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Tommy Jaud

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Beschreibung

»Ein Drittel der Menschheit ist bekloppt. Manchmal ist es auch die Hälfte, das hängt vom Wetter ab. Unsinn? Vielleicht erklärt mir dann ja mal jemand, warum fast alle Fußgänger bei den ersten Regentropfen sofort ein unfassbar blödes Gesicht machen und die Schultern hochziehen. Glauben sie im Ernst, sie würden durch eine dämliche Grimasse auch nur einen einzigen Tropfen weniger Regen abkriegen? Das ist eine rhetorische Frage mit einer sehr, sehr traurigen Antwort: Sie glauben es.« Simon nörgelt, Simon nervt – aber Simon verbessert die Welt. Glaubt er. Außerdem braucht der inzwischen arbeitslose Vollidiot mal eben 1 Million Euro, um eine nervtötende Nachbarin loszuwerden. In seiner Not entwickelt Simon eine derart abgefahrene Geschäftsidee, dass die Chancen hierfür gar nicht so schlecht stehen ... Der Comedy-Bestseller über die gnadenlose Rückkehr eines liebenswerten Chaoten!

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Seitenzahl: 330

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Tommy Jaud

Millionär

Der Roman

Roman

Fischer e-books

Für alle, die beim Jogging auch ständig überholt werden.

Do si’ mer dobei!

Ein Drittel der Menschheit ist bekloppt. Manchmal ist es auch die Hälfte, das hängt vom Wetter ab. Unsinn? Vielleicht erklärt mir dann ja mal jemand, warum fast alle Fußgänger bei den ersten Regentropfen sofort ein unfassbar blödes Gesicht machen und die Schultern hochziehen. Glauben sie im Ernst, sie würden durch eine dämliche Grimasse und hochgezogene Schultern auch nur einen einzigen Tropfen weniger Regen abkriegen? Das ist eine rhetorische Frage mit einer sehr, sehr traurigen Antwort: Sie glauben es!

Aber auch ohne Niederschlag ist die Beklopptenquote bedenklich hoch. Wer, wenn nicht ein Bekloppter, kommt zum Beispiel auf die Idee, urinfarbenen Kloreiniger herzustellen? Wer, wenn nicht ein Bekloppter, hat diese unsägliche Plakat-Kampagne an die Stadt Köln verkauft mit einer alten Frau drauf und dem Text: »Alzheimer? Jeder Tag zählt! Infos unter: 0221-2217859519864«

Nun kann man sich damit abfinden, dass die Welt so ist, wie sie ist, oder man kann dagegen angehen. Ich für meinen Teil habe beschlossen, dass es zu wenig ist, sich einfach nur aufzuregen so wie alle anderen. Ich habe beschlossen, den Kampf aufzunehmen. Es ist kein leichter Kampf, denn meine Gegner sind schneckengleich arbeitende Pfandautomaten, Tütensuppenhersteller, arrogante Straßenreiniger und die Deutsche Bank. Aber mit ein wenig System und ein bisschen Grips werde ich diesen Kampf gewinnen und das Stückchen Welt um mich herum ein kleines bisschen besser machen. Und eines Tages wird man sagen: »Hut ab, was der Peters da erreicht hat, das hätten wir nicht gedacht.«

 

Wie jeden Morgen um 8 Uhr 44 stehe ich an meiner Haltestelle, beobachte Menschen, die mit dämlichen Gesichtern und hochgezogenen Schultern durch den Regen stolpern, und warte darauf, von den Kölner Verkehrsbetrieben in einem weiß-roten Nachkriegswaggon in mein Büro gerüttelt zu werden. Noch drei Minuten, steht auf der Anzeigetafel, was bei der KVB alles heißen kann zwischen ›gleich‹ und ›nie‹. Selbst wenn die Bahn in Sichtweite kommt, ist das keine Garantie, dass sie es auch tatsächlich bis zur Haltestelle schafft, denn da so eine Straßenbahn nun mal auf der Straße fährt, ist es durchaus möglich, dass einen halben Meter vor der Haltestelle noch ein Dönerspieß auf die Gleise fällt oder der im Suff geparkte Smart von Uschis Nagelstudio die Schienen blockiert. »Zwei Minuten«, zeigt die Infotafel jetzt und teilt mir zusätzlich in roter Laufschrift mit, dass Florian Silbereisen am 14.12. in der Köln-Arena gastiert. Noch eine Minute bis zur Bahn. Noch einen Monat bis zu Silbereisen. Freud und Leid liegen so eng beisammen, manchmal.

 

Weil kein Einzelplatz mehr frei ist, muss ich neben einem kauzigen alten Herrn in nasser Plastikjacke Platz nehmen. Er riecht nach nassem Dackel und hütet eine zerknautschte Bäckereitüte auf dem Schoß. Ich versuche ihn zu ignorieren, indem ich meinen Blick durch den Wagen schweifen lasse; wie jeden Morgen sehe ich nichts als konzentriertes Unglück. Es ist eine Tatsache: Je früher man Straßenbahn fährt, desto unglücklicher sind die Fahrgäste. Das ist so, weil vor neun Uhr kein Mensch freiwillig irgendwohin will. Weil alle müssen. Weil sie vor ein paar Jahren in der Rezession irgendeinen dämlichen Arbeitsvertrag unterschrieben haben, auf dem stand: Arbeitsbeginn neun Uhr. Und jetzt fahren sie. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Ich bin mir sicher: Würde der Zugführer nur so zum Spaß unsere Bahn langsam in den Rhein rollen lassen, keiner würde um Hilfe rufen oder die Scheibe zerklopfen mit dem roten Hämmerchen, alle würden nur apathisch seufzen: Na ja, dann muss das wohl so sein. Gut, am Wochenende besteht natürlich eine Chance auf Stimmungswechsel bei der Wagenflutung: »Do si’ mer dobei …«

 

Mein muffelnder Sitznachbar pult ein halbes Ei-Brötchen aus seiner Bäckereitüte und schielt kurz zu mir rüber. Nein, du Weißmehl-Honk, ich will weder mit dir über den FC reden noch von deiner trockenen Industriesemmel abbeißen. Vielen Dank. An der Haltestelle Universität senkt eine lärmende Gruppe jugendlicher Bushido-Imitatoren durch pures Zusteigen den Durchschnitts-IQ des Wagens um geschätzte zwanzig Punkte. Würde ein PISA-Forscher auch nur eine einzige Frage an die sediert dreinblickende Kapuzen-Gang stellen, er würde sich bereits nach der ersten Antwort mit einem beherzten Sprung durch die Scheibe auf die Straße retten.

»Haste den Pisa-Typ gehört, Emme? Erde voll rund!«

»Echt? Kraaass!«

Ruckelnd und ratternd erreichen wir die nächste Haltestelle. Der Ei-Brötchendackel neben mir steht hastig auf und schafft es mitsamt Zwiebelstück im Mundwinkel gerade noch nach draußen, bevor sich die Türen wieder schließen. Ich atme erleichtert aus, rutsche einen Platz weiter ans Fenster und bin froh, dass ich nur noch eine Station bis zum Ziel habe.

Mein Büro ist in einem Viertel, in dem es das ganze Jahr über aussieht wie direkt nach einem Bürgerkrieg. Ich hab mich dran gewöhnt. In Bagdad regt sich ja auch keiner mehr auf, wenn beim Nordic Walking plötzlich ein kaputtes Haus im Weg liegt. Im Zickzack-Kurs bahne ich mir meinen Weg durch zerbrochene Bierflaschen, Pizzareste und zerfledderte Baumarkt-Prospekte, kämpfe mich vorbei an hektischen TNT-Express-Boten auf orangenen Fahrrädern und schnauzbärtigen Gemüsehändlern mit Migrationshintergrund. Kurz vor dem Büro donnert ein Müllfahrzeug der Abfallwirtschaftsbetriebe Köln an mir vorbei. Auf der Seite des Wagens steht in bierkastengroßen Lettern: Für ein sauberes Köln. Für Sie. Ist natürlich auch ein Konzept: mit genialem Marketing und High-Tech-Müllwagen immer wieder am Abfall vorbeifahren. Bestimmt machen sie inzwischen nur noch Digitalfotos vom Müll und werfen die Dateien dann auf ihrem Rechner in den Vista-Papierkorb.

Zwei zerbrochene Beck’s-Flaschen später bin ich bei »Shahin’s WebWorld«, einem abgeranzten Orient-Internetcafé, das man ebenso gut »Tausend und ein Internet« nennen könnte. Zumindest hat mir Pächter Shahin bis heute nicht erklären können, was Wasserpfeifen und persische Teppiche mit dem World Wide Web zu tun haben. Vielleicht sind es W-LAN-Wasserpfeifen, die man auf den bunten Sitzkissen sogar dann rauchen kann, wenn sie noch im Regal stehen.

Mit einem schwungvollen »Morgen, Shahin!« öffne ich die mit Postern für persische Disco-Events zugeklebte Eingangstür und gehe schnellen Schrittes auf Computer 7 zu, meinen Stammplatz. Der unschlagbare Vorteil meines Büros ist, dass ich hier von neun bis zwölf für nur einen Euro ins Netz kann. Bei monatlich zwanzig Arbeitstagen macht das eine durchschnittliche Büro-Warmmiete von lächerlichen zwanzig Euro. Shahin ist ein wenig älter als ich, persischer Herkunft, hat rappelkurze schwarze Haare und einen stets gleichlangen Fünftagebart. Shahin und ich, wir sind fast so was wie Freunde geworden, seit ich Stammgast in der WebWorld bin. Besonders aktiv ist er allerdings nicht; auch heute kauert er hinter seinem selbstgezimmerten Baumarkt-Tresen, zieht an seiner Wasserpfeife mit Apfel-Teer-Geschmack und liest in einem Buch.

»Morgen, Simon! Bist ja superpünktlich heute!«

»Muss! Was lieste?«

»Die Vermessung der Welt.«

»Und? Wie groß isse?«

Schmunzelnd deutet Shahin auf eine große, billige Plastikuhr mit Coca-Cola-Schriftzug. »Ist aber eigentlich noch gar nicht neun.«

Ich schaue auf die Uhr. Es ist tatsächlich erst 8 Uhr 57. So früh war ich noch nie hier.

»Jetzt komm schon, Shahin, die drei Minuten, ich hab den Arsch voll zu tun!«, flehe ich.

»Also gut, leg los, mein Bichareh!«

»Nenn mich nicht Bittscharäh, wenn ich nicht weiß, was das heißt!«

»Okay.«

 

Ich lasse mich in die Lehne eines quietschenden Billig-Stuhls fallen und packe fein säuberlich meine Sachen aus: mein postgelbes Notizbuch, meine zwei Kugelschreiber von »Sensationell«, der neuen TV-Produktionsfirma meines Kumpels Phil, eine Banane und eine der sechs Orangensaft-Tüten, die man mir als Entschädigung geschickt hat, weil ich bei der Sunkist-Verbraucher-Hotline behauptet habe, mir beim Joggen den Strohhalm ins Auge gepiekst zu haben.

Ich ziehe die speckige Tastatur zu mir und tippe wie jeden Morgen spiegel.de in die Adresszeile des Browsers. Ja, ich bin spiegel.de-süchtig. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich den kompletten 11. September 2001 im Phantasialand Brühl verbracht und mich dann am Abend gewundert habe, dass ich mir als Einziger im Kino »Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug« angeschaut habe. Seit diesem schrecklichen Tag hab ich die ständige Angst, dass gerade irgendwas Schreckliches passiert und ich nichts erfahre davon: dass ich mein Altpapier zum Container trage, während gerade das sicherste Atomkraftwerk Deutschlands in die Luft geflogen ist, oder dass ich mir gerade eine komplette Staffel Stromberg anschaue, während die US-Armee Liechtenstein besetzt.

Heute ist nichts passiert. Gott sei Dank. Beruhigt melde ich mich bei gmx an und bekomme sechs neue Nachrichten präsentiert.

Absender

Jennifer Cooper

Betreff

Safe and cheap Viaagraaaa

Empfangen

Gestern, 13:01

Absender

Peter Ivan Selb

Betreff

Diese Seite kann Daniel nur empfehlen!

Empfangen

Gestern, 14:34

Absender

Ferrero Verbraucher …

Betreff

Ihre Kritik am Rocher-Gold-Spot

Empfangen

Gestern, 15:45

Absender

serviceletter@koelnticket

Betreff

10% sparen beim Winterfest der Volksmusik

Empfangen

Heute, 06:47

Absender

[email protected]

Betreff

Re: Nackensteaks schmecken …

Empfangen

Heute, 08:48

Absender

Amazon.de

Betreff

Amazon empfiehlt: Wie Sie alles im Leben …

Empfangen

Heute, 09:01

Viaagraaaa? Mit sechs A? Inzwischen weiß jeder, dass dies ein ebenso dämlicher wie leider auch effektiver Versuch ist, die Spamfilter dieser Welt zu umgehen. Ob dieser Buchstaben-Trick auch klappt, wenn man über ein vom CIA abgehörtes US-Handy einen Terroranschlag plant? Wenn man über so ein Handy einen Freund in New Jersey anruft und ihm zuflüstert: Hey, pass auf, Boooooob, wir platziereeeeen die Bombeeeeeee direkt im Kooooopf der Freiheiiiiiits-Statueeeee …

Ich werde eine Mail an die CIAAAAA schreiben und sie warnen. Sonst macht’s ja wieder keiner. Die Idee halte ich in meinem Notizbuch fest und schaue dann, was Daniel so empfiehlt. Es ist eine gefälschte Schweizer Uhr. Papierkorb! Dann klicke ich auf die Nachricht von Ferrero, denen ich vor zwei Tagen ihren dämlichen »Time for Gold«-Spot zerrissen habe, in dem ein neureicher Aushilfs-Bond im schwarzen Anzug goldene Rocher-Fallschirme auf eine langweilige Poolparty regnen lässt, nur weil er die Blondine im kleinen Schwarzen vögeln will. Howard. Sie sind ein neureiches Arschloch. – Meinen Sie mich oder Rocher? Wie viel Koks oder Crystal braucht man eigentlich, um eine derartige Hirnwichse auch nur aus dem Agentur-Drucker zu ziehen? Man darf den großen Konzernen so einen Werbemüll nicht durchgehen lassen, sonst denken die am Ende, ihr Spot sei eine Sensation, und dann leidet man jahrelang Abend für Abend, weil man so Schwachsinns-Clips wie »Schatz, I want to go to RIU« nicht schnell genug weggedrückt kriegt.

Klick!

Sehr geehrter Herr Peters,

 

mit Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, dass Ihnen unser Time for Gold-Spot nicht zusagt. Laut Marktforschung kommt dieser Spot allerdings sehr gut bei unseren Kunden an. Wir haben uns erlaubt, Ihre Kritik an die von uns beauftragte Werbeagentur weiterzuleiten, die sich sicher in Kürze mit Ihnen in Verbindung setzen wird.

 

Beste Grüße

Amina Ahues

Consumer Relations Ferrero-Rocher

Ha! Die Kritik hat gesessen. Auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist – wenn sich nur jeder zehnte von TV-Spots genervte Fernsehzuschauer mal zu seinem Computer statt zum Kühlschrank schleppen würde, um sich zu beschweren, dann sähe Deutschlands TV-Werbung schon ganz anders aus. Oh! Rewe hat sich dann nach einer Woche auch mal gemeldet, sehr schön. Klick!

Sehr geehrter Herr Peters,

 

wir bedauern sehr, dass Sie Anlass zur Reklamation unserer marinierten Nackensteaks haben. Wir dürfen Ihnen jedoch versichern, dass es unser höchstes Ziel ist, unseren Kunden hochwertige Ware zu bieten. Umso mehr möchten wir Ihnen danken, dass Sie uns darüber in Kenntnis setzen, dass unsere Nackensteaks »wie zerschredderte Straßenkatze« schmecken und die Lammmedaillons »wie mit Altöl verklebte Brieftaube«. Als kleine Entschädigung haben wir uns erlaubt, Ihnen an die angegebene Adresse eine Auswahl weiterer Produkte aus unserem Haus zukommen zu lassen.

 

Mit freundlichen Grüßen Hugo Wolf Qualitätssicherung Mecklenburger Qualitätsmetzgerei (Nacken, Schulter und Hüfte)

Hallo? Ich war wohl nicht deutlich genug! Warum um alles in der Welt sollte ich mich erfreuen an einer Auswahl weiterer Produkte dieser Art? Wütend über so viel Ignoranz mache ich mich daran, die Mail zu beantworten. Ich will gerade anfangen, als das vertraute Aufheulen entfernter Laubbläser an meine empfindlichen Ohren dringt. Ich drehe mich zu Shahin, doch der zieht ungerührt an seiner Wasserpfeife und starrt in sein Buch. Nicht mal die beiden magersüchtigen Studenten am Fenster kriegen was mit – aber was sollen die auch mitkriegen, die würden ihre dunkelgekifften Augen selbst dann nicht von hausarbeiten.de wegbewegen, wenn ein brennender Zeppelin in den Kiosk gegenüber krachen würde. Ich haste zum Fenster und presse meine Nase an die Scheibe. Und tatsächlich: Das lärmende Special-Effects-Dreigestirn der Abfallwirtschaftsbetriebe nähert sich mit seinem wöchentlichen Laubfeuerwerk. »Strüüßjer! Kamelle! Der Zoch kütt!«, salutiere ich laut. Die Studenten reagieren wider Erwarten und mustern mich mit müdem Blick.

»Shahin, komma! Das musste sehen!« Ich winke meinem Web-Perser, woraufhin dieser sich mühsam aufquält und sich zu mir ans Fenster stellt.

»Hier, Shahin! Du hast mich doch mal gefragt, was Impro-Comedy ist. Das isses!«

»Die Laubpuster?«

»Genau! Komma mit!«

Wir gehen nach draußen, um das städtische Laubbläser-Impro-Terzett Lolek, Bolek und Holek besser beobachten zu können. Zentimeterweise arbeitet sich die orange Truppe in Richtung WebWorld, bläst Milchtüten AUS Türeingängen, bunte Werbeprospekte IN Türeingänge und leere Kippenschachteln AN Türeingängen VORBEI. Die Ausbildung dieser Papierpuster muss knallhart sein: Ich tippe auf mehrmonatige Camps im pakistanischen Hochland, wo sie mitten in der Nacht mit eiskaltem Wasser geweckt werden und dann stundenlang nackt und ohne Licht den Sportteil vom Pakistanischen Tageblatt von links nach rechts blasen müssen.

Toll, wie Anbläser Bolek bereits zusammengekehrtes Laub mit seinem 45er Kärcher in hohem Bogen wieder auf Gehweg und Straße verteilt! Sensationell, wie Lolek zeitgleich mit einem noch leistungsstärkeren Laubbläser telefonbuchdicke Stapel von Werbeprospekten an die Fassaden drückt und synchron dazu ins Schaufenster eines Jonglierladens gafft. Höhepunkt des mit Steuergeldern geförderten Müllspektakels ist dann einmal wieder die lärmende Vorbeifahrt von Prinz Holek in seinem orangenen Rüsselmobil, mit dem er das Laub, das seine Kollegen versehentlich auf die Straße gepustet haben, stolz wieder auf den Gehweg befördert.

Ich klatsche und jubele ihnen zu: »Gute Arbeit, Jungs! Da drüben neben dem Stromkasten liegt noch ’n halber Döner mit scharf!«

Der arrogante Prinz Holek zeigt mir seinen Mittelfinger und fährt ungerührt weiter. Wahrscheinlich ist ihm die Blasleistung seines Plastikrüssels zu Kopf gestiegen.

»Die machen aber mehr schmutzig als sauber«, staunt nun auch Shahin.

»Eben!«

»Da musst du mal eine Mail schreiben.«

»Eine Mail? An die Abfallwirtschaftsbetriebe?«

»Du schreibst doch sonst so viele.«

»Müllmänner lesen keine Mails, Shahin. Müllmänner werfen eventuell mal ein paar Tastaturen zum Elektroschrott oder reißen sich einen Monitor unter den Nagel, aber näher kommen die thematisch ans Internet nicht ran!«

Ein wenig mitleidig schaut Shahin mich an, dann deutet er auf sein Vermessungs-Buch.

»Ich glaube, ich geh jetzt wieder rein, Simon.«

 

Ich find’s unfassbar. Die städtischen Müll-Clowns dürfen mit ihren tragbaren Airbus-Triebwerken um sieben Uhr morgens Wohngebiete terrorisieren, aber wenn ich abends eine Minute nach acht neben der lautesten Kreuzung Kölns behutsam den Express ins Altpapier gleiten lasse, dann kriege ich ein Bußgeld wegen Ruhestörung. Wie kann das die Leute nur so kalt lassen? Warum bin ich denn immer der Einzige, der sich aufregt, der was sagt, der was macht? Was ist nur los mit den Deutschen? In Frankreich brennen sofort hundert LKWs auf der Autobahn, wenn der Staat auch nur daran denkt, die Baguettesubventionen zu streichen. Bei uns könnte man von heute auf morgen Linksverkehr einführen und ’ne Ausgangssperre und alle würden nur mit den Schultern zucken und sagen: Doof, jetzt muss ich früher nach Hause …

»Shahin, du musst dich auch endlich mal mehr aufregen!«, rufe ich ihm zu.

»Warum?«

»Ja, ist dir das egal, wie’s vor deinem Laden aussieht?«

»Natürlich nicht. Aber was will ich denn groß machen?«

»Schon verstanden. Hat halt alles seine Ordnung. Sogar die Unordnung. Ich sag dir mal was, Shahin: Du bist schon deutscher als wir alle zusammen! Und ich sag dir noch was: Du bist überintegriert, bist du schon!«

»Ich bin über-integriert?«

»Genau! Warte mal ab: Bald fährste einen Benz mit Klorollenhut hinten drin und gehst nicht mehr ans Telefon, wenn die Tagesschau läuft.«

»BMW, Simon. Nicht Mercedes. Und ich schau immer das heute-journal.«

Verärgert setze ich mich wieder an Platz Nummer 7 und schaue mein gelbes Buch nach Notizen vom Vortag durch. Fast halb zehn ist es schon und ich hab noch nichts gearbeitet. Jetzt heißt es ranklotzen!

Ich beginne mit einer Mail an Sony Ericsson, in der ich darauf hinweise, dass das Handywörterbuch des K610i weder »Arschkrapfen« noch »Schnellfickerschuhe« kennt. An Vittel schicke ich eine Mail, weil ihre scheiß Plastikflaschen stundenlang nachknacksen, wenn man sie mal eingedellt hat. Mehrfach bin ich schon vor Schreck aus dem Bett geschossen wegen des Geräusches, Einbrecher, hab ich gedacht und bin mit Taschenlampe wirr durch die Wohnung gestolpert, dabei war’s nur ’ne billige Franzeckenflasche. Mail Nummer drei geht an das Management von Kai Pflaume, weil der Werbung für versalzene Viva Vital-Putenwiener macht. Hella von Sinnen fordere ich in einer weiteren Mail nachdrücklich dazu auf, nicht mehr so laut rumzuschreien im Fernsehen. Ich beschließe meinen Bürovormittag mit einer Nachricht an die Kölner Verkehrsbetriebe, in der ich mich über stinkende Fahrgäste und Florian-Silbereisen-Laufschriften beschwere.

Mit einem lauten »Mahlzeit« verabschiede ich mich von Shahin und gehe zielstrebig Richtung Jägerklause. Die Jägerklause ist die Sorte von Eckkneipe, in der man bei einem leckeren Frühstücksschnaps und einem Zwiebel-Mett-Brötchen das ARD-Morgenmagazin gucken und über Politik reden kann mit Leuten, die auch keine Ahnung haben. Sie ist aber auch die einzige Gaststätte Kölns, die ein komplettes Mittagsmenü für nur € 4,35 anbietet. Wenn man mit der Schmach leben kann, das so genannte Hartz-IV-Menü zu bestellen, wird man mit dampfender Buchstabensuppe, frischer Bratwurst auf Grünkohl und einem Vanilleeis bedient. Wichtig bei einem Besuch der recht abgeranzten Jägerklause ist allerdings, dass man gar nicht erst versucht, das von Wirt Karl-Heinz persönlich auf den Tresen geklebte 2-Euro-Stück wegzunehmen. Wichtig ist auch, sich möglichst weit weg von den anderen Gästen zu setzen, denn die haben meist schon gegen Mittag einen halben Kranz Kölsch im Hals und sind stets für ein sinnloses Gespräch zu haben. Die Buchstabensuppe ist lecker, doch noch während des Essens reift in mir ein schlimmer Verdacht. Ich zücke mein Notizbuch und notiere: Nachprüfen, ob Alphabet in Suppen vollständig.

Dinkel-Rübli-Knieschoner

Meine Nachmittage verbringe ich im Außendienst. Ich teste zum Beispiel, wie lange ich in den verschiedenen Autohäusern in einem Neuwagen sitzen muss, bis mich ein Verkäufer anspricht. Einmal in Jeans und billigen Turnschuhen und einmal im Anzug. Den Negativrekord für Jeans und Turnschuhe hält noch immer das Kölner Autohaus Igel, wo ich vor einer Woche in einem Toyota Prius fast verdurstet bin. Nur der leistungsstarken Audioanlage (Sonderausstattung) und einer brasilianischen Putzfrau ist es zu verdanken, dass ich mein Experiment nach sieben Stunden und elf Minuten abbrechen konnte. Auf Platz zwei der »wir missachten schlecht angezogene Kunden«-Rangliste liegt BMW Hemmer, wo ich drei Stunden und 49 Minuten in einem X5 verbrachte. Der zwielichtige Verkäufer des Peugeot-Autohauses Nadel in Köln-Sülz ersparte mir hingegen unnötige Sitzerei und fing mich bereits wenige Schritte vor einem 307 Cabrio mit einem Prospekt ab: »Da steht alles drin …«

Wie soll ich sagen: Die Autohaus-Tests waren den Aufwand wert. Schon mal wegen der dummen Gesichter, die die Verkäufer am nächsten Tag gemacht haben, als ich ihnen im Anzug verklickert habe, dass ihr Autohaus durchgefallen sei und ihnen das wütende Lenkrad verliehen werde. Es sind allerdings weniger die großen Aktionen wie die im Autohaus als eher viele Kleinigkeiten, mit denen ich die Welt jeden Tag ein kleines bisschen verbessere. Das können trödelnde Passanten sein oder ein schneckengleich arbeitender Pfandautomat, Plus-Supermärkte, in denen kein einziger kleiner Preis mehr wohnt, oder eine Diät-Salami mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum. Natürlich kommt es im Außendienst hin und wieder auch zu Streitereien, so wie gestern im Schlecker, als ich mich über den unverschämten Preis der Ab durch die Hecke-DVD beschwert habe und die Kassiererin mir riet, einfach ein Jahr lang zu warten, dann würde sie schon billiger. Ich hab ihr gesagt, das mit dem Warten wäre kein Problem, die Zeit hätte ich, und habe mich mit einem Sanddorn-Saft auf den Stuhl der Nachbarkasse gesetzt. Nach einem längeren Streit mit dem Marktleiter wurde ich dann doch nach draußen begleitet. Ohne DVD.

 

Heute Nachmittag habe ich den kürzlich eröffneten Bio-Supermarkt in der Nähe meiner Wohnung auf der Liste. Mit einem grünen Plastikeinkaufskorb als Kunde getarnt schlurfe ich hinein. Das Erste, was mir auffällt, ist, dass hier alles doppelt so viel kostet wie anderswo. Das Zweite: dass dies allen scheißegal ist. Beispiel. Hundert Gramm Schinken: € 4,99. Eine Kiwi, Bio nach EU-Verordnung: 89 Cent. Was zum Teufel ist eigentlich Bio nach EU-Verordnung? Ich nehme mein gelbes Buch aus der Tasche und notiere: Was zum Teufel ist Bio nach EU-Verordnung?

Neben der Käsetheke springt mir eine Pyramide aus Dinkel-Christstollen für € 7,99 ins Auge. Sieben Euro neunundneunzig? Für EINEN Christstollen? Das sind ja acht Flaschen Kölsch! Wie soll sich ein Selbstständiger so was leisten können?

Mal wieder wird mir klar, wie es aussieht im schönen Deutschland: Die Oberschicht leistet sich ungespritzte Biobananen von den französischen Antillen, während arme Socken wie ich an pestizidverseuchtem Discounter-Obst verrecken. Direkt neben der Stollenpyramide entdecke ich eine Servicetafel mit Zettelchen dran. Drauf stehen Kundenfragen. Neugierig nehme ich einen Zettel ab und beginne zu lesen.

Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn Sie Dinkel-Rübli-Häschen von Werz Naturkorn ins Sortiment nehmen würden.

Soso. Über so was würde sich der Herr Wittig also »wahnsinnig freuen«. Ich schaue kurz, ob ein Verkäufer in der Nähe ist und schreibe im Namen von Alnatura meine Antwort mit Kugelschreiber darunter:

Lieber Herr Wittig. Fragen Sie doch mal ein paar Leute auf der Straße, über was sie sich im Leben »wahnsinnig freuen« würden. Wenn irgendjemand »Dinkel-Rübli-Häschen von Werz Naturkorn« sagt, kriegen sie 1000 Euro in bar direkt an unserer Kasse.

Ich lese ein paar andere Zettel und wundere mich, dass derart dämliche Fragen von der Supermarktleitung auch noch höflich und ernsthaft beantwortet werden. Gut, dass ich noch einige unbeantwortete Zettel abfangen kann:

Warum bieten Sie nicht für sechs und mehr Flaschen Wein einen Rabatt an, so wie das Wein-Depot?

Kein Verkäufer weit und breit. Ich schreibe:

Danke für den Hinweis. Wir haben das Wein-Depot gebeten, diese unverschämte Form des Rabatts unverzüglich einzustellen.

Hier! Noch eine schöne unkommentierte Anregung:

Schade, dass Sie das Öko-Schaffell für Kinder nicht im Sortiment haben.

Ich überlege kurz. Dann schreibe ich:

Neue Schafe sind bereits bestellt und werden voraussichtlich morgen hingerichtet, damit Ihr verzogener Luxusbalg seine Biogase im Warmen in die Atmosphäre flatulieren kann.

Zufrieden hefte ich den Zettel zurück an die Tafel. Direkt daneben klebt ein weiterer mit rotem Gekrakel. Allein das Schriftbild und die Zeichensetzung würden zehn Sitzungen Psychotherapie rechtfertigen.

Bitte, Dinkelfruchtherzen wenn möglich, zartbitter ins Sortiment aufnehmen!!!

Wird weitergeleitet. Probieren Sie doch alternativ dazu mal einen Double-Whopper Cheese mit extra Bacon bei Burger King. Ihr Alnatura-Team

Ich schaue die ganze Tafel durch, finde aber nur noch eine einzige unbeantwortete Kundenfrage. Schade.

An der scharfen Kante der Bäckereitheke habe ich mir das Knie sehr schmerzhaft verletzt. Der ganze Eingangsbereich ist zu eng!

Wie dämlich kann man sein?

Wir empfehlen die Verwendung der neu ins Sortiment aufgenommenen Dinkel-Rübli-Knieschoner, die eigens für unsere scharfe Bäckereithekenkante entwickelt wurden.

»Was machen Sie denn da mit den Zetteln?«

Ein dürrer, kleiner Alnatura-Verkäufer mit lichten, roten Haaren und großer Nase tippt mich an. Er deutet auf meinen Kunden-Zettel, den ich schnell in meiner Jackentasche verschwinden lasse.

»Ich … ich bin Kunde und wollte was fragen!«, stammle ich.

Der Verkäufer neigt misstrauisch seinen Kopf zur Seite.

»Fragen Sie!«

»Nein!!!«

»Warum nicht?«

»Die Frage … sie ist noch unausgegoren, schlecht formuliert und … unleserlich!«

Ich kenne den Typen von irgendwoher, und plötzlich weiß ich auch von wo.

»Sie haben mal bei Ikea gearbeitet, stimmt’s?«

Der Bio-Zwerg stutzt.

»Ja! Und?«

»30 C, oder?«

»Wie bitte?«

»Der Sessel Jennylund stand bei 30 C im Mitnahmelager!«

»Also, das weiß ich jetzt beim besten Willen nicht mehr.«

»Aber ich! Weil Sie mir den verkauft haben, und verscheißert haben Sie mich, weil’s nämlich ein Singlesessel war!«

Die Miene des Verkäufers hellt sich auf.

»Jetzt wo Sie’s sagen … stimmt, ich kenne Sie! Und, wie sieht’s heute aus mit den Frauen? Endlich ’ne Freundin?«

Der Typ war vor zwei Jahren schon ein Idiot. Warum sollte sich das geändert haben?

»So. Genug gequatscht, war toll, Sie wiederzusehen, aber jetzt muss ich einkaufen, ich hab schließlich nicht alle Zeit der Welt.«

Entschlossen greife ich nach einem von freilaufenden Kindern handgetunkten Bio-Lebkuchen für achttausend Euro, werfe ihn in meinen Korb und lasse den verdutzten Ex-Ikea-Verkäufer vor seiner Kundentafel stehen. Würde mich ja mal interessieren, warum der jetzt hier arbeitet und nicht mehr bei den Möbelschweden. Vielleicht hat er ja Schrauben mitgehen lassen. Bei meinem letzten Regal-Set jedenfalls fehlte eine.

Ich entsorge den Luxus-Lebkuchen in der Tiefkühltruhe und klettere über sieben Kinderwagen neureicher Innenstadtmütter auf die Straße.

Vor meinem Einkauf bei Plus checke ich vorsichtshalber meine Barbestände. Sie gehen mal wieder gegen Null. Ganze € 4,57 bleiben fürs Abendessen. Von wegen »Prima Leben Und Sparen«. Noch am Eingang zettele ich eine Diskussion über kleine Preise an, dann kaufe ich eine Buchstabensuppe und eine Tiefkühl-Paella für € 2,49 mit jetzt angeblich noch mehr Garnelen. Natürlich erwähnen sie auf der Packung nirgendwo, wie viele Garnelen vorher drin waren. Was, wenn’s nur eine war? Dann wären ja schon zwei Garnelen »noch mehr Garnelen«! Ich nehme die Tüte trotzdem mit und dazu noch eine große Packung Pringles in meiner Lieblingsgeschmacksrichtung. Ein bisschen Luxus muss auch mal sein. Nachdem ich ausgerechnet habe, dass alles zusammen € 4,69 kostet, aber ich ja nur € 4,57 habe, kippe ich den Inhalt einer vollen Flasche Gerolsteiner in eine Tonne Waschmittel und stelle die leere Flasche zu meinen Einkäufen mit aufs Band. Vielen Dank nochmal an Rot-Grün für den bekloppten Pfandwahnsinn. Ohne Jürgen Trittin hätte ich glatt ohne Essen ins Bett gehen müssen. Wie immer wünscht die Kassiererin den beiden Kunden vor mir einen schönen Abend, nur mir nicht. Das ist nicht nur im Plus so, das ist überall so. Ich hab keinen blassen Schimmer, was der Grund dafür ist, ich hab alles probiert: Ich hab gelächelt, ich hab gescherzt, ich habe sogar von mir aus einen schönen Tag gewünscht. Noch nie kam eine Antwort. Als wäre ich Luft.

Gespannt packe ich die Pringles in meine Jackentasche und beobachte mit großen Ohren, wie der nachfolgende Kunde sein Wechselgeld bekommt.

»Und 2,34 zurück. Schönen Abend noch.« Unfassbar. »Ihnen auch!«, rufe ich leicht verbissen zur Kasse und mache mich auf den Heimweg.

Der kleinste Pub der Welt

Was aus mir geworden ist, seit ich vor zwei Jahren aus dem T-Punkt geflogen bin? Nichts natürlich. Mein teures City-Apartment habe ich eingetauscht gegen eine balkonlose 49-qm-Wohnung in Köln-Sülz. Zweiter Stock in einem faden Mehrfamilienhaus mit weiß gekachelter Fassade. Das Treppenhaus riecht entweder nach deutschem Mittagessen oder Putzmittel, und die Flurbeleuchtung schaltet sich immer genau dann ab, wenn die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass ich mit zwei Einkaufstüten auf die Fresse fliege. Nur ein einziger Schraubendreh meines zwirbelbärtigen Vermieters wäre nötig, um den Lichttakt zu erhöhen, aber was juckt ihn das schon, der feine Herr lässt ja lieber das Dachgeschoss zu einer Luxuswohnung ausbauen. Monatelang wurde ich täglich um sieben Uhr von einer deutschen Hochleistungsflex geweckt, zu einer Uhrzeit also, von der ich bis vor kurzem nicht mal wusste, dass es sie gibt. Anfangs hab ich die Bauarbeiter noch nett gefragt, ob man die lauten Sachen nicht auch ein paar Stunden später machen könne. Das Ergebnis war stumpfes Gelächter – man baue schließlich nicht von leise nach laut, sondern von unten nach oben. Danach hab ich alles versucht: die Sicherungen rausgedreht und die Werkzeuge vertauscht gegen welche aus Schaumstoff, die ich im Karnevalsladen neben der Jägerklause gekauft habe. Hätte mich fast ’ne Strafanzeige gekostet. Die Hoffnung auf baldige Ruhe kam mit den Parkettverlegern. Am letzten Freitag war das, und es wurde auch echt Zeit. Noch ein einziges Hämmern von oben, ein winziges, noch so schüchternes Hüsteln eines tschechischen Trockenbauers und ich wäre als amoklaufender Ego-Shooter durchs heute-journal gerannt. Wenigstens hätte Claus Kleber dann nicht mit schiefem Kopf sagen können: »Er war ein ganz normaler Kerl«, sondern: »Seine Nachbarn, Freunde und auch die Handwerker haben es immer gewusst …«

Ich schiebe mich und mein Einkäufchen die fünf handwerkerfreien Treppen hinauf bis zu meiner Wohnung, und – natürlich: In genau der Sekunde, in der ich den Schlüssel einstecken will, geht das Licht aus. Ich atme tief ein, drücke ein zweites Mal auf den Lichtschalter und öffne die Tür.

»Hallo Schatz!«, rufe ich in einem Anfall von Masochismus und trete ein. Ich knipse die flackernden Energiesparleuchten an, stelle die Chips in meine beige Billigküche und rümpfe die Nase. Irgendwie riecht es nach Müll. Nach kurzer Nachforschung weiß ich: Es ist der Müll. Läuft haushaltstechnisch halt nicht mehr alles sooo rund, seit meine kroatische Putzfrau Lala nur noch vierteljährlich für eine Stunde kommt. Ich sprühe ein wenig Geruchsvertilger auf meinen Mülleimer und lasse mich auf den einzigen Küchenstuhl fallen.

Feierabend!

Und jetzt?

Mein Blick schweift nach draußen. Der Baum vor meinem Fenster trägt nur noch ein paar armselige gelbe Blätter, die im Wind zittern. Vielleicht haben sie ja auch Angst vor dem ganzen Scheiß, der bald mal wieder ansteht: Den nebligen Nieselnovember kriegt man vielleicht noch rum, aber die Vorweihnachtszeit, die ist der pure Horror für einen selbstständigen Single. Wenn sich all die geleckten Designerpärchen wieder gegenseitig die Geschäfte leer kaufen, um dann vor den entsetzten Augen eines hilflosen Christkindes mit ihrer finanziellen Potenz zu prahlen:

Ein Haus in Südfrankreich und ein Mini-Cooper mit iPod-Adapter! Ach Schatz – wir haben doch gesagt, keine Geschenke. Wie stehe ich denn jetzt da mit meinem verlängerten Golf-Wochenende in Südafrika?

Weihnachten. Mal ehrlich: Wer würde das familiäre Verspeisen der Weihnachtsgans nicht eintauschen wollen gegen ein stinknormales Kreuzverhör auf Guantánamo? Schon mal deswegen, weil es auf Kuba garantiert keine Tchibo-Adventsdeko gibt. Für die meisten meiner Bekannten geht’s nach der Gans und dem Silvester-Raclette in ein tolles neues Jahr voller Gehaltserhöhungen, exotischer Urlaube und aufregendem Sex. Dann schreiben alle »Jogging« oder »Personal Training« in die erste Januarwoche ihres Deutsche-Bank-Kalenders oder »Eurasische Tapas mit Markus und Joachim«. Ich hab schon ewig keinen Kalender mehr gekriegt von der Deutschen Bank, nicht mal einen Kugelschreiber. Egal, was sollte ich mit meinen monatlichen 345 Euro Arbeitslosengeld II schon für große Pläne reinschreiben?

2. Januar

Essen mit Freunden im »Le Moissonier« wegen Grippe absagen

6. Januar

Evtl. Sugababes-Konzert in Düsseldorf (wenn Phil an Freikarten rankommt)

11. Januar

Ausrede für Snowboarden in St. Anton?!

Ich merke, dass mein rechtes Auge wieder zu zucken beginnt, was laut Paula ein eindeutiges Zeichen dafür ist, dass ich mich zu sehr aufrege. Noch schlimmer sind eigentlich nur die Ohrgeräusche, die sich so anhören, als würde Wasser in einen Heizkörper fließen. Mit mir als Heizkörper. Ich bin bei Shahin natürlich sofort zum netdoktor.de gegangen, und da stand dann, dass das »nur« Tinnitus sei, man sich entspannen solle und die Geräusche einfach ignorieren. Ohhh!, hab ich mir gedacht, einfach ignorieren, die Geräusche. Dass ich da nicht selbst drauf gekommen bin! Diesen Online-Quacksalbern sollte man im Minutentakt Chinaböller vor ihre Billo-Tastaturen werfen und zeitgleich auf sie einschreien: »Ignorieren, die Geräusche, einfach ignorieren!« Egal, ich hab genau deswegen bald einen Termin bei einem richtigen Doktor. Ist ein Tipp von meiner Freundin Paula, alle würden da hingehen, hat sie gesagt, der wäre ein bisschen schräg, aber sonst echt gut.

Mit Bier und Pringles setze ich mich hinter den Tresen meines selbstgezimmerten Wohnzimmer-Pubs. Über dem Tresen hängt ein beiges Emaille-Schild mit dem Aufdruck: Gefördert von der Bundesagentur für Arbeit. Das stimmt tatsächlich, weil ich mir die irische Ecke von exakt dem Geld habe bauen lassen, was mir die BA nehmen wollte, weil ich für ALG II noch zu viel Vermögen hatte. Laut § 8.3. des SGB II ist meine irische Ecke nämlich kein Pub, sondern »angemessener Hausrat«, soll heißen: darf nicht zum Vermögen hinzugerechnet werden. Und wenn ich schon nicht mehr in den Pub komme, dann muss der Pub halt zu mir! Ich schalte den Fernseher ein und schaue Die Simpsons an, wie fast jeden Abend. Dann geht’s meistens rüber zum Perfekten Dinner, oder ich bleib bei Galileo, aber nur wenn sie gute Themen haben.

Als meine Pringles leer sind, wähle ich die auf der Verpackung aufgedruckte Servicenummer. Nur für den Fall, dass sich schon mal jemand gefragt hat, wer solche Nummern eigentlich anruft: ich! Die Chips sind von Procter & Gamble, einem riesigen Konzern, der einfach alles herstellt: Pampers (Windeln), Duracell (Batterien), Head & Shoulders (Shampoo), Charmin (Klopapier), Bounty (Küchenrollen), blend-a-med (Zahncreme), Meister Proper (Küchenglanz für Skinheads) und eben auch Pringles (Chips). Sollte einen ja eigentlich schon mal skeptisch machen, wenn EINE Firma ALLES macht. Ich meine, was ist denn, wenn da mal was durcheinanderkommt in der Produktion und Batteriesäure ins Shampoo tropft oder Meister Proper in die Pringles?

Es tutet in der Leitung und ich muss die »1« drücken, weil ich keine Dosierhilfe haben will, sondern ein persönliches Gespräch. Eine Männerstimme erklärt mir, dass das Gespräch zu Trainingszwecken aufgezeichnet werde, ich dies aber ablehnen könne. Dann tutet es wieder und Sekunden später habe ich eine Verbraucherberaterin am Telefon.

»Procter & Gamble Verbraucherservice, mein Name ist Annabelle Kaspar, was kann ich für Sie tun?«, singt eine Beraterin ihren Standardtext ins Headset wie eine Stewardess die Sicherheitshinweise. Ich antworte mit meinem Standardtext:

»Hallo, ich möchte nicht aufgezeichnet werden zu Schulungszwecken und habe ein Problem mit einem Ihrer Produkte.«

Eine kurze Pause entsteht.

»Herr Peters?«

Mir fällt fast das Telefon auf den Boden. Haben jetzt sogar schon Spülmittelfirmen eine Spracherkennung?

»Ähhh … richtig! Woher … wissen Sie das?«

»Ganz einfach, Sie rufen ziemlich oft bei uns an.«

»Oh. Ist das so?«

»Warten Sie …«

Die Spülmittel-Stewardess hackt irgendwas in ihre vermutlich mit Head & Shoulders gereinigte Tastatur.

»Das vierzehnte Mal, bisher. Davon vier Mal bei mir.«

»Ist nicht wahr … «

»Was ist es denn dieses Mal, Herr Peters?«

Ich fühle mich ertappt. Und ich hasse es, wenn sie dauernd den Namen wiederholen, als wäre ich ein Idiot, der regelmäßig vergisst, wie er heißt.

»Die … Pringles aus der kleinen Packung schmecken anders als die in der großen Packung. Die in der kleinen sind irgendwie weniger würzig!«

Wie zum Beweis klopfe ich an die leere Pringles-Rolle.

»Hören Sie? Das KLINGT ja schon weniger würzig!«

»Welche Sorte essen Sie denn?«

»Die Grünen. Sourcreme & Onion. Die esse ich sehr gerne, wissen Sie?«

»Ich werde das weiterleiten. Dürfen wir Ihnen eine Ersatzpackung schicken?«

Na also. Warum das ganze Gequatsche vorher. Immer rüber mit der Ware.

»Och … das wäre nett. Aber schicken Sie die kleinen Packungen. Bei den großen klemme ich mir immer die Hand ein, wenn ich an die letzten Chips will.«

»Sie klemmen sich die Hand ein?«

»Absolut. Einmal musste ich sogar ins Krankenhaus deswegen! Also fast …«

»Okay, Herr Peters …«

»Ich weiß, wie ich heiße!«

»Gut. Wir schicken Ihnen die kleinen Pringles zu. Auch wenn Sie eben gesagt haben, dass die Chips in den kleinen Packungen weniger würzig sind.«

»Egal! Jedenfalls danke, dass Sie welche schicken. Aber bitte keine fettarmen Chips, die brennen immer so an der Innenbacke. Und keine Testprodukte, die dann sowieso nie auf den Markt kommen, so wie diese asiatischen Krabbenchips. Ekelhaft waren die. Brauchen Sie meine Adresse?«

Offenbar nicht, denn am anderen Ende der Leitung vernehme ich ein Schweigen.

»Hallo, Frau … – Sind Sie noch dran?«

»Entschuldigen Sie, ich hab nur gerade was nachgeschaut. Geht das an die gleiche Adresse, an die wir die blend-a-med Whitestrips, die Tempo-Taschentücher und das Febreze geschickt haben?«

»Also …«

»Die Wick blau, die Pampers sensitive, den Swiffer Staubmagnet und das kalorienreduzierte Trockenfutter für bewegungsarme Katzen unter 12 Monaten?«

Mist. Ich hätte schwören können, zumindest der Swiffer wäre von der Unilever-Verbraucherberatung gewesen!

»Das geht an genau die Adresse. Sülzburgstraße 138.«

»Okay. Nette Straße übrigens, in der Ecke hab ich auch mal gewohnt.«

»Sie haben bei mir um die Ecke gewohnt?«

»Ja, ich hab studiert in Köln und in der Gustavstraße gewohnt, in einer WG. Vier Jahre lang.«

»Gibt’s ja nicht! Da ruft man so einen Riesenkonzern an und gerät an eine ehemalige Nachbarin!«

»Wir schicken’s Ihnen zu, Herr Peters«, lautet die freundlich-stewardessige Antwort meiner Verbraucherberaterin.

»Okay!«

»Danke für Ihren Anruf und einen schönen Abend noch!«

»Ihnen auch. Und … tschüss!«

 

Irritiert lege ich das Telefon auf meinen irischen Tresen. Die hat mich doch tatsächlich einfach so abgewürgt. Warum fängt die denn ein privates Gespräch an, auf das sie dann doch keinen Bock hat? Wenn ich bei 44 Grad in einem indischen Call-Center säße, dann würde ich mich doch freuen, wenn jemand aus der Heimat anruft. Hab sie ja schließlich nicht gefragt, ob sie ihr Schamhaar in Muffin-Form rasiert hat. Es ist halt immer das Gleiche: Wer in unserer globalisierten Welt ein bisschen Wärme sucht, der sollte besser die Heizung aufdrehen. Mit meiner kleinen Pringles-Dose ziele ich auf den Mülleimer, verfehle ihn lediglich um zwei Meter und wechsle vom kleinsten Pub der Welt in meine pinke Couch, die mir meine Ex-Chefin, die Eule, zum 31sten geschenkt hat. Zum 32sten bekam ich Gott sei Dank nur noch eine Karte aus Berlin. Ist ja jetzt ’ne ganz große Nummer in der Zentrale geworden. Dank der großartigen Kulturleistung des deutschen Privatfernsehens mutiere ich binnen Minuten von einem selbstbestimmten Menschen zum kritiklos grinsenden Schwamm, der jedes noch so dämliche Entertainment-Tröpfchen dankbar in sich hineinsaugt. Irgendwann ruft mein Freund Flik an, ich hab aber keine Lust ranzugehen, weil ich ja morgen beim Steak-Essen ohnehin erfahren werde, was Schniff und Schnuff in den letzten Tagen so alles Tolles unternommen haben. Daniela und er nennen sich echt so. Das weiß ich, weil Flik sich einmal versimst hat und die grandiose SMS »Bin schon auf dem weg mein schniff. Kuss vom schnuff« an Simon gesendet hat statt an Schniff.

Wer seine Kosenamen geheim halten will, der sollte besser aufpassen beim Simsen.

Auch mein heutiger Fernsehabend besteht fast ausschließlich aus Dokus. Ich liebe Dokus und ich schaue sie alle, wobei es mir im Grunde genommen scheißegal ist, über was berichtet wird. Endlich kann man am Leben teilhaben, ohne mitzumachen! Egal ob ein Bäcker von Duisburg nach Andalusien auswandert oder das 23-qm-Studio einer Studentin vom Duo für vier Wände in ein Designobjekt verwandelt wird – ich schau’s mir an. Heute zum Beispiel gibt’s ein Spiegel TV Spezial über den Penny-Markt auf St. Pauli. Spannende Sache eigentlich. Doch auch Fremdleben kann anstrengend sein. Gegen Mitternacht schlafe ich bei der stern-tv-Reportage Abgehängt – Leben in der Unterschicht ein.

Gott sei Dank.

St. Bimbam

In den endlosen Tagen des Dachausbaus gab es natürlich auch Tage, an denen Flex und Steinschneider nicht zum Einsatz kamen. In solchen Momenten war und ist auf die benachbarte St. Bimbam Kirche Verlass, die pünktlich um 7 Uhr 57