Midnight Shadows - Gefährliches Verlangen - Sara Hill - E-Book

Midnight Shadows - Gefährliches Verlangen E-Book

Сара Хилл

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Beschreibung

Ich legte meine Hand auf seine Wange und zwang ihn mich anzusehen. Seine Pupillen waren wieder zu Schlitzen geworden. Aber es machte mir keine Angst mehr. Neugierig musterte ich seine Augen. So ohne Furcht betrachtet, waren sie wunderschön.

Jennifer hat nur ein Ziel, als sie nach New York kommt: Sie will endlich herausfinden, was mit ihrer Schwester Renee passiert ist. Seit Monaten ist sie verschwunden. Jennifers erste Spur führt sie zu Renees Job bei der Leon Corporation. Doch dort trifft sie nur auf eine Mauer der Verschwiegenheit. Als sie den attraktiven, aber undurchschaubaren COO Ethan Chase kennenlernt, ahnt sie, dass er mehr über Renee weiß, als er zugibt. Jennifer spürt, dass ihr dieser Mann mit den Katzenaugen und dem betörenden Duft gefährlich werden kann. Aber wenn sie ihre Schwester wiedersehen will, muss sie sich auf ihn einlassen. Und so gerät sie in einen Sog aus Leidenschaft und Gefahr und taucht ein in eine Welt, von der sie nicht mal ahnte, dass sie existiert.

Midnight Shadows - Gefährliches Verlangen ist Band 2 der Paranormal-Romance-Reihe Shapeshifters of New York.

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Über dieses Buch

Ich legte meine Hand auf seine Wange und zwang ihn mich anzusehen. Seine Pupillen waren wieder zu Schlitzen geworden. Aber es machte mir keine Angst mehr. Neugierig musterte ich seine Augen. So ohne Furcht betrachtet, waren sie wunderschön.

Jennifer hat nur ein Ziel, als sie nach New York kommt: Sie will endlich herausfinden, was mit ihrer Schwester Renee passiert ist. Seit Monaten ist sie verschwunden. Jennifers erste Spur führt sie zu Renees Job bei der Leon Corporation. Doch dort trifft sie nur auf eine Mauer der Verschwiegenheit. Als sie den attraktiven, aber undurchschaubaren COO Ethan Chase kennenlernt, ahnt sie, dass er mehr über Renee weiß, als er zugibt. Jennifer spürt, dass ihr dieser Mann mit den Katzenaugen und dem betörenden Duft gefährlich werden kann. Aber wenn sie ihre Schwester wiedersehen will, muss sie sich auf ihn einlassen. Und so gerät sie in einen Sog aus Leidenschaft und Gefahr und taucht ein in eine Welt, von der sie nicht mal ahnte, dass sie existiert.

Midnight Shadows – Gefährliches Verlangen ist Band 2 der Paranormal-Romance-Reihe Shapeshifters of New York.

Über die Autorin

Sara Hill wurde an einem Wintertag im Februar 1971 geboren. Sie hat zwei große Schwächen: Schokolade und die großartige Stadt New York. Es gibt nichts Schöneres für sie, als an einem sonnigen Wintertag durch den Central Park zu spazieren oder im viktorianischen Gewächshaus des botanischen Gartens zu lustwandeln. Da ist es auch kein Wunder, dass diese pulsierende Metropole Handlungsort ihrer fantastischen Geschichten ist.

Sara Hill

MidnightShadows

Gefährliches Verlangen

Shapeshifters of New York

beHEARTBEAT

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Julia Feldbaum

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © AdobeStock/ neonshot; © AdobeStock/ Christian; © AdobeStock/ Artenauta

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-0179-2

be-ebooks.de

lesejury.de

Kapitel 1

Etwas verloren stand ich neben dem Bus, den ich gerade verlassen hatte, ein eisiger Windhauch streifte mein Gesicht, und ich schlug den Kragen der Jacke hoch. Der Frühling ließ dieses Jahr wirklich auf sich warten. Ich zog den Griff des Koffers heraus, um ihn hinter mir herrollen zu können. Anschließend kramte ich mein Handy aus dem Lederrucksack und ließ mir die Adresse zu der Wohnung anzeigen, die ich über das Internet angemietet hatte. Genauer gesagt handelte es sich um ein möbliertes Zimmer, das erschwinglich war. Eine gewisse Sofia hatte eine Mitbewohnerin gesucht. Es war wichtig, mit meinen bescheidenen Mitteln zu haushalten, denn ich hatte keine Ahnung, wie lange ich in der verfluchten Stadt bleiben musste. Aber ich wollte die Wahrheit herausfinden, die Wahrheit darüber, wo meine Schwester war. Vorher würde ich New York nicht verlassen.

Wochenlang hatten meine Eltern und ich nur spärliche WhatsApp-Nachrichten von Renee bekommen. Bis zu einem gewissen Grad war das nichts Ungewöhnliches, vor allem, da sie eine neue Arbeitsstelle angetreten hatte, die sie sehr in Beschlag nahm. Wenn ich sie fragte, was sie genau machte, hatte sie immer abgewinkt und gemeint, dass sie sich lieber über etwas anderes unterhalten wolle, da sie gefühlte vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage die Wochen über nichts anderes als ihren Job rede. Auch in ihrem Liebesleben habe es Veränderungen gegeben. Neuer Job und frisch verliebt, da sei für die Familie keine Zeit.

Laut ihrer letzten Nachricht wollte sie dann aus heiterem Himmel auf Weltreise gehen. Okay, sie war abenteuerlustig, aber so abenteuerlustig?

Danach kam gar nichts mehr. Als dann meine Anrufe nur noch ins Leere gingen und eine Computerstimme behauptete, dass Renees Nummer nicht vergeben sei, waren meine Eltern und ich doch alarmiert. Dad reiste nach New York, doch in Renees Wohnung lebte mittlerweile ein Ehepaar namens Hall. Von ihnen erfuhr er, dass Renee angeblich ihre Reisepläne in die Tat umgesetzt hätte. Aber die Halls hatten die Wohnung über die Firma von Mr Hall bekommen und nie mit meiner Schwester persönlich zu tun gehabt. Mister Hall arbeitete für die Leon Corporation wie auch Renee vor ihrem Verschwinden. Zuerst stürmte mein Dad die Firma und verlangte lautstark Renees Vorgesetzten, bis er vom Wachdienst hinauskomplimentiert wurde. Es gab sogar ein YouTube-Video von seinem Auftritt. Dann ging er zur Polizei, aber die hängten sich bei einem Vermisstenfall nicht sonderlich rein. Es würde, ihrer Aussage zufolge, in New York zu viele »echte« Verbrechen geben, um nach einer volljährigen Frau zu suchen, die einfach keine Lust auf ihre Familie hatte.

Dad war unverrichteter Dinge und als gebrochener Mann zurückgekehrt, Renee blieb verschwunden. Keine Nachrichten, keine Anrufe, sie war einfach nicht mehr erreichbar, wie vom Erdboden verschluckt.

Wenn meine Schwester ein neues Handy hatte, warum wollte sie uns ihre Nummer nicht mitteilen? Bei unserem letzten Telefonat hatte mir Renee anvertraut, dass sie Dates mit einem hohen Tier aus der Chefetage hätte. Mit wem genau hatte sie nicht verraten wollen.

Das alles war seltsam, und ich hätte schon früher herkommen sollen. Aber Bob, der Leiter Schrägstrich Chefredakteur der Summerville Sun, für die ich als Journalistin oder eher als Mädchen für alles arbeitete, hatte ewig keinen Ersatz für mich gefunden. Denn Mike, der Fotograf, und ich waren Bobs einzige Mitarbeiter. Hoffentlich machte meine Vertretung Karen ihre Sache gut, sonst würde Bob meine Beurlaubung schneller wieder zurücknehmen, als ich NewYork buchstabieren konnte.

Überall wimmelte es hier von Menschen. Es war kein Vergleich zu Summerville. Aus jeder Richtung drang Gehupe zu mir, Sirenen heulten durch die Häuserschluchten. Es roch nach Abgasen und anderem Übel, über das ich mir keine Gedanken machen wollte. Ich würde Renees Begeisterung für diese Stadt niemals verstehen. Mir gefiel es in Summerville. Es war ruhig, jeder kannte jeden, und man konnte dort sogar unbesorgt seine Haustür offen stehen lassen.

Die Rollen des Koffers ratterten hinter mir über den Asphalt, während mich die Navigations-App zur nächsten U-Bahn-Station leitete. Der Gurt des Rucksacks rutschte von meiner Schulter, und ich musste stehen bleiben, um ihn wieder hochzuziehen.

Im Untergrund wurde es nicht besser, im Gegenteil: Alle Menschen schienen sich zum gemeinsamen U-Bahnfahren verabredet zu haben.

Vor einer Tafel blieb ich stehen. Um zu meiner Unterkunft zu gelangen, musste ich zweimal umsteigen. So weit, so gut. Dann hieß es, ein Ticket zu lösen. Ich entschied mich für eine Metro-Card, die ich mit einem Guthaben belud. Denn das würde sicherlich nicht die einzige Fahrt während meines Aufenthalts im Big Apple bleiben. Nun hatte ich ein Ticket, dazu eine ungefähre Vorstellung, wie ich fahren musste, also konnte nichts mehr schiefgehen.

Eine Dreiviertelstunde später stand ich vor einem typischen New Yorker Brownstone House. Mein Blick glitt die braune Ziegelfassade hinauf. Das Gebäude besaß vier Stockwerke sowie eine Souterrainwohnung und machte einen gepflegten Eindruck. Die Gegend hier war um einiges ruhiger, und Bäume säumten die Straße. Ich schob den Griff in den Koffer, hob ihn hoch, erklomm die Stufen vorbei an der Souterrainwohnung und läutete.

»Hallo, wer ist da?«, erklang es aus der Sprechanlage.

»Ich bin Jennifer Clark, wir haben wegen des Zimmers per E-Mail kommuniziert«, antwortete ich, worauf der Summer ertönte. Ich drückte die Tür auf.

»Dritter Stock«, hörte ich die Frauenstimme noch sagen, dann schritt ich den gefliesten Gang entlang zu einer dunklen Treppe. Die Stufen knarzten, als ich sie hochstieg, und der Geruch von vielen Jahrzehnten, die das Haus schon gesehen haben dürfte, begleitete mich. Es roch nicht unangenehm, nur eben anders, als ich es gewohnt war – irgendwie alt. Summerville duftete nach frisch gemähtem Gras, dem Apfelkuchen meiner Mom und preisgekrönten Rosen in den Vorgärten – zumindest im Sommer.

Endlich erreichte ich den dritten Stock und klopfte gegen die Tür von Apartment A. Die von B lag gegenüber, und es kam mir so vor, als hätte ich einen Schatten unter dem Türspalt gesehen. Offensichtlich ein aufmerksamer Zeitgenosse oder auch eine Genossin, wer auch immer da seine Nachbarschaft im Auge behielt. Ich klopfte noch mal, dann hörte ich Schritte.

»Ja, ich komme schon … immer mit der Ruhe«, sagte eine Frau, Schlösser wurden entriegelt, und ich stand einer älteren Dame gegenüber. Der Duft von Apfelkuchen folgte ihr.

»Sind Sie Sofia?«, fragte ich irritiert, denn ich hatte eigentliche eine Mitbewohnerin in meinem Alter erwartet.

»Ja, Schätzchen, und du bist Jennifer«, erwiderte sie und trat zurück, um mich in die Wohnung zu lassen.

Ich stand in einem kleinen Flur. Links konnte ich bis ins Wohnzimmer schauen, auf der rechten Seite endete mein Blick an einer Tür.

Sofia fuhr durch ihr kurzes Haar. Die freche Frisur ließ sie trotz der grauen Farbe sehr modern wirken, ganz weit weg von einer Oma mit Dutt. Auch ihr Lagenshirt und die schicke Stoffhose hatten nichts von einer alten Frau. Trotzdem stand sie offensichtlich zu ihren Falten, die von einem bewegten Leben berichteten. Vor allem die kleinen Fältchen um ihre Augen zeigten, dass sie schon einiges gesehen und vieles mit Humor genommen hatten.

»Hast du gut hierhergefunden?«, fragte sie.

»Wenn man das U-Bahn-System erst einmal verstanden hat, dann ist es ganz einfach«, erwiderte ich grinsend und stellte meinen Koffer vor die Tür gegenüber, den Rucksack ließ ich auf dem Rücken.

»Dann können wir mit der Wohnungsführung beginnen.« Sofia schloss die Eingangstür. »Dein Koffer steht vor dem Bad«, meinte sie. »Gleich hier rechts ist dein Zimmer.«

Sie ging die paar Schritte zur Tür und öffnete sie, woraufhin ich meinen Koffer nahm und ihr folgte. Das geräumige Zimmer besaß gleich drei Fenster, wodurch es äußerst hell war. Vor dem mittleren Fenster entdeckte ich die Feuerleiter. Die Wände begrüßten mich mit einem sanften Ziegelrot, wobei sämtliche Zierleisten sowie die Tür des Wandschranks weiß abgesetzt waren. Die Ahorndielen knarzten ein wenig, als ich das Zimmer durchquerte, um den Koffer auf dem Bett zu deponieren. Anschließend streifte ich den Rucksack vom Rücken und stellte ihn daneben.

»Die Kommode, der Schrank, eben alles hier im Zimmer gehört ganz und gar dir. Eine junge Frau kann ja nie genug Platz für ihre Kleidung haben«, sagte Sofia fröhlich und zwinkerte mir dabei zu.

Auf dem weißen Sekretär im Landhausstil vor dem dritten Fenster standen wunderschöne Teerosen in zartem Rosa, und Bilder an den Wänden zeigten weitere Blumen. Während ich durchs Zimmer ging, zog ich meine Jacke aus und legte sie auf dem gemütlich wirkenden Sessel in der Ecke ab.

»Ich fotografiere sehr gern. Aber es ist nur ein Hobby«, meinte Sofia, als ich vor der Nahaufnahme einer Lilie stehen blieb.

»Sie sind äußerst talentiert, Mrs Williams«, sagte ich.

»Ich bin Sofia, Kind, und lass uns nicht so förmlich sein, wir wohnen jetzt schließlich zusammen. So, das war noch nicht die ganze Wohnung. Gehen wir weiter.« Sofia verließ das Zimmer.

»Und du kannst Jen zu mir sagen«, bot ich ihr an.

»Jen finde ich gut.« Sie öffnete die Tür des Eingangs gegenüber. »Klein, aber fein. Leider hat das Bad kein Fenster«, sagte sie.

Ich schaute hinein. Es war sehr gepflegt, und durch die hellen Fliesen und die puristische Einrichtung wirkte es größer, als es war. Wir setzten unseren Weg fort, kamen dem Apfelkuchengeruch immer näher und passierten die offene Küche, die durch die nussfarbengebeizten Fronten sehr gemütlich war. Dort entdeckte ich auch den Pie, der auf einem Gitter stand. Die Küche ging nahtlos ins Wohnzimmer über, das sehr modern eingerichtet war und wie auch Sofia selbst so gar nichts von Oma hatte. Auch hier gab es Blumenfotos an den zartgelben Wänden sowie Bilder von Sofia und einem sehr attraktiven Mann. Sie standen auf jeder freien Fläche – den Couchtisch ausgenommen.

»Das ist Phil, mein Mann. Er starb vor zehn Jahren«, erklärte sie, als ich vor der Kommode stehen blieb und die Ansammlung von Fotos betrachtete, die in weißen Holzrahmen steckten.

»Das tut mir leid«, sagte ich.

»Lymphdrüsenkrebs«, meinte Sofia. Sie trat neben mich, nahm eines der Bilder. »Krebs ist scheiße.« Tränen glitzerten in ihren Augen. Sie zog hörbar die Luft ein, stellte das Foto wieder ab und lächelte. »Wir wollen nicht trübsinnig werden. Phil hätte sich jetzt nur lustig über mich gemacht, weil ich seiner Meinung nach viel zu sentimental bin. Dann hätten wir noch mein Schlafzimmer.« Sofia deutete auf eine zweiflüglige Glastür. Scheibengardinen verbargen, was sich im Raum dahinter befand. »Damit ist der Rundgang beendet.« Sie legte die Handflächen aufeinander, betrachtete mich neugierig. »Nun, was führt dich in unsere schöne Stadt? Darüber hast du in deinen E-Mails nichts geschrieben«, stellte sie fest.

»Ich bin Schauspielerin und suche ein Engagement. Am liebsten natürlich am Broadway«, log ich, erfüllte so das Klischee von der Unschuld vom Lande, die in der großen Stadt eine Schauspielkarriere starten wollte. Es erschien mir für den Moment irgendwie klug, die Tatsache, dass ich Journalistin war, sowie den wahren Grund meines Aufenthalts zu verschweigen.

»Das wird nicht einfach werden. Die Konkurrenz ist hier sehr groß und hat spitze Ellenbogen.« Sofia beäugte mich eingehend. »Aber du bist sehr hübsch, deine Figur ist äußerst vorzeigbar. Wahrscheinlich wäre blondes Haar von Vorteil. Der Ebenholzton ist zwar sehr ansprechend, aber ich glaube, jeder, der in der Theaterbranche etwas zu sagen hat, steht nach wie vor auf platinblond und blauäugig. Na ja, zumindest hast du sehr außergewöhnliche himmelblaue Augen … Jetzt noch die Haare umfärben, dann winkt vielleicht ein Engagement«, erwiderte Sofia.

Tja, eines musste man ihr lassen, sie nahm kein Blatt vor den Mund.

»Ich will es erst einmal mit meiner aktuellen Haarfarbe versuchen«, gab ich amüsiert zurück. »Warst du auch einmal in der Theaterbranche?«, fragte ich sie.

»Nein, aber ich habe hier schon einige angehende Schauspielerinnen beherbergt und die meisten leider scheitern sehen«, antwortete sie.

»Nun, Ausnahmen bestätigen ja die Regel.«

»Deine Zuversicht möchte ich haben, Mädchen. Ich glaube, ich mag dich. So, jetzt gibt es ein Stück Kuchen. Der ist ganz frisch, ich habe ihn erst, kurz bevor du geklingelt hast, aus dem Ofen geholt. Du wirst doch nichts gegen ein Stück Kuchen haben? Oder bist du auf Diät? Fast alle diese angehenden Schauspielerinnen hungern vor sich hin, egal wie abgemagert sie aussehen … Und um Zucker machen sie einen großen Bogen wie der Teufel ums Weihwasser.« Sofia steuerte die Küche an.

»Zu einem Stück Kuchen sag ich keinesfalls Nein, und warm ist er am besten«, erwiderte ich, denn ich musste ja nicht wirklich wegen einer angestrebten Schauspielkarriere auf meine Linie achten.

»Du hast keine Angst vor Zucker, Kind. Ich mag dich wirklich. Wir werden mit Sicherheit eine gute Zeit haben.«

»Der Kuchen duftet wie der von meiner Mom. Ich fühle mich fast schon zu Hause.«

»Tee dazu?« Sofia ergriff den Kessel.

»Gern.«

»Dann setz dich, ich mach uns welchen.« Sie ließ Wasser in den Kessel laufen, und ich nahm am Esstisch, der sich an der Wand gegenüber dem Herd befand, Platz.

Es klopfte an der Tür.

»Ist offen«, rief meine Gastgeberin, und ein farbiger Mann trat ein, der schätzungsweise in Sofias Alter sein musste. Das einst dunkle Kraushaar war grau geworden, das Gesicht faltig. Mit schlauen Augen musterte er mich.

»Ist hier alles in Ordnung?«, fragte der Mann.

»Alles bestens, Henry. Sie ist wirklich ein nettes Mädchen, du brauchst mich also nicht zu beschützen«, antwortete Sofia, dann drehte sie sich zu mir. »Dies hier ist mein Nachbar, Henry Brown, und meine neue Mitbewohnerin heißt Jennifer. Henry, steh nicht so in der Tür rum, komm rein und trink einen Tee mit uns.«

»Aber nur wenn es keine Umstände macht.« Henry strich sich die Strickweste glatt, die er über einem karierten Hemd trug, und rückte seine Fliege gerade.

»Es macht keine Umstände.« Sofia holte Tassen aus dem Oberschrank, während Henry sich zu mir gesellte.

»Sind Sie zum ersten Mal in New York?«, begann er.

»Henry, seit wann sind wir hier so förmlich? Das ist Jen«, meinte Sofia, als sie die Tassen auf die Arbeitsplatte stellte.

»Heute frisch eingetroffen und noch nie hier gewesen«, beantwortete ich Henrys Frage.

»Und was hast du so vor?«, wollte er wissen.

»Ich versuche, ein Engagement als Schauspielerin zu ergattern.«

»Hast du schon etwas Konkretes?«, bohrte er weiter. Irgendwie hatte das was von Ausfragen. Entweder er war einmal Reporter gewesen oder Polizist.

»Detective Brown, du bist schon lange im Ruhestand. Hör auf, meinen Gast zu verhören«, sagte Sofia streng.

Ha, hatte ich es doch gewusst.

»Was für einen Tee möchtest du, Schätzchen? Ich habe Kamille, Pfefferminze oder einen hervorragenden Kirsch-Vanille-Tee?« Ihr Blick glitt zu mir.

»Ich nehme Kirsch-Vanille«, antwortete ich.

Henry fragte Sofia erst gar nicht. Sie hängte Teebeutel in die Tassen, das Wasser begann zu sprudeln, und sie goss das dampfende Nass in die Porzellanbecher, die sie uns brachte.

»Hier, Schätzchen.« Sie stellte meinen vor mich, sofort stieg mir das herrliche Kirsch-Vanille-Aroma in die Nase. »Für dich Kamille, das ist gut für deinen Magen.« Die zweite Tasse schob sie vor Henry. Dann brachte sie noch ein Milchkännchen sowie eine Dose mit Zuckerstückchen. Ich tat mir zwei davon in den Tee.

»Ist sie nicht wie eine Mutter?«, fragte mich Henry mit einem verschmitzten Lächeln, während er drei Stückchen in seine Tasse warf.

»Ich bitte dich … Mutter! Ich bin vier Jahre jünger als du«, fuhr Sofia Henry mit gespielter Empörung an.

Ich erwiderte sein freches Lächeln. Sofia kehrte zum Herd zurück und nahm Teller aus dem Schrank.

»Soll ich dir helfen?« Ich wollte mich erheben.

»Schätzchen, bleib sitzen, das mach ich schon. So alt und gebrechlich bin ich nun auch wieder nicht, dass ich das nicht allein schaffen würde«, lehnte Sofia ab und trug die Teller zu uns.

»Dich muss ich ja gar nicht erst fragen, ob du Kuchen möchtest.« Sie grinste Henry an.

»Als ehemaliger Polizist brauche ich mindestens einmal am Tag Gebäck. Ich glaub, das ist sogar gesetzlich festgeschrieben«, scherzte er.

Die beiden waren zu süß und ließen mich beinahe vergessen, warum ich nach New York gekommen war, aber nur beinahe. Bei dem Gedanken an meine Schwester wurde mein Herz ganz schwer. Wie sollte ich sie in einer so großen Stadt nur finden? Wenn sie überhaupt hier war. Die einzige Spur, die ich hatte, war die Leon Corporation. Doch Renee hatte weder meinen Eltern noch mir einen ihrer Arbeitskollegen vorgestellt, und wenn sie am Telefon doch mal über sie gesprochen hatte, dann hatte sie nur den Vornamen erwähnt. Mit einer gewissen Susie war sie befreundet gewesen. Es war anzunehmen, dass diese Frau eigentlich Susann hieß. Wie viele Susanns gab es wohl in einer derart großen Firma?

Kapitel 2

Am Abend packte ich meinen Koffer aus und verstaute die Unterwäsche in der weißen Kommode. Damit war mein Koffer fast leer, jetzt musste nur noch mein Laptop ein Plätzchen finden sowie der mobile Drucker, den ich, zusammen mit Renees Bild, ganz unten verstaut hatte. Da bot sich doch der Sekretär vor dem Fenster an. Sofia hatte mir bereits das WLAN-Passwort gegeben.

Renees Bild stellte ich daneben, strich sanft über ihr Gesicht. »Wo bist du?«, flüsterte ich.

Mein Handy spielte I Shot The Sheriff an.

Das war Charly!

Hastig durchwühlte ich den Rucksack nach dem Smartphone. Das halbe Lied war schon gelaufen, da fand ich es endlich unter einer Tüte, die einen trockenen Bagel beinhaltete.

»Bin dran«, sagte ich hastig.

»Was dauert das so lange? Warst du unter der Dusche? Das ging schon mal schneller«, erwiderte Charly in ihrer charmant ruppigen Art.

»Nein, ich habe mein Handy nicht gleich gefunden.«

»Das ist ja mal wieder typisch Miss Clark. Es war ganz unten im Rucksack, habe ich recht? Nein, du brauchst gar nichts zu sagen, denn ich liege richtig. Du weißt schon, dass so ein Gepäckstück extra Seitenfächer für Smartphones hat? Ist ja auch egal, da rede ich sowieso gegen eine Wand. Also, wie ist New York so?«

»Riesig und voll.« Ich schlug den Quilt samt Decke bis zu meinem Koffer zurück und setzte mich aufs Bett.

»Das hätte ich dir gleich sagen können. Ich hatte einmal ein Seminar dort, und es war furchtbar. Wie ist deine Unterkunft, passt die wenigstens?«, wollte Charly wissen.

»Die ist wiederum himmlisch. Sofia ist nicht so jung, wie ich dachte, eigentlich im Alter deiner Oma. Aber sie ist wirklich modern und richtig cool. Das Zimmer finde ich sehr gemütlich und groß. Ich fühle mich hier pudelwohl.«

Ich spielte mit dem silbernen Anhänger meiner Kette, der eine stilisierte Schreibfeder darstellte. Meine Eltern hatten ihn mir geschenkt, als ich den Job als Journalistin bekommen hatte, und seither war er mein Talisman.

»Da hast du ja wieder mal echt Glück gehabt. Über das Internet eine Unterkunft suchen … Das hätte auch nach hinten losgehen können«, brummte Charly.

»Ja, Deputy Brewster, Königin der Gesetzeshüter«, erwiderte ich amüsiert.

»Und, wie geht’s jetzt weiter?«, wollte meine Freundin wissen.

»Ich werde morgen zur Leon Corporation fahren und mich dort umsehen«, erwiderte ich, während ich den Reißverschluss des vorderen Kofferfachs aufzog und das Zeitungsbild herausholte. Darauf war Ethan Chase, der COO des Unternehmens, abgebildet. »Alle Spuren führen dorthin. Renee meinte bei ihrem letzten Telefonat mit mir, dass sie eine große Nummer aus der oberen Etage date, sie wollte aber nicht mit der Sprache herausrücken, wen. Sie sagte nur, ich würde große Augen machen, wenn ich erfuhr, wer es ist, denn die Person habe direkt mit dem Leon-Clan zu tun. Sie meinte noch, dass sie sich sogar über sich selbst wundere und niemals vermutet hätte, so was zu empfinden. Sie sei aber glücklich, weil sie ihr wahres Ich gefunden habe – aber sie sei noch nicht bereit, darüber zu reden. Weitere Details wollte sie nicht verraten. Die obere Etage wird mit Sicherheit die Chefetage sein, und so viel Auswahl gibt es da nicht. Nun ja, Dorian Leon ist tot, außerdem passt dieser Ethan Chase schon allein altersmäßig eher in ihr Beuteschema. Ich denke, er war dieser geheimnisvolle Lover aus der Chefetage. Dann gibt es das Foto von ihm, auf dem er sich in der Nähe eines Tatorts aufhält. Du weißt schon, das grausam ermordete Pärchen. Was hatte er dort zu suchen? War meine Schwester nicht sein einziges Opfer? Hatte er mit diesen Morden etwas zu tun? Täter kehren oft an den Ort des Geschehens zurück«, fasste ich zusammen, was ich an Informationen hatte. Ich holte den Computerausdruck aus dem Kofferfach, eine Polizeiaufnahme vom Central Park, auf dem zwei abgedeckte Leichen zu sehen waren … und im Hintergrund Ethan Chase. Ich hielt den Ausdruck neben das Zeitungsbild.

»Er könnte nur zufällig dort gewesen sein. Das sind wir doch schon so oft durchgegangen. Es ist alles viel zu vage, Jen. Du hast keine Beweise, dass Ethan Chase dieser Lover war, und schon gar nicht dafür, dass er etwas mit diesen Morden zu tun hat. Neben dem CEO und COO gibt es in so einer Firma noch mehr Leute in der Chefetage – und damit einige potenzielle Kandidaten«, meinte Charly.

»Aber nur wenige haben eine direkte Verbindung zur Familie, er lebt sogar im Penthouse, und dieser Chase sieht nicht so aus, als würde er einfach so im Central Park spazieren gehen. Irgendwas stimmt mit diesem Kerl nicht, das sagt mir mein Bauchgefühl.«

»Du hast dich zu sehr auf ihn eingeschossen. Voreingenommenheit ist nie gut, wenn man ermittelt, das führt einen sehr schnell auf den Holzweg. Dies ist eine der ersten Lektionen, die man in der Strafverfolgung lernt.«

»Zum Glück bin ich kein Cop, sondern Journalistin. Ich werde schon dahinterkommen, was mit Renee passiert ist. Eines weiß ich sicher, sie bereist keinesfalls die Welt. Sie würde uns niemals so im Ungewissen lassen.«

»Aber du meintest auch, dass sie, seit sie in New York ist, sich sehr von dir und deinen Eltern entfernt hat. Schon von jeher war Summerville zu klein für sie, und sie wollte hoch hinaus. In gewissen elitären Kreisen rotieren pfundweise berauschende Substanzen. Ich sag’s nicht gern, aber vielleicht ist sie in schlechte Gesellschaft geraten und …« Meine Freundin verstummte.

»… und liegt irgendwo zugedröhnt herum, wolltest du doch sagen?«, fuhr ich sie wütend an, schluckte, denn Charly war die falsche Adresse für meinen Zorn. »Es tut mir leid«, sagte ich leise.

»Das halt ich schon aus. Deine Nerven gehen mit dir durch. Das ist kein Wunder, und ich hoffe, du findest Renee, aber …« Charly seufzte.

»Ich will wissen, was mit ihr passiert ist«, erwiderte ich entschlossen, hob kämpferisch das Kinn, obwohl meine Freundin mich nicht sehen konnte.

»Und du kannst zu hundert Prozent auf mich zählen«, meinte Charly.

»Das weiß ich. Du bist die beste Freundin aller Zeiten. Das warst du schon immer.«

»Jetzt muss ich aber aufhören. Ich habe heute Nachtschicht«, erwiderte Charly nur. Sie war nicht so der Gefühlsmensch.

»Halt die Ohren steif, und zeig den Gesetzlosen, wo der Hammer hängt, Deputy.«

»Halt du auch die Ohren steif, und melde dich, sonst schicke ich die Kavallerie.« Damit beendete meine Freundin das Telefonat.

Vielleicht hatte Charly recht, und ich verirrte mich da in etwas. Aber ich musste meinem Bauchgefühl nachgehen, sonst würde ich keine Ruhe finden. Und dieses Bauchgefühl wies in Richtung Leon Corporation und zu Ethan Chase. Ich betrachtete das Smartphone in meiner Hand. Jetzt, da ich es endlich aus dem Rucksack gekramt hatte, sollte ich eigentlich gleich meine Eltern anrufen und ihnen Bescheid geben, dass ich gut angekommen war.

Nach einem leckeren Frühstück am nächsten Morgen war ich zur Leon Corporation unterwegs. Sofia verwöhnte mich wirklich und hätte mich keinen Schritt ohne Frühstück vor die Tür gehen lassen.

Die U-Bahn ruckelte, als würde sie über Schotter rumpeln und nicht auf Schienen fahren. Ich hielt mich an einer Stange fest, beobachtete die Leute und stellte mir vor, dass Renee vielleicht jeden Tag mit dieser U-Bahn zur Arbeit gefahren war.

Endlich kam meine Haltestelle, ich stolperte mit einem Schwung Passagieren nach draußen, nahm die Treppe nach oben und kam fast bei dem Gebäude der Leon Corporation heraus.

Da stand ich nun, mein Blick folgte der Fassade. Ich konnte die Stockwerke gar nicht zählen. Aber eines wusste ich, ganz oben thronte Ethan Chase. Er lebte im Penthouse in einer Art Luxus-WG, zusammen mit der Firmenerbin Olivia Leon und deren Verlobten, Aaron Walker. So las man es zumindest in der Klatschpresse.

Hinter einer großen Fensterfront stapelten sich Galerien übereinander. Durch die Glastüren konnte ich bis zum Empfangstresen sehen, der etwas von Raumschiff Enterprise hatte und über dem in silbernen Buchstaben der Schriftzug »Leon Corporation« prangte. Ich wusste zwar nicht, was genau ich darin wollte und wie es weitergehen sollte, aber entschlossen betrat ich die Höhle des Löwen.

Innen begrüßte mich ein sonnendurchflutetes Atrium, es war sechs Stockwerke hoch, kleine Sitzinseln boten Platz für Gäste. Alles machte einen sehr modernen, hellen und freundlichen Eindruck. Über dem Empfang lag eine Art Konferenzsaal. Durch dessen gläserne Wand konnte ich Stühle erkennen. Im Moment schien darin aber keine Konferenz stattzufinden, denn die Stühle waren leer. Darüber gab es noch weitere Räumlichkeiten, doch von meiner Position aus vermochte ich nicht zu erkennen, was oder wen sie beherbergten. Das alles war sehr beeindruckend, und ich konnte verstehen, warum Renee hier hatte arbeiten wollen.

Eine schwatzende Gruppe Angestellter passierte mich.

»Wo wollen wir Pause machen?«, fragte einer.

»Na, im Café gegenüber«, antwortete eine Frau.

»Oh ja, ich brauch dringend eine Latte«, meinte eine andere.

Ich sah ihnen hinterher, wie sie trotz des Verkehrs die Straße überquerten.

»Miss?«

Jemand tippte mir auf die Schulter, und ich zuckte zusammen. Auf dem Absatz drehte ich mich um und stand vor einem Wachmann.

»Wo wollen Sie hin?«, fragte er mich.

Ich hatte kein Namensschild wie die anderen, daran erkannte man sofort, dass ich hier nicht arbeitete. Nervös blickte ich zum Empfangstresen. Sollte ich behaupten, ich hätte einen Termin. Aber bei wem?

Oje!

Vielleicht sollte ich ihn aber auch einfach direkt nach meiner Schwester fragen? Als Wachmann müsste er doch etwas wissen. Aber wenn mein Bauchgefühl recht behielt und Ethan Chase Renees unbekannter Lover aus der Chefetage gewesen war, würde ich ihn dadurch auf mich aufmerksam machen. Aus einem unerfindlichen Grund wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich besser den Ball flach halten sollte. Ein eher investigativer Ansatz bei der Suche nach Renee erschien mir klüger. Mein Dad war hergefahren und hatte herumgepoltert, bis man ihn rausgeworfen hatte. Er war nicht einmal bis zu einem Abteilungsleiter gekommen. Dann hatte er es mit der Polizei versucht und war ebenfalls gescheitert, daher wollte ich es mit unauffälligem Herumschnüffeln probieren.

»Miss, wo wollen Sie hin?«, wiederholte der Mann seine Frage.

»Äh, ich war von der Architektur so begeistert, da musste ich mir das Gebäude unbedingt von innen ansehen«, sagte ich schnell.

»Wenn Sie hier nicht arbeiten oder einen Termin haben, müssen Sie das Gebäude verlassen«, donnerte er.

»Dann werde ich mal wieder gehen.« Ich lächelte ihn an, er zog nur die Brauen finster zusammen. Also Spaß verstand der Kerl keinen, so viel stand fest. Ich drehte mich um, schritt erhobenen Hauptes zur Tür und ging hinaus.

Draußen blieb ich stehen, schaute noch mal zurück. Mit verschränkten Armen stand der Mann da und ließ mich nicht aus den Augen. Da würde ich wohl nicht mehr so schnell reinkommen.

Ich schaute zu dem Café gegenüber. Von dort hatte man das Gebäude wunderbar im Blick. In Kamikazemanier rannte ich über die Straße und erreichte das Café. Schon vor der Tür strömte mir Kaffeeduft entgegen. Den konnte ich jetzt gut gebrauchen, denn bei Sofia gab es nur Tee, da war sie streng. Gemütliche Sitzecken, mit schokobraunem Kunstleder bezogen, luden zum Verweilen ein, und Smooth Jazz erklang aus Lautsprechern. Trotzdem nahmen die meisten einen Kaffee to go.

Als ich so in der Schlange, die zum Kaffeeparadies führte, wartete, stach mir ein Schild in die Augen, das an der Kasse hing: »Aushilfe gesucht.«

Nachdenklich rieb ich mir übers Kinn. Wenn ich hier zu arbeiten begann, konnte ich Leon Corporation im Auge behalten, dazu die Angestellten aushorchen, die hier offensichtlich ihre Kaffeepausen verbrachten, und einen Plan ausbrüten, der besser war als Ich war von der Architektur so begeistert. So ein Job im Service war eine ideale Tarnung. Vielleicht lieferte der Laden sogar Kaffee zur Leon Corporation, und außerdem konnte ich das Geld gebrauchen. Mein Entschluss war gefasst, und ich trat vor eine junge Farbige, die mich freundlich anlächelte. Ein buntes Haarband bändigte die krause Mähne.

»Was kann ich Ihnen Gutes tun?«, fragte sie.

»Ich würde mich gern bewerben, Josie«, las ich ihren Namen von dem Schild auf der Brust ab und deutete dabei auf den Aushang an der Kasse.

»Oh.« Etwas irritiert schaute sie sich um. »Felix, kommst du mal.« Sie wandte sich wieder mir zu. »Der Boss wird gleich da sein, warte bitte an der Seite«, forderte sie mich auf.

Ich stellte mich vor die Vitrine mit dem Gebäck. Schon bediente Josie den nächsten Kunden. Ein junger Kerl kam zu ihr. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, dann sahen die beiden zu mir. Mit einem unverbindlichen Lächeln auf den Lippen steuerte mich der Mann an.

»Hallo, ich bin Felix, der Filialleiter hier.«

»Ich heiße Jennifer Clark«, stellte ich mich vor.

»Du suchst also einen Job. Lass mich raten, du bist Studentin und willst etwas dazuverdienen«, meinte er und unterzog mich einer eingehenden Musterung.

»Nicht so ganz. Ich bin Schauspielerin ohne Engagement und würde mich wirklich sehr freuen, wenn ich hier jobben könnte. Denn das Leben in New York ist teuer.«

»Wem sagst du das. Bist du flexibel?«

»Superflexibel. Ich habe keine Kinder, keinen Partner, keine Verpflichtungen«, erwiderte ich, und sein Lächeln wurde breiter. Er nahm die Schirmmütze ab, strich sich das rote Haar zurück und setzte die Mütze wieder auf. Es tat mir zwar leid, aber der schmächtige Junge sah aus wie ein Nerd aus dem Bilderbuch.

»Na dann, willkommen in unserer Kaffeefamilie, hier entlang«, sagte er, und ich folgte ihm hinter den Tresen und vorbei an der Kaffeestation. Wir betraten einen Flur mit mehreren Türen. Neben einer war ein Fenster. Durch das kaputte Lamellenrollo konnte ich einen Blick ins Büro erhaschen. Felix brachte mich zu den Angestelltenräumlichkeiten am Ende des Ganges, in denen auch die Spinde standen.

»Das hier ist deiner. Wenn du den Schlüssel verlierst, musst du ihn auf eigene Kosten ersetzen.« Dabei deutete er auf einen der schmalen Metallschränke. »In dem Regal sind die frischen Schürzen und Caps. Deine Cap verwahrst du im Schrank, die Schürzen kommen nach deiner Schicht in den Wäschekorb. Es wird vor jeder Schicht eine frische angezogen. So, bei allem anderen wird dir Josie weiterhelfen. Zieh dich um, du wirst gleich anfangen, oder spricht etwas dagegen?«

»Nein, alles perfekt. Ich bin gleich bei Josie.« Ich streifte den Rucksack vom Rücken, machte meinen Spind auf und legte ihn hinein.

»Ach ja, den Schmuck musst du auch im Spind lassen.« Felix deutete auf meine Silberkettchen. »Dann lass ich dich mal allein.« Damit ging er, doch an der Tür blieb er stehen. »Bevor ich es vergesse, ich brauch noch deine Kontaktdaten und die Sozialversicherungsnummer. Komm bitte noch im Büro vorbei.« Er öffnete die Tür und ließ mich allein.

Okay, ich hatte meinen Spähposten bezogen. Jetzt wollte ich mal sehen, wohin mich das führte. Ich nahm das Kettchen ab, legte es ins obere Fach des Spinds, anschließend griff ich noch mal nach dem Rucksack, holte mein Portemonnaie heraus und suchte darin nach Renees Bild, das ich in die Tasche meiner Jeans schob. Ich musste diese Susie finden. Hoffentlich trank sie gern Kaffee. Jeder Frau, die ein Leon-Corporation-Schild trug und Susie oder Susann hieß, würde ich das Bild unter die Nase halten.

Nach meiner Schicht ging ich zu Renees alter Wohnung. Ich zeigte das Bild herum. Einige Nachbarn erkannten sie, doch keiner konnte etwas über ihren Verbleib sagen. Einer erinnerte sich, dass ein Lieferwagen ihre Sachen abgeholt hatte, aber nicht daran, was für eine Firma es gewesen war. Wenn es stimmte und Renee nur eine Reise machte, wobei das Wort Reise in dicke Anführungszeichen zu setzen war, musste sie ihre Sachen eingelagert haben. Dann sollte man doch das Lager finden können.

Ziemlich spät und kaputt erreichte ich meine Wohnung.

»Na, einen harten Tag gehabt?«, fragte Sofia.

»Ich jobbe jetzt in einem Café. Meine Füße sind nur noch ein einziges Brennen«, erwiderte ich.

»Na, dann ist mein Schmorbraten genau das Richtige.« Sie ging in Richtung Ofen, und ich folgte ihr, obwohl ich meine Augen kaum noch offen halten konnte. Aber mein knurrender Magen wollte Schmorbraten, ich konnte es ihm nicht verdenken, denn es roch wirklich lecker.

Kapitel 3

Ich arbeitete schon den zweiten Tag im Café und war noch keinen Schritt weitergekommen. Immer wieder zeigte ich Renees Foto herum, behauptete, sie wäre eine lang vermisste Schulfreundin, die ich gern wiedersehen würde und von der ich wusste, dass sie für die Leon Corporation arbeitete, doch keiner erkannte sie oder wollte sie erkennen. Ich stand neben Josie an der Kasse, hinter uns bediente Raul die Kaffeestation. Im Moment war nicht viel los. Alle Gäste, die im Café saßen, waren versorgt.

»Was machst du so nach Feierabend?«, wollte Raul wissen. Er lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und verschränkte die Arme. Er sah nicht schlecht aus, hatte diesen Latino-Charme.

»Hör auf, sie anzugraben, Jen ist eine Zehn, du bist eine Fünf«, mischte sich Josie ein, ihr Blick glitt zu mir. »Fall bloß nicht auf ihn rein, er wechselt Frauen wie Unterhosen, und du bist viel zu nett für ihn.«

»Klappe, Josie, mit dir habe ich nicht gesprochen. Ich könnte dir das New Yorker Nachtleben zeigen.« Raul sah erwartungsvoll zu mir.

»Nun, ich …«

»Ich habe einen Auftrag.« Felix kam mit einem Werbeaufsteller aus dem Büro. Gott sei Dank – gerettet vom Boss. Obwohl Raul ohne Zweifel ein Hingucker war, wollte ich nicht wirklich mit ihm ausgehen. Denn ich war nicht in New York, um einen Mann kennenzulernen, sondern ich wollte meine Schwester finden.

»Den hat die Zentrale geschickt. Es war eine echte Herausforderung,H das Ding aufzubauen. Jen, bring es bitte vor die Tür«, befahl Felix.

Ich nahm ihm die Werbetafel ab, die mir bis zur Brust reichte, und trug sie zur Tür, die ich umständlich öffnete. Anschließend stellte ich die Tafel ein Stück daneben auf und bewunderte das Werk.

»Mach mal eine Pause!«, las ich laut.

Darunter waren eine dampfende Tasse Cappuccino mit Milchschaum und das Logo abgedruckt. Das machte wirklich Appetit. Bestimmt würde mir Raul so einen zubereiten, wenn ich nett fragte. Gegenüber fuhr eine schwarze Limousine vor, und ich drehte mich in diese Richtung. Ethan Chase stieg aus, ging ein paar Schritte und blieb stehen. Er wandte sich um, sah mir direkt in die Augen, musterte mich wie der Puma die Antilope. Meine sämtlichen Nackenhärchen stellten sich auf. Warum starrte er mich so an?

Nein, nein, ich bildete mir das nur ein. Zwischen uns lagen gut zwanzig Yards und jede Menge Autos.

Irritiert wich ich zurück. Der Mann fixierte mich regelrecht, als gäbe es nur mich. Fluchtartig stürmte ich ins Café, blickte durch die gläserne Tür. Noch immer stand er da. In diesem Moment schepperte es lautstark, mein Herz setzte vor Schreck einen Schlag aus.

»Oh nein, jetzt ist der ganze Kaffee verschüttet«, jammerte eine Frau.

Ich sah zu ihr.

»Jen, kümmere dich darum«, meinte Felix.

Ich nickte, eilte hinter die Theke zum Waschbecken, füllte einen Eimer mit Wasser und griff mir einen Lappen.

»Raul, du hilfst ihr«, gab Felix weiter Anweisungen. Währenddessen erreichte ich den Tisch, den ein brauner Kaffeesee bedeckte, der sich unbeirrt seinen Weg an den Rand gebahnt hatte und jetzt auf das Kunstleder sowie auf den Boden tropfte, sodass sich auch unter dem Tisch ein See bildete.

Die beiden Frauen, die dort eben noch gesessen hatten, standen daneben.

»Das tut mir so leid«, meinte die Verursacherin dieser Überschwemmung.

»So was passiert natürlich immer, wenn die Tasse noch voll ist. Zum Glück hast du dich nicht verbrüht, Lyn«, sagte ihre Freundin.

»Es tut mir wirklich leid«, wiederholte die Übeltäterin.

»Kein Problem.« Ich begann damit, den See in meinen Eimer zu überführen, während Raul den Putzwagen zum Tisch rollte, sich mit dem Wischmopp bewaffnete und um den Boden kümmerte.

»Kommen Sie, meine Damen, setzen Sie sich hierhin.« Felix dirigierte Lyn und ihre Freundin zu einem anderen Tisch. Die Tür wurde geöffnet, ich drehte mich nicht um. Josie stand ja an der Kasse.

»Was kann ich Ihnen Gutes tun?«, fragte sie.

»Einen Espresso zum Mitnehmen«, antwortete ein Mann.

Seine Stimme war unglaublich samtig, strich über meine Haut wie warme Karamellsoße. Ich konnte nicht anders, ich musste wissen, zu wem die Stimme gehörte, und blickte zur Kasse. Und da stand er, wie er leibt und lebte: Ethan Chase. Er war tatsächlich herübergekommen. Das blonde Haar war akkurat zurückgekämmt, sein zweifellos trainierter Körper steckte in einem maßgeschneiderten Anzug. Der Geruch von Aftershave wehte zu mir, eine feine Tabaknote und Amber. Zur Hölle, roch dieser Mann gut. Ja, er war Renees Kragenweite, das stand fest.

Josie bediente die Kaffeestation, währenddessen hatte Ethan Chase nichts anderes zu tun, als mir dabei zuzusehen, wie ich den Tisch sauber machte. Es war kein interessiertes Zusehen, sondern vielmehr ein Ausspähen der Beute, bevor das Raubtier zuschlug.

Mein Mund wurde ganz trocken. Ich zwang mich, ihn zu ignorieren.

»Was für ein Schnösel«, zischte Raul mir zu.

Ich warf einen flüchtigen Blick zu Chase. Ein Schmunzeln umspielte seine Lippen, als hätte er Rauls Bemerkung gehört, doch er stand eigentlich viel zu weit von uns entfernt. Hastig schaute ich weg, kümmerte mich intensiv um die Sitzbank. Doch aus den Augenwinkeln beobachtete ich ihn weiter. Josie gab ihm seinen Kaffee, wünschte noch einen schönen Tag, und der Spuk war vorbei.

Ich richtete mich auf, sah durch das Schaufenster dabei zu, wie Chase die Straße überquerte und hinter den Türen der Leon Corporation verschwand.

»Irgendwann habe ich auch so viel Geld wie der«, meinte Raul. Er packte den Mopp auf den Putzwagen, der Boden war sauber. »Dann rennen die Chicas mir hinterher. Wirst schon sehen.« Damit schob er den Wagen in Richtung Theke.

Ich putzte noch den Zuckerstreuer sowie den Kartenhalter ab, dann war ich auch fertig. Nachdem ich das Wasser entsorgt, den Lappen gewaschen und den Eimer weggeräumt hatte, kehrte ich zu Josie an die Kasse zurück.

»Dieser Typ gerade war ja der Hammer«, sagte sie zu mir.

»Kommt der öfter hier rein?«, fragte ich und hoffte, dabei möglichst unaufgeregt zu klingen.

»Nein, heute zum ersten Mal. Sonst sehe ich ihn manchmal das Gebäude gegenüber betreten. Aber so nah bin ich ihm bisher noch nie gekommen. Der ist ja so heiß.« Josie fächelte sich mit der Hand Luft zu. »Echt, diesen Typ würde ich auf keinen Fall von der Bettkante schubsen.« Sie wackelte vielsagend mit den Brauen.

»Na, ich weiß nicht. Er wirkt sehr arrogant. Ich mag keine überheblichen Kerle, sondern lieber die Bodenständigen und Zuverlässigen.«

»Ach, du meinst die, die Holzfällerhemden tragen und in der Kleinstadt zu Hause sind? Wie heißt das Örtchen noch mal, aus dem du kommst?«

»Summerville. Und bei uns tragen nicht alle Männer Holzfällerhemden. Die Bad Boys laufen in schwarzen Lederjacken herum«, erwiderte ich lachend.

»Schwarze Lederjacken, das ist ja voll Achtziger. Nee, der Typ ist total nach meinem Geschmack.«

Josie blickte sehnsüchtig zur anderen Straßenseite.

»Du weißt schon, dass viele dieser Managertypen verkappte Psychopathen sind. Nur wenn man über Leichen geht, kommt man so weit«, belehrte ich sie.

»Tja, das erklärt wohl, warum ich hier an der Kasse stehe und nicht dort drüben in der Chefetage sitze«, meinte sie mit einem Grinsen.

»Ladys, wenn ich mal der Chef von einem großen Konzern bin, werde ich euch nicht vergessen.« Raul drängte sich zwischen uns und legte jeder einen Arm um die Schultern. In diesem Moment kam eine Gruppe Teenager ins Café. Die Schule in der Nähe hatte wohl aus. Das hieß Arbeit.

Völlig geschafft kehrte ich in die Wohnung zurück, in der mich Oregano-Aroma empfing. Die Arbeit im Café war ein wirklicher Knochenjob.

»Na, Schätzchen, wie war dein Tag?«, fragte mich Sofia.

»Kein Engagement, dafür zwanzig Dollar Trinkgeld und total fertig«, erwiderte ich und plumpste auf den Küchenstuhl.

»Na, da ist es ja gut, dass ich dir was zu essen gemacht habe.« Sie nahm Topfhandschuhe, öffnete den Ofen und holte eine Lasagne heraus.

»Nach einem Rezept meiner Großmutter«, sagte sie stolz, stellte dabei die Auflaufform auf dem Herd ab.

»Ich dachte, du stammst aus England«, erwiderte ich.

»Ja, aber meine Mutter war Halbitalienerin und Nonna Lucia machte die beste Lasagne weit und breit.« Sofia nahm einen Teller sowie Besteck aus der Schublade, schnitt ein Stück ab und drapierte es auf dem Teller. Anschließend brachte sie das Ganze zu mir und legte das Besteck daneben. Es duftete wirklich köstlich und sah noch besser aus.

»Du verwöhnst mich wirklich.« Ich nahm Messer und Gabel.

»Das tue ich nicht für jeden meiner Untermieterinnen. Aber du erinnerst mich irgendwie an mich selbst, als ich in deinem Alter war. Wenn ich eine Enkelin hätte, wäre sie wie du, da bin ich mir sicher«, erwiderte Sofia, ging zum Herd zurück, um sich selbst eine Portion zu nehmen. Dann setzte sie sich zu mir an den Tisch.

»Ach, wir haben ja gar nichts zu trinken. Willst du vielleicht einen Schluck Wein dazu. Ich habe einen herrlichen Chianti.« Bevor ich etwas sagen konnte, sprang sie auf, holte Gläser und den Wein.

»Na, ein Schlückchen wäre nicht verkehrt«, meinte ich.

Als sie saß, entkorkte sie die Flasche und schenkte ein.

»Salute.« Damit hob sie ihr Glas.

Ich legte die Gabel ab, nahm meines und stieß dagegen. »Auf unsere Frauen-WG.«

Sofia grinste. Die Tür ging auf, und Henry kam herein.

»Ich wusste doch, dass ich deine hausgemachte Lasagne gerochen habe«, meinte er und rieb sich die Hände.

»Er ist besser als ein Drogenspürhund, wenn es um Essen geht.« Sofia lachte laut. »Nimm dir was, Henry, du weißt, wo alles steht.«

Das ließ sich Henry nicht zweimal sagen, und ehe wir uns versahen, saß er mit einer riesen Portion bei uns am Tisch. Meine Großeltern hatte ich nie kennengelernt, aber so musste es sein, wenn man welche hatte.

Pappsatt saß ich mit dem Handy auf dem Bett und wählte die Nummer meiner Eltern. Ich hatte einige Nachrichten von ihnen. Wenn Sofia mich so weiter mästete, würden sie mich irgendwann hier herausrollen müssen. Vielleicht sollte ich mich bei einem Fitnessstudio anmelden?

»Hallo«, sagte meine Mom.

»Ich bin’s Jen«, erwiderte ich.

»Wird Zeit, dass du anrufst. Dein Dad wollte schon seine Sachen packen und zu dir kommen.« Meine Mom klang verärgert. Was nach dem Verschwinden von Renee kein Wunder war. Jetzt hielt sich die zweite Tochter in New York auf, der Stadt, die meine Schwester verschluckt und nicht mehr ausgespuckt hatte.

»Tut mir leid, ich hätte mich gestern melden sollen, aber ich war so müde«, erwiderte ich schuldbewusst. »Es war mein erster Arbeitstag in einem Café. Dort jobbe ich, um etwas Geld für den Aufenthalt hier zu verdienen«, erklärte ich und hörte, wie Mom tief Luft holte.

»Wir hatten ausgemacht, dass du dich jeden Tag meldest«, sagte sie schließlich in einem versöhnlichen Ton.

»Wie geht es Dad?«, wollte ich wissen.

»Er schaut sich den ganzen Tag die Filme an, die er von dir und Renee gemacht hat, als ihr noch Kinder wart, und spricht fast kein Wort.«

»Mom, ich werde herausfinden, was passiert ist, versprochen«, sagte ich.

Meine Mutter schluchzte leise. Am liebsten hätte ich durch das Telefon gegriffen und sie in meine Arme gezogen.

»Pass bitte auf dich auf, Liebes. Wenn dein Dad noch eine Tochter verliert, dann überlebt er das nicht«, meinte sie mit zittriger Stimme.

»Mir wird nichts passieren, ganz sicher. Gib Dad einen Kuss von mir, ich melde mich morgen wieder.« Damit beendete ich das Gespräch, um gleich Charlys Nummer zu wählen. Es tat so unglaublich weh, meine Eltern derart leiden zu sehen. Ich musste ihnen Frieden verschaffen.

»Na, wie laufen deine Ermittlungen?«, fragte Charly ohne große Begrüßung.

»Ich hatte heute einen ersten Kontakt«, erwiderte ich, spürte, wie meine Wangen langsam zu glühen begannen. Auch wenn ich das nicht zugeben wollte, der Mann war mir unter die Haut gegangen.

»Kontakt?«

»Ja, mit Chase. Er kam ins Café und bestellte einen Espresso.«

»Oje, der Typ trinkt Espresso, das macht ihn natürlich extrem verdächtig.« Charlys Stimme triefte vor Sarkasmus.

»Charleen Erin Brewster, hör auf damit!«, erwiderte ich streng, wohl wissend, dass sie es hasste, wenn man sie Charleen Erin nannte. »Er kam heute zum ersten Mal ins Café. Ich war vor dem Laden, stellte ein Werbeschild auf, und er starrte von der anderen Straßenseite eine Ewigkeit zu mir herüber. Vielleicht weiß er, wer ich bin. Wenn Renee mit ihm zusammen war, hat sie ihm bestimmt Fotos von ihrer Familie gezeigt. Er könnte mich wiedererkannt haben und kam dann ins Café, um sich zu vergewissern, ob ich es wirklich bin.«

»Oder er hat einfach vor sich hingestarrt und überlegt, ob er sich einen Kaffee holen soll. Ich weiß, dass sich Journalisten bei ihren Ermittlungen mehr zusammenreimen können als Polizisten, aber ehrlich, die Theorie, dass er ins Café kam, weil er Renee gekannt hat, ist schon ziemlich schwammig.« Wie immer war Charly die Stimme der Vernunft.

»Du hast ja recht, aber ich stehe erst am Anfang«, sagte ich kleinlaut.

»Ich will nur nicht, dass du dich verrennst. Vielleicht hat die Leon Corporation mit Renees Verschwinden nichts zu tun. Es könnte ja sein, dass sie sich einer Sekte angeschlossen hat, die ihre Mitglieder vollkommen abschottet, um sie besser kontrollieren zu können. So was kommt öfter vor, als man glaubt. Oder … na ja …« Charly seufzte.