"Mit deinem Bruder hatten wir ja Glück" - Sebastian Lehmann - E-Book

"Mit deinem Bruder hatten wir ja Glück" E-Book

Sebastian Lehmann

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Beschreibung

Wie alle echten Berliner kommt auch Sebastian Lehmann eigentlich aus Süddeutschland. Um mit seinen Eltern in der badischen Provinz den Kontakt zu halten, telefoniert er oft mit ihnen. Dabei unterhalten sie sich über seine brotlose Kunst als sogenannter Schriftsteller, Tiefkühlpizza als Hauptmahlzeit, wann (hoffentlich bald) und wen (eigentlich egal) er endlich heiraten werde und warum immer noch keine Enkelkinder auf dem Weg sind. Sebastian hat diese unterhaltsamen Telefonate mitgeschrieben und daraus ein Buch gemacht. Seine Mutter ist stolz, sein Vater wollte sich nicht äußern und hat hoffentlich nicht das Testament geändert. Pointierter wurde der Clash zwischen den Generationen, zwischen Stadt und Land, zwischen Jung und Alt nie dargestellt!

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Seitenzahl: 161

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Das Buch

Wie alle echten Berliner kommt auch Sebastian Lehmann eigentlich aus Süddeutschland. Um mit seinen liebevollen Eltern im wunderschönen Baden Kontakt zu halten, telefoniert er sehr gern mit ­ihnen. Er verzichtet einfach ungern auf die Heimwerkerexpertise seines handwerklich äußerst begabten Vaters. Und ohne die nützlichen Haushaltstipps seiner Mutter könnte er auch mit über dreißig nicht alleine überleben. Sie sind einfach die besten Eltern der Welt. (Der Autor wurde zu diesen Aussagen von seinen Eltern vertraglich verpflichtet. Bitte kürzt die Unterstützung nicht!)

Der Autor

Sebastian Lehmann, in Freiburg geboren, wohnt in Berlin. Auf SWR3 und RBB radioeins laufen seine Radiokolumnen Elternzeit und Eltern­telefonate. Er ist Mitglied der Lesebühne Lesedüne, die auch als Bühne 36 im Fernsehen lief. Mit seinem Soloprogramm Elternzeit tourt er durch Deutschland. Im Aufbau-Verlag erschienen sein ­Roman Genau mein Beutelschema und die Geschichtensammlung Kein Elch. Nirgends. Voland & Quist veröffentlichte seinen Roman ­Parallel leben. Er ist einfach total erfolgreich, lieber Papa, erkenn das doch mal an! Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und Goldmann-Verlag! Was kann da noch kommen? Und sag jetzt bitte nicht, Lehramt …

Aktuelle Lesungstermine auf www.sebastianlehmann.net.

Im Goldmann-Verlag ist von Sebastian Lehmann außerdem erschienen:

Ich war jung und hatte das Geld. Meine liebsten Jugendkulturen aus den wilden Neunzigern (15921)

Sebastian Lehmann

»Mit deinem Bruder ­hatten wir ja Glück«

Telefonate mit meinen Eltern

Originalausgabe

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Bereits in anderer Version und teilweise unter anderem Titel erschienen:

»Witzig«. In: Über Wachen und Schlafen. Systemrelevanter Humor. Das Lesedünenbuch. Voland & Quist 2011 und Ullstein 2015.

»Das Fest der Liebe«, »Geschenke«, »Rommé«, »Selfie«. In: Bühne 36: Über Arbeiten und Fertigsein: Real existierender Humor. Voland & Quist 2015.

»Lebkuchen«. In: radioeins: Moment mal! Was die Zeit mit uns macht. Rowohlt 2017.

2. Auflage

Originalausgabe November 2018

Copyright © 2018 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München,

unter Verwendung eines Autorenfotos von @ Annika Zieske

Lektorat: Doreen Fröhlich

DF · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-22746-3V003

www.goldmann-verlag.de

Besuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

Für meine Eltern (die echten …)

Inhalt

1. Gummibärchen

2. Verletzt

3. Kochen

4. Namen

5. Die Waschmaschine

6. Lebkuchen

7. Sommer

8. Hausmittel

9. Neues Telefon

10. Morgens

11. Überfall

12. Fußball

13. Männer

14. Hochzeit

15. Zu Besuch

16. Auf dem Weg

17. Berlin Tag & Nacht

18. Das Wetter

19. Sorgen

20. Witzig

21. Der Tag

22. Päckchen

23. Die Schotten

24. Selfie

25. Heimwerken

26. Die Umdrehung der Welt

27. Autofahren

28. Überwachen

29. Urlaub

30. 34 Minuten und 15 Sekunden

31. Geschenke

32. Handy

33. Kartoffelsalat und Fake News

34. Rommé

35. Alles wie immer

36. Auto

37. Um Himmels Willen

38. Autokorrektur

39. Der große Bruder

40. Karl

41. Berühmt

42. Miete

43. Krank

44. Bastilein

45. Die Verbindung wird gehalten

46. Punkte

47. Farbenblind

48. Biomarkt

49. Gesprächsthemen

50. Status Quo

51. Politisch

52. Verlaufen

53. Freiheit

54. Sport

55. No-go-Area

56. Sparen

57. Fiktiv

58. Nach Hause

59. Das Fest der Liebe

1. Gummibärchen

Meine Mutter ruft aus meiner Heimatstadt Freiburg an.

»Sebastian!«, ruft sie viel zu laut. »Hast du ­unser Geburtstagspäckchen bekommen?«

»Natürlich, Mama, vielen Dank!«, sage ich.

»Hat dir auch alles geschmeckt?«, ruft meine Mutter noch lauter ins Telefon.

»Ja – bis auf die Gummibärchen.«

»Wieso das denn?«, ruft sie so laut, dass ich den Telefonhörer weit vom Ohr weghalten muss. Wer mit meiner Mutter telefoniert, braucht die Freisprechfunktion nicht. Sie denkt, je weiter man beim Telefonieren voneinander entfernt ist, desto lauter muss man sprechen. Und ich bin in Berlin ja ziemlich weit weg. Wenn sie mit ihrer Nichte in den USA telefoniert, verlässt mein Vater immer den Raum.

»Schrei doch nicht so«, sage ich. »Nur weil Freiburg und Berlin achthundert Kilometer vonein­ander entfernt sind, heißt das noch lange nicht, dass du so brüllen musst.«

»Was meinst du?«, schreit meine Mutter. »Die Verbindung ist so schlecht.«

»Die Verbindung ist gar nicht schlecht, Mama, du bist nur sehr alt und schwerhörig!« Flüstere ich.

»Das habe ich gehört«, ruft meine Mutter.

»Siehst du, die Telefonverbindung ist einwandfrei. Du hörst einfach immer nur das, was du hören willst.«

»Was?«

»Quod erat demonstrandum«, sage ich.

»Nur weil du Griechisch in der Schule hattest, heißt das noch lange nicht, dass du was Besseres bist.«

»Das war Latein.«

»Was? Ich verstehe dich einfach nicht«, sagt meine Mutter resigniert.

»Ich dich auch nicht. Schon seit Jahren. Und das hat gar nichts mit der Telefonverbindung zu tun.«

»Was war denn nun mit den Gummibärchen nicht in Ordnung? Die isst du doch immer so gerne.«

»Seit ich Vegetarier bin, esse ich keine Gummibärchen mehr, weil da Gelatine drin ist«, sage ich. »Das habe ich dir schon tausendmal erklärt.«

»Was hat das denn miteinander zu tun?«

Ich rolle mit den Augen.

»Da brauchst du gar nicht so mit den Augen zu rollen!«

Ich zucke zusammen. Mütter haben ja manchmal übermenschliche Kräfte, sie können zwar oft nicht verstehen, was wir Kinder sagen, aber gleichzeitig fühlen, was wir denken.

»Die Gummibärchen sind mit Schwein«, sage ich.

»Darauf habe ich mein ganzes Leben lang gewartet«, ruft mein Vater von hinten ins Telefon.

»Die schmecken nicht nach Schwein, Papa. Die benutzen tierische Gelatine für die Konsistenz.«

»Gummibärchen und Schwein, das ist doch Blödsinn! Auf so was kommst auch nur du«, sagt meine Mutter. »So wie du als kleines Kind geglaubt hast, in der Milka-Schokolade wären lila Kühe drin.«

»Das habe ich überhaupt nicht geglaubt. Ich war ein sehr intelligentes Kind.«

»Oder dass dein Hamster Schnulle überlebt hat, als du ihn zu wissenschaftlichen Zwecken in die Waschmaschine gesteckt und auf Schleudern gedrückt hast.«

»Aber, aber …«, stammle ich entsetzt, »er hat doch wirklich noch gelebt danach.«

»Ich sag’s mal so.« Meine Mutter räuspert sich. »So herkömmliche Hamster sehen sich ziemlich ähnlich. Und Schnulle 2 war doch auch nett.«

»Aufhören! Sofort aufhören!«, rufe ich. »Ich will das alles gar nicht wissen. Bis jetzt dachte ich immer, ich hätte eine schöne Kindheit gehabt.«

»Für dich war sie auch schön«, sagt mein Vater. »Aber das muss ja für uns nicht auch so gewesen sein.«

»Zurück zu den Gummibärchen«, wechsle ich schnell wieder das Thema. »Es gibt auch sehr ­leckere vegetarische Gummibärchen ohne Gelatine. Die esse ich noch.«

»Die sind aber viel teurer«, ruft mein Vater.

»Das bin ich euch doch wert«, sage ich empört.

Meine Eltern schweigen lange.

»Wir können nächstes Jahr auch einfach die Gummibärchen weglassen«, schlägt meine Mutter vor.

»Wie auch immer«, sage ich. »Apropos Geld. Gerade läuft es nicht so gut, und die letzten zwei Urlaube waren auch ein wenig teuer. Könntet ihr mir mal wieder einen Betrag im höheren dreistelligen Bereich überweisen? Das wäre sehr nett.«

Stille.

»Sebastian? Jetzt hör ich dich wieder gar nicht«, ruft meine Mutter dann. »Die Verbindung ist ganz schlecht. Hallo, hallo, Sebastian? Krschh Schhh. Schhh. Schhhh.«

»Mama, du machst doch das Rauschen nur nach!«

»Tuut. Tuut. Tuut.«

»Papa, hör auf zu tuten!«

»Leg jetzt auf«, flüstert mein Vater meiner Mutter zu.

»Krsch Rrsch. Tuut Tuut.«

»Hallo, seid ihr noch da?«

»Tuut Tuut.«

»Das ist doch albern!«

Tuut Tuut.

»Hallo?«

»Tuut Tuut.«

»Ach, scheiße.«

2. Verletzt

Meine Mutter ruft aus meiner Heimatstadt Freiburg an.

»Es tut so weh«, jammere ich sofort, bevor sie ­etwas sagen kann.

»Was hast du denn gemacht?«, fragt meine Mutter.

»Ich hatte einen Unfall«, sage ich.

»Zum Glück haben wir für dich eine Lebensversicherung abgeschlossen«, ruft mein Vater von hinten ins Telefon.

»Das ist das Erste, das dir in den Sinn kommt, wenn es mir schlecht geht, Papa?«

»Na ja, immerhin bekommen wir eine halbe Million, wenn du … ähm …«

»Willst du etwa, dass ich sterbe?«

»Nein, nein«, sagt mein Vater. »Aber wir haben ja schon ganz schön viel Geld in dich reingesteckt – ich würde auch sagen, eher mit mäßigem Erfolg –, da wäre es doch schön, wenn irgendwann mal wieder was zurückkommt.«

»Papa!«

»Jetzt streitet euch nicht«, unterbricht uns meine Mutter. »Was für einen Unfall hattest du denn, ­Sebastian? Ist es sehr schlimm?«

»Ich … ich … habe mir vorhin … mit einem riesigen Messer … beim Brotschmieren … in den Finger geschnitten! Es hat sogar kurz geblutet.«

»Die halbe Millionen können wir vergessen«, sagt mein Vater resigniert.

»Oh Gott, Sebastian, das hört sich ja furchtbar an! Warst du schon im Krankenhaus? Muss man den Finger abnehmen?«

»Es ist schon ziemlich schlimm mit meinem Finger, aber irgendwie habe ich das Gefühl, du meinst das jetzt ironisch.«

»Ich bin deine Mutter«, sagt sie, »und Mütter meinen grundsätzlich nichts ironisch.«

»Es ist zwar nett, dass du dir so viele Sorgen machst, doch so wahnsinnig schlimm ist es gar nicht mehr.«

»Nicht dass du eine Blutvergiftung bekommst!«, ruft meine Mutter panisch. »Hast du die Wunde ausgespült? Jod draufgemacht? Einen sterilen Verband angelegt?«

»Es ist alles in Ordnung. Warum bist du denn so panisch? Als sich Papa kürzlich im Garten mit der Kettensäge in den Oberschenkel gesägt hat, warst du eigentlich ganz entspannt.«

»Meine Lebensversicherung ist sogar eine Million hoch«, ruft mein Vater stolz.

»Das war doch nicht so schlimm«, sagt meine Mutter. »Man konnte das Bein ja wieder annähen.«

»Sogar als du dir im letzten Urlaub beide Schultern gleichzeitig ausgerenkt hast, meintest du, es wäre nur ein Kratzer.«

»Der Schmerz der Kinder fühlt sich hundertmal schlimmer an als der eigene. Jetzt mach etwas Salbe drauf und leg den Finger hoch, dann wird alles wieder heil, mein Schatz.«

Sofort geht es mir besser.

»Ach, Mutter«, sage ich den Tränen nahe. »Was soll ich nur machen, wenn du mal nicht mehr bist.«

»Mit den zwei Millionen von ihrer Lebensver­sicherung wird uns schon was einfallen«, ruft mein Vater und legt auf.

3. Kochen

Meine Mutter ruft an.

»Gerade ist es schlecht«, sage ich und klemme mir den Telefonhörer zwischen Kopf und Schulter. »Ich koche.«

»Seit wann kochst du denn?«, ruft meine Mutter überrascht.

»Ich wohne schon sehr lange nicht mehr bei euch. Und wenn ich nicht verhungern will, muss ich auch manchmal selbst kochen.« Ich schaue prüfend in den Backofen, dann gehe ich ins Wohnzimmer und setze mich aufs Sofa.

»Aber du bist doch ein Mann. Also, irgendwie jedenfalls.«

»Mama! Heutzutage kochen auch Männer. Nur weil Papa nicht kochen kann, heißt das noch lange nicht, dass Männer generell nicht Essen zubereiten können.«

»Ich kann kochen!«, ruft mein Vater von hinten.

Meine Mutter und ich müssen lachen.

»Spiegeleier sind kein vollständiges Gericht, Papa.«

»Manchmal schneide ich auch noch Schinken rein«, sagt mein Vater.

»Was kochst du denn gerade, Sebastian?«, fragt meine Mutter. »Dosenravioli?«

»So ekligen Fertigfraß würde ich nie essen. Bei mir kommen natürlich nur gesunde Zutaten auf den Tisch. Heute probiere ich ein neues Rezept aus. Es gibt ein Zucchini-Seitan-Süßkartoffel-Gratin mit geriebenem Parmesan, dazu Artischocken und Fenchelpesto an Ingwer-Sud.«

»Ich würde da ja noch Schinken reinschneiden«, meint mein Vater fachkundig.

»Jetzt bin ich doch beeindruckt, das hätte ich dir gar nicht zugetraut«, sagt meine Mutter. »Dann kannst du ja auch mal kochen, wenn du das nächste Mal bei uns in Freiburg zu Besuch bist.«

»Bitte nicht!«, ruft mein Vater.

»Für dich, lieber Erzeuger, kann ich auch einen veganen Schweinebraten mit Spinatknödel und frischen Pfifferlingen an alkoholfreier Weißweinsoße zubereiten.«

»Mit Schinken?«, fragt mein Vater.

»Ach, Sebastian, das klingt ja toll!«, ruft meine Mutter begeistert. »Dann laden wir auch gleich noch Schmidts von gegenüber ein, die werden aber staunen.«

»Jetzt übertreib mal nicht! Ich glaube, das ist nicht die beste Idee …« Aber meine Mutter hat schon aufgelegt.

Erst jetzt fällt mir der Rauch auf, der aus der ­Küche in die ganze Wohnung zieht. Oh nein, die Tiefkühlpizza ist schon wieder angebrannt!

4. Namen

»Hallo, Sohnemann«, ruft meine Mutter mal wieder viel zu laut ins Telefon. »Bei uns im Nachbarhaus ist jetzt einer eingezogen, der heißt auch Sebastian Lehmann. Vielleicht kennst du den ja?«

»Klar!«, sage ich. »Und du kennst wahrscheinlich alle Mütter auf der Welt oder was?«

»Wieso denn das?«

»Wir Sebastian Lehmänner gehören tatsächlich einem weltumspannenden Geheimbund an, den Lehman Brothers.«

»Ach, jetzt hör auf! Ist doch wirklich lustig, dass der neue Nachbar so heißt …«

»Was für ein Zufall! Ihr habt mir wahrscheinlich den langweiligsten und am meisten verbreiteten Namen überhaupt verpasst.«

»Was motzt er denn schon wieder rum?«, ruft mein Vater von hinten ins Telefon.

»Jetzt wirft er uns auch noch vor, dass wir ihm einen langweiligen Namen gegeben haben«, sagt meine Mutter zu meinem Vater.

»Wieso?«, fragt mein Vater, »So viele Stefan Lehmann gibt’s doch gar nicht.«

»Er heißt doch aber Sebastian«, sagt meine Mutter.

»Wie auch immer«, brummt mein Vater

»Ich habe mal nachgeschaut: In meinem Geburtsjahr war Sebastian auf Platz 3 der beliebtesten Vornamen«, sage ich. »Da wart ihr echt kreativ. Platz zwei war übrigens Stefan, Papa. Und auf dem ersten Platz stand Christian. Aber den Namen hattet ihr ja schon für meinen Bruder verwendet.«

»Dein Bruder war halt schon immer die Nummer 1«, sagt meine Mutter.

»Sehr nett. Sebastian ist trotzdem total langweilig. Das passt gar nicht zu so einem besonderen Menschen, wie ich es bin.«

»Ja, speziell bist du schon …«

»Sebastian Lehmann – das ist, wie wenn in eurer Generation jemand Hans Meier heißt.«

»War der nicht mal Fernsehmoderator?«, fragt meine Mutter.

»Nee, der hieß Hans Meiser. Der Name ist nicht ganz so langweilig.«

»Würdest du lieber Hans heißen?«

»Nein, ich meine den Nachnamen …«

»Sebastian Meiser?«

»Mama!«

»Wenn du mal eigene Kinder hast, dann kannst du ihnen ja einen ausgefallenen Namen geben«, sagt meine Mutter. »Aber das wird ja so bald eh nichts.«

»Traut ihr mir etwa nicht zu, ein Kind zu haben?«

»Mit einem Kind ist das nicht so wie mit dem Studium. Das kann man nicht einfach hinschmeißen, wenn es einem nicht mehr gefällt.«

»Ich habe mein Studium doch gar nicht hingeschmissen. Wie oft soll ich dir das noch sagen? Ich bin Magister der Literatur, Philosophie und Geschichte.«

»Oje, das ist ja noch schlimmer.« Meine Mutter stöhnt auf.

»Jedenfalls würde ich meinem Kind einen ausgefallenen Vornamen geben, damit der langweilige Nachname etwas abgemildert wird«, sage ich. »Vielleicht was Griechisches: Agamemnon Lehmann? Klytämnestra Lehmann? Oder Ödipus Lehmann?«

»Das arme Kind!«

»Alliterationen finde ich auch gut«, sage ich. »Lisa-Ludmilla Lehmann zum Beispiel. Lucifer Lehmann. Oder auch: Lenin Lehmann.«

»Was redet er da schon wieder?«, fragt mein ­Vater.

»Welchen Namen er seinem Kind geben würde …«

»Wie wär’s mit Sebastian?«, schlägt mein Vater vor. »Das klingt doch gut: Sebastian Lehmann. So würde ich auch mein Kind nennen.«

Ich lege auf, indem ich mir den Telefonhörer an die Stirn schlage.

5. Die Waschmaschine

»Was ist denn das für ein Geräusch im Hintergrund?«, fragt meine Mutter verwundert.

»Meine Waschmaschine ist kaputt«, sage ich.

»Ich verstehe dich ja kaum, so laut scheppert da etwas bei dir«, ruft sie noch lauter als sonst.

Ich schalte die Waschmaschine aus. »Ja, das Ding funktioniert nicht mehr.«

»Ach, deswegen siehst du immer so abgeranzt aus.«

»Mama, wie bist du denn drauf?«

»Und die Frisur erst!«, ruft mein Vater.

»Immerhin hat er im Gegensatz zu dir noch Haare«, sagt meine Mutter zu meinem Vater.

»Manchmal bist du echt eine krass coole Bitch, Mum«, sage ich.

»Was bin ich?«

»Das ist Jugendsprache. Das sagen die Kids heutzutage, wenn sie jemanden total gut finden.«

»Warum kaufst du dir denn keine neue Waschmaschine?«, fragt meine Mutter.

»Waschmaschinen sind soooo teuer«, sage ich. Dabei winke ich mit einem Zaunpfahl. Eltern-Voodoo nenne ich das. Ich besitze auch eine kleine Puppe in der Gestalt meines Vaters, aus deren Hosentasche ich Mini-Geldscheine ziehe, wenn ich pleite bin. Bis jetzt hat das allerdings noch nicht so gut funktioniert, vielleicht sollte ich das Konzept mal überdenken. »Außerdem ist meine Waschmaschine noch gar nicht alt.« »Diese neuen Produkte gehen immer schneller kaputt«, sagt mein Vater. »Früher war das noch anders, unser erstes Telefon hat dreißig Jahre gehalten. Das musste man damals von der Post mieten, war wirklich ganz einfach, man brauchte nur drei Anträge auszufüllen, die beglaubigten Geburtsurkunden aller Haushaltsmitglieder einzureichen und musste dann sechs Wochen warten.«

»Das ist ja fast so einfach wie bei O2«, sage ich.

»Wie viele Handys hattest du schon in deinem Leben, Sohn?«

»Was weiß ich … zehn oder zwölf vielleicht?«

»Siehst du!«, ruft mein Vater triumphierend. »Heutzutage ist ja nichts mehr von Bestand.«

»Früher waren das noch nicht so hochkomplizierte Geräte, Papa. Mit so einem alten Posttelefon konnte man nur telefonieren. Ich benutze mein Smartphone als Navi im Auto, schreibe darauf E-Mails und schaue Serien.«

»Auf meinem Handy kann man das aber nicht«, beschwert er sich.

»Man kann das schon«, sage ich, »nur du kannst es nicht.«

»Bei meinem Handy gehen die Videos nur noch ganz langsam«, mischt sich meine Mutter ein. »Dabei ist es ganz neu.«

»Das ist doch schon zwei Jahre alt.«

»Ja, eben, ganz neu!«

»Meine Uhr ist vierzig Jahre alt«, meldet sich wieder mein Vater zu Wort. »Und funktioniert immer noch.«

»Die geht doch total nach«, sage ich.

»Nö, nur eine Minute. Für jedes Jahr. Aber was sind schon vierzig Minuten?«

»Vierzig Minuten sind eine Folge Breaking Bad«, sage ich. »Oder zehn Tweets von Donald Trump. In vierzig Minuten kann ein Weltkrieg ausbrechen, wenn Trump aus Versehen Pingpong mit Pjöngjang verwechselt.«

»Gerade haben wir noch einen Videorekorder gekauft«, sagt mein Vater. »Und jetzt gibt’s nur noch diese DVDs.«

»Eigentlich gibt’s jetzt nur noch Blue Ray.«

»Ist das ein amerikanischer Blues-Musiker?«, fragt mein Vater.

»Das kann doch nicht gut sein, wenn alles nach ein paar Tagen schon veraltet ist«, sagt meine Mutter.

»Veränderung ist nicht per se gut oder schlecht. Man muss immer erst mal schauen, wer davon profitiert.«

»In diesem Fall Steve Jobs«, ruft meine Mutter und wirft ihr Handy in den Müll.

»Der ist doch auch schon tot«, sage ich.

»Immerhin«, murmelt sie.

»Warum schmeißt du das Handy weg?«, fragt mein Vater meine Mutter. »Das war doch noch gut!«

»Jedenfalls brauchst du dringend eine neue Waschmaschine, damit du nicht immer so abgeranzt aussiehst«, fängt meine Mutter schon wieder an. »Was sagt denn deine Freundin dazu?«

»Die findet das gut. In Berlin ist das nämlich total hip, alle sehen hier so aus. Das nennt sich Vintage-Chic.«

»Du immer mit deinem Berlin«, sagt meine Mutter. »Da sind bestimmt alle voll die coolen Bitches.«

»Vorsicht! Mit dem Begriff musst du sparsam umgehen. Manche Leute könnten ihn auch als Beleidigung auffassen. Sag das lieber nicht zu der Kassiererin im Supermarkt oder zu den alten Damen in der Kirche. Obwohl die das wahrscheinlich ohnehin nicht verstehen würden … Nicht mal in Berlin.«

»Wir haben da noch eine Waschmaschine im Keller, die wir nicht mehr brauchen«, ruft mein Vater. »Die kannst du das nächste Mal, wenn du bei uns in Freiburg bist, mit nach Berlin nehmen.«

»Im ICE?«, frage ich.

»Die Maschine läuft noch einwandfrei«, lässt er sich nicht beirren. »Ist noch ein gutes, altes Modell und hat kaum Macken. Man kann nur keine hellen Sachen waschen, weil die immer rostfarben werden. Und keine dunklen Sachen, weil die dann ausbleichen.«

»Klingt gut, Papa«, sage ich und haue mit dem Zaunpfahl auf die Vaterpuppe.