 75 Prozent der befragten Betriebe über Mentoring Bescheid und über 40 Prozent praktizieren es schon. Dabei haben 94 Prozent der Befragten positive Erfahrungen damit gemacht (Quelle: Christopher Rauen, Coaching, Verlag für Angewandte Psychologie).

Künstliche Intelligenz wird uns alles Wissen dieser Welt sekundenschnell beibringen, aber hilft uns nicht bei Charakterentwicklung und Persönlichkeitsprägung.

Mentoring ist besonders für junge Menschen attraktiv

Besondere Aufmerksamkeit muss man dabei auf junge Menschen richten. Sie sind die Vorreiter:innen des gesellschaftlichen Umbruchs und zugleich Spiegelbild einer sich immer schneller verändernden Lebenswelt für die ganze Gesellschaft. In der Jugendkultur spiegelt sich sozusagen prophetisch unsere Gesellschaft wider. Jugendliche sehen sich selbst in einer Maschinerie, aus der es zum Teil kaum ein Entrinnen mehr gibt. Es ist nicht nur so, dass die Wahlmöglichkeiten fast unbegrenzt sind, viele Wahlmöglichkeiten sind auf dem zweiten Blick gar nicht so attraktiv, wie dies von der Öffentlichkeit proklamiert wird. Dies zeigt das Beispiel Arbeitsplatz. Den Jugendlichen wird suggeriert, dass ihnen alle Arbeitsplätze offenstehen, dies ist aber nicht so. Die Einstellung erfolgt immer noch nach sozialer Herkunft, Leistungsnachweis und Bildungsstand. Dazu kommen die Zukunftsperspektiven, die manche Arbeitsplätze haben oder auch nicht. Diese Kriterien engen die Wahlmöglichkeiten bis auf ein Minimum ein.

„Aber“ und „Problem“ sind die Keywords der Alltagskultur vieler Jugendlicher geworden., die in einer Zeit der inneren Unsicherheit, multiplen Krisen und Spannung aufwachsen. Auf der einen Seite gab es noch nie so viele Möglichkeiten, sich zu entwickeln; noch nie hatten Jugendliche so viel Geld zur Verfügung; noch nie waren sie so gut informiert wie heute. Auf der anderen Seite hat die Sache ein „Aber“ einen „Haken“, einen „Zeigefinger“, der sagt: Entwickle deine Begabungen, aber denke an den Arbeitsplatz. Konsumiere, aber denke an die Umwelt. Lebe deine Sexualität, aber denke an die Konsequenzen. Tu, was du willst, aber denk daran! Gerade in dieser unsicheren Zeit, in der Wertewandel und Orientierungsherausforderungen auf der Tagesordnung junger Menschen stehen, suchen diese nach erfahreneren Vorbildern, die sie ein Stück auf ihrem Lebensweg begleiten. An denen sie sich orientieren können, ohne dass diese ihnen vorschreiben, was sie tun sollen. Mentor:innen sind wie Reisebegleiter:innen auf ihrem Lebensweg.

„Aber“ und „Problem“ sind die Keywords der Alltagskultur vieler Jugendlicher geworden.

Mentoring verstehen und gestalten

Es gibt eine Vielzahl von Definitionen von Mentoring und eine noch größere Zahl von verschiedenen Bezeichnungen für das, was damit gemeint ist, aber ein Grundsatz bleibt gleich: Eine Person gibt ihre Erfahrung an eine andere weiter. Im Folgenden sollen einige gängige Modelle und Methoden angerissen und ihre Schwerpunkte herausgestellt werden.

Ein Grundsatz bleibt gleich: Eine Person gibt ihre Erfahrung an eine andere weiter.

Vernetzung und Abgrenzung von Mentoring

Coaching: Kennt man eigentlich aus dem Sport. Eine Person mit speziellem Fachwissen gibt dies an andere Personen weiter, z. B. im Fußball, beim Tennis etc. In der Wirtschaft ist Coaching in den letzten Jahren sprunghaft in Mode gekommen. Fast jede größere und erfolgreiche Firma lässt ihre Manager:innen in Coaching trainieren und die Erfolge sind verblüffend. Es herrscht kein Konkurrenzkampf auf dem Weg nach oben, man fördert sich gegenseitig und holt somit das Maximale für das Unternehmen heraus. Ein Coach muss Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Integrität, Unvoreingenommenheit haben und die Menschen um sich herum motivieren können. Er muss Verantwortung wahrnehmen und sie abgeben können. Im christlichen Bereich wird Coaching vor allem zur Förderung junger Leiter:innen genutzt.Seelsorge: Hat eine geistliche Ausrichtung und wird oftmals als „Nothilfe“ für jemanden verstanden, der mit einem Problem aus seinem Leben nicht zurechtkommt. Aber auch bei regelmäßigen, nicht akuten Treffen mit der seelsorgenden Person geht es meist um den Umgang mit Problemen. Im neueren Verständnis wird Seelsorge zunehmend auch begleitend und ganzheitlich gesehen, sodass es zu Überschneidungen und Ergänzungen mit Mentoring kommen kann.(Systemische) Berater:in: In den letzten Jahren ist der Beruf der Berater:innen entstanden. Unsere komplexe Welt, unsichere Persönlichkeiten und die zunehmende Frage nach der eigenen Optimierung haben dies gefördert. Die Idee ist in einem professionellen Kontext die Einordnung und Förderung persönlicher Ziele und Herausforderungen in beruflichen und persönlichen Kontexten wie bspw. Mental Health.Erzieher:in: Wird sofort mit Eltern oder Erzieher:innen in Verbindung gebracht und hat immer etwas mit einer verpflichtenden Autorität zu tun, die im Zweifelsfall ihre Meinung mit Sanktionen durchsetzen kann.Lehrer:in: Beim Lehren geht es vor allem um theoretisch vermitteltes Wissen, das eine Person anderen lehrt, und die Motivation, dieses Wissen anzuwenden.Gebetspartner:in: Hier geht es um einen Aspekt des geistlichen Lebens, das Gebet. Auch wenn persönliche Dinge ausgetauscht werden und dafür gebetet wird, was eine große Hilfe ist, sind hier zwei oder mehr gleichberechtigte Partner:innen beisammen.Jünger:innenschaft: Sie soll praktisch geistliches Leben einüben und die Beziehung zu Gott fördern, dabei gibt die Bibel die Leitlinien vor. Jünger:innenschaftskurse werden in Gruppen meistens von Christ:innen, Pastor:innen, Pfarrer:innen und Diakon:innen angeboten, die schon eine gewisse geistliche Reife und Erfahrung haben.Supervision: In der Supervision geht es primär um „den zu reflektierenden Fall“ und nicht um einen ganzheitlichen Prozess der Begleitung.Intervision (kollegiale Beratung): Hier findet die Interaktion und Reflexion auf einer Ebene statt. Zwar kann es vorkommen, dass eine Partner:in schon mehr Erfahrung hat, aber dies ist keine Bedingung für eine kollegiale Beratung.

So kann es in einer Mentor:innenbeziehung verschiedene Schwerpunkte geben und im Laufe der Mentoring-Beziehung können sich Schwerpunkte verschieben und verändern.

Möglichkeiten einer Mentoring-Beziehung

Mentoring ist kein starres Gebilde und gibt auch keine festen Normen vor. So ist es nicht verwunderlich, dass es ganz unterschiedliche Möglichkeiten von Mentoring-Beziehungen gibt. Dabei liegen die Unterschiede zum einen in Bezug auf Intensität und Zeit, zum anderen in der Konstellation der Mentoring-Partner:innen. Einige der Möglichkeiten sollen im Folgenden aufgezeigt werden:

Eins-zu-eins

Die wohl bekannteste und effektivste Mentoring-Beziehung ist die Eins-zu-eins-Beziehung. Eine ältere Person gibt ihr Wissen, ihren Glauben etc. in einer intensiven und regelmäßigen Form an eine jüngere Person weiter.

Mentoring einer Kleingruppe

Eine weitere Möglichkeit ist das Mentoring einer Kleingruppe. Hier werden die Herausforderungen zunächst größer, da das Vertrauensverhältnis und die verschiedenen Charaktere eine Mentoring-Beziehung erschweren. Aber es ist möglich und eine solche Gruppe kann über einen längeren Zeitraum zusammenwachsen, besonders wenn sie vom Alter und den Interessen her eine gewisse Homogenität zeigt (ausführlich im Kapitel „Mentoring in der ­Gemeinde“).

Ältere – Jüngere

Dabei ist es oftmals so, dass die Mentor:in die ältere Person und der / die Mentee die jüngere Person ist. Dies hat einfach mit der größeren Lebenserfahrung zu tun. Außerdem suchen junge Menschen Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Sie wollen aus den Erfahrungen der Älteren lernen und Fehler vermeiden.

Reverse Mentoring

Jüngere oder weniger erfahrene Personen begleiten bewusst Ältere – z.B. in Fragen der Digitalisierung, Diversity oder Kulturwandel. Diese Form lebt vom Perspektivwechsel und gegenseitigem Lernen.

Peer-Mentoring

Hier begleiten sich zwei Menschen auf ähnlichem Erfahrungsniveau gegenseitig. Es lebt von Augenhöhe, geteiltem Lernen und einem gemeinsamen Ringen um Entwicklung.

Team-Mentoring (Tandem oder Mehrfachbegleitung)

Mehrere Mentor:innen begleiten eine Einzelperson oder ein Team. Verschiedene Perspektiven und Gaben kommen zusammen und fördern eine vielfältige Entwicklung.

Mentoring unter Gleichaltrigen, kollegiales Mentoring

Es ist auch möglich, eine Mentoring-Beziehung unter Gleichaltrigen zu haben. Gerade weil ältere Mentor:innen schwer zu finden sind, erfreut sich diese Form immer größerer Beliebtheit. Besonders junge Hauptamtliche werden als Mentor:innen gesucht, sie sind trotz des jungen Alters eine Autorität durch ihr Fachwissen. Auch fallen hier die Generationskonflikte mit der älteren Generation weg. Es kommt allerdings auch vor, dass zwei Gleichaltrige sich gegenseitig Mentor:innen sind. Beide nehmen die gleichberechtigte Stellung als Mentor:in und Mentee ein und versuchen, sich gegenseitig zu fördern und zu fordern, geistliche Schritte zu gehen und sich gegenseitig Hilfestellung zu geben.

Internes oder externes Mentoring

Eine Frage im Kontext der Gemeinde (besonders von Hauptamtlichen) ist, ob der oder die Mentor:in aus der eigenen Gemeinde kommen darf oder soll. Beides ist möglich und kommt auf die Konstellation vor Ort an. Manchmal ist es gut, wenn jemandvon extern einen begleitet und so einen neutralen Blick hat. Anderseits kann es auch hilfreich sein, wenn jemand die Menschen, Abläufe und Geschichten kennt.

Verschiedene Ebenen im Mentoring

In einem Mentor:innenverhältnis kann der oder die Mentor:in einen Schwerpunkt vertiefen, da bei dem / der Mentee in diesem Punkt bestimmte Bedürfnisse vorhanden sind. So kommt es vor, dass Mentor:innen auch Coaches, Seelsorger:innen oder Lehrende sein können. Mentoring kann man als Oberbegriff für all diese angesprochenen unterschiedlichen „Beziehungstypen“ sehen.

Es ist schwer, einen Überblick über die verschiedenen Arten von Mentoring zu geben, da sie individuell zwischen Mentor:in und Mentee selbst gewählt und zusammengesetzt werden. Um einen groben Überblick zu geben, orientieren wir uns an Robert Clinton. Er unterscheidet die verschiedenen Ebenen nach ihrer Intensität, was auch sehr sinnvoll erscheint:

Ebene 1: Passives Mentoring

Jeder Mensch kennt Menschen, die ihn beeindrucken oder beeinflussen. Diese kann man grundsätzlich in drei Gruppen einteilen: 1. die historischen Mentor:innen, 2. die zeitgenössischen Vorbilder und 3. die unbewussten Mentor:innen.

Mentor:innen vorwiegend als historische Vorbilder

Es sind Persönlichkeiten, die in ihrem Leben ihre Berufung ausgelebt haben und mir so zum Vorbild geworden sind. Dies kann in ganz unterschiedlicher Weise geschehen und völlig subjektive Gründe haben. Ein Beispiel für einen solchen historischen Mentor war und ist für mich Søren Kierkegaard. Auf den dänischen Theologen und Philosophen bin ich über die Existenzphilosophie gestoßen und Kierkegaard hat mich über Jahre fasziniert und herausgefordert. Ich begann, verschiedene Biografien zu lesen und mich nach und nach durch sein umfangreiches literarisches Werk zu arbeiten. Auch wenn ich nicht allesverstehe, üben seine Art zu glauben, seine Gottesbeziehung undsein kritischer Geisteine Anziehung auf mich aus, diemich in meinem Glauben und Denkenherausfordert und mir in manchem zum Vorbild wurde und wird. Eine weitere historische Person, die mich in den letzten Jahren begleitet hat, ist Hannah Arendt. Die jüdische politische Theoretikerin und Publizistin hat sich sehr stark mit Lernprozessen aus dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt und gefragt, was wir aus Machtmissbrauch und Antisemitismus lernen können. Fragen, die heute wieder sehr aktuell sind.

Zeitgenössische Vorbilder

Hier kann die Beziehung schon etwas enger werden und das Spektrum der Begegnungsmöglichkeiten wird größer, da die Personen noch leben. Vielleicht habe ich schon Vorträge von diesen Personen gehört, bin ihnen bereits begegnet oder habe mit ihnen gesprochen. Vielleicht bin ich ihnen aber noch nie begegnet, habe aber durch das Fernsehen oder andere Medien ihren Lebenslauf und ihr Handeln beobachtet. Sie ermutigen einen, selbst aktiv zu werden, etwas zu wagen und sich durch ihre Geschichten ermutigen zu lassen. Uns fallen dazu Namen ein wie Malala Yousafzai über Michelle und Barack Obama bis hin zu Influencer:innen in sozialen Netzwerken, also auf YouTube, Instagram und TikTok.

Die unbewussten Mentor:innen