Vollidiot - Tommy Jaud - E-Book
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Vollidiot E-Book

Tommy Jaud

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Beschreibung

Der Überraschungsbestseller, die Comedysensation, das Taschenbuch! »Ich will diese Frau! Also muss ich sie ansprechen. So einfach ist das. Ich beschließe, bis zehn zu zählen, um dann festen Schrittes und mit charismatischem Siegerlächeln den Laden zu betreten. Dann werde ich sie fragen, was sie nach Feierabend vorhat. So was machen täglich Tausende von Männern. Und nicht wenige von ihnen kommen Sekunden später mit ihrer zukünftigen Ehefrau aus Cafés, Supermärkten und Bowlingcentern. Gut, danach gibt es dann oft noch ein paar kleinere Probleme wie Untreue, Erpressung und Schießereien, aber am Ende ist immer alles gut.«

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Seitenzahl: 328

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Tommy Jaud

Vollidiot

Der Roman

Roman

Fischer e-books

Für Wolfgang und Brigitte

Macadamia Nudge Matsch

Ein dürrer, kleiner Ikea-Verkäufer mit lichten, roten Haaren und großer Nase tippt mich an. Lieber Gott, danke dir, dass ich nicht so aussehe!

»Kann ich Ihnen helfen?«

Kann er nicht. Es sei denn, Ikea hätte das Rasierklingen-Set Suizöd im Programm oder den Strick Hängan. Ich weiß auch nicht wirklich, warum und wie lange ich vor dem Karlanda-3er-Sofa mit Anbauelementen gestanden habe. Ebenso ist es mir ein Rätsel, warum ich überhaupt hier bin: Schließlich gibt es für einen Single nichts Ungeeigneteres, als einen verregneten Oktobersamstag bei Ikea zu verbringen. Das ist garantiert auch der Grund, warum man dort keine Singles sieht. Keinen Einzigen! Glückliche Pärchen mit und ohne Kind ziehen feixend ihre Runden und diskutieren, ob der Gullholmen -Schaukelstuhl zum Sofa Ektorp passt oder nicht. Passt er nicht, möchte ich schreien, genauso wenig wie ihr mir in den Kram passt mit euren biederen Markenpullovern und eurer stinklangweiligen Standardfamilie Vörort.

Nirgendwo auf der ganzen Welt wird einem Single sein ganz persönliches Scheitern konzentrierter und kaltblütiger vor Augen geführt als bei Ikea. Und zwar auf ganzer Linie. Ikea, das ist kein Einrichtungshaus, das ist ein ausgeklügelter, skandinavischer Lehrpfad des Versagens, der durch das eigene Nichts direkt zu einer der dreißig gelbblauen Kassen führt.

Wohnzimmer. Zusammen sein. Mit Ihren Freunden oder Ihrem Schatz. Rumms! Voll in die Fresse. Zusammen sein? Mit wem? Ich hab nur einen Freund, und der ist wehleidig und fett. Und einen Schatz hab ich schon gar nicht und deswegen auch keinen Bedarf an einem Dreisitzer. Danke schön!

Schlafzimmer. Liebesnest. Tummelplatz. Schmuseecke. Ein Ort zum Beisammensein. Zum Glücklichsein.

Ich sehe die Schlagzeile in der Bild-Zeitung schon vor mir: Massaker in Werbeagentur – frustrierter Single tötet zehn Ikea-Katalogtexter mit Bratpfannenset Bruzzlon. Textest du noch, oder stirbst du schon? Vielen verschissenen Dank. Meiner Meinung nach sollten Singles nur in Begleitung von Freunden oder professionellen Therapeuten zu Ikea. Ich jedenfalls war zum letzten Mal hier. Zwanzig verdammte Kilometer bin ich gefahren, nur um was zu finden, in das man sich setzen kann, wenn man mal keinen Bock auf Stehen oder Liegen hat. Dann endlich sehe ich den Sessel, den ich mitnehmen wollte.

Ein Musterpärchen, das ich von Seite zehn des aktuellen Katalogs zu kennen glaube, lässt sich lachend auf das Ledersofa Liegan fallen und schmust doof herum. In genau dieser Sekunde wird mir wieder bewusst, dass ich mich bereits in Singlephase vier befinde.

 

SINGLEPHASE EINS:

Frisch getrennt und voller Lebensmut meldest du dich wieder bei deinen fast vergessenen Saufkumpanen, nur um festzustellen, dass die inzwischen ganz andere Interessen entwickelt haben. Interessen fernab von Beck’s und Frauen aufreißen. Logisch. So hast du’s ja auch gemacht, als du noch eine Freundin hattest. Weil sie Mitleid haben, darfst du natürlich gerne vorbeikommen, zum gemütlichen Fernseh-Abhängabend. Aber natürlich hast du keine Lust, Erdnuss knabbernd zuzuschauen, wie Thomas Gottschalk seine achttausendste Saalwette vorliest, während das Wohnzimmer gerade in Schatzi-Schatzi-Harmonie absäuft. Deine Ex wird das neue Feindbild. Du gibst ihr die Gesamtschuld für das Scheitern der Beziehung, informierst Freunde, Bekannte und alle Boulevardmagazine. Und dann gibst du Gas. Du meldest dich im Fitnessclub an, gehst bis in die Puppen aus und könntest jede haben. Willst du aber nicht. Noch nicht!

 

SINGLEPHASE ZWEI:

Du findest das Leben sensationell und voller Möglichkeiten. Du warst schon zwei Mal in deinem neuen Fitnessclub und bist im Aerobic-Kurs kurz davor, den Basic Step zu erlernen. Natürlich siehst du immer noch aus wie ein Calvin-Klein-Model nach vier Wochen Bahnhofstrich, freust dich aber schon auf deine einzeln definierten Bauchmuskeln, die du im Supermarkt immer auf den Men’s-Health-Covern sehen musst. Wie du hörst, hat deine Ex auch noch keinen neuen Partner. Du schaust dich inzwischen vorsichtshalber schon mal nach einer Neuen um – wäre doch zu blöd, wenn du NACH deiner Ex Erfolg hättest.

 

SINGLEPHASE DREI:

Du HAST nach deiner Ex Erfolg. Man hat sie zusammen gesehen, und angeblich ist er sehr muskulös. Du kämpfst immer noch mit dem Basic Step und wünschst dir, dass mal ein paar scharfe Frauen in den Kurs kämen. Tun sie aber nicht. In deinem Übereifer hast du nämlich übersehen, dass du einen Zweijahresvertrag im beliebtesten Gay-Fitnessclub der Stadt unterzeichnet hast. Du buchst einen wahnsinnig teuren Urlaub in einem Single-Ferienclub und glaubst doch tatsächlich, dass du dort auf alle Fälle mal zum Zuge kommst. Insgeheim schiebst du eine tierische Angst, dass du der Einzige sein wirst, den Air Berlin ungevögelt nach Köln zurückfliegt. Natürlich glaubst du noch an deinen Erfolg, wo du doch so ein klasse Typ bist. Die Frauen können ja nicht total bescheuert sein.

 

SINGLEPHASE VIER:

Die Frauen SIND total bescheuert. Fakt ist, sie interessieren sich einen Dreck für dich, was vor allem daran liegt, dass du bei jeder halbwegs attraktiven Frau zehn verschiedene Sex-Stellungen im Kopf durchgehst und man das natürlich sofort sieht. Das Wort Ficken steht auf deiner Stirn. In 1000 Punkt Times New Roman mit diversen Leuchteffekten. Du bekommst weltweites Hausverbot bei Ikea, weil du ein Pärchen von einem braunen Ledersofa gezogen und gezwungen hast, alle Plastikbälle aus dem Kinderparadies zu essen. Wie gesagt, das ist MEINE Phase. Ach ja, und …

 

SINGLEPHASE FÜNF:

Du gehst wieder recht gerne in deinen Schwulenfitnessclub.

Doch dazu wird es nicht kommen!

 

Ich bemerke, dass der langnasige Verkäuferzwerg immer noch neben mir steht.

»Sie möchten sich setzen?«

»So sieht’s aus. Und zwar bequem!«

»Dachten Sie eher an einen Zwei- oder Dreisitzer?«

Hallo? Steht eine glückliche Familie neben mir mit einer »Wir möchten uns mit Papa setzen!«-Banderole?

»Ich dachte eher an etwas, auf das ich mich alleine setzen kann, wenn ich weder stehen noch liegen möchte, wissen Sie?«

»Alles klar. So ’ne Art Single-Sessel, was? Die haben wir hier … «

Ich werde eine E-Mail an die Konzernleitung schreiben und sie auffordern, diesen zu kurz geratenen Aushilfs-Pinocchio fristlos zu feuern. Zuvor allerdings, so informiert mich Zwerg Zwergan, soll ich mir das Regal 30 C merken, denn dort sei mein Single-Sessel. 30 C. Warum schreibt er mir das nicht auf einen Zettel? Sind doch nur zwei Ziffern und ein Buchstabe!

30 C!

Ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich mir das merken soll. Es gibt wichtigere Informationen als die, wo ein Sessel steht. Hat dieses besoffene Schwedenpack überhaupt eine Ahnung davon, wie viele Zahlen ich mir schon merken muss? Meine Hausnummer, meine Kontonummer, mindestens fünf Internet-Passwörter und dann noch die Telefonnummer von Flik. Entschieden zu viel. Was ist, wenn ich heute Abend meine Traumfrau treffe und wenn die mir ihre Telefonnummer gibt und ich sie mir nicht merken kann, weil diese völlig unnötige 30 C-Information wertvollen Speicherplatz blockiert? Eine Katastrophe! Und was mache ich mit dieser 30 C, wenn ich meinen Sessel gefunden habe? Schicke ich sie an das Archiv des nutzlosen Wissens? Gibt es so ein Archiv? Ganz bestimmt nicht! Deswegen sage ich:

»Ich weigere mich, mir die 30 C zu merken!«

Meine Forderung unterstütze ich, indem ich auf den Verkaufstresen Tresan poche und ergänze: »Schreiben Sie mir die Nummer bitte auf!«

»Aber Sie haben sie sich doch schon gemerkt«, poltert der dreiste Zwerg zurück und wagt es sogar, sich einfach so abzuwenden, ohne mir noch einen schönen Abend zu wünschen. Egal, ich hätte sowieso keinen schönen Abend. Deutschland geht den Bach runter, wenn man mich fragt. Und Schweden sowieso. Stinksauer mache ich mich auf den Weg ins Mitnahmelager. 30 C!

Es ist schon fast dunkel, als ich meinen neuen, flach verpackten Single-Sessel aus meinem gelben Peugeot 205 lade. Wirklich gelb ist er nicht, der Peugeot, eher landratsamtmetallic, also mit einem Spritzer Müllabfuhrorange. Der Single-Sessel hingegen ist eierschalenfarben. Mühsam schiebe ich das Paket in den Eingangsbereich meines Apartmentblocks. Die Lifttür steht offen, fast so, als erwarte mich jemand. Das ist natürlich Unsinn. Auf mich wartet nämlich keine Sau. Ich fahre hoch, schließe die Tür zu meiner überteuerten Zweizimmerwohnung auf, knipse das Licht an und schleppe mich mitsamt Sessel über das verkratzte Parkett in mein Wohnzimmer. Ich bin immer noch total angepisst, dass ich mir die 30 C gemerkt habe! Ich reiße mehrere Meter Plastik vom Sessel und kiloweise Pappe und werfe sie auf meinen Balkon. Dann zünde ich mir eine Kippe an und schalte meinen 3000-Euro-Flachbild-Plasmafernseher ein, in der Hoffnung, dass ich über die Nachrichten die beknackte Regalnummer vergesse. 30 C! So ein Scheiß! Während Peter Kloeppel verkündet, dass sich der Zoo in San Diego über Delphinnachwuchs freut, lasse ich mich in meinen Jennylund-Sessel fallen. Seltsamer Name für einen Sessel. Wahrscheinlich ist das mal wieder der Name der Designerin. Bei Jennylund könnte das gut sein. Obwohl: klingt eher nach einer billigen Pornodarstellerin. Sitze ich auf einem Pornosessel? Ich streiche über die Lehne.

Jenny Schlund, du geile Sau!

O ja, Simon, besorg’s mir!

Vielleicht hatte ich ja doch zu lange keinen Sex mehr. Ich sollte ausgehen, ein nettes Mädel kennen lernen und eine Familie gründen. Am besten noch heute Abend! Ein plötzliches Gefühl von Leere und Einsamkeit wabert mir entgegen. Ich versuche auszuweichen, aber das Gefühl hat mich schon umhüllt. Aber wahrscheinlich ist das immer so am letzten Arbeitstag vor dem Urlaub. Ich arbeite im T-Punkt. Das ist so ein Laden, über den sich alle ständig aufregen. Ich übrigens auch. Und ich arbeite immerhin dort! Am schlimmsten sind natürlich die Kunden. Alle? Ja, alle!

»Sagen Sie, haben Sie dieses Internet, von dem man jetzt so viel spricht?«

»Das tut mir Leid, das letzte Internet hab ich gerade eben verkauft!«

»Wissen Sie vielleicht, wann Sie wieder eines reinbekommen?«

»Schwer zu sagen, morgen kriegen wir eine Ladung Telefonanschlüsse, vielleicht ist da was bei!«

»Dann komme ich morgen noch mal?«

»Das wäre toll. Und am besten, Sie fragen dann direkt meinen Kollegen, den Herrn Jarck, der ist fürs Internet zuständig!«

»Danke schön!«

»Immer gerne.«

Wie gesagt: Ich hasse meinen Job. Manchmal glaube ich, der T-Punkt wurde nur deswegen eröffnet, um mich arme Wurst endgültig kleinzukriegen. Aber egal. Morgen Abend geht’s in die Sonne, und bis dahin brauche ich auch keinen einzelligen Schwachstrullern mehr den Unterschied zwischen Breitband und Trennwand zu erklären. Ich stelle Peter Kloeppel lauter und greife nach einer weiteren Prince Denmark, die ich mir mit einem roten Gasofenfeuerzeug anzünde. Es ist einer dieser trüben Herbstnachmittage, die absichtlich schon kurz vor fünf in die Knie gehen, damit Singles wie ich noch frühzeitiger in ihre Depression schlittern können. Mein Kumpel Flik behauptet zwar, dass das nun mal so wäre mit dem Dunkelwerden, wenn es auf den Winter zugeht, aber ich bin überzeugt, dass die da oben das absichtlich machen, einfach nur, damit ich mich noch beschissener fühle. Samstagabende, das sind die schlimmsten, wenn man alleine ist. Gleich danach kommt der Sonntag und danach der Freitagabend, der ist auch schlimm. Ganz besonders, wenn man seit Monaten alleine ist und auf einem eierschalenfarbenen Ikea-Stuhl RTLaktuell mit Peter Kloeppel sieht. Nicht mal der ist alleine, denn neben ihm sitzt eine gewisse Ulrike von der Groeben, die verstehen sich prima, die beiden. Ja, sie haben sogar gemeinsame Interessen! Ich habe nämlich schon ein paar Mal gesehen, wie dieser Kloeppel was zum Thema Sport gefragt hat und die Frau von der Groeben sich dann total über diese Frage beömmelt hat und dem Herrn Kloeppel dann alles erzählt hat. Und dann hat der sich gefreut und sich bedankt! Ein tolles Paar. Das passt!

Neben mir liegt das Buch Sorge dich nicht, lebe!, das mir Flik geschenkt hat. Eigentlich eine Frechheit, dass er glaubt, ich hätte so was nötig. Ich hab’s fast durch. Inzwischen weiß ich schon so viel: Ich soll mir nicht so viele Sorgen machen und mehr leben. Und dann steht da noch, dass man halt grob wissen sollte, wo man hinwill im Leben, und damit meinen die nicht, dass man weiß, ob man jetzt bowlen geht oder ins Kino, sondern so die richtigen Dinge im Leben wie Liebe und Karriere und so. Das Problem ist nur, dass genau das mein Problem ist und ich nicht weiß, wo ich hinwill, und dann ist das halt auch mit den Zielen nicht so einfach. Während ein gelackter Österreicher irgendwas zum Thema Herbstwetter erzählt, blättere ich vor zu den Problemlösungsstrategien. Das ist die Stelle, wo man so Sachen mit Bleistift reinschreiben kann, was ich auch schon gemacht habe.

FRAGE EINS:

Was ist das Problem?

ANTWORT:

Ich hab keinen Bock, meine Ziele aufzuschreiben.

FRAGE ZWEI:

Was ist die Ursache des Problems?

ANTWORT:

Ich weiß nicht, warum ich das tun sollte, weil ich keine Ziele habe.

FRAGE DREI:

Welche Lösungen sind möglich?

ANTWORT:

a) Ich mach das ein andermal. b) Ich haue Flik das Buch um die Ohren. c) Ich baller mir zehn Bier hinter die Binde.

FRAGE VIER:

Welche Lösung schlagen Sie vor?

ANTWORT:

c!

Ich knipse den Österreicher weg und drücke meine Zigarette aus. Ganz schön still, so ohne Fernseher. Ich schalte den Fernseher wieder an, ziehe mein Handy aus meiner Hosentasche und klicke mich durchs Adressbuch. Das muss man machen, wenn man selbst nicht mehr angerufen wird.

ADAC, Air Berlin, Alexander, Bernd W. …

Bernd Weile. Der ist nett, mit dem könnte ich mal wieder auf die Rolle gehen! Kurz vor dem Wählen fällt mir ein, dass Bernd in München wohnt und ich in Köln. Mal abgesehen von der Frage, wer da das größere Pech hat, ist das entschieden zu weit für ein Bierchen.

… Eva, Fabienne, Flik …

Ich könnte Flik anrufen, den alten Langweiler. Eben, da haben wir’s ja schon. Was sollte an einem Abend mit Flik passieren? Nach vier Bieren wird ihm wieder schlecht, und ich stehe alleine da. Oder er verdirbt sich den Magen an einem verdorbenen Zwiebelstück auf einer Pizza. Ich klicke weiter und lande bei meiner letzten Freundin. Oha!

… Julia …

Was macht die denn noch in meinem Speicher? Und zack: gelöscht! Ein gutes Gefühl! Selbst wenn ich wollte, könnte ich sie jetzt nicht mehr anrufen. Es sei denn, ich fragte Iris nach ihrer Nummer. Hab ich die Nummer von Iris noch? Gott sei Dank! Man weiß ja nie. Vielleicht sieht sie ja endlich ein, dass sie einen Riesenfehler gemacht hat und kommt winselnd zurückgekrochen? Ich will mir mit der alten Kippe eine neue anzünden, bemerke aber, dass ich noch gar keine rauche, zünde mir eine an und stecke die zweite erst mal weg, weil zwei auf einmal rauchen, das geht nun wirklich nicht. Klick, klick.

Vorbei an der strohdoofen Miriam, die ich nicht lösche, weil ich bei ihr ab und zu noch einen Pikser machen darf, klicke ich mich schließlich zur technischen Hotline von Siemens. Mit Siemens kann man nicht weggehen. Siemens ist ein multinationaler Mischkonzern, und das ist auch der Grund, warum man Siemens nicht vögeln kann. Ich frage mich, was die Nummer in meinem Handy verloren hat. Ach ja … wegen meiner Kaffeemaschine, die sich seit dem 1.1.2000 nicht mehr auf »Zeitversetztes Brühen« einstellen lässt. Ganz gespannt darauf, wer denn nun wegen dieses unglaublichen Jahrtausendfehlers in Aufzügen stecken bleibt oder in Flugzeugen abschmiert, war ich natürlich der einzige Mensch auf der ganzen Welt, den es tatsächlich getroffen hat. Mit seiner Kaffeemaschine! Klick, klick.

… Kati, Katja, Lala …

Lala ist meine kroatische Putzfrau und nicht unbedingt die erste Wahl für hemmungslose Saufabende. Klick, klick.

… Paula, Petra …

Von Paula weiß ich, dass sie gerade nicht in Köln ist, und Petra geht ohne ihren komischen Hund sowieso nirgendwohin. Klick, klick.

… Taxi Köln …

Wenn ich einem Taxifahrer einen Fünfzig-Euro-Schein in seine verspeckte Hemdtasche steckte, würde er bestimmt ein paar Kölsch mit mir zischen. Ich könnte mich natürlich auch an der Taxischlange vorbeischleichen und mir eine scharfe, nymphomane Taxifahrerin aussuchen! Und wenn wir’s dann gemacht hätten, brauchte ich ihr nicht mal ein Taxi zu rufen, weil sie ihr eigenes ja schon mithätte. Wie praktisch! Klick, klick.

Ich klicke weiter, als etwas völlig Unerwartetes geschieht. Mein Handy klingelt. »Unbekannter Anrufer« steht auf dem Display. Was ist, wenn das Julia ist, deren Nummer ich gerade gelöscht habe? Solche Zufälle soll’s ja geben! Ich reiße mich zusammen und gehe vorsichtig ran.

»Hallo?«

»Hi! Was machste? Du klingst gestresst!«

»Ich BIN gestresst! Das Telefon hat geklingelt!«

Es ist Phil Konrad. Der Super-Poser. Mister »Heyich-fühl-mich-sexy-ich-glaube-da-geht-heute-was«. Mr.Dauerpleite, der mir noch mindestens zehn Bier schuldet. Und der Wichser hat einen gut bezahlten Job bei ’ner Fernsehproduktion. Ich darf ja im T-Punkt für einsfünf netto irgendwelchen trüben Tulpengesichtern verklickern, warum die Leitung besetzt ist, wenn man schon telefoniert. Fakt ist aber, dass ich jetzt keinen Bock auf Phil Konrad habe. Er gehört zu der Sorte Mensch, die es zur wahren Meisterschaft darin gebracht haben, dass man sich in ihrer Umgebung stets unbedeutend und uncool vorkommt.

»Was machste heute Abend? Ich hab irgendwie das Gefühl, dass was geht!«

Dingdong! Da haben wir’s! Will keiner mit ihm weg, weil er so ein Scheiß-Angeber ist. »Du, ich … ich steck bis zum Hals in Arbeit … Steuer und so … weißt ja, die Sachen, die man immer aufschiebt, und in genau dieser Sekunde hab ich angefangen! Außerdem flieg ich doch morgen in den Urlaub!«

»Wann?«

»Um 16 Uhr noch was!«

»Dann kannste doch heute noch mal weg. 16 Uhr ist doch cool. Also … was meinste, um zehn im Pub?«

Auf der anderen Seite: Besser als die viertausendste Wiederholung von Beverly Hills Cop II.

»Sagen wir Viertel vor zehn?«

Ich kann es ums Verrecken nicht haben, wenn ich die Zeit nicht bestimmen darf.

»Von mir aus! Super. Bis dann!« Ich lege auf, ziehe die Beine auf Jenny Schlund und springe in meinem Sorgenbuch auf das wichtige Kapitel: Akzeptieren Sie das Unvermeidliche.

 

Der Kölner Ring ist schon wieder bevölkert mit Kaugummi kauenden Prolls, die irgendeine Scheiße in ihre geklauten Fotohandys labern. Es ist eine unbeschreibliche Mischung aus grenzdebilen Oliver-Geissen-Gästen und verfehlter Asylpolitik. Als ich ins Taxi springe, bin ich kurz verführt, auf der anderen Seite wieder auszusteigen und blöd grinsend ein Mentos in die Kamera zu halten. Mach ich natürlich nicht, weil es den beknackten Spot ja schon gibt.

»In die Harp, Venloer Straße, bitte!«

Direkt neben der Grundgebühr sehe ich zwei ratlose, persische Augen im Rückspiegel.

»Die Hard?«

»Nicht Die Hard, THE HARP, Venloer, Ecke Bismarck!«

»Kenn isch nisch!«

Bitte nicht! Schon wieder so ein orientierungsloser Falkplan-Analphabet, der seinen eigenen Arsch nicht mal dann findet, wenn ein Pumpnebelhorn dranhängt. Vielleicht kommt er ja von selbst auf die verrückte Idee, im Stadtplan nachzuschauen.

»Schau isch im Stadtplan nach!«

Bingo. Das nenn ich Menschenkenntnis.

 

Als ich im Pub ankomme, ist Phil natürlich noch nicht da. Auch sonst tote Hose. Lediglich die üblichen Verdächtigen pumpen sich schon rechtzeitig mit so viel Guinness zu, dass sie spätestens in einer Stunde vergessen haben, dass die Welt ihnen genau das Gleiche zu bieten hat wie sie der Welt: einen Scheiß nämlich. Ich setze mich neben Brian, einen rotköpfigen Schotten, und bestelle mir ein Pint Heineken. Irgendjemand hat sein Stadtmagazin auf dem Nachbarhocker vergessen. Ich bin ganz froh drum und blättere es lustlos durch. In der Südstadt macht ein neuer Spanier auf. Sehr schön. Hätten wir dann insgesamt 26. Die Fantastischen Vier spielen am Tanzbrunnen. Auch schön. Den Tag am Meer fand ich mal gut, danach hab ich eigentlich nichts mehr von denen gehört. Is ja auch egal. Mann, das ist ja interessant: Die Innere Kanalstraße wird für zwei Wochen einspurig. Wenn das mal keine wichtigen Informationen sind!

Phil kommt im Cord-Anzug und grünem Haribo-T-Shirt in den Pub. Und natürlich kommt er nicht irgendwie so durch die Tür, nein, er zelebriert sein Erscheinen, als hätte er einen Auftritt in Ankes Late Night Show. Meine Fresse, wie beknackt sieht das denn aus! Ohne zu fragen, schnappt sich Phil einen Hocker von einem benachbarten Stehtisch und stellt ihn neben mich an die Bar.

»Sensationeller Anzug!«, strahle ich nicht ohne Ironie.

»Super, oder? Hab ich mir eben noch gekauft. War runtergesetzt auf 549 Euro. Schon geil, oder? Was trinkste denn?«

»Heineken, wie seit zehn Jahren!«

»Nehm ich auch. Sag mal, haste Geld? Ich war noch nicht am Automaten!«

Klar. Leute, deren EC-Karte schon vor zwei Jahren am Bankschalter zerschreddert wurde, gehen auch nicht zum Automaten. Ich stecke Haribo-Phil einen Fünfzig-Euro-Schein zu.

»Danke. Und, schon gepackt?«

»Nö. Mach ich morgen!«

»Wirst sehen, der Ferienclub ist der Hammer. Am besten, du nimmst dir gleich ’ne Großpackung Gummis mit!«

»Ich lass mich überraschen!«

Dann prosten wir uns zu, stürzen unser Bier runter und erzählen uns, wen wir die letzten Wochen nicht alles flachgelegt haben. Bei Phil waren es angeblich zwei. Bei mir exakt keine. Phil schüttelt den Kopf.

»Was is mit der Starbucksmaus, von der du mal erzählt hast?«, will er wissen.

»Was soll mit der sein?«

»Na ja … läuft was? Planste was? Findste die noch gut?«

»Ich weiß nich, im Augenblick brauch ich mal ’ne Pause, glaube ich!«

»Im Augenblick? Du hast seit Monaten Pause!«

Das sind genau die Themen, mit denen man den Samstagabend eines Singles einläutet. Vielen Dank. Mit der Starbucksmaus hat er natürlich schon Recht. Die find ich gut! Keiner schäumt die Milch lasziver auf als sie. Bisher hab ich sie allerdings nur durch die Scheibe gesehen, was in erster Linie daran liegt, dass ich mich weigere, den Laden zu betreten. Bevor nämlich die US-Röst-Truppen das Gebäude besetzten und gewaltsam verstarbuckten, befand sich unter dieser Adresse mein Lieblings-Schnellrestaurant, die Mexican Food Station. Und jetzt gibt es da keine leckeren Quesadillas mehr, sondern nur noch irgendwelchen Chocolate Fudge Macadamia Nudge Matsch. Phil kann natürlich nicht ansatzweise verstehen, dass ich das »Babe« noch nicht klargemacht habe.

»Mensch, Simon, da musste reingehen und sie fragen, was sie nach Feierabend macht, ist doch klar, oder? Oder?«

»Ich geh da nicht rein, und du weißt genau, warum!«, entgegne ich, um unsere Unterhaltung zu entsexualisieren.

»Ahhh … vergiss die Food Station doch mal. Das Leben geht weiter. Kauf dir ’nen Kaffee und einen Keks!«

»Ich kauf mir keinen Ami-Kaffee!«

»Echt nicht? Das ist ja interessant! Und warum nicht?«

»Auf der ganzen Welt machen die Amis Ketten auf mit Sachen, von denen sie keine Ahnung haben! Pizza Hut zum Beispiel. Hab ich da irgendwas verpasst, oder ist Pizza nicht zufällig italienisch? Ich gehe ja als Deutscher auch nicht in die USA und eröffne ’ne Crêpes-Kette mit fünfhundert Filialen!«

Ich nehme einen Schluck Bier. Phil schaut mich an wie ein Auto.

»Könntest du aber!«

»Ja, genau!«

»Hey, Simon, ich hab ja nur gesagt, dass du da reingehen sollst, einen Kaffee trinken und die Gute fragen, was sie nach Feierabend macht. Kann mich nicht erinnern, dass das Wort Kulturrevolution gefallen ist!«

»Ich kann da nicht rein! Der Kaffee schmeckt wie Rattengift, und rauchen darf man auch nicht. Außerdem sitzen immer dreißig Mütter mit schreienden Kleinkindern drin! Und die Mexican Food Station … «

Augen rollend stellt Phil sein Bier ab und beendet meinen Satz für mich.

» … war besser, ich weiß. Okay, das mit dem Rauchen nervt echt. Aber ansonsten redest du totalen Scheiß! Es ist wirklich bedauerlich, wie Starbucks dein Leben zerstört hat!«

Da haben wir’s: Phil sitzt keine Viertelstunde neben mir, und ich fühl mich schon unwohl. Ich sollte die Klappe halten, doch ein innerer Rechtfertigungsdrang treibt mich weiter.

»Hast du mal Nachrichten geschaut in den letzten Jahren? Stichwort Irak, Afghanistan, die Sanktionen gegen Kuba? Das kann ich doch nicht unterstützen!«

»Sekunde mal, Simon. Lass mich das zusammenfassen: Du weigerst dich, Kaffee im Starbucks zu trinken wegen der Kubapolitik der USA?«

»So sieht’s aus!«

»Und was denkst du, was passiert, wenn die Nachricht im Weißen Haus einläuft, dass Simon Peters das Starbucks in Köln boykottiert? Ohhh … Mr.President, wir müssen das Helms-Burton-Gesetz gegen Kuba revidieren, Simon Peters hat eine Kaffee- und Keksblockade gegen das Starbucks in der Kölner Altstadt angekündigt!«

Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber manchmal hasse ich Phil regelrecht.

»Du bist bekloppt!«

»Und du ein Arsch!«

Wir schweigen eine Weile, und ich lasse meinen Blick durch den Pub schweifen. Am Darts steht die übliche Bande versoffener Berufsjugendlicher und denkt, sie betreibe Sport. Eine dürre Studentin steckt sich vor dem Klo einen Fünfzigerpack Gratispostkarten ein, und die mollige Knubbelbedienung bringt gerade einen Korb Homebaked Irish Bread an den Nachbartisch. In Gedanken bin ich aber immer noch bei Starbucks.

»Und es ist doch eine Kulturrevolution!«, zische ich Phil an. »Du wirst sehen, am Ende verkaufen die uns unsere eigenen Lebkuchen für zwei Euro das Stück!«

»KEINER verkauft dir Lebkuchen für zwei Euro das Stück!«

»DIE schon!«

»Wie gesagt: Du bist bekloppt!«

»Und du gehst mir auf den Sack!«

»Noch ein Pint?«

»Klar!«

Kopfschüttelnd trinken wir unser Bier. Ich schau noch mal, ob im Pub nicht doch irgendwo Peter Kloeppel und Ulrike von der Groeben sitzen, mit denen ich über Sport oder Delphine sprechen könnte. Leider ist keiner von beiden da. Als uns gegen Mitternacht das dritte Mal »I can’t get no satisfaction« aus den Lautsprechern entgegenquäkt, bestellen wir ein Taxi in den Wartesaal. Das ist so ’ne Disco, wo Phil angeblich zwei scharfe Schnecken am Start hat, die er von ’ner Party kennt. Weil ich ein Idiot bin, lade ich Phil auf die Biere ein, obwohl ich ihm gerade Kohle geliehen habe. Der irische Knubbel gibt uns noch einen Whiskey aus, dann rasen wir in Richtung Wartesaal.

Der Saftschubser-Gentleman

Phil kennt den Türsteher und kommt so rein. Denke ich zumindest zuerst. Als ich auf meinen Zwanziger nur ein müdes Lächeln zurückbekomme, wird mir klar, dass ich für ihn mitgezahlt habe. Gerissenes Arschloch! Wenigstens ist drinnen schon echt was los. Irgendein verpickelter »Resident DJ« mit Berlin-Mitte-Hornbrille nervt mich mit Vocal House, das stumpfe Fußvolk findet’s natürlich galaktisch. Ich bahne mir den Weg zur Bar, denn schließlich will ich mir ja die Birne wegballern, und was ich in mein Sorgenbuch geschrieben habe, das ziehe ich auch durch. Haribo-Phil hat die versprochenen Partyschnecken schon gefunden. Die Größere von beiden sieht tatsächlich nach Party aus, die Kleinere wie ’ne Schnecke.

»Petra, das ist Simon! Simon – Petra!«, stellt uns Phil vor.

»Hi!«, sage ich zum Partymädchen, und zur Schnecke das Gleiche.

»Hi!«, sagt die Schnecke. Partymädchen Katja sagt nichts. Mit ihrem leicht chemischen Blick und ihrem schwarzen Pagenkopf erinnert sie mich schwer an die durchgeknallte Gangsterbraut Mia aus Pulp Fiction.

Als kleine Starthilfe fürs Gespräch ergänzt Phil: »Petra und Katja sind bei der Lufthansa. Simon ist Kundenberater im T-Punkt und verurteilt die Kuba-Politik der US-Regierung auf das Schärfste!« Ich werfe Phil einen bitterbösen Blick zu. Vielen Dank. Was glaubt der Vollidiot, was so eine Partyschnecke darauf sagt?

Oh … du bist also in Bezug auf die US-Außenpolitik tendenziell gegen die Sichtweise der Republikaner? Das ist ja soooo sexy! Darf ich mit dir schlafen?

Katja, also die, die nach Party aussieht und nicht nach Schnecke, belässt es bei einem kurzen Lächeln und wendet sich dann demonstrativ ab. Es ist wie immer: Der Schuss ist ’ne arrogante Kuh. Schade. Ihr enges T-Shirt und der unverschämte Stringtanga, den sie aus ihrer schwarzen Kunststoffhose fast bis zu den Schultern hochgezogen hat, deuten nicht gerade auf »keinen Sex vor der Ehe« hin. Ich überlege, mit welchem Killer-Satz ich meine Konversation starten könnte. Phil reicht uns mit gönnerhaftem Blick eine Runde Wodka Red Bull, die er mit meiner Kohle bezahlt hat. Dabei tut er in jeder Sekunde so, als hätte er gerade den gesamten Club gekauft. Ich weiß nicht, ob ich’s schon erwähnt habe: Ich mag ihn nicht. Ich werfe meinen Strohhalm hinter mich, weil ich finde, dass Strohhalme was für Schwuchteln sind. Dann brülle ich der Pulp-Fiction-Gangsterbraut ins Ohr:

»Fliegst du Kurz- oder Langstrecke?«

»Langstrecke!«, gähnt sie mir entgegen und bringt es dabei fertig, mich nicht mal anzuschauen. Langstrecke! Die sollen total versaut sein, hat mir Phil erzählt, und der muss es wissen, so viel Pornos, wie der schaut. Also dranbleiben!

»Und wohin fliegst du so?«, will ich wissen.

»Staaten!«

Auweia!

»Würde es dein Sprachzentrum überfordern, mir einen ganzen Satz zu basteln?«

Mein kleiner Witz wird mit einem absichtlich schlecht gespielten Hollywood-Zahncremelächeln und sofortigem Abwenden belohnt. Im Augenwinkel sehe ich Phil, der mir mit erhobenem Daumen zuzwinkert. Mit der anderen Hand fummelt er einer dümmlich grinsenden Blondine am kleinen Schwarzen. Wie ich ihn hasse! Keine fünf Minuten hier und hat schon wieder die Nächste klargemacht. Ich leere meinen Drink und wende mich wieder meinen Luftfahrt-Hasen zu:

»Ich flieg ja morgen mit Air Berlin auf die Kanaren!«

»Und … haste schon gepackt?«, fragt mich die Gangsterbraut.

»Nee!«, sage ich, und dann schauen wir wieder in unterschiedliche Richtungen. Man kann nicht gerade behaupten, dass wir auf der gleichen Wellenlänge unterwegs wären. Dazu manifestiert sich bei mir ein passabler Themen-Blackout.

»Haste gewusst«, frage ich, »die Innere Kanalstraße wird für zwei Wochen einspurig!?«

»Echt?«

»Wenn ich’s dir sage!«

»Na, dann wird’s wohl ’ne Menge Stau geben!«

»Davon kannste ausgehen!«

»Zum Glück muss ich da nie lang!«

»Ich auch nicht … «

Ich könnte mich mit dem Fuß an ein Taxi binden und mir bis Köln-Porz ein schönes Asphalt-Peeling verpassen lassen vor Wut. Was erzähl ich denn da für einen Müll, bitte schön? Ich muss zum Angriff übergehen, Risikobereitschaft zeigen und Witz! Und das Ganze am besten zur gleichen Zeit!

Ich stupse das Partymädchen an der Schulter.

»Was mich ja mal tierisch interessieren würde … «

»Ja …?«

» … wie viele Bonusmeilen kriegt man eigentlich, wenn man eine Stewardess vögelt?«

 

Ich wasche mir gerade den Langstrecken-Wodka-Red-Bull aus meinen Haaren, als ein breit grinsender Haribo-Phil die Tür zu den Toiletten aufstößt.

»Mensch, Simon. Du hast aber auch ’n Lauf heute, oder? Haste Kuba angesprochen, oder was?«

»Verpiss dich!«

»Hast du noch Geld dabei, ich hab irgendwie schon alles … «

»Verpiss dich, hab ich gesagt!«

Phil tut mir den Gefallen. Ein paar Sekunden später folge ich ihm in den Club, gehe aber an eine andere Bar und bestelle mir einen doppelten irischen Treppenschmeißer namens Tullamore Dew. Die Eiswürfel lasse ich auf den Boden fallen, weil neben Strohhalmen auch Eiswürfel was für Schwuchteln sind. Dann bestelle ich mir noch einen Whiskey und noch einen. Je mehr ich von dem Zeug trinke, desto weniger brennt es. Das haben die schlau hingekriegt, die Iren. Ich quatsche jedes weibliche Wesen an, das sich mir auf zehn Meter nähert. Eine Frau mache ich zweimal mit dem gleichen Spruch an, was sogar besoffen peinlich ist.

Nach einer Weile bemerke ich, dass das von mir präferierte Geschlecht eine Art Bannmeile um meine Person gezogen hat. Irgendwas läuft hier falsch. Hab ich keinen Respekt vor Frauen oder die keinen vor mir? Oder beides? Ich kann machen, was ich will: Ich krieg zwischengeschlechtlich einfach kein Bein auf den Boden. Ich frage mich, was es ist, das mich bei den Frauen so abblitzen lässt. Im Grunde genommen finde ich mich nämlich klasse. Gut, vielleicht bin ich ein bisschen zu dünn und blass, aber Muskeln baue ich ja gerade auf durch mein eisenhartes Training, und sonst – also sonst finde ich mich völlig in Ordnung, fast sogar einen Tacken über dem Durchschnitt. Da laufen ganz andere Quarkgesichter mit Superschüssen rum.

Als ich mir den vierten Tullamore Dew in den Rachen kippe, fällt mir wieder ein, was meinen Erfolg bei Frauen bremsen könnte: Es ist die Singlephase vier, bestehend aus purer Verzweiflung in Verbindung mit einem stetig bröckelnden Selbstbewusstsein. Das Schlimme daran ist, dass es sich um einen Teufelskreis handelt: Je größer das Bedauern, desto geringer die Möglichkeiten, und je geringer die Möglichkeiten, desto größer das Bedauern. Die Lösung laut Sorgenbuch: sich gut fühlen, entspannen, positiv denken! Und natürlich: sich zuschütten, denn das hilft dabei. Ich bestelle mir einen fünften Tullamore Dew und schiele in die Menge wie ein einäugiger Papagei durch Milchglas. Alarm! Bekannte Gesichter nähern sich!

»Daaaaaa bist du!«

Es ist Phil, die beiden Fluggastfahrhelferinnen im Gepäck.

»Brauchte mal ’ne Auszeit!«, red ich mich raus und meide jeden Augenkontakt. Und dann geschehen zwei unglaubliche Dinge: Phil bestellt auf SEINE Rechnung eine Runde Wodka Red Bull, und Gangsterkatja mit dem frechen String entschuldigt sich bei MIR wegen der Aktion mit dem Drink. Eigentlich wäre mein Bonusmeilen-Spruch ja wirklich lustig gewesen, aber dann dürfte man sich das als Dame ja auch nicht gefallen lassen und bla, bla, bla …

Man kann sagen, dass ich auftaue und versuche, das verloren gegangene Langstreckenterrain wieder gutzumachen. Ich erzähle Gangsterkatja, dass ich sowieso nicht mehr lange beim T-Punkt arbeite, weil ich mich bald selbständig mache mit so einer Internetsache und dann eine Schweinekohle verdiene und sowieso nicht mehr in Köln wohne, sondern in der Karibik, und dass ich ihr mein Geschäftsmodell gerne mal erklären könnte. Ich stelle ein paar dämliche Fragen über die gefährliche Strahlung auf Langstreckenflügen und was das Spannendste sei, was ihr jemals passiert sei auf so einem Flug. Sie sagt, das Spannendste sei ein besoffener Passagier gewesen, der durchgedreht ist, als sie ihn beim Rauchen auf dem Klo erwischt hat, und ihr eine gescheuert hat. Ich bin ein bisschen enttäuscht.

»Aber es war doch bestimmt ein Terrorist, der da geraucht hat!«, vermute ich.

»Nein, ein ganz normaler Passagier!«

»Aus Saudi-Arabien!«

»Nein, aus Schweden!«

»Mhhh … «

Phil schmeißt eine weitere Runde, und langsam wird es ansatzweise lustig in unserer Vierertruppe. Na also, warum nicht gleich. Wir rauchen und wir trinken und wir lachen, und irgendwie entspanne ich mich wieder und spüre, dass der Zeitpunkt für einen weiteren Angriff gekommen ist. Denn: Katja hält ihren Kopf schief, während sie mich anschaut. In irgendeinem Körpersprachebuch hab ich mal gelesen, dass sie mich dann echt klasse findet. Ich muss loslegen, bevor ich total blau bin! Ganz wichtig beim Angriff ist es, mit viel Gespür und Takt vorzugehen, immerhin hält sich meine baldige Sexpartnerin nach eigener Aussage für eine Dame. Also frage ich höflich und sanft:

»Hast du jemals auf so einem Flugzeugklo gevögelt?«

Diesmal bewegt sich ihr Drink nicht in meine Richtung.

»Sag ich dir nicht!«

Dingdong, ich hab sie!

»Also ja!«, lege ich nach. Sie schaut auf den Boden.

»›Sag ich dir nicht‹ heißt nicht ja!«

»Heißt aber auch nicht nein, offenbar!«

»Mann. Okay … gevögelt nicht, aber … ich hatte Oralverkehr.«

Es ist erschreckend, was man von Frauen erfährt, die ein paar Drinks hatten!

»DU hattest Oralverkehr oder ER?«

»Eigentlich … eher SIE … «

Verlegen drückt sie ihre längst erloschene Kippe in den Aschenbecher und blickt mich mit ihrem chemischen Blick erwartungsvoll an. Mit einem weltmännischen Lächeln überspiele ich die Tatsache, dass es mir gerade den Boden unter den neuesten Sportschuhen wegzieht.

»Ah, du bist bi!«, lache ich. »Sag das doch!« Sie ist endlich fertig mit ihrer Kippe. Genickt hat sie trotzdem nicht.

»Du bist … ’ne Lesbe?«

Jetzt nickt sie.

»Und deine Freundin, ich meine, ist das DEINE Freundin?«, stammle ich.

»Jetzt komm aber, das sieht man doch!«, lacht sie. Ich packe Haribo-Phil am Kragen, ziehe ihn zu mir ran und schüttel ihn ordentlich durch.

»Du Penner hast uns zwei Lesben angeschleppt!«

»Spinnst du?«

Ich brauche nicht zu antworten, denn Pulp-Katja kriegt inzwischen kaum noch Luft vor Lachen. Ich überlege kurz, ihr meinen Drink in den Ausschnitt zu schütten, lasse es dann aber. Ich kapiere blitzschnell. Was für ’ne beknackte, billige Nummer, und ich falle drauf rein! Ausgerechnet ich! Pulp-Katja streicht mir versöhnlich über den Rücken.

»Jetzt komm schon … eins zu eins! Wer solche Sprüche bringt, den kann man auch mal verscheißern!«

Ich finde nicht, dass man jemanden, der so großartige Sprüche bringt wie ich, verscheißern kann. Ich finde vielmehr, dass man so jemandem einen Bambi, einen Oscar und den Nobelpreis verleihen und in jeder Scheiß-Großstadt Statuen mit seinem Namen aufstellen sollte und überhaupt! Ich bekomme einen Versöhnungsdrink und nippe dran wie Hanswurst auf Valium. Die können mich echt alle am Arsch lecken.

 

Gegen vier Uhr morgens macht Phil den sensationellen Vorschlag, dass wir jetzt alle noch zu mir fahren und schön einen kiffen. Das muss man sich mal reintun. ER lädt alle zu MIR ein!

»Ich hab nix zu kiffen«, wehre ich mich.

»Haste wohl!«, entgegnet Phil.

»Woher willst du das denn wissen?«

»Weil ich das letzte Mal was versteckt habe, als wir bei dir waren!«

»Du hast WAS?«

»Ich hab ein Piece versteckt, unter deiner Couch!«

»Warum versteckst du denn Drogen in meiner Wohnung?«

»Weil du sie sonst wegrauchst, du Pfeife!«

Die Stewardessen giggeln und verfolgen unser Gespräch wie ein Wimbledon-Endspiel von der Seitentribüne. Ich kann immer noch nicht fassen, dass Phil in meiner Wohnung Stoff bunkert.

»Versteck den Scheiß doch bei dir!«, bölke ich ihn an.

»Sorry, Simon, aber das ist mir zu gefährlich, da bin ich ganz spießig!«

»Ich hasse dich!«

»Sehr gerne!«

Wir bekommen Applaus. Spiel, Satz und Sieg Phil Arschloch Konrad. Trotz der beeindruckenden Schlange am Taxistand machen wir ratzfatz einen Wagen klar, indem ich eine Ohnmacht simuliere und die Luftfahrt-Schnecken laut »Krankenhaus« rufen. Ich frage mich kurz, warum eigentlich ICH immer den Ohnmächtigen spiele und Phil nie, lege den negativen Gedanken dann aber ins Handschuhfach des Funkmietwagens. Du bist, was du denkst, heißt es in meinem Sorgenbuch, also denke ich positiv. Man muss immer und jederzeit positiv denken! Immerhin fahren wir mit zwei Eins-a-Frauen in meine Wohnung. Und: Die Innere Kanalstraße ist noch immer zweispurig! Und: Ich bin am Leben! Ich hatte schlimmere Samstagabende. Zum Beispiel, als ich mit meinem Kumpel Flik im Dorint bis fünf Uhr gewartet habe, dass uns Nutten ansprechen. Oder der Spieleabend bei Karim und Beata. Nein, das hier geht wirklich, und es geht vor allem, weil noch was gehen kann! Zwei Stewardessen in der Wohnung. Und dann noch von einer namhaften Airline! Nicht so Billigflieger-Tussen, die irgendwann wegen illegaler Preisabsprachen vor den europäischen Gerichtshof gezerrt werden. Neiiiin: Qualitätsstewardessen von der deutschen Lufthansa! Wie mein scharfer Pulp-Hase wohl in so einer Uniform aussieht?

Mit Milch und Zucker?

Sehr gerne. Ach ja, eine Bitte hätte ich: Dürfte ich mal eben meine Zunge in Ihren Hals stecken?

Wir hätten hier auch noch 69 oder ’ne schnelle Nummer mit der Hand …

Dann lieber die 69, aber nur, wenn’s kein Problem ist!

Natürlich nicht, ich muss nur noch schnell den Bordshop machen.

Gut, dann warte ich eben …

»Was plapperst du denn da für eine Scheiße?«, krakeelt Phil von der Rückbank. Mist – ich sollte echt aufhören, so laut zu denken, wenn ich besoffen bin.

»Nix!«

Oh! Wir sind bei mir!

 

Phil tastet die Unterseite meiner Couch ab und zieht stolz ein kleines Plastiktütchen raus, was offenbar mit einem Klebeband daran befestigt war.

»Haste Papier?«

»Am Altpapier-Container.«

»Arschloch!«

»Selber!«

Das Praktische an Phil ist, dass man sich um nix kümmern muss, wenn er zu Besuch ist. Er weiß, wo alles steht, nimmt sich, was er will, und nervt nicht lange mit irgendwelchem Höflichkeitsmist. Die beiden Mädels schlürfen inzwischen an einem Dreißig-Euro-Champagner, den ich nicht rechtzeitig vor Phil versteckt habe. Auch meine CD-Sammlung ist außen vor, weil Mr.Ich-glaub-heute-Abend-geht-was seine eigene, illegal gesaugte Trancekacke eingelegt hat und sich einen Dreck um die Nachbarn kümmert, was die Lautstärke angeht. Im Bayerischen Fernsehen kommt Spacenight, meine Lieblingssendung, weil sie die extra für Leute produziert haben, die um die Zeit dermaßen die Lampe an haben, dass sie nur noch Dinge wahrnehmen, die so groß sind wie ganze Kontinente. Kommt gut auf meinem riesigen Flachbildschirm.

»Sag mal, wie kannste dir das denn alles leisten, so als T-Punkt-Angestellter?« Katja steht mit ihrem Moët & Chandon in der Mitte des Raumes und scannt die Preise meiner Einrichtungsgegenstände inklusive Plasmafernseher.

»Sagt dir der Begriff Konsumschulden irgendetwas?«

»Konsumschulden? Das ist hier alles auf Pump, oder was?«

»Klar! Alles, was du hier siehst! Mir gehört quasi nix! Den Plasmafernseher zum Beispiel, den zahl ich noch vier Jahre ab, wenn ich’s überhaupt schaffe. Wahrscheinlicher ist, dass sie mir noch heute Nacht die Couch unterm Arsch wegpfänden!«

»So ein Quatsch!«, lacht Pulp-Katja und nimmt einen Schluck Champagner.

»Wenn ich’s dir doch sage!«

Es hat doch tatsächlich schon wieder geklappt. Ich sollte ein Buch schreiben und reich werden: Full Frontal Truth – Lügen mit der Wahrheit. Sensationelle Rhetoriktipps von Dr.Simon Peters.