Momentum - Lot Vekemans - E-Book

Momentum E-Book

Lot Vekemans

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Beschreibung

Lange Zeit ist Ebba nicht mehr mit der U-Bahn gefahren. An der Seite von Meinrad Hofmann, einem Politiker auf höchster Ebene, genießt sie Personenschutz und den Luxus eines Chauffeurs. Früher fuhr sie inkognito durch die Stadt, damals war es ihr noch wichtig, vom richtigen Leben nicht entfremdet zu werden. Mit den Jahren jedoch gewöhnte sie sich an das Leben im politischen Vakuum. Oder doch nicht? Ebbas Ehemann Meinrad steckt in einer Krise, er weiß nicht, wie lange er sich noch in seinem Amt halten kann. Die Kritik kommt nicht nur von außen, er selbst hadert mit sich und den verloren gegangenen Idealen. Ebba spürt seine Schwäche, doch wie kann sie ihn stärken? In der U-Bahn nimmt eine alte Frau neben Ebba Platz, sie raunt ihr etwas zu und fortan fließen Vergangenheit und Zukunft in Ebba zusammen. Was war ihr Leben an Meinrads Seite und wie wird es sein, wenn er aus persönlicher Schwäche sein Amt verlieren oder abgeben wird? Für welche Ziele sind beide vor vielen Jahren - Hand in Hand - angetreten? Was wollten sie im Land, in der Gesellschaft verändern? Hat sie nicht zu viel von ihrem Leben für ihn aufgegeben? Ebba war Meinrad stets die Stütze, die er brauchte, ohne die er nie die jetzige Position erklommen hätte. Dort angekommen, soll nun alles dahin sein? In Lot Vekemans' Stück geht es um große Fragen unserer Zeit. Was waren unsere Ideale und wie haben sie sich verändert? Kann Macht auch zur Ohnmacht führen? Was geben wir in unserem Leben auf und für wen? Und konkret: Was darf Ebba von dem Mann erwarten, an dessen Seite sie all die Jahre gelebt, dem sie sich untergeordnet hat? Wird er zurückstehen können, wenn sich ihr eine Perspektive eröffnet, die sie ein Stück über ihn stellt? Wird er dann auch an ihrer Seite stehen - Hand in Hand? Meinrad zögert. "Ich will nicht warten", sagt Ebba.

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Seitenzahl: 83

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Theatertexte finden Sie auf unserer Websitewww.kiepenheuer-medien.de

© 2018 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

Personen:

Meinrad Hofmann Parteivorsitzender und politischer Führer des Landes, auf jeden Fall jemand mit großer politischer Macht.

Ebba Hofmann seine Frau

Dieter Seeger sein engster Berater und Spin Doctor

Ekram Lindner junger Dichter

Das ungeborene Kind (Duk) Kind von Ebba und Dieter

Teil I

1.

Ebba spricht, als hielte sie eine Rede. In ihrer Nähe befindet sich Dieter, der engste Berater Meinrads, der zunächst für das Publikum nicht sichtbar ist

EBBA Liebe Parteifreunde,

Ich weiß, dass Sie heute Abend hier nicht zusammengekommen sind, um mich sprechen zu hören

Sie erwarten meinen Mann

Sie warten auf meinen Mann

Und wenngleich Ihr Warten belohnt werden wird

- mein Mann wird erscheinen -

Er wird nicht sprechen

Nicht heute Abend

Ich spreche

Nicht in seinem Namen

Sondern für seinen Namen

Wie er war, bevor der Schmutz zu kleben anfing

Sie alle wissen, mein Mann hat es in letzter Zeit schwergehabt

Es gibt Kritik

Öffentlich und hart

Und ich kann Ihnen versichern, ihm geht das zu Herzen

Es gibt öffentliche Kritik

Aber auch interne

Von einigen unter Ihnen

Das ist kein Geheimnis

Nehmen wir also heute Abend kein Blatt vor den Mund

Verhüllen wir nicht die Wahrheit

Keine Geheimniskrämerei

Keine Kommentare, die hinter vorgehaltener Hand in den Raum wehen

Verständlich nur für jene, die direkt neben uns stehen

Worte, die Verbündete zusammenschmieden

Und Feinde schaffen

Worte, die Mauern errichten und spalten

Nutzen wir dieses Fest, zur Annäherung und nicht um uns zu spalten

Mein Mann hat Fehler gemacht

Das weiß er

Das gibt er zu

Aber seine Fehler entspringen nicht einem politischen Versagen

Im Gegenteil

Seine Fehler entspringen seinen Idealen

Und somit den Idealen unserer Partei

Wenn Sie ihn also kritisieren, seien Sie sich dann auch bewusst, dass Sie damit die Ideale unserer Partei kritisieren

Das, woraus diese Partei aufgebaut wurde

Ein Fundament, das immer weiter zu zerfallen droht

Vergessen wir nicht, was sich die Gründer unserer Partei als Ausgangspunkt vorgenommen hatten:

Den Aufbau einer würdevollen Gesellschaft, in der es für jeden einen Platz gibt

In der wir daran arbeiten, das Wohl eines jeden Einzelnen zu optimieren und zu steigern

In der nicht die zentrale Frage ist, woher du kommst, sondern wo du sein willst

Was du an dem Ort, an dem du lebst, beitragen willst

Wohin wir miteinander gehen wollen

Die letzten fünf Jahre haben wir als ein Geschenk erfahren

Denn man ist gesegnet, wenn man an seinen Idealen arbeiten darf

Wir leben in schwierigen Zeiten

Und schwierige Zeiten erfordern Beharrlichkeit

Sie erfordern eine langfristige Vision für die Zukunft, die sich auf Werte gründet

Ich bitte Sie deshalb, Ihr Vertrauen in meinen Mann nicht zu verlieren

Nicht jetzt

Geben Sie ihm noch einmal die Chance, dieses Land gerechter zu machen

Geben Sie unserer Partei noch einmal die Chance, dieses Land gerechter zu machen

Denn das ist es, was er tun kann

Mehr als irgendjemand sonst in unserer Partei

Mein Mann ist ein guter Mensch

Er verdient es, dass er sich wieder aufrichten darf

Gerade weil er den Absturz kennt

Wer nach dem Sturz aufsteht, ist mehr im Gleichgewicht denn je

Ich weiß, dass Sie meinem Mann wohlgesonnen sind

Sogar die Kritiker unter Ihnen

Und ich spreche Ihnen dafür meinen Dank aus

Ihre Unterstützung bedeutet alles

Ihm und mir

Seien wir heute Abend also ehrlich

Sagen wir, was gesagt werden muss

Reden wir so lange, bis die Worte verklungen sind

Versiegt

Sich nicht wiederholen wollen

Und stehen wir dann auf und gehen wir gemeinsam vorwärts

Mit mehr Überzeugung denn je

Mit mehr Stärke denn je

Das ist sein Wunsch

Und ich bin mir sicher, dies ist auch Ihr Wunsch

Wir müssen an die Zukunft glauben

Wir können an die Zukunft glauben

Darum bitte ich Sie heute Abend

Den Glauben an eine gemeinsame Zukunft

Ich danke Ihnen

Sie hält einen Moment inne, schaut dann zu Dieter

EBBA Und?

DIETER Ausgezeichnet

EBBA Nicht zu?

DIETER Zu was?

EBBA Zu alles

DIETER Es sagt, was es sagen soll und was er nicht sagen kann

Ich hoffe, dass es nicht nötig ist

Dass er sich während der Pressekonferenz beherrschen kann

Sie werden ihn nicht mit Samthandschuhen anfassen

Er kann sich keine Fehler mehr erlauben, Ebba

Dann ist wirklich Schluss

EBBA Das weiß ich

DIETER Die Frage ist, ob er es weiß

Er kann manchmal völlig unzugänglich sein

Dann perlt alles, was ich sage, von ihm ab

EBBA Es ist viel

DIETER Es wird noch viel schlimmer, wenn er weiter Fehler macht

EBBA Darum sind wir da

Um das zu verhindern

DIETER Ich tue mein Bestes

EBBA Wir alle

DIETER Das weiß ich

Dieter geht näher zu Ebba

DIETER Wie laufen die Vorbereitungen für das Fest?

EBBA Ich habe es unter Kontrolle

DIETER Es ist ein ziemlich unglückliches Zusammenfallen

Eine Fünfzig-Jahr-Feier ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem die Leitfigur zusammenzubrechen droht

EBBA Vielleicht können wir das Fest dazu nutzen, seine guten Seiten zu zeigen

DIETER Ich hoffe es

EBBA Hoffnung ist etwas für Verlierer, du musst es glauben

Oder noch besser: dir sicher sein

DIETER Du hast recht

Wie immer

Dieter betrachtet Ebba etwas schamlos, Ebba lässt es zu

EBBA Und morgen ist auch die Presse dabei?

DIETER Nur draußen

Hier drinnen sind wir sicher

Dieter gibt Ebba einen Handkuss

2.

DAS UNGEBORENE KIND

Es gibt eine Theorie, die besagt, dass ein Mensch eine begrenzte Anzahl von Atemzügen hat. Eine begrenzte Anzahl von Ein- und Ausatmungen. Wenn sie aufgebraucht sind, stirbt er. Manche haben das begriffen, sie gehen gewissenhaft mit ihrem Atem um, doch die meisten von uns atmen einfach vor sich hin.

Ein bisschen ein, ein bisschen aus, gedankenlos, 22.000 Mal am Tag, 7,5 Millionen Mal im Jahr und … sagen wir mal, 620 Millionen Mal in einem Leben.

Wenn man jeden Atemzug minimal mit – sagen wir, 3 Sekunden verzögern würde, also für jeden Atemzug 3 Sekunden länger bräuchte – dann würden wir mit der gleichen Anzahl von Atemzügen fast 60 Jahre länger leben. Und wenn wir 6 Sekunden gewinnen, leben wir 120 Jahre länger.

Ich meine ja nur, was einem so ein bisschen mehr Atem bringen kann.

3.

Meinrad zieht sich für die Pressekonferenz um. Er sucht einen passenden Schlips zu seinem Anzug. Dieter ist bei ihm, um ihn zu briefen

MEINRAD Ein blauer Schlips oder ... ein grauer? Ist der hier grau? Oder eher braungrau? Ich weiß es nicht. Vielleicht besser einen blaugraugestreiften oder ...

DIETER Den dunkelroten

MEINRAD Wirklich?

Vielleicht sollte ich Ebba fragen

DIETER Dunkelrot ist gut, Meinrad

Das strahlt Wärme aus und Leidenschaft

MEINRAD Leidenschaft? Das hast du erforscht?

Ich wollte heute eigentlich Bescheidenheit ausstrahlen

DIETER Dann nimm dunkelblau

MEINRAD Ist das bescheiden?

DIETER Vertrauenswürdig

Und gelassen

MEINRAD Gelassen?

Bin ich gelassen, Dieter?

DIETER Es wäre schön, wenn es so rüberkäme

MEINRAD Und dabei hilft ein dunkelblauer Schlips?

...

Gut, dann wird es ein dunkelblauer Schlips

DIETER Du weißt, was du zu tun hast?

MEINRAD Ich entschuldige mich

DIETER Nein, du entschuldigst dich nicht, im Moment entschuldigt sich jeder, das hat überhaupt keinen Wert. Wir müssen deine Wutausbrüche als Zeichen von Engagement, von Mitgefühl verpacken. Wir müssen zeigen, dass du ein Mensch aus Fleisch und Blut bist. Und Menschen machen Fehler. Das muss die Geschichte sein. Wir müssen dafür sorgen, dass dir die Leute verzeihen wollen, und dich umarmen. Wegen deiner Menschlichkeit, nicht wegen deiner Entschuldigung. Du darfst nie um Vergebung bitten.

MEINRAD Schwäche ist gut?

DIETER Niemand ist unfehlbar

Ein berühmter amerikanischer Filmproduzent hat mal gesagt: „Menschen werden Stars wegen ihrer Schwächen, nicht wegen ihrer Qualitäten.“

MEINRAD Und darauf soll ich vertrauen?

DIETER Es ist eine bessere Geschichte als die Geschichte eines Menschen, der sich nicht mehr in der Hand hat

MEINRAD Ich habe mich bestens in der Hand

DIETER Sieht nicht so aus, als würde das die Presse glauben

Und auch nicht die Partei

Sonst würden sie nicht mit einer Abstimmung drohen

MEINRAD Imponiergehabe

DIETER Unterschätze es nicht, Meinrad

MEINRAD Du glaubst doch nicht wirklich, dass sie mich in die Wüste schicken wollen?

DIETER Du wärst nicht der Erste

MEINRAD Feiglinge, das sind sie

Allesamt

Feiglinge!

DIETER Meinrad?

MEINRAD Ich will endlich einfach sagen, was ich wirklich meine

DIETER So funktioniert es nicht, Meinrad

MEINRAD Ich bin kein kleines Kind, Dieter

Ich weiß, wie es funktioniert

Und ich sage, dass es mir reicht!

DIETER Meinrad?

MEINRAD Ja, ja, ich werde brav sein

Ich werde mich benehmen

Ich werde schuldbewusst sein

Ich werde mich beugen

Nicht brechen

Okay?

DIETER Gut

MEINRAD Wo ist Ebba?

DIETER Ebba bleibt hier

Die hat genug zu tun mit den Vorbereitungen für das Fest

MEINRAD Ich will, dass sie dabei ist

DIETER Das ist keine gute Idee

MEINRAD ?

DIETER Die Leute müssen dich in deiner Verwundbarkeit sehen, nicht jemanden, der neben

seiner atemberaubenden Frau steht, das macht dich … zu …

MEINRAD Zu was?

DIETER Es sieht zu inszeniert aus

Die Leute werden denken, dass alles arrangiert ist

Das untergräbt deine Glaubwürdigkeit

Ebba können wir später wieder einsetzen

MEINRAD Weißt du noch, was du letztes Mal gesagt hast?

Als ich mich gefragt habe, ob Ebba so auffällig neben mir stehen müsse

Da hast du gesagt, sie sei gerade wichtig

Dass ein Mann zu einer natürlichen Leitfigur wird, wenn eine atemberaubende Frau an seiner Seite steht

Das Alphamännchen

Der, dem man vertrauen kann, wenn es drauf ankommt

DIETER Das war eine andere Situation

MEINRAD Derselbe Mann, dieselbe Frau

DIETER Es geht um den Kontext, Meinrad

Es geht immer nur um den Kontext

4.

Ekram wartet, Ebba tritt auf

EBBA Man hat mir nicht gesagt, dass du schon da bist

EKRAM Macht nichts

EBBA