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»Wenn die Liebe wächst, werden die Menschen stark!« Ihre kleine Hochzeitsfeier nimmt eine unerwartete Wendung, die ihr gemeinsames Leben für immer verändert. Frisch vermählt und überglücklich unternehmen Mila und Paul eine unvergessliche Reise in eine unbekannte Zukunft. Dabei entdecken sie, dass ihre Liebe stärker und einzigartiger ist, als so manch einer glaubt. Eine zeitlose Liebesgeschichte, die zeigt, dass wahre Liebe grenzenlos ist und immer wieder aufs Neue blüht, egal welche Herausforderungen das Leben bereithält.
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Seitenzahl: 201
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Mila und Paul
Sonne im Leben
Band 4
von Tino Dietrich
Über den Autor:
Tino Dietrich, geboren 1976 in Norddeutschland, absolvierte ein Literaturstudium in Hamburg. Er hat viele Jahre als Inhaber von erfolgreichen Betrieben in der freien Wirtschaft gearbeitet. Seit 2012 arbeitet er als freiberuflicher Schriftsteller, zertifizierter Texter im Online-Marketing und als verlagsunabhängiger Buchautor. Tino Dietrich bildet sich fortan weiter und ist begeistert vom Selfpublishing. 2014 wurde u. a. seine Kurzgeschichte „Im letzten Winter“ bei einem Schreibwettbewerb prämiert.
Mit seinem Romandebüt „Mila und Paul: Sonne im Norden“ fand der Autor aus dem Norden seinen Platz in einer stetig wachsenden Lesergemeinschaft.
Mila und Paul
Sonne im Leben
Band 4
von Tino Dietrich
www.tinodietrich.de
1. Auflage 2024
© 2024 Tino Dietrich - Alle Rechte vorbehalten.
Lektorat/Korrektorat: Laura Stadler
Cover: canva.com
Das Werk, einschließlich seiner Teile, auch auszugsweise, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Erich-Kästner-Str. 2, 21629 Neu Wulmstorf, Deutschland. Dieses Werk ist pure Fiktion.
www.tinodietrich.de
Für euch!
Kapitel 1
Der Januar war wieder mal einer von der sehr kalten Sorte. 2016 hatte ein ordentliches Winterwetter im Gepäck. Es war klirrend kalt. Ich hatte zwar deutlich schlimmere Erfahrungen sammeln dürfen, während ich damals meinen Grundwehrdienst pflichtbewusst abgeleistet hatte – vielmehr ableisten müssen hatte –, mochte die kalten Jahreszeiten dessen ungeachtet aber am liebsten. Der Grund für diese Überzeugung war einfach erklärt: Es gab kaum Insekten. Vor denen hatte ich eine konsistente Grundangst erschaffen. Besonders sowohl vor den gestreiften, als auch alles mit einem Stachel oder Giftdrüsen. Und natürlich auch vor diesen furchteinflößenden unsympathischen Spinnen. Letztere begegneten mir zum Glück nicht so häufig.
Mir läuft noch immer ein Schauer über den Rücken, wenn ich auf den Kennenlernurlaub mit Mila vor ein paar Jahren zurückblicke. Aber nicht wegen des Urlaubs. Schon gar nicht in Bezug auf Mila. Es war wegen des Monsters. Eine Riesenspinne hatte mich als ihr Ziel auserkoren und war mir in unserer angemieteten Souterrainwohnung mit ihren acht Beinen entgegengetippelt. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich als ihr Opfer in Augenschein nahm. Wollte mich offenbar einspinnen, in ihrem Unterschlupf zerren, verstecken und später verspeisen. Mein moppeliger Körper hätte diese frühstückstellergroße Tarantel über Jahre hinweg genährt, dachte ich damals. Und Mila? Ja, Mila war im Gegensatz zu mir in der geistigen Verfassung gewesen, sich zu bewegen, sogar imstande, zu denken. Ich hüpfte auf die wackelige Rückenlehne des Zweiersofas und kreischte wie ein vierjähriges Mädchen während eines Tobsuchtanfalls an der Supermarktkasse. Eine denkbar schlechte Position, um die Flucht vor einem haarigen Monster einzuleiten, möchte ich an dieser Stelle erwähnt haben. Mila ist ländlicher aufgewachsen. Ich war schon immer ein Stadtkind. Bei ihr gab es viele solche monströsen Achtbeiner mit angedeuteter Dauerwelle. Das war vielleicht auch der Grund, warum sie diese Bestie erlegen konnte. Mit einem lauten nassklatschenden Geräusch, das einem geworfenen durchnässten Feudel glich, der aus großer Höhe auf den Boden aufschlägt. Sie verwandelte die gigantische Spinne in einem superflachen und ekligen Matschhaufen. Mila, meine Retterin auf ewig!
Unsere Hochzeit am 15. Dezember des vergangenen Jahres war traumhaft schön und auf gewisse Weise auch cool gewesen, wie man zu meiner Zeit noch zu sagen pflegte. Das lag nicht weniger daran, dass wir so geheiratet haben, wie wir es gerne wollten. Keine Gäste, keine große Hochzeitsfeier und zwanglos. Kommen durfte natürlich jeder, der es auch aus zwangloser Eigeninitiative gewollt hätte. Da hielten wir natürlich ein Türchen für offen. Tim war in der Schule gewesen und wollte es auch so, während wir uns das Ja-Wort gaben. Er versuchte, einiges aufzuholen. Den Schrecken, den Mila und die Standesbeamtin mir mit den vergessenen Ringen eingejagt hatten, würde auf ewig in meinen Erinnerungen an diesen Tag verbleiben. Aber im Nachhinein fand sogar ich diesen fiesen Akt lustig. Und die Standesbeamtin war schon echt super drauf, kümmerte sich um gut uns. Auch, als ich fast in Ohnmacht gefallen wäre, blieb sie an unserer Seite.
Das war nun schon einen halben Monat her. Oder sollte ich sagen, erst?
Die Zeit im neuen Jahr lief gleich zum Jahresstart gefühlt schneller. Normalerweise hatte ich immer das Empfinden, dass sich die erste Jahreshälfte unendlich in die Länge zog, die Zeit auf irgendeine Art langsamer zu laufen schien. Eigentlich auch total unwichtig, dennoch ein Thema, mit dem man sich öfter befasst, als man es vielleicht wahrnimmt. Ich sage nur montags im Büro oder auf der Baustelle. Da hatte ich immer das Gefühl, der Tag wäre besonders lang. Vor allem aber die Arbeitszeit. Die Pausen erschienen mir sowieso immer viel zu kurz. Und nach der Mittagspause vergingen die Minuten dann erst recht so richtig langsam. Aber Zeit ist relativ, hab ich einst von ein paar weißhaarigen klugen Menschen gehört. Viel wichtiger ist, was man mit ihr anstellt. Und da gibt es so viele Dinge, die man tun kann. Wenn man dann auch aus dem Quark kommt, seinen Hintern vom Sofa loslöst, gegen den inneren Schweinhund ankämpft oder sich selbst motiviert. Ich spiele zum Beispiel sehr gerne Videospiele und streame diese im Internet vor mehreren, manchmal auch vielen hunderten Zuschauern auf der ganzen Welt. Das hat den Vorteil, dass ich meinen Hintern nicht wirklich hochbekommen muss. Quasi eine Win-Win-Situation für mich und meine noch immer vorhandene Angststörung in Begleitung von ihrem Freund, der Depression.
»Sag mal, wollen wir eigentlich noch eine Einweihungsfeier machen? Wohnen ja erst seit kurzem hier in Neu Wulmstorf«, fragte mich meine Frau, während wir in der Küche ein neues Rezept ausprobierten und es nachkochten. Indisches Arbeitercurry.
»Ja, klar. Warum eigentlich nicht?«
»Dann könnten wir doch noch eine Art nachträgliche Hochzeitsfeier veranstalten, oder?« Mila deutete mit ihren Fingern Anführungszeichen in der Luft an, während sie ihre Idee in unsere Unterhaltung mit einbezog.
»Das wäre sogar DIE perfekte Möglichkeit dafür. Zwei Fliegen mit einer Klappe«, bekundete ich meine Meinung.
»Dann lass uns da mal etwas auf die Beine stellen. Zu lange sollten wir damit auch nicht warten.«
»Aber ein oder zwei Wochen vorher sollten wir die Leute spätestens einladen. Die müssen ja auch gucken, dass sie kinderfrei haben, nicht arbeiten müssen oder was weiß ich alles abzuklären haben, damit sie auch Zeit für uns aufbringen können.«
»Ich dachte da an Anfang Februar? Gleich nach dem Geburtstag deiner Mutter. Ist ja noch etwas hin. Genug Zeit, denke ich.« Wir hielten an dieser groben Planung fest, nahmen einen Kladdezettel und erstellten nebenbei Listen für Gäste, Essen und Getränke.
Von den geladenen Gästen sagten nur wenige ab. Der Letzte erst am Tag der geplanten Feier per Kurznachricht. Mein Freund aus der Schulzeit teilte mir mit, dass er auf die Katzen aufpassen musste, da seine Mutter, bei der er ja seit Ewigkeiten wohnte, irgendwo bei einem Teil der entfernten Familie zu Besuch sei. Ganz plötzlich und unvorhersehbar sei sie aufgebrochen. Eine Nacht-und-Nebel-Aktion, total überstürzt. Jedenfalls kam das bei mir so an. Die Katzen wären dann immer so traurig und durften keinesfalls aus den Augen gelassen werden, sagte er mir mit übertrieben trauriger Stimme. Sonst würden sie randalieren oder gar weglaufen, argumentierte er. Ich antwortete nur mit »Ok, schade«. Innerlich kaufte ich ihm die Geschichte nicht ab und war wieder einmal von ihm enttäuscht worden. Ein sehr schlechter Schauspieler und ein notorischer Lügner, dieser freundschaftlich mit mir verbundene Kollege. Jene und anderen Nummern zog er schon seit Jahren mit mir ab. Einmal begründete er seine Absage damit, dass seine Hose nicht mehr passte und er deswegen nicht kommen konnte. Ich dachte nur »Aha. Zu viel gefressen.« Und ein andermal war der Onkel einer Tante seines ehemaligen Arbeitskollegen seiner Mutter verstorben. Zumindest war es irgendetwas in so einer skurrilen Konstellation gewesen. Jedenfalls konnte man seine Ausreden schon während der Bekanntgabe durchschauen. Einmal fragte ich ihn sogar, warum er denn nicht einfach sagen konnte, dass er keine Lust oder keine Zeit hatte. Da war er dann beleidigt und sprach fast ein halbes Jahr lang nicht mehr mit mir. Ich dachte nur »Oha! Toller Freund …«
Um Punkt 18 Uhr klingelte es an der Tür. Es kamen Tim zusammen mit seiner jungfräulich wirkenden Freundin und Hugo mit meinen Eltern im Schlepptau die Treppen hoch. Sie waren die ersten Gäste und überpünktlich. Nach einer kurzen Begrüßung kümmerte sich Mila um meine Eltern und ich setzte Kaffee in der Küche auf. Hugo wollte ein Bier. »Selbstbedienung für die jungen Leute. Getränke sind im Kühlschrank und in den Kästen unter dem Küchentisch«, verkündete ich. Das sagte ich auch mit dem Hintergedanken, dass wir nicht den ganzen Abend fortwährend die Gäste bedienen mussten.
Mit einem Mal wurde ich gefühlsbesoffen. Zum einen lag es daran, dass wir doch noch eine kleine Feier mit geladenen Gästen veranstalteten. Zum anderen, dass sogar meine sonst so sturen Eltern unserer Einladung gefolgt waren und nun gutgelaunt im Wohnzimmer auf der Couch saßen und sich frei von Vorwürfen und Klagen unterhielten. Als ich mich dazugesellte, teilten sie mir mit, dass sie auch nicht lange bleiben wollten. Schließlich war der Rückweg von mehr als einer Stunde nicht gerade kurz. Dazu damals noch abends mit der S3 Richtung Hauptbahnhof über Neugraben, Harburg und Wilhelmsburg. Das fand sogar ich unheimlich und wusste, dass auf dieser Strecke schon des Öfteren etwas passiert war. Ich wusste aber auch, dass durch die längeren Öffnungszeiten der Geschäfte die S-Bahnen nicht mehr so menschenleer waren wie noch vor ein paar Jahren. Das genügte mir, um mir nicht unnötig den Kopf darüber zu zerbrechen, ob meinen Gästen Schlimmes widerfuhr auf ihrer Heimfahrt. Und wenn, dann konnte ich das sowieso nicht verhindern. Dazu müsste ich jeden Einzelnen nach Hause begleiten und alleine zurückfahren. Ich schüttelte mich bei diesem Gedanken und konzentrierte mich nun darauf, meinen Eltern die neue Wohnung zu zeigen. Zimmer für Zimmer. Ich war erleichtert, dass sie auch ihren Vorstellungen von gemütlich entsprach. Ich hatte aber das Gefühl, als meine Eltern hätten einen Joint geraucht. Nicht weil sie gerötete Augen oder andere Anzeichen von Graskonsum gehabt hätten. Es war ihre positive Ausstrahlung, ihre gute Laune, ihr ganzes Verhalten. Es war einfach nur großartig. Ich fühlte mich dadurch großartig. Und Mila schien davon ebenfalls angesteckt worden zu sein. Sie strahlte regelrecht vor positiver Energie. Dafür, dass die Party erst noch richtig losgehen sollte, war die Stimmung für sich schon eine sehr gute Grundlage. Wenn das so bleiben sollte, könnte ich mich unter Umständen damit arrangieren, öfter mal etwas zu feiern. Da gibt es ja einiges. Geburtstage oder so. Ein Grund findet sich ja sowieso immer. Theoretischer Marihuanakonsum wirkt anscheinend auch ganz gut auf das kollektive Gemüt.
Im Hintergrund spielte Musik von einer CD mit verschiedenen Interpreten. Es war eine aus Milas Bravo-Hits Sammlung. Da war eigentlich immer ganz gute Mucke drauf. Zumindest war es damals so gewesen. Um kurz nach sieben Uhr kamen mein Schwager und seine Frau dazu. Es dauerte kaum eine Minute, da waren alle miteinander bekannt und unterhielten sich über Gott und die Welt. Nach und nach kamen weitere Freunde und Bekannte dazu. Unsere kleine feierliche Zusammenkunft hatte ein Eigenleben entwickelt. Mila und ich mussten eigentlich nur präsent sein. Alle unterhielten sich, tanzten manchmal spontan, erzählten sich Witze und lachten. Das war ein sehr schöner Anblick für mich. Tim verschwand ab und zu mit seiner Freundin in sein Zimmer. Als sie wieder herauskamen, hatten beide hochrote Wangen. Was in seinem Zimmer geschah, wollte ich nicht wirklich wissen. Ich zwinkerte ihm zu und sein breites Grinsen erklärte mir auch ohne Worte mehr, als ich wissen wollte. Wir achteten nur darauf, dass die Minderjährigen keine harten Sachen tranken. Ein kleines Bierchen, Sektchen oder so etwas war aber in Ordnung. Der Alkohol floss auch so in Strömen unter den erwachsenen Gästen. Besser gesagt in die Gäste.
Plötzlich, kurz nach 21 Uhr, wurde die Musik ganz leise gedreht und wir wurden aufgefordert, uns vor den Gästen aufzustellen. Mir war das megapeinlich und ich wurde rot. Mila hatte wieder ihren Schweißausbruch, den sie immer bekam, wenn sie aufgeregt war. Ihr Bruder wollte gerade etwas sagen, da fiel ihm mein Vater ins Wort, kam leicht wankend auf uns zu und übergab uns ganz plump einen dicken Briefumschlag. Darin waren einige braune Euroscheine, die ich aber in diesem Moment nicht genauer nachzählen wollte. Wir freuten und bedankten uns und mein Schwager stand ungeduldig hinter meinem Vater bereit. Hinter ihm bildete sich eine kleine Schlange. Er hielt eine knappe Rede, deren Wortlaut ich leider wegen meiner inneren Anspannung vergessen habe, und übergab uns ebenfalls einen großen Briefumschlag. Allerdings war dieser mit maritimen Motiven verziert. Schon beim Öffnen war es offensichtlich, dass wir einen Aufenthalt an der Ostsee geschenkt bekommen hatten. »Ach, deswegen die Frage nach unseren Urlaubsplänen für dieses Jahr«, rief Mila in die Runde und hielt die Buchungsunterlagen hoch, damit alle sie sehen konnten. Ich ahnte ja schon so etwas, hatte dennoch nicht damit gerechnet. Darüber freuten wir uns natürlich auch sehr. Das sollten unsere verspäteten Flitterwochen werden. Alle anderen Gäste beschenkten uns mit Gutscheinen und Bargeld. Alles Aufmerksamkeiten, über die wir uns tierisch freuten und die wir auch benötigten. Der letzte Urlaub mit dem Umzug zusammen hatte nicht wenig gekostet, obwohl alles insgesamt im günstigsten Preissegment gewesen war.
Als um kurz nach 22 Uhr meine Eltern plötzlich vor mir standen, mit einem Glas Sekt in den Händen, erschrak ich für einen Moment. »Wir machen uns gleich vom Acker«, lallte mein Vater und meine Mutter kicherte. Mila kam dazu und rief den beiden ein Taxi zum Festpreis. Da gab es keine Debatte drüber. Mein Vater wollte unbedingt noch durch die Gegend ziehen und protestierte. Doch meine Mutter war sichtlich froh über diese Gelegenheit. Schließlich waren beide schon über siebzig Jahre alt und trotzdem mutierte mein Vater an diesem Tag zu einem Partylöwen. Und das trotz seines Herzinfarkts vor einigen Jahren. Sonst so gebrechlich wirkend, stand er aufrecht mit herausgestreckter Brust und hatte sichtlich viel Spaß. Keine Spur vom Altsein. Dazu sah man ihm den Schalk im Nacken an. Da blödelte er immer mit den Leuten herum, wenn der Schelm in ihm aufblühte. Das sollte aber dem Taxifahrer zuteilwerden, der in diesem Moment seine Ankunft mit einem Sturmklingeln ankündigte. Wir brachten meine Eltern noch die Treppen runter, verabschiedeten uns herzlichst und Mila gab dem Fahrer das vereinbarte Geld plus Trinkgeld. Oder, wie sie es nannte, »Wiedergutmachung«. Schließlich war mein Vater mehr als nur gut drauf. Ein schöner Anblick, die Eltern mal in einem Taxi nach Hause fahren zu sehen. Das war das erste Mal für mich.
Die Party lief nach wie vor wie von selbst. Wir konnten einfach nur mitfeiern und Spaß haben. In der Küche standen Buffet und Getränke, die Gäste bedienten sich ungehemmt daran und alle waren sehr gut drauf. Sogar der Nachbar unter uns kam für einen Moment hoch. Er trank ein Bier mit uns zusammen, fragte mich lautstark und mit einem ausgeprägten russischen Akzent, ob ich deutsch war, und verschwand kurz darauf wieder. Eine nette Geste von ihm, dachte ich. Aber eine merkwürdige Frage, so geradeheraus. Was sollte das?
Ich hielt mich insgesamt gesehen mit dem Alkohol etwas zurück. Ich hatte in meinem Leben schon oft genug die Rolle vom Partykiller oder Partycrasher eingenommen. Meistens kamen die Erinnerungen daran erst Monate später zurück. Aber was mir von den Leuten im Nachhinein über mich erzählt wurde, besonders was ich so alles angestellt hatte, das behalte ich lieber für mich. Dafür kann und muss man sich einfach schämen!
An diesem Abend gab es keinen Partykiller. Nur meine Schwägerin hatte Probleme mit dem Gleichgewicht. Sie schwor uns allen, dass sie in einem Karussell sitzen würde, da sich alles um sie herum drehte. Intuitiv holte ich einen Eimer aus der kleinen Kammer im Flur und gab ihn ihr. Kaum hatte ich ihn übergeben, musste sie sich in diesem übergeben. Eine lückenlose Übergabe, sozusagen. Das kommt immer mal vor, wenn man große Freude am Feiern hat. Im Eifer des Gefechts vergisst man schon mal, daran zu denken, dass man ja Alkohol in den Händen hält und kein Wasser. Obwohl beides in der Lage ist zu sprudeln. Das eine beim Schlucken, das andere beim Herauswürgen. Jedenfalls nutzte Milas Bruder das als Zeichen für ihren Aufbruch. Es war ja nun auch schon kurz nach drei Uhr in der Nacht. Und gegen vier Uhr waren dann schließlich auch die letzten Gäste gegangen. Nur Tim, seine Freundin und Hugo waren noch geblieben. Sie wollten die Nacht bei uns verbringen. Hugo streckte sich auf der Couch aus und blieb so liegen. Er schlief auf der Stelle und ungebremst ein. Wir ließen die Spuren der gelungenen Feier stehen und liegen, wollten nur noch ins Bett. Mila hatte ihrem Verhalten nach auch nicht so viel getrunken. Sie dachte, ich trinke mal etwas mehr, und ich dachte, sie würde es tun, stellten wir kurz vor dem Einschlafen fest. Zwei Doofe, ein Gedanke. Sagt man doch so, oder?
Kapitel 2
Der Fernseher lief nebenbei. Ich spielte am Computer den neusten Landwirtschaftssimulator. War wie immer fasziniert von den ziemlich real wirkenden Traktoren, Erntemaschinen und dem vielen Equipment. Insbesondere aber von dem Ambiente eines landwirtschaftlichen Betriebs und seinem breiten Spektrum an Aufgaben. Hin und wieder schielte ich zur Flimmerkiste rüber. Fasziniert von den größtenteils peinlichen Auftritten der Bewerber bei einer von diesen blöden Castingshows für vermeintlich talentierte Menschen. Zumindest dachten sie, ihrem Auftreten nach zu urteilen, dass sie die Gesangsstimme schlechthin hätten. Das, was Teile in meinem Innenohr zum Schwingen brachte, ließ sogar mich erröten vor Scham. Ich wollte es nicht. Wirklich. Aber mein Talent lag nun nebst meiner landwirtschaftlichen Betriebsamkeit darin, den irrgläubigen Menschen bei ihren dennoch sehr beliebten Auftritten zuzuhören. Immer wenn ich eine Arbeit auf dem Feld beendet hatte, war es für einen Moment lang still. Und genau in diesem Moment begann das Trällern eines talentlosen Wesens vor der dreiköpfigen Jury. Ich musste hinsehen, ich konnte nicht anders. Es war eine Art Zwangsverhalten, das sich nicht so ohne weiteres abstellen ließ.
Mila überraschte mein Verhalten nicht mehr. Schon während unserer Kennenlernphase vor ein paar Jahren lachte sie darüber, als sie mich heimlich beobachtete. Ich konnte das noch nie erklären. Weder ihr noch mir selbst. Mein Verhalten lief vollkommen automatisch ab. Mit den Händen an Tastatur und Maus, manchmal auch an einem mit dem Computer verkabelten Lenkrad oder mit einem Controller in den Händen haltend. Meine Augen dabei zielstrebig ausgerichtet auf den Monitor. Die Gedanken an einem Punkt außerhalb dieser Welt fixiert. Zwischendurch das kurze Lugen zum Fernsehgerät. Das ergab im Ergebnis eine von vielen weiteren und für uns typischen Samstagabendsituationen im Wohnzimmer. Den Umständen verschuldet, und vollkommen radikal von außen betrachtet, wurden wir beide immer wieder in der Funktion als Stubenhockerpärchen betitelt. Diese Rolle spielten wir einfach zu gut. Das machte uns Spaß. Stimmte aber nicht. Jedenfalls nicht zu einhundert Prozent. Eher wie in einer ungleichen Waage mit einer leichteren Seite, die unsere Aktivitäten außerhalb der Wohnung darstellte, und die schwerere Seite, die uns dann schließlich als potentielle Stubenhocker aussehen ließ. Wunderte mich ehrlich gesagt, bei den ganzen Unternehmungen, die wir immer wieder in Form von Ausflügen und dergleichen vollzogen.
Mila saß auf dem Sofa. Sie steckte mit der Nase in einer Zeitschrift, hatte sich einem Kreuzworträtsel ergeben. Sie füllte erst einmal aus, was sie gewissenhaft beantworten konnte. Im Anschluss folgte eine Art Gesellschaftsspiel, welches mir immer wieder einen Riesenspaß machte. Hierbei war es unsere eigens eingeführte Tradition, dass sie mich nach den Antworten fragte. Zum Schluss, wenn keiner mehr eine Lösung kannte, kam tatsächlich noch so ein episches Rätsellexikon zum Einsatz. Nee, nicht Onkel Suchmaschine! Ein echtes und gebundenes Buch, das gefühlte fünf Kilo wiegen musste. So machte man das damals. Da versaute man sich die Augen noch mit echten Büchern und brauchte keinen Blaufilter dazwischen. Erst, wenn absolut gar nichts mehr ging, suchten wir in Sekundenschnelle nach den letzten Lösungen im Internet. Aber wirklich erst dann!
»Englischer Artikel mit drei Buchstaben?«, fragte sie mich.
»The«, antwortete ich kurz. »T. H. E.«
»Ach, stimmt ja. Die haben ja nur den einen. Wie blöd von mir. Danke, Schatz.«
Durch das gemeinsame Rätseln konnte sie noch ein paar fehlende Wörter ergänzen. Für das Lösungswort fehlten nur noch wenige Buchstaben.
»Hast du gleich mal kurz Zeit für mich?«, wollte sie wissen.
»Na klar, mache nur noch eben schnell das eine Feld fertig. Dann habe ich Zeit ohne Ende. Okay?«
»Mach ruhig. Kein Stress.«
Gedankenverloren fuhr ich mit einem in die Jahre gekommenen Traktor auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche hin und her, hinten angekuppelt eine rostige Sämaschine mit einer geschätzten Breite von zwei Metern. Dadurch zog sich das angekündigte »eben schnell«, wurde schließlich eine knappe Stunde. Trotzdem, das pure Vergnügen für mich. Da kam bestimmt das Kind in mir hervor. In der Funktion von einem virtuellen Agronomen entfloh ich nicht selten dem Alltag, baute den unsichtbaren, aber in mir hochwirksamen Stress ab und entspannte. Das war nicht nur ein netter Zeitvertreib, sondern diente auch meiner seelischen Entlastung. Die Uhr bewegte ihre Zeiger auf Mitternacht zu. Ich speicherte meine virtuelle Karriere eines Landwirts ab und schaltete den Computer aus. Ich streckte mich intensiv auf dem Sitz der Bürowelt. Eine Symphonie aus knarrend-quietschenden Geräuschen. Der Stuhl, nicht ich!
»Hä, Alter, hast du schon gepennt?« Ich war wohl doch mehr als nur eine Stunde am letzten Feld beschäftigt gewesen. Sie schlief. Ihr Kopf verweilte bizarr eingeknickt auf ihrer Schulter. Sie zuckte ruckartig mit kräftigem Körpereinsatz, sofort hellwach. »Was heißt hier Alter? Und nein, ich habe noch nicht geschlafen. Jedenfalls nicht wirklich.« Sie rieb sich ihren Nacken und verzog schmerzerfüllt das Gesicht.
»Wenn du das sagst. So, was denn los?«
Mila sah mich verwirrt an. Dann fiel es ihr sichtlich wieder ein. Ihre Gesichtsentgleisung wandelte sich in ein zauberhaftes Lächeln. »Ach so. Ja, ich wollte gerne mit dir das Kreuzworträtsel fertig machen. Da kann man fünfhundert Euro Urlaubsgeld gewinnen«, sagte sie extrem begeistert.
»Cool, sehr gut. Würde ziemlich gut zu unserer Reise, Schrägstrich Flitterwochen, gegen Ende April passen.«
»Du hast es erfasst! Wollte dich aber nicht bei deiner Schufterei stören. Deshalb habe ich auf dich gewartet«, meinte sie grinsend und malte bei dem Wort »gewartet« imaginäre Anführungszeichen mit ihren Zeigefingern in die Luft.
»Wenn du wüsstest, wie anstrengend das Leben als Landwirt ist«, spielte ich mit. Dafür formte ich auch mein Gesicht zu einem Grinsen um. Das Beste, was ich meiner Meinung nach draufhatte.
Mila schüttelte lachend den Kopf. Sie legte die Zeitschrift mit dem Rätsel auf dem Couchtisch. Damit sagte sie mir ohne Worte, dass sie mich soeben damit beauftragte, die Postkarten zu beschriften. Ebenso wortlos willigte ich ein. Einige blanke Felder versah ich mit den mir bekannten Buchstaben, die nicht mehr als die Anschrift der Rätselredaktion und uns als Absender preisgaben. In Nullkommanichts ausgefüllt, überließ ich das finale Eintragen der Lösungsbuchstaben meiner Frau. Ich sah währenddessen dem Zusammenschnitt der Kandidaten der vorigen Castingshow im Fernsehen zu.
»Da waren heute ja wirklich fast nur Denkzwerge mit dabei. Die arme Jury.«
»Ist doch immer so. Am Anfang sind aber auch immer viele mit dabei, die einfach nur ins Fernsehen wollen. Einige denken auch wirklich, sie hätten Talent. Die streiten dann sogar darüber mit Dieter und dem Rest der Jury. Ich weiß auch nicht, warum wir uns das immer wieder ansehen.«
»Ich muss mich dabei sowieso immer fremdschämen. Ich schalte uns gleich mal was anderes an.« Kaum ausgesprochen, hielt ich bereits die Fernbedienung in der Hand und wunderte mich zugleich darüber, wie diese bereits vor meinen Gedanken in meine Hand gekommen ist.
»Mach ruhig.« Mila kontrollierte unterdessen erneut die Postkarten, insbesondere die Buchstaben für die Lösung. Das Rätsel vollendet mitsamt den ausgefüllten Karten beiseitegelegt, atmete sie sehr tief und langsam ein. Ich sah sie erwartungsvoll an, da ich nicht registrierte, wie sie ihre aufgepumpten Lungen entleerte.
»Lebst du noch?«, wollte ich wissen.
»Klar, das siehst du doch!«