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Tommy Jaud

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Beschreibung

»DER REINSTE IRRSINN!« TV Movie Die mit Abstand bekloppteste Weltuntergangs-Geschichte mit »Vollidiot« Simon Peters »Plötzlich begriff ich, was die minus 211,2 Prozent in meinem Portfolio-Report wirklich bedeuteten: Privatinsolvenz, Gosse und Drogensucht mit nachfolgendem Ausfall der Schneidezähne. Nicht mal das Studium meiner Freundin würde ich noch finanzieren können. Der einzige Ausweg lag darin, mich ebenso schnell wie klammheimlich wieder aus dieser unsäglichen Scheiße zu ziehen – ich musste zum Überman werden!« »Zum Brüllen komisch!« Dresdner Morgenpost »Das Beste jedoch: Der Weltuntergang erscheint einem gar nicht mehr so schlimm, wenn man Tommy Jaud gelesen hat.« NDR Kultur »Ein Pointen-Feuerwerk.« WDR 1LIVE

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Seitenzahl: 377

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Tommy Jaud

Überman

Roman

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungKeine Kekse mehrNoch acht TageDas 1221-Minuten-MenüGanze Kraft von unendliche KosmosNoch sieben TageKausalkettenDemnach zu wenig gezahlt:KopfsteinpflasterliedHolland in NotBestellvorgangGleich noch sechs TageEinen Scheiss muss ichKaufe jeden WagenAlle Rinder dieser WeltLet’s Dance!RollenspieleNoch fünf TageSekundenschlafGrauzonePeters Underground SystemsJeden Tag ein bisschen besserDie Giraffen-Puff-SituationFalsche EnteOb sie wollen oder nichtNoch drei TageTeutonengejammerDie Vermessung der AngstNoch 21 BlöckeZwickauThe Final DropNoch 20 WachblöckeDankbarkeitskartenTrick gemachtNoch 19 WachblöckeAlles verloreNoch 18 WachblöckeWohlgemutNoch 16 WachblöckeKellerwurmNoch 14 WachblöckeZupfspielNoch 12 WachblöckeKlettspechtNoch elf WachblöckeWachblöckeNoch 8Noch 7 WachblöckeNoch 6 WachblöckeNoch 5 WachblöckeNoch 4 WachblöckeNoch 3 WachblöckeNoch 2 WachblöckeBeförderungsbedingungenNoch 1 WachblockDer kleine Mann kommt nicht mehrÜbernacht, 20 Uhr 27Monster-ÜberraschungÜbernacht, 21 Uhr 41OrdnungÜbernacht, 21 Uhr 56SchlüsselrindÜbernacht, 22 Uhr 19Aufpieksen!Übernacht, 0 Uhr 23Evil La CamÜbernacht, 03 Uhr 22FeuerwehrÜbernacht, 4 Uhr 01Landgericht56 Tage späterPutzig72 Tage späterEpilogPressemitteilung der Kanzlei DittersGeholfen haben mir…

Gibt es in der Geschichte nur einen Fall,

bei dem die Mehrheit recht hatte?

Robert Heinlein

Keine Kekse mehr

Noch acht Tage

Spätestens seit es bei meinem Finanzberater keine leckeren Kekse mehr gab zu den Besprechungen, hätte ich ahnen müssen, dass irgendetwas nicht stimmt.

Den letzten Keks gab es, als ich mein letztes Finanzprodukt erwarb. Es handelte sich dabei um einen überaus leckeren Keks, denn er hatte Krokantsplitter obendrauf und eine fluffige Marzipanfüllung. Dann scherzten Kosmás Nikifóros Sarantakos und ich über dumme Fußballprofis, die ihr ganzes Geld für teure Autos verballern, und ich zeichnete eine steueroptimierte Beteiligung an einem Fonds, der über die Cayman Islands Flugzeugturbinen an namhafte brasilianische Airlines verleast, sowie gehebelte Discountzertifikate auf Magerschwein, das ist so eine Art verschärfte Wette darauf, dass der Preis für Magerschwein stabil bleibt oder steigt oder zumindest nicht schlimm fällt, und das ist gar nichts Besonderes, weil es das nicht nur für Magerschwein gibt, sondern auch für Baumwolle und fettes Schwein. »Essen werden die Leute immer«, hatte Sarantakos gesagt, und das leuchtete mir ein, weil man mich mit essbaren Argumenten sowieso immer kriegt. Dies hatte offenbar auch mein Finanzberater mit seinem dünnen schwarzen Haar und der schmalen Lederkrawatte schon bemerkt.

Das Seltsame war: Obwohl ich nie auch nur die geringste Ahnung hatte, warum ich etwas daran verdienen sollte, wenn jemand ein Magerschwein hebelt, so vertraute ich Kosmás Nikifóros Sarantakos doch, schließlich hatte ich seine Visitenkarte nicht von irgendwem, sondern von Phil Konrad, dem einzigen meiner Freunde, der es zu etwas gebracht hatte, also außer Flik vielleicht, Paula und den anderen.

Am besten gefiel mir an meinem Finanzberater aber, dass er so gerissen war. Wer, wenn nicht Sarantakos, würde auf die Idee kommen, für ein bereits bezahltes Mehrfamilienhaus nachträglich einen Kredit aufzunehmen und Mieteinnahmen und Steuerersparnis in rumänische Waldfonds zu stecken? So etwas konnte nur Sarantakos! Er gab mir das Gefühl der Überlegenheit, er ließ mich lachen über den Börsenbericht in der ARD und die Eurokrise, denn Sarantakos und ich, wir waren ja schlauer als das verschreckte Fußvolk, das sich nach jeder Krisen-Talkshow zitternd winzige Goldbarren aus Flughafenautomaten zog und Schweizer Franken ins Kissen nähte.

Gut, inzwischen weiß ich es besser, aber hinterher ist man ja bekanntlich immer schlauer. Vorwürfe, ich sei naiv gewesen, würde ich wahnsinnig gerne von mir weisen, denn natürlich hab ich mich vor meinen Investitionen sorgsam umgehört: Keiner hatte Schlechtes zu berichten über Sarantakos (was natürlich in erster Linie damit zu tun hatte, dass ihn keiner kannte außer Phil, aber es hätte ihn ja auch jemand kennen können und dann Schlechtes berichten und dann hätte ich ihm keinen Euro anvertraut).

Auch im Netz hab ich mich schlaugemacht und erfahren, dass Sarantakos leidenschaftlicher Radrennfahrer ist (Platz 589 bei der Teutoburger-Wald-Rundfahrt), dreifacher Familienvater (jeweils ohne Sorgerecht) und 211 Freunde bei Facebook hat, darunter auch den ehemaligen Bundesliga-Star und RTL-Dschungel-Kandidat Ailton. Wie Sarantakos mir einmal persönlich verriet, betreute er darüber hinaus das Vermögen von unzähligen Promis aus Politik, Sport und Film. Er tat dies überaus professionell und diskret, denn ich habe in seinem Büro nie einen Promi zu Gesicht bekommen.

Und dann kam heute Vormittag der Moment, an dem mir Sarantakos in nahezu arglistiger Beiläufigkeit offenbarte, dass mein Plan nicht wirklich aufgegangen sei.

»Warum denn plötzlich ›mein Plan‹?«, hab ich Sarantakos gefragt, wo er doch sonst immer Formulierungen benutzt hatte wie »Das machen WIR so, mein lieber Herr Peters« oder »Da fahren WIR auf jeden Fall in den grünen Bereich«, aber plötzlich saß da ein ganz anderer Mann vor mir als der Sarantakos, den ich zu kennen glaubte, und der sagte plötzlich Sätze ohne das Wort »wir«, Sätze wie: »Wenn die Märkte runtergehen, können die Leute nicht zaubern«, oder: »Man kann der Wirtschaft nicht in den Kopf gucken.«

Ob er damit nun eine Taverne meinte oder die Wirtschaft insgesamt, hätte ich früher bestimmt gefragt, doch meine Scherze hatten sich bereits irgendwo zwischen Magerschwein und Mischwald verheddert. Es wäre ohnehin keine Zeit mehr gewesen zum Scherzen, denn Sarantakos’ nächster Termin stand bereits an, sicherlich ein Promi, und dann wünschte mir Sarantakos noch alles Gute und sagte, Geld sei dann ja auch nicht alles im Leben.

Meine 22-seitige Vermögensübersicht habe ich im faden Neonlicht der Tiefgarage gelesen, und mit jeder Spalte von ebenso verlustreichen wie schwachsinnigen Finanzinstrumenten bin ich tiefer in den Sitz meines schwarzen Toyota Hilux gerutscht. Zwischen meiner Offshore-Windpark-Beteiligung und einem todsicheren Filmfonds (weil Justin Timberlake mitspielt) ging Gott sei Dank das Licht aus.

Und dann kam die Wut. Wie eine gigantische Welle brach sie über mich herein und riss alles mit, was sich ihr in den Weg stellte: die Vernunft, den dunklen Stoffdachhimmel meines Autos und natürlich ganz besonders jede einzelne der erbärmlichen Anti-Wut-Techniken aus dem Wutseminar. Für eine Sekunde dachte ich tatsächlich kurz daran, die Worte ›Liebe‹ und ›Frieden‹ in mein Wutbuch zu schreiben, doch da war meine rechte Hand schon durch den japanischen Dachhimmel, der Stoff riss ein und die Haut meiner Knöchel mit dazu. »ICH! IDIOT!«, schrie ich, und rasch wurde mein Auto zur Gummizelle. Das Bizarre: Ich war weder auf Phil wütend noch auf Sarantakos, sondern auf mich. ICH war es schließlich gewesen, der jeden noch so dämlichen Investment-Tipp aufgesaugt hatte wie ein frisch geborenes Kalb die Milch seiner Mutter. ICH hatte den rumänischen Mischwald unterschrieben, das fette Schwein und das brasilianische Triebwerk. ICH war hier der IDIOT!

Eine Viertelstunde lang saß ich einfach so da im Dunklen, und mit jeder Minute, in der ich auf das bunte Lämpchen für die Zündung starrte, begriff ich ein wenig mehr, was die minus 211,2 Prozent in meinem Portfolio bedeuteten: Sie bedeuteten, dass ich am Arsch war. Dass ich keinen verschissenen Cent mehr hatte. Dass ich nicht mal mehr den Kredit würde zahlen können für das Haus, in dem ja unsere Wohnung war.

Mir wurde schlecht, denn nun blühte mir exakt das, was mir mein Gehirn in diversen Low-Budget-Alpträumen seit Monaten präsentierte: Pfändung, Enteignung, Gosse, Prostitution sowie Drogensucht mit nachfolgendem Ausfall der Schneidezähne.

Mein Magen schrumpfte auf die Größe eines Pinienkerns, die Zähne begannen, sich selbst zu Staub zu mörsern, und als mein Körper mitbekam, was einzelne Teile von ihm so veranstalteten, da fing das Zittern an. Ein weiteres Mal hämmerte meine Faust gegen mein Auto, dieses Mal war es die Hupe. Nööööööööökkkk!, hallte es durch die Tiefgarage. Wie peinlich das alles war! Was würden die anderen sagen? Und Annabelle?

Irgendwann zog ich mich am eiskalten Lenkrad nach oben, und obgleich meine Knöchel pochten vor Schmerz und Wut, wusste ich, was ich meiner Freundin von all dem erzählen würde: einen Scheiß! Annabelle würde es nicht erfahren, NIEMAND würde überhaupt IRGENDWAS erfahren, bis ich mich selbst wieder aus dieser unsäglichen griechischen Scheiße gezogen hatte.

Aber wie sollte ich das machen? Ich, der selbsternannte Spaßpräsident, der sich seit dem erfolgreichen Verkauf seiner Internetseite vornehmlich mit Partys, Fernsehen und sonstigem Unsinn die Zeit vertrieben hatte und dessen größte Wochenaufgabe es war, die leere Kiste Kölsch durch eine volle zu ersetzen? Wie sollte so jemand schnell wieder zu Geld kommen?

Apathisch zog ich mein Smartphone aus der Jeans und klickte mich zu meinem ewigen Ideenzettel. Ideen hatte ich viele und die meisten waren nur deswegen so gut, weil kein Mensch sie je umsetzen konnte. So wie die »Cloud für echte Sachen«, die ich vor einer Woche nach sieben Gin Tonic mit meinem Kumpel und Bürokollegen Manni Friedemeyer erfand: Warum sollte man nur zu Musik, Fotos und Daten überall und jederzeit Zugriff haben? Warum nicht zum Beispiel in Köln den Kühlschrank vollmachen und im Ferienhaus auf Mallorca steht eine Sekunde später exakt das Gleiche drin? Und würden Frauen nicht zalandoesk ausrasten, wäre ihre komplette Schuhsammlung von zu Hause bereits im Hotel inklusive Koffer und Abendkleid? Nicht auszudenken, wenn auch alle Freunde immer schon da wären, wo man selbst ist, und man sich gar nicht mehr verabreden müsste … Wie gesagt: sieben Gin Tonic.

Ich klickte mich weiter über »tragbarer U-Bahn-Eingang«, »Bierbike Las Vegas« bis zu »Jamie Oliver verklagen«, wobei ich mich daran erinnerte, dass ich hierbei durchaus Potential sah. Leider hatte ich vergessen, weswegen ich Jamie Oliver verklagen wollte. Weil man seine indischen Kolonial-Zutaten nirgendwo bekam? Weil man seine komplizierten Rezepte auch nach dem zehnten Durchlesen nicht verstand? Weil er … Engländer war?

Ratlos schaltete ich mein Smartphone aus, legte es auf den Beifahrersitz und beschloss, dass ich zuallererst wieder mit dem Rauchen anfangen würde. Dann flackerten die Neonröhren, und ein silbergrauer Jaguar mit Düsseldorfer Kennzeichen glitt zur Tiefgaragenausfahrt, von wo er lautlos in der tiefstehenden Wintersonne verschwand. Am Steuer saß ein Mann mit dünnem schwarzen Haar und einer schmalen Lederkrawatte.

Hatte Sarantakos nicht immer gesagt, Autos seien die schlechteste Geldanlage überhaupt? In meinem Fall war es noch die beste. Entschlossen gab ich ›Autohaus Karst‹ ins Navi und startete den Motor.

Das 1221-Minuten-Menü

Noch nie in meinem Leben stand ich so enthusiastisch in der Küche, denn: ES! IST! MIR! WIEDER! EINGEFALLEN! IM AUTOHAUS! Nicht nur, dass Jamie Oliver schon jetzt mit einem Bein im Knast steht, er wird mir auch den Arsch retten!

97 Minuten hab ich alleine für’s Einkaufen der komplizierten Zutaten auf meiner Stoppuhr, und das für das einfachste seiner verlogenen 30-Minuten-Menüs: die ›Scharfe Salamipizza mit dreierlei Salaten und Kirschdessert‹. Ich zitiere hier mal kurz die bodenlose Anmaßung von einem Klappentext: »Ein ganzes Menü in 30 Minuten kochen? Unmöglich, glauben Sie? Dann lassen Sie sich überraschen. Ich beweise Ihnen, dass Sie jede Menge leckere Sachen in einer halben Stunde auf den Tisch zaubern können!«

Danke, Jamie. Und ich beweise dir, dass nicht eine halbe Stunde, sondern der ganze Abend draufgeht für deine halbgare Insel-Pampe. Eine ganze Stunde habe ich gebraucht, um in drei Supermärkten ›Mehl zum Bestäuben‹ zu suchen. Eine! Verschissene! Stunde! Für Mehl! Bis mir ein Verkäufer erklärte, dass es so was wie ›Mehl zum Bestäuben‹ gar nicht gibt. Das muss man sich mal reintun: Da kritzelt dieser selbsternannte Blitzkoch Zutaten in seine Menüs, die es gar nicht gibt! Aber das reicht ihm natürlich nicht, nein, Sir Jamie Oliver hat noch einen Trick auf Lager, um gutgläubige Buchkäufer bis Mitternacht an den Herd zu ketten: Damit man so richtig durcheinanderkommt, verteilt seine königliche Durchkocht die Zutaten für sein Menü noch so geschickt auf die einzelnen Gänge, dass man sie selbst rauspicken und zusammenrechnen muss. Klingt kompliziert? Ist es auch!

Beispiel: Was brauchen wir für mein Menü? Eine halbe Kugel Büffelmozzarella für den Pizzabelag (75 g) sowie 1 ½ Kugeln Büffelmozzarella für den Mozzarellasalat (185 g). Mal abgesehen von der Frage, warum eine halbe Kugel Mozzarella 75 Gramm wiegen soll und 1 ½ Kugeln dann 260 (statt 300 Gramm) – in welchem Supermarkt kriegt man bitte 260 Gramm Büffelmozzarella, außer vielleicht im 260 Gramm-Büffelmozzarella-Paradies? Und wo zum Teufel kauft man eine »interessante Mischung aus Tomaten in verschiedenen Farben und Größen«? Im Tomaten-verschiedener-Farbe-und-Größe-Outlet? Sogar eine mickrige Chilischote kriegt dieser britische Aushilfs-Rach noch aufgeteilt: ½ Chilischote für den Salat sowie ½ Chilischote für die Pizza soll ich da kaufen.

»Guten Tag, haben Sie Chilischoten?«

»Aber natürlich!«

»Gut, dann hätte ich gerne eine halbe Chilischote für den Salat und eine halbe Chilischote für die Pizza!«

Hello? Anybody home, Jamie? Oder hast du dir gerade ’nen fetten Joint aus Yorkshirepudding, Cheddar und einem siebzehnten Achtel Thymian geknattert?

Ich halte die Stoppuhr an und zünde mir die erste Zigarette aus meiner brandneuen Packung Gauloises an. Kurzer Blick auf die Uhr: Eine gute halbe Stunde hab ich noch, dann wird meine rotblond gelockte Freundin Annabelle in der Küche stehen und grinsend fragen, was zum Teufel ich hier mache. Vielleicht sollte ich mir also noch mal einen Überblick über das komplette Rezept verschaffen.

Die Zigarette schmeckt schrecklich, ein gutes Zeichen, dass ich nicht mehr abhängig bin. Ich drücke sie aus und beuge mich über das Kochbuch. Schon beim vierten Satz bin ich raus. Da soll ich eine ofenfeste Pfanne auf kleiner Stufe erhitzen, aber warum? Steht nicht da. Außerdem soll ich ein Flügelmesser in die Küchenmaschine einsetzen. Was? Für? Eine? Verdammte? Küchenmaschine? Wenn der feine Herr Oliver will, dass ich mir für sein Jahrhundertrezept eine Küchenmaschine mit Flügelmessern kaufe, warum schreibt er es dann nicht auf das Cover oder zumindest zu den Zutaten: 1 Küchenmaschine (1000 Gramm) samt Flügelmesser zum Einsetzen oder, pardon: eine halbe Küchenmaschine für den Teig und eine halbe Küchenmaschine für die Kräuter.

Ich genehmige mir eine weitere Kippe in der Hoffnung, dass diese besser schmeckt als die davor. Dann klappe ich meinen Laptop auf und gebe »Jamie Oliver Küchenmaschine« bei Amazon ein. Die Maschine kostet € 67,47, und wenn ich sie in den nächsten zwölf Minuten bestelle, bekomme ich sie sogar zum Frühstück geliefert. So beachtlich das aus logistischen Gesichtspunkten auch sein mag – diese Lieferzeit muss ich natürlich zur Zubereitungszeit addieren, schließlich ist die Küchenmaschine auf dem Buch nirgendwo erwähnt.

Zur Sicherheit schaue ich ein weiteres Mal, ob ich sonst noch was Außerplanmäßiges kaufen soll für das Rezept, einen Jamie-Oliver-Backofen vielleicht, ein Jamie-Oliver-Gewächshaus oder ein Jamie-Oliver-Atomkraftwerk. Als ich nichts mehr finde, drücke ich meine Zigarette aus und widme mich den drei Salaten.

Salat Nummer eins ist ein Tomatensalat. Ein To!ma!ten!sa!lat! Zu einer Pizza mit Tomaten! Ich heiße ja weder Lafer noch Mälzer, aber ist ein Tomatensalat mit Pizza nicht eventuell genauso dämlich wie eine Spaghetti Bolognese mit Nudelsalat? Brot mit Brötchen? Currywurst mit Currywurst?

Ich lese weiter. Jamie schreibt, ich soll die kleinen Tomaten mit der Hand zerdrücken und die großen in Stücke schneiden. Warum? Steht das in allen Ausgaben oder nur in der deutschen, von wegen: Euer wahnsinniger Diktator hat die Salatbeete meiner Oma mit V2-Raketen beschossen, dafür lasse ich Euch jetzt verdammt noch mal Tomaten in verschiedenen Farben drücken und schneiden, bis ihr umfallt? Lächerlich! Ich befolge die Anweisung natürlich trotzdem, geht ja alles auf’s Zeitkonto.

Allein das Sortieren der Tomaten in Groß und Klein kostet mich fünf Minuten. Sollte ich überhaupt sortieren? Kein Wort im Rezept zum Sortiervorgang. Natürlich. Das ganze Buch ist ein kulinarischer Amoklauf. Ich mache mich an die bisher größte Herausforderung: den Pizzateig. Hierzu soll ich eine saubere Arbeitsfläche bemehlen, Mehl in eine Küchenmaschine schütten (die noch im Amazon-Zentrallager steht, ich nehme deswegen einfach unseren Mixer), das lauwarme Wasser dazugeben (WELCHES verdammte lauwarme Wasser und WIE VIEL davon?) und dann mit Olivenöl und Salz einen homogenen Teig mixen. Was um alles in der Welt ist ein homogener Teig? Ein Teig, in dem sich die einzelnen Zutaten echt gut miteinander verstehen? Ein milde lächelnder Waldorf-Teig, der seinen eigenen Belag tanzt? Also echt, der Typ macht mich fertig.

»So!«, sage ich laut und klemme den Deckel auf den Mixer. Als ich auf die Expresstaste drücke, heult das Gerät so laut auf, als würde es nicht nur die Zutaten zerkleinern, sondern den eigenen Motor gleich mit. Ich lupfe den Deckel, um mir den Teig anzuschauen: Es ist rein gar nichts passiert mit dem Teig. Vorsichtig drücke ich das Mehl mit der Hand nach unten, und ja, ich habe den Stecker des Mixers gezogen vorher, ich hab genug Splatter-Filme gesehen, rotzbesoffen zwar, aber ich hab sie gesehen. Ich mixe und mixe, hebe den Deckel und zünde mir eine taufrische Gauloise an. »Heterogen, der Teig!«, sage ich, checke die Zeit und bin zufrieden: Minute 127, also ohne Küchenmaschinen-Lieferzeit.

Leider steigt jetzt Rauch aus meiner Pfanne, von der Jamie geschrieben hat, dass ich sie erhitzen soll, ohne zu verraten warum. Und dann steht da eine blondgelockte Frau mit offenem Mund und Sektflasche im Qualm und starrt mich an, als hätte ein rauchender Zyklop ihre Küche in Brand gesteckt.

»Wo ist denn unser Auto?«

Also ehrlich – unsere Küche sieht aus, als wäre soeben eine amerikanische Drohne durchgedonnert, und die Frau fragt, wo unser Auto ist.

»Bei Toyota!«, sage ich, was nicht mal gelogen ist.

»Echt? Und warum?«

»Rückrufaktion! Die … haben da irgendwie ein Stabilitätsproblem mit dem Dach.«

DAS war gelogen. Aber in jedem Fall besser als »Muss ich verkaufen, weil ich pleite bin und meine EC-Karte gesperrt.«

»Unfassbar. Und was kochst du?«

»Eine scharfe Salamipizza!«, antworte ich hektisch und schubse die heiße Pfanne vom Kochfeld.

»Im Mixer?«, fragt Annabelle, und dann geht der Rauchmelder los, den ich ihr zum dreißigsten Geburtstag geschenkt habe, und ich muss mit Kippe auf die Arbeitsplatte steigen, um ihn herauszudrehen, was ich sogar schaffe, nur dann trete ich mit meinen Socken in die brüllheiße Pfanne und schreie wie am Spieß.

Meiner Freundin fällt leider nichts Besseres ein, als einen verdammten Lachanfall zu bekommen, bei dem sie in die Hocke geht, so wie Frauen es machen, wenn sie beim Skifahren heimlich Löcher in den Schnee pinkeln. Ich reiße die Batterie aus dem Rauchmelder und pfeffere alles in die Plastikschüssel mit der interessanten Mischung aus Tomaten verschiedener Farbe und Größe.

»Scheiß-Britenschwuchtel-Nazi-Drecks-Teig-Mist-Rezept!«

Annabelle reagiert schnell. Noch während ich heruntersteige, reicht sie mir einen dicken schwarzen Filzstift und mein Wutbuch.

»Schnell, Schatz! Hier!«

»Vergiss es! Ich schreib da nicht ›Liebe‹ und ›Frieden‹ rein!«

»Dann ’ne andere Technik!«

»Nein!«

Die Liebe-Frieden-Technik ist eine von insgesamt zehn nicht funktionierenden Techniken aus dem Wutseminar, das Annabelle mir geschenkt hat. Und ich Idiot bin sogar hingegangen! Wie das Seminar war? Es war so schlecht, dass ich danach einen Werbeaufsteller vor dem Seminarraum umgetreten habe.

»Was soll denn der Sekt?«, frage ich und setze mich auf die Arbeitsplatte.

»Den trinken wir jetzt, gibt was zu feiern nämlich!« Meine Freundin strahlt, und ich hoffe sofort auf eine Beförderung. Allerdings – wie wird man in einem Waxing-Studio befördert? Vom Arschhaar zum Fußhaar? Annabelle schaltet den Herd aus, und ich versuche vorsichtig, mit den Händen an meine verkohlten Beinstümpfe zu kommen.

»Kannst du vielleicht vor dem Feiern kurz nach meinem Fuß schauen? Bitte?« Mit zugekniffenen Augen strecke ich den Fuß von mir. Ich kann gar nicht hinsehen. Ich konnte noch nie hinsehen, ich falle schon in Ohnmacht, wenn im ZDF-Vorabend-Krimi ein Unbekannter durch ein Altbaufenster schaut. »Es ist alles zu Klump verbrannt, oder?«, jammere ich mit geschlossenen Augen.

»Ach Schnuppes, doch nicht wegen der einen Sekunde in der Pfanne!«

»Fühlt sich an wie dreißig Minuten! Und nenn mich nicht Schnuppes, das klingt wie Tuppes …«

»Gut, Simon. Ich ziehe den Socken jetzt aus, okay?«

»Ja. Falls ich in Ohnmacht falle und nicht wieder aufwache: Danke für alles, Feechen!«

»Du bist so ein Weichei! Und nenn mich nicht Feechen, das klingt wie Fähnchen.«

Es tut höllisch weh, als Annabelle mir den Socken auszieht, und ich bin mir ganz sicher, dass sie gleich noch einen Quadratmeter qualmender Haut mit abzieht …

»Es ist nur noch ein blutender Stumpf, oder?«

Annabelle rollt mit den Augen. »Schau halt selbst, da ist gar nichts!«

Ich greife ihre Hand. »Feechen, hör mir zu. Wenn ich … wenn ich nicht mehr gehen kann, dann will ich auch nicht mehr leben. Ich will nicht auf dem Bauch ins Büro robben, und ich will auch nicht so ein erbärmliches Holzwägelchen wie Eddie Murphy in Glücksritter!«

»Schahaaaatz! Schau hin! Es ist NICHTS!«

»Gar nichts?«

»Nein! Nichts. Das ist N.I.C.H.T.S!«

Vorsichtig öffne ich ein Auge. Annabelle hat recht. Es ist wirklich nichts.

Während ich von der Arbeitsplatte steige, zieht sie ihren neuen Wintermantel aus und öffnet den Sekt. Ein neuer Wintermantel. Das heißt, sie IST befördert worden. Sehr gut, das nimmt ein wenig Druck aus der Finanzgeschichte.

»Was ist denn passiert, dass du plötzlich kochst?«

»Ich koche nicht, ich klage an!«

»Und wen?«

Der Sektkorken ploppt heraus. Ich deute auf das Kochbuch. »Jamie Oliver. Ich verklage Jamie Oliver!«

»Weil du seine Gerichte nicht hinkriegst?«, grinst Annabelle.

»Nein. Weil man seine 30-Minuten-Menüs niemals in 30 Minuten schafft. Ich verklage ihn wegen Betrug und Falschaussage. Hier!« Ich schiebe Annabelle mein Kochbuch rüber, auf dessen Cover ein grinsender Berufsjugendlicher in Jeans und weiß-blauer Trainingsjacke posiert. Titel: Jamies 30-Minuten-Menüs. Annabelle blättert es durch.

»Wie behauptet er das denn mit den dreißig Minuten?«

»Er behauptet es nicht nur, er schreibt sogar, dass er es beweist. Und er wirbt damit, und dann kauft man das Buch, weil man sich sagt ›Mensch, ein Menü in 30 Minuten, ich hab so wenig Zeit, das kauf ich mir mal‹, und peng hat er unsere sauer verdienten Teutonen-Euros in seinem englischen Geldsack! Das macht der extra, weißt du?«

»Extra?«

»Wegen dem Krieg.«

»Und … bei welcher Minute bist du jetzt?«

»Bei Minute 157!«

»Logisch. Du kannst ja auch nicht kochen.«

»Schau doch mal auf’s Cover, Annabelle. Steht da irgendwo ›Nur für erfahrene Köche‹?«

»Da steht: ›Genial geplant – blitzschnell gekocht‹.«

Ein wenig ratlos legt Annabelle das Kochbuch weg.

»Wenn dir so langweilig ist, warum suchst du dir nicht wieder einen Job?«

»Mir ist nicht langweilig und Jobs sind was für Arbeitslose. Ich sorge für Gerechtigkeit!«

»Toll …!«

»Aber jetzt sag mal: Warum der Sekt?«

Ich bekomme ein Glas gereicht und blicke in das Gesicht einer glücklichen Frau. »Heute hab ich endlich den Mut gehabt. Ich hab’s tatsächlich gemacht!«

»Du bist Bahn gefahren ohne Ticket?«

»Ich hab gekündigt heute!«

Ich will etwas sagen, doch stattdessen japse ich nach Luft. Das Einzige, was ich herausgewürgt bekomme, ist ein »Herzlichen Glückwunsch …!«.

»Haste nicht gedacht, dass ich das mache, oder?«

»Äh … nein. Ich meine, mir war schon klar, dass du nicht bis zu deinem Lebensende anderer Leute Arschhaar jäten willst, aber …«

»Hallo? Ich hab nie Arschhaar gejätet, ich bin im Marketing!«

Zitternd zünde ich mir eine weitere Zigarette an.

»Trotzdem hatte ich immer dieses Bild vor Augen …«

»Jedenfalls …«, unterbricht mich Annabelle und strahlt weiter, »… und jetzt halt dich fest – sie nehmen mich in Geisenheim!«

»In Geisenheim?«, wiederhole ich. »Internationale Weinwirtschaft. Der Bachelor-Studiengang mit den … hohen Gebühren!«

»Richtig!«

»Und … da nehmen sie dich!«

»Genau. Heute Morgen kam der Brief, dass ich zugelassen bin zum Studium. Sag mal, ist alles in Ordnung mir dir?«

»Klar!«, keucht es aus meinem rauchigen Hals, »es ist nur einfach so überraschend!«

Und dann umarmt mich Annabelle, und ich muss meine Zigarette zur Seite halten, damit ich ihren blauen Pullover nicht abfackle.

»Ohne dich könnte ich mir das nie leisten! Danke, dass du mich unterstützt, mein Schnuppes.«

»Aber ich bitte dich!«, lache ich großherzig und bin froh, dass Annabelle meine metertiefen Panikfurchen im Gesicht nicht sieht. Noch während ich Annabelles freudig pochendes Herzchen an meiner Brust spüre, gehe ich die Kosten für ihr dreijähriges Bachelor-Studium durch: Semesterbeiträge, Wohnung, Fahrtkosten, die verpflichtenden Auslandsaufenthalte …

»Freust du dich gar nicht?«

»Klar, ich frage mich nur gerade, ob die Leute in der Krise noch so viel Wein trinken und nicht lieber Bier, also … ob das ein sinnvolles Studium ist …«

»In der Krise«, lächelt Annabelle und reicht mir mein Sektglas, »trinken die Leute ganz besonders viel Wein. Auf mein Studium?«

Ich bemühe mich um ein erfreutes Gesicht und dann stoßen wir an. »Auf dein … Studium!«

Ich weiß auch nicht warum, aber in einer Sekunde ist mein Glas leer.

»Knallt nicht schlecht«, sage ich und schenke mir zur Beruhigung gleich einen zweiten nach, »was ’n das für ein Sekt?«

»Das ist ein 2008er Cava von Juvé y Camps. Blumig, fruchtig, leichte mineralische Säure, riechst du den Honig?«

Erschrocken stelle ich das Glas ab. »Die panschen da Honig rein, die Spanier?«

»Ach Schnuppes, du bist hoffnungslos. Aber immerhin – du kochst! Wann … ist es denn fertig?«

»Dauert noch ein bisschen …«

 

Exakt 111 Minuten später hole ich die Salamipizza aus dem Ofen und stelle sie neben die drei Salate und das Kirschdessert. Annabelle bestaunt neugierig die dampfende Pizza, zur Feier des Tages hat sie auch noch einen Wein geöffnet.

»Was trinkst du da?«, frage ich.

»Einen ›Evangelos Tsantalis‹ aus Griechenland. Magst du auch ein Glas?«

»Natürlich nicht«, antworte ich reflexartig.

»Ich krieg dich nie zum Wein, oder?«, seufzt Annabelle ein wenig enttäuscht.

»Da müsste schon ziemlich viel passieren!«, sage ich und sehe, wie Annabelle sich ein Stück von der Pizza nimmt.

Hastig klopfe ich es ihr wieder aus der Hand. »Feechen, das dürfen wir doch nicht essen!«

»Nich …?«

Das mag ich an Annabelle: ihre großen Augen, wenn sie was nicht versteht oder hilflos ist, vermutlich, weil es so eine Art Beschützerinstinkt auslöst in mir.

»Aber ich dachte, das ist unser Menü …«

»Das ist kein Menü, das ist ein Beweis!«

»Und was essen wir dann?«

Ich öffne den Kühlschrank und präsentiere zwei Packungen CurryKing. »Ach Simon! An so einem besonderen Abend …!«

Ich stehe noch neben dem geöffneten Kühlschrank, da fällt schon die Wohnungstür ins Schloss, und als ich zum Fenster humple mit meinem blutenden Stumpf und Annabelle die Straße überqueren sehe, da wünsche ich mir, es wäre gestern und wir hätten einfach so feiern können.

Doch so leicht lass ich mich nicht unterkriegen. Annabelle wird studieren, und wir werden hier wohnen bleiben mit allen Zähnen und ohne Knast und Drogensucht.

Die Flasche ›Evangelos Tsantalis‹ wandert trotzdem in den Ausguss. Ich denke mal, ich bin da irgendwie unglücklich drangekommen. Griechischer Wein! Bei allem Respekt vor Udo Jürgens – irgendwann ist Schluss mit lustig.

Ganze Kraft von unendliche Kosmos

Noch sieben Tage

Es muss unfassbar schmutzig sein in unserem Schlafzimmer, warum sonst sollte unsere Putzfrau die Bodendüse unseres brandneuen Parkett-Staubsaugers immer und immer wieder gegen unser schönes Kirschholzbett donnern?

Ich taste nach Annabelle und greife ins Leere. Dass sie nicht da ist, bedeutet, dass es in jedem Fall schon nach sieben Uhr ist. Dass Lala schon da ist, bedeutet wiederum, dass es mindestens drei Stunden später als sieben Uhr ist, und alles zusammen bedeutet, dass ich verdammt nochmal aufstehen muss, um mit dem weiterzumachen, womit ich letzte Nacht aufgehört habe: mit der klammheimlichen Blitzentschuldung eines naiven Vollspackos, der seine kompletten Rücklagen in rumänischen Mischwäldern und geleasten brasilianischen Triebwerken verfeuert hat. Und wieder knallt Lala die Düse gegen mein Bett. Ja, sieht diese hohle Balkanhupe denn nicht, dass da noch jemand drin liegt?

»Siiiimon!«

»Jaaaaaaaa, verdammt nochmal!«

Für wenige Augenblicke bieten mir Bettdecke und Kissen noch Schutz, dann wird es plötzlich hell, und ich liege mit nicht viel mehr als meiner roten Schnellficker-Unterhose auf dem Bett. Eilig spüre ich nach, ob ich eine Morgenlatte habe, was Lala sofort noch höher auf die Palme bringt: »Schämst du dich, an dir rumzuspielen, wenn ich arbeite in gleiche Zimmer!«

»Du hast die Decke doch weggezogen!«

»Weil ich nicht kann arbeiten, wenn ganze Haus ist voller Leute!«, empört sich Lala, und leider muss ich sagen, dass das jedes Mal so geht: Lala kommt und wir streiten wie ein altes Ehepaar.

Hastig ziehe ich mir ein T-Shirt über. »Was denn für Leute?«

»Bist du Leute genug! Brauch ich keine dicke, faule Kontrolleur.«

Ich rolle mich zur Bettkante und richte mich auf, was Lala sofort ausnutzt, indem sie mit der Bodendüse gegen meinen linken Fuß fährt.

»Aua!«, rufe ich.

»Ist es elf Uhr fast! Warum liegst du Loch in Bett?«

»Weil ich nachts gearbeitet habe und erst um vier ins Bett bin, verdammt nochmal!«

Dank einer geschickten Körpertäuschung gelingt es mir, das Bett ohne weitere Blessuren zu verlassen.

»Was hast du gemacht nachts?«

»Eine Stellenanzeige aufgegeben für eine neue Raumpflegerin!«

Der Staubsauger geht aus, und der Hauch eines Lächelns legt sich über Lalas grimmiges Gesicht wie eine dünne Frischhaltefolie.

»Dann niemand mehr bringt dir Pljeskavica!«

»Was ist das?«

»Kroatische Spezialiätät! Hab ich mitgebracht für meine Simon.«

»Danke. Nehm ich mit ins Büro.«

»Nein, isst du hier, will ich sehen, dass du nicht wieder wegwirfst. Was hast du denn an Auge, Simon?«

Grummelnd schleppe ich mich ins Badezimmer, wobei mir die bleischweren Alpträume feist grinsend hinterhertaumeln, als wollten sie sich ebenfalls duschen.

 

Die Träume handelten im Wesentlichen alle davon, dass ich gescheitert war und in der Gosse landen würde. So sammelte ich träumlings Pfandflaschen in einer Elefantenrüssel-Unterhose, was mir aber nichts brachte, da die Flaschen von der neunköpfigen Pfand-Jury unter Vorsitz von Kosmás Nikifóros Sarantakos nicht anerkannt wurden. Später sollte ich mit meinem Körpergewicht einen großen, weißblauen Zeppelin am Boden halten, doch plötzlich war ich ganz schmächtig und wurde weit hoch in die Luft gezogen. Als ich am Seil zum Zeppelin hochklettern wollte, sah ich, dass es gar kein Zeppelin war, sondern ein grotesk aufgeblähter Sarantakos. Und noch einen Alptraum hatte ich: Als weißer Fahrbahn-Trennstreifen verkleidet, wollte ich mir auf der A3 das Leben nehmen, doch als ich mich hinlegte, merkte ich, dass der Straßenbelag viel zu weich war für eine Autobahn und außerdem nach Ouzo roch: Das war gar nicht die A3, das war schon wieder Sarantakos, der sich als A3 verkleidet hatte. Schweißgebadet wachte ich auf und musste mich an Annabelle kuscheln, um überhaupt den Mut zu finden, noch mal einzuschlafen.

 

Die Stunden zwischen Annabelles Kündigungs-Verkündung und kroatischem Bodendüsenangriff, sie waren eine Mischung aus Horrorträumen und panischer Ideensuche. Um kurz vor drei hatte ich meine Liste mit den Ideen aus meinem Smartphone ergänzt, die ich gleich am Vormittag mit meinem Anwalt Lars Ditters besprechen wollte.

Ich schrieb sogar eine kurze Mail an meinen ehemaligen Geschäftspartner Shahin, ob wir nicht mal wieder ein Bier trinken wollten. Mit ihm hatte ich es vor Jahren ja schon mal vom versoffenen Beschwerde-Junkie zum Millionär geschafft, und das mit genau meinem Thema: einer Webseite, bei der sich reiche Leute über einen Strohmann (uns) über Dinge beschweren konnten, für die sie sich zu fein waren. Vier Millionen hat eBay uns bezahlt für whatsyourproblem.de, was sich nach so wahnsinnig viel anhört, dass man sofort an »ausgesorgt« denkt, aber geteilt durch zwei waren es nur noch zwei Millionen, minus Einkommenssteuer blieb etwas über eine Million – und dann kam Sarantakos.

 

Mehrere Kubikmeter eiskaltes Wasser ergießen sich über mich, wach werde ich trotzdem nicht. Hektisch schlüpfe ich in alte und ungebügelte Klamotten und sehe augenblicklich so aus, wie ich mich fühle. Lala hat recht: Ich hab tatsächlich ein blaues Auge und als ich es mit meinem iPhone fotografiere, hab ich auch schon eine Ahnung woher. In jedem Fall werde ich es Ditters zeigen. An Lala vorbei schleiche ich mich in die Küche. Mein erster Gang ist der zu unserem teuren Schweizer Kaffee-Vollautomaten. Einen schnellen Kaffee noch und dann auf in den Kampf!

»Simon! Vergisst du nicht die Pljeskavica!«, krakeelt es aus dem Schlafzimmer.

»Jaaa!«, rufe ich, denn einen Streit mit Lala kann ich jetzt nicht auch noch gebrauchen, ich weiß ja, wie schnell sie ihre Arbeit abbricht, und dann schickt sie sofort ihren wahnsinnigen Cousin, um ja kein Geld zu verlieren, und zwar den Cousin, der im Herbst sternhagelvoll und nackt in unserer Badewanne lag und in voller Lautstärke Radio Dubrovnik über unser Webradio hörte. Was will man machen? Eine gute Putzfrau möchte man nicht verlieren. Eine nicht ganz so gute auch nicht. Nicht mal eine schlechte Putzfau will man verlieren, heutzutage, und genau das wissen alle schlechten Putzfrauen auch. Und jetzt werde ich sie verlieren, weil ich sie nicht mehr zahlen kann, wenn ich nicht sofort mit einer Raketenidee finanziell auf Neustart gehe.

Ich drücke die große Kaffeetaste. Nichts passiert. ›Bohnen füllen‹, meldet die Maschine. Also fülle ich Bohnen nach und drücke erneut auf die Kaffeetaste. »Schale leeren«, steht auf dem Display. Nach Jamie Olivers Tomatenmischung der nächste Fall von Deutschenhass: Jura liefert manipulierte Maschinen mit extra vielen Fehlermeldungen an uns »Tüütschi«, und wenn wir dann mit unserem Kaiser-Wilhelm-Dialekt auf der Hotline anrufen, dann stellen sie laut in ihrem Berner Büro und bepissen sich vor Lachen. Angespannt leere ich die Schale, und als ich sie wieder einsetze, entdecke ich einen Zettel von Lala: »Tank voll mit gute Wasser!«, steht drauf.

»Au Mann …!«, stöhne ich und drücke auf die Kaffeetaste, und dann passiert ein verdammtes Wunder: Die Maschine macht einen Kaffee! Aus gutem Wasser!

Die Sache ist so: Lala ist leider esoterisch geworden in letzter Zeit, und man muss schon einigermaßen gut ausgeschlafen sein, um darüber hinwegzusehen, was ich heute nicht bin. Lala füllt zum Beispiel das Bügelwasser mit positiver Energie, indem sie es minutenlang zulabert mit Tankstellen-Mantras wie »Bist du gute Wasser, kräftige Wasser!« und »Saugst du auf die ganze Kraft von unendliche Kosmos!« Manchmal klebt sie auch nur einen Zettel drauf, auf dem so was steht wie »Wundervolle Wasser, wir mögen dich!«

Ich hab den Unsinn natürlich sofort gegoogelt. Folgendes: Irgendein bekloppter Laborkittel-Japse hat die Auswirkung von Musik und Stimmungen auf Wasserkristalle untersucht und behauptet nun ernsthaft, Wasser hätte so etwas wie ein Gedächtnis. Es gibt Fotos von Wasserkristallen, die mit Beethoven beschallt wurden – prächtig und stolz sehen sie aus. Und es gibt Fotos von Kristallen, die man mit Heavy Metal beschallt hat. Sie sehen aus wie Leute, die Heavy Metal hören.

Das mit dem Bügelwasser macht Lala nur für mich, hat sie mal gesagt, denn schließlich landet die positive Energie über den Wasserdampf dann ja auch auf meiner Kleidung. Einmal habe ich gewagt zu fragen, warum sie dann nicht gleich meine Klamotten zulabert statt das Bügelwasser, aber das war ein Fehler, denn dann hat sie mir, dem Unwissenden, in einer seltsam gütigen Überheblichkeit erklärt, dass Kleidung ja keine Wasserkristalle habe und demzufolge auch keine Information annehmen könne.

»Meine Jeans sind also dumm, Lala?«

»Nicht dumm. Sie sind einfach nichts!«

»Ah …«

Leider blieb es nicht beim Bequatschen von Bügelwasser, denn im Laufe der letzten Monate habe ich erfahren, dass es so ziemlich keine Verschwörungstheorie gibt, die Lala nicht glaubt. Obama ein Alien? Aber natürlich, das sieht man doch schon an seinem federnden Gang. Warum die Kondensstreifen so lange am Himmel stehen? Weil die Amerikaner absichtlich giftige Chemikalien ins Kerosin kippen, um die Erderwärmung aufzuhalten. Das Erdbeben auf Haiti? Fukushima? Die Euro-Krise? In schierer Bösartigkeit und Machtgier entwickelt und gesteuert aus unterirdischen amerikanischen Geheim-Labors.

Überhaupt sind es immer die Amerikaner. Nicht, dass ich jetzt alles, was die Amis machen, super finde, so wie ein zahnbespangter Teenager, der sich zitternd und mit offener Hose sein erstes Rihanna-Video runterlädt, aber ALLES kann man den Amis dann ja auch nicht in die Schuhe schieben. Okay, sie haben den Irak und Afghanistan in Schutt und Asche gelegt, unsere Währung zerstört und Thomas Gottschalk wiederholt ausreisen lassen, aber sonst? Ganz ehrlich, es macht mich irgendwie fertig, wenn ein halbwegs normaler Mensch so einen Bullshit glaubt. Vielleicht ist es derzeit auch deswegen so schlimm mit Lala, weil bald die Welt untergeht. Soll ja den einen oder anderen Einzeller nervös machen.

Vor einer Weile hab ich Lala gefragt, ob sie nicht auch glaubt, dass sie langsam verrückt wird, und hab den Einlauf des Jahres verpasst bekommen. Höhnisch hat sie den Putzlappen geschwenkt, und ich musste mir anhören, dass sie bessere Putzstellen hätte mit gebildeteren Leuten in geschmackvolleren Wohnungen, das sehe man schon an unserem Baumarkt-Laminat und an der Kleidung, aber auch am Stil insgesamt, neureich seien wir eben und ohne Bildung. Ich war geschockt, weil ich mir ja tatsächlich minderwertiges Laminat habe andrehen lassen vom Zwirbeljupp, und kurz blitzte auch mein Abi-Schnitt von 3,9 auf, aber aus Angst vor ihrem Cousin und Radio Dubrovnik habe ich sie einfach weiterreden lassen. Als sie weg war, habe ich eine Flasche Rotwein mit Rammsteins »Ich tu dir weh« beschallt und ihr eine Woche später geschenkt.

»Hier! Isst du auf!« Lala steht direkt neben mir mit einem prallen Alufolienpäckchen, aus dem irgendeine schwere, eitrige Flüssigkeit suppt. Es gibt keine Fluchtmöglichkeit.

»Ess ich später, Lala, ich muss los!«

»Für Pljeskavica immer Zeit!«

Wie gesagt: Eine gute Putzfrau will man nicht verlieren. Also nehme ich das klebrige Paket entgegen, und meine Zähne arbeiten sich tief in die kroatische Fleischtasche vor. Sie schmeckt nach … sagen wir: mehrfach erbrochenem Amsel-Käse-Lurch mit Eiterfurz.

»Was ist das Weiße?«, frage ich.

»Käse!«, antwortet Lala mit der Haltung einer ukrainischen Knast-Aufseherin.

»Köstlich!«, lüge ich, und ein schwerer Batzen Lurchsperma tropft auf den Holztisch.

»Sagst du aber nicht nur nicht, weil du glaubst, ich will hören?«

»Nein, wirklich ganz hervorragend«, flunkere ich, als auf meinem Handy eine Nachricht von Ditters aufpoppt, dass er auf mich wartet. Gut! Sehr gut sogar!

Ich lege den oder die oder das Pljeskavica zur Seite und springe auf. Lala hat sich inzwischen eine Zigarette angemacht und hustend den Küchenfernseher eingeschaltet.

»Wenn Pljeskavica dir schmeckt, bring ich übermorgen meine Topf mit Krautwickel. Hier, schaust du: ›Wieder Grippewelle auf Vormarsch!‹ Wir werden alle sterben!«

N24 zeigt Bilder von einem schniefenden Mehlkopf in einem Büro. Typisch, die Frittenbuden-Journalisten machen, was sie wollen, man könnte ebenso gut titeln: ›Büroluft macht Mehlköpfe krank‹.

»Vielleicht sollte ich mich impfen lassen?«, frage ich Lala, doch die schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

»Um Himmels willen, nein!«

»Nicht? Und warum nicht?«

»Weil Amerikaner machen Nano-Roboter in Impfstoff!«

»Und warum sollten sie so etwas tun, die Amerikaner?«

»Können sie uns alle überwachen und fernsteuern!«

»Das machen doch Google, Apple und Facebook schon.«

»Ja, aber der Google weiß nur, was du machst in Internet. Mit Nano-Roboter in Blut wirst du willenlose Körper von amerikanische Gehirn.«

Die neue Qualität von Lalas Verschwörungstheorien ist beeindruckend.

»Und das steht wo?«

»Im Internet!«

»Aber das kontrollieren doch die Amis. Würden sie dann so eine Info nicht löschen?«

Strike. Nach einer kurzen Schrecksekunde nimmt Lala hektisch das Putzen wieder auf.

»Gehst du aus dem Weg, muss ich Tisch saubermachen.«

Grinsend schlüpfe ich in meinen hellbraunen Mantel und packe die tiefgefrorenen 30-Minuten-Beweismittel von gestern Abend in eine Kühltüte. Um eine längere Diskussion zu vermeiden, verspreche ich Lala zum Abschied, mich nicht impfen zu lassen. Wir umarmen uns, und Lala küsst mich wie immer auf den Mund (ohne Zunge), was ich aus den bekannten Gründen geschehen lasse. Ich hab den Türgriff schon in der Hand, da lugt Lala noch einmal aus der Küche.

»Simon, kannst du mir noch Weihnachtsgeld geben vor Weltuntergang?«

»Alles klar, gerne. Denkst du vorher noch an die Wäsche?«

»Wirst du Zeichen schon noch sehen. Versuch ich nur, Augen dir zu öffnen!«

Schweren Herzens gehe ich in Annabelles Zimmer, wo ich ihre Spargiraffe so lange schüttle, bis so viele Münzen und Scheine rausfallen, dass ich den Tag überstehe. Keine Ahnung, warum die EC-Karte gestern im REWE nicht mehr ging, vielleicht sollte ich nach zwei Jahren ja meinen Kontostand doch mal checken?

Ich verabschiede mich mit einem »Dein Pilawa, der war köstlich!«

»Pljeskavica!«, krächzt es zurück, doch da kracht schon die Tür ins Schloss.

Während ich die Treppen nach unten zur Straße stampfe, stelle ich mir vor, wie ein Obama-förmiger Komet auf Lala kracht, und zwar nur auf sie. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss der Garage und schaue stumm zu, wie das Tor hochfährt und den Blick auf ein einsames Regal mit Elektroschrott und Farbresten freigibt. Es dauert fast eine Minute, bis sich die beiden Informationen »Garage leer« und »Auto zur Bewertung beim Toyota-Händler« zu einem sinnvollen Gesamtbild zusammenfügen.

Kausalketten

Während der Bahnfahrt zu meinem Anwalt google ich »Nano-Roboter« auf meinem iPhone, finde aber nur einen Artikel über eine ostafrikanische Spinne, die auf stinkende Socken steht.

Bevor ich weitersuchen kann, muss ich aussteigen, und ein paar Minuten später sitze ich auf dem nächsten knallharten Acrylstuhl, nur dass dieser jetzt von der Designerfirma Kartell ist, wie mir Ditters in einem rotweißen Karohemd erklärt, und nicht von den Kölner Verkehrsbetrieben.

Eigentlich mag ich Lars Ditters ja, weil er so eine Art Anti-Anwalt ist mit seinen fast zwei Metern Größe, den bunten Holzfällerhemden und der rotbraunen Merkel-Topffrisur. Nur heute mag ich ihn irgendwie nicht, wie er so skeptisch in seinem Plastikstuhl klemmt mit seiner neuen, albernen Riesenbrille und die tiefgefrorenen Beweise auf meiner Ideenliste hin- und herschiebt, statt mich begeistert zu fragen, wo um alles in der Welt ich diese genialen Ideen herhabe.

»Die reine Zubereitungszeit hätte mir gereicht, Simon.«

Feindselig fixiere ich Ditters’ Brillenparodie. »Dann sag das doch vorher, wir hätten’s gern gegessen nämlich.«

Ditters lupft amüsiert einen der Tupperdeckel und lugt hinein. »Ich weiß nicht so recht. DAS hättest du gegessen?«

»Mensch … gestern Abend warst du doch noch begeistert und hast gesagt, wir verklagen die Britenschwuchtel auf Betrug und Falschaussage!«

»Das war deine Formulierung. Britenschwuchtel hab ich bestimmt nicht gesagt.«

»Mein Gott, du machst aber auch ein Ding draus, dass du schwul bist!«

Ein wenig schwerfällig steht Ditters auf, setzt sich auf die Schreibtischkante und kratzt sich an seinem rotbraunen Fünftagebart. »Du bist dir deiner Stimme nicht bewusst, oder?«, flüstert er.

»Die wissen das immer noch nicht?«

»Simon!«

»Natürlich wissen sie’s! Du hast Karohemden mit pinken Quadraten. Du wohnst zwischen DOME-Fetisch und der Phoenix-Sauna. Du hast Blumen auf dem Tisch und schwarze Lederhosen an, manchmal.«

»Ja, wenn ich mit dem Motorrad hier bin. Und wie gesagt: Man kann dich hören!«

»Wie du willst – dann nix mehr mit schwul ab sofort.«

»Danke. Also … wie lange hast du denn jetzt gebraucht für ein Menü?«

»1221 Minuten.«

»Bullshit. Du hast niemals 1221 Minuten an dem Menü gekocht. Das sind ja … über zwanzig Stunden!«

»Absolut. Weil ich nämlich die Lieferzeit für die Küchenmaschine mit reingerechnet habe.«

»Das ist unfassbar kreativ, Simon, aber damit kommen wir nicht durch.«

»Warum nicht?«, wehre ich mich, »auf dem Cover steht nichts davon, dass man eine Maschine braucht, und wenn man keine hat, kann man das Menü nicht kochen. Für mich ist das Betrug!«

»Für den Richter aber vermutlich nicht. Wir müssen nämlich zuerst mal nachweisen, dass der unbefangene Verbraucher die Gerichte nicht in einer halben Stunde kochen kann. Ohne Einkaufen und ohne eine noch nicht gelieferte Küchenmaschine.«

»Bevor ich das mache, wäre ja eine Sache ganz interessant: Wie viel Kohle ist da für uns drin in der Klage gegen die Britenschwuchtel? Und wann krieg ich die?«

»Simon?«

»Äh … gegen Jamie Oliver?«

»Also in Deutschland ist das bei so was mit dem Geldverdienen ein bisschen schwierig. Vermutlich bekommst du hier nur eine Minderung für den Buchpreis durch, bestenfalls Mangelfolgeschäden.«

»Mangel bitte was?«

»Na ja … ein verpatztes Dinner, dadurch Job verloren und so weiter, aber das ist tricky, weil hier die Kausalkette für die Schäden schnell unterbrochen ist. Lustiger wäre das sicher in den USA.«

»Lustiger? Ich klag doch nicht, um mich zu bepissen.«

»Das weiß ich. Trotzdem schwierig in Deutschland.«

»Verstehe. Aber wenn ich jetzt zum Beispiel einen amerikanischen Geschäftspartner zum Essen eingeladen hätte zu Hause und nicht fertig werde, weil ich gedacht habe, das Menü sei in einer halben Stunde zubereitet, und dann kriegt mein Geschäftspartner so schlechte Laune, dass der Deal über die 20 Milliarden Dollar teure Server-Farm in South Carolina platzt, dann ist doch Jamie Oliver schuld!«

»Hast du denn einen zwanzig-Milliarden-Dollar-Server-Farm-Deal?«

»Natürlich nicht«

»Eben. Noch was?«

»Ja, ich möchte, dass wir Apple verklagen.«

»Oh … das ist jetzt wieder was Neues. Wegen was verklagen wir Apple?«

Ich deute auf mein linkes Auge. »Ich hab im Bett Spiegel Online gelesen auf dem iPhone.«

»Ja und?«

»Da isses mir beim Einschlafen aufs Auge gefallen!«

»Ach Simon …«, stöhnt Ditters.

»Weißt du, wie scheißenglitschig das Ding ist?«, protestiere ich. »’ne Gefängnisseife ist Schleifpapier gegen das iPhone! Und in der Bedienungsanleitung steht kein Wort von ›nicht im Bett lesen‹.«

»Wie gesagt – vergiss es.«

»Weil du dich nicht traust gegen die Anwälte aus Kalifornien?«

»Nein, weil es knatschbekloppter Unsinn ist!«

»Knatschbekloppt ist ein unfassbar schwules Wort.«

»Überhaupt nicht!«

»Wohl.«

»Gar nicht!«

Enttäuscht streiche ich Apple verklagen von meiner Liste, und gemeinsam schauen wir durch das beeindruckende Panoramafenster in den von zahllosen Kondensstreifen zerfetzten, knallblauen Winterhimmel über Köln.

»Die packen da Chemikalien rein, die Amis, um die Erderwärmung aufzuhalten«, sage ich.

»In unsere Fenster?«

»Ins Kerosin von den Flugzeugen. Die Streifen stehen viel zu lange am Himmel.«

»Sagt wer?«

»Meine Putzfrau.«

»Na dann …«

Für einen Augenblick steht ein unangenehmes Schweigen im Raum. Ditters vertreibt es mit einem »Sonst noch was, Simon?«

Ich rutsche ein wenig hoch, greife nach meiner Liste und suche die Passage mit dem Kopfhörer. »Idee Nummer vierzehn: Der Crime-Safe-Diebstahlkopfhörer.«

»Du willst allen Ernstes diese Liste durchgehen, oder?«

»Ja, das würde ich wahnsinnig gerne machen.«

»Okay, den Kopfhörer hab ich nicht ganz verstanden irgendwie.«

»Ganz einfach«, erkläre ich, »wenn dir jemand dein Smartphone klaut, geht die Musik aus.«

Ditters legt die Liste zur Seite und seine klobige Legobrille neben die Plastikschale mit dem Tomatensalat aus einer interessanten Mischung in verschiedenen Farben und Größen.

»Aber geht die Musik nicht immer aus, wenn man die Kopfhörer ausstöpselt?«