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Lange Zeit ist Ebba nicht mehr mit der U-Bahn gefahren. An der Seite von Meinrad Hofmann, einem Politiker auf höchster Ebene, genießt sie Personenschutz und den Luxus eines Chauffeurs. Früher fuhr sie inkognito durch die Stadt, damals war es ihr noch wichtig, vom richtigen Leben nicht entfremdet zu werden. Mit den Jahren jedoch gewöhnte sie sich an das Leben im politischen Vakuum. Oder doch nicht? Ebbas Ehemann Meinrad steckt in einer Krise, er weiß nicht, wie lange er sich noch in seinem Amt halten kann. Die Kritik kommt nicht nur von außen, er selbst hadert mit sich und den verloren gegangenen Idealen. Ebba spürt seine Schwäche, doch wie kann sie ihn stärken? In der U-Bahn nimmt eine alte Frau neben Ebba Platz, sie raunt ihr etwas zu und fortan fließen Vergangenheit und Zukunft in Ebba zusammen. Was war ihr Leben an Meinrads Seite und wie wird es sein, wenn er aus persönlicher Schwäche sein Amt verlieren oder abgeben wird? Für welche Ziele sind beide vor vielen Jahren - Hand in Hand - angetreten? Was wollten sie im Land, in der Gesellschaft verändern? Hat sie nicht zu viel von ihrem Leben für ihn aufgegeben? Ebba war Meinrad stets die Stütze, die er brauchte, ohne die er nie die jetzige Position erklommen hätte. Dort angekommen, soll nun alles dahin sein? In Lot Vekemans' Stück geht es um große Fragen unserer Zeit. Was waren unsere Ideale und wie haben sie sich verändert? Kann Macht auch zur Ohnmacht führen? Was geben wir in unserem Leben auf und für wen? Und konkret: Was darf Ebba von dem Mann erwarten, an dessen Seite sie all die Jahre gelebt, dem sie sich untergeordnet hat? Wird er zurückstehen können, wenn sich ihr eine Perspektive eröffnet, die sie ein Stück über ihn stellt? Wird er dann auch an ihrer Seite stehen - Hand in Hand? Meinrad zögert. "Ich will nicht warten", sagt Ebba.
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Seitenzahl: 83
Veröffentlichungsjahr: 2018
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© 2018 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH
Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin
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Meinrad Hofmann Parteivorsitzender und politischer Führer des Landes, auf jeden Fall jemand mit großer politischer Macht.
Ebba Hofmann seine Frau
Dieter Seeger sein engster Berater und Spin Doctor
Ekram Lindner junger Dichter
Das ungeborene Kind (Duk) Kind von Ebba und Dieter
Ebba spricht, als hielte sie eine Rede. In ihrer Nähe befindet sich Dieter, der engste Berater Meinrads, der zunächst für das Publikum nicht sichtbar ist
EBBA Liebe Parteifreunde,
Ich weiß, dass Sie heute Abend hier nicht zusammengekommen sind, um mich sprechen zu hören
Sie erwarten meinen Mann
Sie warten auf meinen Mann
Und wenngleich Ihr Warten belohnt werden wird
- mein Mann wird erscheinen -
Er wird nicht sprechen
Nicht heute Abend
Ich spreche
Nicht in seinem Namen
Sondern für seinen Namen
Wie er war, bevor der Schmutz zu kleben anfing
Sie alle wissen, mein Mann hat es in letzter Zeit schwergehabt
Es gibt Kritik
Öffentlich und hart
Und ich kann Ihnen versichern, ihm geht das zu Herzen
Es gibt öffentliche Kritik
Aber auch interne
Von einigen unter Ihnen
Das ist kein Geheimnis
Nehmen wir also heute Abend kein Blatt vor den Mund
Verhüllen wir nicht die Wahrheit
Keine Geheimniskrämerei
Keine Kommentare, die hinter vorgehaltener Hand in den Raum wehen
Verständlich nur für jene, die direkt neben uns stehen
Worte, die Verbündete zusammenschmieden
Und Feinde schaffen
Worte, die Mauern errichten und spalten
Nutzen wir dieses Fest, zur Annäherung und nicht um uns zu spalten
Mein Mann hat Fehler gemacht
Das weiß er
Das gibt er zu
Aber seine Fehler entspringen nicht einem politischen Versagen
Im Gegenteil
Seine Fehler entspringen seinen Idealen
Und somit den Idealen unserer Partei
Wenn Sie ihn also kritisieren, seien Sie sich dann auch bewusst, dass Sie damit die Ideale unserer Partei kritisieren
Das, woraus diese Partei aufgebaut wurde
Ein Fundament, das immer weiter zu zerfallen droht
Vergessen wir nicht, was sich die Gründer unserer Partei als Ausgangspunkt vorgenommen hatten:
Den Aufbau einer würdevollen Gesellschaft, in der es für jeden einen Platz gibt
In der wir daran arbeiten, das Wohl eines jeden Einzelnen zu optimieren und zu steigern
In der nicht die zentrale Frage ist, woher du kommst, sondern wo du sein willst
Was du an dem Ort, an dem du lebst, beitragen willst
Wohin wir miteinander gehen wollen
Die letzten fünf Jahre haben wir als ein Geschenk erfahren
Denn man ist gesegnet, wenn man an seinen Idealen arbeiten darf
Wir leben in schwierigen Zeiten
Und schwierige Zeiten erfordern Beharrlichkeit
Sie erfordern eine langfristige Vision für die Zukunft, die sich auf Werte gründet
Ich bitte Sie deshalb, Ihr Vertrauen in meinen Mann nicht zu verlieren
Nicht jetzt
Geben Sie ihm noch einmal die Chance, dieses Land gerechter zu machen
Geben Sie unserer Partei noch einmal die Chance, dieses Land gerechter zu machen
Denn das ist es, was er tun kann
Mehr als irgendjemand sonst in unserer Partei
Mein Mann ist ein guter Mensch
Er verdient es, dass er sich wieder aufrichten darf
Gerade weil er den Absturz kennt
Wer nach dem Sturz aufsteht, ist mehr im Gleichgewicht denn je
Ich weiß, dass Sie meinem Mann wohlgesonnen sind
Sogar die Kritiker unter Ihnen
Und ich spreche Ihnen dafür meinen Dank aus
Ihre Unterstützung bedeutet alles
Ihm und mir
Seien wir heute Abend also ehrlich
Sagen wir, was gesagt werden muss
Reden wir so lange, bis die Worte verklungen sind
Versiegt
Sich nicht wiederholen wollen
Und stehen wir dann auf und gehen wir gemeinsam vorwärts
Mit mehr Überzeugung denn je
Mit mehr Stärke denn je
Das ist sein Wunsch
Und ich bin mir sicher, dies ist auch Ihr Wunsch
Wir müssen an die Zukunft glauben
Wir können an die Zukunft glauben
Darum bitte ich Sie heute Abend
Den Glauben an eine gemeinsame Zukunft
Ich danke Ihnen
Sie hält einen Moment inne, schaut dann zu Dieter
EBBA Und?
DIETER Ausgezeichnet
EBBA Nicht zu?
DIETER Zu was?
EBBA Zu alles
DIETER Es sagt, was es sagen soll und was er nicht sagen kann
Ich hoffe, dass es nicht nötig ist
Dass er sich während der Pressekonferenz beherrschen kann
Sie werden ihn nicht mit Samthandschuhen anfassen
Er kann sich keine Fehler mehr erlauben, Ebba
Dann ist wirklich Schluss
EBBA Das weiß ich
DIETER Die Frage ist, ob er es weiß
Er kann manchmal völlig unzugänglich sein
Dann perlt alles, was ich sage, von ihm ab
EBBA Es ist viel
DIETER Es wird noch viel schlimmer, wenn er weiter Fehler macht
EBBA Darum sind wir da
Um das zu verhindern
DIETER Ich tue mein Bestes
EBBA Wir alle
DIETER Das weiß ich
Dieter geht näher zu Ebba
DIETER Wie laufen die Vorbereitungen für das Fest?
EBBA Ich habe es unter Kontrolle
DIETER Es ist ein ziemlich unglückliches Zusammenfallen
Eine Fünfzig-Jahr-Feier ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem die Leitfigur zusammenzubrechen droht
EBBA Vielleicht können wir das Fest dazu nutzen, seine guten Seiten zu zeigen
DIETER Ich hoffe es
EBBA Hoffnung ist etwas für Verlierer, du musst es glauben
Oder noch besser: dir sicher sein
DIETER Du hast recht
Wie immer
Dieter betrachtet Ebba etwas schamlos, Ebba lässt es zu
EBBA Und morgen ist auch die Presse dabei?
DIETER Nur draußen
Hier drinnen sind wir sicher
Dieter gibt Ebba einen Handkuss
DAS UNGEBORENE KIND
Es gibt eine Theorie, die besagt, dass ein Mensch eine begrenzte Anzahl von Atemzügen hat. Eine begrenzte Anzahl von Ein- und Ausatmungen. Wenn sie aufgebraucht sind, stirbt er. Manche haben das begriffen, sie gehen gewissenhaft mit ihrem Atem um, doch die meisten von uns atmen einfach vor sich hin.
Ein bisschen ein, ein bisschen aus, gedankenlos, 22.000 Mal am Tag, 7,5 Millionen Mal im Jahr und … sagen wir mal, 620 Millionen Mal in einem Leben.
Wenn man jeden Atemzug minimal mit – sagen wir, 3 Sekunden verzögern würde, also für jeden Atemzug 3 Sekunden länger bräuchte – dann würden wir mit der gleichen Anzahl von Atemzügen fast 60 Jahre länger leben. Und wenn wir 6 Sekunden gewinnen, leben wir 120 Jahre länger.
Ich meine ja nur, was einem so ein bisschen mehr Atem bringen kann.
Meinrad zieht sich für die Pressekonferenz um. Er sucht einen passenden Schlips zu seinem Anzug. Dieter ist bei ihm, um ihn zu briefen
MEINRAD Ein blauer Schlips oder ... ein grauer? Ist der hier grau? Oder eher braungrau? Ich weiß es nicht. Vielleicht besser einen blaugraugestreiften oder ...
DIETER Den dunkelroten
MEINRAD Wirklich?
Vielleicht sollte ich Ebba fragen
DIETER Dunkelrot ist gut, Meinrad
Das strahlt Wärme aus und Leidenschaft
MEINRAD Leidenschaft? Das hast du erforscht?
Ich wollte heute eigentlich Bescheidenheit ausstrahlen
DIETER Dann nimm dunkelblau
MEINRAD Ist das bescheiden?
DIETER Vertrauenswürdig
Und gelassen
MEINRAD Gelassen?
Bin ich gelassen, Dieter?
DIETER Es wäre schön, wenn es so rüberkäme
MEINRAD Und dabei hilft ein dunkelblauer Schlips?
...
Gut, dann wird es ein dunkelblauer Schlips
DIETER Du weißt, was du zu tun hast?
MEINRAD Ich entschuldige mich
DIETER Nein, du entschuldigst dich nicht, im Moment entschuldigt sich jeder, das hat überhaupt keinen Wert. Wir müssen deine Wutausbrüche als Zeichen von Engagement, von Mitgefühl verpacken. Wir müssen zeigen, dass du ein Mensch aus Fleisch und Blut bist. Und Menschen machen Fehler. Das muss die Geschichte sein. Wir müssen dafür sorgen, dass dir die Leute verzeihen wollen, und dich umarmen. Wegen deiner Menschlichkeit, nicht wegen deiner Entschuldigung. Du darfst nie um Vergebung bitten.
MEINRAD Schwäche ist gut?
DIETER Niemand ist unfehlbar
Ein berühmter amerikanischer Filmproduzent hat mal gesagt: „Menschen werden Stars wegen ihrer Schwächen, nicht wegen ihrer Qualitäten.“
MEINRAD Und darauf soll ich vertrauen?
DIETER Es ist eine bessere Geschichte als die Geschichte eines Menschen, der sich nicht mehr in der Hand hat
MEINRAD Ich habe mich bestens in der Hand
DIETER Sieht nicht so aus, als würde das die Presse glauben
Und auch nicht die Partei
Sonst würden sie nicht mit einer Abstimmung drohen
MEINRAD Imponiergehabe
DIETER Unterschätze es nicht, Meinrad
MEINRAD Du glaubst doch nicht wirklich, dass sie mich in die Wüste schicken wollen?
DIETER Du wärst nicht der Erste
MEINRAD Feiglinge, das sind sie
Allesamt
Feiglinge!
DIETER Meinrad?
MEINRAD Ich will endlich einfach sagen, was ich wirklich meine
DIETER So funktioniert es nicht, Meinrad
MEINRAD Ich bin kein kleines Kind, Dieter
Ich weiß, wie es funktioniert
Und ich sage, dass es mir reicht!
DIETER Meinrad?
MEINRAD Ja, ja, ich werde brav sein
Ich werde mich benehmen
Ich werde schuldbewusst sein
Ich werde mich beugen
Nicht brechen
Okay?
DIETER Gut
MEINRAD Wo ist Ebba?
DIETER Ebba bleibt hier
Die hat genug zu tun mit den Vorbereitungen für das Fest
MEINRAD Ich will, dass sie dabei ist
DIETER Das ist keine gute Idee
MEINRAD ?
DIETER Die Leute müssen dich in deiner Verwundbarkeit sehen, nicht jemanden, der neben
seiner atemberaubenden Frau steht, das macht dich … zu …
MEINRAD Zu was?
DIETER Es sieht zu inszeniert aus
Die Leute werden denken, dass alles arrangiert ist
Das untergräbt deine Glaubwürdigkeit
Ebba können wir später wieder einsetzen
MEINRAD Weißt du noch, was du letztes Mal gesagt hast?
Als ich mich gefragt habe, ob Ebba so auffällig neben mir stehen müsse
Da hast du gesagt, sie sei gerade wichtig
Dass ein Mann zu einer natürlichen Leitfigur wird, wenn eine atemberaubende Frau an seiner Seite steht
Das Alphamännchen
Der, dem man vertrauen kann, wenn es drauf ankommt
DIETER Das war eine andere Situation
MEINRAD Derselbe Mann, dieselbe Frau
DIETER Es geht um den Kontext, Meinrad
Es geht immer nur um den Kontext
Ekram wartet, Ebba tritt auf
EBBA Man hat mir nicht gesagt, dass du schon da bist
EKRAM Macht nichts
EBBA