Mitteilungen über Kaspar Hauser - Georg Friedrich Daumer - E-Book

Mitteilungen über Kaspar Hauser E-Book

Georg Friedrich Daumer

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Beschreibung

Prof. Georg Friedrich Daumer verfasste diese interessante Schrift über seinen ehemaligen Zögling Kaspar Hauser im Jahre 1832. Daumer, in dessen Haushalt Kaspar Hauser rund anderthalb Jahre zubrachte (1828-1830), studierte diesen intensiv und kannte ihn daher so gut wie kaum ein Zweiter. Auch die Versuche Daumers an Kaspar Hauser mit homöopathischen Mitteln und Mesmerismus verdienen besondere Beachtung.

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Inhaltsverzeichnis

Erstes Heft. Nürnberg, 1832

Vorrede

Bericht an die königliche Regierung

Eigentümliche Empfindung Hausers für Mineralisches und Animalisches

Empfindlicher Geruch

Eindruck den Gewitter machten

Wirkung des Mondes

Auffallendes Verhältnis zu einer Katze

Hausers Benehmen und psychischer Zustand in den ersten Zeiten seines Aufenthalts zu Nürnberg

Aufsätze von Hauser

Hausers erstes Auftreten zu Nürnberg, von ihm selbst beschrieben

Ahnung des Mordversuchs

Der Mordversuch

Einiges, was sich infolge des Mordversuchs begab. (Riechen an Aconit – Krankhaft erhöhter und empfindlicher Zustand – Mesmerismus – Leibverstopfung durch Riechen an magnetisiertem Wasser gehoben

Krätzansteckung durch Anhauch

Homöopathische Heilversuche

1. Sulphur

2. Silicea

3. Ipecacuanha und Nux vomica

4. Sepia

Zweites Heft. Nürnberg, 1832

Einige Erinnerungen Hausers aus seinem Kerkerleben und der nächstfolgenden Zeit

Sprache

Weichheit und Güte des Gemüts in den ersten Zeiten seines Aufenthalts zu Nürnberg

Hauser in Beziehung auf das weibliche Geschlecht

Sein Verhalten in religiösen Beziehungen

Zusatz zu X. des 1. Heftes (Ahnung des Mordversuchs)

Träume

Besuch bei einer Somnambüle

Einwirkung von Spinnen

Wirkung einer Blume

Berauschung durch Weinbeeren

Wirkungen von Metallen, Glas, Edelsteinen, etc

Homöopathische Heilversuche (Fortsetzung)

5. Arnica

6. Calcarea

7. Nux vomica

8. Aconitum

9. Lycopodium

10. Rhus

11. Nux vomica

12. Nux vomica

13. Nux vomica

14. Arnica

15. Silicea

16. Tinct. Sulphuris

Erstes Heft. Nürnberg, 1832.

Vorrede.

Zu einem wissenschaftlichen Werk über Kaspar Hauser habe ich von Anfang meiner Bekanntschaft mit ihm die Materialien gesammelt, aber Umstände, die ich schon an anderen Orten angedeutet, verhindern die im Sinn gehabte Durcharbeitung Was ich dem Publikum unter diesen Umständen in mehr vereinzelter und zerstreuter Weise bieten kann, folgt in dem vorliegenden und in den künftigen Heften. Nichts, was ich hier mit Bestimmtheit und ohne Beisatz ausspreche, weiß ich aus unsicherer Erinnerung, oder ist aus bloßer Konversation und Sage geschöpft, sondern ich habe es selbst an Hauser beobachtet, von ihm gehört, im Umgang mit ihm erforscht und bei noch frischer Erinnerung durch genaue Aufzeichnung bewahrt. Hauser lebte in meinem Haus und in meiner Verpflegung vom 18. Juli 1828 bis zum Januar 1830; ich konnte in dieser Zeit, da ich mein Amt nicht verwaltete, fast ununterbrochen um ihn sein, und auch nach dieser Zeit hörte meine Verbindung und mein Umgang mit ihm nicht auf. Nach einer großen Menge von Versuchen, Beobachtungen, Prüfungen, steter Berichtigung und Ergänzung des Früheren durch das Spätere darf ich glauben, diese außerordentliche Erscheinung genau genug zu kennen und vor jeder Art von Täuschung sicher genug zu sein, um einen für das Interesse der Wissenschaft nicht ganz ungeeigneten Berichterstatter abgeben zu können. Will man auch der aus Hausers Mund aufgenommenen Beschreibung seiner Empfindungen mißtrauen, so wird man doch damit Berichte von Beobachtungen verbunden finden, die auf keinem Betrug beruhen können. Wenn Hauser behauptete, er habe auf einen eingesogenen Duft, bei Einwirkung eines Minerals, lebendigen Wesens usw. dies und je jenes empfunden, so ist man nicht genötigt, ihm durchweg Glauben beizumessen, auch wenn man ihn nicht überhaupt für einen Betrüger hält. Denn nicht nur konnte er Selbsttäuschungen unterliegen, sondern es konnte auch eine durch die Umstände leicht zu entwickelnde Eitelkeit ihn bestimmen, das Wunderbare seiner Erscheinung durch Zusatz von Erdichtungen zu erhöhen. Wenn er aber bei Einwirkungen jener in Art nicht allein häufig in konvulsivische Bewegungen geriet, sondern auch z. B. die Gesichtsfarbe veränderte, am ganzen Leib gelb wurde, wenn plötzlicher Schweiß auf die Stirn trat, die Augen tränten und Entzündung zeigten, die Adern, die Glieder schwollen, die der Wirkung ausgesetzten Finger der Hand kalt wurden, ein solcher Finger, während die übrige Hand schwitzte, sich trocken, kalt anfühlte, Nasenbluten, Erbrechen, schnelle Abmagerung eintrat usf. – so kann niemand behaupten wollen, so daß es in Hausers Macht gestanden, solche Erscheinungen, um seine Umgebungen zu täuschen, durch bloßen Willen hervorzubringen. Betrügerisch dargestellt können doch wohl nur solche Krankheitserscheinungen werden, deren Nachahmung darauf beruht, den Körper und die Glieder in eine gewisse Art äußerer Bewegung oder Bewegungslosigkeit, Richtung und Lage zu bringen, wie Ohnmacht, Starrheit, Lähmung, Steifheit, Zittern, Zucken, Schaudern u. dgl., nicht aber solche, die, wie die obengenannten, eine von der Willkür nicht hervorzubringende innere Veränderung im Organismus notwendig voraussetzen. Es ist zwar auch möglich, zum Behuf eines Betruges, mit Hilfe arzneilicher Substanzen wirkliche Krankheitszustände hervorzubringen, daß aber Hauser jahrelang mit größter Konsequenz, plötzlich, so wie es die Umstände erforderten, vor Beobachtern der verschiedensten Art, in jeder Umgebung und jedem Verhältnis dergleichen Zustände künstlich in sich habe erregen können, wäre unsinnig zu glauben. Ich habe an Hauser während jahrelangen beständigen Umgangs Erscheinungen, wie die obengenannten bei den entsprechenden Gelegenheiten im Haus und im Freien fortwährend beobachtet. Wenn man sich auch nur an diese hält, so wird man die Überzeugung nicht abwehren können, daß man hier einen Menschen von ganz außerordentlicher Beschaffenheit vor sich habe. Wenn nun durch die begleitenden, von anderen wahrnehmbaren und keinem Verdacht unterworfenen Erscheinungen Hausers Aussagen über seine Zustände und Empfindungen nicht wenig unterstützt werden, so sind sie auch häufig von der Art, daß man sie ohne Voraussetzung der größten wissenschaftlichen Kenntnisse und tiefsten Einsichten in die Natur nicht für erdichtet halten kann. Solche Kenntnisse und Einsichten wird man bei Hauser nicht annehmen wollen, also kann man die Aussagen der angegebenen Art auch nicht für bloße Erdichtungen halten. Dies ist mit dem hier unter IV. und X. Angegebenen und sonst der Fall. Endlich habe ich auch nicht wenige meiner Versuche auf eine Weise angestellt, die keinen Zweifel an den Ergebnissen zuläßt. Mehreres von dieser Art findet sich in diesem Heft unter II. Und so bleibt, wenn man Verdacht und Unglauben auch möglichst weit treiben will, genug übrig, was als ein sicheres Besitztum der Wissenschaft zu betrachten ist. Zu dem Beweis, der aus den beobachteten physischen Erscheinungen geführt werden kann, tritt der psychologische aus Hausers hier treulich geschildertem Benehmen in der ersten Zeit und den hier mitgeteilten, schriftlichen Darstellungen desselben. Zwar wird auch nach den genauesten Beobachtungen und treuesten Berichterstattungen noch manches Dunkle und Rätselhafte übrig bleiben, aber dessen völlige Auflösung ist von dem Darsteller ebensowenig zu fordern, als daraus ein Beweis für die Unwahrheit der Hauser’schen Sache geführt werden kann, da durch eine Menge unzweifelhafter Tatsachen die Wahrhaftigkeit derselben im allgemeinen über alle Anfechtung erhaben ist. Auf die vortreffliche Feuerbach’sche Schrift über Kaspar Hauser konnte ich bei Gestaltung dieses Heftes keine Rücksicht nehmen, weil ich sie eben erst empfange, da der Druck des Vorliegenden sich schließt und nur noch diese Bemerkung anzufügen verstattet ist.

Inhalt.

Bericht an die königliche Regierung.

1

Eigentümliche Empfindung Hausers für Mineralisches und Animalisches.

Empfindlicher Geruch.

Eindruck den Gewitter machten.

Wirkung des Mondes.

Auffallendes Verhältnis zu einer Katze.

Hausers Benehmen und psychischer Zustand in den ersten Zeiten seines Aufenthalts zu Nürnberg.

Aufsätze von Hauser.

Hausers erstes Auftreten zu Nürnberg, von ihm selbst beschrieben.

Ahnung des Mordversuchs.

Der Mordversuch.

Einiges, was sich infolge des Mordversuchs begab. (Riechen an Aconit – Krankhaft erhöhter und empfindlicher Zustand – Mesmerismus – Leibverstopfung durch Riechen an magnetisiertem Wasser gehoben.

Krätzansteckung durch Anhauch.

Homöopathische Heilversuche.

1.

Sulphur

.

2.

Silicea

.

3.

Ipecacuanha

und

Nux vomica

.

4.

Sepia

.

1 Die Anmerkungen sind neu hinzugefügt.

I. Aus einem zu Anfang des Septembers im Jahr 1828 über Hauser abgestatteten Bericht.

Ich wurde mit Kaspar Hauser ungefähr drei Wochen vor seinem Eintritt in mein Haus bekannt, da ich ihn in dem Turm, in welchem er sich damals befand, besuchte. Ich fand mehr, als ich erwartet hatte, nahm persönlichen Anteil an dem jungen Menschen und besuchte ihn seitdem täglich, in der Absicht, zu seiner Entwicklung etwas beizutragen. Der Andrang der Neugierigen, die ihn in Anspruch nahmen, erlaubte mir oft kaum eine halbe Stunde mit ihm allein zu sein, gleichwohl lernte er in drei Wochen notdürftig Lesen, Zählen, Zahlenreihen aussprechen, Addieren und Subtrahieren, machte Fortschritte im Schönschreiben und erlernte ein einfaches Musikstückchen auf dem Klavier. Das Lesen lehrte ich ihm vermittelst großer, auf einzelne Blättchen zum Behuf des Zusammensetzens für Kinder gedruckter Buchstaben; im Schönschreiben übte er sich selbst nach Mustern, die ich ihm gebracht.2 Aber schon in der dritten Woche mußte ich fast ganz aufhören, ihn zu unterrichten, weil nicht lange nach dem Anfang des Unterrichts Schweiß auf Hausers Stirn trat und Kopfschmerz sich einstellte. Die Zuckungen, die er fast bei jeder Erregung im Gesicht bekam, wurden stärker, endlich zu eben der Zeit, da er mir zur Verpflegung übergeben wurde, erkrankte er so völlig, daß er sich kaum mehr aufrecht erhalten konnte.3 Schon am zweiten Tag nach seinem Eintritt in mein Haus hoben sich zwar die Obstruktionen, an denen er litt, aber seine Verdauungsorgane zeigten sich seitdem fortwährend geschwächt und sein Nervensystem war in der größten Zerrüttung. Die konvulsivischen Bewegungen waren von erschreckender Art. Jedes laute Wort, jeder Griff auf dem Klavier tat seinem Ohr, ein paar Worte, die er las oder schrieb, alles Weiße und Helle, auf welches er hinblickte, seinem Auge weh; er zitterte mit der Hand, wenn sie einen Gegenstand hielt, wie ein Greis4, alles Nachdenken vermehrte seine Krankhaftigkeit, von der er sich erst seit ungefähr acht Tagen zu erholen anfängt. Bei diesem Zustand mußten alle geistigeren Beschäftigungen, die er bis dahin getrieben, Lesen, Schreiben, Rechnen, Zeichnen, Klavierspielen usw. unterbleiben, und ich setzte einen Teil der Belehrungen nur in Form gelegentlicher Unterhaltung fort. Ich beschäftigte ihn übrigens mit Papp-, Tischler- und Gartenarbeiten, so weit er ihnen gewachsen war5, und mit einigen Spielen, ließ ihn so viel als möglich sich im Freien bewegen und zuweilen ein laues Bad nehmen (auch dies letztere zeigte sich wohltätig). Der Versuch, leichte Übungen auf dem Gymnasialturnplatz mit ihm anzustellen, war nicht von befriedigendem Erfolg6, vortrefflich aber bekommt ihm das Reiten, in welchem ihn Herr Stallmeister von Rumpler in meinem Beisein unterrichtet. Die konvulsivischen Bewegungen, das Zittern und die Folgen der Überreizung überhaupt fangen an zu verschwinden. Er genießt jetzt außer schwarzem Brot und Wasser, was früher sein einziger Genuß war, eine mit Mehl gekochte Wassersuppe mit großem Appetit, auch ungewürzte Schokolade, weißes Brot und Milchspeisen fangen an ihm zu behagen und er empfindet hiervon bei seiner immer noch geschwächten Verdauungskraft, welche schwarzes Brot nicht mehr so leicht als früher verarbeitet, große Erleichterung.7 Sein Aussehen verbessert sich auffallend und er wächst mit ungewöhnlicher Schnelligkeit; er ist in den letzten vier Wochen fast um zwei Zoll8 größer geworden. Seine Öffnung ist seit einiger Zeit wieder so leicht, wie sie niemals, seitdem er sich zu Nürnberg befindet, sondern nur während seiner Einsperrung war. Der obrigkeitlich für ihn bestimmte Arzt, Hr. Dr. Osterhausen, wurde zwar zu Rate gezogen, positives ärztliches Einschreiten aber würde, nach dem eigenen Urteil desselben, nur Zerstörung, nicht Hilfe gewesen sein, und man mußte es bei negativen Verhaltungsmaßregeln bewenden lassen.9

Zur Bezeichnung seiner physischen Beschaffenheit überhaupt bemerke ich Folgendes. Er ist, so lange ich ihn kenne, hauptsächlich aber gegenwärtig, von gutem Aussehen und gesunder Gesichtsfarbe, aber sein Körper ist in Hinsicht auf Leistungen und äußere Einflüsse von kaum glaublicher Empfindlichkeit, Schwäche und Reizbarkeit. Eine gelinde Berührung mit der Hand macht die Wirkung eines Schlages auf ihn, wenn er einige Zeitlang gegen den Wind geht, wird er heiser; vom kleinsten Spaziergang wurde er früher bis zum Hinsinken müde, seit kurzem jedoch kann er stundenlang gehen, ohne sich gänzlich erschöpft zu fühlen. Er stand und ging früher mit eingekehrten Füßen und war in beständiger Gefahr das Gleichgewicht zu verlieren; er konnte nicht den kleinsten Sprung machen, ohne umzufallen; jetzt ist sein Gang wenig mehr von dem der anderen Menschen unterschieden. Seine Hände und Fußsohlen waren früher so weich, schwielenlos und verwundbar, daß man deutlich die Ungewohntheit des Gehens und Arbeitens ersehen konnte. Ich fand, als er mir übergeben worden war, an seinen Füßen noch bedeutende Spuren der vielen durch das ungewohnte Gehen erhaltenen Blasen und wunden Stellen.10 Bei Erregungen der Sinne, bei Kraftanstrengungen, Aufmerksamkeit und Nachdenken ist das Gesicht, vorzüglich der Mund nach der linken Seite zu, und der linke Arm konvulsivisch bewegt.11 Von Fleischspeisen, bekommt er fieberhafte Zufälle, Pflanzensäure macht empfindlichen Reiz, das Süße ist ihm widerlich, alles Gewürzhafte und Geistige bringt Erscheinungen schreckhafter Art hervor.12 Alle seine Sinne sind von ungeheurer Schärfe und Feinheit. Er riecht z. B. Dinge, die für gewöhnliche Organe ganz geruchlos sind, in beträchtlicher Entfernung, schmeckt einen Tropfen Fleischbrühe, der unter seine Wassersuppe gekommen und unterscheidet in einer Entfernung von ungefähr 100 Schritten die einzelnen Beeren der Trauben eines Holunderbaumes, in mehr als der Hälfte dieser Entfernung erkennt er den Unterschied einer Holunderbeere von einer Schwarzbeere. Sein an die Finsternis gewöhntes Auge sieht in einer Dunkelheit, in welcher ein gewöhnliches Auge weder Farbe noch Umriß erkennt, noch ziemlich gut.

Er unterscheidet in einer für andere gänzlichen Finsternis13 noch Dunkelbraun und Dunkelrot, Dunkelgrün und Schwarz u. dergl., und braucht in der Nacht kein Licht, um sich im Haus überall zurechtzufinden und mit Sicherheit umherzugehen; ja er sieht in der Dämmerung besser als bei hellem Tag, da ihn das Tageslicht blendet.14 Am merkwürdigsten sind die bei ihm vorkommenden Erscheinungen, die in das Gebiet des animalischen Magnetismus und des Hellsehens hinüberstreifen. In der Nacht, in welcher sich seine Krankheit brach, hatte er einen Traum, in welchem sich der Übergang zur Genesung in einem freundlichen Bild darstellte.15 Wenn von hinten sich jemand auch ungesehen oder ungehört ihm nähert, so weiß er es vermöge einer ganz eigentümlichen Empfindung, welche ihm die Nähe lebendiger Wesen erregt. Wenn man die Hand gegen ihn richtet, so fühlt er eine Strömung von ihr ausgehen, die er mit dem Ausdruck: „Anblasen“ belegt; beim Anfassen einer Hand befällt ihn, mit wenigen Ausnahmen (bei alternden Personen), ein kalter Schauder. Die meiste Empfänglichkeit für solche Eindrücke zeigt er (aus unbekannten Ursachen) in Beziehung auf mich. Er empfindet es, rückwärts gekehrt, wenn ich in einer Entfernung von 125 Schritten die Hand gegen ihn ausstrecke. Eine ähnliche Empfindlichkeit äußert er gegen Metalle; er fühlt und unterscheidet durch die Stärke des Zuges Metalle, die man, ohne daß er es gesehen oder weiß, unter Papier verborgen hat. Diese Erscheinungen vermindern sich jedoch, so wie er jetzt kräftiger und gesunder wird.

Zur Schilderung seiner geistigen Eigentümlichkeit, wie sie sich bis jetzt gezeigt hat, mögen folgende Züge dienen. Er ist von der größten Gutmütigkeit und Weichherzigkeit. Allen Menschen aber mißtraut er mehr oder weniger, was eine begreifliche Folge seiner bisherigen Erfahrungen ist. Sein Urteil ist scharf und treffend, seine Beobachtung außerordentlich fein. Autoritäten gelten nichts bei ihm; er vertraut nur eigener Anschauung, Erfahrung und Einsicht. Sein Verstand erkennt in seinen Anforderungen keine Grenzen an, und will absolut befriedigt sein16, sein moralisches Gefühl äußert sich rigoristisch, in Hinsicht der äußeren Ordnung und Reinheit ist er pedantisch. Seine Beharrlichkeit in Dingen, zu denen er sich selbst bestimmt hat, geht oft in Eigensinn über. Als seine hervorstechenden Talente zeigen sich die technischen und künstlerischen. In Hinsicht seines mündlichen Ausdruckes ist er so weit, daß man sich mit ihm über alles, was in dem nun verhältnismäßig schon sehr weiten Kreise seiner Vorstellungen und seiner Fassungskraft liegt, ohne große Schwierigkeit verständigen kann.

Die zwei größten Veränderungen, die mit seiner Sinnesweise und Ansicht der Dinge vorgingen, waren nach seiner eigenen Angabe folgende. Die erste trat ein, als ich ihm ein Buchstabenkästchen zum Lesen gebracht und angefangen hatte, ihn die Buchstaben kennen zu lehren. Von der Zeit an, sagt er, sei es mit dem Spielen ausgewesen, die Spielpferde, bis dahin seine größte Freude, wurden zurückgestellt und er war von nun an nur aufs lernen bedacht. Die zweite große Veränderung brachte die Wahrnehmung des Keimens und Wachsens in ihm hervor. Er glaubte nämlich früher, daß Bäume, Blätter, Blumen, Früchte von Menschenhand gemacht und geformt wären und da ich mich bemühte, ihm eine Vorstellung vom Wachstum der Vegetabilien zu geben, verhielt er sich ganz ungläubig dagegen. Ich ließ ihn daher (August 1828) einige Samenkörner von verschiedener Art in Blumentöpfe stecken und verkündigte ihm, was geschehen würde. Er wolle mir alles glauben, sagte er, wenn sich das bestätige. Und als nun die Körner wirklich aufgingen, geriet er in nicht zu beschreibende Freude und Verwunderung, und sieht seit dieser Zeit die Natur mit ganz anderen Augen an.17

II. Eigentümliche Empfindung für Mineralisches und Animalisches.

Ich teile hier vorerst einige Fälle mit, welche Verdacht und Unglauben niederzuschlagen vorzüglich geeignet sind. Hausers Empfindlichkeit gegen Berührungen war so groß, daß er, wenn man ihn z. B. mit der Hand gelinde an die Schulter rührte, zuckte und auch wohl sagte, man möge ihn nicht schlagen, indem er unter schlagen eben jene Berührung verstand. Auf die Bemerkung eines Freundes (Hr. Prof. Hermann aus München), diese Empfindlichkeit möchte von tieferer Natur sein und Hauser sich in einer Art von magnetischem Zustand befinden, trat ich, während dieser im Gespräch mit anderen begriffen war, leise hinter ihn, und fuhr in einiger Entfernung von ihm mit der Hand gegen seinen Rücken herab. Er drehte sich mit dem Ausdruck des Erschreckens um und fragte, was ich mache, warum ich ihm den Rücken gestrichen habe, und wollte es nicht glauben, als ich sagte, ich hätte ihn nicht berührt. Er sagte mir später, zuerst, als ich an den Kopfhaaren zu streichen begonnen, habe er geglaubt, es gehe vom Fenster ein Wind herein, wie ich aber weiter herabgefahren, sei ihm ein kalter Schauder gekommen und er habe gemerkt, daß jemand hinter ihm sei und dies verursache. Als mein Freund vorn in einiger Entfernung mit den Händen gegen ihn herabstrich, behauptete er, er blase ihn an, ein kühler Wind gehe an ihn hin, die Stirn wurde heiß, die Hände kalt, er bekam Drücken in der Herzgrube, wie wenn, nach seinem Ausdruck, ein Brocken oder Stein sie belästigte; als Aufstoßen18 erfolgte, war diese Empfindung vorüber.

Von mir und Hr. Prof. Hermann fühlte er die magnetische Einwirkung am stärksten, doch war das, was er von letzterem empfand, bei weitem schwächer, als das, was von mir.

Ich trat einst mit jenem in sein Zimmer, als er, mit dem Rücken gegen die Tür gekehrt, bei einer Arbeit sehr aufmerksam beschäftigt war. Da er in solchem Fall, in welchem er außer dem Gegenstand seiner Aufmerksamkeit nichts hörte noch sah, auch die magnetische Wirkung schwächer fühlte, so versuchte mein Freund, ob er es merke, wenn er in Entfernung den Finger gegen ihn hinhalte. Er tat dies eine Zeitlang, ohne daß Hauser zu erkennen gab, daß er etwas verspüre; kaum aber hatte ich (schweigend, wie sich versteht) den Finger gegen ihn gerichtet, so schrak er zusammen und sah sich ganz verstört nach der Ursache dieser Einwirkung um.

Auf einem Spaziergang machte ich einst im Beisein Herrn Prof. Wurms zu Nürnberg, folgenden Versuch. Ich ließ ihn in ziemlicher Entfernung vor mir hergehen und sagte ihm, ich wolle gegen ihn mit der Hand herabfahren und er solle sagen, wann er etwas empfinde. Ich fragte ihn zweimal, ob er nichts spüre, so daß es schien, als mache ich hinter ihm die Bewegung, die ich unterließ, worauf er verneinend antwortete. Als ich aber wirklich, und zwar sehr schnell mit der Hand herabfuhr, sah man in diesem Augenblick die Äußerung des Frostschauders an ihm, worauf er sich umdrehte und sagte, nun sei ich mit der Hand herabgefahren. Bei anderen Versuchen dieser Art, die ich im Freien anstellte, ohne daß Hauser etwas von dem wußte, noch wissen konnte, was ich hinter seinem Rücken vorhatte und tat, da ich unbemerkt weit hinter ihm zurückgeblieben war, waren Hr. Professor Hermann und Hr. Baron von Tucher Zeugen. Ich könnte noch mehr solche Fälle und noch mehr Namen anführen, doch, denke ich, werden schon jene nebst den unten folgenden, Hausers Metallfühlen betreffenden, hinreichen, um jeden Verdacht, den Zweifelsüchtige auf ihn oder auf mein, des einzelnen, Zeugnis werfen könnten, zum Schweigen zu bringen.

Animalisch Lebendiges (um Hausers Ausdruck beizubehalten) blies ihn an, von Mineralischem pflegte eine Anziehung von verschiedener Stärke gefühlt zu werden. Bei Fassung und Berührung eines, wenn auch für die Empfindung anderer nicht kalten19 Metalls, Glases usw. fühlte er zugleich eine durch die Hand den Arm hinaufgehende Erkältung, deren Schnelligkeit bei verschiedenen Mineralien verschieden war. Wenn ihm der Arm durch Anfassen oder Annäherung von Metall oder Edelsteinen kalt wurde, so schwollen sichtlich und auffallend die Adern der Hand auf, die der Wirkung ausgesetzt gewesen. Ich legte in seiner Abwesenheit einen goldenen Ring, einen Zirkel von Stahl und Messing und eine silberne Reißfeder unter Papier, so daß man nicht sehen konnte, daß etwas darunter verborgen war. Ich ließ ihn über dieses Papier mit dem Finger herfahren, so daß das Papier nicht berührt wurde, und er unterschied durch die verschiedene Stärke des Zuges, den jene Metalle gegen seinen Finger ausübten, sie alle. Wenn er mit seinem Finger über den Zirkel und die Reißfeder, die unter dem Papier lagen, hinfuhr, fühlte er den Zug senkrecht herab, wenn er oben oder unten über die Enden hinausfuhr, schief zu jenen Instrumenten hin. Zufällig lag einst ein Blatt Papier auf dem Tisch, unter welches nichts verborgen worden war. Ich sagte im Beisein Herrn Dr. Osterhausens und Herrn Kronanwalts Brunner aus München, zu Hauser, der ins Zimmer trat, er möge versuchen, ob kein Metall darunterliege. Er fuhr mit dem Finger darüber hin und sagte an einer bestimmten Stelle: da ziehe es. „Diesmal hast du dich getäuscht“, sagte ich, betroffen über den mir früher nie vorgekommenen Fall, und hob das Papier auf. Hauser fühlte wieder an die Stelle hin, wo er den Zug gefühlt, und behauptete, nachdem das Papier hinweggenommen war, es ziehe noch immer. Wir vermuteten nun, daß unter der Wachsdecke des Tisches etwas verborgen sei, wiewohl wir nicht sogleich durch Betasten der Stelle etwas entdecken konnten, doch kam nach genauerer Nachforschung an der von Hauser bezeichneten Stelle eine Nadel zum Vorschein, die also Hauser durch die Wachsdecke und das Papier hindurch gespürt hatte. Jemand legte ihm, um ihn zu prüfen, ein ausländisches Goldstück, von der ungefähren Größe und Dicke eines Kreuzers, ohne daß er es ansehen konnte, in die Hand. Er ließ sich nicht täuschen, sondern sagte, der Empfindung nach, die es ihm verursache, müsse es Gold sein. Zu Anfang Dezember, als er schon für Gold, welches sonst stark gewirkt hatte, keine Empfindung mehr hatte, setzte ihm Herr Dr. Preu zu Nürnberg, in meinem Beisein, ein verschlossenes mit Papier umwickeltes kleines Glas, welches halb mit Quecksilber gefüllt war, in die Hand, ohne daß er wußte, was es war. Brennender Schmerz und Anziehen wurde auf dem Fleck der Hand verspürt, auf welchen es aufgesetzt worden, ein starker Kälteschauder ging durch den ganzen Leib, worauf ihm bald heiß wurde und Schweiß auf die Stirn trat, welcher letztere wenigstens kein Betrug sein konnte. Er befand sich einmal einen Schritt weit von einem Pult, in welchem ein Päckchen mit verschiedenen Edelsteinen gefüllt, befindlich war. So wie es geöffnet wurde, sah er mit verstörten Blicken nach ihm hin und sagte, hierin sei etwas, was ihn ziehe. Als ich einen mit Papier umwickelten Diamant gegen ihn hielt, und ihn um die Wirkung dessen befragte, was darin sei, sagte er, was in dem Papier sei, wirke wie der Diamant eines ihm gehörigen Ringes.

III. Empfindlicher Geruch.

Aus der großen Menge von Beispielen eines unerhört empfindlichen Geruchs, die mir meine Beobachtungen darboten, will ich einstweilen nur folgende anführen. Als er einst (August 1828) in meinem Haus in ein Zimmer trat, in welchem ein paar Tropfen der tinctur. nervin. Bestuscheff eingenommen worden waren, ergriff ihn der im Zimmer verbreitete Duft so, daß sich sogleich konvulsivische Bewegungen zeigten. Die Empfindung stieg, seiner Aussage nach, in den Kopf und verursachte Augenschmerz, dann zog sie sich auf beiden Seiten des Kopfes die Wangen herab durch den Hals in zwei Linien, die sich im Magen vereinigten. Im Vereinigungspunkt entstand Drücken, es erfolgte das gewöhnliche Laufen (s. in der Folge), dann zweimaliges Aufstoßen mit heraufkommendem Wasser, dies alles dauerte eine starke Viertelstunde lang. Es blieb Kopf- und Augenschmerz. Ich führte ihn nun auf seinen Wunsch ein wenig spazieren; auf dem Weg kam Frost und etwa nach einer halben Stunde zeigte sich mehrmaliges Aufstoßen, auf den Frost folgte Hitze und der Schweiß trat auf die Stirn, womit sich die Reihe der Erscheinungen, wie öfters, schloß. Das mit Kork verschlossene Gläschen jener Arznei roch er drei Schritte weit.

Als ich ihm einmal (Herbst 1828) von ferne den Johanniskirchhof bei Nürnberg zeigte, bat er mich, ihn den Ort in der Nähe besehen zu lassen, wo die gestorbenen Menschen in ihren unterirdischen Kammern schliefen; denn unter der Vorstellung eines langen Schlafes war ihm der Begriff des Todes genähert worden. Einen widrigen Eindruck fürchtend, sagte ich ihm, ich wolle ihn zwar näherführen, er solle mir es aber sagen, sobald er irgend etwas Widriges zu empfinden anfangen würde. Ungefähr sechs Schritte weit vom Eingang ward er von der Ausdünstung der Gräber (obwohl es ein kühler heller Herbst morgen war) stark ergriffen. Er hatte sie weit früher empfunden, allein da er seine ganze Aufmerksamkeit auf die Steinbilder am Kirchhof gerichtet hatte, und begierig war, sie zu besehen, hatte er unterlassen, es mir anzuzeigen. Er bekam starken Frost und machte die Gebärden heftigen Schauders. Nach einiger Zeit kam Aufstoßen, bald darauf fing Wärme vom Unterleib an sich langsam nach oben zu verbreiten. Vom Hals an stieg sie schnell in den Kopf, es erschien Schweiß auf der Stirn und es erfolgte so starke Hitze, daß sein Hemd vom Schweiß ganz durchnäßt wurde und selbst der Hosenträger an demselben sich abfärbte. Solche Hitze, sagte er, habe er noch nie empfunden. In der Nähe des Tores ward ihm wieder wohl. Doch klagte er, daß seine Augen durch jene Einwirkung dunkler geworden seien. Alles Wahrnehmbare dieser Begebenheit habe ich aufmerksam beobachtet. Andere ungenaue oder ganz verdrehte Nachrichten hierüber, wie die des Herrn von Pirch20, sind also nach dieser zu berichtigen.

Hier kann auch eine andere Angabe ihre Berichtigung finden. Wasser mit Opium gemischt hat Hauser zu Nürnberg nie getrunken, sondern der Versuch wurde gemacht, indem man ihn von ferne Opium riechen ließ, wie ich von Herrn Dr. Preu und von Hauser selbst sogleich nach angestelltem Versuch erkundet habe. Hauser erklärte den Geruch des Opiums für den, welchen sein Wasser im Gefängnis gehabt, „wenn es schlecht war“, fiel auch auf das bloße Riechen in einen langen Schlaf, worauf großer, schwer zu stillender Durst folgte. Daß er im Gefängnis öfters nicht genug Wasser hatte, wie er angibt, erklärt sich hieraus. Sein Trinkgefäß wurde ihm wohl täglich auf gleiche Weise gefüllt, hatte er aber Opium bekommen, so reichte nach dem Erwachen aus dem durch dasselbe bewirkten Schlaf für den nun krankhaft erhöhten Durst die gewöhnliche Wasserportion nicht hin.21 Auch glaubte sich Hauser zu entsinnen, daß es ihm an Wasser gemangelt habe, wenn er zuvor schlechtes bekommen. Dann sei es wieder gut gewesen und habe ihm vorzüglich geschmeckt, aber für seinen Durst nicht hingereicht. Daß aber bei Anstellung jenes Versuchs schon der Geruch des Mittels, wie früher im Käfig der Genuß, Schlaf und Durst bewirkte, darf nicht befremden. Denn erstlich hatte der Genuß jene Erscheinungen wohl in noch höherem Grade erregt, zweitens mußte bei Hauser, nachdem er lange Zeit hindurch kein Opium mehr bekommen hatte, die Empfindlichkeit gegen dasselbe erhöht sein.22

IV. Eindruck, den Gewitter machten.

In den ersten Zeiten war Hauser während eines Gewitters in höchst schmerzhaftem Zustand. Noch im Mai 1829 bemerkte ich während eines Gewitters Zuckungen in Hausers Gesicht und Gliedern (eine damals nicht mehr gewöhnliche Erscheinung). Er bekam inneren Frost, mit öfterem Schütteln und Schaudern. Während des Donners, sagte er, sei es ihm, als sei alles in seinem Leib locker und bewege sich, und er fühle von oben den Kopf herab einen Druck. Auf der linken Seite23 war der Frost stärker. Er mußte die Augen unwillkürlich zudrücken und zitterte. Der Frost dauerte, bis das Gewitter vorüber war. Mitten auf der Brust fühlte er einen ganz kalten Fleck und es war ihm, als wäre dieser Fleck ganz locker. Der Druck war stärker, je nachdem der Donner stärker war. Beim Blitzen fühlte er Schmerz in den Augen „wie von Nadelstichen.“ Ungefähr eine halbe Stunde nachher kam Nasenbluten, darauf war ihm sehr leicht im Kopf. Ob ein Gewitter kurz oder lange dauern würde, konnte er aus seinem Gefühl abnehmen. Wenn es kurz