Mila und Paul: Sonne im Osten - Tino Dietrich - E-Book

Mila und Paul: Sonne im Osten E-Book

Tino Dietrich

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Beschreibung

"Es ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen im Leben und der Liebe." Zwischen einem Kurztrip durch Milas Vergangenheit und der gemeinsamen Gegenwart. Es ist nicht einfach für Mila und Paul ihre Zukunft zu planen, da die Familie nicht mit allem einverstanden ist. Paul kämpft unentwegt gegen seine Angsterkrankung und zusammen mit Mila für eine gemeinsame Zukunft. Werden sie es trotz der spitzzüngigen Äußerungen aus Pauls Familie schaffen? Kurz vor der Hochzeit vergisst Paul ein wichtiges Detail. Wird Mila ihm das jemals verzeihen können oder bedeutet dieses Missgeschick das Ende ihrer Beziehung?

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Seitenzahl: 260

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
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Mehr vom Autor

Mila und Paul

Sonne im Osten

Band 3

von Tino Dietrich

Über den Autor:

Tino Dietrich, geboren 1976 in Norddeutschland, absolvierte ein Literaturstudium in Hamburg. Er hat viele Jahre als Inhaber von erfolgreichen Betrieben in der freien Wirtschaft gearbeitet. Seit 2012 arbeitet er als freiberuflicher Schriftsteller, zertifizierter Texter im Online-Marketing und als verlagsunabhängiger Buchautor. Tino Dietrich bildet sich fortan weiter und ist begeistert vom Selfpublishing. 2014 wurde u. a. seine Kurzgeschichte „Im letzten Winter“ bei einem Schreibwettbewerb prämiert.

Mit seinem Romandebüt „Mila und Paul: Sonne im Norden“ fand der Autor aus dem Norden seinen Platz in einer stetig wachsenden Lesergemeinschaft.

Mila und Paul

Sonne im Osten

Band 3

von Tino Dietrich

[email protected]

www.tinodietrich.de

1. Auflage 2024

© 2023 Tino Dietrich - Alle Rechte vorbehalten.

Lektorat/Korrektorat: Laura Stadler

Cover: canva.com

Das Werk, einschließlich seiner Teile, auch auszugsweise, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Erich-Kästner-Str. 2, 21629 Neu Wulmstorf, Deutschland. Dieses Werk ist pure Fiktion.

[email protected]

www.tinodietrich.de

Für euch!

Kapitel 1

Ich hatte mir die Freude meiner Familie über die frische Verlobung mit Mila ganz anders vorgestellt, als wir es bekannt gemacht hatten. Gerade mal eine Handvoll meiner engsten Verwandten zeigten offen ihre Freude darüber. Die anderen machten keinen Hehl daraus, dass sie von der kollektiven Zukunftsplanung nichts hielten. Genauso wenig wurde es befürwortet, dass wir uns eine gemeinsame Wohnung suchen wollten. Woher sollte ich denn wissen, dass es uns sogar meine Eltern ohne Rücksichtnahme ins Gesicht sagen würden? Zwar durch die Blume gesprochen, mehr oder weniger, dennoch ablehnend und verständnislos. Und die Unterstellung einer Schwangerschaft, wo meine Mutter bereits einen Geburtstermin für uns errechnet hatte, ließ die Enttäuschung in mir noch stärker anwachsen. In solchen Momenten wünschte ich mir, ich würde weit weg von all diesem negativen Ballast wohnen. Aber da würde ich dieser Enttäuschung wahrscheinlich auch nicht entkommen. Spätestens bei einem Telefonat würde ich die Zweifel und Meinungen dazu zu hören bekommen, ob ich es wollte oder nicht.

Die Stimmung ließen wir uns davon trotzdem nicht kaputt machen. Sobald die erniedrigenden Worte innerlich verarbeitet waren, legte sich auch meine aufkeimende Wut darüber. Schließlich war es unsere Zukunft und nicht die der pessimistischen Verwandten. Nur Tim, augenscheinlich auch meine Schwester, und Hugo freuten sich aus meiner Sippe mit und sogar für uns. Von Milas Verwandtschaft bekamen wir nur positive Rückmeldungen. Besonders ihr Bruder samt Familienanhang freute sich darüber.

Meine Eltern sagten mir schon zu Beginn, dass sie nicht zu der Hochzeit kommen wollten. Dies begründeten sie unter anderem mit: »Wir waren ja schon einmal auf einer Heirat von dir. Wir haben uns damals für dich gefreut, aber auf den ganzen Trubel können wir gerne verzichten. Da haben wir nicht noch einmal Lust zu. Da musst du uns verstehen.«

Stimmte ja im Prinzip auch. Damals war es so gewesen. Aber das ist vergangen, gehörte nur noch in meinen Erinnerungen zu mir. Den Termin für die geplante Hochzeit wollten dennoch alle von uns wissen, ob sie dafür waren oder dagegen, die Neugier, also das indirekte Interesse, war außergewöhnlich groß.

Es lag erst ein paar Tage zurück, dass wir aus unserem Familienurlaub mit Tim zurückgekommen waren. Eine Woche Ostsee mit Mila und meinem Sohn war für mich zu einer meiner schönsten Erfahrungen geworden. Und nun in meinen Erinnerungen.

Als wir wieder zurück in Hamburg waren, wurde Tim quasi direkt von seiner Mutter abgeholt und ich machte Mila noch am selben Abend unserer Rückkehr einen Heiratsantrag: Unübertrefflich schmucklos!

Sie war mit dem Geschirr spülen beschäftigt und ich kam mit zwei gefüllten Sektgläsern dazu. Ich vollzog einen Kniefall, verlor dabei das Gleichgewicht, kippte fast um und stellte ihr peinlich berührt die Frage aller Fragen. Ich weiß, das hätte ich auch in einer romantischeren Umgebung machen können und auch wesentlich durchdachter, aber ich hatte es nicht mehr ausgehalten. Und außerdem kam Hugo, unser Mitbewohner, bereits am nächsten Tag wieder zu uns. Den hatte ich ja während unseres Urlaubs aus- und bei meinen Eltern einquartiert. Das und meine sich immer stärker werdende innere Anspannung lösten letzten Endes diese Kurzschlusshandlung in mir aus. Im Nachhinein betrachtet hätte ich mir wirklich viel mehr Mühe geben müssen – mit Mila und dem Antrag, nicht mit Hugo. Aber aus der gemeinsamen Perspektive von meiner Zukünftigen und mir betrachtet, war das dennoch etwas ganz Besonderes. Vor allem Mila war es, die trotz meiner Zweifel bezüglich Zeit und Ort meines Antrags total überwältigt gewesen war und Sturzbäche weinte. Vor Glück! Mit einem zarten »ja« willigte sie ein, meine Frau zu werden, was auch mich dazu veranlasste, einen emotionalen Heulkrampf zu unterliegen.

Tim schrieb ich gleich danach eine Kurznachricht mit der beglückenden Botschaft. Schließlich hatte ich zuvor im Urlaub um sein Einverständnis gebeten, welches er mir auch sofort gegeben hatte. Ohne die Zustimmung meines Sohnes hätte ich Mila wahrscheinlich keinen Antrag gemacht. Dafür haben Tim und ich in der Vergangenheit schon zu viel unschöne Dinge erlebt, was gescheiterte Beziehungen mit einem Kind angeht.

Er freute sich als Erster mit uns, wie er sofort zurückgeschrieben hatte. Das, was an den Tagen darauf folgte, deprimierte anfangs nicht nur mich.

Mein Bruder sagte mir voraus, dass ich denselben Fehler immer wieder machen würde. Ich dachte: »Hat der schon wieder einen neuen Guru im Internet gefunden, der Videos mit seinen Weissagungen, Weisheiten und Verschwörungen veröffentlicht, dem er sein blindes Vertrauen schenkt und diese Schwarzmalerei für die einzig mögliche Wahrheit hält?« Dann: »Danke, mein Bruderherz. Deine dubiosen Voraussagen bleiben im Dunkeln und werden niemals das Licht dieser Welt erblicken. Mein Leben ist kein Abenteuerheft eines Fantasie-Spiels, wo man seine Zukunft auswürfeln muss, damit sie gut ausgeht oder zum Misserfolg wird. Jedenfalls glaube ich fest daran, dass es nicht so ist oder jemals dazu kommen wird.«

Trotz der sehr enttäuschenden und niederschmetternden Äußerungen von Teilen meiner genetischen Verwandtschaft hatte ich sie alle noch genau so lieb, wie ich es schon davor tat. Ob es andersherum auch der Fall war … da war ich mir manchmal gar nicht so sicher.

Die Zeit verging so schnell, dass man das Gefühl bekam, man hätte unbemerkt eine Zeitreise in die Zukunft unternommen. Nun war schon der elfte September, mein Geburtstag! Eigentlich ein Grund zur Freude, doch hatte ich da so manches Mal meine Startschwierigkeiten mit. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich am Tag vor diesem Zeitpunkt um kurz vor null Uhr die Augen mit irgendetwas bedecken musste, damit ich die hektischen Bewegungen nicht sehen konnte, die ich auf Milas Anweisung hin auch nicht sehen durfte. Die Geräuschkulisse, die sie im Folgenden machte, während sie knisterndes Geschenkpapier durch die Wohnung trug oder die Sektflasche sich vehement weigerte, sich geräuschlos öffnen zu lassen, und stattdessen explosionsartig den Kunststoffkorken samt Metallbügel durch die Gegend katapultierte, war lustig mitanzuhören. Ich musste über diese Geräuschkulisse innerlich lachen, als ich dazu schließlich das leise zischende Fluchen meiner Verlobten hören konnte. Aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, obwohl ich dachte, sie könnte gut als Zauberin in einem berühmten Film mitspielen – als die Frau, die mit den Schlangen spricht. Ähnlich wie der berühmte Harry es konnte. Sagen wollte ich das nicht. Schließlich gab sie sich immer so viel Mühe mit allem, was sie tat. Und da sie dies hier eindeutig nur für mich vollzog, wollte ich sie in keiner Weise kränken oder ihr auch nur im Ansatz eine Vorlage geben, die sie dazu verleiten könnte, anzunehmen, mir würde das nicht gefallen. Denn das tat es. Es gefiel mir sogar sehr. Aber dieses Drumherum … muss man mit eigenen Ohren gehört haben!

»Schön die Augen zuhalten, ja?« Ihre Stimme zitterte, während sie auf mich zukam und ich ihrer Aufforderung nachkam.

»Klar.«

Ab diesen Moment war ich nun richtig aufgeregt. Das Grinsen, welches sich von da an auf mein Gesicht gelegt hatte, war das eines schüchternen kleinen Jungen, der mit roten Apfelbäckchen jeden Augenblick auf den Schoß vom Weihnachtsmann gesetzt wird und ihm flüsternd seine Wünsche mitteilt. Nur mit dem Unterschied, dass ich schon seit Jahren erwachsen und das Weihnachtsszenario meine Geburtstagsüberraschung war.

Da hätte sich der weltweit agierende Limo-Konzern doch zum Weihnachtsmann auch ein Geburtstagswesen, zum Beispiel ein Geburtstagstantchen oder einen Jahrestagsopa, ausdenken können. Meinetwegen auch ein anderes Geschöpf – Schaf? –, dem wie, sagen wir mal dem Osterhasen, ein eigenes Image auferlegt wird, damit die Kinder an ein weiteres Märchen glauben dürfen und die Eltern die Wirtschaft am Laufen halten mit ihrem hart verdienten Geld.

Aber es geht auch ohne die Einflussnahme der sogenannten Interessenvertreter, was meiner Meinung nach ein falscher Begriff für die Lobbyisten ist. Zum Beispiel so wie meine angehende Ehefrau es tat – mit Liebe und Hingabe.

Mila führte mich händchenhaltend durch das Wohnzimmer. Ich kannte meine Wohnung grundlegend auswendig, im Dunkeln und auch mit geschlossenen Augen. Ich spielte ihr Spiel bereitwillig und positiv aufgeregt mit. Schon vor dem Couchtisch blieben wir stehen und sie ließ meine schweißnasse Hand los. Ein Feuerzeug klickte ein paar mal. Es roch für einen kurzen Moment leicht nach verbrannten Staub. Ich dachte noch daran, warum ich mir nicht etwas Passenderes angezogen hatte. Aber die Jogginghose und das aus der Form geratene T-Shirt waren immerhin besser, als in Unterhose dazustehen. In diesem Moment sang mir meine aufgeregte kleine süße Frau in spe ein »happy Birthday«-Geburtstagsständchen, was mich dazu veranlasste, erstmal kräftig rot anzulaufen, was mir im Übrigen ordentlich einheizte. Und ich öffnete vorsichtig meine Augen. Mila hatte feuchte Augen, fiel mir als Erstes auf.

»Alles Liebe und Gute, ganz viel Gesundheit und Energie, zu deinem 38. Geburtstag, mein Schatz. Ich liebe dich.«

Ich nahm sie in meinen Arm und sie weinte. Ihr heißer Atem stellte in etwa meine Körpertemperatur von gefühlten fünfzig Grad dar. Ich nahm ihren Kopf zwischen meine Handflächen und drückte ihr einen intensiven Kuss auf ihren hübschen Mund, der durch die Tränen einen salzigen Beigeschmack bekommen hatte.

»Danke, Schatzi. Tausend Dank. Ich liebe dich auch. Kannst dir kaum vorstellen wie doll.« Ich wusste in dem Moment nicht, wie ich mich weiter verhalten oder was ich noch sagen sollte. Das ausgerechnet sie in Tränen vor mir stand, verwirrte und berührte mich gleichermaßen.

Sie meinte: »Ich bin wohl aufgeregter als du.«

Ihre Hand machte eine präsentierende Geste über den Tisch. Erst jetzt sah ich ihr vollendetes Werk, was mir sofort weiche Knie bescherte. Auf dem Tisch war ein Herz aus Teelichtern arrangiert, die alles in kaminfeuerartiges orangegelbes Licht hüllten. In der Herzmitte stand ein runder selbstgebackener Käsekuchen, den ich mindestens genauso gern mochte wie meinen geliebten Apfelkuchen. Drumherum lagen viele kleine Geschenke, die hübsch eingepackt waren. Mittendrin zwei Gläser gefüllt mit Sekt, die Flasche dazu gleich dahinter. Auf dem Sofa lagen ein paar größere Geschenkpakete.

Ich nahm ein Glas in die Hand und gab es meiner zitternden Fast-Frau.

»Auf dich!«, sagte sie mit erhoben Glas in meine Richtung.

Als ich mein Glas an ihres stoßen wollte, gab es ein sehr lautes Geräusch, welches uns beiden den Sekt aus den Gläsern beförderte. Zeitgleich zuckten wir vor Schreck zusammen und blickten in das lachende Gesicht von Hugo, der vor der Zimmertür stand. In zu großen Shorts, einem weißen T-Shirt und Tennissocken. Den hatten wir wohl komplett vergessen. Ich auf jeden Fall.

»Alles Gute, du Eumel. Habt ihr mich vergessen?«, gratulierte er mir und nahm mich kurz in den Arm. Seine weißen Tennissocken, die er ganz elegant fast bis unter die Knie hochgezogen hatte, saugten den verschütteten Sekt vom Boden auf, was ihn dazu veranlasste, schnell wieder von mir abzulassen.

»Nein. Wie könnten wir dich jemals vergessen«, log Mila und zwinkerte mir zu. Während Hugo in die Sektpfütze getreten war, legte sich ein breites Grinsen auf ihr Gesicht.

»Quatsch«, spielte ich mit, »dachte, du schläfst schon.«

»Nee, war wach. Wollte einer der Ersten sein, der dir zum Geburtstag gratuliert. Bekomme ich auch was zu trinken?« Mila holte ihm ein Glas und füllte uns allen etwas vom Sekt hinein. Ich wollte ihm eigentlich sagen, dass er ja bereits etwas vom Sekt abbekommen hatte und dabei auf seine Füße zeigen, behielt es dann doch lieber für mich. Dafür fand ich den Moment dann doch viel zu schön, um ihn wegen dieser Kleinigkeit zu ruinieren.

Wir tranken den Sekt und ich pustete die Teelichter in einem Atemzug aus. Innerlich äußerte ich dazu meinen Wunsch: Eine Zukunft ohne Angst und dass alle um mich herum gesund bleiben sollen. Gleich danach erfreute ich mich an einer Sprachnachricht von Tim, der mir ebenfalls als einer der Ersten zum Geburtstag gratulieren wollte. Und dass er die Tage mal rumkommen wollte. Ich bedankte mich bei ihm, schrieb noch, dass ich ihn lieb habe, und widmete mich wieder meinem Vorhaben. Geschenke!

Nun war nicht nur ich gespannt, was ich denn Schönes zum Geburtstag bekommen sollte. Auch Hugo schaute neugierig zu, während ich versuchte, das transparente Klebeband vorsichtig vom Papier zu lösen.

»Reiß auf den Kram«, feuerte Mila mich an.

Ich folgte ihrer Aufforderung, las aber zuerst die Glückwunschkarte. Sie war von Mila, Tim und Hugo: »Für den liebsten Mann, den besten Papa und den coolsten Onkel (du Eumel!) … danke für alles!«

Das große Quadratische riss ich zuerst auf. Eine fette Bassbox mit zwei kleineren für den Computer. Geil! Damit würde ich beim Streamen einen mega Sound haben, während ich mit dem virtuellen Truck über die Autobahnen und Landstraßen fuhr. Das Rechteckige erwies sich als Mikrofon mit Ständer und Kabel. Auch für den Einsatz zum Streamen gedacht. Damit würden mich meine neugierigen Zuschauer nun besser verstehen und ich musste sie nicht so anbrüllen. Das mittlere Geschenk entpuppte sich als Lenkrad mit Gas- und Bremspedalen, auch für den Computer. Mann! Nun war ich wirklich wie ein Profi-Streamer ausgestattet. Mit diesem Lenkrad konnte ich ziemlich realistisch den LKW steuern. Vorwärts wie rückwärts. Aber dass dieses ganze elektronische Gedöns nicht billig gewesen sein kann, das wusste ich auch schon ohne nachzurechnen. Mit einem Blick in die aufgeregten Augen meiner baldigen Frau ersparte ich mir eine Bemerkung zu den Kosten. Sie bemerkte auch ohne ein Wort von mir, was mir auf der Zunge lag.

»Ja, ich weiß, was du sagen willst. Aber durch Hugo habe ich einiges an Geld einsparen können, da er sich mit den Verkäufern ziemlich intensiv mit ›Preisvergleichen bei der Konkurrenz‹ unterhalten hatte. Da gab es dann ordentliche Preisanpassungen. Deinen Neffen nehme ich jetzt immer mit, wenn ich mal was Kostspieliges kaufen möchte. War manchmal ganz schön lustig, das mitzuerleben.«

Hugo grinste und nickte während ihrer Erklärung durchgehend.

Ich bekundete den beiden meinen herzlichsten Dank, bei Tim per Kurznachricht. Hugo dann noch zusätzlich dafür, dass er Mila so gut dabei geholfen hatte. Sogar mein Sohnemann war mit ihnen unterwegs gewesen, wie mir während meiner nächtlichen Auspackorgie erzählt wurde. Die übrigen Geschenke waren übrigens eine Guthabenkarte vom Spieleklienten Steam, ein tolles Aftershave und ein Buch, das ich mir schon längst kaufen wollte: Der alte Mann und das Meer von Ernest Hemingway.

Wenn der Körper mit der Seele spricht

Nach vielen weiteren Gesprächen mit meiner Psychiaterin, die ich in den letzten Monaten immer mehr zu schätzen wusste, bekam ich die Hausaufgabe, mir ein paar Psychotherapeuten in meiner Umgebung herauszusuchen und ihre Kontaktdaten aufzuschreiben. Zu meinem Erstaunen gab es davon ziemlich viele. Doch beim genaueren Betrachten der Webseiten enttarnten sich knapp drei Viertel davon als solche, die nur Privatpatienten aufnehmen wollten. Muss ein lukratives Geschäft sein, wenn man als vermeintlicher ›Helfer für die Seele‹ nur Menschen mit gefülltem Bankkonto auserwählt, um das eigene aufzufüllen. Da sind die armen Kassenpatienten natürlich unerwünscht. Ein offenes Schubladensystem jener, von denen man denkt, sie hätten einen Eid geschworen, allen Kranken zu helfen, nicht nur den finanziell gut gestellten.

Das verbleibende Viertel waren etwa sechs Psychotherapeuten. Vier davon praktizierten Verhaltens-, die übrigen zwei Tiefenpsychologie. Ich notierte mir ihre Daten auf einem Zettel, den ich mir gut sichtbar auf dem Schreibtisch platzierte. Eine kleine Gedächtnisstütze sozusagen. Nicht, dass irgendjemand behaupten könnte, aus den Augen, aus dem Sinn. Was natürlich rein obligatorisch betrachtet die richtige Redewendung wäre, sollte ich den Zettel verlegen und anschließend vergessen – oder vergessen wollen. Das könnte aber nur jemand wissen, der mich gut kannte. Und da zog sich der Kreis schon enger zusammen. Aber ich merke es schon wieder selbst. Ich sollte mir weniger Gedanken über Eventualitäten machen, mich mehr auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Damit habe ich bisher die besseren Erfahrungen gemacht.

Als ich mir ein neues Rezept bei meiner Psychiaterin holen wollte, zitierte sie mich kurzerhand in ihr Sprechzimmer. Etwas überrascht folgte ich ihrer Aufforderung. Obwohl die Praxis brechend voll war und ich auch keinen Termin vereinbart hatte, holte sie mich zu sich rein.

Ich setzte mich auf einen der Stühle vor dem aufgeräumten Schreibtisch, sie sich dahinter. Eine Zeit lang sah sie mich einfach nur an, als würde sie überlegen, wie sie mir etwas Schlimmes beibringen konnte, ohne mich damit zu überrumpeln. Zumindest kam dieses Gefühl in mir auf und ich wurde zunehmend unruhiger. Mein Körper schien das Blut nur noch hochzupumpen, was die immer stärker werdende Hitze in meinem Kopf erklärte. Ich musste rot wie eine reife Tomate geworden sein. Fehlte nur noch der Dampf aus meinen Ohren. Am besten mit solchem Pfeifton wie der einer Dampflok aus längst vergangenen Zeiten.

Dann, endlich, die Erlösung. Sie sprach in einem sofort beruhigenden Ton, was auf mich bei jedem Besuch gleich einwirkte. Es ging schlicht um meine Hausaufgabe. Sie erkundigte sich bei mir nach dem Fortschritt und fand es gut, dass ich bereits eine kleine Auswahl verlautbaren konnte. Von nun an, so teilte sie mir mit, wäre sie nur noch für meine Medikation zuständig, da sie diese überwachen wollte. Machte ja auch Sinn bei solchen Chemiekeulen. Alles Weitere sollte ich von nun an mit dem Psychotherapeuten meiner Wahl besprechen. Das war meine nächste Hausaufgabe. Sollte ich mit keinem der Therapeuten zufrieden sein, es keinen Termin für mich geben, die Krankenkasse eine Therapie ablehnen oder ich einfach das dringende Bedürfnis verspüren, mit ihr reden zu wollen, konnte ich natürlich jederzeit zu ihr in die Notfallsprechstunde kommen, wenn es eilt. Ansonsten wie gewohnt einen Termin vereinbaren, wenn es auszuhalten ist.

Sie gab mir das unterschriebene Rezept in die Hand und gab mir eine mündliche Motivation mit auf dem Weg, als sie mich nach draußen begleitete: »Den ersten, für Sie schlimmsten und wichtigsten Schritt haben Sie bereits getan. Das Übrige wird Ihnen mehr gefallen, denn von da an werden Sie sich wohler fühlen.« Ich hatte gleich am nächsten Tag bei den Therapeuten von meiner Liste angerufen. Zwei hatte ich nicht erreicht, bei einem unterhielt ich mich mit dem Anrufbeantworter, dem ich seine Frage nach meinem Anliegen bereitwillig beantwortete, die anderen waren mir schon am Telefon unsympathisch. Meine Hoffnung auf einen Therapieplatz wurde mit jedem Anruf geringer, war am Ende genau genommen kaum noch vorhanden.

Ich war mit Hugo allein zuhause. Er, wie immer in Tims Zimmer, ich, eigentlich auch wie immer, im Wohnzimmer vor dem Computer. Das Klingeln des Telefons holte mich aus der virtuellen Realität in diese Welt zurück. Ich ging damals eigentlich nicht ans Telefon, wenn ich die anrufende Nummer nicht kannte oder die Rufnummer unterdrückt wurde. Auch so eine Marotte, die ich mir seit meiner Angsterkrankung zur Gewohnheit gemacht habe. Da mir das Klingeln aber – ja, es mag vielleicht bescheuert klingen – aufdringlicher vorkam als sonst, ging ich kurzentschlossen ran. Zum Glück! Es war der Therapeut, dem ich den Anrufbeantworter vollgequatscht hatte. Darüber war ich ziemlich erfreut, wie ich ihm auch ungehemmt mitteilte, was ein herzhaftes Lachen aus ihm herauskitzelte. Die Stimme, sein Verhalten während und das Gespräch selbst waren mir sofort sympathisch. Das steigerte sich, als er mir sagte, dass ich schon am nächsten Tag zu einer Kennenlernstunde kommen konnte.

Ich willigte auf der Stelle ein und teilte meinen Erfolg unverzüglich Tim, Mila, Hugo und sogar meinen Eltern mit.

Tim und Hugo schickte ich eine kurze Textnachricht: »Ich habe einen Therapieplatz!« Als Antwort kam ein »OK« von Tim und ein »geil, du Eumel!«, von Hugo, von dem mich eigentlich nur eine Wand in der Wohnung trennte. Mila durfte sich über eine Sprachnachricht von mir freuen, in der ich ihr freudig aufgeregt von der Neuigkeit erzählte. Ein fünfminütiges Telefonat klärte meinen Vater und meine Mutter darüber auf, wie es mit mir weitergehen würde. Aber ich glaube, sie konnten mit meinen Schilderungen nur wenig anfangen. Die Fragen nach dem, was wir die Tage so essen wollten, dass die Nachbarn von oben wieder für ein paar Wochen in ihre Heimat gereist sind, oder dass meine Mutter erneut Verstopfung von der vielen Schokolade bekommen hatte, die sie so nebenbei vernaschte, waren für sie dann doch wichtiger. Auch so ein kleines Beispiel dafür, dass man eine Krankheit, die man nicht sehen kann, als nichts Schlimmes einstuft. Aber das war ich bereits gewohnt. Ungeachtet der Tatsache, dass dieses Verhalten immer wieder tief in meine Seele schnitt.

Ich lag fast die ganze Nacht hindurch wach neben Mila auf der Schlafcouch. Hugo watschelte dreimal an uns vorbei, um aufs Klo zu gehen. Wenigstens verhielt er sich so leise wie möglich. Dass ich gereizt war, weil ich einfach nur müde, gleichzeitig aber aufgeregt auf den bereits angebrochenen neuen Tag war, dafür konnte er ja nichts.

Kurz bevor Milas Wecker um kurz nach vier Uhr ihre Nachtruhe unterbrach, schlief ich dann doch noch für eine kurze Zeit ein. Ich glaube, das war das, was die Erdenbewohner als Powernapping bezeichneten. Jedenfalls tat es mir gut, wenn es auch viel zu wenig gewesen ist.

Ich nutzte die verbleibende Zeit, um mich mit Kaffee vollzupumpen und einer ausgiebigen Körperpflege hinzugeben. Die Praxis war knapp zehn Minuten Fußweg entfernt. Das betrachtete ich als kleinen Bonus. Davor angekommen, wartete ich noch einmal zehn Minuten, da ich nicht so gerne in Wartezimmern herumsitzen mag. Zu viele Kranke, zu viele Menschen, zu viele Augen.

Das Wartezimmer war riesig und zudem wurde es auch von einem Kardiologen genutzt, weshalb es auch so voll darin war.

Nur wenige Minuten verweilte ich schließlich doch noch zwischen den Scheintoten und hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, zu furzen. Doch ich verkniff es mir lieber, könnte ja auch Land mitkommen wegen der ganzen inneren Aufregung. Da meldete sich mein Darm gerne in solch ungünstigen Momenten.

Und dann war es endlich so weit. Ich wurde zu meiner ersten Therapiestunde aufgerufen. »Herr Wagner, bitte folgen Sie mir.« Ein groß gewachsener Mann mit einer aufgepusteten Dauerwelle kam auf mich zu und lächelte mich an. Er erinnerte mich sofort an Tingeltangel-Bob aus einer amerikanischen Zeichentrickserie, die in Springfield spielt. Er war zwar nicht gelb und auch nicht gezeichnet wie die Figuren in der Serie, aber die Frisur war dem Erwähnten sehr ähnlich. Und sie gefiel mir. Das hatte ich zuvor bei noch keinem Mann gesehen. Auch seine Stimme klang angenehm, fast schon beruhigend. Ich folgte ihm.

Und fünfzig Minuten später war schon wieder alles vorbei. Es fühlte sich nach fünf Minuten an. Viel zu wenig Zeit für mich und dem, was ich alles erzählen wollte. Es sprudelte einfach aus mir heraus. Der Therapeut konnte kaum mithalten. Er musste mich häufig unterbrechen, damit er sich alles notieren konnte. Das tat gut. Meine Psychiaterin hatte recht behalten. Schon jetzt spürte ich die Wirkung einer Therapie, obwohl genau genommen gar nichts passiert ist. Ich habe wie ein Wasserfall geredet, ein paar Fragen beantwortet und mich so wohl gefühlt wie schon lange nicht mehr. Erste Stunde Ende. Ich bekam noch ein paar Zettel mit, die ich ausfüllen sollte, wenn ich der Meinung bin, wir würden gut miteinander auskommen und ich Vertrauen in seine Tätigkeit und ihn selbst haben würde. Er selbst meinte, es spreche von seiner Seite aus nichts dagegen. Die Zettel waren Dokumente für den Antrag bei der Krankenkasse. Standardfragen aus dem Katalog, vermutete ich. Da aus meiner Sicht sowieso alles perfekt war, füllte ich alles sofort aus, nachdem ich wieder gut gelaunt in meiner Wohnung war. Schon in einer Woche hatte ich den nächsten Termin bekommen. Da würde ich die Zettelwirtschaft gleich mit abgeben. Und so tat ich es auch. Und meine Glückssträhne sollte nicht abreißen. Eines Abends klingelte das Telefon und ich nahm ab, ohne hinzusehen, wer da anrief. Es war mein Therapeut. Er teilte mir mit, dass soeben ein fester Therapieplatz für mich frei geworden war und die Krankenkasse bereits die Therapie bewilligt hatte. Mila und ich freuten uns gemeinsam darüber und feierten die frohe Botschaft mit einem Gläschen Sekt.

Weihnachten

Ich mochte es trotz der vielen Unterstellungen und Behauptungen gerne, das jährliche Zusammentreffen mit Teilen der Familie an Heiligabend oder Weihnachten. Es hatte immer etwas von damals, als ich noch Kind gewesen war. Vielleicht lag es auch daran, dass meine Eltern mich ab und an noch wie ein Kind behandelten. Nicht mit Absicht, das war mir klar, beziehungsweise wollte ich fest daran glauben, dass es so sein musste. Ihr Verhalten war aus purer Gewohnheit, wie es manchmal den Anschein hatte. Obwohl ich davon nicht selten genervt war, genoss ich das Beisammensein und das gemeinsame Essen mit allen Anwesenden. Und wenn neben Mila und meiner Person noch Tim und Hugo mit dabei waren, lenkte das die Aufmerksamkeit meiner Eltern sowieso auf die jüngere Generation. Dort gab es noch viel zu belehren. Tim rollte immer mit den Augen und grinste, wenn er in den Mittelpunkt einer solchen pädagogisch wertvollen Gehirnwäsche geriet. Bei Hugo war es ähnlich, nur dass er dazu immer nervös hin- und herwackelte, als müsse er urplötzlich mächtig kacken.

Wir saßen zusammen im Wohnzimmer, tranken Kaffee und unterhielten uns. Wie eine ganz normale Familie. Meine Geschwister wollten erst am nächsten Tag zu Besuch kommen. Das war zwar schade, aber aus Gründen von Platzmangel auch gut so. Mit sechs Personen ging es gerade noch so, wie ich es auch diesen Heiligabend wieder feststellte. Die ganze Wohnung roch nach brutzelndem Geflügel aus dem Ofen, gepaart mit einer kräftigen Soße und Rotkohl. Das backte und köchelte alles nebenher vor sich hin, während wir unser Kaffeekränzchen abhielten.

Meine Mutter tat mir immer leid, da sie sich so viel Mühe mit dem Essen gab und mein Vater trotzdem immer etwas zu meckern hatte. Andersherum war es aber auch so. Und meine Geschwister waren ebenfalls kleine Nörgler. Entweder war es zu fettig, zu viel, zu ungesund, zu salzig oder was weiß ich noch alles. Ich zuckte immer mit den Schultern und widmete mich dem leckeren Essen. Zum Ende lobte ich den Koch oder die Köchin, egal, was die anderen dazu meinten. Aber das würde ich ja nicht mitbekommen, denn ich wollte am nächsten Tag zuhause bleiben. Wahrscheinlich holte Tims Mutter ihn ab, um zu seinen Verwandten zu fahren. Da fuhr er immer gerne mit, nicht nur wegen der vielen Geschenke. Ich freute mich für meinen Sohn. Ich konnte ihm leider nicht so viel bieten. Auch ein Grund, weshalb ich so oft traurig wurde, wenn er in meiner Nähe war oder ich nur an ihn dachte. Es belastete mich zusätzlich. Aber darüber wollte ich mit meinem Therapeuten zu gegebener Zeit vielleicht noch sprechen. Das wäre jedenfalls der richtige Ort dafür.

»Sag mal, Hugo, hast du denn schon was gefunden, wo du wohnen kannst?«, fragte mein Vater beiläufig, was Hugo rot werden ließ.

»Nein, noch nicht. Aber ich suche täglich. Ist nur alles ziemlich teuer geworden«, antwortete er ziemlich verlegen und sah dabei seinen Teller an, auf dem er die Kartoffelklöße in kleine Häppchen schnitt.

»Dann wohl doch erst Arbeit suchen. Dann sollte es einfacher sein«, fügte meine Mutter hinzu, was ihn nun noch verlegener werden ließ.

»Ja, bin dabei«, sagte er kleinlaut.

Mein Vater verschluckte sich, was einen Hustenanfall auslöste und die Aufmerksamkeit aller lastete nun auf ihm.

»Guckt nicht so blöd!«, krächzte er mit rotem Kopf und Tränen in den Augen in die Runde, die daraufhin in ein kollektives Lachen verfiel.

So und so ähnlich zog sich das gemeinsame Fest bis in die späten Abendstunden hinein. Es gab noch Eis zum Dessert, anschließend hielten wir uns an Wein und Bier fest. Ich muss zugeben, dass es weniger Vorwürfe gab, als ich zuvor vermutet hatte. Es wurde insgesamt mal wieder viel gelacht. Mal über das Verhalten einer Person oder darüber, dass der Verdauungstrakt meines Vaters gut zu funktionieren schien, was er mit einem lauten Furz im Bad verlauten ließ. Durch die geschlossen Badtür immer noch sehr gut zu hören, nebenbei bemerkt!

Insgesamt betrachtet war es ein schöner vorweihnachtlicher Abend.

Kapitel 2

Mila war schon lange auf den Beinen, als ich mich endlich aufraffen konnte, aufzustehen.

Ehrlich gesagt war es ihr frisch gebrühter Kaffee, der mir Leben einhauchte. Kaffee kochen konnte sie super. Der schmeckte wenigstens nach Kaffee und nicht nach Plörre.

Ich hatte die letzte halbe Nacht zum Tag gemacht und wie ein verrückter gestreamt. Ich bin kreuz und quer durch halb Europa gefahren. Virtuell, versteht sich. Manchmal nahm ich die Aufgabe eines nicht realen Spediteurs ziemlich genau. Wenn das verdiente Geld nur echtes Geld wäre, das am Ende des Monats auf mein Bankkonto eingeht, dann hätte ich meinen Traumjob gefunden. Der würde auch perfekt zu meiner Persönlichkeit passen. Aber so gesund konnte das auf Dauer auch nicht sein. Rauchen, Kaffee, manchmal auch Bier oder Wein und bis auf das bedienen von Lenkrad und Fußpedalen, die an den Computer angeschlossen waren, hatte ich nur wenig Bewegung, wenn ich meist abends meinem Hobby nachging. Ja, zum Klo und zurück vielleicht noch, aber dann war es das auch schon mit der körperlichen Ertüchtigung während des Zockens. Aber ein schlechtes Gewissen hatte ich deshalb nicht. Ich bewegte mich tagsüber nicht wenig durch die Gegend in Hamburg. Gelegentlich auch wieder ganz allein, der Therapie sei Dank. Ansonsten waren Mila, Tim und ich schon ganz gut zu Fuß oder mit der Bahn unterwegs. Ob in der Hamburger Innenstadt auf der Mönckebergstraße und drumherum, in Neugraben, im Tierpark oder auch mal in einem Museum, wie das Museum am Rothenbaum, Kulturen und Künste der Welt. Immer wieder interessant.

Meine Kindheitsträume kamen auch jetzt noch immer wieder zum Vorschein: Als LKW-Fahrer auf den Straßen von Amerika unterwegs zu sein, Züge von beachtlicher Länge durch sich schier endlos hinziehende Steppen, Gebirge oder auch Städte zu führen oder als Kapitän eines nicht ganz so großen Frachters zwischen Hamburg und Südamerika zu verkehren und dabei eine tolle Zeit haben.

Ich war mir aber bewusst, dass diese Zeiten von entspannten Verkehrswegen, Aufenthalte in fremden Städten in ebenso fremden Ländern oder überhaupt mit spaßbehafteten Traumberufen wie die meinen längst der Vergangenheit angehörten. Seefahrer können mit ganz viel Glück mal für eine Nacht von Bord, während die Ladung gelöscht wird, Lastwagen- und Zugführer stehen wie auch die Kapitäne zur See unter enormem Zeitdruck. Da bleiben Gesundheit und Freude auf der Strecke. Wenn das mal kein Wortspiel ist!

»Guten Morgen, mein Schatz«, hauchte mir Mila mit sanfter Stimme entgegen und wedelte mir mit ihrer Hand den aufsteigenden Dampf vom Kaffeebecher entgegen.

»Moin«, krächzte ich und blinzelte wie geblendet gegen die Müdigkeit an.

»Haben wir gut geschlafen?«

»Bis eben schon.«

»Waren wir zu lange auf?« Ihrer verspielten Tonart nach hatte sie gute Laune.