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Ein Kampf um Blut und Macht. Zwei Frauen im Schatten der Unsterblichkeit. Und eine Entscheidung, die alles verändern kann.
Nach dem Tod ihrer Eltern wurde Ella von der Vampirin Maria aufgezogen. Seitdem sind die beiden ständig auf der Flucht - verfolgt von anderen Blutsaugern, die eine solche Verbindung zwischen Mensch und Untoter nicht dulden. Dennoch haben die beiden ungleichen Frauen sich eine kleine eigene, wenn auch gefährliche Welt erschaffen. Diese bricht auseinander, als Ella entführt wird. In ihrer Verzweiflung schließt Maria einen tödlichen Pakt mit den Erzfeinden der Vampire: den Blutjägern. Gemeinsam mit einem von ihnen soll sie ihren eigenen Schöpfer vernichten.
Zur gleichen Zeit begegnet Ella in ihrer Gefangenschaft einem mächtigen Vampir, der tief in ihre Gedanken einzudringen vermag. Und von dem eine düstere Gefahr ausgeht, die Ella abstößt und bis ins Unermessliche reizt ...
Unfassbar fesselnd und unglaublich spicy: Die neue Dark-Romantasy-Reihe von Sara Hill. Vampire, die tödlich anziehend sind. Eine Heldin, die sich der größten Gefahr stellt. Und eine Liebe, die dunkler ist als die schwärzeste Nacht.
Bitte beachte: Die Bücher dieser Reihe enthalten explizite Darstellungen von Gewalt und Sex.
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Seitenzahl: 424
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
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Ein Kampf um Blut und Macht. Zwei Frauen im Schatten der Unsterblichkeit. Und eine Entscheidung, die alles verändern kann.
Nach dem Tod ihrer Eltern, wurde Ella von der Vampirin Maria aufgezogen. Seitdem sind die beiden ständig auf der Flucht – verfolgt von anderen Blutsaugern, die eine solche Verbindung zwischen Mensch und Untoter nicht dulden. Dennoch haben die beiden ungleichen Frauen sich eine kleine eigene, wenn auch gefährliche Welt erschaffen. Diese bricht auseinander, als Ella entführt wird. In ihrer Verzweiflung schließt Maria einen tödlichen Pakt mit den Erzfeinden der Vampire: den Blutjägern. Gemeinsam mit einem von ihnen soll sie ihren eigenen Schöpfer vernichten.
Zur gleichen Zeit begegnet Ella in ihrer Gefangenschaft einem mächtigen Vampir, der tief in ihre Gedanken einzudringen vermag. Und von dem eine düstere Gefahr ausgeht, die Ella abstößt und bis ins Unermessliche reizt …
Unfassbar fesselnd und unglaublich spicy: Die neue Dark-Romantasy-Reihe von Sara Hill. Vampire, die tödlich anziehend sind. Eine Heldin, die sich der größten Gefahr stellt. Und eine Liebe, die dunkler ist als die schwärzeste Nacht.
Bitte beachte: Die Bücher dieser Reihe enthalten explizite Darstellungen von Gewalt und Sex.
SARA HILL
IMMORTALWITH YOURKISS
Ich stand hinter der Kasse einer Tankstelle im Nirgendwo an der Route 66. Irgendwie hatte sie die Fünfzigerjahre überlebt. Joe, der Besitzer, nannte sie nostalgisch, mein Wort dafür war alt. Seit drei Monaten kassierte ich hier Einheimische und Vorbeifahrende ab. Es war nicht der beste Job aller Zeiten, aber ich bekam das Geld bar auf die Hand. Ein wichtiger Faktor für die Jobsuche, wenn man so lebte wie ich.
»Hm, vielleicht nehme ich noch ein Snickers«, sagte mein Kunde und fuhr mit den dürren Fingern durch sein schwarz gefärbtes Haar. Die Eckzähne im Mund waren angespitzt. Er wollte wohl einen Vampir darstellen.
Natürlich hatte Joe mir wieder die Spätschicht gegeben. Da kamen nur Freaks. Dieser Mister Pseudovampir hatte ja keine Ahnung. Er sollte sich lieber nicht wünschen, einem echten zu begegnen, denn die waren keineswegs so kuschlig, wie es sich die Menschen in der Regel vorstellten.
»Oder doch lieber ein Butterfinger?«, führte der Vampirtyp seine Überlegungen fort.
Mein Blick glitt zum Fenster, draußen war es bereits stockdunkel. Ich hatte noch ein paar Stunden vor mir.
»Nimm doch beide«, schlug ich vor, und er grinste, entblößte so die unechten Vampirzähne.
»Vielleicht nehme ich ja dich. Wann machst du heute Schluss?« Er sah mich mit einem Blick an, der wohl verführerisch wirken sollte, doch eher an den eines Hündchens erinnerte. Sollte ich ihm jetzt ein Halsband umlegen oder den Bauch kraulen?
»Meine Schwester holt mich ab«, antwortete ich. Das war eigentlich eine ganz belanglose Information, wenn man meine »Schwester« nicht kannte.
»Na, vielleicht kommt sie ja mit.« Er beugte sich vor, stützte sich am Tresen ab.
Ich wich zurück und wünschte mir, wir hätten so einen vergitterten Kassenbereich.
»Sie ist minderjährig. Wollen wir den Sheriff auch mitnehmen?«, warf ich ihm an den Kopf, und jetzt zuckte er zurück.
»Ich nehme ein Snickers.« Er holte es aus dem Karton.
»Gute Wahl«, erwiderte ich. »Das macht dann, mit Benzin, elf Dollar siebzig.
Er knallte fünfzehn auf den Tresen. »Behalt den Rest.«
Hastig verließ er den Laden, stieg in den Truck und brauste davon. Mit einem breiten Grinsen verstaute ich die Scheine in der Kasse. Ja, so ein minderjähriges Geschwisterchen konnte schon abturnend sein. Auch wenn minderjährig ein sehr dehnbarer Begriff war. Mein Blick glitt durch den Laden. Vielleicht sollte ich die Getränke auffüllen.
Gedacht, getan.
Ich steuerte den kleinen Lagerraum an und holte einen Kasten mit Halbliter-Colaflaschen. Ächzend schleppte ich ihn in den Laden, wünschte mir dabei, Vampirkräfte zu besitzen, und stellte ihn vor dem Kühlschrank ab. Ich öffnete dessen Glastür, um die Flaschen mit den Etiketten nach vorn schön säuberlich reinzuschieben.
In diesem Augenblick klingelten die Glöckchen über der Tür.
»Bin gleich da«, zwitscherte ich.
Ein Klicken, das ich schon so oft gehört hatte, ließ mich erstarren. Denn immer hatte ich anschließend in den Lauf der Waffe eines Jägers geblickt. Langsam drehte ich mich um, ein Revolver zeigte auf mich.
»Wo ist deine Meisterin?«, fragte der Typ; seine Augen funkelten.
Wie hatte er mich gefunden? Ich hob mit hämmerndem Herzen die Hände.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Mister.« Ich schluckte schwer, aber der straußeneigroße Brocken in meiner Kehle rutschte nicht weiter.
»Natürlich weißt du das«, zischte er und machte einen Schritt in meine Richtung. Ich trat einen zurück und stieß gegen das Regal mit Souvenirs, die hinter mir schepperten. In Gedanken ging ich durch, was in meiner Greifweite stand. Tassen! Direkt in Augenhöhe standen die Tassen.
»Nein, keine Ahnung, ich bin hier nur eine kleine Kassiererin. Ich gebe Ihnen alles, was Sie wollen. In der Kasse ist Geld.«
»Schauen wir mal, wie eine Kugel im Bein deine Erinnerungen weckt, oder?« Er zielte auf meinen Schenkel.
Instinktiv bedeckte ich ihn mit meiner Hand. »Bitte, Mister, ich habe Ihnen doch nichts getan«, flehte ich, während ich den anderen Arm hinter den Rücken schob, um nach einer Art Waffe zu tasten.
»Warum schützt du sie? Sie ist ein verfluchtes Monster, hat viele gute Männer umgebracht, und du bist ein Mensch.« Der Kerl legte den Kopf schief.
Ich spürte einen Pokal; der würde sicher ein gutes Geschoss abgeben.
»Wirklich, ich glaube, Sie verwechseln mich.« Ich packte den Metallkörper, schleuderte ihn auf den Mann, hechtete im gleichen Augenblick in Richtung Kasse, denn dort gab es eine echte Waffe.
Eine Kugel schlug knapp hinter mir ins Regal ein. Geschmeidig rollte ich mich ab. Der nächste Schuss traf über mir Gläser, Splitter spritzten in alle Richtungen. Einer streifte meinen Hals, und ein beißender Schmerz durchzuckte mich.
»Meine Kleine ist tabu, verflucht«, knurrte eine dunkle Stimme, die wenig Menschliches besaß, und die Waffe des Jägers landete klappernd auf dem Boden.
Ich schaute zu ihm. Maria hatte den Mann auf die Knie gezwungen, ihr Arm lag um seine Kehle. Trotz ihrer zierlichen Statur konnte sie den einen Kopf größeren Mann mühelos festhalten.
»Scheiß Dämon, auch wenn du mich umbringst, die anderen werden dich kriegen«, keuchte er.
»Nimm die Waffe!«, befahl Maria mir.
Schnell hob ich sie auf, hielt sie mit beiden Händen vor den Körper und nahm meinen Angreifer ins Visier.
»Kapiert das doch endlich. Ich will niemanden töten. Ehrlich, ich hasse euch nicht mal, genau genommen seid ihr Jäger mir so was von egal. Aber ihr zwingt mich dazu euch wehzutun, wenn ihr mein Mädchen in Gefahr bringt. Das würde jede Mutter für ihr Kind tun«, erwiderte Maria.
»Sie ist nicht dein Kind, du verrückter Blutsauger.«
Die Augen meiner Mutter leuchteten, sie war im Kampfmodus.
»Mach dir doch an dem nicht die Finger schmutzig. Bitte, Mom.« Die Waffe zitterte in meiner Hand.
»Sei froh, dass die Kleine ein Herz hat.« Maria schnürte dem Kerl die Kehle ab. Er röchelte und wurde im Gesicht röter als ein gekochter Hummer. Es dauerte nicht lange, dann verlor er das Bewusstsein.
Maria ließ ihn los, unsanft klatschte er auf den Boden.
»Komm, Ella, wir gehen.« Sie hielt mir die Tür auf.
Ich durchquerte den Raum, reichte ihr die Waffe des Jägers. Jetzt konnten wir also noch eine zu unserer Sammlung hinzufügen. Unser alter Wagen stand draußen, war bereits beladen.
Ich zog mein Handy aus der hinteren Hosentasche und wählte Joes Nummer, während ich einstieg.
»Hallo?« Er klang verschlafen.
»Ich bin’s, Alex. Leider musste ich den Laden verlassen und konnte ihn auch nicht mehr zusperren. Morgen solltest du dich nach einer neuen Aushilfe umsehen. Der Kerl, der da liegt, wollte mich überfallen. Mach’s gut und danke für alles.«
Bevor er etwas antworten konnte, beendete ich das Gespräch. Maria startete den Wagen, fuhr mit quietschenden Reifen davon. Sie sah zu mir und hob eine Braue.
Seufzend kurbelte ich die Scheibe ein Stück runter und warf das Handy auf die Straße. Wieder einmal. Der Wind zerrte an meinem Haar, und ich schloss das Fenster.
»Wo geht’s jetzt hin?« Müde lehnte ich mich zurück und senkte die Lider.
»Wie wär’s mit Wyoming?«, erwiderte Maria vergnügt, und ich stöhnte. »Da wird’s dir sicherlich gefallen, viele Rinder und eine tolle Landschaft.«
»Wie konnte uns der Scheißkerl aufspüren?« Ich hob den Kopf, sah zu ihr.
»Keine Ahnung, wir waren wirklich vorsichtig. Aber die Ordensbrüder haben ihre Augen überall. Ich war auf der Jagd und habe ihn vor dem Motel rumschnüffeln sehen. Dieses Jägerpack riecht man schon meilenweit. Als er wieder verschwunden war, habe ich die Sachen ins Auto geworfen. Wenn ich gewusst hätte, dass er schnurstracks zu dir gehen würde, wäre er nicht weit gekommen.«
»Und wenn es nicht die Jäger sind, dann sind Vampire hinter uns her. Warum können die uns nicht einfach in Ruhe lassen?« Ich legte meinen Kopf auf die Lehne, starrte zum Wagendach.
»Es tut mir ja so leid, Schätzchen.« Sie tätschelte mein Bein.
»Drei Monate, das war bisher unser Rekord«, sagte ich.
»Schlaf jetzt, bei Sonnenaufgang musst du weiterfahren«, erwiderte Maria.
Da blieb mir nichts anderes übrig, denn die Sonne war ihr ärgster Feind. Den Tag würde sie daher im Kofferraum verbringen. Aus diesem Grund stapelten sich unsere ganzen Klamotten auf der Rückbank.
Meine Mom war ein fast fünfhundert Jahre alter Vampir. Sie hatte mich auf einer Waldstraße im verunfallten Wagen meiner Eltern aufgelesen. Vor neunzehn Jahren. Die beiden waren tot, und sie hatte mich mitgenommen und versucht, Verwandte ausfindig zu machen. Als sie keine hatte aufspüren können, war ich bei ihr geblieben. Da war ich vier Jahre alt gewesen.
Seit diesem Zeitpunkt spielte sich mein Leben also nachts ab. Es hatte lange gedauert, bis ich erkannte, dass die meisten Menschen eigentlich bei Tag ihren Geschäften nachgingen.
»Außerdem stimmt das mit den drei Monaten nicht. Bis zu deinem siebten Lebensjahr haben wir in Alaska gelebt. Das waren immerhin drei Jahre, und wir wohnten um einiges länger als drei Monate bei Tonio.«
»Ach, das habe ich schon ganz verdrängt«, murmelte ich und dämmerte langsam weg.
***
Maria lenkte den Wagen durch die Nacht. Ella atmete gleichmäßig, sie war ganz offensichtlich eingeschlafen. Versonnen sah sie zu ihrer Tochter und strich ihr sanft das rot schimmernde Haar aus dem Gesicht. Das Mädchen wurde von Tag zu Tag hübscher. Bald war sie dreiundzwanzig. Es tat Maria unglaublich leid, dass sie ihr nicht das Leben bieten konnte, das sie verdiente. Sie müsste jetzt eigentlich studieren, mit Freundinnen ausgehen, das Unileben genießen. Obwohl das Herz in Marias Brust schon lange tot war, erfüllte Ella es mit Leben. Dieser eine Mensch auf Erden hielt sie nicht für ein Monster, liebte sie sogar. Das schenkte Maria ein wenig das Gefühl, normal zu sein.
Natürlich war jetzt alles schwieriger. Aus dem vierjährigen Kind war eine junge Frau geworden, die auch gern Männer datete. Maria konnte das verstehen.
Damals, kurz vor ihrer Wandlung mit achtzehn, hatte sie auch gerade damit begonnen, sich für das andere Geschlecht zu interessieren. Ihre Amme hatte sich dazu berufen gefühlt, sie in puncto Männer aufzuklären, weil Maria verheiratet werden sollte. Was sie zu guter Letzt in Neros Arme geführt hatte, der sie zu einer Vampirin machte. Seither alterte sie äußerlich nicht. Daher gaben Ella und sie sich mittlerweile als Schwestern aus.
Maria seufzte leise. Sie mussten sich unbedingt ein neues Auto beschaffen. Dieses hier kannte der Blutjäger. Vielleicht hätte sie ihn doch töten sollen. Aber sie brachte es nur schwer übers Herz, wenn Ella dabei zusah. Zu oft hatte das Mädchen die grausame Welt des Schattenreichs schon erleben müssen. Nicht nur die Jäger waren hinter ihnen her, sondern auch die Vampire. Denn es wurde nicht geduldet, wenn eine Sterbliche von der Welt des Schattenreichs wusste.
Und dann war da Nero, der sie jagte. Viele Jahrhunderte war Maria mit ihm durch die Lande gereist, hatte der Blutlust gefrönt, bis sie in die hellgrünen Augen dieses vierjährigen Kindes geblickt hatte und ihr Mutterinstinkt erwacht war. Ella durfte niemals erfahren, was damals in dem Wald wirklich geschehen war. Ihren Hass würde Maria nicht ertragen.
»Da ist wieder dieser neue Lehrer. Er sitzt natürlich an einem deiner Tische«, sagte Lacey und stupste mich mit dem Ellenbogen an.
Er saß am Fenster des im mintfarbenen Fünfzigerjahre-Retroschick eingerichteten Diners und blätterte in einem Buch. Mister Bennet unterrichtete seit Beginn des neuen Schuljahrs, also seit rund zwei Wochen, Kunst und Geschichte an der Highschool und ersetzte Mister Johnson, der sich in den Ferien bei einem Kletterunfall das Bein gebrochen hatte. Genauso lange lebte Mister Bennet also schon in der winzigen Kleinstadt in Montana – am Ende der Welt. Er stammte, meiner gut informierten Kollegin zufolge, aus Boston. Gegen ihn war ich ja fast schon alteingesessen, denn ich lebte bereits drei Monate hier.
Dann wollte ich mal wieder! Ich strich über meine ebenso mintfarbene Kellnerinnenuniform, holte Block und dazu einen Stift aus der Schürzentasche und ging zu ihm.
Dunkelblonde Strähnen hingen dem Mann verwegen ins Gesicht. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass die Schülerinnen der örtlichen Highschool neuerdings ein gesteigertes Interesse an Kunst hatten. Er war wirklich ein wahrer Leckerbissen, sah nicht wie ein Kunst- oder Geschichtsnerd aus, sondern eher wie ein Football-Ass.
»Hallo, Mister Bennet, schön, Sie zu sehen. Was hätten Sie denn gern?«, fragte ich, und mein Blick glitt über das aufgeschlagene Buch vor ihm. »Das ist ja eine Statue von Giovanni dalle Bande Nere, die steht in Florenz«, sagte ich, und Mister Bennet sah zu mir.
Er hob seine blonden Brauen. »Das ist richtig. Nicht schlecht. Das würden nicht viele wissen. Ich möchte meine Schüler gern für Florenz und die Renaissance begeistern«, stellte er beeindruckt fest.
»Ich wurde von meiner Mom zu Hause unterrichtet, sie war ein echter Renaissance-Fan.« Genau genommen war meine Mom zu dieser Zeit geboren worden, und ihr richtiger Nachname lautete de’ Medici. Giovanni dalle Bande Nere war ihr Großvater gewesen.
»Ihre Mom war ein Fan, hat sie jetzt andere Vorlieben?«, wollte er wissen.
»Sie ist leider gestorben«, erwiderte ich, setzte meinen traurigsten Gesichtsausdruck auf und vergaß hinzuzufügen, dass dies schon fast fünfhundert Jahre her war.
»Das tut mir leid.« Mister Bennet bedachte mich mit einem mitleidsvollen Blick.
»Ich danke Ihnen. Irgendwann möchte ich Florenz einmal sehen und Michelangelos Grab in der Basilika Santa Croce besuchen. Er war ein begnadeter Künstler.« Und wenn man Maria Glauben schenkte, auch ausgesprochen aufgeschlossen. Sie hatte ihn kennengelernt, als sie einmal nach Rom reiste.
»Er selbst hat sich immer mehr als Bildhauer denn als Maler gesehen, obwohl er diese wunderschönen Fresken in der Sixtinischen Kapelle geschaffen hat.« Mister Bennet blätterte ein paar Seiten weiter.
»Ja, Die Erschaffung Adams würde ich auch gern mal mit eigenen Augen sehen. Aber mit meinem mickrigen Kellnerinnengehalt werde ich noch lange darauf sparen müssen«, erwiderte ich seufzend.
»Wieso arbeiten Sie hier eigentlich? So, wie ich das sehe, sind Sie eine sehr interessierte und clevere junge Frau. Warum studieren Sie nicht?«, fragte er.
»Ich habe keinen richtigen Abschluss. Mom starb, und meine Schwester, um die ich mich seit ihrem Tod kümmern muss, leidet unter einer ganz schweren Form von photoallergischer Dermatitis. Sie kann tagsüber das Haus nicht verlassen.« Ihre Allergie war so schwer, dass sie in der Sonne im wahrsten Sinne des Wortes zu Staub verbrannte. Aber auch diesen Gedanken behielt ich lieber für mich.
»Da hätte ich einen Vorschlag. Schreiben Sie Ende September den ACT mit, dann habe Sie etwas, womit Sie sich bewerben können.
»Ende September, das sind ja nur noch zwei Wochen«, gab ich zu bedenken.
»Kein Problem, ich helfe Ihnen beim Lernen. Wann haben Sie heute Feierabend?«
»Um sechs.«
»Wir könnten uns kurz nach sechs in der Bibliothek treffen, einverstanden?«
Seine saphirblauen Augen sahen mich erwartungsvoll an. Ich wusste nicht, warum, aber ich nickte. Vielleicht war es die Aussicht, den Abschluss nachzuholen, vielleicht aber auch schlicht die Tatsache, dass der Mann so verflucht attraktiv war und das Treffen zum Pauken einem Date am nächsten kam.
»Und nennen Sie mich Jaden.«
»Claire.« So lautete mein Deckname für diese Stadt.
Ich spürte Hitze in meine Wangen steigen, blickte zu Lacey, die breit grinste, während ich schluckte. Jetzt musste ich Mom verklickern, dass ich heute später nach Hause kam.
Ich wandte mich wieder Mister Bennet zu. »Sie haben noch nichts bestellt.« Ich hob den Block in die Höhe, woraufhin er lächelte, was ihm sehr gut stand.
»Einen Kaffee und den Burger nach Art des Hauses«, erwiderte er.
»Also wie immer. Dachte ich mir«, resümierte ich und notierte die Bestellung.
»Bin ich so vorhersehbar?« Jetzt wurde sein Lächeln zu einem Grinsen, und mein Puls schoss in die Höhe.
»Nun ja, Sie haben, seit Sie zum ersten Mal hier reinkamen, nichts anderes bestellt«, gab ich zurück.
»Okay, vielleicht überrasche ich Sie das nächste Mal.« Das Grinsen wurde breiter, brachte mein Herz regelrecht zum Flattern, und meine Wangen glühten.
Die Tür des Diners wurde geöffnet, und vier Mädchen betraten das Lokal. Als ihre Blicke auf Mister Bennet fielen, begannen sie zu kichern, dann liefen sie direkt auf uns zu und stoppten neben mir.
»Hallo, Mister Bennet«, sagte die eine, während die anderen weiterkicherten.
»Hi, Milli, hi, Chelsea, hi, Vanessa und Camila. So heißt ihr doch, nicht wahr?«, gab der Mann zurück.
»Sie haben sich unsere Namen gemerkt?«, fragte die offensichtlich von den anderen ernannte Sprecherin überrascht.
»Milli, natürlich merke ich mir die Namen meiner Schüler. Das ist doch normal«, meinte Jaden.
Jaden – so durfte ich ihn nennen.
»Sagen Sie das mal Ms. Santiago, der Spanischlehrerin. Die kennt unsere Namen nach einem Jahr immer noch nicht«, gab Milli zurück.
Ihre Begleiterinnen kicherten ungehemmt, und die Gesichter nahmen eine tiefrote Farbe an. Weiter dabei zuzusehen, wie eine pubertierende Meute Schulmädchen den Lehrer anschmachtete, das wollte ich mir nicht länger antun.
»Ihr Kaffee, schwarz wie die Nacht, kommt sofort.« Ich steuerte den Tresen an, hinter dem Lacey mit einem breiten Grinsen auf mich wartete. Sie drehte sich zur Kaffeemaschine und ergriff eine der Tassen, die im Hängeregal darüberstanden, während ich mich zu ihr gesellte und vor die Durchreiche zur Küche trat.
»Mateo, für Mister Bennet wie immer einen Burger nach Art des Hauses.« Ich klemmte den Bestellzettel an das Rondell, das in der Mitte der Durchreiche hing, und drehte es in Richtung Küche.
Walt, der Besitzer des Diners, befüllte gerade den Korb der Fritteuse mit gefrorenen Fritten, während sich Mateo die Hände an seiner Schürze abwischte und zu mir kam.
»Zur Hölle, wie kann der Kerl nur so in Form bleiben, wenn er hier jeden Tag Burger isst?« Er beäugte den Zettel.
»Vielleicht treibt er viel Sport? Das solltest du auch mal ausprobieren.« Lacey stellte sich neben mich.
»Ich finde ja, Kartons mit Konserven zu schleppen, ist genug Sport«, murmelte Mateo und machte sich daran, den Burger zuzubereiten.
»Hier, der Kaffee für Mister Fantastic.« Lacey hielt die Tasse vor mich hin. »Schwarz wie die Sünde, ganz so, wie er ihn mag«, sagte sie dabei mit lasziver Stimme.
Ich nahm die Tasse, drehte mich in Richtung Fenster und musterte den Mann, der sich wieder mit dem Buch beschäftigte. Seine Schülerinnen hatten den Tisch neben seinem gewählt. Das mintgrüne Kunstleder knirschte, als sie tuschelnd auf den Polsterbänken vor dem Fenster Platz nahmen. Wenn ich mir die Mädchen so ansah, schien Jaden schon nach der kurzen Zeit als Lehrer sehr beliebt zu sein. Ein ganz normaler Typ, der offenbar gern unterrichtete und seine Schüler sogar erreichte. Vielleicht hatte ich ja auch mal etwas Glück …
»Jetzt hör auf, ihn nur anzustarren, und bring ihm den Kaffee, bevor er noch kalt wird«, raunte mir Lacey zu, und ich setzte mich in Bewegung.
***
Maria stand auf dem Dach der Scheune, die zu dem alten Farmhaus gehörte, das Ella und sie gemietet hatten. Der Nachtwind zog an ihrem kinnlangen Haar. Ihr Blick war auf die unbefestigte Straße gerichtet, die zu der Farm führte. Der fahle Schein des vollen Mondes erhellte die steppenartige Graslandschaft, die das Anwesen umgab. Potenzielle Feinde könnte sie schon ausmachen, auch wenn sie noch meilenweit entfernt waren. Zudem war es für Angreifer sehr schwierig, in dem flachen Gelände Deckung zu finden. Daher hatte man früher auch einen Verteidigungskreis um Burgen und Städten gerodet.
Marias Blick schweifte über das Gelände. Alles blieb ruhig. Nicht einmal Hasen hoppelten über die Weiden. Eine Brise streichelte ihre Wange. Noch roch es nach Sommer, doch der Herbst klopfte bereits an die Tür. Menschen würden diese Nacht wahrscheinlich als kühl empfinden, aber sie spürte weder Wärme noch Kälte. Während sie weiter der Umgebung ihre Aufmerksamkeit schenkte, zog sie das Smartphone aus der Vordertasche der Lederjacke.
Wo zur Hölle blieb das Mädchen? Sie hatte gesagt, dass sie nach der Arbeit noch in die Bibliothek gehen wollte. Um sechs war ihre Schicht zu Ende gewesen, und jetzt war es – Maria aktivierte das Handy – bald neun Uhr. Was, wenn Ella in Schwierigkeiten steckte? Hilfe brauchte? Maria wählte Ellas Nummer und wurde zum dritten Mal an die Mailbox weitergeleitet.
»Verflucht«, zischte sie und schob das Handy in die Tasche zurück.
Sie machte einen Schritt nach vorn und sprang in die Tiefe. Geschmeidig landete sie auf ihren Füßen. Die zehn Meilen bis zur Stadt ohne Auto zu überwinden, war für sie aufgrund ihrer vampirischen Fähigkeiten ein Klacks. Doch sie hatte nie eine dieser Gluckenmütter sein wollen, die ihrem Kind hinterherschnüffelten. Zudem war ihre Tochter erwachsen. Aber Ella ließ ihr keine andere Wahl. Sie musste sie suchen.
***
Ich saß neben Jaden in dem kleinen Kino des Städtchens und ließ Revue passieren, wie ich hier gelandet war. Wie verabredet hatten wir uns in der Bibliothek getroffen. Er empfahl mir einige Bücher, die mir bei der Vorbereitung auf den Test helfen konnten und die ich mir dann auch auslieh. Anschließend begleitete er mich zu meinem Wagen und erzählte mir, dass Nosferatu im örtlichen Kino laufe. Ein Pionier des Gruselgenres, wie er mir begeistert erzählte. Neben der klassischen Kunst liebte er auch Filme. Er hatte sich sogar überlegt, eine Film-AG an der Schule anzubieten.
Aus einem Impuls heraus schlug ich ihm vor, dass wir uns diesen Film zusammen anschauen könnten, da ich angeblich eine große Schwäche für Vampirfilme hätte. Was nicht zutraf, denn mein ganzes Leben war ein wahr gewordener Vampirfilm. Jaden war von meinem Vorschlag sehr angetan. Also waren die Bücher in meinem Wagen auf der Rückbank liegen geblieben und ich hatte eine halbe Stunde später neben diesem unglaublich attraktiven Mann in dem Kinosaal gesessen, der definitiv schon bessere Tage gesehen hatte.
Ich blickte mich um. Der alte Schwarz-Weiß-Schinken hatte keine weiteren Zuschauer hinter dem Ofen hervorgelockt, und so waren wir hier ganz allein. Manch einer würde die Situation ausnutzen, doch Jaden erwies sich als perfekter Gentleman. Irgendwie wünschte ich mir, er würde einen Annäherungsversuch machen. Seufzend schenkte ich wieder dem Geschehen auf der Leinwand meine Aufmerksamkeit.
Gerade ging der Vampir in den ersten Sonnenstrahlen in Rauch auf, und ich schloss die Augen. Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Die Angst, dass Maria das gleiche Schicksal ereilen könnte, war allgegenwärtig. Schon die Vorstellung ließ mir das Blut in den Adern gefrieren, und mir fiel der Grund ein, warum ich Vampirfilme nicht mochte. Meistens wurden die Kreaturen der Nacht am Ende vernichtet. Keiner sah sie so, wie ich sie sah: liebevoll und fürsorglich. Zumindest war Maria so. Heiße Tränen liefen über meine Wangen.
»Claire, weinen Sie?«, fragte Jaden.
»Mir ist was ins Auge gekommen«, erwiderte ich und wischte mir mit dem Handrücken die Nässe von den Wangen. »Ich muss mal zur Toilette.«
Hastig stand ich auf und eilte die Reihe entlang, dann die Treppe hoch. Teppich dämpfte meine Schritte. Ich stürmte aus dem Saal, an der Popcorn-Theke vorbei und erreichte die Toiletten. Aus dem Papierspender neben dem Waschbecken zog ich ein paar Tücher und schnäuzte mich, um dann vor den Spiegel zu treten.
»Seit wann bist du so nah am Wasser gebaut?«, fragte ich mein Spiegelbild vorwurfsvoll. »Jetzt hält dich Jaden für eine verdammte Heulsuse.«
Ich ließ Wasser aus dem Hahn in meine Hand laufen, benetzte das Gesicht damit und trocknete mich ab. Zum Glück schminkte ich mich nicht, wenn ich arbeitete. Genau genommen trug ich nur selten Make-up.
Ich richtete mich auf, streifte mir das lange Haar zurück, straffte die Schultern und fuhr über mein Shirt, das nach Diner roch. Es war an der Zeit, das Klo wieder zu verlassen.
Jaden stand mit meiner Jacke und seiner Collegetasche vor der Tür.
»Alles in Ordnung?«, fragte er besorgt.
»Ja, es war ein langer Tag«, antwortete ich und nahm meine Jeansjacke entgegen.
»Hat Sie der Tod des Vampirs so traurig gemacht?«, erkundigte er sich.
»Ich finde, dass es zutiefst missverstandene Geschöpfe sind«, gab ich zurück.
»Orlok war ein Monster und hat viele Menschen getötet; ich würde sagen, er hatte den Tod verdient«, erwiderte Jaden, der neben mir in Richtung Ausgang schritt.
»Orlok war ein Süchtiger. Und süchtige Menschen machen mitunter schlimme Sachen«, sagte ich.
Jaden hielt mir galant die Tür auf. Der Angestellte hinter der Kasse wünschte uns einen schönen Abend.
Draußen begrüßte mich die kühle Nachtluft, und ich streife die Jacke über.
»Frieren Sie nicht?«, wollte ich wissen.
Mein Begleiter trug nur ein dünnes Hemd und dazu eine Jeans, die seine schmale Hüfte sehr vorteilhaft betonte.
»Die Jacke liegt in meinem Pick-up. Aber keine Sorge, ich halte schon einiges aus, und das Hemd hat lange Ärmel«, antwortete er vergnügt und hängte den Träger der Collegetasche über seine breite Schulter.
»Ich muss zum Diner zurück, dort steht mein Wagen«, sagte ich.
»So ein Zufall, da befindet sich auch mein Pick-up. Dann sollten wir hier nicht länger in der Kälte herumstehen«, meinte Jaden, und wir liefen los.
»Sie sind eine ungewöhnliche Frau«, bemerkte er, als er neben mir die Straße entlangschlenderte. »Bisher ist mir noch keine begegnet, die über Orloks Tod weint.«
Sein Blick fixierte meinen.
»Orlok ist vielleicht kein sehr sympathischer Vertreter dieser Gattung. Aber schließlich waren Vampire einmal Menschen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass von dieser Menschlichkeit nichts übrig geblieben ist und sie nach ihrer Wandlung ausnahmslos zu grausamen Monstern mutierten.«
»Sie wissen schon, dass Vampire nicht wirklich existieren?« Jaden lächelte.
»Ich führe hier nur eine rein hypothetische Diskussion. Ihnen sind wohl die Argumente ausgegangen, daher kommen Sie mir jetzt mit: Es gibt gar keine Vampire«, erwiderte ich herausfordernd. »Also nehmen wir mal an, es gäbe sie. Wieso sollten sie alle so schablonenhafte Monster wie Orlok sein? Ich denke, nicht jeder Unsterbliche hat den Tod verdient. Vielleicht könnten wir friedlich mit ihnen zusammenleben.«
»Okay, ich lasse mich darauf ein. Die Menschen in dem Filmstädtchen, in dem Orlok gewütet hat, werden das wohl anders sehen. Wesen, die unser Blut zum Überleben brauchen, können nicht mit uns Sterblichen friedlich zusammenleben. Vor allem, da sie ja, wenn man diversen Filmen Glauben schenken mag, Menschen an Kraft und Schnelligkeit weit überlegen sind. Wenn wir uns in so einem Fall nicht gegen sie wehren würden, würden sie uns irgendwann unterjochen und wie Vieh halten.«
»Oder sie ernähren sich von Tierblut und wie Menschen von Fleisch. Problem gelöst«, sagte ich triumphierend.
»Glauben Sie wirklich, dass eine Ersatzdroge Süchtige für immer von dem abhält, wonach sie gieren?«, wollte Jaden wissen.
Sein ernster Blick traf auf meinen, und ich schluckte. Ich wollte es glauben. Schon die Vorstellung, dass Maria ohne mein Wissen hin und wieder Menschen tötete, um sich an deren Blut zu laben, schickte eine Gänsehaut über meinen Körper.
Nein, meine Mom tat so etwas nicht. »Ich glaube ganz fest daran, dass jeder seine Süchte besiegen kann, wenn er hart an sich arbeitet«, antwortete ich.
»Sagen Sie das mal den vielen notorischen Spielern in Atlantik City«, konterte Jaden.
»Okay, ich gebe zu, nicht jeder schafft es oder will es schaffen.«
Wir erreichten den Parkplatz des Diners, und ich schnappte nach Luft. Maria lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen am Wagen und schaute mich finster an.
»Alli, was machst du denn hier?«, fragte ich sie, als wir sie erreicht hatten.
»Weißt du, wie spät es ist?«, erwiderte sie mit gepresster Stimme, dann musterte sie Jaden, der sie mit einem seltsamen Blick beäugte.
»Ach, wo sind meine Manieren? Das ist Allison …« Moms Deckname für diese Stadt. »Meine kleine Schwester. Und hier haben wir Jaden. Er unterrichtet an der Highschool Kunst und Geschichte. Jaden hat mir vorgeschlagen, Ende September den ACT mitzuschreiben. Wenn ich ihn bestehe, kann ich mich damit bei Colleges bewerben. Daher haben wir uns heute in der Bibliothek getroffen, um Bücher zum Lernen auszuleihen. Die liegen auf dem Rücksitz. Anschließend sind wir ins Kino gegangen …«, sprudelte es aus mir heraus, doch Moms Blick brachte mich zum Schweigen.
»Sie sind der Lehrer«, sagte sie mit honigsüßem Lächeln.
»Das bin ich.« Jaden nickte.
»Sie sehen nicht wie einer aus.«
»Wie sieht denn ein Lehrer üblicherweise aus?«, erkundigte sich Jaden.
»Nicht so … sportlich.«
Mom sah kurz zu mir, und ich wäre am liebsten im Boden versunken. Wie peinlich konnte es noch werden?
»An meiner alten Schule unterrichtete ich auch Sport.« Jaden verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. »Wie alt sind Sie?«, fragte er sie direkt.
»Neunzehn«, gab sie zurück.
Was das Alter betraf, war sie sehr flexibel. Wenn es von Vorteil war, minderjährig zu sein, war sie siebzehn, wenn erwachsen zu sein besser klang, dann erzählte sie jedem, sie sei neunzehn oder einundzwanzig.
»Sie könnten den Test ebenfalls mitschreiben«, schlug Jaden vor.
»Was würde mir das nützen?«, fragte sie.
»Weil Sie Ihrer Meinung nach, wegen ihrer Sonnenallergie, nicht studieren können? Claire hat mir davon erzählt. Da gibt es bestimmt eine Lösung«, meinte er zuversichtlich, und Maria wandte sich mir zu.
»Ich würde den Test wirklich gern mitschreiben«, sagte ich fast flehentlich.
»Was für ein Film?«, erkundigte sich Mom plötzlich, und ich sah sie verdattert an. »Ihr wart doch im Kino. Was für einen Film habt ihr euch angesehen?«
»Nosferatu, das Original aus dem Jahr 1922«, ergriff Jaden das Wort.
»Ein … Vampirfilm?« Maria zog eine dunkle Braue hoch.
»Das ist nicht nur ein schnöder Vampirfilm, sondern ein Meilenstein des Horrorkinos«, sagte ihr Gegenüber.
»Wie dem auch sei, meine Schwester und ich sollten jetzt nach Hause fahren. Alli, komm, steig ein«, befahl ich in der Tonlage der typischen großen Schwester.
Sie stieß sich vom Wagen ab, umrundete ihn, um die Beifahrertür zu öffnen, während ich mich Jaden zuwandte.
»Sie und Ihre Schwester sehen sich nicht sehr ähnlich«, meinte er.
»Weil mein Haar kupferrot und ihres schwarz ist? Weil ich keine rehbraunen Augen habe wie sie, sondern lindgrüne. Weil Alli zierlich ist und ich eher sportlich gebaut bin. Tja, ich komme nach unserem Dad, sie nach Mom. Wollen Sie noch mehr wissen?«, fragte ich scharf. Ich mochte es nicht, verhört zu werden.
»Nein, tut mir leid, die Anmerkung gerade eben war dumm von mir, vergessen Sie sie wieder. Eigentlich wollte ich sagen, dass es ein sehr schöner Abend war.« Er grinste und brachte mich damit zum Lächeln.
Jetzt kribbelte es in meiner Magengegend. »Ja, das war es«, gab ich zurück.
»Claire, kommst du jetzt endlich?«, quengelte Maria. Sie war ganz in ihrer Rolle aufgegangen.
»Ja, natürlich«, erwiderte ich, während ich in Jadens saphirblauen Augen versank. »Wir sehen uns«, sagte ich und öffnete die Wagentür.
»Auf jeden Fall, denn ich helfe Ihnen ja beim Lernen. Schon vergessen?«
»Stimmt. Außerdem wartet morgen im Diner wieder ein Burger nach Art des Hauses auf Sie. Also, bis dann.« Ich stieg ein und schloss die Tür, anschließend startete ich den Wagen. Jaden winkte noch, dann lenkte ich den Wagen auf die Straße.
***
Maria starrte angespannt aus dem Fenster. Wie Ella diesen Typen angesehen hatte, machte sie ganz und gar nicht glücklich. Obwohl ihr immer klar gewesen war, dass die Kleine sich irgendwann in jemanden so richtig verlieben und sich damit alles ändern würde. Doch dieser Zeitpunkt hatte für Maria in weiter Ferne gelegen. Bisher war Ellas Kontakt mit dem anderen Geschlecht nur auf das Sammeln von Erfahrungen beschränkt und nichts Ernstes gewesen. Wenn Maria nur an den Idioten dachte, der Ella damals entjungfert hatte, wollten sich ihre Eckzähne auch heute noch in dessen Fleisch graben.
Aber Jaden schien für sie mehr zu sein. Er war wirklich äußerst attraktiv, könnte sogar Marias totes Herz zum Schlagen bringen, auch wenn sie das nur unter schwerster Folter zugeben würde. Ganz zu schweigen von dem Duft seines Blutes. Viel zu lange war sie keinem Menschen mehr begegnet, dessen Aroma sie so unglaublich angesprochen hatte. Und da war eine weitere Note gewesen, die sie nicht zuordnen konnte. Die ihn noch begehrenswerter machte. Schon wenn sie daran dachte, pulsierten ihre Eckzähne.
Nein, sie musste dieses absurde Verlangen tief in sich vergraben. Das Blut dieses Kerls war so was von tabu. Er unterstützte Ella, war offensichtlich ein netter Typ und hatte einen soliden Job. Wenn es mit Ella und ihm klappte, würde er ihr das Leben bieten, das die Kleine verdiente. Ein schönes Häuschen, Kinder und Normalität. Sie müsste nicht mehr ständig flüchten und könnte sesshaft werden.
Aber was würde dann aus mir werden?
Maria hatte das Gefühl, dass ihr totes Herz zu einem schweren Bleiklumpen wurde. Sollte sie das Haus neben Ellas kaufen und als vampirische Großmutter die Enkel hüten? Die Tatsache, dass sie nicht alterte, wäre dem Schwiegersohn nur schwer zu erklären – oder den Nachbarn. Meine Schwiegermutter ist ein Vampir: ein hübscher Titel für eine neue Sitcom. Wieder seufzte Maria.
»Wie findest du Jaden?«, fragte Ella in die Stille hinein, und Maria wandte sich ihr zu.
»Auf den ersten Blick scheint er ganz okay zu sein.«
»Auf den ersten Blick? Was willst du damit sagen? Was ist mit dem zweiten?«
»Wer weiß, was hinter seinem Zahnpastalächeln steckt. Vielleicht ist er ein Serienmörder oder …«
»Ein Jäger«, beendete Ella den Satz. Jetzt seufzte sie. »Er hat bisher nicht versucht, mich zu erschießen oder zu foltern, um herauszufinden, wo du steckst. Als du am Auto auf uns gewartet hast, wollte er dir nicht den Kopf abschlagen. Das ist nämlich die übliche Vorgehensweise von Jägern, und er unterrichtet wirklich an der Highschool, denn es waren Schülerinnen im Diner, die ihn begrüßt haben. Was sollte ein Jäger unterrichten? Enthaupten und Abfackeln?«, fragte Ella sarkastisch.
»Es ließe sich ganz einfach herausfinden, was in seinem Kopf vorgeht«, erwiderte Maria und richtete sich auf.
»Nein, Mom! Du wirst nicht in seinen Geist eindringen!« Ella wurde laut.
»Ganz diskret. Er würde es gar nicht bemerken.« Maria legte eine Hand auf Ellas Arm, die ihr einen wütenden Blick zuwarf.
»Nein! Das ist mein letztes Wort.«
Ihre Tochter klang sehr entschlossen.
»Übrigens unterrichtet er Kunst und Geschichte. Stell dir vor, er hat für die Renaissance eine große Schwäche«, sagte sie in einem versöhnlicheren Ton.
»Das glaube ich gleich. Er musste ja nicht als Frau zu dieser Zeit leben.« Maria zog ihre Hand zurück.
»Mom, gib ihm eine Chance. Ich würde diesen Test wirklich gern machen.«
»Ach, Süße, ich kann dir einfach nichts abschlagen. Das konnte ich noch nie. Außerdem will ich nur das Beste für dich.« Maria strich über Ellas Wange, spürte die Wärme ihrer Haut. »Du weißt, dass ich dich sehr lieb habe«, flüsterte sie.
»Ich habe dich auch lieb, Mom«, antwortete Ella, und heiße Tränen drängten an die Oberfläche.
Auch über Marias zartes Gesicht perlten salzige Tropfen.
»Wir sind zwei furchtbare Heulsusen«, schniefte sie.
»Das ist schon in Ordnung. Durch dich spüre ich das Leben, ohne menschliches Blut zu mir nehmen zu müssen«, erwiderte Maria.
»Ist es immer noch schwer?«, fragte Ella.
»Was?«
»Kein Menschenblut zu trinken?« Ihr Blick begegnete kurz Marias.
»Mit der Zeit wird es leichter. Mittlerweile denke ich nicht einmal mehr daran«, antwortete sie.
Doch das war nicht ganz die Wahrheit. Nach all den Jahren war dieses Verlangen ungebrochen, und Maria musste jeden verfluchten Tag mit der Kreatur in sich kämpfen. Denn sich nur von Tierblut zu ernähren hieß, dass sie nicht über ihre vollen Vampirkräfte verfügte. Den meisten Menschen war sie zwar noch immer überlegen, aber andere Vampire könnten sie in ihrem geschwächten Zustand leicht besiegen.
***
Mom blickte aus dem Beifahrerfenster. Ich wusste, dass sie dank ihrer übermenschlichen Sicht jeden Busch und Felsen auch in weiter Entfernung erkannte, während ich nur das sah, was der Lichtkegel des Scheinwerfers offenbarte. Außerdem wusste ich auch, dass sie mir nicht die ganze Wahrheit sagte. Kein menschliches Blut zu trinken, war ein sehr großes Opfer, das sie für mich erbrachte. Wie konnte ich nur daran denken, sie zu verlassen, um an einer Uni zu studieren? Das schlechte Gewissen nagte wie eine kleine, bösartige Ratte an mir.
Aber es ist doch normal, dass Kinder ihre Eltern verlassen, um ein eigenständiges Leben zu beginnen, wandte eine kleine Stimme in meinem Inneren ein.
Nun ja, an meinem Leben war jedoch rein gar nichts normal.
»Ella, mach den Test, schreib dich in einer Uni ein, und genieße dein Leben. Ich werde schon zurechtkommen.« Mom legte eine Hand auf meinen Arm.
»Woher weißt du, was ich gerade dachte? Hast du in meinem Kopf herumgeschnüffelt?«, fragte ich aufgebracht.
Mom lächelte mild, und mein harscher Ton tat mir leid.
»Nein, Süße, das muss ich gar nicht. Deine Gedanken stehen dir regelrecht ins Gesicht geschrieben.« Sie strich zart eine Strähne von meiner Wange.
Vor uns tauchten die Umrisse der Farm auf, die im fahlen Mondschein wie der verlassenste Ort der Welt wirkte.
Ich passierte die knorrigen Kirschbäume und parkte den alten Ford vor der Treppe, die zur Veranda hinaufführte.
Nachdem ich den Wagen verlassen hatte, holte ich die Bücher von der Rückbank – und meinen Rucksack, den ich ebenfalls im Auto gelassen hatte.
»Hast du schon gegessen?«, erkundigte sich Maria, während wir die drei Stufen zur Veranda nahmen.
»Einen Salat im Diner, bevor ich mich mit Jaden in der Bibliothek getroffen habe«, erwiderte ich.
»Salat? Bist du ein Kaninchen? Ich mach dir den Hühnchenauflauf warm, den ich heute für dich gekocht habe.« Maria öffnete das Fliegengitter, das laut ächzte, dann die Haustür. Sie trat ein, und ich folgte ihr.
»Das brauchst du nicht. Ich habe keinen Hunger.« Ich deponierte den Rucksack auf der Kommode unter der Garderobe, die Bücher legte ich auf den Esstisch im Landhausstil.
Die Möbel wiesen einige Gebrauchsspuren auf, aber trotzdem war es hier sehr gemütlich. Wir hatten im Laufe der Jahre schon schäbiger gehaust. Das Aroma von Hühnchen kroch meine Nase hinauf, und mein Entschluss, nichts mehr zu essen, geriet ins Wanken. Maria war erstaunlicherweise eine sehr gute Köchin, obwohl sie menschliche Nahrung nicht zu sich nehmen konnte, da für sie alles außer Blut nach Asche schmeckte. Nein, es war viel zu spät zum Essen. Also blieb ich standhaft und zog die Jacke aus. Maria nahm sie mir ab, um sie mit ihrer an die Garderobe zu hängen.
»Was hast du da alles?« Sie beäugte die Bücher.
»Bücher über Mathematik, Englisch und Naturwissenschaften wie Geografie oder Biologie«, erklärte ich, und Maria schlug eines der Werke auf.
»Hier geht es um den Jupitermond Europa. Willst du nach bestandenem Test ins Weltall fliegen?« Sie sah zu mir und grinste.
»Das sind einfach nur Allgemeinbildungsthemen.« Ich trat neben sie. »Du warst doch auch immer sehr an der Wissenschaft interessiert. Das müsste dir daher eigentlich gefallen«, sagte ich.
»Stimmt, und das zu einer Zeit, in der Frauen lieber das Sticken lernen sollten. Ich habe damals alles gelesen, was mir in die Finger kam. Dieses Buch wäre für mich der Himmel gewesen.« Sie blätterte weiter. »Aufgrund von Bildern unbemannter Raumsonden haben Wissenschaftler festgestellt, dass Europas Oberfläche nur wenige Meteoritenkrater aufweist, seine Oberfläche damit sehr glatt ist …«, las Maria vor und sah zu mir. »Obwohl ich mehrere Leben gelebt habe, erstaunt mich immer wieder, wozu die Wissenschaft heutzutage fähig ist. Weißt du was, ich glaube, ich schreibe diesen Test auch mit.«
»Darüber reden wir morgen.« Ich klappte das Buch zu. »Mom, ich bin hundemüde und geh ins Bett.«
»Klar, Schätzchen, du hattest einen langen Tag.« Sie umfasste mein Gesicht mit ihren kühlen Händen, zog meinen Kopf sanft zu sich und hauchte einen Kuss auf meine Stirn. »Schlaf gut.« Sie gab mich frei.
Ich holte mein Handy aus der Jackentasche und steuerte die Treppe an, die der Haustür gegenüberlag. Mom würde wahrscheinlich die ganz Nacht die Umgebung im Blick behalten. Für den Fall, dass Jaden doch kein Lehrer war und uns Jäger auflauerten. Es lag einfach in ihrer Natur, jedem zu misstrauen. Wenn ich ehrlich war, hatte uns ihr Misstrauen schon ein paarmal den Arsch gerettet. Vielleicht sollte ich in meinen Klamotten schlafen? Nein! Dieses Mal hatte sie unrecht. Jaden war ein netter Mann, der mir helfen wollte. Punkt.
Ich erreichte den ersten Stock und schlurfte an Moms Zimmer vorbei zum Bad. Es war ein Irrglaube, dass Vampire in Särgen schliefen, die in einer dunklen Gruft standen. Mom ruhte tagsüber in einem Bett, und ihr Schlafzimmer war sehr gemütlich. Mit einer Einschränkung: Wir hatten Bretter vor die Fenster genagelt, sodass nicht der winzigste Sonnenstrahl in den Raum dringen konnte. In den anderen Räumen mussten Verdunkelungsrollos reichen.
Das Bad war nicht wirklich groß. Ich machte die Tür zu und legte das Handy neben das Becken auf den Waschtisch aus dunkel gebeizter Eiche. Anschließend drehte ich mich zur Wanne und zog den Vorhang zurück. Eine ausgiebige Dusche würde mir jetzt guttun.
***
Maria hörte das Rauschen der Dusche, während sie die Auflaufform aus dem Backofen holte, um sie abzudecken und später in den Kühlschrank zu stellen. Sie hatte keine Ahnung, ob das, was sie zubereitete, wirklich schmeckte. Ella betonte aber immer, dass sie sehr gut kochen könne.
Als Maria damals vor der Herausforderung gestanden hatte, ein vierjähriges Kind großzuziehen, hatte sie sich eine Kochsendung nach der anderen angeschaut und die Rezepte Schritt für Schritt nachgekocht, bis sie ein Gespür für die Zutaten entwickelt hatte, auch wenn sie nichts abschmecken konnte. Ansonsten hätte sich die Kleine von Frühstücksflocken ernähren müssen. Das war keine Option gewesen, und Maria hatte sich nie vor einer Herausforderung gedrückt.
Außerdem nahm sie Jobs an, um Geld zu verdienen. Sie stand nachts an Fließbändern, putzte Büros oder arbeitete in Leichenschauhäusern. Das war der interessanteste Job gewesen. Vor Leichen gruselte es ihr nicht, und manchmal waren sie so frisch gewesen, dass sie sich ein paar Schlucke hatte gönnen können. Vielleicht sollte sie sich im städtischen Leichenschauhaus um einen Job bewerben?
Zugegeben, es war kein sonderlich glamouröses Leben, wie es andere Vampire führten, aber sie hatte etwas, das die anderen nicht hatten. Einen Menschen, der in ihr kein Monster sah, sondern sie uneingeschränkt liebte. Und sie konnte eine Mutter sein. Trotz der Tatsache, dass sie selbst nicht dazu imstande war, Kinder auszutragen und zu gebären, war ihr dieses Glück zuteilgeworden. Dafür würde sie jeden noch so beschissenen Job in Kauf nehmen.
Maria passierte den Esstisch und trat ans Fenster. Draußen war alles ruhig. Trotzdem drängte sich ein ungutes Gefühl an die Oberfläche, das sie dazu zwang, hinauszugehen.
Sie trat vor die Tür, ihr Blick scannte die flache Landschaft, doch nichts regte sich. Dieser Jaden hatte etwas an sich, das sie nicht einordnen konnte. Vielleicht hörte sie nur das Gras wachsen? Oder war eifersüchtig, weil dieser Mann dabei war, das Herz ihrer Kleinen zu erobern? Auf jeden Fall würde sie heute Nacht Wache hier draußen schieben. Nur, um keine böse Überraschung zu erleben.
Das Klingeln meines Handys riss mich aus einem ziemlich anrüchigen Traum, in dem Jaden eine tragende Rolle gespielt hatte. Wer zur Hölle rief jetzt schon an?
Einfach ignorieren.
Zu meinem Leidwesen zeigte sich die Spätsommersonne heute von ihrer besten Seite, und das nervte. Müde zog ich die Decke über den Kopf. Das Handy hörte einfach nicht auf, Töne von sich zu geben. Da wollte mich jemand offensichtlich unbedingt sprechen. Also schob ich die Hand unter der Decke hervor und tastete in Richtung Nachttisch, dann spürte ich das Smartphone. Unter der Decke blickte ich aufs Display.
Es war Lacey.
»Was ist?«, fragte ich leicht verstimmt. Ich hätte noch eine gute halbe Stunde gehabt, bevor der Wecker angesprungen wäre.
»Sorry, dass ich so früh störe. Aber ich hätte eine ganz große Bitte. Würdest du heute die Spätschicht übernehmen? Meine Freundin Linda hat Karten für Johnny M. bekommen, und das Konzert ist schon heute Abend in Helena. Biiitttte!!« Sie klang flehentlich.
»Okay, kein Problem. Wenn Walt einverstanden ist«, gab ich gähnend zurück.
»Das ist er. Ich danke dir. Dafür schulde ich dir einen gaaaanz großen Gefallen.«
»Dann sehen wir uns mittags. Bye.« Ich beendete den Anruf, schob das Handy auf den Nachttisch zurück und rollte mich auf die Seite.
Doch an Schlaf war nicht mehr zu denken. Seufzend schlug ich die Decke zurück, robbte wie ein verletzter Seehund an den Bettrand und setzte mich auf. Das Eichenholzparkett unter meinen Füßen war eiskalt, ich zuckte zurück und suchte den Boden nach meinen Plüschpantoffeln ab. Wo waren die Dinger nur? Bäuchlings legte ich mich auf das Bett, um darunter nachsehen zu können, und fand sie. Mein Arm war gerade lang genug, dass ich einen greifen konnte, dann erwischte ich mithilfe des einen den zweiten. Zufrieden schlüpfte ich in die flauschigen Fußschmeichler und stand auf. Das war wesentlich besser. Vor allem, weil das ganze Haus mit Parkett ausgelegt war – bis auf das Bad natürlich.
Mein Magen meldete sich mit einem lauten Grummeln. Da ich ja jetzt jede Menge Zeit hatte, bis ich im Diner sein musste, wollte ich ausgiebig frühstücken.
Im Schäfchenschlafanzug saß ich am Esstisch, blätterte in den Büchern, die mir Jaden empfohlen hatte, und genoss meine Fruit Loops. Die Strahlen der Sonne schienen durch das Fenster und trafen auf meine Hand. Wenn ich allein war, öffnete ich wenigstens bei einem Fenster die Verdunkelungsrollos. Die Sonne war jetzt schon richtig warm, es würde heute mit Sicherheit ein schöner Tag werden. Vielleicht sollte ich mal wieder ein wenig joggen gehen? Ich kam viel zu selten dazu.
Das Brummen eines Fahrzeugmotors ließ mich aufhorchen. Zu uns verirrten sich nicht viele Besucher, nicht einmal der Postbote, denn wir bekamen keine Briefe. Ich stellte die Schüssel auf den Tisch und pirschte ans Fenster. Mein Herz schlug bis zum Hals. In Gedanken ging ich all die Stellen durch, an denen Mom Waffen deponiert hatte. Die Pistole, die sie mithilfe von Klebeband unter dem Esstisch angebracht hatte, war in meiner Reichweite.
Vorsichtig spähte ich zwischen den Gardinen hindurch. Neben unserem Ford parkte ein Pick-up, und Jaden stieg aus. Verdammt, was wollte der hier? Mein Blick glitt zum Tisch. War Moms Misstrauen ihm gegenüber berechtigt gewesen? Tagsüber war sie mehr oder weniger schutzlos. Vor allem, wenn die Sonne wie heute hell vom Himmel strahlte, ohne dass sie das kleinste Wölkchen daran hinderte, war eine Flucht sehr schwer zu bewerkstelligen.
Es klopfte.
Okay, Jäger klopften niemals an, sie traten Türen ein. Ich drückte mein Gesicht gegen die Scheibe, um Jaden sehen zu können. Er schien allein zu sein, trug ein Tweedjackett und Jeans, dazu Sneakers, keine Kampfstiefel, keine Cargohose oder einen Gürtel, an dem mit Waffen bestückte Holster hingen. Er wirkte wie ein ganz normaler Lehrer, wenn man von dem gut trainierten Körper absah.
Sein Blick traf auf meinen, und er winkte mir mit einem freundlichen Lächeln. Hastig trat ich zurück. Wie peinlich war das jetzt? Ich straffte die Schultern. Nun hatte er mich gesehen, und ich musste die Tür wohl öffnen. Woher zum Teufel wusste er, wo ich wohnte? Einen winzigen Augenblick dachte ich darüber nach, die Waffe unter dem Tisch hervorzuholen. Doch dann strich ich über mein Oberteil und überwand den Abstand zur Tür, die ich zaghaft öffnete.
»Hey, tut mir leid, Sie so zu überfallen. Ich fange jeden Dienstag in der Schule zwei Stunden später an und habe im Diner vorbeigesehen, um Sie dort zu treffen. Sie hatten gestern die Frühschicht. Da dachte ich, Sie seien heute Vormittag auch im Diner, und musste erfahren, dass Lacey mit Ihnen die Schicht getauscht hat. Sie gab mir Ihre Adresse«, erklärte er.
Oh verdammt. Ich hatte mich vor ein paar Wochen Lacey gegenüber verplappert, dass die Kirschen der alten Bäume im Vorgarten des Farmhauses, in dem ich lebte, total lecker schmeckten. Als Einheimische hatte sie schnell erraten, welches Farmhaus ich meinte. Ich nahm ihr das Versprechen ab, dies unbedingt für sich zu behalten, weil ich angeblich auf der Flucht vor meinem Ex-Freund sei, der mich misshandelt habe. Nun ja, das mit der Flucht stimmte auch. Wenn Mom mitbekommen hätte, dass meine Kollegin unseren Aufenthaltsort kannte, hätte sie sofort die Sachen gepackt und alle Zelte abgebrochen. Doch mir gefiel es hier so unheimlich gut, also setzte ich auf das Stillschweigen meiner Kollegin. Das Plappermaul würde heute Mittag was von mir zu hören bekommen.
»Lacey will heute Abend auf ein Konzert gehen. Warum sind Sie hier?«
»Wir haben gestern keine weiteren Termine zum Lernen vereinbart«, erwiderte Jaden. Er spähte neugierig in das Haus, und ich seufzte.
»Wollen Sie reinkommen?«, fragte ich und machte die Tür ganz auf.
»Gern.« Er trat ein und schloss die Tür.
So stand ich nun vor Mister Fantastic in meinem Schäfchenpyjama und weißen Plüschpantoffeln.
»Gemütlich«, stellte er fest und musterte unser Wohnzimmer mit dem Blümchensofa und der Omakommode. Sein Blick glitt auf die andere Seite zum Esstisch. »Wie ich sehe, haben Sie sich schon mit den Büchern beschäftigt.«
»Wollen Sie eine Tasse Kaffee?«
»Machen Sie sich keine Umstände«, meinte Jaden.
»Kein Problem, ich brauche jetzt selbst einen. Nehmen Sie doch Platz.« Dann steuerte ich die Küche an, während sich Jaden an den Esstisch setzte.
»Ist ziemlich einsam hier«, sagte er.
»Ich schätze die Ruhe.« Ich füllte Wasser in die Glaskanne.
»Jaden, was machen Sie denn hier?«, fragte Mom, und mir wäre fast die Kanne heruntergefallen.
Sie stand am Fuß der Treppe. War ja klar, dass ihr aufgrund ihrer feinen Sinne ein Besucher nicht verborgen bleiben würde, leider trotz ihres totenähnlichen Schlafs.
Mist, das Rollo hinter Jaden war noch offen. Ich stellte die Kanne ab und rannte durch den Raum, um es runterzuziehen. Dann machte ich das Licht an.
»Ich habe Sie gar nicht runterkommen hören«, sagte Jaden, und Mom näherte sich ihm. Im Gegensatz zu mir hatte sie sich angezogen, trug Shirt und Jeans.