Mit falschem Stolz - Andrea Schacht - E-Book

Mit falschem Stolz E-Book

Andrea Schacht

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Beschreibung

Spannende Unterhaltung im farbenprächtigen historischen Köln!

Ivo vom Spiegel hatte ihm die Rückkehr nach Köln untersagt – und doch kommt Arndt van Doorne wieder, um seine Beteiligung an einem Hurenhaus zu kassieren. Er bezahlt dafür mit dem Leben. Als neben seiner Leiche Mats Schlyffers mitsamt einem blutigen Messer gefunden wird, ist für den Schöffen Endres Overstoltz klar: Der Mörder ist der Messerschleifer. Doch der kann sich an nichts erinnern, und es gibt eine ganze Reihe weiterer Verdächtiger, die Arndt auf dem Gewissen haben könnten. Alyss beginnt zu ermitteln und bringt eine ungeheuerliche Wahrheit ans Licht …

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Seitenzahl: 439

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Andrea Schacht

Mit falschem Stolz

Historischer Roman

1. Auflage

Taschenbuchausgabe März 2013 bei Blanvalet Verlag, München,

einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH

© 2012 by Blanvalet Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Dr. Rainer Schöttle

Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Bridgeman Art Library und akg-images

lf ∙ Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-08484-4

www.blanvalet.de

Dramatis Personae

Alyss – siegelführende Händlerin und Herrin über ein vielfüßiges Hauswesen, das sie mit leichter Hand zu zähmen weiß.

Marian – Alyss’ Zwillingsbruder, der allmählich merkt, dass er sich seinen Verpflichtungen nicht entziehen kann.

Das Hauswesen

Arndt van Doorne – Alyss’ Ehemann, den das gerechte Schicksal ereilt.

Merten van Doorne – Arndts Stiefsohn, der sich mehr und mehr dem Hauswesen anpasst.

Hilda – die Haushälterin, die ein strenges Auge auf die Herrin des Hauses hat.

Peer – Handelsknecht, der ein begehrliches Auge auf die Haushälterin wirft.

Leocadie – Alyss’ schöne Base, die sich in der Liebe ihres Ritters sonnt.

Frieder und Lauryn – Geschwisterpaar, das bereit ist, allerlei Neues zu lernen.

Hedwigis – Alyss’ Base, die ihre Liebe zum Pelzwerk pflegt.

Tilo – Alyss’ junger Vetter, der kuhäugige Verehrung gegen eine verantwortungsvolle Zuneigung tauscht.

Magister Hermanus – der ehemalige Hauspfaff, der eine Läuterung erfahren hat.

Malefiz – schwarzerKater, Hüter des Weingartens.

Benefiz – Spitz, der schwanzlose Hüter des Hauswesens.

Jerkin – ein weißer Jagdfalke, der sich mit seinem Heim abgefunden hat.

Herold – ein schwarzer Hahn, der seinem Hühnervolk mit lauter Stimme vorsteht.

Gog und Magog – Ganter, Gänse und ein paar Gössel, die der Bratröhre bisher knapp entgangen sind.

Freunde, Bekannte, Verwandte, Feinde

John of Lynne – englischer Tuchhändler, der zu Kniefällen bereit ist und auch andere dazu überreden kann.

Catrin von Stave – Alyss’ und Marians Ziehschwester, eine eben gerade sprachlose Begine.

Mats Schlyffers – Messerschleifer mit Wolfsrachen, dem man unsachgemäßen Gebrauch seiner Werkzeuge unterstellt.

Gislindis –– Mats’ Tochter, die Worte finden muss.

Fredegar von Sechtem – Ritter und Freund der Familie vom Spiegel.

Gebrüder Brouwer – Richwin und Wynand, Pelzhändler.

Mechtild – Tilos Mutter und Johns verständnisvolle Gastgeberin.

Arbo von Bachem – Ritter von hohem An- und edlem Aussehen, Leocadies Verlobter.

Magister Jakob – Notarius, der durch seine Augengläser allerlei scharfsichtig beobachtet.

Pater Henricus – Franziskaner, der zu salbungsvollen Predigten an unpassenden Stellen neigt.

Pitter – Bader und ein Mann mit vielen Freunden, die zusammenstehen.

Susi – Pitters Schwester und Baderin.

Franziska und Simon – die Adlerwirte mit der Lizenz zum Brauen.

Trine und Jan van Lobecke – geschäftige Apotheker mit wachsamen Ohren und insbesondere Trine mit einer empfindsamen Schnüffelnase.

Lore – Päckelchesträgerin, die auf Köchin umlernt und dabei manche Dummheit begeht.

Caspar van Mechelen – ein armer Student, der zu Geld kommt.

Endres Overstoltz – ein überaus stolzer Schöffe.

Anton Scriver – ein Handlanger.

Wynfrida – Eselswirtin.

Und natürlich dürfen nicht fehlen

Almut und Ivo vom Spiegel – Alyss’ und Marians liebende Eltern.

Vorwort

Man bemühte sich um Gerechtigkeit, auch im Mittelalter. Verbrechen mussten aufgeklärt, Schuldige bestraft werden. Die Methoden waren schlichter als heute, hier und da auch radikaler, aber dass jeder Gefangene gefoltert wurde, bis er seine Untat gestand, entspricht nicht der Wahrheit.

Gerade in Köln gab es zu der Zeit, in der Alyss ihrem Hauswesen vorstand, bereits ein differenziertes Rechtswesen. In dem spielten die Schöffen eine maßgebliche Rolle. Sie standen dem Richter bei der Urteilsfindung zur Seite und mussten daher von angesehenem Stand sein. Ein Anwärter auf das Amt musste mindestens vierundzwanzig Jahre alt sein, frei von körperlichen Fehlern, unbescholten und ehelich geboren. Kurzum, man kam aus den besten Familien. Eine juristische Ausbildung hingegen war nicht erforderlich, diese Voraussetzung setzte sich erst nach und nach durch.

Und natürlich war das Schöffenamt begehrt, denn man genoss Ansehen und Einkünfte. Die man sich aber verdienen musste. Daher unterteilte sich das Schöffenkollegium in Schöffenbrüder und eigentliche Schöffen. Die Schöffenbrüder waren die Auszubildenden, aus denen die eigentlichen Schöffen ihren Nachwuchs wählten. Der Kandidat musste dann vom Erzbischof »gewäldigt«, im Amt anerkannt werden und lud anlässlich dieser Ernennung seine Schöffenkollegen zu einem gewaltigen Essen ein.

Die gewählten Schöffen wiederum unterteilten sich in verdiente und unverdiente Schöffen, wobei Erstere das Amt bereits ausgeübt hatten und dafür ihre Einkünfte erhielten, während Letztere noch als »Nachrücker« auf ihren Einsatz warteten.

Nach der großen Umwälzung Ende des 14. Jahrhunderts, die mit der Unterzeichnung des Verbundbriefes besiegelt wurde, war es auch für gewöhnliche Kölner Bürger möglich, in das Schöffenamt gewählt zu werden, aber schon bald versammelten sich hier doch wieder die Mitglieder der alten Geschlechter – der Patrizierfamilien. Das Wort Klüngel soll hier nicht fallen.

Die Aufgabe der Schöffen war es vor allem, durch Befragung der Angeklagten die Umstände einer Tat herauszufinden, Zeugen zu vernehmen, Tatorte zu besichtigen und Berichte zu verfassen, die dem Richter die Urteilsfindung erleichterten.

Und Essen zu geben.

Bei allen möglichen Gelegenheiten.

1. Kapitel

Müde, doch auch zufrieden zog Catrin sorgsam die Decke über die schlummernde Mutter und ihr neugeborenes Kind und strich der jungen Frau die verschwitzten Locken aus der Stirn. Die Entbindung war ein harter, den ganzen vorigen Tag und die ganze Nacht andauernder, bisweilen blutiger Kampf gewesen.

»Ein hübsches, gesundes Mädchen«, flüsterte sie, und der Gaffelführer der Wollenweber, Meister Albrecht, nickte. Auch er wirkte erschöpft, doch er lächelte auf sein Weib und sein Kind nieder.

»Dank Euch für Euren Beistand, Frau Begine.«

»Eine Arbeit, Meister Albrecht, die ich gerne verrichte. Ein neues Leben ans Licht der Welt zu holen, ist jede Anstrengung wert. Aber nun will ich heimkehren. Mir fallen bald die Augen zu.«

»Ich begleite Euch, Frau Catrin.«

»Nein, nein, es ist ja nur eine Straßenecke weiter. Bleibt hier bei Eurer neuen Familie.«

Sie sah ihm an, dass er genau das lieber tun würde, und sie selbst zog es vor, die wenigen Schritte alleine durch den anbrechenden Morgen zu gehen und ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Ein gut gefüllter Geldbeutel wurde ihr in die Hand gedrückt, und leicht schwankend vor Müdigkeit verließ Catrin das Haus, ohne die fleckige Schürze abzunehmen.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber es wurde bereits hell, und die ersten Morgensänger zwitscherten in den Gärten. Zwei wohlgenährte Katzen schlenderten vor Catrin durch die Gasse, ganz selbstbewusste Herren ihres Reviers.

Die kühle Herbstluft – der leichte Geruch von faulen Äpfeln und gärendem Wein schwebte darin – belebte ihre Sinne wieder, und sie beschloss, statt umgehend, wie es sich gehört hätte, den Konvent am Eigelstein aufzusuchen, der ihr seit Jahren ein trautes Heim war, noch ein kleines Stück weiter zu den Weingärten zu wandern, wo die letzten reifenden Trauben an den Rebstöcken hingen. Bislang war sie noch keiner Menschenseele begegnet, und die Stille, die über der Stadt lag, tat ihr wohl. Ihre Gedanken wanderten von der nächtlichen Geburt fort, ziellos von hier nach da, und verweilten für einen Moment an dem Wunsch, selbst ein Kind zu haben. Traurigkeit senkte sich über sie. Es war ihr verwehrt. Durch eigene Schuld. Es hatte Männer gegeben, die um ihre Hand angehalten hatten – sie hatte sie abgelehnt und trotzig das Leben im Konvent der Beginen gewählt. Einen hatte es gegeben, der ihr Herz berührt hatte, ihm hatte sie allerdings aus Schüchternheit nie ihre Gefühle gezeigt. Und dann war es plötzlich zu spät gewesen.

Entsetzt stellte Catrin fest, dass sie genau zu der Stelle in den Weingärten gewandert war, an der man vor zwei Jahren Robert van Doorne erschlagen aufgefunden hatte. Ihre Hand krampfte sich um den Stoff der Schürze, und sie wollte sich abwenden. Ein leises Stöhnen jedoch hielt ihre Bewegung auf. Entsetzliche Bilder stiegen vor ihren Augen hoch – Robert in seinem Blut, verwundet, hilflos.

Sie folgte dem Geräusch, und was sie erblickte, war weit schlimmer als das, was ihr ihre Erinnerungen vorgegaukelt hatten.

Sie wollte schreien, doch ihr Mund blieb stumm. Ihre Hände zerrten an dem starken Leinen ihrer Schürze, rissen Fetzen heraus. Und noch immer kam kein Laut aus ihrer Kehle.

So entdeckte sie der Rübenbauer, und als er die beiden Männer zu ihren Füßen sah, brüllte er: »Mörder, Diebe! Holt die Wachen! Holt die Wachen!«

Fensterläden sprangen auf, Türen wurden geöffnet, und der Ruf »Holt die Wachen! Holt die Wachen!« setzte sich durch die Gassen fort bis zum Eigelsteinturm.

2. Kapitel

Alyss streckte sich genüsslich im Bett aus und blinzelte kurz zum Fensterladen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und Herold, der martialische Hahn, schien noch den Kopf in die Federn zu stecken. Sie knautschte die dicke Daunendecke und wollte noch einmal in tiefen Schlaf sinken. In diesem Moment erschütterte ein Beben das Bett, und mit einem Maunzen landete Malefiz, der Hofkater, auf ihrer Brust.

»Mhm?«

»Mirrrr!«

»Na gut.«

Sie umfasste sein rabenschwarzes Hinterteil. Malefiz schnurrte, laut und ausgiebig.

Alyss lachte leise und dämmerte über dem gemütlichen Geräusch aus seiner Katerkehle wieder ein.

Herolds Weckruf riss sie jedoch bald wieder aus den Träumen – was sie bedauerte, denn es waren angenehme Träume, in denen ein gewisser englischer Handelsherr eine Rolle gespielt hatte. Anders als früher schüttelte sie den Gedanken an John of Lynne nun nicht mehr ab. Es mochte nicht richtig sein, sich die Sehnsucht nach ihm einzugestehen, denn sie galt noch immer als ein verheiratetes Weib. Aber seit ihr Vater, Ivo vom Spiegel, ihren Gatten der Stadt verwiesen hatte und die Möglichkeit der Eheauflösung in eine denkbare Nähe gerückt war, hatte sie begonnen, ganz leise Hoffnungen zu hegen. Sicher war, dass John eine Neigung zu ihr gefasst hatte. Und vielleicht war er auch wirklich nicht der Windbeutel, den vorzugeben er sich vom ersten Tag ihrer Bekanntschaft an Mühe gegeben hatte.

Alyss reckte sich, Malefiz protestierte leise, drehte sich auf den Rücken und präsentierte ihr seinen Bauch. Gehorsam kraulte sie ihn. Der Kater war gewöhnlich ein unnahbarer Herr, der eher die Krallen einsetzte als die Samtpfoten. Aber in diesen stillen, traulichen Momenten ließ er es zu, dass Alyss ihn koste. Sacht nahm er ihre streichelnde Hand zwischen die Vorderpfoten und leckte ihr die Finger ab. Das Grummeln in seiner Kehle schwoll an.

Und brach ab, als ein weiterer Hausgenosse mit einem Satz und einem fordernden Winseln auf der Decke landete.

»Benefiz!«, sagte Alyss vorwurfsvoll, und Malefiz, sofort auf den Beinen, den Schwanz gesträubt, gab ein warnendes Fauchen von sich.

»Klöff«, meinte der schwanzlose Spitz und schaute beide mit treuherzigen Augen an.

Draußen im Hof führte Herold seinen krähenden Chor an, klapperte Hilda mit den Eimern am Brunnen, Mädchenstimmen giggelten über irgendetwas Spaßiges, und die schrille Stimme der Gänsehirtin Lore ergoss blumige Beschimpfungen über Gog und Magog, die heidnischen Gänsevölker, die sich um drei Gössel vermehrt hatten.

Es war höchste Zeit, aufzustehen und sich den Tagespflichten zu stellen.

In der Küche dampfte es aus dem großen Kessel, als sie eintrat, und Leocadie, Alyss’ schöne junge Base, schnipselte mit verträumtem Gesicht Äpfel klein, die über den Morgenbrei gegeben werden sollten. Lauryn, die zweite der drei Jungfern, die Alyss in ihrem Hauswesen aufgenommen hatte, um sie zu guten Wirtschafterinnen auszubilden, brachte einen Korb Eier herein und setzte ihn vorsichtig auf dem Tisch ab.

»Ich hab den Falken gefüttert«, bemerkte Lauryn trocken.

Leocadie schreckte auf und errötete.

»Oh, danke.«

»Leocadie, es gehört zu deinen Pflichten, dich um den Vogel zu kümmern. Es ist ein kostbares Tier. Deine Träumereien von einem edlen Ritter dürfen nicht dazu führen, dass du den Falken vernachlässigst.«

Alyss sprach streng mit dem jungen Mädchen, wenngleich sie sogar ein wenig Verständnis für sie hatte. Auch sie war in der letzten Zeit hin und wieder von Tagträumen heimgesucht worden. Aber ein großes Haus und ein Geschäft zu führen, verlangte beständige Aufmerksamkeit, und wenn Leocadie erst mit Ritter Arbo von Bachem verheiratet war, würde sie einem weit größeren Anwesen vorstehen als dem Haus eines Weinhändlers.

»Verzeiht, Frau Alyss. Ich werde Jerkin nachher gleich aufsteigen lassen.«

»Nach unserem Besuch bei den Brouwers, Leocadie.«

Hedwigis, die Dritte im Bunde der Jungfern, betrat die Küche mit einer Kanne Milch und nahm die letzten Worte mit einem gierigen Funkeln in ihren Augen auf.

»Wir besuchen die Pelzhändler, Frau Alyss?«

»Ich habe mit ihnen verabredet, dass wir heute Vormittag die Pelze für Leocadies Brauttruhe aussuchen können. Sie haben eine neue Ladung aus dem Osten bekommen und mir versprochen, die schönsten Stücke für uns zur Seite zu legen.«

»Nur für Leocadie?«

»Leocadie ist diejenige, die heiraten wird, Hedwigis.«

»Man kann sich doch auch an dem Anblick erfreuen«, meinte Lauryn. Sie hatte eine vernünftige Art und war so uneitel, wie Hedwigis eitel war.

Tilo, der Sohn von Alyss’ Tante Mechtild und ihrem Gatten, dem Tuchhändler Reinaldus Pauli, polterte die Treppen hinunter, begleitet von dem ihn fröhlich umtänzelnden Benefiz. Und durch die Tür zum Hof kam Lore gestürzt und landete schliddernd vor dem langen Küchentisch.

»Gibt’s noch was zu essen?«, keuchte sie.

Hilda, die Haushälterin, musterte das spillerige Mädchen missmutig.

»Natürlich gibt es noch etwas zu essen. In diesem Haus gibt es immer etwas zu essen!«

Alyss unterdrückte ein Kichern, das in ihrer Kehle aufzusteigen drohte, und setzte ebenfalls eine gestrenge Miene auf.

»Ja, aber nur für Mädchen mit sauberer Schürze und gewaschenen Händen.«

»Dann kriegt der Tilo nix!«

»Und du Göre erst recht nicht«, gab der drauf und zupfte zwei Entenfedern von Lores schmuddeligem Kittel. »Wird mal wieder Zeit für ein Bad.«

»Wasser is unjesund fürn Leib!«

»Nur innerlich«, korrigierte Lauryn. »Frau Alyss, wir stecken diesen übelriechenden kleinen Schmutzlappen nachher in die Pferdetränke und schrubben ihn mit Bimssteinen ab.«

»Das macht ihr nicht, das ist gotteslästerlich. Das ist …«

»Wolltest du etwas zu essen haben, Lore?«

Das Gekeife verstummte. Unter ihren kurzen roten Locken schielte Lore zu Alyss auf. »Aber nich in der Pferdetränke, Frau Herrin. Da nich.«

»Im Zuber, mit heißem Wasser. Ich achte drauf, Herrin«, ließ sich Hilda vernehmen, füllte einen Napf reichlich mit Brei und gab ebenfalls reichlich Sahne und Honig darüber. Dann schob sie ihn der Gänsehirtin zu, und Leocadie krönte das Ganze noch mit einer Handvoll Apfelschnitze. Das stopfte das kleine Giftmäulchen, und einigermaßen manierlich faltete Lore die Hände und wartete, bis alle anderen auch ihre Schalen gefüllt hatten.

Die Beginen hatten einen guten Einfluss auf das Kind aus der Gasse, dachte Alyss und widmete sich ebenfalls ihrem Brei. Drei Tage in der Woche besuchte Lore inzwischen den Konvent am Eigelstein, lernte höchst unwillig das Alphabet und sehr willig, der dortigen Köchin zur Hand zu gehen. Es hatte einige Kämpfe gekostet, die Päckelchesträgerin dazu zu überreden, aber inzwischen hatte sie sich mit der Beschneidung ihrer Freiheit abgefunden. Catrin, Alyss’ Ziehschwester, die als Begine lebte, hatte ihr berichtet, dass Lore sich in der Küche durchaus geschickt anstellte, und das Rechnen mit Schock und Mandel, Maß und Scheffel, Unze und Pfund lernte sie dabei geradezu spielerisch. Die Münzen kannte sie sowieso schon immer, und gieriges Feilschen lag ihr im Blut.

Sie hatten den Tisch eben abgeräumt, als Merten an der Vordertür klopfte. Hilda ließ den Stiefsohn des abwesenden Hausherrn mit der üblich mürrischen Miene ein, aber Alyss begrüßte ihn mit einem freundlichen Kopfnicken.

»Du hast Abrechnungen für mich dabei?«

»Ja, Frau Alyss. Und neue Aufträge.«

Seit einigen Monaten lieferte Merten ihren Wein an auswärtige Kunden, und bisher schien er recht erfolgreiche Geschäfte zu tätigen. Es überraschte Alyss noch immer, dass er mit einem solchen Ernst bei der Sache war, denn seit sie ihn kannte, hatte er ein Leben als Tagedieb geführt, der auf Kosten seines Stiefvaters lebte und sich meist mit den Gecken in der Stadt und vor den Toren herumtrieb. Immerhin hatten ihm diese Beziehungen gute Adressen beschert, an die er den süffigen Pfälzer Wein verkaufte, den Alyss von den Winzern am Rhein bezog.

»Tilo, begleite uns ins Kontor. Ihr Jungfern fegt die Kammern und macht die Betten. Lange werden wir nicht brauchen, dann brechen wir zu den Brouwers auf.«

»Ja, Frau Alyss«, ertönte es im Chor.

Sie ging voraus, und Tilo folgte mit Merten.

»Feines Wämschen, das«, hörte sie den Tuchhändlersohn sagen, und als sie sich umdrehte, sah sie, wie Tilo den Stoff der eng auf Mertens Figur geschneiderten Jacke zwischen den Fingern rieb. Merten legte schon immer Wert auf seine Kleidung und scheute auch nicht vor übertriebenem Zierrat zurück. Seine Schuhe hatten lange Schnäbel, seine Beinkleider prunkten in blauen und weißen Streifen, unter dem rotbraunen Wams quollen die Ärmel eines blütenweißen Hemdes hervor.

»Vom hart verdienten Lohn erworben«, antwortete Merten fröhlich und holte ein ledergebundenes Buch hervor.

Gemeinsam gingen sie die Posten durch, Alyss klapperte mit dem Abakus, Tilo machte säuberliche Eintragungen in dem Registerband, in dem die geschäftlichen Abwicklungen dokumentiert wurden, dann übergab Merten den Beutel mit den Münzen, und Alyss setzte ihr Siegel auf die Quittung für das erhaltene Geld.

»Geh mit Peer und Tilo die neuen Lieferungen durch, und lass die Fässer zur Seite stellen«, sagte sie schließlich und erhob sich. »Ich muss mit den Jungfern zum Alter Markt.«

»Natürlich, Frau Alyss. Tilo sag, gibt es Neuigkeiten von Frieder und Master John?«

»Wir haben keine Nachrichten, aber ich bin sicher, dass sie zur Herbstmesse nächste Woche zurück sein werden, nicht wahr, Frau Alyss?«

Sie nickte.

»Und von meinem Vater?«

Alyss maß ihren Stiefsohn mit einem langen Blick.

»Ich habe nichts von ihm gehört«, antwortete sie gleichmütig, und Merten hob die Schultern, so, als sei das auch ihm gleichgültig.

Vielleicht war es das auch, dachte Alyss.

Die Gebrüder Brouwer – Richwin und Wynand, wie Alyss inzwischen herausgefunden hatte – waren zwei angesehene Pelzhändler, mit denen sie im vergangenen Jahr in Geschäftsbeziehung getreten war. Da sie ihre Weine aus der Pfalz bezog, hatte es sich angeboten, Rauwaren auf dem Weg nach Speyer mitzunehmen, wo sie sie mit einem stattlichen Gewinn verkaufen konnte. Beide waren angenehme Männer, ehrlich und kenntnisreich auf ihrem Gebiet. Richwin, der ältere, war mit einer zurückhaltenden jungen Frau aus Riga verheiratet, Wynand – er mochte eben Anfang dreißig sein – war noch unbeweibt.

Die beiden Händler begrüßten Alyss und ihre kleine Schar ausgesprochen zuvorkommend, und nachdem sie eine prächtige Auswahl an edlen Pelzen begutachtet hatten und Leocadie – von unfehlbar gutem Geschmack – sich für einige Fuchs-, Hermelin- und Marderfelle entschieden hatte, lud Wynand die Käuferinnen zu einem Glas Wein ein, das Alyss im Namen der Jungfern annahm. Sie hatte ihre Gründe, sich noch weiter mit den Pelzhändlern zu unterhalten, und wandte sich an Richwin.

»Für dieses Jahr sind meine Geschäfte mit Speyer abgeschlossen, Meister Richwin, aber im nächsten Frühjahr will ich wieder ein paar Fässer weißer Pelze mitnehmen.«

»Wir werden darauf achten, Frau Alyss. Und sollte ein Fässchen von diesem köstlichen Rheinwein den Weg zu uns finden, werden wir sicher auch einen guten Preis für Euch machen.«

»Das Fässchen sollt Ihr schon nächste Woche haben – ich nehme nicht nur Pelze, sondern auch Geld dafür.«

Richwin nickte lächelnd.

»Ohne Zweifel, Ihr seid eine harte Verhandlungspartnerin.«

Es war ein nicht ganz ernstes Gespräch. Sie schätzten einander und verstanden ihre gegenseitigen Interessen.

»Wie macht sich Euer neuer Gehilfe, Meister Richwin?«

Der Hauspfaff, der, wie sich herausgestellt hatte, gar kein Pfaffe war, hatte nach einem schrecklichen Herzeleid eine Wandlung durchgemacht und arbeitete nun als Schreiber im Kontor der Brouwers.

»Hermanus zeigt sich gewissenhaft, das muss ich sagen. Er mag gelegentlich recht schwülstig daherreden, aber er hat eine gute Hand für Pelze, und wenn er auch mit Zahlen nicht sehr geschickt umgeht, so macht seine präzise Schrift das wieder wett. Noch nie waren unsere Geschäftsbücher so lesbar und sauber geführt.«

»Das freut mich zu hören. Richtet ihm aus, dass er wieder einmal zu uns zum Essen kommen soll. Mein Hauswesen würde gerne seine Erlebnisse von der Pilgerfahrt hören.«

»Seid Ihr sicher?«

»Doch, ja. Oh, er verbreitet sich bei Euch oft darüber.«

»Weitschweifig. Mein Weib, ihre langmütige Seele sei gepriesen, weiß sich bald keinen Rat mehr.«

»Man kann ihm ganz einfach sagen, dass er den Mund halten soll. Und wenn man gleichzeitig etwas zu essen vor ihn stellt, wirkt das umgehend.«

»Ich will ihr diesen Vorschlag unterbreiten.«

Sie tauschten noch ein paar Neuigkeiten aus, plauderten über die anstehende Messe, und schließlich blickte Alyss zu ihren drei Schützlingen, die sich eifrig mit Wynand unterhielten. Hedwigis, so fiel ihr auf, hatte leicht gerötete Wangen und strahlende Augen. Ein böser Verdacht kam Alyss – schon einmal hatte das Mädchen sich verliebt und dabei die übelsten Seiten seines Charakters offenbart.

»Ihr schaut beunruhigt, Frau Alyss?«, fragte Richwin leise.

»Je nun, Euer Bruder scheint die Mädchen zu entzücken. Das ist nicht ganz ungefährlich.«

»Ihr habt recht, Frau Alyss, wir Männer sind gefährliche Geschöpfe. Und ausgerechnet Wynand möchte sich an mir ein Beispiel nehmen und sich alsbald ein Weib suchen.«

»Er wird ihnen die Köpfe verdrehen.«

»Schwerlich der Jungfer Leocadie, und Eure Lauryn scheint mehr an dem Pelzgeschäft interessiert als an ihm.«

»Mhm. Eigentlich schade. Lauryn ist ein Mädchen von großem Verstand.«

»Und Hedwigis eine Tochter aus angesehenem Hause.«

»Ist ihm das wichtig?«

»Nein, Frau Alyss. Soweit ich meinen Bruder kenne, sucht er ein Weib, das ihm eine gewisse Zuneigung entgegenbringt. Würde es Euch sehr stören, wenn er seine Bekanntschaft mit der jungen Hedwigis vertiefen wollte?«

Alyss zauderte einen Augenblick. Hedwigis konnte sehr hochnäsig auftreten und hatte einigen Dünkel, an dem ihre Mutter nicht ganz unschuldig war. Doch die letzten Monate hatte sie sich sehr gebessert. Eigentlich wäre es gar keine so schlechte Idee …

»Nein, es würde mich nicht stören, aber sollte Euer Bruder wirklich ernsthaft eine Verbindung in Erwägung ziehen, wäre es angebracht, das Gespräch mit ihrem Vater, dem Baumeister Bertolf, zu suchen.«

»Ich werde ihn darauf hinweisen.«

Alyss erhob sich und gab den Jungfern einen Wink mit der Hand. Gehorsam erhoben sie sich, dankten artig für die Gastfreundschaft und wurden von den Gebrüdern Brouwer zur Tür geleitet. Auf dem Heimweg fühlte sich Alyss ein wenig wie Lore, die eine Schar schnatternder Gänse vor sich herscheuchte.

3. Kapitel

Mochte Lore auch der Meinung sein, dass Wasser schädlich für den Leib sei – viele andere teilten diese Ansicht nicht. Pitters Badehaus an der Marspforte erfreute sich einer reichlichen und reinlichen Kundschaft. In der Schwitzkammer lagen frische Reisigbündel bereit, in großen Zubern, gefüllt mit heißem Wasser, konnte man leichte Mahlzeiten und kühlen Wein zu sich nehmen. Allerlei Gespräche heiterer, aber auch ernsthafter Art wurden geführt, denn vor allem Händler und ehrliche Handwerker, Männer wie Frauen, suchten das Badehaus auch auf, um Neuigkeiten auszutauschen und das eine oder andere Geschäft in entspannter Stimmung in die Wege zu leiten. In einem Nebenraum wurden eifrig stoppelige Männerwangen geschabt und, wenn nötig, kleine Operationen ausgeführt. Pitter selbst war ein kundiger Barbier, seine Kunst sehr gefragt. Seit Kurzem beschäftigte er einen gelehrigen Gehilfen, der es verstand, gewandt mit den scharfen Messern umzugehen. Lediglich die Tatsache, dass er sein Gesicht ständig unter einer tief in die Stirn gezogenen Gugel verbarg, machte einige Kunden misstrauisch. Dennoch hatte es sich herumgesprochen, dass er weit unblutiger barbierte als viele seiner Kollegen und sich auch mit der Pinzette geschickt der schmucken Bärtchen annahm, die mancher Geck gerne zur Schau stellte. Maulfaul war er allerdings, was aber nicht so unangenehm auffiel, denn die Prozedur des Bartscherens verlangte von dem Klienten eine möglichst unbewegte Miene. Inzwischen war bekannt geworden, dass der Geselle, den Pitter mit dem bedenklichen Namen Malefiz anredete, eine gute Hand hatte, wenn es darum ging, Geschwüre zu öffnen oder Furunkel oder lästige Warzen zu entfernen oder auch dann und wann mal einen Aderlass vorzunehmen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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